Ein Kommentar von Alexander Kiknadze
Erstmals seit 2021 laufen wieder Verhandlungen zwischen Russland und den USA. Der amerikanische Vizepräsident kritisiert auf der Münchener Sicherheitskonferenz die EU für einen Mangel an Demokratie und fordert im gleichen Atemzug größere Militärausgaben der EU-Staaten. Die Politik in Deutschland läuft einerseits Sturm, weil sie bei der Erklärung, warum Verhandlungen mit Russland nun doch plötzlich möglich seien, in Erklärungsnot gerät. Anderseits werden die Aussagen von Hegseth und Vance als „Chance“ für Europa interpretiert, sich jetzt ernsthaft selbstständig aufstellen zu können.
Was passiert?
Der Westen hat sein 2022 formuliertes Kriegsziel nicht erreicht: Russland wurde keine vollständige strategische Niederlage zugeführt. Russland hat dem Westen in der Ukraine eine Grenze aufgezeigt. Auch wenn die Nachwirkungen der Sanktionen noch in den Sternen stehen, zurzeit erfüllen sie ihre Wirkung nicht. Ganz im Gegenteil scheinen sie die Desintegration des Westens, und die Integration des sogenannten globalen Südens mit Russland und China zu stärken. Auch die Waffenlieferungen erzielen keine besonderen Fortschritte auf dem Kampffeld. Als letzter Eskalationsschritt wurde dann Ende 2024 der russische Wille und die Fähigkeit, einen Nuklearkrieg zu führen, praktisch ausgetestet: Auf diesen Beschuss des eigenen Territoriums durch westliche Mittelstreckenraketen hat Russland seinerseits deeskaliert: mit dem Einsatz der leeren, durchaus aber nuklear bestückbaren Oreshnik-Rakete haben sie gezeigt, dass sie praktisch in der Lage wären, symmetrisch auf solche Angriffe zu reagieren. Nach diesem Warnschuss mit dieser neuartigen Rakete zogen sich die westlichen Militärs zurück und mussten diese neue Lage beraten. In den hiesigen Medien ist davon seitdem nicht mehr viel zu hören.
Die USA sind also an eine Grenze gestoßen. Sie gehen deshalb nun einen Schritt vorwärts und zwei Schritte zurück. Ihnen wurde praktisch aufgezeigt, dass mit dieser Kriegsführung Russland keine strategische Niederlage zugeführt wird- ganz im Gegenteil. Der Konflikt wurde in den letzten drei Jahren auf eine globale Ebene gehoben. Er wird deshalb nun in der Dimension eines baldigen Weltkriegs gedacht. Der wird nun praktisch vorbereitet.
Dafür braucht es wohl nun- erstmal- eine Atempause in der Ukraine. Um einen großen Krieg gegen China ernsthaft führen zu können, muss das russisch-chinesische Bündnis getrennt werden. Es braucht darüber hinaus eine EU, die ökonomisch, militärisch und ideologisch-geistig bereit ist, in Europa einen Krieg führen zu können und zu wollen. So weit sind sie noch nicht. Der Waffenstillstand soll Zeit verschaffen. Er soll mit Zuckerbrot ( Angebot der Lockerung der Sanktionen und Wiedereinführung der russisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen, Anerkennung der Territorialgewinne) und Peitsche (Androhung der Verschärfung von Sanktionen, weitere Aufrüstung der Ukraine) erreicht werden. Es werden in diesen Verhandlungen also genau die Waffen gegen Russland in Anschlag gebracht, die man bereits seit 2014 gegen das Land nutzt.
Die ökonomische, militärische und geistige Zurichtung Europas auf Krieg geht vor allem mit Faschisten. Diese Kräfte formieren sich schon längst in Europa und werden nun auch, zuletzt bei der CPAC-Konferenz, öffentlichkeitswirksam von den Republikanern unterstützt. Die AfD in Deutschland fordert (bisher) als einzige Partei 5% des BIP für Militärausgaben. Sie fordern eine geistige Wende in Deutschland, die an die alte, militaristische Werte anknüpft, sie stehen für Geschichtsrevisionismus von rechts und wollen von Moralpredigten gegen den neuen deutschen Militarismus nichts hören. Sie stehen für einen aktuell gemäßigteren Kurs gegenüber Russland: Mit Bezug auf Bismarcks Russlandpolitik argumentierte Alexander Gauland in seinen „außenpolitischen Thesen“1, dass die Politik der Ampelregierung gegenüber Russland „unrealistisch“ sei. Ihr Problem mit der Ampelregierung ist nicht, dass dass sie Krieg gegen Russland führt, sondern wie sie das tut. Abhilfe tut not. Die AfD ist keine prorussische Partei.
Der Aufschrei über den vermeintlichen Nichteinbezug der EU in die amerikanisch-russischen Gespräche geht nicht an die Adresse der USA. Er ist ein Weckruf nach innen, an die Bevölkerung der EU: „Jetzt sei es an der Zeit“, die EU wirtschaftlich und militärisch wirklich zu einem Schwergewicht aufzubauen, das in der Lage ist Krieg zu führen. Mehr Aufrüstung, wirtschaftliche Abkopplung von China und Russland, gemeinsame Anstrengungen zu mehr Koordination in den militärischen Aktivitäten, geistige Wende etc. Das sind genau die Dinge, die aus den USA gefordert werden. Und hier treffen sich CDU, SPD, Grüne, FDP, zum Teil auch BSW und Linke mit der AfD.
Für die Bevölkerung der Ukraine wird der Waffenstillstand teuer erkauft. Die Regierung wird mit 500 Mrd. USD, dem dreifachen des ukrainischen BIP von 2023, zu Rückzahlungen gezwungen, die den Versailler Vertrag bei weitem übertreffen. Es ist klar, dass die Ukraine mit einem solchen Deal wirtschaftlich endgültig in den Status einer finanziell erpressbaren Kriegskolonie gebracht wird. Wer diese Zukunft der Ukraine mit seinem Gesicht „regieren“ soll, ist aktuell Gegenstand von Auseinandersetzungen vor Ort: Vor kurzem wurden Selenskijs wichtigste Widersacher Petro Poroshenko und Igor Kolomojskij sanktioniert; regierungskritische ukrainische Medien schreiben, dass ihnen Verhaftung drohe, weil sie mit ihrer Medienmacht Selenskij den Kopf kosten könnten2.
Die russische Regierung versteht diese Entwicklungen. Ob die Ambitionen, mit dem Vorsitzenden des Direktinvestitionsfonds und Ex-Goldman-Sachs Banker Dmtri Kiryliev die russisch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen wieder aufzubauen, Ausdruck von Opportunismus oder ein Ausnutzen der Situation mit dem Ziel der Lockerung der Sanktionen ist, wird sich am Ergebnis zeigen. Unabhängig davon sind Präsident und Regierung deutlich: An ihrer Position, dass die ursprünglichen Kriegsziele, also die vollständige Entmilitarisierung und Neutralität der Ukraine, erreicht werden müssen, hat sich nichts geändert. Alle Regierungsmitglieder lassen verlautbaren, dass ein Waffenstillstand nicht akzeptiert würde, sollten ebendiese Ursachen des Konflikts nicht beseitigt werden. Westliche „Sicherheitsgarantien“ mit Truppenstationierungen an den neuen Grenzen sind für Russland inakzeptabel. Sie wissen, was Minsk II gebracht hat.
In den Kreisen der Friedensbewegung werden die jüngsten Verhandlungen manchmal als große Hoffnung bezeichnet. Ein nachvollziehbares Gefühl nach drei Jahren Eskalations- und Militarisierungskurs in Deutschland. Es darf aber nicht davon ablenken, was das Ziel der Verhandlungen seitens des Imperialismus in der Sache ist: Die Vorbereitung auf den nächsten, größeren Krieg.
1https://www.youtube.com/watch?si=45wI1_DxwId0A9j8&v=5uPdKosfDno&feature=youtu.be (letzter Aufruf 24.2.25)
2https://strana.today/articles/analysis/480002-sanktsii-protiv-petra-poroshenko-i-kolomojskoho-chto-eto-znachit.html (letzter Aufruf 24.2.25)