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Intifada bis zum Sieg!

Stellungnahme vom 30. Januar 2023

In Palästina geht es derzeit Schlag auf Schlag: Am Donnerstag massakrierte ein Spezialkommando der israelischen Armee neun Palästinenser in der Stadt Jenin in der Westbank. Ein zehnter erlag am Sonntag seinen Verletzungen. Als Reaktion darauf erschoss der 21-jährige Khayri Alqam am Freitag sieben israelische Siedler in Ostjerusalem; dabei wurde auch er getötet.[1] Auf den Straßen im Westjordanland, Jerusalem und Gaza sowie in mehreren israelischen Gefängnissen feierten die Menschen die Aktion als Erfolg.[2]

Seither kam es zu weiteren militärischen Operationen des palästinensischen Widerstands: Aus Gaza wurden mehrere Raketen abgefeuert, die vom israelischen Luftabwehrsystem „Iron Dome“ abgefangen wurden;[3] Widerstandskämpfer in der Westbank griffen wiederholt zionistische Siedlungen und Checkpoints der Armee an[4] und im berüchtigten Naqab-Gefängnis befinden sich derzeit 120 der dort internierten Palästinenser im Hungerstreik.[5] Das israelische Regime reagiert in üblicher Weise: mit Bombardierungen Gazas, Massenverhaftungen und Häuserzerstörungen; in den Gefängnissen wurden die Feiern mit Gewalt erstickt, zionistische Siedler verüben Brandanschläge auf palästinensische Häuser, Autos und Olivenhaine.[6] Allein am Samstag wurden rund 150 Übergriffe auf Palästinenser in der Westbank verzeichnet.[7] Mehrere Palästinenser wurden getötet. Die Regierung in Tel Aviv will es Israelis künftig zudem noch leichter machen, Waffenscheine zu erlangen, und die Angehörigen von Widerstandskämpfern sollen noch härter in Sippenhaft genommen werden können, als es ohnehin schon der Fall ist. Der israelische Minister für Nationale Sicherheit, der Faschist Ben-Gvir, forderte außerdem die Todesstrafe für Widerstandskämpfer.[8] Dies würde die längst übliche Praxis der extralegalen Hinrichtungen durch Armee und Siedler an nahezu allen Palästinensern, die Israelis angreifen, in ein Gesetz gießen.

Seit anderthalb Jahren Intifada

Diese neue Eskalation ist Teil eines Volksaufstands der Palästinenser, der mindestens seit Mai 2021 vor sich geht: Damals gipfelte der Widerstand gegen die Vertreibung hunderter Palästinenser aus dem Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah in Kämpfen zwischen dem bewaffneten Widerstand in Gaza (Hamas, Islamischer Jihad, PFLP und DFLP) auf der einen Seite und einem Generalstreik der Palästinenser sowohl in der Westbank als auch in Israel andererseits. Militärischer und ziviler Widerstand verbanden sich hier zu einem einheitlichen Volksaufstand in ganz Palästina, vom Jordan bis zum Mittelmeer. Sowohl die Tatsache, dass es sich um die erste Erhebung in ganz Palästina seit dem großen Aufstand von 1936-39 handelte, als auch dass der militärische Widerstand in Gaza wieder einmal Israels massiven Bombardierungen trotzte und Tel Aviv in einen Waffenstillstand zwingen konnte, wurde als großartiger politischer Sieg verbucht.

Seither hat sich die Lage nicht beruhigt, im Gegenteil: 2022 war das tödlichste Jahr für die Bewohner der Westbank seit der Zweiten Intifada. Seit 2021 wurden dort mehr als 250 Palästinenser von den Zionisten ermordet. Aber auch die israelischen Besatzungstruppen und die Siedler, die das Westjordanland und Ostjerusalem besetzt halten, verzeichnen immer höhere Verluste. Das liegt vor allem daran, dass sich in der Westbank in den letzten anderthalb Jahren ein Prozess der Volksbewaffnung vollzieht: Neben dem militärischen Widerstand, der an Parteien und Organisationen gebunden ist (Hamas/Al-Qassam-Brigaden, Jihad/Al-QudsBrigaden, PFLP/Abu Ali MustafaBrigaden, DFLP/Nationale Widerstandsbrigaden, Fatah/Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden) auf der einen Seite und dem zivilen Ungehorsam der breiten Massen (Sumud) auf der anderen, ist der niedrigschwellige militärische Widerstand der breiten Masse getreten. Äußerte dieser sich vor einigen Jahren noch vor allem in Messerangriffen auf Soldaten und Siedler, ist er nun zu effizienteren Methoden und besserer Bewaffnung übergegangen und hebt den Widerstand im Westjordanland damit auf eine ganz neue Stufe: Während Gaza längst zur No Go-Area für die Kolonialisten geworden ist, wird nun auch die Westbank in eine militärische Hölle für die Zionisten verwandelt. Daher auch der Name der organisations- und strömungsübergreifenden Gruppe junger Kämpfer, die das zionistische Regime seit letztem Sommer in Atem hält und in der sich dieser neue Widerstand besonders manifestiert: Arin al-Usud – „Höhle der Löwen“.[9]

Drang zur Einheit

Arin al-Usud drückt aber nicht nur eine neue Qualität des militanten und militärischen Volkswiderstands der Palästinenser aus, sondern auch den Drang nach Überwindung der Spaltung. Als die Fatah 2007 auf Drängen Israels und des Westens gegen die Hamas putschte, wurden die Palästinenser in den 1967 besetzten Gebieten endgültig gespalten, sowohl territorial als auch politisch. Seither hat die Fatah-Führung unter Mahmud Abbas ein autokratisches Marionettenregime von Israels Gnaden in der Westbank installiert. Dieses Regime hat kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung. Stattdessen liegt die Hamas bei Umfragen deutlich vor der Fatah. Während Abbas aus diesem Grund keine Parlamentswahlen zulässt, verbuchten Hamas und PFLP an den Universitäten zuletzt Wahlsiege. Derweil gewinnt der Islamische Jihad durch Militäroperationen in der Westbank an Popularität. Schon im Mai 2021 beschossen Hamas, Jihad, PFLP und DFLP von Gaza aus gemeinsam und zum Teil in direkter Kooperation miteinander Israel.[10] In diesem nationalen Befreiungskampf, der alle Volksklassen umfasst, treten politische und ideologische Widersprüche hinter das gemeinsame Ziel zurück. Ebenso wird der militärische Widerstand von der gesamten Bevölkerung unterstützt: Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem militärischen Kampf und dem zivilen Widerstand; im Gegenteil beziehen sich beide explizit permanent positiv aufeinander – und nichts anderes braucht es für einen erfolgreichen nationalen Befreiungskampf!

Siedlerregime in der Sackgasse

Im November 2022 fanden in Israel die fünften Wahlen innerhalb von vier Jahren statt. Seither herrscht in Tel Aviv die rechteste Regierung der israelischen Geschichte: Der rechtskonservative Likud bildet geradezu den „linken Flügel“ der neuen Koalitionsregierung unter Benjamin Netanjahu, die von rechts-religiösen Parteien bis hin zu den Faschisten von Itamar Ben-Gvir reicht. Auch im Westen wird diese Regierung wegen ihres offen anti-liberalen (d.h. anti-säkularen, homosexuellen-feindlichen und gegen die Gewaltenteilung gerichteten) Kurses und aufgrund ihres offen rechtsradikalen Charakters kritisiert. Dabei überdeckt diese Kritik, dass Israel nie eine „liberale Demokratie“ oder ein normaler bürgerlicher Staat war. „Israel“ ist ein siedlerkoloniales Projekt in Palästina, das darauf abzielt, die indigene Bevölkerung zu vertreiben oder zu vernichten und sie durch eine Nation europäischer Siedler zu ersetzen, wie es in Nordamerika und Australien geschehen ist. Entsprechend dieses kolonialen Charakters war Israel schon immer nichts anderes als eine Ethnokratie: sozialdemokratisch und liberal gegenüber der europäisch-jüdischen Siedlerbevölkerung, faschistoid und genozidal gegenüber den Palästinensern.

Seit 1948 ist Israel stetig nach rechts gerückt: Der sozialdemokratische „Links-Zionismus“ hat seine historische Aufgabe, nämlich die Schaffung eines klassenübergreifenden Kollektivs der Kolonialsiedler, längst erfüllt und ist in der Bedeutungslosigkeit versunken; die neoliberalen und rechtsradikalen Zionisten haben seit Jahrzehnten die totale Hegemonie. Die Siedlerbevölkerung ist absolut rassistisch, völlig durchmilitarisiert und extrem verhetzt – und zugleich sozial krass gespalten. Um der stetigen Auswanderung von Israelis und dem wachsenden Widerstand der Palästinenser, die beide das siedlerkoloniale Projekt existenziell bedrohen, entgegenzuwirken, setzen die politische Machthaber in Tel Aviv auf permanente Eskalation, Expansion und Terror – wodurch sie den Widerstand nur noch mehr befeuern. Daher ist die neue faschistoide Regierung kein Betriebsunfall, wie es die liberalen Medien und Politiker hierzulande, aber auch in Israel selbst behaupten. Sie ist vielmehr das logische Ergebnis einer im faschistischen Charakter des Kolonialprojekts Israel selbst angelegten Dynamik. Gleichzeitig verkörpert sie das Dilemma dieses Kolonialprojekts: Die Zionisten verrennen sich in ihrem kolonialen Amoklauf immer mehr. So untergräbt das eskalierende Vorgehen der israelischen Armee in der Westbank zunehmend die Autorität des dortigen Marionettenregimes, sodass Abbas zuletzt nichts anderes übrig blieb, als auf Konfrontation mit Tel Aviv zu gehen, um sich einen Rest Legitimität unter den Palästinensern zu erhalten.[11] Zugleich droht dem zionistischen Regime, dass es aufgrund seines offen zutage tretenden faschistischen Charakters den Westen derart in Verlegenheit versetzt, dass er zunehmend Probleme hat, seine bedingungslose Unterstützung mit schön klingenden Phrasen über die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ und „historische Verantwortung“ zu legitimieren oder zu vermitteln. Wie die Beispiele Algerien und Südafrika zeigen, ist diese bedingungslose Rückendeckung ohne Zögern aber absolut notwendig für das Kolonialprojekt, andernfalls wird es vom Widerstand der indigenen Bevölkerung hinweggefegt!

Freiheit für Palästina heißt Kampf dem deutschen Imperialismus!

Die BRD gehört zu den wichtigsten Alliierten des zionistischen Regimes: Sie liefert Waffen, hält Tel Aviv politisch den Rücken frei, kooperiert militärisch und verbreitet die israelische Propaganda, so wie auch jetzt wieder der palästinensische Widerstand als „Terrorismus“ verunglimpft, der israelische Staatsterror legitimiert und Palästina-Solidarität hierzulande mit Repression belegt wird. Umgekehrt spielt die pro-zionistische „Staatsräson“ eine wesentliche ideologische Rolle bei der Legitimierung des deutschen Imperialismus nach 1945. Zudem dient die anti-palästinensische Hetze auch der Legitimierung von Rassismus gegen Muslime und der Kriminalisierung migrantischer Selbstorganisierung. Für uns als Kommunisten in Deutschland bedeutet das, dass wir die Solidarität mit dem Befreiungskampf der Palästinenser und den Kampf gegen den deutschen Imperialismus zusammendenken müssen!

Was das konkret bedeutet, müssen wir diskutieren: Wir sehen, dass sowohl die palästinensische Selbstorganisierung als auch die Palästina-Solidarität seit einigen Jahren in Deutschland wieder Auftrieb erhalten. Nach drei Jahrzehnten pro-zionistischer und -imperialistischer Durchdringung und Zersetzung der politischen Linken und angesichts der beispiellosen anti-palästinensischen Hetzkampagnen der letzten Jahre macht das Hoffnung! Zugleich sehen wir Fallstricke, Schwächen und Fehler, die eine effektive Solidarität behindern werden oder jetzt schon behindern. Diese müssen wir dringend durch vertiefte Auseinandersetzung mit dem palästinensischen Befreiungskampf, durch Debatten und durch Lernen von den palästinensischen Genossen identifizieren und überwinden. Aus unserer Sicht muss beispielsweise das Festhalten weiter Teile der kommunistischen Bewegung an der sog. Zweistaatenlösung dringend kritisch hinterfragt werden. Noch wichtiger scheint das Problem, dass die Notwendigkeit der Einheit der Palästinenser und ihres Widerstands, die sich derzeit durchsetzt, von einigen, die sich solidarisch mit ihnen geben, nicht geteilt, sondern viel mehr hintertrieben wird. Gerade hier in Deutschland und gerade auch unter Kommunisten wird sich immer wieder von Teilen des Widerstands distanziert: teilweise aufgrund des Einsatzes von Gewalt gegen vermeintliche Zivilisten – vor allem aber geht es um angeblich „reaktionäre“ Teile des Widerstands, konkret um Hamas und den Islamischen Jihad. Dabei wird sowohl die Tatsache ignoriert, dass Hamas und Jihad zu den konsequentesten Kämpfern für die nationalen Rechte der Palästinenser gehören und vor allem die Hamas die mit Abstand stärkste Widerstandskraft mit Massenverankerung darstellt, als auch die Tatsache, dass die Genossen der PFLP, der DFLP und der Kommunistischen Partei Palästinas beide Organisationen als integralen Teil des Volkswiderstands anerkennen und z.T. mit ihnen zusammenarbeiten. (Dasselbe gilt übrigens auch für die libanesische Hisbollah.) Solche Distanzierungen basieren in aller Regel auf Unkenntnis oder Ignoranz der Lage vor Ort, sie sind anmaßend und schwächen den Widerstand der Palästinenser, sowohl in Palästina als auch hierzulande. Als Internationalisten und Antiimperialisten in Deutschland ist es unsere Pflicht, uns real mit dem Befreiungskampf der Palästinenser zu solidarisieren, und ihm nicht unsere vermeintlich „wahrhaft revolutionären“, letztlich aber eurozentrisch-ignoranten Wünsche überzustülpen: Es gilt, ihn dort wie hier zu unterstützen, wo es nur geht, den deutschen Imperialismus als wichtigen Alliierten Israels konsequent zu bekämpfen – und den Spaltungsmethoden der Imperialisten entgegenzutreten! Das heißt: kein Distanzieren, kein Relativieren – Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf, ohne Wenn und Aber!

Es lebe der Befreiungskampf des palästinensischen Volkes – vom Jordan bis zum Mittelmeer!

Widerstand ist kein Terrorismus – hoch die internationale Solidarität!


[1] https://occupied-news.medium.com/7-getötete-israelis-2-palästinenser-seit-freitag-samstag-28-01-2023-d93f5a7e08df.

[2] https://www.youtube.com/watch?v=0xPNTbtUHVc, https://t.me/PalestineResist/3795, https://t.me/presstv/59068, https://t.me/PalestineResist/3793.

[3] https://t.me/thecradlemedia/5430, https://t.me/PalestineResist/3741.

[4] https://t.me/PalestineResist/3787, https://t.me/PalestineResist/3823, https://t.me/PalestineResist/3864

[5] https://t.me/PalestineResist/3866.

[6] https://t.me/PalestineResist/3793, https://t.me/PalestineResist/3787, https://t.me/PalestineResist/3823, https://t.me/PalestineResist/3864.

[7] https://thecradle.co/article-view/20862.

[8] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/anschlaege-in-israel-minister-will-waffen-auf-den-strassen,TUJyq7r.

[9] https://thecradle.co/Article/Investigations/17037.

[10] https://www.abuali.ps/news/2859, https://alhourriah.org/article/99613.

[11] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/palaestinenser-israel-sicherheitskooperation-101.html.

Aktuelles

Bericht zum 5. Mitgliederkongress der Kommunistischen Organisation

Der 5. Mitgliederkongress der KO hat stattgefunden. Erfahrungen aus unserer Spaltung und der akti-ven Beteiligung in Kämpfen gegen den Krieg der NATO und den Völkermord in Palästina geben nachdrücklich Aufgaben für uns selbst und die Bewegung auf. Sie erfordern praktische Konsequen-zen. Ein zentraler Beschluss: Die Organisierung eines umfassenden und öffentlichen Studienganges zur Geschichte des Kommunismus.

Bericht über die Kundgebung “From the River to the Sea – Palestine will be free!”

Bericht von der Kundgebung: Wenn der Innenminister die Gerichte ignoriert... Die Polizei hat verhindert, dass wir die Parole rufen konnten - obwohl wir vor Gericht Recht bekommen haben. Aber wir haben mehr über die Parole, die Geschichte, über den Befreiungskampf Palästinas und über demokratische Rechte in Deutschland informiert und die erste Kundgebung unter dem Motto "From the River to the Sea" abgehalten! Um unsere Grundrechte müssen wir weiter kämpfen!