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Podium: „Stellungnahmen zum Russland-Ukraine-Krieg“ (1)

Wir veröffentlichen hier das Skript eines Referats, das auf der XIV. Konferenz „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ vom 18. bis 21. Mai 2023 in Berlin, bei dem Podium „Kontroverse Stellungnahmen zum Russland-Ukraine-Krieg“ gehalten wurde. Der Referent trifft einige zentrale Aussagen zur Einschätzung des Ukraine-Kriegs.

Wir bedanken uns bei den Referenten und Organisatoren für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Auf ihrer Website sind viele weitere Beiträge zur Konferenz in Audio-, Video- und Textform dokumentiert. Der Text liegt hier in der Originalfassung vor, wurde also weder orthographisch noch anderweitig überarbeitet.

Das folgende Referat wurde gehalten von Hans Bauer (Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e. V.).

Kein Ruck, sondern ein Riss geht durch das Land. Die ohnehin existierende Spaltung in der Gesellschaft erfährt angesichts des Krieges in der Ukraine eine weitere Zuspitzung. Das trifft nicht nur, aber besonders auf Deutschland zu. Diese Spaltung ist m. E. in dreierlei Hinsicht auf Grund der deutschen Innenpolitik und Außenpolitik bedeutsam.

Die Spaltung existiert in der Bevölkerung insgesamt zwischen Zustimmung und Ablehnung der Politik. Das bezieht sich auf die Unterstützung des Krieges mit Waffen, militärischer Ausbildung und Ausrüstung, auf Wirtschaftskrieg mit Sanktionen und auf Feindschaft zu Russland. Zweitens zwischen Ost und West. Ein größerer Teil Ostdeutscher verurteilt die Russlandfeindliche Politik. Die Mehrzahl Westdeutscher unterstützt den „kollektiven Westen“. Drittens geht ein Spalt durch die Friedensbewegung, auch durch die Linke, ja einschließlich Teile der Kommunisten, die zum Ausgangspunkt unterschiedliche Positionen einnehmen.

Die Umfragewerte sind für alle Seiten, Befürworter und Gegner der Politik, derart signifikant, dass man, ohne zu übertreiben von einer tiefen Spaltung sprechen kann.

Für mich erschreckend, wie ein großer Teil der Bevölkerung der deutschen Kriegspolitik willig folgt. 100 Mrd. Sondervermögen für die Bundeswehr und Erhöhung des Rüstungsetats und zugleich erhebliche eigene Nachteile des Lebensstandards, bewusste Klimapolitik zur Eindämmung möglicher Katastrophen, aber teure und klimaschädliche Importe aus Übersee und arabischen Staaten, ganz zu schweigen von der Klimaschädlichkeit des Militärs, – das und mehr wird alles in Kauf genommen, unterstützt. Mit dem Argument: von Russland und China unabhängig machen. Wobei es zunächst um Russland geht, dem ja der Krieg erklärt wurde, de facto und de jure (Baerbock).

Offenbar war die langjährige Propaganda gegen den alten und neuen Feind Russland bisher erfolgreich. Die Frage nach Ursachen, Hintergründen, Interessen und Anlässen der militärischen Auseinandersetzungen ist für viele Menschen kein Thema. Der politischen Vorgabe, der 24. Februar 2022 sei der Beginn eines „brutalen Angriffskrieges“ gewesen, wird willig gefolgt. Vorgeschichte ausgeblendet. Dafür werden Nachteile in Kauf genommen, ja, das eigene Land ruiniert. Und die Gefahr einer weiteren Eskalation bis zur Gefahr eines Weltbrandes. Staatsmeinung wird zur Staatsraison erhoben. Nachdenken nicht erwünscht, Andere Meinung verboten, bei Gefahr bestraft zu werden.

Gerade in diesen Tagen wird anlässlich des 175 Jahrestages der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche ein Hohelied auf bundesdeutsche Demokratie gesungen. Seit 1949 sei endlich das realisiert worden – natürlich im deutschen Musterstaat – wofür die 1848 Revolution gekämpft hat. Was für eine Heuchelei, Welche Geschichtsfälschung!

Wo nur eine Meinung gelte, könne es keine Freiheit geben. So Schäuble vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk. – Gilt das für den Russisch-Ukraine-Krieg nicht?

Das BVerfGE hat mehrfach gefordert: Mehr Diskussion, Diskurs – Ein Element der Demokratie. – Gilt das heute nicht für die aktuelle Situation?

Meinungen können sich nur in der Debatte herausbilden und festigen. Durch Pro und Kontra. Setzt aber voraus, Kenntnis unterschiedlicher Auffassungen, Fakten und Tatsachen.

GG beinhaltet Informations- und Pressefreiheit. Beides existiert in D. ohnehin nur begrenzt. In Bezug auf die aktuelle Situation gar nicht.

Aber nur aufgeklärte Menschen können sachkundig urteilen, sich entscheiden.

Ergo: Nicht Meinungsfreiheit, sondern Meinungsdiktatur ist hierzulande Realität.

Nur so ist es für mich erklärbar, dass ein großer Teil der Bevölkerung dieser Politik folgt – aus Unkenntnis, Einschüchterung, Angst vor Nachteilen.

M.E. spielt für die Einschätzung des Charakters dieses Krieges eine Vielzahl von Prozessen, Entwicklungen, Einflüssen und Momenten eine Rolle, Eine Erklärung ist nur mit der Dialektik möglich, die Ursache und Wirkung aufdeckt, die Interessen, Wechselbeziehungen und Absichten bloßlegt. Das Herausgreifen und die Betonung eines einzelnen Moments für die Einschätzung dieses Krieges ist untauglich, wird einer marxistischen Analyse schon gar nicht gerecht.

Aus der Vielzahl werde ich auf drei Momente eingehen, die mir für die Beurteilung bedeutsam erscheinen – vergessen, bewusst nicht erwähnt, geringgeschätzt werden.

Vorweg, ich klammere aus:

  1. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, für die Beurteilung des Krieges sei allein eine Völkerrechtsnorm entscheidend. Das von Vielen bediente Ritual wird zumeist als eine Art Selbstschutz bzw. Absicherung benutzt.
  2. Der 24. Februar war m. E. die Fortsetzung, eine neue Phase, eines Krieges, der seit 2014 mit den bekannten Folgen tobt.
  3. Zu erörtern wären zum Völkerrecht unterschiedliche Auffassungen, ob „Angriffskrieg“ oder „präventive Selbstverteidigung sowie Beistand“; das würde einer umfangreichen Diskussion bedürfen. Wie auch immer das Ergebnis aussieht, es ist nicht alleiniger Maßstab.

Bedeutsam sind mir vor allem folgende Feststellungen:

Weitgehend ausgeklammert bleibt die historische Dimension. Ich meine hier die Geschichte Russlands und der Sowjetunion. Die Vernichtung von 27 Mill. Menschen, Abermillionen weiteren Opfern und die bis dahin beispiellose Zerstörung eines Landes durch deutsche Faschisten und Kollaborateure, wie z. B.  Bandera in der Ukraine, haben bei den Völkern der SU ein tiefes Trauma hinterlassen. Nur derjenige kann das annähernd nachempfinden, der zur russischen Geschichte und Kultur eine Beziehung hat, der das Denken und Fühlen des Volkes, seine „Seele“ kennt. Der aus geschichtlicher Erfahrung bis zurück bis ins 19. Jh. die Sorge um die Sicherheit und Existenz des Landes versteht. Besonders natürlich die Wunden in Folge des faschistischen Überfalls. Dort liegen tiefe historische Wurzeln. Wieder freigelegt wurden sie durch westliche Politik nach 1990: NATO-Osterweiterung, Einkreisung Russlands, Hetze und Hass gegen das Land, besonders auch in Deutschland, Sanktionen, Verfolgung russischer Bürger, das Aufleben faschistischer Kräfte in der Ukraine u.a. mehr.  Das hat alte Erfahrungen und Erinnerungen wieder aufleben lassen.

Wie ist es anders zu erklären, wenn Putin noch einen Tag vor der Militäroperation, am 23. Februar 2022, in einer Rede unter Bezug auf den faschistischen Überfall 1941 betonte: „Worauf noch warten. … Ein zweites Mal werden wir diesen Fehler (des Abwartens auf den Überfall, HB) nicht begehen, wir dürfen es nicht tun“.

  1. Ich frage mich, wie viele westdeutsche Bürger haben für Russland und seine Geschichte überhaupt Verständnis? Woher auch? Eine solche Bildung und Erziehung war für bundesdeutsche Politik nie ein Thema. Echte Versöhnung mit Russland spielte kaum eine Rolle. Die BRD war die Fortsetzung des Deutschen Reichs, kein Nachfolgestaat. Nahtlos war der Übergang vom Faschismus zur Forderung nach Befreiung der Ostgebiete vom bösen Bolschewismus. Zeitweise war das Verhältnis relativ friedlich – wenige besonnene Politiker – änderten vom Wesen her nichts.

Der deutsche Imperialismus strebte aus nachvollziehbaren Gründen seit Jahrhunderten nach Osten. Dementsprechend war auch die Einflussnahme auf das Volk. Es blieb in dieser Beziehung ungebildet und wurde manipuliert. Es war und ist also noch fruchtbarer Boden, auf den heutige Russlandfeindliche Politik fällt.

Anders im Osten Deutschlands. Ein völlig anderes Verhältnis von der Roten Armee als Befreier ist über 40 Jahre entstanden. Zumindest bei der Mehrheit der Bevölkerung. Ein beachtlicher Teil hatte zur SU und ihren Völkern enge berufliche Kontakte, dort gearbeitet und in der SU Ausbildung erfahren. Die meisten DDR-Bürger haben ein tiefes Verhältnis zu den sowjetischen Menschen entwickelt.

Viele haben durch die westdeutsche Politik nach 1990 erfahren, was sie hatten – gemeinsam mit Russland – und was sie verloren haben. Vor allem mit dem Untergang der Sowjetunion und der DDR.

Nicht zu unterschätzen ist schließlich die historische Verantwortung für die Verbrechen Deutschlands in der UdSSR, die in der DDR und der BRD völlig unterschiedlich vermittelt und verinnerlicht wurden. Für Ostdeutsche war dies Staatsraison.

  1. Zweites Moment, das vernachlässigt wird, aber für die Einschätzung wichtig ist:

Es bedarf nicht viel Scharfsinnigkeit, dass die USA hier einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen. Deutschland und Europa dienen hier als Gehilfen.

Viele Menschen fordern mehr Souveränität von Deutschland. Es soll eigenständige Politik, eigene Interessen verfolgen. Nicht als Vasallenstaat der USA. Ja, Deutschland folgt den USA fast blindlings. Strebt im Schatten nach der USA nach Weltmacht, in der NATO und nach Führung in der EU. Die Forderung nach eigenständiger Politik ist berechtigt.

In diesem Zusammenhang auch der Austritt aus NATO – NATO raus aus Deutschland.  Denken wir an Ramstein, Büchel und weitere über 30 US-Stützpunkte.

Aber allein diese Forderung ist unzureichend, birgt eine große Gefahr in sich.  Der deutsche Imperialismus wird unterschätzt, er bliebe nämlich trotzdem. Hat unverändert eigene Interessen. Seine Aggressivität bleibt gesetzmäßig. Das Thema der Konferenz „Der Hauptfeind steht im eigenen Lande“ behält seine volle Berechtigung.

Ich meine, der Hauptfeind in Deutschland muss noch viel deutlicher analysiert und benannt werden. Gerade in diesem Konflikt zeigen sich die unterschiedlichen Kapitalfraktionen. Wie ist zu differenzieren? Bis zu welchem Grade sind zeitweise hier Bündnisse möglich? Mit welchen Schichten der Bevölkerung sind Bündnisse notwendig? Denken wir an den Mittelstand im Osten, der noch natürliche Beziehungen zu ehemals sowjetischen Partnern hat.

  1. M.E. gilt es viel konsequenter, ein Argument zur Debatte linker Politik zu machen, es handele sich um zwei imperialistische Staaten und deshalb sei der Konflikt für Kommunisten unbedeutend (ob die RF imperialistisch ist, ist hier m. E. egal).

Es kann für Kommunisten keinen Konflikt geben, dessen Charakter nicht marxistisch bestimmt werden muss. Konkret-historische Analyse – heißt die Forderung. Daraus ergeben sich Entscheidungen praktischer Politik.

Im Falle des aktuellen Krieges geht es doch darum, in welcher Welt wollen wir leben? Soll der US-amerikanische Anspruch, sollen die Werte des „kollektiven Westens“ unsere Werte und unser Leben bestimmen? Soll die Welt, wollen wir unter der Autokratie der USA (über 800 Stützpunkte, beliebige Kriege, Geheimdienste, die Regierung ab- und einsetzen, gnadenlose Ausbeutung, Amerika first, Rassenhass und Drogensumpf) stehen?

Wollen wir also eine monopolare oder unipolare Welt?  Wollen wir uns einer Diktatur unterordnen, die sich in der jüngeren Geschichte der Menschheit durch seine Verbrechen längst disqualifiziert hat? Und welche Vorteile hat eine multipolare Welt für den Befreiungskampf der Menschheit insgesamt?

Ich bin überzeugt, dieser Konflikt ist Teil eines historischen Prozesses, in dem der Imperialismus seine seit Jahrzehnten unangefochtene Weltstellung verlieren wird.

Ich halte es mit dem chinesischen Präsidenten XI Jinping, der nach seiner Russlandreise bei seiner Verabschiedung zu Putin sagte: „Es kommt zu Veränderungen, die es seit 100 Jahren nicht gegeben hat. Und diesen Wandel treiben wir gemeinsam voran“.

Aktuelles

„Der nationale Befreiungskampf ist eine Form des Klassenkampfes“. Interview mit Anwar Khoury – Teil 1 / “The national liberation struggle is a form of...

In Teil 1 des Interviews mit Anwar Khoury, Mitglied des ZK der Palästinensischen Kommunistischen Partei (PalCP), geht um die jüngere Geschichte der kommunistischen Bewegung in Palästina, um die sog. Zweistaatenlösung, um die Strategie der nationalen Befreiung und um die Alliierten im antikolonialen und antiimperialistischen Kampf in der Region. Part 1 of the interview with Anwar Khoury, member of the Central Committee of the Palestinian Communist Party (PalCP), introduces the PalCP, discusses the so-called two-state solution, the strategy of national liberation and the allies in the anti-colonial and anti-imperialist struggle in the region.

Spendet für Gaza! Ein Aufruf und eine Kritik

Wir teilen hier drei ausgewählte Spendenaufrufe für Gaza. Zugleich wollen wir konkret über die Probleme der humanitären Hilfe aufklären, wie sie sich derzeit im Gazastreifen stellen. Denn klar ist: So notwendig humanitäre Hilfe auch ist – die Menschen in Gaza und in ganz Palästina brauchen neben Brot auch Freiheit, und die kriegen sie nicht gespendet.