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10 Jahre Maidan – Putsch oder Revolution?

Artikel von Lanius Osen, anlässlich des zehnten Jahrestags des Maidan-Putschs in der Ukraine

Im Februar 2024 jähren sich die Ereignisse des „Maidan“ in der Ukraine zum zehnten Mal. Diese Geschehnisse sollten den Wendepunkt hin zu einer Entwicklung markieren, die letztendlich im gegenwärtigen Krieg in der Ukraine mündete. Das Vorgehen der Russischen Föderation gegenüber der Ukraine lässt sich nicht allein aus geopolitischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten erklären. Es fallen dabei verschiedene Motive zusammen, wobei der ideologische Aspekt nicht zu vernachlässigen ist.

Im Rahmen unserer Vertiefungsgruppen wurde sich auf verschiedene Themenschwerpunkte konzentriert, um im Ergebnis eine umfassendere Einschätzung des Ukrainekrieges zu erhalten. Dieser Beitrag bietet keine ausführliche Analyse der Überlappung verschiedener imperialistischer Interessen auf dem Gebiet der Ukraine im Hinblick auf Russland. Es wird hier auf die kürzlich veröffentlichten Texte anderer Vertiefungsgruppen verwiesen. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf der Nachzeichnung und der Einordnung des Maidan, wobei hier der historische Kontext und die ideologische Trennline innerhalb der Ukraine herausgearbeitet werden soll.

Die Entwicklung der Ukraine ab 1991

Die Ukraine war schon immer ein zutiefst gespaltenes Land zwischen Ost und West und diese Spaltung hat tiefe historische Wurzeln. Die Bestrebungen zur ukrainischen Unabhängigkeit 1990 wurden vor allem im Westen des Landes unterstützt und haben sich seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 weiter verstärkt.

Ein bedeutender Aspekt des historischen Erbes der Ukraine war ihre Integration in die arbeitsteilige Sowjetwirtschaft. Nach 70 Jahren im Staatenverbund hatte ein hoher Grad an Verschmelzung in allen gesellschaftlichen Bereichen stattgefunden, einschließlich des Militärs.[1] Der Zusammenbruch der Rubelzone und der drastische Rückgang der Wirtschaftsbeziehungen zu den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, mit denen die Ukraine eng verbunden war, trugen erheblich zum Niedergang der Wirtschaft in den 90er Jahren bei. Dies führte zu einem Rückgang der Produktion und infolgedessen zu geringeren Steuereinnahmen, was ein akutes Haushaltsdefizit zur Folge hatte. Insbesondere die Unternehmen der Rüstungsindustrie, die in der Ukraine stark vertreten waren, sind betroffen gewesen, da sie anfangs Schwierigkeiten hatten, Abnehmer für ihre Produkte zu finden. Die Beziehungen zu Russland waren von entscheidender Bedeutung, da die Erdöl- und Erdgaslieferungen aus Russland für die Ukraine lebensnotwendig waren.[2]

Schon der erste Präsident der Ukraine, Leonid Krawtschuk, musste sich an den IWF und die Weltbank wenden, um Kredite zu erhalten. Dazu gehörten Maßnahmen, die darauf abzielten, die Ukraine für ausländische Investitionen zu öffnen, die Stabilität der Währung zu gewährleisten und ausreichende Devisen für den internationalen Handel zu sichern. Diese Entscheidungen erzielten jedoch nicht ein erhofftes unabhängiges nationales Wachstum. Unter der Regierung von Leonid Kutschma, der das Land ab 1994 führte, wurden Gespräche sowohl mit Russland als auch mit der EU und den USA geführt.[3] Die Kredite von IWF und Weltbank führten zu bedeutenden politischen Abhängigkeiten gegenüber dem Westen, der mit diesem Schritt die Staatsschulden und damit die gesamte Refinanzierung des ukrainischen Staates beaufsichtigte. Es bildete sich aus den Widersprüchen eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West heraus, die maßgeblich von verschiedenen Kapitalinteressen innerhalb verschiedener oligarchischer Strukturen getragen wurden und die politische, wirtschaftliche sowie ideologische Ausrichtung bestimmte. Dabei spielte die Herkunft der wirtschaftlichen Machtbasis der sich in den 90er Jahren formierenden Kapitalisten eine nicht unwichtige Rolle, da diese Gruppe beträchtliche Anteile an lokalem wirtschaftlichem und politischem Einfluss besaß und sie diesen erhalten wollten. Zu erwähnen ist beispielsweise der ukrainische Kapitalist Rinat Achmetov, der mit seinem umfassenden Firmengeflecht im Donbass, das verschiedene Sektoren wie Metallurgie, Chemie, Stromerzeugung und Kommunikation umfasste, eine Schlüsselrolle einnahm. Obwohl er an Exporten nach Russland interessiert war, hielt er dennoch eine gewisse Distanz, da er die Konkurrenz russischer Oligarchen und mögliche Beeinträchtigungen seiner Geschäftsinteressen in der EU fürchtete.[4]

Ein weiterer Akteur ist Ihor Kolomojskyj, der später mithilfe seines Fernsehsenders 1+1 Unterstützer Selenskyjs war. Darüber hinaus fungierte er als einer der wichtigsten Geldgeber für den Aufbau paramilitärischer nationalistischer Gruppen wie dem Bataillon “Ajdar” „Dnipro” und “Asow”.[5]

Ideologische Spaltung

Durch die Wiederwahl von Janukowitsch 2010 war bis zu seiner verfassungswidrigen Ablösung im Februar 2014 die vollständig atlantische Option für die Ukraine verhindert worden. Janukowitsch stand geopolitisch für eine Balance zwischen West und Ost, was ihm vom kollektiven Westen als NATO- und EU-Feindschaft ausgelegt wurde.[6] Ideologisch versuchte Janukowitsch einen Ausgleich zwischen ukrainischen Nationalismus und sowjetischer Tradition zu schaffen.

Dies war auch einer der Gründe für seine politische Niederlage.[7] Der Einfluss von Nationalismus mit faschistischen Elementen fungierte als ideologisches und politisches Hindernis für eine Verständigung mit Russland. Sie verankerten in der Gesellschaft das Narrativ, dass es antiimperialistisch sei, gegen Russland Krieg zu führen, und dass es keinen Raum für Kompromisse gebe, da der Kreml als die Wurzel des ultimativen Bösen in der Welt betrachtet werde.[8] So verfolgte schon der damalige Präsident der Ukraine Juschtschenko (Präsidentschaft von Januar 2005 bis Februar 2010) nicht nur eine Politik zur Rehabilitierung der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), sondern setzte sich auch für ihre Verherrlichung ein. Im Jahr 2007 wurde dem Faschisten Roman Schuchewytsch postum der Titel „Held der Ukraine“ zum nationalen Befreiungskampf für die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine verliehen. Drei Jahre später folgte die gleiche Auszeichnung für Stepan Bandera. Dies führte zu Widerstand sowohl bei vielen Russen als auch bei vielen russischsprachigen Ukrainern, deren historisches Gedächtnis auf der Tradition des Großen Vaterländischen Krieges basierte.[9]

Nach 2004 wurde in der Ukraine der „Krieg der Denkmäler“ wieder aufgenommen. Im Gegensatz zu den Denkmälern, die der OUN-UPA (Ukrainische Aufstandsarmee) gewidmet waren, wurden im Osten und auf der Krim die Erinnerung an die Opfer ukrainischer Nationalisten verewigt. Ein weiteres zentrales Element der von Juschtschenko vertretenen Erinnerungspolitik war die Hungersnot von 1932–1933, die weite Teile der UdSSR betraf. Dabei versuchten ukrainische Politiker, dieses Ereignis als einen absichtlichen Völkermord an den Ukrainern durch die sowjetischen Behörden darzustellen.[10] Als „Allukrainische Vereinigung Swoboda“ spielten rechtsnationale Kräfte in der Übergangsregierung bis Oktober 2014 auch parlamentarisch eine wichtige Rolle und nehmen für sich in Anspruch, in der Nachfolge der OUN zu stehen. In diesem Beitrag kann nicht auf die historischen Verstrickungen zwischen der OUN, Deutschland sowie den USA und anderen westlichen Staaten eingegangen werden (Es sei hier aber auf die Beiträge im Rahmen der Konferenz „Der Bandera Komplex” verwiesen).[11]

Diese bestehende historische Kontinuität ist entscheidend dafür, dass ukrainische Nationalisten, ob rechtsradikal oder rechtsliberal, sich seit Anfang der 1990er Jahre auch mit westlicher Hilfe konsolidierten, um erneut einen antirussischen Stoßkeil zu bilden.[12]

Das Scheitern der Schaukelpolitik 

Die EU war bestrebt, die Ukraine durch ein Assoziierungsabkommen enger an sich zu binden, während die USA das Land als wirtschaftliche und militärische Basis im Kampf gegen Russland sichern wollten. Ihr Ziel war es, die Ukraine in die NATO zu integrieren und dadurch auf einen Konfrontationskurs mit Moskau zu setzen.[13] Am 21. November 2013 scheiterten die Verhandlungen zwischen der ukrainischen Regierung unter Janukowitschs Präsidentschaft und EU-Gesandten über die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, die als weiterer Schritt zur europäischen Integration angedacht war.[14] Dabei handelte es sich nicht um ein reines Handelsabkommen. Der Kern des 2137 Seiten langen Dokuments sah unter anderen die Liberalisierung der ukrainischen Wirtschaft in Form von Abschaffung der Energie- und Lebensmittelsubventionen und der staatlich regulierten Gaspreise, sowie der Einbindung des ukrainischen Militärs in EU-europäische Kampftruppen vor.[15] Das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine stand ökonomisch in direkter Konkurrenz zur Zollunion Russlands, deren zollfreier gemeinsamer Markt über Freihandelsabkommen wichtige Einnahmen generierte. Da etwa 30 % des ukrainischen Außenhandels mit Russland verbunden war, äußerte die russische Regierung erhebliche Besorgnis, denn alle europäischen Waren würden unmittelbar in den Zollraum der Russischen Föderation gelangen und somit die russischen Produzenten auf dem Binnenmarkt verdrängen. Die Aufhebung der Zollfreiheit Russlands mit der Ukraine wäre daher eine logische und unmittelbare Konsequenz des EU-Assoziierungsabkommens, um den eigenen Wirtschaftsraum zu schützen. Eine solche Maßnahme hätte aber andererseits einen deutlichen Einbruch im russischen Außenhandel zur Folge gehabt.[16]

Die Ablehnung des Abkommens mit der EU war für Janukowitsch unvermeidlich, da eine Zustimmung dazu den ökonomischen Bruch mit Russland bedeutet hätte und in der Folge gravierende ökonomische Verluste und Arbeitsplatzabbau.[17] Dazu kommen noch die Folgen für die in Konkurrenz stehenden Kapitalvertreter. Das polnische Institut für internationale Angelegenheiten hat für das Jahr 2013 die größten Nutznießer des Freihandels mit der EU ermittelt. Es hätten maßgeblich Kapitalisten (Petro Poroschenko, Andrei Werewski, Juri Kosjuk) profitiert, dessen Konzerne in die EU exportiert hätten. Wiktor Janukowitsch und sein Umfeld (Sohn Aleksandr Janukowitsch, Rinat Achmetow, Dmitri Firtasch) hätten nach derselben PISM-Studie wirtschaftlich zu den Verlierern gehört.[18] Auch dieses Interesse fand in Janukowitschs Entscheidung seinen Ausdruck.

Aufgrund des Charakters des Assoziierungsabkommens wird der Zweck deutlich, die Ukraine kontinuierlich in die antirussische Strategie der EU, USA und der NATO einzubinden. Des Weiteren ist durch die Stärkung und Verwendung faschistischer Kräfte eine Schaukelpolitik unmöglich geworden, da diese Kräfte aufgrund ihrer Ideologie eine ausgleichende Politik mit Russland ausschließen.

Der Weg zum Maidan

Am Abend der Bekanntgabe des Scheiterns des Abkommens begannen auf dem zentralen Maidan-Platz in Kiew Demonstrationen mit einigen hundert Teilnehmern. Gegensätzlich zu den Darstellungen vorwiegend westlicher Medien lag das Hauptanliegen der Demonstranten nicht in der Unterzeichnung des geplanten Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Dies wurde durch eine Umfrage des Gorshenin-Instituts vom 02. Dezember 20133 bestätigt. In dieser Umfrage gaben ganze 56 Prozent der Befragten an, dass sie für den Sturz der Regierung, die Verbesserung ihrer eigenen Lebensbedingungen und gegen die Korruption im Land demonstrierten. Lediglich 28 Prozent der Befragten forderten die Unterzeichnung des Abkommens mit der EU.[19] 

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung beruhte hauptsächlich auf der kapitalistischen Transformation mit der damit einhergehenden verfestigten Korruption, Perspektivlosigkeit und der anhaltenden Verschlechterung der Lebensbedingungen. Durch die Proteste verschmolz eine pro-europäische Bewegung mit der breiten Zivilgesellschaft sowie mit unterschiedlichen politischen Spektren, die schon seit langer Zeit wegen der anhaltenden Korruption und Wirtschaftskrise unzufrieden waren, und die mit dem Assoziierungsabkommen ein Gefühl der Hoffnung verband.[20] 

Gerade bei der jüngeren Generation verfestigte sich eine Illusion bezüglich eines Beitrittes zur EU. Aufgrund des Mangels an ideologischer Schärfe sowie Organisationskraft linker Gruppen, die den Protest sogar verurteilten, entstand ein politisches Vakuum in der Mobilisierung. Dies wurde effizient und planvoll von Gruppen gefüllt, die von einigen westlichen Regierungen organisiert und finanziert wurden.[21]

Der massive Einfluss der USA und der Europäischen Union ist schon Jahre vor dem Putsch im Februar 2014 dokumentiert. Seit Mitte der 1990er Jahre waren zahlreiche NGOs (Nichtregierungsorganisationen) in den ehemaligen Ländern des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und Jugoslawien aktiv. Das strategische Ziel von Stiftungen wie NED (National Endowment for Democracy), USAID (United States Agency for International Development), Freedom House, Konrad Adenauer Stiftung oder der Open Ukraine Foundation ist die Beeinflussung der öffentlichen Stimmungs- und Meinungsbildung durch gelenkte Förderung und Finanzierung von Infrastruktur, Presse, Gewerkschaften, sowie politischer Parteien und Universitäten.[22] Die strukturelle Unzufriedenheit, insbesondere unter jungen Menschen, fungiert als Nährboden und Rekrutierungsquelle für prowestliche Institutionen oder Organisationen. So realisierte die US-amerikanische Botschaft u.a. das “TechCamp” Projekt, in dem 300 operative Führungskräfte ausgebildet wurden. Im Rahmen solcher Projekte schulten US-amerikanische Ausbilder ukrainische Aktivisten, wie soziale Netzwerke, Internettechnologien sowie die Gründung von Fernsehsendern zu den gezielten Manipulationen der öffentlichen Meinung genutzt werden konnten.[23] Diese ideologischen Einflüsse trugen dazu bei, dass im Westen der Ukraine eine Anfälligkeit zur Ablehnung der sozialistischen Vergangenheit sowie zur Annahme der oben genannten antirussischen liberal-nationalistischen Ideologien verstärkt wurde.

Der Maidan

Bereits in der frühen, von zivilgesellschaftlich-idealistischen Motiven geprägten Phase des Maidan, am 26. November 2013, wurde der „Rechte Sektor“ gegründet. Er vereinte mehrere kleinere Gruppen mit Namen wie „Stepan-Bandera-Dreizack“, „Weißer Hammer“ oder „Patriot der Ukraine“. Diese Abteilungen begannen sofort mit ihren Aktivitäten und boten paramilitärische Schulungen für Interessierte auf dem Maidan an.[24]

Nur wenige Tage nach den ersten Protesten erlebte der Maidan eine Eskalation der Gewalt. Am 29. und 30. November 2013 versuchte die Spezialeinheit “Berkut” des ukrainischen Innenministeriums den Platz zu räumen, stieß jedoch auf massiven Widerstand und es kam zu heftigen Zusammenstößen. Es strömten tausende Demonstranten überwiegend aus dem Westen der Ukraine nach Kiew. Diese Erfahrung führte auch dazu, dass sich unter den Demonstranten sogenannte “Selbstverteidigungskräfte” formierten, die jedoch bald von den oben beschriebenen, gut organisierten rechtsradikalen Kräften unterwandert wurden bzw. aufgrund ihrer Stärke einen beträchtlichen Einfluss auf die restlichen Demonstranten hatten. Zehntausende Teilnehmer aus der Westukraine vergrößerten die mittlerweile zur Festung ausgebaute Zeltstadt auf dem zentralen Kiewer Platz. Rund um den Maidan besetzten Stoßtrupps der Protestierenden die umliegenden Gebäude.[25] Die Gruppen faschistischer Prägung wie „Svoboda” oder der „Rechte Sektor” verstärkten eine ausgeprägt ultranationalistische politische Ausrichtung des Maidanprotests.[26]

Trotz der Zusammenstöße zwischen Ordnungskräften und Demonstranten und den dadurch bürgerkriegsähnlichen Zuständen besuchten im Dezember ranghohe Politiker und Staatsbeamte der USA und der EU wie der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die im State Department als Vizeaußenministerin für Europa zuständige Victoria Nuland und US-Senator John McCain den Maidan und unterstützten die Demonstranten.[27] Dies wurde exemplarisch in einer Antwort von US-Senator John McCain auf eine Journalistenfrage zur Rolle Putins während seines Besuchs auf dem Maidan zum Ausdruck gebracht: „Es gibt keinen Zweifel, dass die Ukraine von vitalem Interesse für Putin ist. Ich denke es war Kissinger – bin aber nicht sicher –, der sagte, Russland ohne Ukraine ist eine östliche Macht, mit der Ukraine eine westliche Macht. Hier beginnt Russland, genau hier in Kiew”.[28] Da das Hauptziel die Eindämmung Russlands war, standen in der Protestbewegung auch Rechtsliberale und Faschisten aus der Ukraine gemeinsam Seite an Seite mit den höchsten Diplomaten aus Deutschland, Polen, Schweden und den USA im Kampfgeschehen in Kiew. Diese Auffälligkeit gilt es zu berücksichtigen, weshalb auch in der westlichen Berichterstattung das Wirken der faschistischen Kräfte in der Ukraine weitgehend ausgeblendet wurde, von deren langjährigen Unterstützern aus dem Westen ganz zu schweigen.

Putsch

Anfang des Jahres 2014 setzte eine Ermattung der Proteste ein. In dieser Phase der Stagnation des Maidan muss es eine strategische Entscheidung gegeben haben, um der Bewegung durch eine Eskalation neuen Schwung zu verleihen. Die Rada hatte am 16. Januar das Demonstrationsrecht verschärft (Demonstrationsrecht nach BRD-Standards, Vermummungsverbot, erhöhte Strafen für Verstöße). Als Reaktion auf das Gesetz begannen schwere Ausschreitungen in Kiew und die Situation eskalierte, als ein Teil der Demonstranten die Polizeisperren durchbrach und in das Regierungsviertel eindrang. Am 19. Januar formierten sich plötzlich einige Tausend Anhänger des „Rechten Sektors“ nach einer routinemäßigen Kundgebung und zogen einige Hundert Meter weiter zum Europaplatz. Von dort führte die nach dem Begründer der ukrainischen nationalen Historiographie, Michailo Hruschewskyj, benannte Straße steil einen Hügel hinauf ins Regierungsviertel. Die Rechten versuchten nun, dieses Regierungsviertel zu stürmen, und gerieten dabei unvermeidlich in Konflikt mit der Polizei.[29]

Diese Auseinandersetzungen wurden von beiden Seiten mit großer Brutalität geführt, wodurch es die ersten Toten gab, die Zahl der Verletzten ging rasch in die Hunderte. Diese Unruhen dauerten bis 24. Januar an. Am folgenden Tag bot Präsident Janukowitsch der Opposition an, die Regierung zu entlassen und Jazenjuk zum Premierminister und Klitschko zum Vize-Premierminister zu ernennen. Dieses Angebot wurde jedoch abgelehnt, und die Opposition stellte stattdessen verschiedene Forderungen, darunter den Rücktritt von Janukowitsch und die Durchführung vorgezogener Präsidentschaftswahlen.[30]

Obwohl der amtierende Ministerpräsident und die gesamte Regierung zurücktraten und das Demonstrationsgesetz aufgehoben wurde, eskalierten die Auseinandersetzungen zunehmend. Den Februar 2014 hindurch sahen sich die Polizeikräfte paramilitärischen Einheiten ausgesetzt, welche mit Molotow-Cocktails, Stahlketten und anderen Waffen ausgerüstet waren. Den Schlusspunkt des Putsches setzte eine Verhandlungsfarce unter EU-Ägide. Der stark unter Druck geratene Janukowitsch unterzeichnete am 21. Februar 2014 im Zuge des sich zuspitzenden Maidan-Putsches eine Vereinbarung mit der politischen Opposition des Landes (Arsenij Jazenjuk, Witali Klitschko und Oleh Tjahnybok) sowie Vertretern der EU, um die Lage zu beruhigen.[31] Gemäß dieser Vereinbarung sollte eine Übergangsregierung gebildet werden und noch im Jahr 2014 eine vorgezogene Präsidentschaftswahl stattfinden. Während der Gespräche kamen auf dem Hauptplatz von Kiew mindestens 70 Menschen – sowohl Demonstranten als auch Polizisten – durch gezielte Schüsse ums Leben.[32] Diese Stimmung nahmen die faschistische Opposition wie der “Rechte Sektor” zum Anlass dieses Abkommen und den Waffenstillstand abzulehnen und nannten es “inakzeptabel”.[33] Nachdem einen Tag später u.a. Janukowitschs Wohnsitz beschlagnahmt und die Eskalationsspirale am Zenit war, wurde der Staatsstreich trotz des Abkommens aufgrund der für sie günstigen Kräfteverhältnisse vollzogen. Als Reaktion auf den Machtverlust floh Janukowitsch am 24. Februar 2014 nach Russland. Daraufhin erklärte das Parlament trotz Verletzung des Amtsenthebungsverfahrens (es stimmten nur 73% statt der benötigten 75% des Parlaments für dessen Absetzung) Janukowitsch für abgesetzt. Der Putsch fand dadurch sein Ende, als Oleksandr Turtschynow verfassungswidrig (es wurde kein Amtsenthebungsverfahren auf Basis der gültigen Verfassung von 1996 nach Artikel 111 durchgeführt) zum Übergangspräsidenten ernannt und eine Übergangsregierung unter Arsenij Jazenjuk gebildet.[34]

Schluss

Der Maidan war der Beginn eines vom Westen massiv beeinflussten Staatsumbaus in der Ukraine, mit dem Zweck, sie zu einem antirussischen Aufmarschgebiet aufzubauen. Durch die maßgebliche Führungsrolle nationalistischer bzw. faschistischer Vertreter und deren Integration in den Staatsapparat ist der ukrainische Nationalismus mit beträchtlicher Unterstützung des Westens (der die Ukraine für seine Ziele und Interessen instrumentalisiert) nach dem Maidan gegenüber ethnischen, sprachlichen und anderen Minderheiten immer aggressiver geworden.

Der Putsch in Kiew entfachte dadurch einen antirussischen Bürgerkrieg im Osten der Ukraine, welcher sich in vielen Städten und Gebieten sehr unterschiedlich und zunächst mit einem chaotischen Frontverlauf quer durch den Oblast Donezk entwickelte. Die gegenwärtig vorherrschende Variante der ukrainischen nationalen Identität braucht das Bild von Russland als „Hauptfeind“, um eine ständige politische Mobilisierung durchzuführen, was mit in die Bewertung der Reaktion Russlands und der weiteren Entwicklung einfließen sollte. Als Ergebnis dieses Staatsumbaus wurden seine Gegner mit Gewalt bekämpft: Das kostet bis 2022 etwa 14.000 Menschen in der Ostukraine das Leben. Sie wurden von regulären Militäreinheiten der Ukraine und paramilitärischen faschistischen Trupps wie beispielsweise in Odessa am 2. Mai 2014 ermordet. Angesichts dieser Umstände ist es verständlich, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung in der Ostukraine sich gegen diesen Putsch zur Wehr setzte und den Wunsch äußerte, Teil oder Mitglied der Russischen Föderation zu werden und erfahren deshalb unsere Solidarität.


[1] https://www.kaz-online.de/artikel/vom-kriegsbrandstifter-zum-friedensengel

[2] Kappeler, Andreas (2019): Kleine Geschichte der Ukraine, S. 263

[3] Kappeler, Andreas (2019): Kleine Geschichte der Ukraine, S.316

[4] Kappeler, Andreas (2019): Kleine Geschichte der Ukraine, S.265

[5] https://www.jungewelt.de/artikel/447011.krieg-in-der-ukraine-selenskijs-schwarzer-haufen.html

[6] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.262

[7] https://cosmonautmag.com/2022/06/putin-and-the-project-of-a-big-russian-nation/

[8] https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/461542.ukrainischer-faschismus-ich-will-die-bandera-lobby-aus-dem-dunkeln-ziehen.html

[9] https://cosmonautmag.com/2022/06/putin-and-the-project-of-a-big-russian-nation/

[10] https://cosmonautmag.com/2022/06/putin-and-the-project-of-a-big-russian-nation/

[11] https://www.jungewelt.de/blogs/bandera_komplex/

[12] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.265

[13] Weber, Hendrik (2023): Volksrepublik Donezk: Staat oder Terrororganisation, S22

[14] Fazolo, Alberto & Nemo (2022): Im Donbass kommen sie nicht durch, S.29

[15] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.265

[16] Röper, Thomas (2019): Ukraine Krise 2014, S.33

[17] Lauterbach, Reinhard (2015): Bürgerkrieg in der Ukraine: Geschichte, Hintergründe, Beteiligte, S.43

[18] https://monde-diplomatique.de/artikel/!327197#fn7

[19] Als führende Forschungseinrichtung führt das ukrainische Gorshenin-Institut globale Forschung durch, um Aspekte des sozialen und politischen Lebens in der Ukraine zu untersuchen. https://web.archive.org/web/20140810113914/http://gorshenin.eu/researches/40_ukraine_today.html

[20] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.288

[21] Fazolo, Alberto & Nemo (2022): Im Donbass kommen sie nicht durch, S.29

[22] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.237

[23] http://www.deutsch-ukrainisches-zentrum.de/ukrainekrise/die-rolle-der-usa/innerhalb-der-ukraine/

[24] Lauterbach, Reinhard (2015): Bürgerkrieg in der Ukraine: Geschichte, Hintergründe, Beteiligte, S.48

[25] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.288

[26] Fazolo, Alberto & Nemo (2022): Im Donbass kommen sie nicht durch, S.30

[27] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.289

[28] https://www.theguardian.com/world/2013/dec/15/john-mccain-ukraine-protests-support-just-cause

[29] Lauterbach, Reinhard (2015): Bürgerkrieg in der Ukraine: Geschichte, Hintergründe, Beteiligte, S.53

[30] Röper, Thomas (2019): Ukraine Krise 2014, S.63

[31] Fazolo, Alberto & Nemo (2022): Im Donbass kommen sie nicht durch, S.30

[32] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.294

[33] https://www.spiegel.de/politik/ausland/liveticker-zur-krise-in-der-ukraine-a-954753.html

[34] Hofbauer, Hannes (2016): Feindbild Russland, S.294

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