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Wie die Liberalen den Faschisten (mal wieder) den Weg bereiten

Anmerkung: Bei Beiträgen handelt es sich nicht zwangsläufig um Positionen der Kommunistischen Organisation.

Von Noel Bamen

Seit ich diesen Text angefangen habe zu schreiben, hat der Amoklauf der Exekutiven in Deutschland ein weiteres Opfer gefordert: Nach Samidoun, Hamas, Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) und Compact wurde vor wenigen Tagen auch das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) vom Innenministerium verboten. Auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Verbote wird in Kürze ein anderer Text eingehen. Klar dürfte aber jetzt schon sein: Die verbotenen Organisationen hatten über ihre sonst beträchtlichen (vor allem ideologischen) Unterschiede hinweg eines gemein. Und zwar standen sie alle politisch in der einen oder anderen Weise (Gaza-Genozid oder Ukrainekrieg) in Opposition zum außenpolitischen Kurs der Ampelregierung und damit zur zumindest aktuellen Strategie des deutschen Imperialismus.

Compact: Weder Antiimperialismus noch Ampelimperialismus

Das gilt auch für das rechtsradikale Compact-Magazin, das 2010 als Monatszeitschrift gegründet wurde.1 Ich werde mich hier nicht an einer Analyse der politischen Stoßrichtung(en) von Compact versuchen. Es reicht darauf hinzuweisen, dass sein Gründer und Chefredakteur Jürgen Elsässer Ende der 1980er Jahre im Kommunistischen Bund (KB) war, Anfang der 1990er zu den Gründungsvätern der sog. „Antideutschen“ zählte, um dann in den 2000er Jahren einen Schwenk (zurück) ins linke antiimperialistische Lager zu machen, wobei er schon damals auf deutsch-konservative Akteure zuging. Die offene Wende zur radikalen Rechten vollzogen Elsässer und Compact aber erst gegen Mitte der 2010er Jahre, als sie sich auf die Seite von PEGIDA und Co schlugen und offen rassistisch gegen Geflüchtete hetzten. Mittlerweile sind sie fest im (neu)rechten Sumpf verankert und werben für die AfD, wobei man sie wohl als „strömungsübergreifend“ (Rechtskonservative, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Neurechte, Ex-NPDler usw.) bezeichnen kann.

Elsässer ist also heute (wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen) genauso wenig Antiimperialist wie er es war, als er 1997 daran beteiligt war, die „antideutsche“ Zeitung Jungle World aus der Taufe zu heben. Aber ähnlich wie die „Antideutschen“ der 1990er, die zwar den ersten Krieg gegen den Irak (1991) abfeierten, aber immerhin die von Deutschland mit angeführte Zerstörung Jugoslawiens ablehnten, gibt es auch heute bei Elsässer und Compact konkrete Positionen, die dem aktuellen Kurs des deutschen Imperialismus zuwiderlaufen: Wie bei der AfD und anderen Teilen des rechten Spektrums geht es dabei vor allem um die Kritik an der bedingungslosen Hingabe der Ampelregierung an den anti-russischen Kriegskurs, von dem Deutschland nichts habe.

Grüne und Sozialdemokraten radikal rechts

Die rot-grünen Regierungen (die FDP lasse ich wegen ihrer letztlichen Bedeutungslosigkeit hier einmal außen vor) von 1998-2005 und von 2021 bis jetzt sind in ihrer Innenpolitik die wohl reaktionärsten, die Deutschland seit Adenauer, und in ihrer Außenpolitik die aggressivsten, die es seit Hitler hatte: imperialistische Angriffs- und Stellvertreterkriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und Russland und offene Unterstützung für den Genozid in Gaza im Ausland, radikale Einschränkung der Meinungsfreiheit und massive Angriffe auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gepaart mit einer gigantischen Militarisierung im Inland. Von der Agenda 2010, der Abwälzung des Wirtschaftskriegs gegen Russland auf die deutsche Bevölkerung etc. will ich hier gar nicht anfangen.

Ich will hier auch nicht über die Begrifflichkeit „links“ und „rechts“ diskutieren, und darüber, wie zutreffend diese Bezeichnungen heute noch sind. Auch nicht über die Frage, wie sich Kommunisten zur politischen Linken verhalten müssen.2 Viel mehr will ich das Offensichtliche betonen: Rassismus, Krieg und Sozialabbau sind reaktionär – und in diesem Sinne politisch rechts. Deshalb betreiben SPD und Grüne – vollkommen unabhängig davon, was in den Köpfen ihrer Parteiführungen, -mitglieder oder -wähler abgeht – objektiv und eindeutig radikal reaktionäre, mit anderen Worten: rechte Politik.3

Stärkung der „klassischen“ Rechten 

Jenseits ihrer eigenen rechten Politik stärken diese grünen/sozialdemokratischen/linksliberalen Kriegstreiber und Rassisten auch noch die „klassischen“ Rechten. Und zwar auf drei Wegen: 

  1. Nur verschämte Rassisten wählen verkappte Rassisten, die anderen wählen das Original. Sprich: Wer die rassistische Politik der Ampel gut findet, wird dazu tendieren, diejenigen zu unterstützen, die dasselbe ganz ungeschminkt, „authentisch“ und unkompliziert machen. SPD und Grüne zeigen also allen, die es sehen wollen, offen, dass Abschiebungen, rassistische Hetze und Kriminalisierung in der Sache richtig sind, sie selber es aber so nicht labeln wollen. Damit überzeugen sie am Ende nur ihre loyale linksliberale Anhängerschaft, die sich ihren eigenen Rassismus nicht eingestehen will und ihn hinter politisch korrekter Sprache und Gerede über „Diversität“, „Feminismus“ und dergleichen mehr versteckt. Der „Rest“ wählt dann doch lieber CDU/CSU, AfD und Co.
  2. In der politischen Auswirkung noch gefährlicher ist, dass sich die Rechten angesichts der hoch aggressiven Außenpolitik von SPD und Grünen als „Friedenskraft“ darstellen können. Hier liegt letztlich die große Verwirrung um die Begriffe „links“ und „rechts“. Das ganze ist aus verschiedenen Gründen nicht einfach aufzulösen. U. a. deshalb, weil die Rechten in Europa (und in etwas anders gelagerte Weise in den Amerikas) teilweise tatsächlich Sand im Getriebe des transatlantischen Imperialismus sind, der, wenn er diese imperialistische Maschinerie schon nicht lahmlegt, zumindest immer mal wieder knirscht. (Das Gegenbeispiel ist Meloni in Italien.)
  3. In ähnlicher Weise können sich die Rechten als Vorkämpfer für die Meinungsfreiheit aufspielen. Sie punkten dabei (sicherlich auch bei verschiedenen Leuten in unterschiedlicher Weise) auf diversen Themenfeldern. Schlagworte sind u. a.: „Cancel Culture“, „Politische Korrektheit“, „Corona“, „Klima“, „Lügenpresse“, „Gesinnungsjustiz“ usw. Alles Themen, die bekanntlich auch in der kommunistischen Bewegung und unter („echten“) Linken mitunter kritisch gesehen bzw. kontrovers diskutiert werden und deren Inhalte umkämpft sind.

Was das Compact-Verbot bewirken wird

Das Compact-Verbot gibt insbesondere für die beiden letztgenannten Punkte neues Futter: Die Argumentation für das Verbot ist ähnlich absurd wie bei PSDU und Samidoun, denn es wurden keine konkreten Straftaten angeführt, sondern lediglich Meinungsäußerungen kriminalisiert. Dass im Fall von Compact darunter auch offen rassistische Meinungen waren, liegt auf der Hand. Dennoch wurden diese aber offenbar bislang nicht angezeigt, geschweige denn von einem Gericht als strafbar bewertet – was angesichts der rassistischen Normalität in der BRD kein Wunder ist. So aber bleibt der Eindruck, dass Compact für Inhalte verboten wurde, die 1. nicht strafbar sind und 2. die der Meinung vieler Menschen in Deutschland entsprechen (ob nun rassistische Ansichten über Migranten oder Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung oder Ablehnung der anti-russischen Kriegspolitik der Ampel). Daher gilt die Zeitschrift jetzt schon als Märtyrerin.

Das ganze wird noch dadurch verstärkt, dass das Bundesinnenministerium (BMI) einen Trick beim Compact-Verbot angewandt hat, der nicht ganz neu ist.4 Der aber nicht nur bei Medien und Juristen für Kritik gesorgt hat, sondern auch an einem Bestand des Verbots zweifeln lässt: Das BMI hat den Verlag in Form einer GmbH als „Verein“ gewertet und konnte so die vergleichsweise strengen Vorgaben zum Schutz der Pressefreiheit umgehen und stattdessen das sehr viel verbotsfreudigere Vereinsrecht nutzen.5

Diese Tatsache birgt noch eine weitere Möglichkeit dafür, dass die radikale Rechte gestärkt aus dem Compact-Verbot hervor geht: Wenn das Verbot nämlich gekippt wird, wird die Zeitschrift, die bisher in einer Auflage von angeblich mehr als 40.000 Stück erschien und in jedem Bahnhofskiosk auslag, fette Schadensersatzforderungen erheben. Darüber hinaus wird die Leserschaft nach einer Relegalisierung massiv steigen. Dann wird das Märtyrer- zum Kultmedium.

Die SPD hat in Form des BMI unter Führung von Nancy Faeser dem wahren Kampf gegen Rechts also wieder einmal einen Bärendienst erwiesen. Und das liegt nicht daran, dass es gut gemeint, aber schlecht gemacht war. Auch wenn ich umgekehrt nicht glaube, dass Faeser die AfD stärken will. Doch ihr „Antifaschismus“ ist, wie man sieht, selbst dann keiner, wenn er sich wirklich gegen Faschisten richtet. Es handelt sich um einen „Anti-Totalitarismus“, der rechts und (wirklich) links vorgeblich gleichermaßen ins Visier nimmt, aber letztlich immer nur nach links richtig austeilt.

Dialektik von Liberalismus und Faschismus

Wir haben weder 1933 noch fünf vor zwölf: Die Rolle der Rechten und Faschisten ist heute in Deutschland eine andere als damals, weil die globale Lage und die Lage des deutschen Imperialismus eine andere ist. Hinzu kommt, dass bürgerliche Demokratie besser funktioniert als der Faschismus an der Macht. Zwar gerät erstere aktuell in einer Krise, aber vermutlich kann sie diese Krise durch die Einbindung der Rechten lösen. Die Folge wird ein (weiterer) massiver Rechtsruck sein. Dieser Rechtsruck hat aber schon längst begonnen. Und er wird eben nicht von der AfD vorangetrieben, die ja selbst mindestens so sehr Produkt wie Subjekt dieser Entwicklung ist.

Nein, dieser Rechtsruck wird bisher in erster Linie von SPD und Grünen geformt, denn selbst die CDU  (unter Merkel in der Bundesregierung und unter Merz in der Opposition) hat bislang nur die zweite Geige dabei gespielt. Die Demo- und Vereinsverbote, die seit Oktober 2023 über das Land rollen, inklusive des Compact-Verbots, sind der neueste und heftigste innenpolitische Ausdruck davon. (Und da die meisten davon mit Palästina und dem Genozid in Gaza in Verbindung stehen, haben sie zugleich auch eine deutlich außenpolitische Komponente.) Ich will – ohne gleichzusetzen, aber die historischen Parallelen betonend  – daran erinnern, dass der Vorläufer des Ermächtingungsgesetzes, das Notstandsgesetz, bereits in der Weimarer Republik munter angewandt wurde. Auch die Internierungslager für politische Gegner und „Rotspanier“, auf die das Vichy-Regime ab 1940 zurückgriff, wurden schon in der Republik eingeführt; von den Konzentrationslagern in den Kolonien ganz abgesehen.

Die Liberalen, heute konkret: die Grünen und Sozialdemokraten schmieden also, indem sie gesellschaftlich und sogar juristisch den Weg ebnen, wieder einmal die Waffen, die ihnen dann – zu ihrer aufrichtigen Empörung – von den Faschisten aus der Hand genommen werden. Damit schaufeln sie zugleich ihr eigenes Grab. Damals war es teilweise buchstäblich so (es saßen ja durchaus viele Sozialdemokraten und auch Liberale in den Kerkern und Lagern der Faschisten). Heute, unter den veränderten Vorzeichen, ist dieses Grab wohl eher metaphorisch zu sehen: die Grünen und die SPD begehen gerade wahlpolitisch Selbstmord vor aller Augen. Die Gräber, die sie ganz real, und nicht nur metaphorisch geschaufelt haben, werden von anderen gefüllt, und zwar jetzt schon: von zehntausenden Palästinensern, Ukrainern, Russen, Geflüchteten und Migranten. Und diese Gräber werden auch dann weiter gefüllt werden, wenn dank Grünen und SPD „endlich“ auch die AfD auf Bundesebene mitgestalten darf.

  1. Vorher hatte Elsässer unter demselben Namen eine (teilweise sehr interessante) Buchreihe beim damals noch als eher links zu bezeichnenden Kai Homilius Verlag herausgegeben. ↩︎
  2. https://kommunistische-organisation.de/artikel/der-kommunismus-und-die-linke/  ↩︎
  3. https://kommunistische-organisation.de/artikel/von-der-demokratiebewegung-zur-kriegstuechtigen-volksgemeinschaft/ ↩︎
  4. Das BMI verweist selbst auf die Verbote der rechten Onlineplattform Altermedia (2016), der linken Internetplattform Linksunten-Indymedia (2017) und der kurdischen Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH (2019). https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/07/verbot-compact.html  ↩︎
  5. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/compact-vereinsverbot-pressefreiheit-bmi-faeser-elsaesser-verein-verbot  ↩︎

Aktuelles

Der Aufstand von Kenias Jugend gegen die Vorherrschaft der IWF

Dies ist eine redaktionell überarbeitete und gekürzte Version des Interviews, das wir am 3. Juli mit Mwaivu Kaluka führten. Wir sprachen über die massiven Proteste in Kenia seit dem 18. Juni. Sie wurden mit extremer Polizeigewalt beantwortet. Die Demonstranten richten sich gegen die Steuerpolitik der Regierung aber, wie Mwaivu betont, auch gegen neokoloniale Institutionen und Politik. Wir sprachen über die Aufgaben innerhalb dieser Bewegung und die Aussichten für den Aufbau einer Alternative zur Kompradorenherrschaft.

Antirassismus und Antiimperialismus gehören zusammen: Zwei Artikel zu den aktuellen Pogromen in Großbritannien

Wir spiegeln hier zwei Artikel, die auf der Website der CPGB-ML erschienen sind. Beide Texte zeigen klare Kante gegen die aktuellen Gewaltexzesse in Großbritannien, sie machen deutlich, dass Rassismus, Migration und Imperialismus nicht voneinander zu trennen sind, und sie benennen die Verantwortung der Herrschenden für den faschistischen Straßenterror.