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Die Macht erobern – Zur Novemberrevolution und ihren Lehren für die Arbeiterklasse

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Die Macht erobern

Zur Novemberrevolution und ihren Lehren für die Arbeiterklasse

Der 100. Jahrestag der Novemberrevolution steht bevor und die Deutung dieses historischen Ereignisses spiegelt die aktuellen Verhältnisse wider. Der SPIEGEL geht überraschend positiv auf den revolutionären Elan der Massen ein und kritisiert die Rolle der SPD-Führung deutlich. Aber dann folgt im Vergleich mit den anderen „Revolutionen“, dass die Deutschen eben zu zahm waren, wenn es um Freiheit gegen die Obrigkeit ging: „Wenn die Deutschen einem starken Mann, der sein Stabilitätsversprechen mit einer nationalen Agenda verband, folgen konnten, dann taten sie das entschlossen. Dann waren sie nicht zahm oder zaghaft, sondern zu allem bereit. Das ist die Lehre aus den vier Revolutionen in 85 Jahren, zwei echten und zwei von oben. Zum Fürchten eigentlich.“ (SPIEGEL 42/2018)

Die einzige gelungene Revolution sei die von 1989 gewesen, die habe nämlich wirklich einen Obrigkeitsstaat weggefegt. Und die halbe Revolution von 1968 war auch erfolgreich, denn sie „trug eine Menge dazu bei, aus der Bundesrepublik eine zutiefst liberale Gesellschaft zu machen.“ Nun sind wir vereint „in einer sehr liberalen Bundesrepublik. Angela Merkels Flüchtlingspolitik ist auch ein Ausdruck fortgeschrittener Liberalität.“ Die bange Frage wird gestellt: „Wir könnten also in vorrevolutionären Zeiten leben und würden es nicht ahnen.“ Mit Verweis auf das Erstarken der AfD kommt der Autor zu dem Schluss: „Die deutsche Revolutionsspezialität ist ja eine andere: Sie kommt von oben, von denen, die die Macht schon haben und dann radikal für nationale autoritäre Politik einsetzen. Die finden leicht Gefolgschaft. Deshalb darf es dahin nie kommen.“ Die beste Revolution und der größte Revolutionär seien die amerikanische mit George Washington an der Spitze gewesen, der frühzeitig im Interesse der Republik abgetreten ist.

Und auch die wohlgesonnenen Veröffentlichungen zur Novemberrevolution ordnen sie fast nahtlos in die „Demokratie“ ein. Wolfgang Niess’ Buch deutet schon im Untertitel darauf hin: „Der wahre Beginn unserer Demokratie“ und Joachim Käppner nennt sein Buch „Aufstand für die Freiheit“. Die SPD wird auch hier durchaus kritisiert, sie habe das „Demokratisierungspotential“ nicht erkannt und genutzt, sie habe völlig unbegründet das Bündnis mit der Obersten Heeresleitung geschmiedet, denn die Spartakisten seien sowieso eine verschwindende Minderheit gewesen, Karl Liebknechts Ausrufung der sozialistischen Republik sei höchstens ein „Schlossgespenst“ (Käppner) gewesen. Für Niess geht die Geschichte halbwegs gut aus, es hätte ja noch schlimmer kommen können, als zur Weimarer Republik.

Mehr Lob für Ebert und die Sozialdemokraten kommt dagegen von dem Historiker Robert Gerwarth, der Ebert das Kunststück attestiert, revolutionäre Energien kanalisiert und Deutschland in eine parlamentarische Ordnung geführt zu haben. Das Bündnis mit der Obersten Heeresleitung sei eine „pragmatische Übereinkunft“ gewesen. Der FAZ-Autor Alexander Gallus, der selbst Beiträge zur Novemberrevolution verfasst hat, lobt Gerwarth: „Zugleich sensibilisiert diese Studie dafür, Revolution in modernen Gesellschaften nicht vorrangig über bewaffnete Aufstände und Barrikadenkämpfe zu definieren. Eigentlich revolutionär erscheint vielmehr die Einführung und Durchsetzung neuer politischer Prinzipien, erweiterter Partizipations- und Bürgerrechte.“

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) feierte 100 Jahre Sozialpartnerschaft gemeinsam mit dem Bund Deutscher Arbeitgeber und lobt das Stinnes-Legien-Abkommen, dem Pakt zwischen Konzernherren und Gewerkschaftsführung, der ein wichtiger Bestandteil der „Beruhigung“ der Revolution sein sollte. Unter dem Motto „100 Jahre Sozialpartnerschaft – erfolgreich in die Zukunft“ wird eine Kontinuität hergestellt, die unglücklicherweise nur von 1933 bis 1945 unterbrochen gewesen zu sein scheint. Beim Festakt freute sich der Bundespräsident, dass damals die Weichen in Richtung „Wohlstand, Demokratie und Soziale Marktwirtschaft“ gestellt worden seien. Es werden wohl ähnliche Staatsreden zu hören sein in den nächsten Wochen. Botschaft und Wunsch der herrschenden Klasse ist: Es hätte eigentlich schon immer so sein sollen wie heute und so soll es für immer bleiben. Aber es war weder so, noch wird es so bleiben.

Die Novemberrevolution wird zurecht gebogen als ein etwas unglücklicher Vorläufer der heute so guten Verhältnisse. Völlig verschwiegen wird, dass diese „Demokratie“ der bürgerlichen Klasse „aus einem blutigen Bürgerkrieg, aus Terror und Mord gegen die Vorhut der Arbeiterklasse hervorging. Das waren die Grundlagen der ‚Legalität‘, mit der die imperialistische deutsche Bourgeoisie ihre Ausbeuterordnung retten und erhalten konnte.“ (Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 3, S. 195) Die Botschaft der bürgerlichen Klasse heute ist, innerhalb des Kapitalismus um etwas mehr Demokratie oder soziale Reformen zu kämpfen, sei eine gute Sache. Das worum es 1918 eigentlich ging und worum es in Zukunft gehen wird, verschweigt sie verständlicherweise lieber: Den Kampf um die Macht zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie. Ihre Macht war erschüttert durch die ökonomische Krise, durch die militärische Niederlage und durch die völlige Diskreditierung ihrer Herrschaft nach vier Jahren Weltkrieg und Militärdiktatur. Die revolutionäre Kraft der Arbeiterklasse war vorerst nicht zu bremsen, weder durch Reformen von oben noch durch entsandte Truppen. Es war eine ernste, ja lebensbedrohliche Lage für die deutsche Bourgeoisie eingetreten.

Die historische Epoche hat sich seitdem nicht verändert: Wir befinden uns in der Epoche der sozialistischen Revolution, alle materiellen Bedingungen sind für die sozialistische Revolution herangereift. Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist längst zu einer Fessel der Produktivkräfte, die Bourgeoisie längst zu einer überflüssigen Klasse geworden. Die Arbeiterklasse dagegen mächtig, in Massen an den Produktionsmitteln konzentriert. Die Zukunft gehört dem Proletariat, dem Träger der Produktivkräfte in einer sozialistischen Gesellschaft, die plant und produziert für die Bedürfnisse der Gesellschaft.

Der Kampf um die Neuaufteilung verschärft sich

Auf den ersten Blick scheint die heutige Lage nicht der damaligen Not der Bourgeoisie zu ähneln. Tatsächlich ist eine revolutionäre Situation weit entfernt. Aber dass die Machtfrage schneller auf die Tagesordnung kommen kann als zu vermuten, ist der herrschenden Klasse durchaus bewußt. Sie ist sich der Brüchigkeit ihrer Ordnung bewußt. Fest steht, dass die nächste ökonomische Krise kommen wird. Alle Ökonomen sind davon überzeugt und gehen zudem davon aus, dass sie heftiger ausfallen wird als die von 2008. Wann sie durch welches Ereignis ausgelöst wird, kann keiner vorher sagen, auch nicht welche Volkswirtschaft am meisten getroffen werden wird.

Während der langen Phase der Stagnation seit der Krise von 2008 und des seit drei Jahren einsetzenden Aufschwungs hat sich der Konkurrenzkampf der imperialistischen Mächte verschärft. Die Handelskriege zwischen den USA und China, sowie den USA und der EU zeigen die härtere Auseinandersetzung um Absatzmärkte und Einflußsphären. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt ist in eine neue Stufe getreten, die sich vor allem im aggressiven Vorgehen der NATO-Staaten 2013 in Syrien und 2014 in der Ukraine zeigte. Die massive Aufrüstung und größer dimensionierten Manöver der NATO sind Teil einer Kriegsplanung, die die Konfrontation mit Russland im Zentrum haben. Letzteres ist zwar weiter in der Defensive, aber weniger bereit, der Bedrohung nichts entgegen zu setzen. Ein Krieg zwischen den imperialistischen Hauptmächten ist näher gerückt. Wann und in welcher Konstellation er erfolgen wird, kann keiner wissen, sondern wird sich durch die weitere Entwicklung verschiedenen ökonomischen Bedingungen und Bündniskonstellationen zeigen.

Die Stimmung, dass mit der „liberalen“ Ordnung als die bestmögliche aller Ordnungen das Ende der Geschichte erreicht sei und die zunehmende Untergangsstimmung sind beide Ausdruck der Perspektivlosigkeit der bürgerlichen Herrschaft. Ihre Ordnung ist eine Ordnung des Chaos, der Armut, der Kriege, des Hungers und der Stagnation und des Rückschritts. Die Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen ist für die Arbeiterklasse überall zu merken. Arbeitshetze und Druck nehmen kontinuierlich zu, die Löhne stagnieren für große Teile der Klasse. Die industrielle Reservearmee ist mit ca. 3,5 Millionen in Deutschland trotz Aufschwung groß. Es ist wie Karl Marx im Kapital analysiert hat: „Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. (…) Das Gesetz endlich, welches die relative Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.“ (MEW 23, S. 673/675)

Die Bedingungen der bürgerlichen Herrschaft verschlechtern sich, die verschwindende Minderheit der Kapitalisten muss Wege der Legitimation ihrer Macht finden. Die sozialdemokratischen Parteien SPD und Linkspartei sind Stützen der Bourgeoisie, aber sie sind von Schwäche und schwindender Verankerung geprägt. Sie dienen aber immer noch als Vollstrecker von Krieg und Sozialabbau, garniert mit dem Versprechen eines besseren Kapitalismus. Der Versuch der Kapitalistenklasse, durch Parteien wie der AfD den Eindruck von Veränderung und Bewegung zu erzeugen, soll von den tatsächlichen Problemen und deren Ursachen ablenken und Teile der Bevölkerung integrieren. Gleichzeitig dient sie der Sammlung und Umgruppierung faschistischer Kräfte. Die Vorbereitung der herrschenden Klasse auf die Krise zu beobachten, durch Verschärfung der Gesetze und durch den Erhalt und Aufbau aller Optionen der bürgerlichen Herrschaft inklusive des direkten, offenen Terrors.

Die Herausforderungen für die Arbeiterklasse

Einhundert Jahre nach der Novemberrevolution und ein Jahr mehr nach der Oktoberrevolution steht die Arbeiterklasse vor großen Problemen angesichts dieser Lage. Die historische grundlegende Ausgangslage hat sich nicht verändert: Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialistischen Revolution, sie ist der nächste zu gehende Schritt, die Aufgabe der Arbeiterklasse. Die objektiven Bedingungen für die Revolution werden unvermeidlich eintreten, sie ergeben sich aus der gesetzmäßigen Entwicklung der Produktionsverhältnisse. Krise und Krieg sind unvermeidbar, ebenso wie das Eintreten der revolutionären Situation, wenn die Unterdrückten nicht mehr so wollen, wie sie sollen und die Herrschenden nicht mehr so können, wie sie müssen.

Die Auswirkungen der Niederlage von 1989, der siegreichen Konterrevolution, prägen bis heute die Lage der revolutionären Arbeiterbewegung. Die kommunistische Bewegung hat die Aufgabe, zentrale Fragen zu klären, darunter die der Strategie, der Ursachen der Niederlage und die der Partei. Der Opportunismus nimmt immer neue Formen an und wird durch zentristische Positionen, die die Auseinandersetzung scheuen oder verhindern, befördert. Er kann aber nur durch eine konsequente Anwendung des dialektischen Materialismus zurückgedrängt werden.

Die entscheidende Lehre der Novemberrevolution ist, dass der subjektive Faktor, die Arbeiterklasse, den Herausforderungen gewachsen sein muss, um die historische Aufgabe der Arbeiterklasse zu lösen. Dies wird nicht aus spontanen Erhebungen selbst heraus geschehen. Notwendig ist eine allseitig verankerte, auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus kämpfende Partei, die die zentralen Fragen der Revolution richtig beantworten kann: Die der Staatsmacht und die der Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus. Sie muss in organisatorischer Kleinarbeit möglichst große Teile der Klasse organisieren, damit Erfahrungen gesammelt werden können, damit die Klasse zu Bewußtsein über sich selbst und ihre Aufgabe kommt. Wird das nicht gelingen, ist ein erneutes Scheitern wahrscheinlich.

Imperialismusanalyse

Im Laufe des ersten Weltkriegs und in der Revolution in Russland und Deutschland spielte die Analyse des Imperialismus eine zentrale Rolle. Während Kautsky und andere vertraten, dass eine Politik des Friedens und des sozialen Fortschritts auch im Imperialismus möglich sei, erklärte Lenin: „Es kommt so heraus, als ob die Monopole in der Wirtschaft vereinbar wären mit einem nicht monopolistischen, nicht gewalttätigen, nicht annexionistischen Vorgehen in der Politik. Als ob die territoriale Aufteilung der Welt, die gerade in der Epoche des Finanzkapitals beendet wurde und die die Grundlage für die Eigenart der jetzigen Formen des Wettkampfs zwischen den kapitalistischen Großstaaten bildet, vereinbar wäre mit einer nicht imperialistischen Politik. Das Resultat ist eine Vertuschung eine Abstumpfung der fundamentalsten Widersprüche des jüngsten Stadiums des Kapitalismus statt einer Enthüllung ihrer Tiefe, das Resultat ist bürgerlicher Reformismus statt Marxismus.“ (Lenin, Werke, Band 22, Dietz-Verlag, Berlin, 1971, S. 274)

Die Auseinandersetzung um die Imperialismusanalyse hatte seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eingesetzt, ihre Bedeutung für die Revolution zeigte sich 1918. Große Teile der deutschen Arbeiterklasse wollten den Sozialismus und sympathisierten mit der Oktoberrevolution. Sie hielten es aber für möglich und den richtigen Weg, durch eine parlamentarische Republik zum Sozialismus zu kommen, ohne Entmachtung der Bourgeoisie, ohne Zerschlagung des Staates. Die lange Entwicklung des Revisionismus und Opportunismus hatte das Bewußtsein der Arbeiter bereits abgeschwächt. Der deutsche Imperialismus hatte zudem eine Arbeiteraristokratie geschaffen: „Das deutsche Monopolkapital verstand es, aus seinen Überprofiten eine kleine Oberschicht der Arbeiteraristokratie – Meister, Vorarbeitern, Kontrolleure, usw. – zu korrumpieren, um sich diese dienstbar zu machen. Gleichzeitig wurden machen sozialdemokratischen Führern und Gewerkschaftsführern solche materiellen Bedingungen geschaffen, die es der Bourgeoisie erleichterten, sie ideologisch zu beeinflussen und mit ihrer Hilfe die Theorie der friedlichen Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit in die Arbeiterklasse zu tragen. Die deutsche Sozialdemokratie hoffte auf den friedlichen Übergang zum Sozialismus mit den Methoden der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie.“ (Ulbricht, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 1, S. 13)

Die Bolschewiki hatten dagegen bereits seit der Jahrhundertwende an der Schaffung einer revolutionären Partei gearbeitet und gaben nach 1914 die Losung der „Umwandlung des imperialistischen Kriegs in den Bürgerkrieg“ aus, „das heißt, das revolutionäre Proletariat hatte die Pflicht, im imperialistischen Krieg alles zu tun, um die Niederlage der eigenen Bourgeoisie herbei zu führen, sie dadurch zu schwächen und die Gewehre gegen sie zu kehren, ihre Macht zu stürzen, den Krieg zu beenden und einen gerechten Frieden zu erreichen.“ (ebd., S. 14)

Die Imperialismusanalyse ist auch heute in der kommunistischen Bewegung und darüber hinaus umstritten. Es existieren zahlreiche Vorstellungen, eine Weltordnung, in der Kooperation und vernünftige Beziehungen der Staaten dauerhaft gelten könnten, wäre im Imperialismus möglich und könnte durch eine „multipolare“ Weltordnung erreicht werden. Annahmen eines „kollektiven Imperialismus“, der aus Bündnissen und ökonomischen Verstrickungen hervorgehe, nehmen zwar je nach Entwicklung der Verhältnisse unterschiedliche Formen an, haben aber immer die Konsequenz, dass entweder eine Abschwächung der Widersprüche stattfinde oder ein Pol entstehe, der für nicht-imperialistische Politik stehe. Es ist die Wiederholung der Kautsky-Thesen. Lenin entgegnete der Vorstellung eines Friedens im Imperialismus: „Statt des lebendigen Zusammenhangs zwischen den Perioden des imperialistischen Friedens und den Perioden imperialistischer Kriege präsentiert Kautsky den Arbeitern eine tote Abstraktion, um sie mit ihren toten Führern auszusöhnen.“ (Lenin, Werke, Band 22, S. 301)

Die Gefahr, die damals damit verbunden war, gilt heute genau so. Die Vorstellung, die Arbeiterklasse könne im Rahmen der imperialistischen Ordnung eine Politik des Friedens erreichen, entwaffnet sie in der entscheidenden Situation. Der Kampf gegen Militarismus und Krieg ist lebensnotwendiger Bestandteil des Kampfs der Arbeiterklasse, darf aber nicht verbunden werden mit illusorischen Vorstellungen.

Die Frage der Staatsmacht

Die zweite wichtige Lehre der Novemberrevolution betrifft die Frage der Staatsmacht und der Revolution. Weil durch den lange wirkenden Opportunismus die Masse der Arbeiterklasse die Frage unklar oder falsch beantwortete oder nicht verstand, folgte sie den Versprechen von Ebert, Scheidemann und Kautsky und verlor. Heute ist die Frage der Staatsmacht eine zentrale Auseinandersetzung in der kommunistischen Bewegung. Die strategische Vorstellung eines „Übergangs“- oder „Zwischenstadium“ in Form einer „antimonopolistischen“ oder „entwickelten“ oder „fortschrittlichen“ Demokratie ist Ausdruck reformistischer Staatsauffassungen. Sie geht davon aus, dass es vor der sozialistischen Revolution, vor dem Sturz der Bourgeoisie eine Form der Herrschaft beider Klassen geben könnte, die progressiv ist und die sozialistische Revolution ermöglichen könnte. Aus dieser in allen möglichen Facetten formulierten Strategie ergibt sich die Bereitschaft zur Unterstützung der Sozialdemokratie und zur Regierungsbeteiligung, wie aktuell in Portugal und Tschechien. Wie bereits die Pariser Kommune von 1871 und die russische Revolution von 1905 und 1917 bestätigte auch die Novemberrevolution, dass die Arbeiterklasse den bürgerlichen Staat nicht übernehmen kann, sondern ihn zerschlagen und ihre eigene Herrschaft errichten muss.

In den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen den revolutionären und den opportunistischen Teilen der Arbeiterbewegung rückte vor allem im ersten Weltkrieg die Frage der Staatsmacht und der Revolution. Die Oktoberrevolution stürzte die provisorische Regierung und errichtete die Macht der Räte. Der II. Sowjetkongress beschloss: „Gestützt auf den Willen der gewaltigen Mehrheit der Arbeiter, Soldaten und Bauern, gestützt auf den in Petrograd vollzogenen siegreichen Aufstand der Arbeiter und der Garnison, nimmt der Kongress die Macht in seine Hände…Der Kongress beschließt: Die ganze Macht geht allerorts an die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten über, die eine wirkliche revolutionäre Ordnung zu gewährleisten haben.“ (GddAB, Band 3, S. 11) Vorausgegangen war vor allem eine unermüdliche Organisierungsarbeit und eine gründliche Auseinandersetzung mit opportunistischen Vorstellungen. In den Schriften „Staat und Revolution“ (1917) und später in der Schrift „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ (Oktober-November 1918) griff Lenin die Ausführungen von Marx und Engels zur Staatsfrage auf und entwickelte sie weiter. „Der Verlauf der Revolution bestätigte die genialen Feststellungen Karl Marx’ und Friedrich Engels’ ebenso wie die Erfahrungen der Pariser Kommune, dass die siegreiche Arbeiterklasse den alten Staatsapparat nicht übernehmen kann, sondern ihn zertrümmern und ihren eigenen Staat, die Diktatur des Proletariats aufbauen muss. Überall in Russland wurde die Staatsmaschine des Ausbeuterstaats zerschlagen. Die bolschewistische Partei und Lenin persönlich leisteten eine riesige Arbeit zur Errichtung des Sowjetstaates.“ (ebd., S. 13)

Die Führer der SPD waren bereits in den Staatsapparat eingebunden, die im April 1917 gegründete USPD hatte an ihrer Spitze Vertreter der „reinen Demokratie“, die sie der „Diktatur“ entgegen stellten und sich damit gegen die Diktatur des Proletariats wendeten, bei aller revolutionären Rhetorik, die sie dabei anwendeten. Otto Grotewohl schrieb 1948 zum 30. Jahrestag der Novemberrevolution: „Heute wie damals wird von führenden Vertretern der Sozialdemokratie die Bedeutung der formalen Demokratie überschätzt und dabei übersehen, dass solange die Klassenverhältnisse nicht geändert, die Machtverhältnisse in Staat und Gesellschaft nicht gründlich umgestaltet sind, die Demokratie nur eine Tarnkappe für die alten reaktionären Mächte ist, die beiseite geworfen wird, sobald Monopolkapitalisten und Junker die Zeit dafür reif halten.“ (Otto Grotewohl: Dreißig Jahre später, Dietz-Verlag, Berlin, 1953, S. 10)

Viele Arbeiter glaubten, dass der Sozialismus auch auf friedlichem Weg durch die bürgerliche Republik möglich ist. Viele hatten trotz des Verrats von 1914 noch nicht voll verstanden, dass ihre eigene Parteiführung zu ihrem Feind geworden war. Das Vorbeben der Novemberrevolution, der Massenstreik vom Januar 1918 zeigte bereits wesentliche Elemente der späteren Entwicklung. Er zeigte sowohl die großen Potenzen der Arbeiterklasse: Über eine Million Arbeiter traten in den Streik, trotz Militär, trotz Schüssen und Toten. Die Bildung eines Streikausschusses war die Schaffung des entsprechenden Kampforgans der Klasse. Aber durch die mangelnde politische Reifung plädierten die revolutionären Obleute, die den Streik maßgeblich mitorganisierten für die Aufnahme Eberts und Scheidemanns in den Streikausschuss. Diese nutzten alle Mittel, um den Streik abzuwürgen. Statt sie zu isolieren, wurden sie an die Spitze gesetzt. Der Streik wurde beendet und der Krieg ging weiter.

Nach dem Matrosenaufstand von Kiel und dem Ausbreiten der Revolution über ganz Deutschland hatten sich überall Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die an vielen Orten die Macht in die Hände nahmen. Damit kam zum Ausdruck, dass eine überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes die alten Macht- und Rechtsverhältnisse nicht mehr anerkannte und eigene Organe bildete. Aber die Mehrheit in den Räten stellten reformistische und opportunistische Vertreter. Die SPD konnte dank der besseren Organisation und routinierter und geschulter Redner überall die Mehrheit erringen. Die Masse der Proletarier stand im Banne der bürgerlichen Ideologie und konnte dem nichts entgegen setzen. Das Ergebnis war: „So waren in den aus der Revolution geborenen Organen nicht die Vorkämpfer der Revolution, sondern die Feinde der Revolution, die Freunde der Reform in der Überzahl. Trotz dieser bunt gewürfelten Zusammensetzung der Räte wäre es, wenn eine Partei vorhanden gewesen wäre, die durch Stärkung der revolutionären proletarischen Elemente über die Kraft verfügt hätte, möglich gewesen, ihre Macht zu festigen und richtig zu gebrauchen.“ (Grotewohl, S. 73) So aber schafften sich die Räte selbst ab, legten ihre Macht in die Hände des bürgerlichen Staats, nur in wenigen Ausnahmen verweigerten sie sich dem.

Beim ersten Wendepunkt der Revolution zeigte sich wieder die Bedeutung der Organisation in der Revolution. Die SPD-Führung um Otto Wels nutzte alle Kontakte, Verbindungen und Strukturen der SPD in die Betriebe und zu den Soldaten, um sie auf die erste Versammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte einzuschwören. Mit Demagogie und dem Ruf nach „Einheit“ setzte sie sich durch, Liebknecht und der Spartakusbund wurden isoliert. Dieser hatte zwar das richtige Programm und die richtige Erkenntnis der Staatsfrage. „Für die Verwirklichung dieser Forderungen kam es aber darauf an, nicht nur ausreichende agitatorische, sondern in erster Linie organisatorische Kraft aufzubringen. Der Spartakusbund hatte bisher durch leidenschaftlich betriebene Agitation und Propaganda nur begeisterte Zuhörer und Leser, Demonstranten und Streikende in den Massen mobilisiert. Er kannte die meisten seiner Anhänger aber nicht im einzelnen, wußte nichts über ihre besonderen Vorzüge und Fähigkeiten, Fehler und Schwächen. Die hätten nur erkannt und entwickelt werden können in langer und beharrlicher, hingebender Organisationsarbeit. Gerade die hatte der Spartakusbund jedoch unterschätzt und vernachlässigt. Die großen Aufgaben riefen aber jetzt nach Menschen, die in den Räten auf den verschiedensten Gebieten an ihrer Durchführung arbeiten sollten. (…) Für den Spartakusbund war es schwer, ja unmöglich, jetzt in der stürmisch erregten Zeit das nachzuholen, was er in Jahren versäumt hatte.“ (Grotewohl, S. 75) Die Versammlung erkannte die provisorische Regierung aus SPD, USPD und Bürgerlichen an.

Die Revolutionäre in Deutschland entwickelten sich in einer sehr komplizierten Situation: „Die marxistischen deutschen Linken traten, getreu dem proletarischen Internationalismus und ihrer nationalen Aufgabe in Deutschland, der Schlammflut antisowjetischer Lügen und Verleumdungen entgegen. Sie verteidigten die Große Sozialistische Oktoberrevolution, begannen sich mit deren Grundfragen auseinanderzusetzen, wandten die Lehren der Revolution auf den Klassenkampf in Deutschland an und vollzogen in diesem Prozeß eine Wendung zum Leninismus. Das war jedoch bei der lockeren Verbindung der Spartakusgruppe und der anderen Linken keine einheitliche und gleichmäßige Entwicklung. Ihre Anhänger kämpften illegal und wurden von der Reaktion verfolgt und gehetzt. Ein Teil ihrer hervorragenden Führer war eingekerkert. Unter diesen Bedingungen, im ständigen Kampf gegen die bürgerliche und opportunistische Ideologie, verlief der Klärungsprozeß differenziert und widerspruchsvoll.“ (Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 3, S. 48)

Bis zum Reichsrätekongress unternahm die Sozialdemokratie alles, um die Revolution zu lähmen. Die provisorische Regierung untersagte den Räten jede Einmischung in die Tätigkeit der Gerichte und anderen Teile des Staates, die Rechte der Offiziere wurden wieder eingesetzt. Und vor allem wurde die Arbeiterklasse entwaffnet und die Freikorps bewaffnet. Der Spartakusbund rief zwar dazu auf, die Waffen nicht abzugeben und stattdessen Einwohnerwehren und Freikorps zu entwaffnen und konnte in nicht wenigen Orten damit auch das sofortige Losschlagen der Konterrevolution verhindern, aber nicht reichsweit die Arbeiter darüber aufklären, welcher Gefahr sie sich aussetzten. Die USPD stellte mit Karl Kautsky den Vorsitzenden der Sozialisierungskommission, in der Industrielle mitarbeiteten, die viel schrieb und niemanden enteignete. Sie hatte das Ziel, „beruhigend“ zu wirken. „Die Massen wollten den Sozialismus. Sie wollten die alten Herren der Industrie und des Großgrundbesitzes enteignen. Diesen Stimmungen der Massen Rechnung tragend entfaltete die Regierung eine breite Propaganda für die ‚Sozialisierung‘. (…) Die Mehrheit der Arbeiterklasse ließ sich betören. Sie verstand noch nicht, dass die Voraussetzung für den Sozialismus der Sturz der Macht der Kapitalisten und Großgrundbesitzer war.“ (Walter Ulbricht: Der Zusammenbruch Deutschlands im ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution, in Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 31)

Der im Dezember tagende Reichsrätekongress stimmte für die Einberufung einer Nationalversammlung und damit für die bürgerliche Republik. Die Herrschaft des deutschen Imperialismus war gerettet, was den meisten Arbeitern und Delegierten nicht klar gewesen sein dürfte. Aber vor dem Kongress demonstrierten hunderttausende Arbeiter für die Macht der Räte und der Kongress beschloss auch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, wozu es natürlich nicht kam, aber dennoch die sozialistischen Bestrebungen der Arbeiter zum Ausdruck brachte. Die revolutionären Arbeiter waren zwar der Sache nach bereits geschlagen, aber sie waren keineswegs bereit, alles von ihnen erkämpfte preis zu geben. Es war eine militärische Konterrevolution notwendig, die mit aller Brutalität durchgeführt wurde. Die Kräfte, die von der Arbeiterklasse nicht entwaffnet und entmachtet wurden, der Staatsapparat der nicht zerschlagen wurde, setzte zum Gegenschlag an. Massaker an der Zivilbevölkerung, Einsatz von Luftwaffe, Minenwerfern und ein Schießbefehl, der es erlaubte auf jeden zu schießen und der Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – all dies setzte die herrschende Klasse ein, um jeglicher revolutionärer Regung den Garaus zu machen. Es kam dennoch bis 1923 zu bewaffneten revolutionären Kämpfen und zur Herausbildung einer der größten und stärksten revolutionären Partei, der KPD. Das ist der Widerspruch der Novemberrevolution: Die Arbeiter verstanden zwar noch nicht, was notwendig war zu tun, aber sie kämpften mutig und heldenhaft für ihre Forderungen. Sie ließen sich betören und waren dennoch eine Gefahr für die herrschende Klasse

Die Notwendigkeit der Partei

Die dritte und wichtigste Lehre der Novemberrevolution ist, dass ohne kampferfahrene, fest verankerte und auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus kämpfende Partei, die Theorie und Praxis vereint, die Arbeiterklasse nicht siegen kann. Die Arbeiterklasse konnte 1918 in Deutschland die ihr gestellten Aufgaben nicht lösen, weil ihr die revolutionäre, disziplinierte Partei fehlte und sie insbesondere über keine marxistisch-leninistische Orientierung über den Staat und seine politisch-gesellschaftliche Funktion besaß. Der größte Mangel und die größte Errungenschaft der Novemberrevolution sind die Gründung der Kommunistischen Partei, die Versammlung der besten und entschlossensten Kämpfer der Klasse.

Die Frage der Staatsmacht und der Revolution hängen eng mit der Parteifrage zusammen. Die Partei muss den wissenschaftlichen Sozialismus in die Arbeiterklasse tragen, überall Formen schaffen, in denen die Arbeiter ihr Klassenbewußtsein entwickeln kann, in denen der Einfluss bürgerlicher Ideologie zurückgedrängt werden kann, in der jeder Einzelne Aufgaben übernimmt, in der die Klasse im Kampf mit dem Staat lernt, ihn zu erkennen und ihre eigenen Formen der Herrschaft zu entwickeln.

Die weltgeschichtliche Fragestellung konnte die Arbeiterklasse aber in Deutschland nicht beantworten. Lenin schrieb: „Die Revolution in Deutschland – das als eines der fortgeschrittensten kapitalistischen Länder besonders wichtig und charakteristisch ist – hat sofort „Sowjet“formen angenommen. Der ganze Entwicklungsgang der deutschen Revolution und besonders der Kampf der „Spartakusleute“, d.h., der wahren und einzigen Vertreter des Proletariats, gegen den Bund des Verrätergesindels, der Scheidemänner und Südekums, mit der Bourgeoisie – all das zeigt klar, wie die Geschichte in Bezug auf Deutschland die Frage gestellt hat: „Sowjetmacht“ oder bürgerliches Parlament, unter welchem Aushängeschild (ob als „National“versammlung oder als „Konstituierende“ Versammlung) es auch immer auftreten möge. Das ist die weltgeschichtliche Fragestellung. Heute kann und darf man das ohne jede Übertreibung sagen. Die „Sowjetmacht“ ist der zweite weltgeschichtliche Schritt oder die zweite weltgeschichtliche Etappe in der Entwicklung der Diktatur des Proletariats. Der erste Schritt war die Pariser Kommune. Die geniale Analyse des Inhalts und der Bedeutung dieser Kommune, die Marx in seinem „Bürgerkrieg in Frankreich“ gegeben hat, zeigt, dass die Kommune einen neuen Staatstypus, den proletarischen Staat, geschaffen hat. Jeder Staat, auch die demokratischste Republik, ist nichts als eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere. Der proletarische Staat ist die Maschine zur Niederhaltung der Bourgeoisie durch das Proletariat, und diese Niederhaltung ist notwendig angesichts des wütenden, verzweifelten, vor nichts haltmachenden Widerstands, den die Gutsbesitzer und Kapitalisten, die ganze Bourgeoisie mitsamt ihren Helfershelfern, alle Ausbeuter leisten, sobald man darangeht, sie zu stürzen, sobald man die Expropriation der Expropriateure in Angriff nimmt. Das bürgerliche Parlament, auch das demokratischste in der demokratischsten Republik, in der das Eigentum der Kapitalisten und ihre Macht erhalten bleibt, ist eine Maschine zur Unterdrückung von Millionen Werktätiger durch kleine Häuflein von Ausbeutern. (…) Jetzt, da die Weltgeschichte die Zerstörung dieser ganzen Ordnung, den Sturz und die Niederhaltung der Ausbeuter, den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus auf die Tagesordnung gesetzt hat, sich heute auf die bürgerlichen Parlamente, auf die bürgerliche Demokratie beschränken, sie als „Demokratie“ überhaupt beschönigen, ihren bürgerlichen Charakter vertuschen und vergessen, dass das allgemeine Wahlrecht, solange das Eigentum der Kapitalisten erhalten bleibt, ein Werkzeug des bürgerlichen Staates ist – das heißt, das Proletariat schändlich verraten, auf die Seite seines Klassenfeindes, der Bourgeoisie, übergehen, heißt Verräter und Renegat zu sein.“ (Lenin, Sämtliche Werke, Band XXIII, S. 641-643)

Ernst Thälmann fasste 1928 zusammen: „Die Tragödie der deutschen Revolution im Jahre 1918, in den Januarkämpfen 1919, in den Kämpfen nach dem Kapp-Putsch 1920, den Märzkämpfen 1921, bis zur letzten Welle der akuten revolutionären Situation dieser ersten Periode, im Oktober 1923 – sie bestand in dem Zweispalt zwischen den objektiven ausgereiften revolutionären Verhältnissen einerseits und der subjektiven Schwäche des deutschen Proletariats , hervorgerufen durch das Fehlen einer zielklaren bolschewistischen Partei andererseits.“ (Ernst Thälmann: „9. November 1918: Geburtsstunde der deutschen Revolution“, …) Otto Grotewohl führte in seiner Reflektion zum dreißigsten Jahrestag der Revolution aus, dass die Linken die organisatorische Kleinarbeit unterschätzt hatten, was es ihnen nun erschwerte, die Massen an die großen politischen Aufgaben heranzuführen. Also praktische Aufgaben in den lokalen Räten zuzuweisen, dort eine Fraktion zu bilden und eine praktische Schulung der Massen durch Arbeit in den Gewerkschaften voranzutreiben.

Grotewohl, selbst ehemaliges SPD-Mitglied und einer der prägenden Genossen der SED-Gründung verbindet in seinem Text von 1948, in einer Situation, in der die Arbeiterklasse im Osten Deutschlands vor der Aufgabe stand, ihren eigenen Staat zu errichten, die Frage der Staatsmacht mit der Organisation des Proletariats: „In der Frage des States hat sich die Reife der Arbeiterbewegung, das heißt in erster Linie der Partei, die sie führt, zu bewähren. Jede politische Bewegung, die die Frage der Macht stellt – und eine politische Bewegung, die diese Frage nicht stellt, hat aufgehört, eine zu sein, sie ist im besten Falle ein unverbindlicher Diskutierklub -, stellt damit auch die Frage des Staates, denn der Staat ist nichts anderes als die Form, in der diese Macht sich organisiert, in der sie nach außen tritt und Wirklichkeit wird. Keine neue geschichtliche Formation kommt vollendet auf die Welt, sie muss sich in schweren Kämpfen durchringen. Und dieser Kampf, den sie zu bestehen hat, ist der Kampf um ihre Form, der Kampf darum – um mit Hegel zu sprechen – ‚zu sich selbst zu kommen‘, ihr innerstes Wesen zu begreifen und damit ihre äußere Aktion, ihre Willen mit diesem inneren Wesen in Einklang zu bringen. Dieser Prozess der Staatswerdung einer Klasse ist also ein Prozess der Bewußtseinsentwicklung. Eine Klasse kann nur dann ihren Staat entwickeln, wenn sie sich ihrer selbst bewußt geworden ist.“ (Grotewohl, S. 113)

Für die Entwicklung des Proletariats zu sich selbst ist die Hebung seines Bewußtseins notwendig, das heißt die Heraushebung seines Bewußtseins aus dem bürgerlich-kapitalistischen Gesellschafts-, Rechts- und Staatsbewußtseins – „das heißt die Befreiung von diesem“ (Grotewohl, S. 114). Grotewohl führt aus, dass an der Frage des Staates sich in der Folgezeit Entwicklung und Verfall der Marxschen Lehre ablesen lassen. „Die Frage des Staates wird der Prüfstein für den Marxismus. In keiner anderen Frage klaffen der vulgär-ökonomische Revisionismus und der dialektisch-revolutionäre Marxismus in gleicher Weise auseinander wie in der Frage des Staates.“ (ebd., S. 115) Während die Reformisten von einem langsamen, automatischen Übergang des sich immer mehr organisierenden Kapitalismus zum Sozialismus ausgingen und meinten, das Proletariat müsse sich in diesen Prozess einreihen. „Das Hineinwachsen des Proletariats in den bürgerlichen Staat betrachtet der dialektisch-revolutionäre Marxismus als eine gefährliche, für das Klassenbewußtsein des Proletariats tödliche Einflußnahme der bürgerlichen Ideologie auf das Proletariat, als seine Unterordnung unter die bürgerliche Gesellschaft. Demgegenüber ist es die Aufgabe des Proletariats, sich organisatorisch und ideologisch aus dem alten Prozess zu lösen. Es steht also die Frage der Differenzierung von dem bestehenden Staat, der Verselbständigung ihm gegenüber.“ (ebd., S. 116)

Die Losung der Reformisten lautete und lautet: Hinein in den Staat. Mittels des parlamentarischen Kampfs und der Teilnahme an Regierungen. „Für die revolutionären Marxisten stand die Frage des Staates ganz anders. Ihre Haltung zum Staat war bestimmt durch die prinzipielle Negierung der bestehenden bürgerlich-kapitalistischen Ordnung, deren Ausdruck der herrschende Staat war. Sie beruhte auf der Erkenntnis, dass dieser Staat das Instrument zur Sicherung dieser Ordnung ist. Es ging um den Sturz dieser Ordnung und ihres Staates. Die Aufgabe, die für die Partei der Arbeiterklasse daraus erwuchs war, das Bewußtsein der Notwendigkeit des Sturzes der bestehenden Ordnung und ihres Staates in das Proletariat hineinzutragen. Das aber hieß, das Bewußtsein des Proletariats aus der Befangenheit durch die bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse und die ihnen entspringenden ideologischen Formen herauszulösen und sein eigenes Bewußtsein, das heißt das Selbstbewußtsein seiner Klasse, in es hineinzutragen; also der bestehenden kapitalistischen Ordnung eine andere Ordnung, seine eigene, die sozialistische, entgegenzustellen; dem bestehenden Staatswillen einen anderen, den Willen zum proletarischen Staat entgegenzustellen.“ (ebd., S. 121)

Die Aufgabe, die daraus für die revolutionäre Partei erwächst ist grundverschieden von der, die sich die reformistische Partei stellt. Sie muss dem Prozess der Eingliederung der Arbeiterklasse in den bürgerlichen Staat entgegenwirken, „da für sie der Prozess der Einordnung nichts anderes ist als die Unterordnung des Bewußtseins des Proletariats unter die herrschende bürgerliche Ordnung.“ (ebd., S. 121) Die revolutionäre Partei muss das Proletariats ständig von der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung differenzieren. Dazu reicht die spontane Erhebung und der rein gewerkschaftliche Kampf nicht aus. „Die Entwicklung des Klassenbewußtseins setzt die Erkenntnis der gesamten gesellschaftlichen Zusammenhänge voraus; ohne Erkenntnis der Zusammenhänge kann die Arbeiterklasse ihre Stelle im Ganzen der Gesellschaft nicht sehen und auch nicht die richtige Praxis entwickeln. (…) Die Partei der Arbeiterklasse hat die Werkstätte zu sein, in der das Bewußtsein, das Klassenbewußtsein erarbeitet wird, sie hat der Sammelpunkt und die Hohe Schule für die Heranbildung der marxistischen Politiker zu sein. (…) Die marxistische Partei als das Kampforgan der Arbeiterklasse muss die Verkörperung der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung sein, welche die Arbeiter als Klasse zu durchlaufen haben, um zur Herrschaft reif zu werden.“ (S. 122-123)

Dieser Prozess setzt die Verbindung von Erkenntnis und Praxis durch die Partei voraus. Während die Reformisten unter „Heranführen an den Staat“ die Eingliederung in den bürgerlichen Staat verstehen, verstanden „Marx und Lenin unter der demokratischen Taktik die Heranführung der Massen des Volks an den Staat, um diese mit dem Staat zu konfrontieren, ihre Kräfte zu formieren, ihre Kräfte im Kampf mit dem Staat zu entwickeln; mit anderen Worten: die Aufgabe der Überwindung des alten Staats durch die Praxis des Kampfs stellen.“ (S. 125) Die Auffassung der Reformisten beinhaltet die Neutralität des Staates, er habe ein über den Klassen stehendes Wesen. „Für die Revolution musste sich dies tödlich auswirken, denn ihre Konsequenz war nicht Kampf gegen den Staat, Bruch des Staates, sondern unter dem Motto seiner ‚Ausnutzung‘ und der Sicherung von ‚Ruhe und Ordnung‘ führte sie faktisch zur Beugung der Arbeiterklasse unter den Staat. War aber die Frage der Zertrümmerung des alten Staats nicht von Anbeginn als die zentrale Frage der Revolution gestellt, so war der Kampf verloren, bevor er überhaupt begonnen hatte.“ (S. 125) Der Staat der deutschen Bourgeoisie, der mit dem Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem faschistischen Staat und der Bundesrepublik verschiedene Formen angenommen hat, ist das gleiche Unterdrückungsinstrument wie 1918, der Sturz dieser Ordnung und ihres Staates ist dieselbe Notwendigkeit wie damals.

Die Novemberrevolution lehrt uns, dass die Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung durch den dialektischen Materialismus richtig erkannt werden können und es deshalb allen Grund zum Geschichtsoptimismus gibt: Die nächste Revolution wird kommen und das Proletariat wird die Kraft dieser Revolution sein. Damit es siegt, muss bereits heute alles unternommen werden, was dazu notwendig ist.

Einhundert Jahre nach der Novemberrevolution haben wir uns zum Ziel gesetzt, Klarheit in den zentralen Fragen der historischen Aufgabe der Arbeiterklasse zu schaffen. Dazu gehören unter anderem, wie auch die Novemberrevolution zeigte, der Imperialismus, der Staat und die Partei. Es ist uns aber bewußt, dass die richtige Erkenntnis und ihre Propagierung allein nicht ausreichen. Nur wenn es eigenständige, klassenorientierte Organisationsformen des Proletariats gibt, in denen die Klasse alle Zusammenhänge erkennen kann, praktische Erfahrungen sammeln kann und sich zu der Kraft formieren kann, die sie sein muss, um ihre Aufgabe zu erfüllen, werden die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus, die Erkenntnisse des Kampfs der Arbeiterklasse sind, zur materiellen Realität und damit zum Sieg der Klasse führen. Wir wollen also Strukturen aufbauen, die überall eigenständige Formen der Klassenorganisierung ermöglichen, sei es im Betrieb, in den Gewerkschaften oder im Wohnviertel.

Damit streben wir die Formierung der Kommunistischen Partei in Deutschland an, die sich aus einem Klärungs- und Aufbauprozess entwickeln muss, um den Ansprüchen an sie gerecht zu werden.

Wir können dabei auf einen großen Schatz der Erkenntnisse, des Wissens und der Macht der Arbeiterklasse zurückgreifen und haben uns zur Aufgabe gemacht, diesen zu heben, ihn zu studieren und ihn zu verbreiten. Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bietet uns unendlich viel Material und erlebte Kämpfe, die wir uns aneignen müssen, die wir der Klasse zur Verfügung stellen müssen, die wir in jeder Form popularisieren wollen. Und schließlich wollen wir den Helden dieser Kämpfe gedenken. Wir wollen sie und ihren mutigen, entschlossenen Kampf dem Vergessen entreißen und alles von ihnen lernen, insbesondere ihre Opferbereitschaft, ihre Geduld und ihre Ungeduld, ihre Hingabe und ihre Härte. Wir nehmen diesen einhundertsten Jahrestag zum Anlass, um dem einen organisatorischen Anfang zu setzen und damit nicht mehr aufzuhören.

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