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Ein Kontinent im Aufbruch

Was wir vom antiimperialistischen Kampf Westafrikas lernen können!

Bericht der KO-Vertreter von der 7. Antiimperialistischen Konferenz der World Antiimperialist Plattform, Anna Martel und Lea Wagner


Der folgende Text ist ein Bericht von einer Konferenz im Senegal im November 2024. Aber er ist mehr als ein Bericht: Er gibt einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen in Westafrika – über den antiimperialistischen Kampf, über den progressiven Charakter der dortigen Militärregierungen und ihre Unterstützung aus dem Volk. Es ist ein Einblick in die weitreichenden Maßnahmen zur Bekämpfung der neokolonialen Abhängigkeit, zum Aufbau einer eigenständigen Wirtschaft, zur Mobilisierung der Bevölkerung und auch in die damit verbundenen Schwierigkeiten.

Der Bericht gibt Einblicke in revolutionäre und fortschrittliche Organisationen, Parteien und Bündnisse der Region und ihr hartnäckiges Ringen um die Erringung der politischen Souveränität und Volksmacht. Der Bericht zeigt zugleich auf, dass in Afrika eine für Kommunisten hochinteressante und wichtige ideologische Entwicklung, verbunden mit den praktischen Kämpfen, stattfindet. Diese knüpft an den Panafrikanismus und an die großen Revolutionäre Afrikas, wie Sankara und Cabral an, sowie an die afrikanischen Klassiker des Marxismus, wie Nkrumah und Rodney.

Er ist ein Aufruf an die Kommunisten in den imperialistischen Zentren, den Kontakt zu ihren afrikanischen Genossen zu suchen, die Verbindung herzustellen, ihren Kampf zu unterstützen. Das heißt sowohl, über ihre wichtigen Erfahrungen im Befreiungskampf aufzuklären, als auch die hiesigen Regierungen und ihre neokolonialen Verbrechen zu bekämpfen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Deutsche Verbrechen und fortwährende Einmischung – warum antiimperialistische Kämpfe in Afrika für uns relevant sind
  2. Was ist los im Sahel? Zwischen Coups, Terrorbekämpfung und ökonomischem Fortschritt
    • Neokoloniale Kontinuitäten
    • Kampf um Souveränität und nationale Entwicklung
    • Der Wahlsieg der PASTEF im Senegal – zwischen Skepsis und Fortschritt
  3. Schlaglichter aus dem Sahel – wichtige Impulse für unsere Debatten
    • Das Verhältnis der Militärregierungen der AES-Staaten zur Volksbewegung
    • Fragilität der AES-Staaten
    • Parlamentarisch-demokratische Machtergreifung im Senegal “vs.” militärische in AES-Staaten
    • Verstaatlichung statt Ausverkauf in Niger
    • Panafrikanismus – Vision für die Emanzipation des afrikanischen Kontinents
  4. Wie weiter? Ein Kontinent im Aufbruch
  5. Anhang
    • Niamey-Erklärung

Im Oktober 2024 hatten wir die Gelegenheit an der 7. Antiimperialistischen Konferenz der WAP (World Antiimperialist Platform) in Zusammenarbeit mit der DUP (Dynamique Unitaire Panafricaine) und dem CNP (Conseil Nationale de Préparation – lokales, senegalesisches Vorbereitungskomitée) in Dakar, Senegal teilzunehmen.

„Colloquium zur Frage der Souveränität im Museum der schwarzen Zivilisation, gebaut von China. Ganz links Aboubakar Alassane, 4. v. Links Adama Coulibaly“

Im Fokus der Konferenz standen aktuelle revolutionäre Bewegungen auf dem Kontinent, besonders die Entwicklungen im Sahel. Der Austausch über aktuelle revolutionäre Bewegungen wurde mit der Erinnerung an die revolutionären Vorkämpfer der Unabhängigkeit verbunden. Ein zentraler Anlass war der 100. Geburtstag des antikolonialen sozialistischen Revolutionärs Amilcar Cabral. Er, genauso wie Thomas Sankara oder Kwame Nkrumah, sind heute wichtige Bezugspunkte für die aktuellen Kämpfe gegen den Raub afrikanischer Ressourcen, ausländische Militärbasen und andere neokoloniale Unterdrückungsmechanismen.

Auf der Konferenz wurde auch deutlich, dass das antiimperialistische Bewusstsein klar über den Kontinent hinausgeht. Die Solidarität mit Palästina wurde selbstverständlich mitgedacht. So wurde auf der Konferenz über die 40 Jahre anhaltende Inhaftierung von Georges Abdallah gesprochen und dagegen protestiert.

Die Konferenz entstand in Zusammenarbeit verschiedener Organisationen: Die DUP ist eine panafrikanische Dachorganisation mit antiimperialistischer Ausrichtung, die Organisationen in der Diaspora und auf dem Kontinent zusammenbringen will.

Die WAP ist eine antiimperialistische Plattform, die 2022 mit der Pariser Deklaration gegründet wurde: Ziel der Plattform ist es, antiimperialistische Kräfte weltweit zusammenzubringen und in Anbetracht der zunehmenden kriegerischen Konfrontationen zentrale Punkte in der antiimperialistischen Bewegung zu setzen, bezüglich dem Ukraine-Krieg, China, der Demokratischen Volksrepublik Korea und damit auch der Frage, wer der Hauptfeind der Antiimperialisten ist.

Die Konferenz gab viel Raum für Berichte afrikanischer Delegierter zur Situation in ihren Ländern und es wurden Diskussionen zum revolutionären Potential im Sahel nach den Militärcoups, Panafrikanismus heute, sowie der Einschätzung ob aktuell schon ein 3. Weltkrieg läuft und Faschisierungstendenzen diskutiert. 

Der vorliegende Text soll beleuchten, was es mit dem zentralen Konferenzanlass – eben jener revolutionären Bewegung im Sahel – auf sich hat und aufzeigen, dass die deutsche Kommunistische Bewegung eine Lücke aufweist, wenn es um antiimperialistische Bewegungen in Afrika geht. 

Hier findet sich außerdem noch unsere Rede, sowie die zentrale Deklaration der Konferenz für weitere Einblicke.

Deutsche Verbrechen und fortwährende Einmischung – warum antiimperialistische Kämpfe in Afrika für uns relevant sind

Vor 140 Jahren, von November 1884 bis Februar 1885, fand die Berliner Konferenz statt, auf der die damaligen imperialistischen Großmächte ihre kolonialen Besitzansprüche in Afrika manifestierten. Wie der Name verrät, fand die Konferenz in Berlin statt und wurde von Bismarck ausgerichtet. Auch wenn Deutschland erst spät in das koloniale Wettrennen einstieg und früher seine Kolonien verlor als andere Kolonialmächte, waren einige afrikanische Länder einst deutsche Kolonien: Togo, “Deutsch-Ostafrika” (Tansania, Ruanda, Burundi), “Deutsch-Südwestafrika” (Namibia) und Kamerun. Das Deutsche Reich war verantwortlich für einige der schlimmsten Massaker an der einheimischen Bevölkerung, wie der Genozid an den Herero und Nama oder auch die Strategie der „verbrannten Erde“ im Maji-Maji-Krieg (im heutigen Tansania) belegt.

Mit der Berliner Konferenz wurde versucht, Konflikte zwischen den Kolonialmächten um die Kolonien zu befrieden. Im Ergebnis wurden weitere Teile Afrikas von den Kolonialmächten besetzt. Auch die Terrorherrschaft des belgischen König Leopolds im Kongo ist auf diese Konferenz zurückzuführen.[1] Trotz dieser Beteiligung unserer Bourgeoisie in der Unterwerfung und Zerstörung Afrikas, damals und heute, ist der afrikanische Befreiungskampf in der deutschen Linken kaum noch präsent. In kommunistischen Kreisen findet man wenig Hintergrundtexte oder Stellungnahmen zu aktuellen Ereignissen auf dem Kontinent und der deutschen Rolle darin. Seien es Militäreinsätze, wie in Mali, Abkommen zur “Flüchtlingsabwehr” mit Kräften wie den RSF (Rapid Support Forces in Sudan, die massive Massaker verübten und verüben)[2], oder auch die Unterstützung der Abspaltung des Südsudans und der damit forcierten Balkanisierung des Kontinents[3]  – all das und noch viel mehr hat der deutsche Imperialismus mitzuverantworten.

Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle die Internationale Forschungsstelle DDR, die einige Hintergrundtexte zur Entwicklung Afrikas lieferte, die auch zum heutigen Verständnis hilfreich sind. Auch in der Jungen Welt, Unsere Zeit oder bei German Foreign Policy findet man Artikel, die aktuelle Berichte liefern. Oft muss man jedoch außerhalb des deutschen kommunistischen Spektrums nach tiefergreifenden Analysen suchen. Auch praktisch gibt es wenig Solidarität. Als wir letztes Jahr gegen die drohenden ausländischen Interventionen in Niger Protest organisierten, mussten wir feststellen, dass wir damit in Deutschland ziemlich alleine dastanden.[4]

Dann gibt es solche Kräfte, wie die “KP” oder auch Marx21, die sich zwar äußern, aber ihr äquidistantes Bild einer “reinen Revolution” auch auf den Sahel anwenden, die Militärputsche lediglich zu Handlangern des “russischen Imperialismus” verklären und damit als keine Alternative zur westlichen Intervention darstellen. Sie rufen explizit dazu auf, die neuen Regierungen nicht zu unterstützen.[5] Sie klammern damit die Unterstützung dieser Putsche durch die Bevölkerung, sowie konkrete Veränderungen durch die neuen Regierungen vor Ort einfach aus. 

Wieso solche Positionen problematisch sind und nicht den Positionen der fortschrittlichen Kräfte vor Ort entsprechen, soll anhand der Diskussionen auf der Konferenz dargestellt werden. Dass es in der kommunistischen Bewegung eigentlich eine lang zurückgehende Debatte um den Kampf gegen Neokolonialismus gab, in die wir auch die aktuellen Entwicklungen im Sahel einordnen, die jedoch heute teils vergessen scheint und wieder aufgenommen werden muss, argumentierte ein Genosse an anderer Stelle.[6]

Dieser Text ersetzt keine ausführliche Analyse der neokolonialen Verhältnisse und auch nicht der konkreten Bedingungen vor Ort, aber er stellt den Versuch an, Diskussionen um die aktuelle Lage im Sahel aufzuzeigen und Fakten und Eindrücke von Kräften vor Ort zur Verfügung zu stellen. Der Text soll dazu anregen, den Blick auf die antiimperialistische Bewegung im Sahel zu richten und die dort geführten Diskussionen aufzunehmen.

Was ist los im Sahel? Zwischen Coups, Terrorbekämpfung und ökonomischem Fortschritt

Neokoloniale Kontinuitäten

Um besser einordnen zu können, wie neokoloniale Mechanismen in der Region heute greifen, sollen zumindest einige zentrale Merkmale des Sahels kurz genannt werden. Sahel bezeichnet die Region südlich der Sahara, der durch eine relative Trockenheit, enorme Hitze sowie überwiegend flache Landschaften und eine dünne Besiedelung gekennzeichnet ist. Er erstreckt sich von Gebieten in Mauretanien und Senegal im Westen bis in den Osten des Kontinents nach Sudan und Eritrea und umfasst daneben noch Gebiete im Tschad, Nigeria, Niger, Burkina Faso und Mali. 

Blicken wir nun auf die dem Sahel zugewiesene ökonomische Stellung im Weltsystem: Nach der kolonialen Aufteilung des Kontinents auf der Berliner Konferenz, ging es darum, die „Überseegebiete“ nach den Interessen der Kolonialmächte aufzuteilen. Insbesondere Länder ohne Zugang zum Meer, zu denen Burkina Faso, Niger und Mali gehören, wurden in ihrer Entwicklung auf Primärproduktion wie Landwirtschaft und Bergbau beschränkt, während der industrielle Sektor kaum entwickelt wurde. Bis heute zeichnet sich die Region durch einen enorm hohen Anteil der Subsistenzwirtschaft und der in großen Teilen privaten Organisierung der Reproduktion aus, was sich signifikant auf die Lebensbedingungen von Frauen auswirkt. Hinzu kommt, dass der Anteil von informeller Arbeit in den Ländern des Sahels dominiert. Auch im Senegal, Mali, Niger oder Burkina Faso lagen die Zahlen bislang bei über 90% ungesicherter Arbeitsverhältnisse (insbesondere auf dem Land und auch anteilig höher unter Frauen).[7]

Alle vier Länder eint mehr oder weniger ausgeprägt ihr Ressourcenreichtum bei gleichzeitiger krasser Armut der Bevölkerung und fehlender Industrialisierung, sowie Plünderung durch ausländische Unternehmen. Zum Zeitpunkt des Putsches in Niger befand sich das Land auf dem drittletzten Platz des Human Development Index, war das 9. ärmste Land der Welt und fast die Hälfte der Bevölkerung lebte in extremer Armut. Während Niger zu den größten Uranexporteuren der Welt gehört, wovon besonders Frankreich profitiert, hatten 2023 nur 14,3% der nigrischen Bevölkerung Zugang zu Elektrizität. Unter dem Deckmantel eines „Staatskonzerns“ – an dem die nigrische Regierung eigentlich nur einen geringen Anteil hatte, plünderte der französische Staatskonzern, der Mehrheitsanteile hielt, die nigrischen Uranvorkommen aus.

In Mali, Niger und Burkina Faso ist über die wirtschaftliche Ausbeutung hinaus der Kampf gegen Terrorismus das akuteste Problem. Zentral für das Erstarken islamistischer terroristischer Gruppen war die Zerschlagung Libyens durch den Imperialismus Ende 2011. Dadurch wurden nicht nur massenhaft Waffen in den Sahel gespült, sondern auch vorherige Kämpfer der libyschen Armee. Viele von ihnen gehörten den malischen Tuareg an, die schon lange Sezessionsbestrebungen verfolgten und nach der Zerschlagung Libyens einen neuen bewaffneten Anlauf nahmen. Ihnen schlossen sich nicht nur zuvor von den USA hochausgebildete Kämpfer an, sondern auch islamistische Gruppierungen, die von Qatar und Saudi Arabien unterstützt wurden.[8] Seitdem fand eine massive Militarisierung der Region statt, die keinesfalls zu einer Befriedung führte. Die terroristischen Gruppierungen breiteten sich auf die umliegenden Länder aus und immer mehr westliche Staaten errichteten Militärbasen, besonders in Mali und Niger. So hatte die USA beispielsweise drei Drohnenbasen in Niger, u.a. die 110 Millionen Dollar schwere Basis 201, die lange eine zentrale Funktion für Africom-Einsätze hatte. Auch die deutsche Bundeswehr mischte in beiden Ländern mit und versuchte über den Einsatz in Mali eine stärkere Stellung in Westafrika zu erlangen. In Senegal war Terrorismus bislang kein zentrales Problem, was westliche Staaten aber nicht von der Betreibung ausländischer Militärbasen im Land abhielt.

Ökonomisch ist ein zentrales Instrument der neokolonialen Abhängigkeit in insgesamt 14 Ländern West- und Zentralafrikas der CFA-Franc (FCFA), der die nationalen Ökonomien an einer eigenständigen Entwicklung hindert. Die fortgesetzte Kolonialwährung ist nicht nur an den Euro (ehemals Franc) gebunden, 50 Prozent ihrer Währungsreserven lagern in Frankreich, das Geld wird dort gedruckt und in den Zentralbanken gibt es einen französischen Posten mit Vetomacht. Auch Schuldenfallen beim IWF und der Weltbank, die Strukturanpassungsprogramme in Form von Privatisierungen und Ähnlichem fordern, sind ein wesentlicher Faktor hinsichtlich der Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse.

Progressive Präsidenten und Anführer von Unabhängigkeitsbewegungen wurden in der Vergangenheit reihenweise ermordet, wenn sie versuchten, sich den herrschenden Bedingungen zu widersetzen. Oder ihre Versuche, der Abhängigkeit zu entkommen, wurden sabotiert, wie etwa in Modibo Keitas Mali, als eine unabhängige Währung eingeführt wurde und Frankreich schlichtweg Falschgeld auf den Markt brachte, um diese zu sabotieren.

Afrika, als ressourcenreichster Kontinent, soll abhängig gehalten werden, damit Afrikas Ressourcen weiterhin den Reichtum des Westens finanzieren können. 

Diese Aufzählung vermittelt nur einen oberflächlichen Eindruck in einen Bruchteil der Abhängigkeitsmechanismen, die von den Imperialisten genutzt werden, um ihren Einfluss zu wahren. Eine tiefere Untersuchung der jeweiligen Entwicklung der Länder wäre notwendig. Dennoch reicht schon dieser kurze Überblick aus, um zu verdeutlichen, weshalb die Bevölkerung des Sahels einen klaren Bruch mit dem Imperialismus, vor allem dem Französischen, fordert.

Kampf um Souveränität und nationale Entwicklung

Statue der afrikanischen Renaissance in Dakar, Senegal.

In den vergangenen Jahren konnten wir in der Region eine Reihe dieser Brüche beobachten. 2021 in Mali, 2022 in Burkina Faso und 2023 in Niger. In allen drei Ländern führten die von Assimi Goita, Ibrahim Traoré und Abdourahamane Tchiani angeführten Militärcoups zu schwerwiegenden Veränderungen. Allem voran der Rausschmiss des französischen Militärs sorgte für große Begeisterung und Zustimmung in der Bevölkerung, insbesondere der Jugend. Damit sagten sich die drei Länder zunächst auf der militärischen Ebene von jahrzehntelangem Aufoktroyieren ausländischer Interessen, dem Verhindern der Entwicklung eigenständiger Armeen und der Politik neokolonialer Handlanger wie Ibrahim Boubacar Keita, Blaise Compaoré und Mohamed Bazoum los. Deren Agenden zeichneten sich durch den bereitwilligen Ausverkauf des nationalen Reichtums, verbunden mit persönlicher Bereicherung und dem allgemeinen Befolgen von Wünschen und Zielen der Imperialisten aus.

Damit scheint erst einmal Schluss zu sein. Kein Wunder also, dass insbesondere das Ausscheren Nigers im Sommer letzten Jahres fast zu einer v.a. von Frankreich unterstützten Militärintervention der ECOWAS führte. Unmittelbar nach dem Putsch im Juli 2023 hatte die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft bereits umfassende Sanktionen gegen das Binnenland verhängt und seine Suspendierung aus dem Staatenbündnis beschlossen. In Niger führten Grenzschließungen, das Einfrieren nationaler staatlicher Vermögenswerte, Flugverbote oder das Aussetzen von Handelstransaktionen und Finanzhilfen zu einer krassen Verschlechterung der Lage der Bevölkerung. Der verfolgte Zweck, nämlich die Bevölkerung gegen die Putschregierung Tchianis aufzuhetzen, wurde aber weit verfehlt. Tausende Menschen solidarisierten sich mit der Conseil National pour la Sauvegarde de la Patrie (Nationalrat für die Rettung des Vaterlandes, CNSP), die am 03. August 2023 als Militärregierung ausgerufen wurde und protestierten lautstark gegen die illegalen Sanktionen und die voranschreitenden Kriegsvorbereitungen. Schließlich scheiterte die gewaltvolle Intervention der ECOWAS, welche durchaus einen Flächenbrand in der Region hätte auslösen können, an den anhaltenden Protesten und auch der Verweigerung einiger Mitglieds- und anderer afrikanischer Staaten. Selbst der nigerianische Senat hatte gegen die Pläne seines Präsidenten Bola Tinubu gestimmt, in Niger militärisch zu intervenieren.

Die imperialistische Aggression trug eher zur Stärkung und Formierung des Bündnisses zwischen Mali, Burkina Faso und Niger bei. Am 16. September 2023 gründeten sie die “Alliance des Etats du Sahel” (AES) zunächst als Verteidigungsbündnis. Damals schon auf Grundlage einer panafrikanischen ideologischen Basis, welche die Probleme der kolonialen Grenzziehung erkennt und der Balkanisierung des Kontinents, wie sie schon Kwame Nkrumah angeprangerte, den Kampf ansagt. In diesem Zusammenhang wurden u.a. ein AES-übergreifender Pass geschaffen[9]und eine Vereinbarung über die Abschaffung von Roaminggebühren zwischen den Staaten getroffen[10]. Außerdem wird aktuell bspw. der Handel von Grundgütern im Sinne gegenseitiger Solidarität zwischen den AES-Staaten gestärkt, während von Niger ein Exportstopp auf Hülsenfrüchte und Getreide außerhalb der AES verhängt wurde[11]. Heute – über ein Jahr nach Gründung der Allianz – ist aus dem zunächst losen Zusammenschluss eine Konföderation entstanden, die eine eng abgestimmte Agenda gegen Unterentwicklung und Überausbeutung sowie für Souveränität und Selbstbestimmung verfolgt.

Diese Kursänderung führte u.a. dazu, dass das US-Militär seine geopolitisch bedeutsame Drohnenbasis in Agadez (Niger) aufgeben musste, nachdem Neuverhandlungen über die Bedingungen der Militärposten längst Offenkundiges eindrücklich bewiesen: Völlige Missachtung der Souveränität afrikanischer Staaten. Diese passt eben nicht in das aufgebaute neokoloniale Konstrukt von Fremdherrschaft mit anderen Mitteln. Auch die deutschen Soldaten in Mali und Niger wurden aus diesem Grund des Landes verwiesen. In diesem Falle hatte u.a. auch die vorherige malische Nichtgenehmigung von Aufklärungsflügen deutscher Heron-Drohnen für große Empörung bei Pistorius und Co. gesorgt. Dass einer der Hauptgründe dafür die ausbleibende Zurverfügungstellung der Drohnenaufnahmen für malische Streitkräfte war, wurde dahingegen weitgehend verschwiegen.

Viel mehr Aufmerksamkeit widmeten die westlichen Regierungsvertreter und Medienhäuser einer ganz anderen Gefahr, vor der sie die afrikanischen Völker selbstlos bewahren wollen. Denn nicht neokoloniale Ausbeutung und Vorherrschaft seien das Problem, sondern Russland und seine Wagner-Söldner, die den Kontinent langsam aber sicher unterwandern würden. Sicherlich sollte der Einsatz einer Söldnertruppe wie Wagner nicht unkritisch gesehen werden, aber erst einmal muss anerkannt werden, dass die malische Regierung diese um Unterstützung gebeten hat, um eine Alternative zu europäischen Soldaten zu schaffen, die offensichtlich der Terrorabwehr nicht zuträglich waren trotz langjähriger Stationierung. Auch Unterstützung für den Bau einer eigenen Goldraffinerie in Mali kommt von Russland. De facto bietet die Diversifizierung internationaler Beziehungen also vorerst neue Möglichkeiten für die nationale Entwicklung.

Der Kampf um nationale Entwicklung kann praktisch anhand der Maßnahmen und Projekte, die von den AES-Staaten durchgeführt und angegangen werden, nachvollzogen werden. Die Liste dieser Maßnahmen ist lang. Was die forcierte Umwälzung der neokolonialen Wirtschaftsverhältnisse anbelangt, ist die Verstaatlichung in allen drei Ländern ein wichtiges Instrument auf dem Weg zum Wandel. So wurden bspw. in Mali bereits mehrere Goldminen oder auch Teile der Baumwollindustrie verstaatlicht, welche sich vorher in ausländischem Besitz befanden.[12] Im August 2023 erließ die Goita-Regierung zudem ein neues Bergbaugesetz, das die staatliche Beteiligung in neuen Projekten langfristig auf 20% und 35% erhöht. Dass es Mali ernst ist, bekommen Bergbaugiganten wie Barrick Gold oder Resolute Mining deutlich zu spüren. Erst Anfang Dezember 2024 wurde ein Haftbefehl gegen den Vorstandschef des kanadischen Unternehmens Barrick Gold, Mark Bristow, erlassen und auch der lokale Direktor der sehr großen Goldmine Loulo-Gounkoto soll festgenommen werden. Der CEO von Resolute Mining wurde bereits im November inhaftiert, mittlerweile aber gegen Geldzahlungen wieder freigelassen.[13] Hintergrund sind die Bemühungen der malischen Regierung, unbezahlte Steuern und Dividenden in Höhe von 300-600 Milliarden CFA-Franc (circa 0,5-1 Mio Euro) einzutreiben[14].

Auch in Burkina Faso wurden Goldminen verstaatlicht[15] und der eigenständige Bau von Goldraffinerien in Angriff genommen. Die erste soll Ende dieses Jahres noch in Betrieb gehen. Außerdem stehen mittlerweile der Zuckersektor[16] und auch die Commercial Bank of Burkina Faso[17] unter staatlicher Kontrolle. Ein wichtiger Schritt in Richtung weniger Abhängigkeit von Lebensmittelimporten ist außerdem die Inbetriebnahme einer Tomatenverarbeitungsanlage in Bobo-Dioulasso, welche u.a. die Ernährungssicherheit der burkinischen Bevölkerung steigern soll.[18] Das aktuell ambitionierteste Vorhaben Traorés ist aber vermutlich die Konstruktion eines Atomkraftwerkes in Zusammenarbeit mit dem russischen Atomkonzern ROSATOM. Dies wurde bereits im Oktober 2023 vertraglich besiegelt und soll einen zentralen Beitrag zur Erlangung von Energieunabhängigkeit leisten.[19] Es wäre das erste Atomkraftwerk in Westafrika. Bisher gibt es auf dem gesamten Kontinent lediglich in Südafrika ein Atomkraftwerk, in Ägypten befindet sich aktuell eins im Bau.

Diese ökonomischen Veränderungen werden begleitet von einer Reihe von symbolischen, aber nicht weniger zu begrüßenden Maßnahmen. Die ideologische Besinnung auf die panafrikanischen Gründerväter schlägt sich u.a. in der Umbenennung von Straßen und Plätzen nieder, die zuvor an die Schrecken der Kolonialzeit erinnerten. So wurde z.B. in Niamey, Niger die “Avenue Charles de Gaulle” in “Avenue Djibo Bakary” umbenannt[20].

Der Wahlsieg der PASTEF im Senegal – zwischen Skepsis und Fortschritt

Eine panafrikanische Agenda hat sich auch die im März 2024 an die Macht gekommene PASTEF-Regierung im Senegal auf die Fahnen geschrieben. Anders als die Regierungen der AES-Staaten wurde die Partei von Diomaye Faye und Ousmane Sonko, die kurz vor den Wahlen im Zuge der Repression gegen die Opposition beide noch im Gefängnis saßen, per Wahlen ins Amt gebracht. Die Patriotes africains du Sénégal pour le travail, l’éthique et la fraternité / Afrikanische Patrioten von Senegal für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit (PASTEF: linke Partei mit panafrikanischer und souveräner Agenda, welche 2014 insbesondere von Teilen des Kleinbürgertums aus Verwaltung, Selbstständigkeit oder Bildungssektor gegründet wurde) konnte im April diesen Jahres knapp 60% der senegalesischen Stimmen auf sich vereinigen[21]. Zuvor hatte das neokoloniale Regime von Macky Sall alles darangesetzt, nicht abtreten zu müssen und mittels eines konstitutionellen Coups versucht, die Wahlen auf Dezember 2024 zu verschieben. Doch auf den Straßen Dakars hatte sich schon seit geraumer Zeit eine Protestbewegung formiert, die dem Ausverkauf des Landes und der Korruption der regierenden Eliten den Kampf ansagte. Insbesondere die von einer Schmierkampagne begleitete Inhaftierung des populären Oppositionsführers Ousmane Sonko im Juni 2023 brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Für viele Senegalesen stand fest, dass die Opposition mit unlauteren Mitteln an einem potentiellen Sieg gehindert werden sollte – schließlich hatte Sonko bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2019 aus dem Stand 16% holen können. Auf die Proteste reagierte die Regierung gewaltvoll. Nach der Verschiebung der Wahlen im Februar eskalierte die Situation vollends. Bis zum Sieg der PASTEF wurden unter der Regie Macky Salls dutzende Protestierende ermordet[22]. Viele, die zur Opposition gezählt wurden, wurden inhaftiert und teils im Gefängnis gefoltert.

Kein Wunder also, dass die Hoffnung in die PASTEF und ihre propagierte panafrikanische Wende im Frühling groß war und auch weiterhin ist. Fayes angekündigtes Programm: Kampf gegen Korruption, nationale Versöhnung, mehr Arbeitsplätze, Neuaushandlung von Verträgen mit ausländischen Konzernen, fairer Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und – das wohl bedeutendste Versprechen – den CFA-Franc zugunsten einer regionalen Währung abschaffen. In den vergangenen Monaten ging es über Symbolpolitik nicht weit hinaus. Begründet wurde das seitens PASTEF meist mit der Situation im Parlament, in dem bis November noch die Opposition die Mehrheit der Sitze innehatte und somit in der Lage war, politische Entscheidungsprozesse zu blockieren. Nach der Auflösung des Parlaments durch Faye im September und den Neuwahlen im November sieht die Situation nun aber anders aus. Die Partei verfügt jetzt über 130 der 165 Sitze. Nicht lange danach folgte die Aufforderung an Frankreich, seine Militärstützpunkte inklusive Soldaten von senegalesischem Territorium zu entfernen, so Faye: „Senegal ist ein unabhängiges Land; es ist ein souveränes Land, und die Souveränität akzeptiert nicht die Anwesenheit von Militärstützpunkten in einem souveränen Land“[23].

Inwiefern die senegalesische Regierung neokoloniale Einflussnahme wirklich konsequent bekämpfen und eine nationale Entwicklung fördern wird, wird zu einem wesentlichen Teil von der weiteren Organisation und dem Einfluss der senegalesischen antiimperialistischen Bewegung, als auch von den Entwicklungen in den umliegenden Ländern abhängen.

Schlaglichter aus dem Sahel – wichtige Impulse für unsere Debatten

Die oben geschilderten Entwicklungen im Sahel sind natürlich nicht ohne Widersprüche. Darüber wurde auf der Konferenz in Dakar lebendig diskutiert. Wir hatten einige Gelegenheiten auch abseits des offiziellen Programms, mit Genossen aus der Region in Austausch zu treten. Diskussionen und die daraus gewonnenen Eindrücke spiegeln natürlich nur Ausschnitte wider und ersetzen keine tiefergehenden Analysen. Wir stützen die Ausführungen dabei vor allem auf aufgezeichnete Interviews, die wir mit folgenden Genossen führten: Adama Coulibaly, Vorsitzender der Alternative Patriotique et Panafricaine Burkindi / Patriotische und Panafrikanische Alternative (APP-Burkindi, linke panafrikanische Partei, 2018 gegründet) aus Burkina Faso und Generalsekretär der DUP, Alassane Aboubakar von der Organisation Révolutionnaire pour une Démocratie Nouvelle-Tarmamouwa / Revolutionäre Organisation für eine Neue Demokratie-Stern (ORDN, politische Partei, die in den 90ern aus der marxistisch geprägten Studierendenbewegung heraus gegründet wurde) aus Niger und von der West African Peoples Organization (WAPO, eine Dachorganisation progressiver westafrikanischer politischer Parteien, Organisationen und Gewerkschaftsverbände, die für die vollständige Befreiung und Vereinigung Afrikas kämpfen) sowie Aziz Ndao von der Front pour une révolution anti-imperialiste populaire et panafricaine – France Dégage / Front für eine antiimperialistische Volks- und panafrikanische Revolution – Frankreich verschwinde (FRAPP) aus Senegal.

Zentrum der FRAPP. Links Amilcar Cabral. Die Karte zeigt die Basisgruppen der FRAPP

Das Verhältnis der Militärregierungen der AES-Staaten zur Volksbewegung

Wenn wir hier in der bürgerlichen Presse über die Situation in den Sahelländern überhaupt irgendetwas lesen, wird sehr oft über Repressionen oder autoritäres Machtgehabe der AES-Regierungen berichtet. Schenkten wir dieser Berichterstattung unkritisch Glauben, müsste sich tatsächlich schnell der Eindruck verfestigen, dass Traoré, Goita und Tchiani völlig losgelöst vom Willen der Volksmassen handelten. Dass die Narrative unserer herrschenden Klasse mit besonderer Vorsicht zu genießen sind, ist klar. Sie lassen sich mit Blick auf die Entwicklungen jedoch auch schnell entkräften. Nicht nur wurden alle drei Putsche von Massenprotesten begleitet, auch darüber hinaus gab es vor allem in der nachfolgenden Entwicklung Indizien für die Verbundenheit der Regierungen zu den Volksbewegungen.

Der Genosse Coulibaly berichtete bspw., dass seine Organisation nach dem von Ibrahim Traoré angeführten Coup viele Vorschläge und Forderungen aufstellte, die von der Militärregierung teils auch angenommen bzw. umgesetzt wurden. Dazu gehörten zu allererst der Rausschmiss des französischen Militärs, aber auch Ideen bzgl. der Massenmobilisierung gegen die Aktivitäten terroristischer Gruppierungen sowie hinsichtlich konkreter ökonomischer Maßnahmen. Was die Massenmobilisierung angeht, wurden u.a. die sog. “Wayinyans” ins Leben gerufen. Sie sind Gruppen von Zivilisten, die nachts an strategisch wichtigen Orten wie Kreisverkehren, Regierungsgebäuden oder nationalen Fernseh- und Radiosendern Wache halten und die Bevölkerung im Falle ungewöhnlicher Vorkommnisse mobilisieren. Damit stellen sie sich auch gegen die gehäuften Putschversuche gegen Traoré. Außerdem unterstützen die Wayinyans auch finanziell den Patriotischen Unterstützungsfond (FSP, sammelt Geldmittel im Kampf gegen den Terrorismus) und die Freiwilligen zur Verteidigung des Vaterlandes (VDP)[24].

Über die Berücksichtigung konkreter Vorschläge hinaus, habe die APP-Burkindi auch einen Delegierten in der Übergangsregierung sitzen, was aber nach Aussage des Genossen noch bei weitem nicht ausreiche, denn „auch wenn diese Erfahrungen sehr, sehr gut sind, müssen sie in eine revolutionärere Richtung gelenkt werden. Die revolutionäre Bewegung muss also Hand in Hand mit den Militärs arbeiten, um sie zu beeinflussen, da sie keine ideologische Führung haben.”

Alassane formuliert es wie folgt: „Jetzt müssen das Volk und das Militär zusammenarbeiten, damit es funktioniert und von Dauer ist, und es gibt jetzt genug Erfahrung und genug revolutionäres Bewusstsein. Es gibt also einen starken Geist im Volk. Die Menschen sind jetzt gebildet, sie haben eine intellektuelle Klasse und die Jugend ist überqualifiziert. Man kann sie also nicht von ihrem Ziel ablenken.”

Schauen wir nach Mali, ist der Prozess rund um die Gestaltung und Verabschiedung einer neuen Verfassung in engem Austausch mit den Volksmassen besonders positiv hervorzuheben. Bereits Ende 2021 wurden große Anstrengungen unternommen, „Nationale Versammlungen zur Neugründung” des Staates und der Gesellschaft im ganzen Land zu organisieren. In einem nächsten Schritt wurden die lokal geführten Diskussionen auf nationaler Ebene zusammengetragen und ausgewertet[25].

Im Sommer 2022 starteten dann intensive Diskussionen zwischen Vertretern der Militärregierung mit religiösen Führern, Politikern und Delegierten zivilgesellschaftlicher Organisationen auf Grundlage der Erkenntnisse aus den Nationalen Versammlungen[26]. Circa ein Jahr später wurde die Verfassung bei Wahlen mit 97% der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von knapp 40% angenommen[27]. Diese bestärkt den Charakter Malis – wie schon in der Verfassung von 1992 festgeschrieben – als eine „unabhängige, souveräne, einheitliche, unteilbare, demokratische, säkulare und soziale Republik“ (Art. 30). Neu ist insbesondere die Einführung einer zweiten Kammer (Artikel 95), wodurch laut Soziologieprofessor Bréma Ely Dicko die Rechte lokaler Amtsträger und traditioneller Autoritäten gestärkt würden[28]. Jetzt besteht die gesetzgebende Gewalt in Form des Parlaments nämlich nicht mehr nur aus der Nationalversammlung – wie zuvor – sondern wird um den Senat ergänzt, der die Gebietskörperschaften repräsentiert und somit ein wichtiges Instrument für die Dezentralisierung darstellt. Diese war damals ein wichtiger Bestandteil der Friedensverhandlungen mit den Tuareg im Norden, die Algerien vermittelte und unterstreicht, dass die Perspektive keine möglichst autoritäre Präsidentschaft ist, sondern eher eine breitere Aufstellung demokratischer Wege. Außerdem trägt die Präambel viel klarer als die vorherige Verfassung dem Kampf gegen Korruption und den Bestrebungen hin zu nationaler Versöhnung Rechnung. Ebenso wie der Verteidigung der Souveränität und territorialen Integrität Malis, welche als zentrale Pfeiler im Schutz der nationalen natürlichen Ressourcen und dem damit verbundenen Ziel der Förderung des sozialen Wohlergehens nachzukommen, begriffen werden.

Als Hinweis für die Verbundenheit der Regierungen zu den Volksbewegungen kann auch der Hintergrund ihrer Anführer betrachtet werden, der in Burkina Faso und Niger interessant ist. Alassane berichtete, dass es in Niger schon 2007 Proteste gegen die ausländische Vorherrschaft im Uranabbau gegeben hatte und insgesamt eine reiche Geschichte gewerkschaftlicher und marxistischer Orientierung. Auch Tchiani war Teil einer dieser Organisiationen – der Union des Scolaires Nigériens (USN), eine Schüler- und Studierendenorganisation, die stark von Mitgliedern der zu ihrer Gründungszeit verboten kommunistischen Partei Nigers, der SAWABA, beeinflusst war. Auch wenn Tchiani sich später auf das Militär konzentrierte, scheint der Bezug zu revolutionären Bewegungen doch noch vorhanden zu sein. Dafür spricht einerseits, dass Tchiani eine Konferenz revolutionärer Organisationen in Niger im November explizit unterstützte, sowie dass seine Regierung das Wiederaufleben der Erinnerung an ehemalige revolutionäre Führer explizit unterstützt. Djibo Bakary, nach dem eine Straße in Niamey benannt wurde, war Anführer der SAWABA Partei und konsequenter Antikolonialist.

Auch in Burkina gibt es Verbindungen zu Organisationen der Volksbewegung sowie der revolutionären Geschichte des Landes. Thomas Sankara wurde 2023 zum Nationalhelden erklärt und ihm ein Feiertag gewidmet. Präsident Traoré war in der marxistischen Studierendenorganisierung Association Nationale des Etudiants Burkinabé (ANEB), weitere hochrangige Mitglieder der Regierung haben ebenso einen sozialistischen Organisationshintergrund, der kürzlich aus der Regierung entlassene Joachim Kyélem de Tambèla war sogar aktiver Sankarist. Inwiefern seine Entlassung im Dezember auf Widersprüche hindeutet, lässt sich aktuell noch nicht ausreichend einschätzen.

Hommage an Thomas Sankara

Fragilität der AES-Staaten

Der Genosse der APP-Burkindi betonte immer wieder den Fortschritt, den er den aktuellen Entwicklungen zuschreibt, mahnte aber mindestens genauso oft die von ihm ausgemachte Fragilität des Projekts AES an. Seiner Ansicht nach müsse das Militär vor diesem Hintergrund die Forderungen der Jugend noch mehr mit einbeziehen, da ja eigentlich sie die Avantgarde der Bewegung seien und auch sie es gewesen wären, die der militärischen Führung ihre ideologische Basis verliehen hätten. Der Genosse berichtete trotz Erfolgen in der Kooperation auch von einer Atmosphäre der Einschüchterung unter Teilen der progressiven Kräfte in Burkina Faso, wurde hierzu allerdings nicht konkreter. Hierzulande ist diesbezüglich vor allem das Beispiel der malischen linksliberalen Oppositionspartei Solidarité Africaine pour la Démocratie et l’Independence / Afrikanische Solidarität für Demokratie und Unabhängigkeit (SADI) bekannt. Diese arbeitet eng mit der deutschen Rosa-Luxemburg Stiftung zusammen, was zumindest zu kritischer Betrachtung dieser Partei führen sollte und uns im Gespräch mit Genossen vor Ort auch so gespiegelt wurde. Vor allem aber muss eine möglicherweise übertriebene Einschränkung von Opposition im Kontext der externen Bedrohungslage durch imperialistische Staaten begriffen werden, das betonte auch der Genosse. So wurde im August diesen Jahres bereits der fünfte Putschversuch gegen Traoré aufgedeckt und vereitelt.

Diesbezüglich betonte er auch, dass die französische Armee zwar endgültig raus aus den AES-Staaten sei, aber sich in angrenzende Länder wie Benin und Cote d’Ivoire zurückgezogen habe und von dort aus terroristische Aktivitäten unterstütze[29]. Trotz Negierungen der beninischen Regierung gibt es tatsächlich Berichte und Informationen über eine französische Militärbasis in Benin, die sich unmittelbar an der Grenze zu Niger befinden soll[30]. In nächster Nähe verläuft zudem die ökonomisch-strategisch wichtige nigrische Öl-Pipeline, welche in den vergangenen Monaten mehrmals Ziel terroristischer Attacken war, sowie im Mittelpunkt diplomatischer Streitigkeiten zwischen Niger und Benin stand.

Parlamentarisch-demokratische Machtergreifung im Senegal “vs.” militärische in AES-Staaten

Viele Genossen der DUP betonten während der Konferenz sehr positiv den durch Wahlen zustande gekommenen Machtwechsel in Senegal, welcher den Kompradoren und repressiv regierenden Macky Sall absetzte und die langjährige Oppositionspartei PASTEF von Diomaye Faye und Ousmane Sonko, ins Regierungsamt brachte. Gleichzeitig wurden aber auch die unterschiedlichen Wege im Kampf um Souveränität als wertvolle Lernmomente verstanden.

Eine große Rolle in den Protesten gegen das neokoloniale Regime von Sall spielte u.a. die Bewegung FRAPP-France Dégage, die die Konferenz in Dakar mit organisierte. Viele ihrer Mitglieder und generell Protestierende wurden festgenommen, gefoltert oder umgebracht – während westliche Medien bis zuletzt Senegal als Leuchtturm der Demokratie in Westafrika inszenierten. Genossen der FRAPP, betonten, dass berücksichtigt werden muss, dass Senegal in einem anderen Zustand als die AES-Staaten ist. Dabei bezogen sie sich vor allem auf die Bedrohung durch Terrorismus, die im Senegal weniger stark sei.

Ein genauerer Blick auf die Strategie der FRAPP bzgl. ihres Umgangs mit der jetzt amtierenden PASTEF-Regierung scheint lohnend. Aktuell nehmen sie eine kritisch-solidarische Haltung zu Fayes Partei ein, indem sie bisher getroffene oder eben nicht getroffene Regierungsmaßnahmen in einem vierteljährlichen Bericht begleitet, kritisch auswertet und je nachdem auch konkrete Vorschläge unterbreitet oder Forderungen an die Regierung stellt.

Was bspw. die ökonomische Souveränität Senegals betrifft, hatte die PASTEF-Regierung ein Projekt zur systemischen Umstrukturierung angekündigt, um Staatsschulden abzubauen und die Währungssouveränität wiederzuerlangen. So weit, so schwammig. Die FRAPP forderte daraufhin die Regierung in ihrem Bericht auf, Kredite von internationalen Finanzinstitutionen zu vermeiden, “um das Diktat der internationalen Institutionen durch den Schuldenmechanismus zu” beenden. “Diese Institutionen (IWF, WB, AFD [Agence Française de Développement – Anmerkung KO] usw.) nutzen konzessionäre oder halb konzessionäre Kredite, um multinationalen Unternehmen den roten Teppich auszurollen (gebundene Schulden) oder um die öffentliche Politik von Ländern in Schwierigkeiten zu bringen (Anpassungsprogramme). Dieses traditionelle Muster hält unsere strukturelle Abhängigkeit aufrecht, weshalb ein Paradigmenwechsel und die Mobilisierung inländischer Ressourcen notwendig sind.” Weiter konstatiert die FRAPP: “Nach 79 Jahren französischer Bevormundung im Zusammenhang mit dem CFA-Franc müssen wir unsere Währungssouveränität wiedererlangen, um eine Währungspolitik im Dienste des Wirtschaftswachstums und der Vollbeschäftigung zu konzipieren und umzusetzen.”[31] Dafür verlangt die Bewegung den zwingenden Ausschluss Frankreichs aus der Verwaltungsebene der Währung.

Die FRAPP kritisiert noch viele andere Zustände, wie die weiterhin existierenden ausländischen Militärbasen im Land oder auch unzureichende staatliche Preisregulierungen und Subventionen im Sinne einer weitreichenden Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards. Wie bereits oben beschrieben, gibt es nun auch Mehrheiten im Parlament, mit denen die Regierung weiterer Schritte umsetzen kann und sich nicht mehr auf dieses Problem als Begründung für ihre Zurückhaltung beziehen kann.

Verstaatlichung statt Ausverkauf in Niger

Was konkrete Maßnahmen anbelangt, schafft die Tchiani-Regierung in Niger seit ihrer Machtübernahme deutliche Fakten. So berichtete uns der Genosse der ORDN von der erfolgreichen Verstaatlichung des Wassersektors Anfang des Jahres. Nach über 22 Jahren Fremdbestimmung in Sachen Wasserversorgung, dankte die französische Veolia ab und die neu gegründete Nigérienne des Eaux nahm das Zepter in die Hand. Aktuell hat nur ca. die Hälfte der nigrischen Bevölkerung Zugang zu Trinkwasser. Das soll sich nun ändern. Bis 2030 plant die nigrische Regierung eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen[32].

Darüber hinaus werden auch weiterhin Pläne zur Verstaatlichung wichtiger Bergbauminen und Ölfelder umgesetzt. Ende Oktober musste u.a. der französische Energiekonzern Orano seine Uranproduktion komplett einstellen. Nachdem Niger Orano im Juni bereits die Lizenz für den Betrieb der Imouraren-Mine entzogen hatte, war Somair die letzte noch in Produktion befindliche Mine unter französischer Kontrolle gewesen[33]. Orano begründete seinen Rückzug u.a. mit den geschlossenen Grenzen zu Benin, die seit geraumer Zeit den Rohstoff-Transport zum Hafen in Cotonou unterbinden, und den damit verbundenen finanziellen Einbußen. Die geschlossenen Grenzen waren zunächst Resultat der Sanktionen, welche die ECOWAS gegen Niger nach dem Militärputsch im Sommer 2023 verhängte. Diese wurden zwar im Frühjahr dieses Jahres aufgehoben, doch behielt sich Niger aufgrund von Sicherheitsbedenken und der vermuteten Beherbergung französischer Militärs und deren Unterstützung für terroristische Gruppen vor, die Grenzen weiterhin geschlossen zu halten. Daraufhin unterband Benin die Verschiffung des Öls der wichtigen nigrisch-chinesischen Öl-Pipeline[34]. Diese läuft mittlerweile wieder, doch die Grenzen bleiben geschlossen.

Bei der weiteren Beschäftigung mit den Entwicklungen im Sahel wird es sehr wichtig sein, die Rolle von prowestlichen Regierungen wie Talon in Benin oder auch Ouattara in Cote d’Ivoire genau zu verfolgen. Mit großer Zuversicht sollte allerdings die Ankündigung Nigers vom September aufgenommen werden, die Timersoi National Uranium Company (TNUC) aus der Taufe zu heben. Dieses neue staatliche Unternehmen soll in Zukunft die Urangewinnung organisieren[35].

Es stellt sich natürlich die Frage, inwiefern ein in Unterentwicklung gehaltenes Land wie Niger in der Lage ist, den Abbau und die Verarbeitung seiner Ressourcen selbst zu organisieren. Dazu präsentierte der Genosse der ORDN einen pragmatischen Ansatz, der sicherlich große Risiken birgt, aber aktuell den Stand des Möglichen darzustellen scheint: Niger lege vor allem neue Bedingungen fest – wer sie dann letztendlich erfülle, sei nachrangig. So erzählte er sehr optimistisch von einem Abkommen mit dem kanadischen Kernenergie- und Rüstungsunternehmen Global Atomic, welches laut seinen Einschätzungen im Gegensatz zu den französischen Verträgen eine “Win-Win-Situation” impliziere. Der Konzern erhielt von Niger die nötigen Befugnisse für die Umsetzung des wichtigen Dasa-Uranprojekts, das die Förderung von Erz ermöglichen soll, um anschließend v.a. Nordamerika und einen europäischen Stromversorger zu bedienen[36]. Doch gleichzeitig verpflichte sich der Konzern dazu, nigrische Fachkräfte auszubilden bzw. zu qualifizieren und so mittelfristig einen Technologie-Transfer zu ermöglichen. In 5 bis 10 Jahren solle Niger dann in der Lage sein, die Rohstoffgewinnung eigenständig sowie national zu organisieren.

Panafrikanismus – Vision für die Emanzipation des afrikanischen Kontinents

Die Diskussionen auf dem Kongress drehten sich vorrangig um die Frage, was progressiver Panafrikanismus heute bedeutet. Besonders hervorzuheben sind die Redebeiträge von Booker Omole (Kommunistische Partei Kenia – CPMK) und Philippe Toyo Noudjenoumè (Vorsitzender der West African Peoples Organisation – WAPO und der Kommunistischen Partei Benin). Noudjenoumè stellte außerdem die Entwicklung des Panafrikanismus dar, der als Begriff in der Vorbereitung des 1. Panafrikanischen Kongresses in London 1900 aufkam. Fortan wurde die Bewegung stark von Afrikanern aus der Diaspora geprägt wie etwa W.E.B. du Bois und Marcus Garvey, welche beide zu den Gründervätern der Bewegung gezählt werden.[37] In den folgenden Jahrzehnten entwickelten sich jedoch auch immer mehr Bewegungen auf dem afrikanischen Kontinent, die sich auf den Panafrikanismus als Befreiungsideologie bezogen.

Ohne hier zu detailliert auf die Entstehung und Entwicklung der panafrikanischen Bewegung eingehen zu können, die definitiv eine gesonderte Untersuchung wert wäre, sollen zumindest ihre grundlegenden Ziele kurz dargelegt werden. Der Panafrikanismus stützte sich auf die Idee Afrika wieder zu vereinen, als Gegenbewegung zur Zerstückelung durch Sklaverei und Kolonialismus, wodurch Afrikaner in der ganzen Welt verteilt wurden. Die Forderungen konzentrierten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich auf den Kampf gegen Rassismus und Unterdrückung und fanden primär in der Diaspora statt. Da dies auch Jahrhunderte lang die ideologische Rechtfertigung für die Unterdrückung war, wurde ein rassisches Konstrukt wesentlicher Teil der Befreiungsideologie, im Sinne der Schwarzen Selbstermächtigung gegen die weißen Herrscher. Das hatte natürlich viele fortschrittliche Aspekte in der Entwicklung der antikolonialen Bewegung und besitzt sie auch teilweise weiterhin, jedoch mit Grenzen und Fallstricken. Es muss kritisiert werden, wenn Hautfarbe statt Klasse zum Kriterium des Kampfes wird, wie die Redner der Konferenz darstellen. Es ging auch damals mit vielen Diskussionen einher. Beispielsweise dazu, wie konsequent mit dem Kolonialismus gebrochen werden sollte, wo die Kämpfe primär stattfinden sollten und auch zum Verhältnis zur kommunistischen Bewegung. Mit dem zunehmenden Verlangen nach der Abschüttelung des Kolonialismus, kann der 5. Kongress 1945 in Manchester unter Führung von George Padmore und Kwame Nkrumah als Wendepunkt gesehen werden, ab dem die panafrikanische Bewegung die nationale Befreiung auf dem afrikanischen Kontinent in den Fokus stellte. Noudjenoumèbeschreibt, wie Nkrumah, “eine neue, militantere und auf die Arbeiterklasse ausgerichtete Dimension” auf die panafrikanische Bewegung anwandte. Die Balance zwischen nationalen Zielen und den kontinentalen Missionen der Bewegung zu halten, die unterschiedlichen Kämpfe in der Diaspora um Rechte dort und in Afrika, begleitete die panafrikanischen Strategiedebatten in den folgenden Jahrzehnten und auch noch bis heute[38].

Noudjenoumè stellte in seinem Redebeitrag auf der Konferenz in Dakar folgende Definition eines progressiven Panafrikanismus dar: “den Panafrikanismus, für den wir kämpfen, als eine politische Bewegung und Ideologie, die die vollständige Unabhängigkeit, die integrale wirtschaftliche Entwicklung und die Vereinigung des afrikanischen Kontinents fördert und zu diesem Zweck die Praxis der Solidarität zwischen Afrikanern und Menschen afrikanischer Abstammung, wo immer auf der Welt sie sich befinden, unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrem physischen Erscheinungsbild, unterstützt.” Gleichzeitig machte er auch auf die Widersprüche aufmerksam, welche die panafrikanische Bewegung in sich trägt.

So unterscheidet er verschiedene Spielarten des Panafrikanismus:

  1. großbürgerlicher Panafrikanismus: zielt auf die Vereinigung Afrikas durch afrikanische Kapitalisten ab
  2. kemitischer Panafrikanismus: dieser Panafrikanismus schließe den arabisch-berberischen Teil der Afrikaner aus und beruht auf einer Vereinigung reduziert auf die Hautfarbe, er sei vor allem in intellektuellen Kreisen verbreitet
  3. populistisch, kleinbürgerlicher Panafrikanismus: ziele v.a. auf afrikanische Diaspora ab und verkörpere einen “Panafrikanismus ohne jegliche Verankerung in der inneren Situation und mit ausländischem Konsum”
  4. revolutionärer Panafrikanismus: lege den Fokus auf die revolutionäre Transformation in den Ländern

Auch Booker Omole von der Kommunistischen Partei Kenias betonte die Relevanz eines progressiven Panafrikanismus, der sich auf die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus stütze. Er warnte vor Konzepten wie der Negritudé, die die Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse nicht in den Blick nehmen würden und stattdessen ein romantisiertes Bild der Vergangenheit entwerfen würden.

Der Blick auf die Spielarten bleibt schlaglichtartig, sollte jedoch an dieser Stelle nicht ausgespart werden, da die Diskussion um Panafrikanismus virulent in der afrikanischen Befreiungsbewegung ist und die Beschäftigung damit insofern notwendig. Nicht zuletzt die Gründung der Allianz der Sahelstaaten und der damit einhergehende Prozess über die kolonialen Grenzen hinweg an einer souveränen Entwicklungsperspektive zu arbeiten, zeigt die praktische Relevanz.

Wie weiter? Ein Kontinent im Aufbruch

Die Situation im Sahel ist geprägt von revolutionärem Elan und schnellen Dynamiken. Während wir diesen Text verfassten, fand in Niger vom 19.-21. November die “Konferenz in Solidarität mit den Völkern der Sahelzone” statt, die die WAPO und Pan Africanism Today (PAT) ausrichteten. An ihr nahmen Vertreter von Gewerkschaften, Bauernorganisationen, Kommunistischen Parteien und anderen fortschrittlichen Organisationen aus Afrika teil. Die Konferenz wurde von der Regierung Nigers ausdrücklich unterstützt.

Sie bestärkte die Stimmung revolutionären Elans, die wir auch in Senegal wahrnehmen konnten. Der afrikanische Kontinent ist in Bewegung. Der Aufschwung, der den Kontinent erfasst hat, findet nicht nur in Westafrika statt, sondern auch in Kenia, wo viele Genossen ihr Leben im Kampf gegen die neokoloniale Regierung verlieren, und weiteren Ländern.

Dabei sind die heutigen antiimperialistischen Kräfte keinesfalls naiv. Sie wissen um die Fragilität jeglicher antiimperialistischen Bewegung und setzen genau deshalb den Fokus auf die Verteidigung der AES-Staaten. Sie sind sich gleichfalls der Begrenztheit der AES-Staaten bewusst. Wir nahmen eine intensive Auseinandersetzung mit den historischen Erfahrungen der antiimperialistischen Kämpfe wahr, den Drang nach Bildung, sowie lebendigen Austausch über Strategie und Taktik.

Davon können wir lernen und uns inspirieren lassen. Gleichzeitig sollten wir unsere Verantwortung für den antiimperialistischen Kampf im imperialistischen Zentrum ernst nehmen. 

Wir müssen die Rolle des deutschen und NATO-Imperialismus in Afrika besser verstehen und eine starke antiimperialistische Bewegung aufbauen, um ihn zu schwächen. Wir müssen die Kämpfe und Entwicklungen vor Ort besser verstehen, hier Bewusstsein über sie schaffen und über die verzerrten Narrative deutscher Medien diesbezüglich aufklären, die sich bis in linke Kreise erstrecken. Die progressiven Kräfte in der Region führen lebendige und richtungsweisende Debatten in der Region und sie formieren sich. Lasst es uns ihnen gleichtun und gemeinsam eine starke antiimperialistische Front aufbauen.

A BAS L’IMPERIALISME – DOWN WITH IMPERIALISM

A BAS NEOCOLONIALISME – DOWN WITH NEOCOLONIALISM

A BAS LA FRANCEAFRIQUE – DOWN WITH FRANCEAFRIQUE

VIVE LE PEUPLE SAHELIENNE – LONG LIVE THE PEOPLE OF THE SAHEL

LA PATRIE OU LA MORT, NOUS VAINCRONS – HOMELAND OR DEATH, WE SHALL OVERCOME

Anhang

Niamey-Erklärung

21. November 2024

Solidarität mit den Völkern der Sahelzone: Für antiimperialistische Einheit, Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern

Teilnehmer aus verschiedenen Teilen der Welt – Amerika, Asien und Afrika – nahmen an der Konferenz in Solidarität mit den Völkern der Sahelzone teil. Diese Veranstaltung wurde von der West African Peoples‘ Organisation (WAPO) und dem Pan Africanism Today Sekretariat (PAT) organisiert. Sie fand vom 19. bis 21. November 2024 im Mahatma Gandhi International Conference Centre in Niamey unter dem Motto „Für antiimperialistische Einheit, Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern“ statt. Wir geben hiermit die folgende Erklärung ab:

I. Internationaler Kontext

Die Welt steht vor einer mehrdimensionalen Krise am Rande eines dritten Weltkriegs, der durch die aggressiven und offensiven Aktionen imperialistischer Mächte unter der Führung der Vereinigten Staaten und ihrer NATO-Verbündeten gekennzeichnet ist. Diese Mächte begehen Handlungen, die ihren Niedergang signalisieren – darunter die Anordnung von Massakern und Völkermorden in Gaza und im Libanon und die Entfachung von Kriegen von der Ukraine bis zur Westsahara und zum Sudan. Sie schüren zahlreiche provokative Aktionen in Südostasien, halten eine seit über sechs Jahrzehnten andauernde illegale Blockade gegen Kuba aufrecht und verhängen im Rahmen ihrer globalen Tyrannei Sanktionen gegen das venezolanische Volk.

Als Teilnehmer der Konferenz in Solidarität mit den Völkern der Sahelzone verurteilen wir diese Handlungen aufs Schärfste, die wir als Treibstoff für einen möglichen umfassenden dritten Weltkrieg betrachten. Wir machen die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten für diese Handlungen verantwortlich und fordern eine sofortige Einstellung der Gräueltaten in Gaza und im Libanon, ein Ende der Blockaden gegen Kuba und Venezuela und ein Ende der imperialistischen Provokationen weltweit für den Frieden der Menschheit.

II. Afrikanischer Kontext und besonderer Fokus auf die Sahelzone

1. Vor 140 Jahren, am 15. November 1884, kamen vierzehn europäische Kolonialmächte unter der Führung des deutschen Reichskanzlers Bismarck in Berlin zusammen, um den afrikanischen Kontinent zu ihrem Vorteil aufzuteilen. Nach Jahrhunderten der Ausbeutung von Millionen afrikanischer Arbeiter durch Sklaverei besetzten diese europäischen Nationen Afrika physisch, um seine reichen natürlichen Ressourcen auszubeuten.

2. Während dieser Aufteilung beanspruchten Frankreich und das Vereinigte Königreich die größten Teile Westafrikas. Frankreich kontrollierte schließlich große Teile der Sahelzone und übernahm die vermeintlich weniger fruchtbaren Wüstenregionen, während das Vereinigte Königreich die fruchtbareren und bevölkerungsreicheren Regionen Afrikas besetzte.

3. Obwohl heldenhafte Befreiungskämpfe geführt und bedeutende Erfolge erzielt wurden, führte die Unabhängigkeit in den 1960er Jahren nicht zu echter Souveränität, insbesondere nicht für die französischen Kolonien. Die Nationen der A.E.S. blieben als „französische Enklaven“ in Afrika gefesselt, wo alle Aspekte der Souveränität, von der Währung und Verteidigung bis hin zu den natürlichen Ressourcen, von Frankreich über Marionettenregierungen kontrolliert wurden, die durch eine ständige Militärpräsenz unter Druck gesetzt wurden. Die anhaltende Ausbeutung machte die sogenannten frankophonen afrikanischen Staaten zu den ärmsten der Welt, wobei Niger ein ergreifendes Beispiel ist.

4. Die jüngsten Staatsstreiche in Mali, Burkina Faso und Niger sind darauf zurückzuführen, dass es den Machthabern nicht gelungen ist, ihre Nationen vor der imperialen Aggression Frankreichs zu schützen, und dass sie terroristische Kräfte gefördert haben. Dazu gehört auch die Duldung und Komplizenschaft dieser ehemaligen Regierungen mit Terroristen bei den Massakern an der Bevölkerung. Diese Staatsstreiche spiegeln auch die weit verbreitete Unzufriedenheit und den Ruf nach grundlegenden Veränderungen in diesen Ländern wider.

III. Unterstützung für die entschlossenen Völker und Führer der Allianz der Sahelstaaten (AES)

1. Wir loben die Regierungen, die aus den jüngsten Staatsstreichen hervorgegangen sind, für die Verabschiedung patriotischer Maßnahmen zur Wiedererlangung der politischen und wirtschaftlichen Souveränität über ihre Gebiete und natürlichen Ressourcen. Zu diesen Maßnahmen gehören die Beendigung neokolonialer Abkommen, die Forderung nach Abzug französischer, amerikanischer und anderer ausländischer Truppen sowie die Umsetzung ehrgeiziger Pläne für eine souveräne Entwicklung.

2. Wir sind besonders ermutigt durch die Bildung der Allianz der Sahelstaaten durch diese Länder. Dieser Schritt belebt das Erbe der panafrikanischen Führer und stellt einen konkreten Schritt in Richtung wahrer Unabhängigkeit und panafrikanischer Einheit dar.

3. Diese Regierungen genießen derzeit breite Unterstützung durch ihre Bürger, die diese revolutionären Aktionen vorantreiben und sich dafür einsetzen. Diese Einheit ist für die Verwirklichung demokratischer und patriotischer Ideale von entscheidender Bedeutung und ein erstrebenswertes Entwicklungsmodell für andere afrikanische Nationen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar noch viel für die vollständige Befreiung der Sahelstaaten getan werden muss, wir aber optimistisch sind, dass diese Regierungen, indem sie weiterhin auf ihr Volk hören, ihre Ziele für eine vollständige nationale Befreiung erreichen und zum umfassenderen Ziel eines geeinten und freien Afrikas beitragen werden.

Wir stehen an der Seite der populären und revolutionären Kräfte in der Sahelzone in ihrem Kampf für die vollständige und totale Souveränität. Wir verlassen Niamey mit der Verpflichtung, die Fortschritte, die die Menschen in der Sahelzone gemacht haben, zu verteidigen und die internationalistischen Kräfte auf der ganzen Welt für dieses Ziel zu mobilisieren.

Es lebe der Patriotismus, der Antiimperialismus und der Panafrikanismus!

Frankreich und seine Verbündeten, zieht euch zurück!

Die Teilnehmer.


[1]https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/202989/bismarck-und-der-kolonialismus/?p=all

[2]https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7963

[3]https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7963

[4]https://kommunistische-organisation.de/bericht/haende-weg-von-niger-protestaktionen-in-frankfurt-und-duesseldorf/

[5]https://www.marx21.de/putsch-stuerzt-pro-westlichen-praesidenten/

https://kommunistischepartei.de/stellungnahmen/schlachtfeld-sahelzone

[6] https://kommunistische-organisation.de/artikel/ignoranz-von-100-jahren-unserer-geschichte/#_Toc122616389

[7] Edlinger, Lanier (Hrsg.) (2022): Krisenregion Sahel. Hintergründe, Analysen, Berichte. Promedia Verlag: S. 11ff.

[8] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/5832

[9]https://www.reuters.com/world/africa/mali-burkina-niger-launch-biometric-passports-under-new-alliance-2024-09-15/

[10]https://africa-news-agency.com/aes-elimination-of-roaming-fees-between-mali-niger-and-burkina-faso/

[11]https://www.fides.org/en/news/75548-AFRICA_NIGER_Cereals_and_pulses_export_ban_exceptions_apply_to_Mali_and_Burkina_Faso#:~:text=Niamey%20(Agenzia%20Fides)%20%2D%20The,%2C%20Mali%20and%20Burkina%20Faso).

[12]https://wadr.org/malis-transitional-authorities-nationalize-yatela-gold-mine/

[13]https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/mali-erpresst-goldkonzerne-millionen-an-loesegeld-fuer-topmanager-110157910.html

[14]https://www.africanews.com/2024/11/14/new-era-of-sovereignty-in-malis-gold-sector-business-africa//

[15]https://mronline.org/2024/09/13/burkina-faso-nationalizes-uk-goldmines/

[16]https://westafricareport.com/2023/10/27/burkina-faso-military-government-announce-nationalisation-of-sugar-sector/

[17]https://libyaobserver.ly/inbrief/burkina-faso-nationalizes-libyan-arab-bank-commerce-and-development

[18]https://wavn.org/burkina-faso-inaugurates-a-7-5-billion-cfa-tomato-processing-plant-to-boost-agriculture/

[19]https://energycentral.com/news/burkina-faso-partners-russia-build-first-nuclear-plant-0

[20]https://www.berliner-zeitung.de/news/losloesung-von-kolonialmacht-niger-benennt-zahlreiche-strassen-und-plaetze-um-li.2263738

[21]https://www.jungewelt.de/artikel/472224.senegal-panafrikanist-gewinnt.html

[22]https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/senegal-2023

[23]https://www.middleeasteye.net/news/chad-and-senegal-end-military-ties-paris-what-next-france-sahel

[24]https://monitortribune.com/?p=6693https://www.finances.gov.bf/forum/detail-actualites?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=667&cHash=5dd315a88895742a3218ef0274a68daa

[25]https://olafbernau.de/2021/12/23/widerspruechliche-lage-in-mali-trotz-gewalt-und-repression-breite-beteiligung-der-bevoelkerung-an-nationalen-versammlungen/

[26]https://www.jungewelt.de/artikel/447379.konfliktherd-sahel-alle-macht-dem-pr%C3%A4sidenten.html

[27]https://www.jungewelt.de/artikel/453449.malier-stimmen-f%C3%BCr-neue-verfassung.html

[28] https://taz.de/Nach-drei-Jahren-Militaerregierung/!5974027/

[29]https://www.aa.com.tr/en/africa/burkina-faso-accuses-france-of-destabilization-in-complicity-with-benin-ivory-coast/3272883

[30]https://turdef.com/article/witness-unveils-france-s-discreet-military-base-in-benin

[31]Rapport Trimestriel de Suivi des Actions Gouvernementales (April-Mai-Juin 2024) / FRAPP

[32]https://www.afrik21.africa/en/niger-following-the-departure-of-frances-veolia-nigerienne-des-eaux-is-launched/

[33]https://www.rfi.fr/en/africa/20241024-orano-halts-uranium-output-at-niger-s-arlit-mine-amid-financial-strain

[34]https://www.agenzianova.com/de/news/Niger-Benin-Tauziehen-um-%C3%96l-Das-Thema-und-erneut-die-franz%C3%B6sische-Pr%C3%A4senz-in-der-Sahelzone/

[35]https://theelectricityhub.com/niger-junta-slams-orano-eyes-new-uranium-deals/

[36]https://www.jungewelt.de/artikel/486746.uran-aus-dem-niger-neue-herren-des-urans.html

[37]https://www.theelephant.info/analysis/2021/06/26/pan-africanism-and-the-unfinished-tasks-of-liberation-and-social-emancipation-taking-stock-of-50-years-of-african-independence/

[38]vgl. ebd.

Aktuelles

Im Februar startet der „Studiengang zur Geschichte des Kommunismus“

In einem dreijährigen Lern- und Diskussionsprozess soll aus den historischen Erfahrungen, Niederlagen, Fehlern und Erfolgen der Bewegung gelernt werden. Die Kämpfe sollen in den historischen Kontext eingeordnet werden, um sie besser zu verstehen. Welche Widersprüche in der Welt haben zu welchen Widersprüchen in der Bewegung geführt und welche Schlüsse sind daraus für heute abzuleiten? Das ist die Fragestellung, die sich durch die Beschäftigung mit der Geschichte zieht.

„Die in Europa gestrandeten ‚Verdammten dieser Erde‘ müssen sich vereinen“

Anlässlich des 20. Todestags von Oury Jalloh haben wir zwei Genossen von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen interviewt.Mit ihnen haben wir über die Morde an Oury Jalloh und anderen Opfern von Polizeigewalt, über die kolonialen Wurzeln des in Deutschland herrschenden Rassismus und über die Zusammenhänge zwischen Kolonialismus, Imperialismus, Flucht und Migration gesprochen.