Diskussionsbeitrag von Fritzie Stein
In unserer Diskussion um die Imperialismusanalyse im Allgemeinen, aber auch in der Diskussion um die Charakterisierung Russlands im Speziellen, stoßen wir immer wieder auf die Begriffe des Kolonialismus und Neokolonialismus. Daher habe ich mich mit den Begriffen auseinandergesetzt, auch wenn ich hier keineswegs abschließende Ergebnisse vorstellen kann. Im ersten Teil trage ich verschiedene Analysen zum Thema zusammen und versuche einen Überblick über die Begriffe zu geben. Ich habe mich dabei v.a. auf Literatur aus der DDR konzentriert, da die DDR über einen gut aufgestellten Forschungsapparat verfügte und viele Analysen zum Thema veröffentlichte. Der Text soll nur ein Aufschlag sein und müsste an vielen Stellen vertieft und qualifiziert werden. Wir sollten uns unbedingt eingehender mit den Forschungsergebnissen der DDR beschäftigen. Die Positionen im ersten Teil sind nicht alle eins zu eins meine eigene Position – im zweiten Teil stelle ich dann eigene Thesen auf und halte offene Fragen fest.
In unserer Diskussion ist mir oft folgendes Argument gegen Neokolonialismus begegnet: Davon auszugehen, dass Neokolonialismus existiere und unterdrückte Staaten nicht nur noch ein paar Ausnahmen seien, führe zwangsläufig zu Opportunismus, da dann ein Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bourgeoisie befürwortet werde. Dies ist kein gültiges Argument: Denn eine mögliche Konsequenz, die sich aus einer Analyse ergeben kann, sagt noch nichts über die Richtigkeit der Analyse selbst aus. Im Beitrag fokussiere ich mich daher auf die Analyse des Herrschaftsverhältnisses in der Welt, worüber wir uns in einem ersten Schritt Klarheit verschaffen sollten. Um die komplexen Fragen von Strategie und Taktik beantworten zu können, müssten wir uns u.a. mit dem Begriff des subjektiven und objektiven Faktors als Teil der Revolutionstheorie beschäftigt. Eine notwendige Grundlage dafür ist jedoch eine korrekte Analyse der weltweiten Herrschaftsverhältnisse. Dabei ist die Frage wichtig, was an die Stelle des imperialistischen Kolonialsystems getreten ist, ob wir von Neokolonialismus sprechen können oder nicht. In unserer Diskussion ist mir aufgefallen, dass wir oft mit dem Begriff Abhängigkeit hantieren, ihn aber wenig füllen: Wenn man nur festhält, dass ein Land abhängig von einem anderen ist oder dass Länder sich in wechselseitigen Abhängigkeiten befinden, ist noch nicht so viel ausgesagt: Wer ist von wem abhängig und warum? Wie kommt es zu Abhängigkeiten und wie werden sie aufrechterhalten? Wem nutzt die Abhängigkeit inwiefern und wem schadet sie? Was passiert, wenn sich eine Seite versucht, der Abhängigkeit zu entziehen?
Im Kolonialismus waren die Kolonien politisch, militärisch und ökonomisch abhängig von den Kolonialmächten. Sie waren jedoch nicht abhängig, weil sie ohne die Kolonialmächte nicht hätten existieren können, sondern weil sie von diesen mit Anwendung von Gewalt in dieses Verhältnis gezwungen wurde. Die Kolonialmächte setzten ihre Herrschaft, die ihrer wirtschaftlichen, militärischen und politischen Stärke entsprach, den Kolonien gegenüber gewaltsam durch. Lenin greift das in seiner Imperialismusschrift auf und nennt Herrschaft und Gewalt als wesentliche Faktoren des Imperialismus. „Das Herrschaftsverhältnis und die damit verbundene Gewalt – das ist das Typische für die „jüngste Entwicklung des Kapitalismus“, das ist es, was aus der Bildung allmächtiger wirtschaftlicher Monopole unvermeidlich hervorgehen mußte und hervorgegangen ist“1 Gleichzeitig betont er die Herrschaft einiger weniger Staaten über andere Staaten: „Die Ausbeutung aller übrigen Länder durch ein privilegiertes, finanziell reiches Land ist geblieben und hat sich verstärkt. Ein Häuflein reicher Länder (…), diese Häuflein hat Monopole in unermeßlichen Ausmaßen entwickelt, bezieht seinen Extraprofit in Höhe von Hunderten Millionen, wenn nicht von Milliarden, saugt die anderen Länder, deren Bevölkerung nach Hunderten und aber Hunderten Millionen zählt, erbarmungslos aus und kämpft untereinander um die Teilung der besonders üppigen, besonders fetten, besonders bequemen Beute. Eben darin besteht das ökonomische und politische Wesen des Imperialismus (…).“2
Welche Staaten heute ihre Herrschaft wie und wem gegenüber durchsetzen können und mit welcher Konsequenz, das müssen wir anfangen, konkret zu analysieren. Das imperialistische Kolonialsystem war eine spezifische Erscheinungsform der Herrschaftsdurchsetzung des Imperialismus in der Welt, nämlich die der Kolonialmächte gegenüber der Kolonien.
Mit dem Zerfall des Kolonialsystems verschwand jedoch nicht das Wesen des Imperialismus, der Drang, seine Herrschaft weltweit durchzusetzen.
Teil I
Begriff des imperialistischen Kolonialsystems
Das imperialistische Kolonialsystem ist ein System zur „kolonialen Unterdrückung der überwiegenden Mehrheit der Erdbevölkerung durch einige wenige Staaten.“3 Verschiedene Methoden sichern u.a. die Unterdrückung und Ausbeutung: der Kolonialraub (u.a. durch Kriegsbeute), der unmittelbare staatliche Zwang (z.B. koloniale Verwaltung, Kolonialarmeen), die Ausbeutung der Kolonien als Rohstofflieferant und Absatzmarkt und die Einbeziehung der Kolonien in den Mechanismus des nicht-äquivalenten Warenaustauschs.4 Ebenso wird die Wirtschaft in den Kolonien oftmals deformiert (z.B. durch Raubbau oder Monokulturen), wohingegen sich die kapitalistische Entwicklung der Kolonialmächte stark beschleunigt. Durch diese Methoden „erzwingt der Kolonialismus besonders günstige Verwertungsbedingungen für das Auslandskapital in der kolonialen Welt, die sich in überdurchschnittlichen Profitraten niederschlagen. Weltwirtschaftlich schließt der Kolonialismus die Herausbildung und Wirksamkeit eines Systems der internationalen kapitalistischen Arbeitsteilung ein, dessen wesentliche Merkmale die untergeordnete, nicht gleichberechtigte und strukturell abhängige Stellung der ökonomisch schwach-entwickelten Länder als Rohstoff- und Agraranhängsel der industriell entwickelteren kapitalistischen Zentren und wachsende Unterschiede im ökonomischen Niveau zwischen diesen beiden Wirtschaftsgebieten sind“5. Die Epoche des Imperialismus ist durch den ständigen Kampf um die Neuaufteilung der Welt gekennzeichnet. Wichtige Gründe für den ersten und zweiten Weltkrieg waren der Kampf um die Neuaufteilung der Kolonien unter den Kolonialmächten. Schauen wir uns noch in der DDR aufgestellt Begriffsdefinitionen an: Eine Kolonie ist im Kapitalismus ein „Land oder ein Gebiet, das von einem kapitalistischen Staat gewaltsam seiner wirtschaftlichen und politischen Selbstständigkeit beraubt und diesem angegliedert ist sowie gänzlich von ihm beherrscht wird. Kolonien verkörpern im Kapitalismus den höchsten Grad der direkten Abhängigkeit eines Landes von einem kapitalistischen Staat.“6 Eine Halbkolonie hingegen ist ein Land, „das formell politisch unabhängig ist, dessen Wirtschaft und Politik jedoch von imperialistischen Staaten bzw. Monopolen bestimmt werden. (…) Die Monopole drängten danach, die Wirtschaft der Halbkolonien völlig an sich zu reißen und nach Möglichkeit auch die unumschränkte politische Herrschaft über diese Länder zu erreichen.“7
Entwicklung des imperialistischen Kolonialsystems
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Aufteilung der Welt weitgehend abgeschlossen und eine große Fläche war Kolonie (z.B. in Afrika ca. 90% der Fläche). Die Kolonien standen unter direkter Kontrolle der Kolonialmacht und wurden u.a. als Absatzmarkt für Waren erschlossen, später dann auch zunehmend als Investitionsmöglichkeit für das Finanzkapital. Der Kampf der Kolonialmächte untereinander verschärfte sich, so bedrohten Deutschland und die USA zunehmend die Kolonialmacht England. Gleichzeit erschloss Japan im Pazifikraum viele Kolonien. Deutschland hatte im Vergleich zur ökonomischen Potenz wenige Kolonien, was einer der Faktoren waren, der in den ersten Weltkrieg führte. Dieser stellte einen Höhepunkt im Kampf um die Neuaufteilung der Welt dar, die auch zuvor schon kriegerisch ausgetragen wurde,z.B. im spanisch-amerikanischen Krieg. Verschiedene Resultate des ersten Weltkrieges trieben das Kolonialsystem zunehmend in die Krise: Zum einen war in Russland die Oktoberrevolution erfolgreich und das russische Kolonialreich zerfiel. Zum anderen bildeten sich zunehmend antikoloniale Kämpfe heraus wie z.B. in China. Richtig an Fahrt gewann die antikoloniale Befreiungsbewegung jedoch erst nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, der eine Schwächung der Kolonialländer wie Deutschland, Japan oder England bedeutete. Es kam zu großen antikolonialen Kämpfe wie in Laos, Vietnam, Indonesien oder Indien und die Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 war ein weiterer Rückschlag für die Kolonialmächte. In den darauffolgenden Jahren erlebte die Welt eine Reihe von lang und oftmals blutig geführten Befreiungskämpfen, wie z.B. in Vietnam oder in Algerien. Während die USA in Vietnam direkt Krieg führten, bekämpften sie in Südamerika Befreiungsbewegungen durch Putsche und Militärdiktaturen, wie z.B. in Chile. Die ehemaligen Kolonialmächte versuchten aktiv gegen die Befreiungskämpfe zu wirken oder die neu entstandenen Nationalstaaten zu schwächen z.B. durch die Ermordung wichtiger Kämpfer im Befreiungskrieg (z.B. Che Guevara in Bolivien, Thomas Sankara in Burkina Faso, Patrice Lumumba im Kongo etc.). Die neu entstandenen Nationalstaaten erhielten politische, formelle Unabhängigkeit. Ökonomisch wurden sie ins kapitalistische Weltsystem integriert, die lokalen Eliten waren oft eng mit den ehemaligen Kolonialmächten verstrickt, die ökonomisch meist dominant blieben.
Es gibt verschiedene Faktoren, die zur Krise und schließlich zum Zerfall des Kolonialsystems geführt haben. Zum einen gab es Widersprüche zwischen der imperialistischen Staaten: So hatten sowohl die USA als auch Deutschland, die beide über einen nicht so großen Kolonialbesitz angesichts ihrer ökonomischen Stärke verfügten, das Interesse, die Konkurrenten England und Frankreich, die über einen großen Kolonialbesitz verfügten, zu schwächen. Es gibt auch die Analyse, dass sich das Kolonialsystem ab einem bestimmten Zeitpunkt als Fessel für die Expansion der Monopole in die Kolonien – aufgrund deren kolonialer Unterentwicklung der Produktivkräfte und der zum Teil vorkapitalistischer Verhältnisse – erwies.8 Zum anderen erstarkte der Weltsozialismus als der wichtigste Verbündete der antikolonialen Bewegungen und als größter Feind des Imperialismus immer mehr. Der antikoloniale Befreiungskampf verstärkte sich und gewann an Stärke, sich von der Kolonialherrschaft zu lösen und die politische Unabhängigkeit zu erkämpfen.
Die Erringung der staatlichen Selbstständigkeit in über 70 Staaten stellte für den Imperialismus eine Niederlage dar und führte zu einer verstärkten Krise. Ausbeutungsinstrumente wie die kolonialen Steuern entfielen, der koloniale Staatsapparat zerfiel. In vielen Nationalstaaten fand eine Nationalisierung oder Beschränkung von Auslandskapital statt. Die sozialistischen Staaten entwickelten sich zu wichtigen politischen und ökonomischen Bündnispartner der ehemaligen Kolonien. Ein Großteil des BIP der ehemaligen Kolonien stammte aus der Landwirtschaft und der extraktiven Industrie (= Industrie zur Gewinnung von Rohstoffen). Meist handelte es sich um Monokulturen, die eine starke Abhängigkeit von einem Produkt ausmachten. Aufgrund technischer Rückständigkeit entstand eine große technisch-ökonomische Abhängigkeit von den imperialistischen Mächten. „Diese Struktur macht ihre Wirtschaft nicht nur von den imperialistischen Staaten abhängig, sondern auch höchst anfällig für Preisschwankungen auf dem kapitalistischen Weltmarkt, die von den großen Monopolen zusätzlich manipuliert werden. (…) Von besonderer Bedeutung für die wirtschaftliche Situation der jungen national befreiten Länder ist nicht nur das niedrige Entwicklungsniveau und die Deformation ihrer Produktivkräfte, sondern vor allem die Tatsache, daß die Kluft im ökonomischen Niveau zu den imperialistischen Staaten weiter anwächst.“9 Der Staat spielte eine wichtige Rolle bei der Industrialisierung und wirtschaftlichen Entwicklung der ehemaligen Kolonien. Meist war das Auslandskapital immer noch sehr einflussreich, die Stellung des Finanzkapitals wurde u.a. durch hohe Auslandsverschuldung gefestigt. In vielen Staaten bildete sich ein Industrieproletariat langsam heraus, das jedoch längst nicht so weit entwickelt war wie in den imperialistischen Zentren.
Neue Methoden des Imperialismus in Gestalt des Neokolonialismus
In der DDR wurde festgehalten, dass mit dem Zerfall des imperialistischen Kolonialsystems zwar die Kolonien als Mittel der Unterdrückung und Ausbeutung wegfielen, der Drang des Imperialismus nach Ausbeutung und Unterdrückung jedoch keineswegs. Was sich änderte waren die Bedingungen der Zugriffsmöglichkeiten für den Imperialismus. Es wurde daher der Begriff des Neokolonialismus geprägt, der eine neue Form des Kolonialismus beschreibt, die sich den veränderten Bedingungen anpasst. Das Hauptziel des Neokolonialismus ist es, die Ausbeutung und Unterdrückung aufrechtzuerhalten, weiterhin Profite aus den neuen Nationalstaaten zu ziehen und diese von einem sozialistischen Weg abzuhalten. Der Neokolonialismus „setzt den Kolonialismus mit veränderten ökonomischen, politischen, ideologischen und militärischen Methoden und Formen unter den Bedingungen des zugunsten des Sozialismus veränderten Kräfteverhältnisses fort. Es ist der Ausdruck imperialistischen Strebens, sich diesen neuen Klassenkampfbedingungen (…) anzupassen.“10 Zu den gängigsten Methoden zählen u.a. „neue Formen des Kapitalexportes, die als Entwicklungshilfe bezeichnet werden; Verbindung von Anleihen und Investitionen mit politischen Auflagen; Ausnutzung des Nahrungsmittelmangels und der Exportschwierigkeiten junger Nationalstaaten zu innen- und außenpolitischen Erpressungen; nicht-gleichberechtigte Vertragsgestaltung; Preismanipulation (bes. bei Rohstoffen) und Importrestriktionen, die die jungen Nationalstaaten in wirtschaftliche Schwierigkeit stürzen; Durchsetzung des Verwaltungs- und Planungsapparates junger Nationalstaaten mit Beratern, Experten und Gutachtern imperialistischer Staaten; technische Hilfe und Ausbildungshilfe, die zur ideologischen Diversion benutzt wird; Einflußnahme auf das Offizierskorps der jungen Nationalstaaten durch Militärhilfe; Anzettelung von Militärputschen; Versuche zur Spaltung der anti-imperialistischen Kräfte; Propagierung von Modellen zur wirtschaftlichen Entwicklung und von Wirtschaftstheorien, die die jungen Nationalstaaten auf einen kapitalistischen Weg drängen sollen; Förderung der Herausbildung einheimischer kapitalistischer Klassenkämpfe als soziale Stütze des Imperialismus.“11
Der Imperialismus wählt den offenen Interventionismus (z.B. durch einen Putsch oder Krieg) oder setzt auf indirekte und langfristige Infiltration (z.B. durch die Spaltung der nationalen Befreiungsbewegung). Auf ökonomischen Gebiet versucht der Imperialismus, die ehemaligen Kolonien in das kapitalistische System hineinzudrängen, sie vom sozialistischen Weg abzuhalten und nationale kapitalistische Klassenkräfte als Stütze des Imperialismus zu fördern. Politisch werden reaktionäre Organisationen gefördert und Putsche durchgeführt. Auf militärischem Gebiet werden die Staaten in Militärblöcke integriert und / oder Militärstützpunkte in den jeweiligen Staaten errichtet. Der Abstand in Bezug auf das ökonomische Niveau der ehemaligen Kolonien soll auf jeden Fall aufrechterhalten bleiben. Dabei gibt es verschiedene Hebel, wie z.B. der des nicht-äquivalenten Warenaustauschs, der eine Preisschere zwischen Industriestaaten und ehemaligen Kolonien bewirkt. Entwicklungshilfe stellt ein weiteres Instrument dar, die Ökonomie der Staaten zu schwächen und die eigenen Monopolinteressen zu sichern. Aufgrund der Einbindung der ehemaligen Kolonien kann eine Industrialisierung und wirtschaftliche Entwicklung in den ehemaligen Kolonien jedoch nicht verhindert werden, sie soll jedoch in eine neokolonialistische Industrialisierung verwandelt werden, u.a. durch die Errichtung von arbeitsintensiven Industrien mit niedriger organischer Zusammensetzung und niedriger Arbeitsproduktivität. Im Rahmen des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems soll eine neokolonialistische Arbeitsteilung entwickelt werden, in der sich die imperialistischen Mächte auf kapital- und forschungsintensive Erzeugnisse konzentrieren, die ehemaligen Kolonien sollen sich auf Rohstoffwirtschaft und industrielle Fertigung mit niedriger Produktivität konzentrieren. „Das Ergebnis dieser neokolonialistischen Strategie wäre erstens eine „Flurbereinigung“ der Wirtschaftsstruktur der entwickelten kapitalistischen Industrieländer; dadurch würden sich die Bedingungen für die Erhaltung ihrer technisch-ökonomischen Überlegenheit über diese Staaten noch verbessern; zweitens eine Erweiterung der Absatzmärkte der Monopole, vor allem bei Produktionsmitteln und industriellen Ausrüstungen; drittens die Erhaltung des Abstands im Niveau der Arbeitsproduktivität und damit der Basis für den nicht-äquivalenten Austausch, den Ausplünderungsmechanismus über den kapitalistischen Weltmarkt, und schließlich viertens die Beibehaltung der untergeordneten und abhängigen Stellung der jungen Nationalstaaten in der kapitalistischen Weltwirtschaft, obwohl sich ihre Wirtschaft allmählich entwickelt und die Arbeitsteilung nicht mehr einfach zwischen Rohstoffen und Fertigwaren verläuft, sondern zwischen qualitativ verschiedenen Stufen der Industrie.“12
Die ehemaligen Kolonien sind besonders stark von Krisen im Weltwährungssystem betroffen, so werden Importe durch die Inflation teurer und eine Abwertung des Dollars senkt die Kaufkraft der Devisenreserven. Ein weiteres Instrument des Neokolonialismus ist die Verschuldung beim IWF oder der Weltbank. In beiden Gremien besitzen die USA und die EU die Hauptanteile und verfügen über eine Sperrminorität. Die Kreditvergabe ist an sogenannte Strukturanpassungsprogramme geknüpft, die meist mit einer Gestaltung der nationalen Wirtschaft und sozialpolitischen Situation zugunsten des Auslandskapital verbunden sind. Dazu zählen u.a. Privatisierungen, Kürzungen im öffentlichen Bereich (Gesundheit, Bildung etc.), Kürzungen der Sozialleistungen oder staatlichen Subventionen oder die Aufhebung von Zöllen zum Schutz einheimischer Produkte. So drängte der IWF beispielsweise in Nigeria darauf, den Finanzsektor zu reformieren und die Ressourcenausbeutung effektiver zu gestalten. Daraufhin wurden alle staatlichen Subventionen auf Treibstoffe zurückgenommen und die Preise schnellten in die Höhe.13 Die Schulden werden außerdem dazu benutzt, den Einfluss anderer Staaten zurückzudrängen. Hier sei nur ein Beispiel genannt: 2007 wollten China und der Kongo ein Joint-Venture Programm starten, das die Förderung von Rohstoffen im Gegenzug zu massiven Infrastrukturmaßnahmen (Verkehrswege, Bau von Krankenhäusern und Sozialwohnungen etc.) vorsah. Der westliche Imperialismus blockierte das Projekt jedoch durch die Zahlungserinnerung der Schulden des Kongos: Wenn der Vertrag mit China revidiert würde, könnten 9 der 13 Milliarden Schulden durch den IWF gestrichen werden. Der Kongo hatte keine andere Möglichkeit, als das geplante Projekt abzublasen.14
Phasen der nationalen Befreiung
In der DDR wurde von verschiedenen Phasen der nationalen Befreiung gesprochen. In der ersten Phase geht es um die Befreiung der direkten Kolonialherrschaft. In dieser Phase gibt es oftmals noch keine weit ausgebildete Arbeiterklasse und es kommt zu Zusammenschlüssen der nationalen Eliten mit verschiedenen Teilen des Volkes u.a. Bauernschaft. Die Bourgeoisie spielt in dieser Phase eine wichtige Rolle als Partner im Kampf gegen die Kolonialherrschaft. „Mit der Erringung der politischen Unabhängigkeit endet die erste große historische Etappe des Kampfes der ehemals unterdrückten Völkern für ihre Befreiung. Ihre wesentlichen Ergebnisse sind dadurch gekennzeichnet, daß das System der direkten politischen Unterjochung und der rigorosen wirtschaftlichen Ausplünderung, das besonders günstige Bedingungen für das ausländische Kapital schuf und die allgemeine Rückständigkeit konservierte, liquidiert wurde. Die nationale Befreiungsbewegung konstituierte sich staatlich und völkerrechtlich, d.h. sie übt auf ihrem Territorium die Hoheitsgewalt aus (…). Die unabhängigen Nationalstaaten blieben dem kapitalistischen Weltwirtschaftssystem verbunden und von ihm weiterhin abhängig.“15
Daran schließt sich eine weitere Phase der Befreiung an. In der zweiten Phase ringen die Staaten zunehmend um den Aufbau einer unabhängigeren nationalen Wirtschaft. Oftmals geht dieser Prozess mit einer starken Rolle des Staates einher und mit der Nationalisierung von ausländischem Kapital. Teile der Bourgeoisie im Staat sind jedoch weiterhin eng an die frühere Kolonialmacht gekoppelt (oft auch aufgrund von direkter Unterstützung). „Hauptinhalt der nach der Erringung der politischen Unabhängigkeit beginnenden zweiten Etappe der nationalen Befreiungsrevolution ist die Überwindung der wirtschaftlichen Rückständigkeit, der Aufbau einer unabhängigen nationalen Wirtschaft, einschließlich einer nationalen Industrie, und die Hebung des Lebensstandards des Volkes. Im Kampf um die Lösung dieser Aufgabe verschärft sich der Konflikt der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der anderen demokratischen Kräfte, darunter der demokratisch gesinnten Schichten des Kleinbürgertums, mit dem Imperialismus und den Kräften der inneren Reaktion, mit jenen Elementen der nationalen Bourgeoisie, die in immer stärkerem Maße mit dem Imperialismus kollaborieren.“16
In der zweiten Phase muss die Rolle der Bourgeoisie folglich anderes eingeschätzt werden als in der ersten. Die Klassenauseinandersetzungen werden, auch aufgrund der stärkeren Herausbildung einer Arbeiterklasse, immer deutlicher. Die Bourgeoisie gerät unter zunehmenden Druck, von Seiten des Imperialismus und von Seiten der Arbeiterklasse. Es wird festgehalten, dass man bei der Einschätzung der Rolle der Bourgeoisie differenzieren muss, zwischen einem Teil, der an der Stärkung der nationalen Unabhängigkeit interessiert ist und damit meist gegen die Interessen des Imperialismus steht und gleichzeitig einem Teil, der eng mit dem Imperialismus verknüpft ist. Die erste Gruppe kann unter bestimmten Umständen eine progressive Rolle für den Kampf der Arbeiterklasse in der nationalen Befreiung spielen: „In den jungen Nationalstaaten existieren und entwickeln sich in der Regel zwei bürgerliche Kräftegruppierungen: die Gruppierung, die mit anderen reaktionären Kräften, mit feudalen Überresten in Politik und Wirtschaft und dem Auslandskapital verbunden ist, sowie die nationalbewußte Gruppierung, die gegen den Kolonialismus und Feudalismus auftritt. Während der ersten Etappe des nationalen Befreiungskampfes beteiligt sich fast die gesamte Bourgeoisie an diesem Kampf. Die Position der Bourgeoisie verändert sich aber in den verschiedenen Etappen des Kampfes. Die Bourgeoisie ist nach ihrem Machtantritt dem Druck zweiter Kräfte ausgesetzt: Auf der einen Seite stehen die Imperialisten, die ihre Positionen erhalten bzw. zurückgewinnen wollen, und die feudalen Kreise, die an ihren Privilegien festhalten, auf der andere Seite die Massen des Volkes, die für eine grundlegende Verbesserung ihrer Lage kämpfen. Unter dem Druck dieser Kräfte offenbart die Bourgeoisie ihre unentschlossene, schwankende und zwiespältige Haltung als Klasse. Zugeständnisse an die imperialistischen Mächte und feudalen Kreise, Versprechungen und nationalistische Demagogie für die Volksmassen und gleichzeitige Unterdrückung ihrer demokratischen Forderungen kennzeichnen ihre Politik. Obwohl die Widersprüche zwischen den Imperialisten und der einheimischen Bourgeoisie weiterbestehen und damit die objektiven Voraussetzungen für die Beteiligung dieser Bourgeoisie am antiimperialistischen Kampf, ist sie im fortschreitenden Prozeß der nationalen Befreiungsrevolution immer weniger fähig, die gesamtnationalen Interessen zu vertreten. Das wird in der zweiten Etappe der nationalen Befreiungsbewegung deutlich, in der die inneren Klassenauseinandersetzungen stärker werden und die antikapitalistische Tendenz des Kampfes der Arbeiterklasse und der Volksmassen sichtbarer in Erscheinung tritt. Die nationale Bourgeoisie spielt aber in der gegenwärtigen Etappe in einer Reihe von Ländern noch eine bestimmte Rolle im antiimperialistischen Kampf. Sie ist an einer unabhängigen ökonomischen und politischen Entwicklung des Landes, an der selbstständigen Ausbeutung des nationalen Marktes usw. interessiert. Sie verfügt, wenn auch in den einzelnen Ländern unterschiedlich, noch über progressive Potenzen, die es möglich und notwendig machen, sie in die gesamtnationale Kampffront gegen den Imperialismus einzubeziehen.“17
Teil II
Thesen, Fragen, Ausblick
Im Folgenden will ich ein paar Thesen festhalten und offene Fragen anschließen, die wir im Klärungsprozess genauer untersuchen müssten. Die Fragen beziehen sich auf die Analyse der Kräfteverhältnisse in der Welt und noch nicht auf die Schlussfolgerungen, die wir als Kommunisten daraus ziehen müssen. Hier müsste in einem zweiten Schritt die Bedeutung dieser Analyse für die Strategie und Taktik der Arbeiterklassen in den imperialistischen Zentren oder in den peripheren Ländern herausgearbeitet werden. Bevor jedoch dieser Schritt gegangen wird, sollten wir uns, wie bereits in der Einleitung ausgeführt, auf die Analyse fokussieren.
1. Herrschaft ist ein wesentliches Phänomen, das die Epoche des Imperialismus kennzeichnet. Herrschaft ist immer mit Unterdrückung und Gewalt, zur Aufrechterhaltung der Herrschaft und Ausbeutung verbunden. Das imperialistische Kolonialsystem war eine spezifische Erscheinungsform der Herrschaftsausübung einiger weniger Staaten über andere. Diese Form der Unterdrückung hat ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr den Machtverhältnissen in der Welt entsprochen, z.B. angesichts des aufstrebenden Sozialismus und dem Machtverlust alter Kolonialreiche wie z.B. England, Frankreich oder Belgien. An die Stelle des Kolonialsystems ist jedoch nicht ein gleichberechtigtes Agieren der Staaten weltweit getreten, sondern es gibt große Unterschiede in der Potenz und im tatsächlichen Agieren der Länder, ihre Macht durchzusetzen.
→ Über welche Hebel setzen welche Staaten heute ihre Herrschaft gegenüber wem durch?
Bevor wir feststellen können, ob der Begriff des Neokolonialismus eine richtige Analyse für die heutige Zeit ist, müssen wir verstehen, wie die Durchsetzung der Herrschaftsverhältnisse weltweit funktioniert. Wir sollten uns hier genauer mit den in der DDR entwickelten Analysen und Kriterien (z.B. das des nicht-äquivalenten Warenaustauschs) beschäftigen und prüfen, ob sie auch heute noch gelten.
→ Außerdem brauchen wir unbedingt eine bessere Analyse der USA, die aktuell „am effektivsten“ ihre Herrschaft in der Welt durchsetzen, sowie eine bessere Analyse Deutschlands und des Verhältnisses USA – Deutschland. Wir müssen verstehen, wo die zwischen-imperialistischen Kämpfe konkret verlaufen und wo eine Zusammenarbeit stattfindet, um die gemeinsamen Gegner niederzuhalten. Ebenso brauchen wir eine Analyse davon, wie die Potenz Chinas und auch Russlands einzuschätzen ist, ihre Herrschaft in der Welt durchzusetzen.
2. Die Herrschaft des Finanzkapitals ist ein wesentlicher Faktor zur Beschreibung der Epoche des Imperialismus. Lenin schreibt: „Der Imperialismus oder die Herrschaft des Finanzkapitals ist jene höchste Stufe des Kapitalismus, wo diese Trennung [Anm. hier ist die Trennung zwischen Geldkapital und industriellem Kapital gemeint] gewaltige Ausdehnung erreicht. Das Übergewicht des Finanzkapitals über alle übrigen Formen des Kapitals bedeutet, die Vorherrschaft des Rentners und der Finanzoligarchie, bedeutet die Aussonderung weniger Staaten, die finanzielle Macht besitzen.“18 und „Das Finanzkapital ist eine so gewaltige, man darf wohl sagen, entscheidende Macht in allen ökonomischen und in allen internationalen Beziehungen, daß es sich sogar Staaten unterwerfen kann und tatsächlich auch unterwirft, die volle politische Unabhängigkeit genießen;“19
→ Doch was heißt das konkret für die Analyse der aktuellen Herrschaft des Finanzkapitals? In welchen Staaten liegt das Finanzkapital, das in der Lage ist, diese Herrschaft auszuüben? Wie übt es diese Herrschaft aus? Was bedeutet das für die anderen Staaten? Hier müssen wir die aktuelle Verfasstheit des Finanzkapitals besser begreifen. Welche Bedeutung hat es z.B. dass die meisten größten Kapitalorganisationen ihren operativen Sitz in den USA haben?20 Wie schätzen wir den Faktor ein, dass der Dollar die weltweite Leitwährung ist, in Bezug auf die Herrschaftsdurchsetzung der USA? Was bedeutet das für die Einschätzung anderer Staaten z.B. China?
3. Wenn wir in unserer Analyse einfach Kennzahlen nebeneinander legen, z.B. wie viel Kapitalexport tätigt Russland, wie viel die USA, wie viel China, können wir noch nicht so viel aussagen. Wir müssen begreifen, welche Wirkung der Kapitalexport auf die Länder, in die das Kapital exportiert wird, hat. Lenin hält dazu fest: „Um über die Bedeutung des Finanzkapitals für die Ausfuhr usw. ein Urteil abzugeben, muß man es verstehen, den Zusammenhang der Ausfuhr speziell und lediglich mit den Manövern des Finanziers, speziell und lediglich mit dem Absatz der Kartellerzeugnisse usw. herauszuarbeiten. Aber einfach Kolonien überhaupt mit Nichtkolonien, einen Imperialismus mit einem anderen Imperialismus, eine Halbkolonie oder Kolonie (…) mit allen übrigen Ländern zu vergleichen, heißt gerade das Wesen der Dinge umgehen und vertuschen.“21
→ In diesem Zusammenhang müssen wir u.a. analysieren, ob der Kapitalexport Chinas in andere Staaten zum jetzigen Zeitpunkt eine andere Wirkung entfaltet als der Kapitalexport des westlichen Imperialismus. An welche Bedingungen sind die chinesischen Kredite geknüpft? Sind diese Bedingungen ähnlich einzuschätzen wie die Strukturanpassungsprogramme des IWF? Oder ist China nicht sogar dazu gezwungen, die Kredite zu besseren Bedingungen anzubieten als es der IWF macht? Und wenn ja, was heißt eigentlich „bessere“ Bedingungen?
4. Auch wenn das imperialistische Kolonialsystem in fast allen Länder überwunden wurde und die Kolonien formell unabhängig wurden, ist nicht der Imperialismus überwunden, der immer mit Unterdrückung und Ausbeutung verbunden ist. Ausbeutung der internationalen Arbeiterklasse bei gleichzeitiger Unterdrückung und versuchter Unterwerfung anderer Staaten. Wenn man sich z.B. die Entwicklung in Bolivien anschaut, sieht man diesen Versuch der Unterwerfung des westlichen Imperialismus klar. Die Tatsache, dass die bolivianische Regierung unter Evo Morales entschied, den Rohstoff Lithium nicht einfach unverarbeitet aus dem Land abtransportieren zu lassen, sondern im Land zu Akkus weiterzuverarbeiten, führte zu einem vom westlichen Imperialismus initiierten Putsch. Das Ziel war es, Bolivien zum billigen Lithiumlieferanten zu degradieren, wenn nötig eben mit Gewalt. Das ist es, was im ersten Teil in Bezug auf die Wirtschaftsstruktur der ehemaligen Kolonien beschrieben wurde. Ein anderes Beispiel ist Nigeria, ein wichtiger Erdöllieferant. Während über 40% der Ölfördermenge in die USA geschafft wird, muss das Land selbst Benzin importieren, da es aufgrund mangelnder Raffinerien nicht dazu in der Lage ist, selbst Benzin zu produzieren.22 Viele der ehemaligen Kolonien richten sich zunehmend in Richtung China oder Russland aus und gehen Kooperationen mit diesen Staaten ein. Hier seien nur beispielhaft die chinesischen Investitionsprogramme in afrikanischen Staaten, die UN-Abstimmungen in Bezug auf die Sanktionen gegen Russland oder neue Mitgliedschaften im Bündnis BRICS genannt. Dieses Agieren findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern wird vom westlichen Imperialismus stark bekämpft. Oben wurde bereits das Beispiel China und Kongo ausgeführt.
→ Bezugnehmend auf meine Ausführungen zu den Theorien aus der DDR zum Neokolonialismus müssen wir die Verfasstheit der ehemaligen Kolonien analysieren. Wie ist die ökonomische und politische Entwicklung in diesen Ländern einzuschätzen? Wie ist die Bourgeoisie und die Arbeiterklasse aufgestellt? Kann man von einem Teil der Bourgeoisie sprechen, der sich noch immer im engen Bündnis mit der früheren Kolonialmacht befindet? Und ist es richtig, dass ein anderer Teil der Bourgeoisie mehr auf die nationale Eigenständigkeit dieser Länder orientiert?
5. Mit der Konterrevolution und dem Ende der Sowjetunion hat sich eine weltweite Kräfte-Neuordnung ergeben. Die meisten sozialistischen Staaten standen als Bündnispartner für die ehemaligen Kolonien und deren junge Nationalstaaten nicht mehr zur Verfügung. Im Gegenteil wurden sie in das kapitalistische Weltsystem (teils gewaltsam) integriert und in ihrer Entwicklung stark geschwächt, z.B. durch Deindustrialisierung oder Zerstörung mittels Krieg wie z.B. in Jugoslawien. Staaten wie Deutschland und die USA konnten ihre Machtposition damit noch weiter ausbauen. Die Konterrevolution bedeutete eine enorme Stärkung des westlichen Imperialismus und eine starke Schwächung der ehemaligen Kolonien (wobei wir hier natürlich differenzieren müssen). Allen voran haben die USA in den letzten 30 Jahren intensiv versucht (und auch schon zuvor), Länder, die eine eigenständige Entwicklung anstrebten, zu zerstören: So wurden u.a. der Irak, Libyen, Syrien, Afghanistan, Jugoslawien durch Kriege in ihrem Entwicklungsstand Jahrzehnte zurückgeworfen. Andere Länder sollen durch harte Sanktionspolitik wirtschaftlich und politisch destabilisiert werden, wie z.B. Venezuela, Kuba, Iran oder Russland. In anderen Staaten versucht der westliche Imperialismus, die Politik durch Putsche mitzubestimmen wie z.B. in Bolivien oder der Ukraine.
→ Hier wird deutlich, dass wir ein besseres Verständnis für die Bedeutung der Konterrevolution in Bezug auf die weltweiten Machtverhältnisse entwickeln müssen, zum einen für die Potenz der imperialistischen Staaten v.a. der USA und Deutschlands, ihre Herrschaft in der Welt durchzusetzen und zum anderen für die Entwicklungsmöglichkeiten der ehemaligen Kolonien.
Ausblick
Werfen wir einen Blick in die Welt: In Haiti, ein Land mit langer Kolonialgeschichte (u.a. Kolonie von Frankreich und von den USA lange Zeit militärisch besetzt) sind immer wieder Proteste am Schwelen, zuletzt verstärkt zum Ende des letzten Jahres. Im September hatten sich die Proteste verschärft, nachdem der Interimsministerspräsident Ariel Henry eine Erhöhung des Kraftstoffpreises um 100% angekündigt hat. Die Bevölkerung leidet unter den hohen Preisen, aber auch unter dem herrschenden Trinkwassermangel und dem Ausbruch der Cholera. Die Situation hat sich nach dem zweiten Putsch gegen den linksgerichteten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide 2004 immer weiter verschärft. Der Putsch wurde 2004 u.a. von den USA und Frankreich gefördert,weil Aristide u.a. Reparationen von Frankreich einfordern wollte, um diese u.a. in Bildung und Gesundheitsversorgung zu investieren. Nach dem Putsch wurde dann die UN-Blauhelmmission Minustah (United Nations Stabilization Mission in Haiti) durchgeführt. Diese rief immer wieder Proteste der Bevölkerung hervor, da sie als Besatzungsmacht begriffen wird und u.a. gewaltsam gegen Demonstrierende vorgegangen ist. Außerdem trägt sie die Verantwortung für den Cholera-Ausbruch im Land 2010, als Blauhelm-Soldaten die Krankheit nach Haiti einschleppten, die sich dort rasant verbreitete und an deren Folgen mindestens 10.000 Menschen starben.23 Nachdem Henry im Oktober Unterstützung durch eine ausländische Militärintervention verlangt hatte, haben die Proteste im Land gegen Henry und auch dessen Unterstützer, die USA und Kanada, noch weiter an Fahrt aufgenommen. Im UN-Sicherheitsrat wurde die US-Vorlage nach einer ausländischen militärischen Intervention jedoch abgelehnt: China und Russland sprachen sich gegen die Intervention aus, mit der Begründung, dass die Lösung im Land selbst gefunden werden müsste und nicht durch ausländische Kräfte. Dies stieß bei den Demonstrierenden auf Zustimmung und so waren auf den Demonstrationen zahlreiche Russland- und Chinaflaggen zu sehen. Es ist die Erfahrung der Bevölkerung, dass Interventionen der westlichen Imperialisten nie Sicherheit und Stabilität gebracht haben, sondern Verarmung und Instabilität. So schreibt das haitianische Netzwerk Alterpresse: „Nach der Besetzung durch die USA im Jahr 1915, die 19 Jahre andauerte, und der Landung der US-Marines 1994 erlebte Haiti in den letzten 30 Jahren mehrere ausländische Interventionen und verschiedene UN-Missionen, ohne dass seine Stabilitäts- und Sicherheitsprobleme gelöst wurden.“24
Wenn wir uns mit den aktuellen Zuständen und Kämpfe in der Welt, wie zum Beispiel mit dem nur sehr knapp ausgeführten Beispiel Haitis, beschäftigen, wird schnell klar, dass wir dringend mehr Klarheit zu den oben aufgeführten Fragen brauchen.
Auf diesem Weg werden wir uns intensiv mit den Analysen aus der DDR, aber auch der internationalen kommunistischen Bewegung beschäftigen müssen. Dabei sollten wir auch nicht vergessen, den Blick auf die ehemaligen Kolonien und die dort verarbeiteten Erfahrungen und erstellten Analysen zu wenden.
Dieser Beitrag soll ein erster Schritt dahin sein und muss durch den kollektiven Prozess qualifiziert werden.
1Lenin; Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalimus. Verlag das Freie Buch München, 2014. S. 30
2Lenin; Imperialismus. S.141
3Wörterbuch der Geschichte A-K; Dietz Verlag Berlin, 1983. S.586.
4Ich konnte mich leider nicht intensiver mit dem Phänomen des nicht-äquivalenten Warenaustauschs beschäftigen. Kurz gesagt bedeutet es, dass die Preise der Waren aus ökonomisch stärkeren Staaten verhältnismäßig stärker ansteigen als die der Waren in ökonomisch schwächeren Staaten, was eine Bereicherung der stärkeren Staaten auf Kosten der schwächeren Staaten bedeutet.
5Wörterbuch der Geschichte A-K; S.587.
6Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung Band 1; Dietz Verlag Berlin, 1969; S.949.
7Sachwörterbuch Band 1; S.761.
8Vgl. Einführung in die Politische Ökonomie des Kapitalismus; Dietz Verlag Berlin, 1975. S.373.
9Einführung Ökonomie; S.381.
10Wörterbuch der Geschichte L-Z; Dietz Verlag Berlin, 1983. S.748.
11Sachwörterbuch 2. S.160.
12Einführung Ökonomie; S.394.
13Vgl. Schumann, Gerd; Kolonialismus. PapyRossa Verlag Köln, 2016. S.103.
14Vgl. Schumann S.102+103.
15Wissenschaftlicher Kommunismus. Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium. VEB Verlag Berlin, 1980. S.187+188.
16Wissenschaftlicher Kommunismus. S.189.
17Wissenschaftlicher Kommunismus. S.195+196.
18https://kommunistische-geschichte.de/LeninWerke/LW22.pdf. S.242.
19Lenin; Imperialismus. S.91.
20Vgl. Rügemer, Werner. Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. PapyRossa Verlag Köln, 2018. S. 44+129.
21Lenin; Imperialismus. S.132
22Vgl. Schumann. S.96.
23Vgl. https://amerika21.de/2022/10/260444/haiti-auslaendische-militaerintervention
24 https://amerika21.de/2022/10/260558/us-regierung-militaerintervention-haiti