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Das Scheitern der afghanischen Revolution – Lehren für den Kampf in der Peripherie

Matin Baraki: Afghanistan. Revolution, Intervention, 40 Jahre Krieg, Köln: PapyRossa-Verlag 2023. 286 Seiten.

Von Noel Bamen

Am 27. April 1978 begann die sog. Saur-Revolution, die April-Revolution in Afghanistan. Sie war sowohl von der damaligen sowjetischen Führung als auch von der Leitung der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) nicht geplant gewesen. Vielmehr handelte es sich bei dem an diesem Tag durchgeführten Militärputsch, mit dem die DVPA an die Macht kam, um eine Reaktion auf die versuchte Liquidierung der Partei-Spitze durch das Regime von Muhammad Daud Khan. Dieser war 1973 ebenfalls mittels Putsch fortschrittlicher Militärs unter Einfluss der DVPA ins Amt des Präsidenten gehievt worden und inszenierte sich zunächst als progressiv: er schaffte die Monarchie ab, rief die Republik aus und versprach soziale Reformen. Letztere aber blieben weitgehend aus. Dafür brach er bald mit der traditionell blockfreien Politik Kabuls und näherte sich dem iranischen Schah-Regime sowie Pakistan, und damit auch dem Westen an. Zugleich ging er mit Repression und Terror gegen die DVPA vor.

Mangelnde Einheit von Theorie und Praxis

Matin Baraki beginnt sein Buch mit einem kurzen theoretischen Kapitel zur Theorie der sog. Nationaldemokratischen Revolution. Dieses Konzept war zentral in der Revolutionstheorie und der Strategie der kommunistischen Bewegung und des sozialistischen Lagers, vor allem während des Kalten Kriegs: Es ging um die Notwendigkeit, in den Ländern, die von den objektiven Bedingungen her (ökonomische Unterentwicklung, unzureichend herausgebildet Arbeiterklasse, schwache oder kaum vorhandene Arbeiterbewegung) als noch nicht reif für eine sozialistische Revolution angesehen wurden, einen Prozess zu forcieren, der feudale Strukturen konsequent überwand, eine selbstständige, industrielle Wirtschaftsweise und damit auch die Entfaltung des Proletariats schnell vorantrieb und eine antiimperialistische Stoßrichtung hatte. Baraki hält dazu fest:

„Zusammengefasst beinhaltet die Theorie der NDR [Nationaldemokratischen Revolution, N.B.] folgende Kernpunkte: 

  • genaue Analyse der sozioökonomischen Verhältnisse des jeweiligen Landes,
  • Berücksichtigung der objektiven und subjektiven Faktoren,
  • Durchführung einer demokratischen Bodenreform,
  • Alphabetisierung der gesamten Bevölkerung,
  • die Bündnisfrage,
  • die Stellung der Frau in der Gesellschaft,
  • Demokratisierung der Gesellschaft und Partizipation der gesellschaftlichen Gruppen, wie Gewerkschaften und anderer Interessenvertreter der Bevölkerung,
  • Möglichkeit des Übergangs von vorfeudalen, halbfeudalen bzw. feudalen Verhältnissen direkt zum Sozialismus,
  • die Frage: Können Entwicklungsetappen überhaupt übersprungen werden?
  • Frage der Unterstützung von außen durch fortgeschrittene Länder.“ (S. 23)

Dieses Konzept konnte sich auf Überlegungen, die bereits Marx und Engels formuliert hatten, berufen und stützte sich auf die von Lenin ausgearbeiteten Positionen der Komintern zur antikolonialen Strategie. Zentral in den Debatten rund um dieses Konzept war stets – sowohl in der Komintern als auch in späteren Zeiten – die Frage, ob bzw. inwiefern die Arbeiterklasse auch in solchen Ländern in der Lage war, die Führung zu übernehmen, und was das konkret für den Aufbau einer nationaldemokratischen Ordnung bedeutete. Die von Baraki angeführte „Möglichkeit des Übergangs von vorfeudalen, halbfeudalen bzw. feudalen Verhältnissen direkt zum Sozialismus“war eine der Überlegungen, die im Zusammenhang mit einer proletarischen Hegemonie in der Nationaldemokratischen Revolution standen: Unter dem Label des „Nichtkapitalistischen Entwicklungswegs“wurde, ebenfalls gestützt auf Gedanken von Marx und Engels, die Perspektive diskutiert, wie junge (zumeist postkoloniale) Nationalstaaten mit weitgehend vorkapitalistischen Verhältnissen eine schnelle ökonomisch-technische Entwicklung bestreiten könnten, ohne dabei einen eigenen Kapitalismus entfalten zu müssen.i Wie im 1965 angenommenen Grundsatzprogramm der DVPA, das sich im Dokumentenanhang des Buchs findet, nachzulesen ist, ging die Partei davon aus, dass dieser Weg auch in Afghanistan möglich sei, sodass „sich der kapitalistische Entwicklungsweg, der für die werktätigen Massen qualvoll ist, vermeiden“ ließe. (S. 190)

Ob Baraki diese Einschätzung für falsch hält, geht nicht eindeutig aus seinem Buch hervor. In jedem Fall aber geht er von der Richtigkeit des Konzepts der Nationaldemokratischen Revolution aus und scheint die Frage „Können Entwicklungsetappen überhaupt übersprungen werden?“ mit Nein zu beantworten. So ist denn auch seine These, dass die innenpolitischen Gründen für das Scheitern der Saur-Revolution darin zu suchen sind, dass die DVPA sich zwar theoretisch die Nationaldemokratische Revolution zur strategischen Aufgabe gemacht, sie aber in der Praxis die objektiven Bedingungen in Afghanistan verkannt und daher versucht hat, diese Zwischenetappe zu überspringen.

Fehler und Verbrechen

Baraki, seinerzeit selbst Anwärter auf wichtige Posten innerhalb der DVPA, geht mit seiner früheren Partei hart, aber nicht unsolidarisch ins Gericht. Obwohl die Partei sich als marxistisch-leninistisch verstand, waren ihre Mitglieder Baraki zufolge „hauptsächlich städtische, kleinbürgerliche Intellektuelle, die oft nur vage Vorstellungen von marxistischer Theorie hatten.“ (S. 53) Dieser Klassencharakter der Partei war eine logische Folge der gesellschaftlichen Zustände in Afghanistan: Die damals etwa 17 Millionen Afghanen lebten „unter feudalen bzw. vorfeudalen Verhältnissen (…) Annähernd 85% der Menschen lebten auf dem Land als Bauern, Landarbeiter, Tagelöhner, Viehzüchter usw.“ (S. 46) „Von der Existenz einer Arbeiterklasse im eigentlichen Sinne konnte nicht gesprochen werden. (…) Nur 0,6% aller Erwerbstätigen waren in der industriellen Produktion beschäftigt“. (S. 48) Weniger selbstverständlich und verzeihlich war da die ideologische Schwäche der DVPA, die Baraki als eine ihrer größten Probleme bezeichnet. Hinzu kam der legendäre Fraktions-Kampf innerhalb der DVPA: Auf der einen Seite stand der Partscham-Flügel um Babrak Karmal, Muhammad Najibullah, Mir Akbar Khayber und Anahita Retabsad, auf der anderen der Khalq-Flügel Nur Muhammad Tarakis und Hafizullah Amins. Erstere bezeichnet Baraki als die „realistischen Kräfte“, letztere als Voluntaristen. (S. 49)

Die Khalqis, und vor allem Amin, tragen Baraki zufolge die Hauptlast der selbstverschuldeten Seite des Scheiterns der Revolution. Die Machtübernahme der DVPA-geführten Militärs vom 27. April 1978 selbst war, so der Autor, die Folge einer putschistischen Strategie Amins, sowohl innerhalb der DVPA, als auch auf staatlicher Ebene: Baraki benennt Indizien, die darauf hinweisen, dass Amin Mordanschläge auf seine Konkurrenten in der Partei-Führung veranlasste, und zwar noch vor der Revolution; er soll zudem – ebenfalls bereits vor der Machtübernahme – Kontakt zum späteren Mujahedeen-Führer und Warlord Gulbuddin Hekmatyar gepflegt und im Verlauf des Jahres 1979, im Zuge eines doppelten Spiels und geheimer Absprachen mit den USA und Pakistan, einen gemeinsame Staatsstreich mit diesem geplant haben. Amin wurde, so Baraki weiter, irgendwann zwischen Herbst 1977 und Frühjahr 1978 vom Politbüro der DVPA entmachtet, weil er als Kontaktperson für die Zellen in der Armee einen Militärputsch angestrebt habe. Trotzdem konnte er die Verhaftung Tarakis und Karmals am 19. April 1978 zum Anlass nehmen, um einen Aufstand von unter DVPA-Einfluss stehenden Militärs anzuzetteln: „damit hatte Amin sein Ziel erreicht“, konstatiert der Autor. (S. 52)

Die Machtkämpfe innerhalb der DVPA spitzten sich nach der Machtübernahme weiter zu:

„Schon im Juli/August 1978 wurde die Partscham-Fraktion unter Babrak Karmal entmachtet. Es wurden auch tausende „einfache“ Parteimitglieder verhaftet, gefoltert und in großer Zahl ermordet. Hafisullah Amin verfolgte jede Oppositioninnerhalb und außerhalb der Partei. Mehr als 2500 DVPA-Mitglieder und weitere 12.000 Menschen wurden ermordet.“ (S. 56)

Selbst seinen Khalq-Genossen Taraki soll Amin ermorden lassen haben. „Es entstand ein Klima der Angst, des Duckmäuertums und des Opportunismus (…), die Basis hatte so gut wie keinen Einfluss“, resümiert Baraki diese Zeit. (ebd.)

Parallel dazu ging die DVPA zwar auch die dringend benötigten Reformen im Land an: Eine Bodenreform wurde in Gang gesetzt und Alphabetisierungskurse für hunderttausende Menschen organisiert; zudem wurden das Ehe- und das Scheidungsrecht zugunsten der Frauen revidiert. In den Städten konnten diese Änderungen auch relativ problemlos realisiert werden, so Baraki. Doch als man sie auf das Land ausdehnte, „kam es zu gravierenden Fehlern“. (S. 54) So sei es zu „zwangsweisen Alphabetisierungen“ (ebd.) gekommen; gesellschaftlich tief verankerte Normen, wie die Geschlechtertrennung, wurden schlicht missachtet, genauso wie die besonderen sozialen Bindungen innerhalb von Stammesstrukturen und gegenüber religiösen Autoritäten; auf die Bodenreform „wurden die Bauern weder politisch noch materiell vorbereitet“. (ebd.) Hinzu kam die Tatsache, dass die DVPA das anvisierte breite Bündnis „nationaldemokratischer Kräfte“ zwar formal, nicht aber real umsetzte.

„Daher fühlten sich die Bündnispartner nicht ernst genommen und wollten sich von der DVPA nicht instrumentalisieren lassen. Ihre Passivität hat die ohnehin schmale Basis der Revolution zusätzlich verengt.“ (S. 55)

Hinzu kamen noch die mit der Machtübernahme der DVPA überschäumende Korruption, Vetternwirtschaft und Karrierismus innerhalb der Partei selbst wie auch im Staatsapparat. Diese konnten auch nach dem Sturz Amins Ende 1979 nicht überwunden werden. Über die frühen 1990er Jahre heißt es bei Baraki: „Fast jedes Politbüro-Mitglied der Partei hatte seine eigene Clique bzw. Fraktion“; (S. 72) 1990 wurde ein innerparteilicher Putsch abgewehrt; bereits 1986 hatte Moskau erwirkt, dass Karmal als Generalsekretär und Staatschef durch Najibullah ersetzt wurde – all das zeigt, wie fragil und abhängig das Revolutionsregime war.

Als letztes „Verbrechen der Führung der DVPA“ (S. 73) – die zu dem Zeitpunkt bereits „sozialdemokratisiert“ (S. 70) und in Hesbe Watan (Vaterlandspartei) umbenannt worden war – bezeichnet Baraki die Kapitulation der DVPA (bzw. Hesbe Watan) und die Machtübergabe durch sie an die Mujahedeen am 27. April 1992, dem Jahrestag der Saur-Revolution.

Das sowjetische Dilemma

Die sowjetische Führung sah all dem zunächst relativ fassungslos zu, hatte man einen solchen Umsturz doch weder angestrebt noch Afghanistan für reif genug gehalten; sie zögerte sogar zunächst, die neue Regierung in Kabul anzuerkennen und erst nach einigen Wochen war in der sowjetischen Presse von einer Revolution zu lesen. Bald darauf aber hatte man sich gefasst und bemühte sich, das Beste aus der Situation zu machen und die Revolution zu unterstützen und auch zu verteidigen.ii

Baraki konzentriert sich in seinem Kapitel zur sowjetischen Afghanistan-Politik weitgehend auf die Frage der Legitimität der Militärintervention der UdSSR. Dabei rekurriert er vor allem auf den afghanisch-sowjetischen Freundschaftsvertrag, der auch gegenseitige militärische Beistandsverpflichtungen enthielt, sowie auf die wiederholten Bitten Kabuls an Moskau zur Entsendung von Truppen. In diesem Zusammenhang zitiert er auch ausführlich ein Gutachten von Norman Paech aus dem Jahr 1982, um die völkerrechtliche Legitimität der sowjetischen Militärintervention zu beweisen: Der hatte damals argumentiert, dass die Unterstützung der USA und Pakistans für die Aufständischen in Afghanistan als „eine eindeutige Aggressionshandlung“ zu deuten sei, „gegen die der afghanischen Regierung das Recht auf kollektive Selbstverteidigung im Verbund mit den sowjetischen Truppen zusteht.“ Daher sei nicht nur der Einsatz der Roten Armee völkerrechtlich legitim, das Völkerrecht „würde es der afghanischen Regierung sogar gestatten, gegenüber Pakistan“, das als Nachbarland als sichere Basis der Mujahedeen fungierte, „militärisch vorzugehen“, so Paech. (S. 59) Auf letzteres verzichtete die DR Afghanistan, wie Baraki betont.

Zugleich betont der Autor, dass Moskau sich lange gegen ein direktes Eingreifen sträubte: insgesamt 21 Mal baten sowohl Taraki als auch Amin um militärischen Beistand. (S. 60, 62) In mehreren angehängten, als streng geheim eingestuften Dokumenten lassen sich die Vorbehalte des Kreml nachlesen. Leider klammert Baraki dabei aber einen wesentlichen Aspekt der sowjetischen Überlegungen aus, die doch gerade die Weit- und Umsichtigkeit der KPdSU-Führung verdeutlichen: Auf einer Politbüro-Sitzung vom 17. März 1979 betonte der sowjetische Außenminister Gromyko nämlich:

„Die Armee dort [in Afghanistan, N.B.] ist unzuverlässig. Also wird unsere Armee, wenn sie in Afghanistan eintrifft, der Aggressor sein. Gegen wen wird sie kämpfen? Vor allem gegen die Afghanen, und sie wird auf sie schießen müssen.“iii

Drei Tage später, bei einem Zusammentreffen Tarakis und des KPdSU-Politbüros in Moskau betonte Kosygin, Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR, dem afghanischen Staatschef gegenüber die Misere, in das eine sowjetische Militärintervention sowohl die Regierung in Moskau als auch in Kabul brächte:

„Man kann nicht leugnen, dass unsere Truppen nicht nur gegen ausländische Aggressoren, sondern auch gegen Teile Ihres Volkes kämpfen müssten. Und Menschen vergeben so etwas nicht. Außerdem: Sobald unsere Truppen die Grenze überschreiten, werden China und alle anderen Aggressoren sich gerechtfertigt sehen.“iv

Besonders erstaunlich ist, dass Baraki das Wortprotokoll von diesem 20. März 1979 zwar als Dokument angehängt, aber ausgerechnet die ersten beiden hier zitierten Sätze Kosygins weggekürzt hat, wo diese doch besonders vor Augen führen, dass die sowjetischen Führung das politische Dilemma, in dem sie und die revolutionäre Regierung in Kabul sich befanden, sehr gut begriffen. 

Die Frage, inwiefern die sowjetische Intervention dem Ruf der Sowjetunion, der DVPA oder gar dem Kommunismus an sich in Afghanistan bzw. unter Teilen des afghanischen Volkes (oder auch darüber hinaus in der muslimischen Welt) geschadet hat, stellt sich für Baraki offenbar gar nicht. Sein diesbezüglicher Fokus der Kritik liegt einzig auf der DVPA und ihren innenpolitischen Fehlern. Die Sowjetunion sieht er zunächst eher als Leidtragenden des Unvermögens der afghanischen Genossen und als ernsthaft um Entspannung und Stabilität bemühten „großen Bruder“, der bei dem Versuch, zu helfen, im „politischen Sumpf“ Afghanistans versank, wie es der ehem. Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU, Valentin Falin, ausdrückte. (S. 63) Erst Gorbatschow wird von Baraki angegriffen: Er verhalft „den rechten Opportunisten“ in der DVPA zum „endgültige[n] Durchbruch“ (S. 71), trieb die Sozialdemokratisierung der DVPA (wie auch der KPdSU) voran und gab Afghanistan mit dem Abzug der Roten Armee gleichsam als „erstes Geschenk an den Westen“. (S. 70)

Innere und äußere Faktoren

Baraki beschreibt, wie die vielen Fehler der DVPA den Widerstand der Bevölkerung vor allem auf dem Land befeuerten. Dies passierte ihm zufolge vor allem auch bei der Bodenreform, bei der die – häufig unerfahrenen und vor revolutionärer Ungeduld überschäumenden – Partei-Funktionäre nicht selten mit Zwang und manchmal auch mit Gewalt die traditionellen Sozialstrukturen aufzubrechen und die Landarmut gegen deren subjektiven Willen zu befreien versuchten. Dieser Druck provozierte Widerstand in breiten Teilen der Landbevölkerung, gerade auch unter denen, die eigentlich von den revolutionären und reformerischen Maßnahmen hätten profitieren sollen. Dieser Unmut war der fruchtbare Boden, auf dem die Machenschaften der inländischen wie ausländischen konterrevolutionären Kräfte gedeihen konnten. Auch auf diese kommt der Autor zusprechen.

Denn bei all seiner – wertvollen und notwendigen – innerparteilichen (Selbst)Kritik lässt Baraki natürlich nicht die konterrevolutionären Bemühungen des Westens und seiner Alliierten außer Acht: Unter Verweis auf – mittlerweile weithin bekannte – Zitate vom ehem. CIA-Direktor Robert Gates und dem ehem. Sicherheitsberater von US-Präsident Carter, Zbigniew Brzezinski, zeigt sich der Autor überzeugt davon, dass die USA und ihre Alliierten bereits in Afghanistan geheimdienstliche und militärische Strippen zogen, bevor der erste Rotarmist afghanischen Boden betrat. Baraki skizziert die monetären und personellen Ausmaße der vor allem von der CIA und dem pakistanischen Geheimdienst ISI vorangetriebenen Operation, in deren Folge zehntausende „Mujahedeen“ aus über 40 Ländern trainiert, bewaffnet und nach Afghanistan geschleust wurden. Allein 1985 wurden 250 Millionen US-Dollar und damit mehr als 80 Prozent des jährlichen CIA-Budgets für geheime Operationen in Afghanistan „investiert“. Auch die Rolle der westlichen Medien als wichtige Multiplikatoren der Propaganda wird erwähnt. Eine unrühmliche Rolle als Lobbyist der Mujahedeen spielte seiner Zeit auch der damalige Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Todenhöfer.

Obwohl Baraki einen nicht gerade geringen Anteil seines Buchs der Frage der DVPA, der Saur-Revolution und ihrer Folgen widmet, würde man sich an vielen Stellen über mehr Details freuen, zumal die marxistische Literatur zum Thema ansonsten (und vor allem auf Deutsch) relativ rar gesät ist.v Dabei ist allerdings anzumerken, dass die jeweiligen Einleitungen, die der Autor zu jeder Quelle im Dokumentenanhang verfasst hat, wichtige und interessante Ergänzungen zu dem im Hauptteil des Buchs Gesagten enthalten und unbedingt gelesen werden sollten. Eine Frage, die der Autor leider komplett ausspart, die aber für kommunistische Leser besonders interessant sein dürfte, ist die nach der Rolle der VR China – die nur hier und da im Text oder in Dokumenten am Rande erwähnt wird – und nach den afghanischen Maoisten und/oder Hoxhaisten.vi Trotzdem: obwohl Baraki auf diesen großen inner-kommunistischen Konflikt nicht eingeht, liefert sein Buch doch viele spannende Fakten und Ansätze, um das bis heute durchaus umstrittene Kapitel „Afghanistan“ in der Geschichte der internationalen kommunistischen Bewegung aufzuarbeiten und zu diskutieren.

Im zweiten Teil der Rezension wird es um den Teil des Buchs gehen, der sich mit der Zeit zwischen 1992 und 2023 beschäftigt.

i Einen Einstieg aus der Meta-Perspektive bieten Salim Ibrahim / Verena Metze-Mangold: Nichtkapitalistischer Entwicklungsweg. Ideengeschichte und Theorie-Konzept, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1976.

ii David N. Gibbs: Die Hintergründe der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1971, in: Bernd Greiner / Christian Th. Müller / Dierk Walter (Hg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg: Hamburger Edition, S. 294-304.

iii Transcript of CPSU CC Politburo Discussions on Afghanistan (March 17, 1979),https://digitalarchive.wilsoncenter.org/document/transcript-cpsu-cc-politburo-discussions-afghanistan.

iv Meeting of Kosygin, Gromyko, Ustinov, and Ponomarev with Taraki in Moscow (March 20, 1979),https://digitalarchive.wilsoncenter.org/document/meeting-kosygin-gromyko-ustinov-and-ponomarev-taraki-moscow.

v Der Großteil der entsprechenden deutschsprachigen Literatur aus der DDR, der BRD oder auch der Sowjetunion stammt aus den späten 70ern und frühen 80ern. Zudem handelt es sich häufig um eher propagandistische bzw. beschönigende Texte, in denen von einer (selbst)kritischen Auswertung kaum die Rede sein kann.

vi Quellen auf Deutsch findet man dazu etwa in: Zur Geschichte Afghanistans. Ein Land im Würgegriff des Imperialismus,https://www.verlag-benario-baum.de/WebRoot/HostEurope/Shops/es151175/MediaGallery/PDF-Dateien/Zur_Geschichte_Afghanistans.pdf, S. 137-286; oder unter: https://www.mao-projekt.de/INT/AS/MO/Afghanistan_Linkliste.shtml.

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