Kwame Nkrumah über afrikanische Einheit und „Balkanisierung“ (1963)

Anlässlich des 5. Panafrikanischen Kongresses, der vor 80 Jahren in Manchester stattfand, veröffentlichen wir einen Text von Kwame Nkrumah zur panafrikanischen Bewegung und zur Notwendigkeit afrikanischer Einheit.
Der aus Ghana stammende Nkrumah studierte 1935-45 in den USA und 1945-47 in Großbritannien, wo er sich marxistisch bildete, enge Kontakte zu Kommunisten und Trotzkisten knüpfte und zu den Führern der dortigen afrikanischen Studierendenbewegungen gehörte. Bereits einen Monat nach seiner Ankunft in London organisierte er, u. a. gemeinsam mit seinem Freund und späteren Berater George Padmore, den 5. Panafrikanischen Kongress.
Die Bedeutung und die neue Qualität dieses Events beschrieb Nkrumah in seiner Autobiografie wie folgt: „Während die vier vorangegangenen Konferenzen hauptsächlich von Intellektuellen der Mittelschicht und bürgerlichen schwarzen Reformisten einberufen und unterstützt wurden, nahmen an diesem fünften Panafrikanischen Kongress Arbeiter, Gewerkschafter, Bauern, Genossenschaften sowie afrikanische und andere f*rbige Studierende teil. Da die Mehrheit der Kongressteilnehmer Afrikaner waren, wurde die Ideologie des Kongresses geprägt vom afrikanischen Nationalismus – einer Revolte des afrikanischen Nationalismus gegen Kolonialismus, Rassismus und Imperialismus in Afrika – und er übernahm den marxistischen Sozialismus als seine Philosophie.“1
1947 kehrte Nkrumah nach Ghana zurück und führte seine Heimat 1957 als erstes Land Subsahara-Afrikas in die Unabhängigkeit. Doch seine beiden eigentlich Ziele erreichte er, trotz außerordentlicher Anstrengungen, nie: die Einheit des Kontinents und die Errichtung des Sozialismus. Beides war für ihn eine Notwendigkeit und beides hing untrennbar miteinander zusammen. Diese Sicht legte er 1963 in seinem Buch Africa Must Unite (1965 unter dem Titel Afrika muss eins werden in der DDR erschienen) dar, das am Vorabend eines historischen Gipfeltreffens in Addis Abeba veröffentlicht wurde. Diese Konferenz, an der fast alle damals unabhängigen afrikanischen Staaten teilnahmen, sollte nach Nkrumahs Willen die Gründung einer „Union Afrikanischer Staaten“ beschließen. Doch scheiterte er mit diesem Vorschlag. Stattdessen wurde die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU, seit 2002 Afrikanische Union, AU) gegründet.
Der folgende Text besteht aus ausgewählten Auszügen aus den Kapiteln 15, 17, 18 und 21 des Buchs Africa Must Unite. Der erste Teil gibt einen Überblick über die Geschichte des „Panafrikanismus“ und der Konferenzen afrikanischer Staaten bis 1963. Der zweite Teil argumentiert, ausgehend von den materiellen Bedingungen, insbesondere den ökonomischen Zuständen, in Afrika, weshalb ein Zusammenschluss der afrikanischen Staaten im Kampf für Selbstbestimmung und sozialen Fortschritt notwendig ist. In Teil drei geht Nkrumah auf die „Balkanisierung“ als Strategie des Neokolonialismus ein. Zuletzt skizziert er konkrete Schritte in Richtung einer „Union Afrikanischer Staaten“.
Nkrumahs Schrift ist aus mehreren Gründen nach wie vor lesenswert: Zunächst einmal als historisches Dokument in einer Hochphase des nationalen Befreiungskampfes auf dem afrikanischen Kontinent und als ein gut verständlicher Abriss der Geschichte der panafrikanischen Bewegung. Aus dem Text lässt sich aber auch vieles für die konkreten Kämpfe heute lernen: Denn obwohl ihm selbst aufrichtige Bewunderer attestierten, in diesem Punkt „illusionären“ Vorstellungen angehangen zu haben, formulierte Nkrumah sein Ziel der afrikanischen Einheit nicht aus einem Idealismus heraus, sondern leitet es aus den objektiven Zuständen und Notwendigkeiten ab. Dasselbe gilt für den Sozialismus, den er nicht nur als gerechteres, sondern auch als überlegenes Entwicklungsmodell ansieht. Es handelt sich also um einen Versuch, den Wissenschaftlichen Sozialismus auf die konkrete Situation auf einem Kontinent anzuwenden, der eine völlig andere historische Entwicklung und Stellung im kapitalistischen Weltsystem hat als die imperialistischen Staaten. Dass Nkrumah dabei Klassenanalyse und Klassenkampf vernachlässigte – wenn er sie auch nicht negierte, wie das etwa viele der sogenannten „Afrikanischen“ und „Arabischen Sozialisten“2 taten –, ist nicht von der Hand zu weisen. Wie er später selbstkritisch feststellte, trug diese Vernachlässigung dazu bei, dass seine Regierung 1966 von bürgerlichen, pro-imperialistischen Kräften gestürzt werden konnte.3
Nichts desto trotz – und teilweise sogar gerade deshalb – ist es lehrreich und wichtig, sich mit Nkrumahs zentraler Schrift über die afrikanische Einheit zu beschäftigen: Sie kann uns helfen, den Blick für das (nicht nur) in Afrika von den Imperialisten genutzte Instrument der „Balkanisierung“ zu schärfen; die bis heute nicht überwundenen, aus dem Kolonialismus stammenden und vom Neokolonialismus konservierten (infra)strukturellen Probleme des afrikanischen Kontinents besser zu verstehen; die seit einigen Jahren wieder stärker werdenden panafrikanischen und panafrikanistischen Bestrebungen – gerade, aber nicht nur in der Sahel-Region – nachzuvollziehen und einzuordnen; und die Gefahren und Fallstricke zu erkennen, die stets von bürgerlichen Kräften ausgehen, selbst wenn Teile von ihnen zu bestimmten Zeitpunkten eine wichtige Rolle innerhalb fortschrittlicher Bewegungen und Entwicklungen einnehmen.
Redaktion der KO
Auf dem Wege zur afrikanischen Einheit
Manche Menschen behaupten, Afrika können nicht eins werden, da die drei notwendigen Voraussetzungen dafür fehlen: eine gemeinsame Rasse, Kultur und Sprache. Es ist wahr, dass wir Jahrhundertelang gespalten waren. Die territorialen Grenzen wurden vor langer Zeit, oft ganz willkürlich, von den Kolonialmächten gezogen. Manche von uns sind Muslime, andere wieder Christen, viele glauben an überlieferte Stammesgottheiten. Manche von uns sprechen Französisch, manche Englisch, manche wieder Portugiesisch, wozu noch die Millionen kommen, die nur eine der Hunderte von verschiedenen afrikanischen Sprachen sprechen. Wir haben kulturelle Unterschiede entwickelt, die unsere Einstellung beeinflussen und unserer politischen Entwicklung das Gepräge geben.
All dies ist die unvermeidliche Folge unserer Geschichte. Trotz alledem bin ich davon überzeugt, dass die Kräfte, die die Einheit begünstigen, bei weitem stärker sind als die, die uns trennen. Jedes Mal, wenn ich Afrikaner aus verschiedenen Teilen des Kontinents treffe, merke ich zu meiner Befriedigung, wie viel gemeinsames wir haben. Es sind nicht nur unsere koloniale Vergangenheit oder unsere gemeinsamen Ziele, die Gemeinsamkeit geht viel tiefer. Ich kann sie am besten als ein Gefühl des Einseins bezeichnen, ein Gefühl, dass wir alle Afrikaner sind.
In der Praxis hat sich diese tief verwurzelte Einheit in der Entwicklung des Panafrikanismus und in der jüngsten Vergangenheit im Hervortreten der sogenannten afrikanischen Persönlichkeit in der Weltpolitik gezeigt.
Der Ausdruck „Panafrikanismus“ kam erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf, als ihn Henry Sylvester-Williams aus Trinidad und William Edward Burgardt du Bois, aus den USA, beide afrikanischer Abstammung, auf mehreren Panafrikanischen Kongressen, die hauptsächlich von Gelehrten afrikanischer Herkunft aus der Neuen Welt besucht wurden, gebrauchten. Ein bemerkenswerter Beitrag zum afrikanischen Nationalismus und Panafrikanismus war die von Markus Garvey begründete Bewegung „Zurück nach Afrika“.
Der Erste Panafrikanische Kongress wurde im Jahre 1919 in Paris abgehalten, als die Friedenskonferenz4 tagte. […] 57 Vertreter aus verschiedenen afrikanischen Kolonien, aus den Vereinigten Staaten von Amerika und den Westindischen Inseln5 nahmen am Kongress teil. Sie machten allerlei Vorschläge, aber nichts kam dabei heraus. Sie schlugen zum Beispiel vor, die alliierten und assoziierten Mächte sollten ein Gesetz „zum internationalen Schutz der afrikanischen Eingeborenen erlassen“.
Der Zweite Panafrikanische Kongress fand 1921 in London statt. Die britische Regierung war nicht gerade erfreut darüber, duldete aber die Abhaltung des Kongresses, der von 113 Delegierten besucht wurde. Wenn dieser Kongress auch keineswegs repräsentativ für die afrikanischen Auffassungen war, erzielte er doch insofern ein Fortschritt, als die Sache Afrikas vor der Weltöffentlichkeit dargelegt wurde. In einer Declaration to the World, die auf der Schlusssitzung angenommen wurde, hieß es, „die absolute rassische, physische, politische und soziale Gleichheit ist das Fundament des Fortschritts der Welt und der Menschheit“. In jenen Tagen beschäftigte man sich mehr mit sozialen als mit politischen Reformen, da man damals die Letzteren nicht als Vorbedingung für die Ersteren erkannte.
Zwei Jahre später, 1923, wurde der Dritte Panafrikanische Kongress in London abgehalten. Unter den Resolutionen war eine, die für ein Mitbestimmungsrecht der Afrikaner in ihren eigenen Regierungen eintrat, und eine andere, worin das Recht der Afrikaner, Land und Bodenschätze zu erwerben, verlangt wurde. Der politischer Aspekt sozialer Gerechtigkeit wurde damals schon allmählich begriffen. Trotz der Arbeit von Du Bois und anderen ging es nur sehr langsam vorwärts. Der Bewegung fehlten Geldmittel, und es gab auch nur wenige Mitglieder. Die Delegierten waren eher Idealisten als Männer der Tat. Trotzdem wurde ein gewisser Propagandaeffekt erzielt, und Afrikaner und Menschen afrikanischer Herkunft sammelten zum ersten Mal wertvolle Erfahrung bei der Zusammenarbeit.
Ein Vierter Panafrikanischer Kongress fand 1927 in New York mit 208 Delegierten statt, aber danach schien die Bewegung für eine Zeit von der Bildfläche zu verschwinden.
Eine nicht parteigebundene Organisation, das International African Service Bureau, wurde 1937 gegründet. Es war der Vorläufer der Pan African Federation, der britischen Sektion der Panafrikanischen Kongress-Bewegung. Sein Ziel war, „das Wohl und die Einheit der afrikanischen Völker und Völker afrikanischer Herkunft in der ganzen Welt zu fördern“ und auch „eine Zusammenarbeit zwischen den afrikanischen Völkern und anderen Gleichgesinnten anzustreben“.
Der Panafrikanismus und der afrikanische Nationalismus fanden konkreten Ausdruck, als im Jahre 1945 der Fünfte Panafrikanische Kongress in Manchester zusammentrat. Zum ersten Mal wurde die Notwendigkeit, gut organisierter, in sich geschlossener Bewegungen als erste Bedingung für einen Erfolg des nationalen Befreiungskampfs in Afrika betont.
Der Kongress wurde von mehr als 200 Delegierten aus der ganzen Welt besucht. George, Padmore und ich waren gemeinsam Sekretäre des Organisationskomitees, das den Kongress plante, und wir waren über die Ergebnisse unserer Arbeit hoch erfreut. In den an die imperialistischen Mächte gerichteten Erklärungen wurde die Entschlossenheit der Kolonialvölker zum Ausdruck gebracht, ihre Freiheit zu erlangen. Unter ihnen war auch die folgende:
„Der fünfte Pan afrikanische Kongress ruft die Intellektuellen und die Berufsschicht der Kolonien auf, ihre Verantwortung zu erkennen. Die lange, lange Nacht ist vorüber. Durch den Kampf für Gewerkschafts Rechte, für das Recht, Genossenschaften zu errichten, für die Presse – und Versammlungsfreiheit, für das Demonstrations – und Streikrecht, für die Freiheit, die für die Bildung der Massen notwendige Literatur zu drucken und zu lesen, werdet ihr die einzigen Mittel nutzen, durch die eure Freiheiten erobert und bewahrt werden. Jetzt gibt es nur einen Weg zu wirksame Aktion, die Organisierung der Massen.“ [Declaration to the Colonial Peoples of the World (vom Autor dieses Buches), gutgeheißen und beschlossen von dem in Manchester, England, in der Zeit vom 15.-21. Oktober 1945 abgehaltenen Panafrikanischen Kongress.]
Ein definitives Aktionsprogramm wurde beschlossen. Im Grunde genommen drehte sich das Programm um die Forderung nach einer Verfassungsänderung mit dem Ziel des allgemeinen Wahlrecht. Die anzuwenden Methoden stützen sich auf Gandhis Technik der gewaltlosen Verweigerung der Zusammenarbeit, mit anderen Worten: auf Arbeitsverweigerung, zivilen Ungehorsam und wirtschaftlichen Boykott. Entsprechend den verschiedenen Bedingungen in den einzelnen Ländern sollte es Unterschiede der Schwerpunkte geben. Die grundlegende Zielsetzung aber war allen gemeinsam: nationale Unabhängigkeit, die zur afrikanischen Einheit führen sollte. Das Nahziel war mit dem Fernziel verbunden.
Aus einer nebelhaften Bewegung, die sich vage mit schwarzem Nationalismus befasst hatte, war die panafrikanische Bewegung nun zu einem Ausdruck des afrikanischen Nationalismus geworden. Im Unterschied zu den ersten vier Kongressen, die in der Hauptsache von bürgerlichen Intellektuellen und Reformisten unterstützt worden waren, wurde der Fünfte Panafrikanische Kongress von Arbeitern, Gewerkschaftern, Bauern und Studenten besucht, die zum überwiegenden Teil aus Afrika kamen.
Als der Kongress mit der Annahme eines Programms des panafrikanischen Nationalismus beendet worden war, wurde ein Arbeitskomitee mit Du Bois als Vorsitzendem und mir als Generalsekretär geschaffen. Die Kongresszentralle wurde nach London verlegt, wo etwas später auch das Westafrikanische Nationalsekretariat gegründet wurde. Sein Zweck war, die in Manchester beschlossene Politik in Westafrika zu verwirklichen. Man bot mir die Stelle eines Sekretärs an, und ich willigte ein.
Wir gaben eine Monatszeitschrift, The New African, heraus und beriefen zwei westafrikanische Konferenzen nach London ein. Damals war bereits das politische Bewusstsein afrikanischer Studenten so gründlich erwacht, dass sie kaum von etwas anderem sprachen, als von der kolonialen Befreiungsbewegung. Die besonders Begeisterten unter uns gründeten eine kleine Gruppe, die wir The Circle nannten. Wir nahm nur solche auf, die mit ganzem Herzen für die Freiheit und Einheit von Westafrika eintraten, und begannen, uns für den revolutionären Kampf in allen Teilen des afrikanischen Kontinent vorzubereiten.
Gerade zu dieser Zeit wurde ich aufgefordert, nach der Goldküste6 zurückzukehren, um Generalsekretär der United Gold Coast Convention7 zu werden. Ich nahm mit einigen Bedenken an. […]
Als ich 1947 nach Westafrika zurückkehrte, geschah das mit der Absicht, die Goldküste als einen Ausgangspunkt für Afrikas Unabhängigkeit und Einheit zu benutzen. Mithilfe der Massenbewegung, die ich in der Convention People’s Party8 aufbauen konnte, sicherte sich die Goldküste ihre Befreiung und wurde 1957 zum souveränen Staat Ghana. Ich erklärte von Anfang an, dass die nationale Unabhängigkeit Ghanas jede Bedeutung verliere, wenn sie nicht mit der Befreiung des ganzen afrikanischen Kontinent verbunden sei. Während unsere Unabhängigkeitsfeiern abgehalten wurden, rief ich eine Konferenz aller souveränen Staaten Afrikas ein, die die Pläne für die Zukunft unseres Kontinent erörtern sollte.
Die erste Konferenz der unabhängigen afrikanischen Staaten trat im April 1958 in Accra zusammen. Damals gab es nur acht: Ägypten, Ghana, Sudan, Libyen, Tunesien, Liberia, Marokko und Äthiopien. Unser Ziel war, Ansichten über gemeinsam interessierende Angelegenheiten auszutauschen; Methoden der Stabilisierung und Sicherung unser Unabhängigkeit zu finden; die wirtschaftlichen und kulturellen Verbindung zwischen unseren Ländern zu stärken; über praktische Möglichkeiten zu entscheiden, unseren noch immer kolonial unterdrückten Brüdern zu helfen; das zentrale Weltproblem der Sicherung und Erhaltung des Friedens zu prüfen.
Als ich am 15. April 1958 die Delegierten begrüßte, hatte ich den Eindruck, dass der Panafrikanismus endlich nach Afrika gekommen sei, wohin er in Wahrheit auch gehörte. Es war ein historisches Ereignis. Freie Afrikaner kam miteinander in Afrika zusammen, um afrikanische Angelegenheiten zu prüfen und zu beraten. Es war eine entschiedene Abkehr von dem gewohnten Brauch, ein Schock für die arrogante Anmaßung nichtafrikanischer Staaten, dass die Sache Afrikas ausschließlich Staaten außerhalb unseres Kontinent etwas angeht. Die afrikanische Persönlichkeit trat zum ersten Mal vor die Weltöffentlichkeit. […]
Das Jahr 1958 war aber nicht nur wegen der ersten Konferenz der unabhängigen afrikanischen Staaten bedeutsam, sondern auch deshalb, weil im Dezember in Accra die Allafrikanische Völkerkonferenz stattfand. Delegierte von 62 afrikanischen nationalen Organisationen nahm daran teil.
Der Wille zur Einheit, dem die Konferenz Ausdruck gab, war mindestens ebenso stark wie die Entschlossenheit, der Unabhängigkeitsbewegung in ganz Afrika zum Sieg zu verhelfen. Die Begeisterung unter den in ihre Länder zurückkehrenden Delegierten hatte große Auswirkungen auf die spätere Entwicklung. […]
Im November 1959 kamen Vertreter der Gewerkschaften aller afrikanischen Länder in Accra zusammen, um den Allafrikanischen Gewerkschaftsbund9 zu gründen. Die afrikanische Arbeiterbewegung war immer enger mit dem Kampf für politische Befreiung und für ökonomische und soziale Entwicklung verbunden.
Ein weiterer Schritt vorwärts in Richtung einer afrikanischen Zusammenarbeit wurde einige Monate später getan, als im April 1960 in Accra eine Konferenz zusammentrat, um Positive Action and Security in Africa zu erörtern. Diese Konferenz wurde von der Regierung Ghanas in Übereinstimmung mit anderen unabhängigen afrikanischen Staaten einberufen, um die Lage in Algerien10 und Südafrika11 zu beraten und um zukünftige Aktionen zu diskutieren und zu planen, die den Missbrauch Afrikas als Erprobung nuklearer Waffen verhindern sollte.12 Ebenso wichtige Probleme, die behandelt werden mussten, waren die vollständige Befreiung des afrikanischen Kontinents und die Notwendigkeit, sich gegen Neokolonialismus und Balkanisierung zu schützen, durch die die Einheit erschwert werden würde.
Mitte 1960 fand eine weitere Konferenz der unabhängigen afrikanischen Staaten, jetzt zwölf an der Zahl, in Addis Abeba statt und im gleichen Jahr in Accra eine weitere afrikanische Konferenz. Die Letztere, eine Konferenz afrikanischer Frauen zu Erörterung gemeinsamer Probleme, wurde am 18. Juli eröffnet. Die Delegierten Sprachen über Freiheit und Einheit und die dringende Notwendigkeit sozialen und ökonomischen Fortschritt.
Während diese Konferenz ihren Lauf nahmen, schufen die Ereignisse in dem gerade unabhängig geworden Kongo, eine internationale Krise nach der anderen. Die Provinz Katanga versuchte, sich von der Kongo-Republik abzuspalten, und der kongolesische Ministerpräsident Patrice Lumumba hatte die Vereinten Nationen um Hilfe ersucht.
Einige der Gefahren des Neokolonialismus und der Balkanisierung, die wir vorausgesehen hatten, wurden nun Wirklichkeit. Ausländische Geschäftsinteressen und auch politische Interessen, die mit dem Kalten Krieg zusammenhingen, begannen die politische Bühne des Kongo zu beherrschen und vereitelten eine sofortige Aktion der Vereinten Nationen, die, wäre sie zu dem vorgesehenen Zweck unternommen worden, einen entscheidenden Einfluss auf die Aufrechterhaltung der Souveränität der Regierung Lumumba ausgeübt hätte.
Wenn damals, im Juli 1960, die unabhängigen Staaten Afrikas geeint gewesen wären oder zumindest über ein gemeinsames militärisches Oberkommando und eine gemeinsame Außenpolitik verfügt hätten, wäre es möglich gewesen, eine afrikanische Lösung für das Kongo-Problem zu finden, und der Kongo hätte wahrscheinlich unbehindert von nicht-afrikanischer Einmischung sein eigenes Geschick gestalten können.
So sollte es aber nicht kommen. Die Lage im Kongo verschlechterte sich zusehends, die Unruhe und die Gefahr der Uneinigkeit traten unverhüllt in Erscheinung. Die einzigen, die aus dieser Situation Nutzen zogen, waren die Neokolonialisten und deren Verbündete in Südafrika und den beiden Rhodesien13. Sie benutzten den Kampf im Kongo als Argument, um der Welt die Unfähigkeit der Afrikaner, ihre eigenen Geschicke zu lenken, vor Augen zu führen.
Zu einem Versuch, in letzter Minute die Situation zu retten und einen Beweis afrikanischer Solidarität zu liefern, trat auf Einladung von Patrice Lumumba zwischen dem 25. und 30. August in Leopoldville eine Konferenz unabhängiger Staaten zusammen. Auf dieser Konferenz der Außenminister brachten die Delegierten ihre Ansichten über die Kongo-Krise zum Ausdruck. Obwohl die Konferenz ihren Zweck nicht erfüllte, war sie immerhin deshalb von Wichtigkeit, weil sie den Delegierten die Möglichkeit gab, mit eigenen Augen zu sehen, was im Kongo vor sich ging, und die gewonnenen Erfahrungen ihren Regierungen persönlich mitzuteilen. Ein wertvoller Anschauungsunterricht über die dringende Notwendigkeit der Einheit bei der Verteidigung der afrikanischen Unabhängigkeit war gegeben worden.
Vor dem Hintergrund des anhaltenden Kampfes im Kongo und der Unruhen in Südafrika, Algerien und anderen Teil des Kontinents trat Anfang 1961 in Kairo eine Allafrikanische Völkerkonferenz zusammen. Etwa 200 Delegierte nahmen daran teil. Die Konferenz warnte die unabhängigen afrikanischen Staaten vor den Gefahren des Neokolonialismus, der mit Großbritannien, den USA, Frankreich, Westdeutschland, Israel, Belgien, den Niederlanden und Südafrika verbunden war. Sie sprach auch eine Warnung vor imperialistischen Agenten unter dem Deckmantel religiöser und philanthropischer Organisationen aus. Die Resolutionen enthielten auch einen Aufruf an den „antiimperialistischen Block“14, bei der Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft durch die Gewährung von langfristigen Anleihen zu niedrigen Zinssätzen, rückzahlbar in Landeswährung, zu helfen. Sie verlangte den Ausschluss Südafrikas aus der UNO, die Abberufung des Herrn Hammarskjöld15, die unverzügliche Freilassung Jomo Kenyattas16, die sofortige Unabhängigkeit Nord- und Südrodhesiens und die Auflösung der Zentralafrikanischen Föderation17. Die Konferenz rief auch zu einem Handelsboykott gegen Nord- und Südrhodesien auf, kritisierte die in Angola18, Kamerun19 und im Kongo praktizierte Politik und bekräftigte, dass Gizengas Regierung in Stanleyville20 die gesetzmäßig Regierung des Kongo sei. […]
Im Laufe des Jahres 1961 entstanden zwischen den sogenannten Casablanca- und Monrovia-Staaten Differenzen. Die Casablanca-Staaten, das sind Ghana, Mali, Libyen, Ägypten, Marokko und die algerische FLN (Nationale Befreiungsfront des algerischen Volkes), trafen sich vom 3. bis 7. Januar 1961 in der marokkanischen Hauptstadt. Die Delegationen aus Ghana, Guinea, Mali und Ägypten standen unter der Führung ihrer Staatsoberhäupter, während die Provisorische Algerische Regierung von Ferhat Abbas und Libyen von seinem Außenminister vertreten wurden. Ceylon21 entsandte seinen Botschafter in Kairo, Mr. A. C. Pereira, als Beobachter zur Konferenz. Sie wurde von dem inzwischen verstorbenen König Mohammed dem V. von Marokko einberufen, der auch den Vorsitz führte, während der damalige Kronprinz die marokkanische Delegation leitete.
Das Hauptthema der Konferenz war die Lage im Kongo und die Unfähigkeit der Vereinten Nationen, ihren Beschlüssen Geltung zu verschaffen. Es wurde beschlossen, dass die Mitgliedstaaten ihre Truppenkontingente aus dem Kongo abziehen sollten, falls das UNO-Kommando nicht unverzüglich der Zentralregierung seine Unterstützung gewährte. Mobutus22 Armee sollte entwaffnet werden. Alle Belgier23 und andere, die nicht dem UNO-Kommando unterstanden, sollten ausgewiesen und das kongolesische Parlament einberufen werden.
Unter anderen wichtigen Beschlüssen dieser Konferenz waren die über Algerien, die französischen Atombombenversuche in der Sahara und den gesamten Komplex der Apartheid. Im Großen und Ganzen bestätigte sie die Beschlüsse der Konferenzen von Bandung24, Accra, Monrovia25 und Addis Abeba, auf denen man sich über eine Transportsperre und Boykotts gegen Südafrika geeinigt hatte, und verpflichtete dazu, die dort beschlossenen Maßnahmen durchzuführen.
Das vielleicht am weitesten gehende Resultat der Konferenz von Casablanca war die Veröffentlichung der „Afrikanischen Charta von Casablanca“. Danach wurden eine ständige Afrikanische Beratende Versammlung sowie drei permanente Arbeitskomitees gebildet: das erste, das politische, das aus den Staatsoberhäuptern besteht; das zweite, das Wirtschaftskomitee, das aus den Wirtschaftsministern zusammengesetzt ist; und das dritte, das sich mit Fragen der Kultur befasst und in dem die Minister für Erziehungswesen vertreten sind. Ein Vereinigtes Afrikanisches Oberkommando, dem die Stabschefs der unabhängigen afrikanischen Staaten angehören, war ebenfalls in der Charta vorgesehen. Sie sollten in regelmäßigen Zeitabständen zusammenkommen, um „die gemeinsame Verteidigung Afrikas im Falle einer Aggression gegen irgendeinen Teil des Kontinents zu organisieren und die Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten zu sichern“. […]
Nigeria, Tunesien, Äthiopien, Liberia, der Sudan, Togo, Somalia, Indien und Indonesien waren zur Konferenz eingeladen worden. Die Mitgliedstaaten der Communauté Française26, die sich gegen Ende 1960 auf Zusammenkünften in Abidjan und Brazzaville vereinigten, waren nicht zur Teilnahme aufgefordert worden. Die Ansicht, dass sich in Afrika drei verschiedene „Blöcke“ gebildet hätten, entbehrt deshalb nicht einer gewissen Berechtigung.
Diese Ansicht erhielt weitere Nahrung, als im Mai 1961 die Konferenz von Monrovia stattfand. Hinter dieser Konferenz standen die Regierungen von Kamerun, Liberia, Nigeria und Togo. Von 27 selbstständigen afrikanischen Staaten sandten 20 Delegationen und 15 von ihnen standen unter der Leitung von Präsidenten und Premierministern. Der Präsident von Liberia wurde zum Vorsitzenden gewählt.
Die sieben abwesenden Nationen waren Ghana, Guinea, Mali, Marokko, Ägypten, der Sudan und der Kongo. Der Kongo war nicht eingeladen worden, weil es damals keine stabile Regierung gab. […]
Die grundsätzliche Ähnlichkeit der Zielsetzung der Staaten, die in Casablanca […] zusammentraten, und derer, die sich in Monrovia […] trafen, wird beim Studium der gefassten Beschlüsse und der vereinbarten Vorschläge offenbar. Beide Staatengruppen haben als Endziel irgendeine Art von Einheit vor Augen. Die Casablanca-Mächte sind der Ansicht, politische Einheit müsse den Vorrang haben, da sie die notwendige Vorbedingungen für die Schaffung eines weiten Gebietes sei, für das gemeinsame Pläne zur ökonomischen und sozialen Entwicklung ausgearbeitet werden können. Ihre Überzeugung von der Wichtigkeit, die politischen Ziele allen anderen voranzustellen, basiert auf Erfahrungen, die sie in ihren eigenen Ländern gesammelt haben, wo die politische Unabhängigkeit erreicht werden musste, bevor man den Aufbau der Wirtschaft in Angriff nehmen konnte.
Wahrscheinlich kommt der Tatsache einige Bedeutung zu, dass Monrovia – das seinen Namen derjenigen Gruppe gegeben hat, die der wirtschaftlichen Zusammenarbeit den Vorrang einräumt – die Hauptstadt des einzigen Staates auf dem afrikanischen Kontinent ist, der nicht um seine politische Unabhängigkeit kämpfen musste. Jedoch musste Liberia im Laufe seiner etwas wechselvollen Geschichte seine Selbstständigkeit und Lebensfähigkeit gegen die territorialen und ökonomischen Übergriffe ausländischer Mächte mit aller Kraft verteidigen und wird oft nach Hilfe ausgeschaut haben, die die kolonisierten Nachbarstaaten damals nicht leisten konnten.
Trotz des sehr realen Unterschieds in den Auffassung der beiden Gruppen über den springenden Punkt der Einheit kann man doch nicht behaupten, dass es sich dabei um eine unüberbrückbare Kluft zwischen uns handelt. Im Gegenteil, jede Gelegenheit und alle Mittel werden ausgenutzt, um in aller Herzlichkeit zusammenzukommen und nutzringende Diskussionen zu führen. […]
Die ökonomische und politische Integration ist Afrikas Gebot
Man behauptet häufig, Afrika sei arm. Es wird jedoch weithin anerkannt, dass Afrikas Schätze ungeheuere Möglichkeiten für ein gesundes Wachstum des Kontinents bieten, der über riesige Vorräte an Erzen und Energiequellen verfügt. Die ökonomische Schwäche, der jungen afrikanischen Staaten stammt aus ihrer kolonialen Vergangenheit, die ihre Entwicklung den Bedürfnissen der Kolonialmächte unterordnete. Diese Situation umzukehren und Afrika auf die Stufe der modernen Nationen mit hoher Produktivität zu heben, erfordert ein gigantisches Programm der Selbsthilfe. Ein derartiges Programm kann nur durch eine gemeinsame Planung innerhalb der von einer afrikanischen Behörde beschlossenen Generallinie aufgestellt und durchgeführt werden.
Der Oberbau des kolonialen Partikularismus über der Selbstversorgungswirtschaft Afrikas hatte eine äußerst ungleichmäßige regionale Entwicklung des Kontinents zur Folge. Im Großen und Ganzen wurden die Küsten-, Bergbau- und Hochlandgebiete, deren Boden und Klima gut sind, im Rahmen der kolonialen Bedürfnisse nach Rohmaterialien ausgebeutet. Solche Gebiete, die vor ihrer Ausbeutung Forschungsarbeit oder verhältnismäßig höhere Kapitalinvestitionen erforderten, wurden mehr oder weniger links liegen gelassen. Es gibt daher in Afrika riesige Gebiete, die praktisch ungenutztes Land sind und die aus diesen Gründen und aus geographischen Erwägungen bis zum heutigen Tag als ungeeignet für eine Entwicklung angesehen werden. Trotz dieser Einschränkungen ist es Afrika gelungen, mit seinem Ackerbau die folgenden, aus dem jähr 1954 stammende Prozentsätze der Weltproduktion zu erziehen:
Kakao, 66 %; Sisalhanf, 58 %; Palmöl, 65 %; Erdnüsse, 26 %; Kaffee 14 %; Olivenöl 11 %. [Economic Development in Africa, 1954-5. U.N. & F.A.O. Report.]
Außerdem werden auch große Mengen von Gerste, Wolle, Baumwolle, Mais, Tee, Gummi Tabak Weizen, Pyrethrum Gewürznelken und Reis produziert.
In der Mineralienproduktion hat unser Kontinent nach der von der UNO veröffentlichten Statistik für 1956 folgende Prozentsätze der Weltproduktion hervorgebracht:
96 % Diamanten (ausgenommen die UdSSR);27 69 % Kobalt;28 63 % Gold ;29 48 % Antimon; 37 %Manganerze; 34 % Chromeisenerz; 32 % Apatitstein; 24 % Kupfer; 19 % Asbest; 15 % Zinn; 4 % Eisen; 4 % Bauxit. [Economic Survey of Africa singe 1950. Veröffentlicht 1959.]
Nigerias Anteil an der Weltproduktion von Kolumbit beträgt 85 %;30 Ghana ist der zweitgrößte Manganproduzent der Welt.31
Außerdem besitzt Afrika verschiedene der größten Uranvorkommen der Welt, was eine verhältnismäßig frühzeitige Errichtung von Atomkraftwerken ermöglichen könnte.32 […]
Die Energiequellen sind um nichts weniger gewaltig. Afrika verfügt über das größte Wasserkraftpotenzial der Welt.33 […]
Kohle und Eisenerz sind für die Industrialisierung notwendig. Afrika verfügt über Kohlereserven, die auf etwa 4,5 Milliarden Tonnen geschätzt werden.34 […] Auch neue Ölvorkommen werden vermutet.35 […] Vor einigen Jahren wurde über ein Methangasvorkommen unter dem Kiwusee mit einem Potenzial, das dem Heizwert von 50 Millionen Tonnen Kohle entspricht, berichtet.36
All diese Vorkommen sind bekannt, und sie sind in keiner Weise unbeträchtlich. Welche ökonomischen Möglichkeiten aber erschlossen werden, wenn einmal unser ganzer Kontinent erforscht und seine wirtschaftliche Nutzung auf einer umfassenden Grundlage in Angriff genommen wird, kann heute noch nicht gesagt werden. […]
Man nimmt an, dass Afrika auch auf landwirtschaftlichen Gebiet über ungeheure ungenutzte Möglichkeiten verfügt. […]
Unter dem Kolonialsystem wurde viel versäumt, das sogar den imperialistischen Interessen gedient hätte, wenn sie sich nicht darauf beschränkt hätten, nur das beste Land, die reichsten Bergwerke und die Häfen und Städte zu entwickeln, die sie für ihre eigenen wirtschaftlichen Zwecke benötigten. Sie strebten nach raschen und leichten Profiten und wollten mit Gebieten, die eine geringere Ausbeute versprachen, nichts zu tun haben.
Unsere afrikanische Einstellung ist eine andere. Es gibt keinen einzigen Teil des afrikanischen Kontinent, der uns und unserer Entwicklung nicht am Herzen liegt. Mit den heute zur Verfügung stehenden technischen Mitteln kann das, was früher als ein Märchen angesehen wurde, mithilfe wissenschaftlicher Methoden ausgeführt werden, sofern nur die Geldmittel dafür vorhanden sind. […]
Ein wesentlicher Teil dessen, was heute als Entwicklungsinfrastruktur bezeichnet wird, sind die Verkehrswege. Lord Lugard37, einer der Pioniere beim Tragen der „Bürde des weißen Mannes“, sagte einmal, dass die „materielle Entwicklung Afrikas in einem Wort zusammengefasst werden könnte: Transport“. [Lord Lugard: The Dual Mandate in Tropical Africa, Blackwood 1922, S. 5.] Wenn dies auch zweifellos eine starke Vereinfachung darstellt, so ist die Entwicklung des Transportwesens im kontinentalen Maßstab für den Verkehr und den ökonomischen Fortschritt in Afrika doch von lebenswichtiger Bedeutung. Was Afrika wirklich braucht, ist ein völlig aufeinander abgestimmtes Transportsystem für den Kontinent, das von einer zentralen Organisation, die die relativen Möglichkeiten und die Wirtschaftlichkeit der Straßen-, Eisenbahn-, Fluss-und Seeschifffahrts- sowie Flugsysteme im Zusammenhang mit einem Generalplan für Afrikas Binnenhandel und der fortschreitenden ökonomischen und sozialen Entwicklung überprüft, gründlich geplant wird. Derzeit ist der Handels- und Güteraustausch zwischen afrikanischen Ländern gering. Das Kolonialsystem unterbrach den Handel, der vor seinem Eindringen bestanden hatte, und alle Verbindungswege und -einrichtungen – wie Straßen, Eisenbahn und Hafenanlagen – weisen deshalb nach außen, weil sie notwendige Hilfsmittel für den Transport der Rohstoffe von den afrikanischen Quellen zu ihren europäischen Verarbeitern darstellten. Durch den sich ausdehnenden Verkehr, den die Unabhängigkeit mit sich gebracht hat, werden an die Verkehrswege nunmehr gesteigerte Anforderungen gestellt, die sie nicht mehr erfüllen können. In ganz Afrika wurden in den letzten Jahren Hafenanlagen, Eisenbahnen, Straßen und Flughäfen stark überlastet.
Wenn wir von diesen nach außen gerichteten Verbindungswege sprechen, meinen wir damit mehr als nur die Tatsache, dass sie in Richtung auf die Küste und das Ausland angelegt sind. Die Eisenbahnlinien wurden zu dem Zweck geschaffen, Güter zu den Häfen zu transportieren, die wiederum in stärkerem Maße dafür eingerichtet und ausgerüstet wurden, Schiffe zu be- als zu entladen. Aus diesem Grunde ist unser Eisenbahnnetz noch immer eingleisig und hat nur wenige Zweig- und Verbindungslinien. Sie wurden von den Kolonialmächten zu dem Zweck angelegt, Bergbaugebiete zu verbinden oder Naturprodukte und Rohstoffe für den Export von den Sammelstellen zu den Häfen zu bringen. Die Bauern mussten selbst dafür sorgen, dass ihre Ernten zu den Sammelstellen gelangten. […] Auch die Straßen sind völlig unzureichend, um die wachsenden Bedürfnisse des aufstrebende Afrika zu befriedigen. Die Kosten für den Straßenbau sind hoch und die Schaffung eines Straßennetz für den ganzen Kontinent müsste zentral geplant und finanziert werden.
Das Klima und die Geographie Afrikas stellen uns vor besonders große Probleme beim Bau und bei der Erhaltung von Straßen und Eisenbahnen. Diese Schwierigkeiten können aber im Rahmen eines Plans für die Entwicklung ganz Afrikas überwunden werden. […]
Diese Behauptung kann sich auf das Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika stützen. Amerikas wirkliche Entwicklung begann mit seiner Vereinigung, die die Schaffung eines riesigen Eisenbahn- und Straßennetzes begünstigte, so dass D. W. Brogan, eine anerkannte Autorität auf dem Gebiet der politischen Geschichte Amerikas, nach einer Bemerkung, dass in Amerika „Gebiete, so ungleich wie Norwegen und Andalusien, unter einer Regierung vereinigt sind, eine gemeinsame Sprache sprechen und sich als Teile einer einheitlichen Nation betrachten“, in der Lage ist zu behaupten: „Diese Einigkeit wird durch das größte Transportsystem der Welt gestützt, ein System, dessen Ausmaß nur durch die politische Einheit möglich gemacht wurde.“ [D. W. Brogan: USA. An Outline of the Country, its People and Institutions, Oxford University Press, S. 9.]
Häfen und Wasserwege sind um nichts weniger wichtig als gute Straßen und Eisenbahnen. Afrika hat im Verhältnis zu seiner Größe die kürzeste Küstenlinie aller Kontinente, aber bezüglich seiner natürlichen Häfen ist es nicht so günstig ausgestattet. […]
Auch das Problem der Binnenwasserwege ist von großer Bedeutung, wenn auch schiffbare Wasserwege in den meisten Gebieten nur eine untergeordnete Bedeutung haben. […]
Der Lufttransport für Passagiere und Fracht hat wahrscheinlich die größte Zukunft. Viele große internationale Fluggesellschaften unterhalten Linien in Afrika, aber die meisten von ihnen haben ihre Routen so geplant, dass die Bedürfnisse von Passagieren befriedigt werden, die in Länder außerhalb Afrikas fliegen oder von dort kommen. […]
Das für alle diese Entwicklungsprogramme notwendige Kapital kann nur dadurch aufgebracht werden, dass unsere Mittel im kontinentalen Maßstab eingesetzt werden. Dazu bedarf es einer zentralen Organisation, die eine umfassende Wirtschaftspolitik für Afrika ausarbeitet, welche die wissenschaftlichen, methodischen und ökonomischen Pläne unseres Fortschritts vom derzeitigen Zustand der Armut zu industrieller Größe einschließen wird.
Innere Zollschranken können beseitigt und Unterschiede in der inneren Struktur der Länder ausgeglichen werden. Währungsschwierigkeiten müssen einer gemeinsamen Währung weichen. Keines unserer Probleme ist unüberwindlich, sofern wir uns nicht seiner Lösung widersetzen. […]
Im heutigen Afrika gibt es eine übermäßige Doppelarbeit in der Forschung, weil wir über keine zentrale Organisation für Wirtschaftsplanung verfügen, die die Forschung lenken und Kenntnisse und Erfahrung koordinieren könnte. […]
Manche Menschen leugnen die Notwendigkeit der Einheit des Kontinent als wesentliche Vorbedingungen für die vollständige Industrialisierung. Andere verweisen auf wirtschaftliche Konföderation, wie etwa den Zollverein in Deutschland im 19. Jahrhundert als mögliche Vorbilder, nachdem wir in Afrika unsere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Industrialisierung ausrichten sollten. Sie vergessen die historische Tatsache, dass der Zollverein sich als unfähig erwiesen hat, das Kapital aufzubringen, das Deutschland zur Durchführung seine Industrialisierung brauchte. Erst als die deutschen Staaten ihre Souveränität zu Gunsten des deutschen Reiches aufgaben, konnte dieses Problem voll in Angriff genommen werden. Es war die Einigung Deutschlands, die dem sich ausbreitenden Kapitalismus den Anstoß gab und eine entsprechende Bevölkerungsgrundlage für den Absatz von Industriewaren schuf. […]
In der Gegenwart sehen sich die europäischen Großmächte einem zunehmenden Konkurrenzkampf im Bereich auf Profit gerichteter Produktion gegenüber, der durch neue wissenschaftliche Erfindungen, zusammenschrumpfende Kolonialreich und das Anwachsen des sozialistischen Lagers noch verstärkt wird. Ihre Antwort ist die Schaffung von Bündnissen der Stärke, nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf politischem und militärischem Gebiet. Es erscheint mir deshalb seltsam und paradox, wenn in einer Zeit, da die nationale Eigenstaatlichkeit in Europa überstaatlichen Organisation Konzession macht, viele afrikanische Staaten sich an ihre neuerrungene Souveränität klammern, als wäre sie von höherem Wert als das Gesamtwohl Afrikas, und sich mit denjenigen Staaten zu verbinden suchen, die sich verschworen haben, im Interesse des Neokolonialismus unseren Kontinent zu balkanisieren.
Manche dieser afrikanischen Staaten schließen sich europäischen Organisationen an, weil sie sich der falschen Hoffnung hingeben, sie würden daraus genügend Nutzen ziehen, um ihre Wirtschaft zum Aufblühen zu bringen. […]
Wenn solche Staaten sich in die Herde der Imperialisten begeben, diesmal aber nicht als Opfer territorialer Eroberung, sondern aus freien Stücken, werden die gleichen Kräfte, die sie dazu zwangen, weit hinter den industrialisierten Ländern zurückzubleiben, auch weiterhin den alten Zustand aufrechterhalten. Die afrikanischen Staaten werden dann wieder völlig der imperialistischen Ausbeutung offenstehen. Politische Selbstständigkeit wird ein bloßer Schein sein und nichts wird erreicht worden sein als die Aufwertung gewisser opportunistischer Gruppen innerhalb der nationalen Vereinigungen und die Bereicherung der Neokolonialisten. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit wird in weitere Fernen gerückt sein als je zuvor, und die Konflikte zwischen jenen afrikanischen Vereinigungen werden an Schärfe zunehmen, da sich infolge der immer erbarmungsloser werdenden Forderungen der neokolonialistischen Monopole, ihre raffgierige ökonomische und militärische Maschinerie zu füttern, die Klassenunterschiede scharf herauskristallisieren werden.
Ein afrikanischer Gemeinsamer Markt, der ausschließlich den Interessen Afrikas dienen würde, könnte mit viel größerer Wirksamkeit den wahren Bedürfnissen der afrikanischen Länder Rechnung tragen. Solch ein afrikanischer Gemeinsamer Markt setzt eine gemeinschaftliche Politik im Außenhandel wie auch im afrikanischen Binnenhandel voraus und muss unser Recht auf freien Handel in der ganzen Welt gewährleisten. […]
Die wichtigste Lehre, die man aus der Geschichte der industriellen Entwicklung der heutigen Welt ziehen kann, besteht zum einen in den unschätzbaren Vorzügen, die eine Planung gegenüber der laissez faire-Politik des „freien Wettbewerbs“, der Politik, der ersten Pioniere des Industrialismus, besitzt; und zum anderen in der gewaltigen Überlegenheit, die eine Planung auf kontinentaler Ebene, verbunden mit sozialistischer Zielsetzung, gegenüber den fragmentarisch, zersplitterten Versuchen uneiniger Staaten – wie etwa auf dem südamerikanischen Kontinent – den großen Nachzüglern auf dem Wege in das Reich der modernen Staatswesen bewiesen hat. Die Zuwachsraten der Sowjetunion und Chinas übersteigen bei weitem selbst die des anderen kontinentalen Riesen, der Vereinigten Staaten von Amerika, dessen ökonomische Entwicklung sich über eine längere Periode hinzog und dessen Kapitalakkumulation – als Ergebnis einer mithilfe von Sklavenarbeit betriebenen Großplantagenwirtschaft und der Verarbeitung ihrer Produkte zu Fabrikerzeugnissen – schon beträchtlich war, bevor die Industrialisierung im großen Maßstab nach dem Krieg zur Erhaltung der Union38 ernstlich in Angriff genommen wurde. Die USA sind der stimmgewaltigste Verfechter einer von zentraler Planung ungehinderten freien Wirtschaft. Ihre Gesellschaftsordnung weist die schamloseste soziale Ungleichheit auf und reicht von dem schwarzen Wanderarbeiter, der gerade auf oder sogar unter dem Existenzminimum lebt, bis zu den Finanzmagnaten, die astronomische Reichtümer anhäufen, wobei es zwischen diesen beiden Extremen alle möglichen Abstufungen von Reichtum und Armut gibt. 16 Millionen Menschen sind dort noch immer vom politischen Leben ausgeschlossen.39
Die Sowjetunion begann den Weg der planmäßigen Industrialisierung Anfang der Dreißigerjahre zu beschreiten, nachdem ein wahrhaft gewagter Versuch gemacht worden war, die schwierigen Probleme zu lösen, die ein Start mit minimalen Reserven und Mitteln mit sich brachte, welche unsere derzeitigen nur um ein weniges überstiegen. Es herrschten die Nachwirkungen der Revolution und des Bürgerkrieges, einschließlich der Zerstörung von Industrieanlagen, soweit sie unter dem Zaren bestanden hatten, oder ihrer Abtretung an die Staaten, die sich losgetrennt hatten. Die Bevölkerung war ungleichmäßig auf einem Territorium verstreut, das ein Sechstel der Erdoberfläche umfasste. Sie befand sich in verschiedenen Stadien der Entwicklung, von Nomadenstämmen in der Steppe und Wüste, bis zu einer kultivierten Intelligenz in Leningrad und Moskau und einem verhältnismäßig schwachen Proletariat, das in den großen und kleineren Städten arbeitete. Der zersetzende Hader und Hass zwischen all diesen Menschen war sprichwörtlich und die Vielfalt der Sprachen und Religionen kam der im heutigen Afrika beinahe gleich. Darüber hinaus musste die Sowjetunion ihren Weg in einem Zustand der Isolierung gehen, der ihr durch den Ausschluss aus der Völkerfamilie aufgezwungen worden war, weil sie die sozialistische Ideologie zu ihrem Leitstern gewählt hatte. Außerdem war die Sowjetunion von einem cordon sanitaire40 von Satellitenstaaten umgeben, die von den Großmächten als drohende vorgeschobene Posten benutzt wurden.
Im Kampf gegen all diese Nachteile, gegen die offene Feindschaft und die gegen ihre Erfolge gerichteten Manöver, im Kampf gegen die furchtbaren Zerstörungen und gegen die Material- und Menschenverluste des Zweiten Weltkriegs ist es der Sowjetunion in wenig mehr als 30 Jahren gelungen, eine derart starke und hoch entwickelte Industrie aufzubauen, die es ihr ermöglichte, den Sputnik zu starten und als erstes Land einen Menschen in den Weltraum zu schicken. Es muss schon etwas daran sein, an einem System kontinentaler Organisation, gepaart mit klar formulierten Zielen der Sozialisierung, das eine so bemerkenswerte Leistung vollbracht hat; und ich zitiere dieses Beispiel, um zu zeigen, wie viel ein koordiniertes Wirtschaftsprogramm für den afrikanischen Kontinent erreichen könnte. […]
Der Neokolonialismus in Afrika
Die größte Gefahr, die Afrika gegenwärtig bedroht, ist der Neokolonialismus und seine Hauptmethode, die Balkanisierung. Dieser Ausdruck passt sehr gut, um die Zersplitterung Afrikas in kleine schwache Staaten zu beschreiben, da er von der Aktion der Großmächte herrührt, die den europäischen Teil des alten Türkenreiches41 aufteilte und eine Anzahl abhängiger und einander befehdender Kleinstaaten auf der Balkan-Halbinsel errichteten. Der Zweck war, ein politisches Pulverfass zu schaffen, das jeder Funke in die Luft sprengen konnte. Tatsächlich kam es auch 1914 zur Explosion, als ein österreichischer Herzog in Sarajevo ermordet wurde. Da die Balkanländer mit den Großmächten und ihrer Rivalität so eng verbunden waren, führte dieser Mord zum Ersten Weltkrieg, dem größten Krieg, den es bis dahin gegeben hatte. […]
Im selben Maße, wie in den Kolonialgebieten der nationale Kampf an Intensität zunimmt und die Unabhängigkeit am Horizont erscheint, versuchen die imperialistischen Mächte – die in den trüben Wassern der Interessen der verschiedenen Religionen, Stämme und Volksgruppen fischen – innerhalb der nationalen Front Spaltungen herbeizuführen, um eine Zersplitterung zu bewirken. Irland ist ein klassisches Beispiel dafür und Indien ist ein weiteres.42 Die Franzosen zerschlugen die Föderation Westafrikas und Äquatorialafrikas.43 Nigeria wurde in Regionen zerbrochen und steht vor weiteren Teilungen.44 Ruanda-Burundi ist seit seiner Unabhängigkeit in Stücke zerfallen.45 Weil wir in Ghana allen versuchen, uns vor der Erreichung der Unabhängigkeit zu spalten, Widerstand entgegengesetzten, zwangen uns die Briten ihre Verfassung auf, die darauf abzielte, unsere nationale Einheit zu zerstören. Der Kongo, dem man übereilt und mit böswilligem Vorsatz die Unabhängigkeit verlieh, wurde alsbald zum Kampfplatz einer von den Imperialisten geförderten Zersplitterung.
All dies sind Bestandteile der Politik der bewußten Balkanisierung Afrikas durch Manipulationen des Neokolonialismus, der in seinen Auswirkungen mehr Gefahren für unsere berechtigten Bestrebungen nach Freiheit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit in sich bergen kann als eine direkte politische Kontrolle. Lenin bemerkte zu diesem Problem:
„Eine etwas anders geartete Form finanzieller und diplomatischer Abhängigkeit, bei politischer Unabhängigkeit, bietet uns Portugal. Portugal ist ein selbständiger, souveräner Staat, aber faktisch steht es seit mehr als 200 Jahren, seit dem spanischen Erbfolgekrieg (1704-1714), unter dem Protektorat Englands. England verteidigte Portugal und dessen Kolonialbesitz, um seine eigene Position im Kampfe gegen seine Gegner, Spanien und Frankreich, zu stärken. Dafür erhielt England Handelsprivilegien, bessere Bedingungen beim Warenexport und besonders beim Kapitalexport nach Portugal und seinen Kolonien, die Möglichkeit, die Häfen und Inseln Portugals zu benutzen, seine Kabel usw.“ [Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Lenin Werke 22, S. 269.]
Das Antlitz des Neokolonialismus in Afrika trägt heutzutage einige dieser Züge. Er wirkt unter einem Deckmantel und manipuliert mit Menschen und Regierungen, ohne den äußeren Anschein zu erwecken, selbst die politische Herrschaft auszuüben. Er errichtet Satellitenstaaten, die zwar dem Namen nach unabhängig sind, aber in Wirklichkeit nur Marionetten genau derselben Kolonialmacht darstellen, die ihnen scheinbare Unabhängigkeit verliehen hat. Das ist eine der „verschiedenartigen Formen der abhängigen Länder, die politisch, formal selbständig, in Wirklichkeit aber in ein Netz finanzieller und diplomatischer Abhängigkeit verstrickt sind.“ [Ebd. S. 267.] Die europäischen Großmächte erzwingen den Abschluss von Verträgen mit den balkanisierten Staaten, die ihnen die Kontrolle der Außenpolitik übertragen. Oft sehen solche Verträge auch die Errichtung von militärischen Basen und die Stationierung von Streitkräften der ausländischen Macht auf dem Gebiet der neuen Staaten vor. Die Unabhängigkeit solcher Staaten existiert nur dem Namen nach, denn sie haben keine Handlungsfreiheit.
Frankreich hat für seine Kolonialgebiete niemals völlige Unabhängigkeit vorgesehen. Es hat seine Kolonien immer als Bestandteile des Mutterlandes betrachtet. Als es offensichtlich wurde, dass diesen Ländern, die nationale Souveränität nicht mehr länger vorenthalten werden konnte, traf Frankreich Vorbereitungen, um die jungen unabhängigen Staaten im Bereich des französischen Herrschaftsgebietes zu halten. Ihre Aufgabe war nach wie vor, billige Rohstoffe und tropische Lebensmittel zu liefern und gleichzeitig als ausschließliche Märkte für französische Waren zu fungieren. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete Frankreich in seinen überseeischen Territorien zwei Finanzorganisationen zum Zweck der „Wirtschaftshilfe“, FIDES (Fonds d’Investissement et Développement Economique et Social) und CCOM (Caisse Centrale de la France d’Outre-mer).
Subventionen der CCOM flossen in die Budgets der ehemaligen Kolonien, um die Kosten der Staatsverwaltung und der Unterhaltung französischer Streitkräfte in diesen Gebieten bestreiten zu helfen. Investitionen in die soziale und ökonomische Entwicklung der französischen Überseegebiete waren weitgehend ein Euphemismus für die Ableitung der Geldmittel durch den FIDES in diese vormaligen Kolonien und ihre Rückführung nach Frankreich. Schätzungen zufolge sind 80 % solcher sogenannten Investitionen in Gestalt von Zahlungen für Materialien, Dienstleistungen, Provisionen, Bankgebühren und Gehälter für französische Beamte und Angestellte nach Frankreich zurück gelenkt worden. Projekte wurden in der Hauptsache auf dem Gebiet der Staatsverwaltung und der Landwirtschaft in Angriff genommen. Sie waren jämmerlich unzureichend und mangelhaft vorbereitet, wobei örtliche Verhältnisse oder Bedürfnisse wenig oder gar nicht berücksichtigt wurden. Es wurde kein Versuch gemacht, die Grundlagen für ein industrielles Wachstum oder die mannigfaltige Gestaltung der Landwirtschaft zu schaffen, die eine wirkliche Entwicklung fördern könnten. FIDES und CCOM wurden später durch FAC (Fonds d’Aide et de Coopération) und CCCE (Caisse Zentrale de Coopération Economique) ersetzt. Diese Agenturen haben aber nur einen neuen Namen bekommen; sie besitzen die gleichen Funktionen wie die alten, und zwar unter genau den gleichen Bedingungen.46 Investitionen fördern wie bisher die Produktion ausfuhrfähiger Naturprodukte und die Handelsunternehmen der französischen Geschäftsfirmen, die ihre Belieferung aus französischen Fabriken und Industriezentren sicherstellen. Französische Bankiers und Finanzkonzerne, die mit einigen der größten rohstoffverarbeitenden Industrien verbunden sind, werden angeregt, die Ausbeutung von Mineralien in den vormaligen Kolonialgebieten und den Export in unverarbeiteter Form in stärkerem Maße zu betreiben.
Mögen diese Länder auch dem Namen nach unabhängig sein, so bleibt doch für sie die klassische Beziehung einer Kolonialwirtschaft zu ihrem europäischen Herrn bestehen, indem sie wie bisher die Rohstoffe liefern und für dessen Waren einen exklusiven Markt bilden. Der einzige Unterschied gegenüber früher besteht darin, dass dieses Verhältnis nunmehr unter dem Deckmantel von Wirtschaftshilfe und schützender Besorgtheit, also einer der subtileren Formen des Neokolonialismus, verborgen ist. […]
Die Umwandlung Afrikas in eine Anzahl von Kleinstaaten beläßt diesen weder die Mittel noch die Arbeitskräfte, um für ihre eigene Sicherheit und Lebensfähigkeit zu sorgen. Ohne die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen ökonomischen Entwicklung sehen sie sich gezwungen, im Rahmen des alten kolonialen Handelssystems weiter zu wirtschaften. Darum müssen sie sich nach Verbündeten in Europa umsehen, wodurch sie sich wiederum einer selbstständigen Außenpolitik berauben und ihre wirtschaftliche Abhängigkeit verewigen. Eine derartige Lösung kann nur in die Vergangenheit, nicht aber in die Zukunft weisen. Die einzige vorwärtsweisende Lösung für die afrikanischen Staaten beruht auf politischer Einheit, einer einheitlichen Außenpolitik, einem gemeinsamen Verteidigungsprogramm und einem völlig koordinierten Wirtschaftsprogramm für die Entwicklung des ganzen Kontinent. Nur auf diesem Wege können die Gefahren des Neokolonialismus und seiner Dienerin, der Balkanisierung, beseitigt werden. Erst wenn wir dieses Ziel erreicht haben, können unsere Beziehungen zur Europa in eine neue Phase eintreten. […]
Der Mechanismus dieser Balkanisierung ist einfach. In der Dynamik nationaler Revolutionen gibt es normalerweise zwei Gruppen im Lande: die Gemäßigten der höheren Berufe und der „Aristokratie“ und die sogenannten Extremisten der Massenbewegungen. Die Gemäßigten möchten gern an der Regierung teilnehmen, scheuen aber vor sofortiger Übernahme von Verantwortung zurück, da es ihnen an Erfahrung und Fähigkeit mangelt. Sie sind gern bereit, im Austausch gegen ein Versprechen von Wirtschaftshilfe, die wichtigsten Bereiche der Souveränität der Kolonialmacht zu überlassen. Die sogenannten Extremisten hingegen sind Menschen, die Gewaltanwendung nicht für unumgänglich halten, die aber sofortige Selbstregierung und volle Unabhängigkeit fordern. Sie sind Menschen, denen die Interessen des Volkes am Herzen liegen und die sich darüber klar sind, dass nur ihre eigenen afrikanischen Führer und nicht etwa die Kolonialmacht diese Interessen vertreten können. Es ist ihnen bewusst, dass die Probleme eines unabhängigen Staates nicht leicht zu lösen sind und dass sie ohne Hilfe der Kolonialisten Fehler machen können. Aber sie ziehen es vor, lieber in Freiheit ihre eigenen Fehler zu machen, als auf die Gelegenheit der Eigenverantwortung zu verzichten, wissen sie doch, dass selbst eine gute Regierung kein befriedigender Ersatz für eine Selbstregulierung sein kann. […]
Eitelkeit und Engstirnigkeit waren die Faktoren, die die Führer der ersten nordamerikanischen Staaten eine lange Zeit daran hinderten, sich zu einer Einheit zusammenzuschließen. Am Ende aber wurden sie doch durch die Entschlossenheit des Volkes und das auftreten von Führen von Format, Reife und Weitblick überwunden. Niemand zweifelt heute mehr daran, dass der Wohlstand der Vereinigten Staaten von Amerika niemals erreicht worden wäre, hätte jeder Staat auf seiner kleinlichen Souveränität in „glänzender Isolierung“ verharrt. In jenen Tagen aber bestanden vielleicht weniger in die Augen springende Gründe für South Carolina, sich mit New Hampshire zu einer Kontinentalunion zusammenzuschließen, als heute für Ghana und Nigeria, Guinea und Dahomey47, Togo und die Elfenbeinküste, Kamerun und Mali und andere, gemeinsam eine Union als ersten Schritt der Vereinigung aller Staaten des afrikanischen Kontinents zu bilden.
Darum muss jede Bestrebung zu einem Zusammenschluss afrikanischer Staaten, so begrenzt auch die unmittelbaren Auswirkungen sein mögen, als ein Schritt in die richtige Richtung begrüßt werden, nämlich als Schritt zur endlichen, politischen Einheit, Afrikas. […]
Wenn wir die vielfältigen Gefahren, denen die jungen Staaten und Freiheitskämpfer Afrikas ausgesetzt sind, betrachten, müssen wir immer mehr zu der Überzeugung kommen, dass unsere sicherste, wenn nicht einzige Verteidigung in der Einheit liegt. Und eben diese Einheit ist es, die die imperialistischen Manöver und Aktionen zu verhindern trachten. Es müsste darum sonnenklar sein, dass diese Manöver nur vereitelt werden können, indem man eben das, was sie verhindern wollen, in die Tat umsetzt. Gegenwärtig errichtet eine augenscheinliche Verschiedenheit der Ansichten unter den Führern einiger afrikanischer Länder eine Mauer der Zwietracht quer durch den glühenden Willen zur Einheit, der der mächtigen nationalen Bewegung auf dem ganzen Kontinent das Gepräge gibt. […] Das Band unserer Einheit kann nicht mehr missachtet werden. Es muss dazu dienen, die Sache der Afrikanischen Union zu Form und uns dem Ziel ihrer Verwirklichung und der Ausrottung der letzten Spuren des Imperialismus auf unserem Kontinent näher zu bringen. Unser Kurs ist klar. Wir müssen uns vor dem Geschenk einer Pseudo-Unabhängigkeit in Acht nehmen und den Trug uns belastender ausländischer Bündnisse ablehnen. Wir müssen Lobpreisungen aus zweifelhaften Quellen sorgfältig prüfen und unseren Völkern jedwede Garantie für unsere ehrlichen Absichten geben. Wir müssen gegen die imperialistischen Kräfte, die sich zum Ziel gesetzt haben, uns zu spalten und Afrika in ein Schlachtfeld einander befehdender Interessengruppen zu verwandeln, fest zusammen stehen. Denn nur durch eine Assoziierung zur afrikanischen Einheit und nicht durch ein Reiter-Ross-Verhältnis mit dem genannten Mächten, die unsere Balkanisierung zum Ziel haben, können wir diese machiavellistische Gefahr bekämpfen und überwinden.
Eine Union Afrikanischer Staaten muss unsere Geltung in der Welt stärken, da dann ganz Afrika mit einer einheitlichen Stimme sprechen wird. Nach der Schaffung der Einheit wird unser Vorbild – dass eine Vielfalt von Völkern in Freundschaft und Frieden für gemeinsame Entwicklung arbeitet und lebt – den Weg zum niederreißen der Grenzen auf der ganzen Welt weisen und der Idee der Verbrüderung aller Menschen einen neuen Sinn geben. Eine Union Afrikanischer Staaten wird die Würde Afrikas heben und seinen Einfluss in der Weltpolitik verstärken. Sie wird der afrikanischen Persönlichkeit volle Ausdrucksmöglichkeiten verleihen. […]
Eine kontinentale Regierung für Afrika
An dem Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika haben wir gesehen, wie die dynamischen Elemente innerhalb der Gesellschaft die Notwendigkeit der Einheit begriffen und ein erbittert Bürgerkrieg führten, um die von den reaktionären Kräften bedrohte politische Union zu bewahren. Wir haben auch am Beispiel der Sowjetunion gesehen, wie das Zusammenschmieden der kontinentalen Einheit in Verbindung mit der Bewahrung der nationalen Souveränität der Unionsstaaten Kräfte freigesetzt hat, die innerhalb einer bemerkenswert kurzen Zeitspanne aus einer höchst rückständigen Gesellschaft einen äußerst machtvollen Einheitsstaat geschaffen haben. Derartige Beispiele aus Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika liefern einen klaren Beweis dafür, dass auch wir in Afrika über die gegenwärtigen und künftigen Mittel verfügen, eine Gesellschaft zu errichten, wie wir sie ersehnen. Schätzung zufolge wird die Bevölkerungszahl Afrikas gegen Ende dieses Jahrhundert 500 Millionen übersteigen.48
Unser Kontinent stellt die zweitgrößte Landmasse der Welt dar. Die Naturschätze Afrikas werden größer eingeschätzt als die fast alle anderen Kontinente. Um aus unseren gegenwärtigen und zukünftigen Mitteln das Höchstmögliche für die Schaffung von Überfluss und einer idealen Gesellschaftsordnung herauszuholen, müssen wir die Einheit unserer Arbeit, unserer Mittel, unserer Fähigkeiten und unseres Strebens erzielen.
Als abschreckendes Beispiel kann Europa dienen. Dadurch, dass es sich an die verschiedenen Nationalismen klammerte, ist es nach Jahrhunderten, in denen sich Kriege mit Zeiten eines labilen Friedens abwechselten, in einem Zustand der Verwirrung gesunken, einzig und allein, weil es nicht im Stande war, eine gesunde Grundlage politischer Einigung und Verständigung zu schaffen. Erst jetzt, unter dem Zwang wirtschaftlicher Schwierigkeiten und der Gefahr einer erneuten deutschen industriellen und militärischen Wiederaufrüstung, versucht Europa – bis jetzt erfolglos – einen modus operandi ging diese Bedrohung zu finden. Dass die EWG dieses Wunder bewirken könnte, ist eine trügerische Hoffnung.49 Zwei Weltkriege und der Zusammenbruch der Kolonialreiche sollten den, wenn auch noch nicht überall verstandenen, Beweis dafür liefern, dass stärke auf Einigkeit beruht.
Während wir Afrikaner, für die die Einheit das höchste Ziel ist, alle Kräfte in dieser Richtung anspannen, lassen die Neokolonialisten nichts unversucht, um unseren Einheitsbestrebungen entgegenzuwirken, indem sie die Schaffung von Staatsgebilde auf der Grundlage der Sprache ihrer vormaligen Unterdrücker fördern. Wir dürfen uns nicht dadurch verwirren und Spalten lassen. Die Tatsache, dass ich Englisch spreche, macht mich nicht zu einem Engländer. Genauso wenig wird einer von uns ein Franzose oder Portugiese, weil er Französisch oder Portugiesisch spricht. Wir sind Afrikaner und nichts als Afrikaner, und als Afrikaner können wir unseren besten Interessen nur durch die Einheit im Rahmen einer afrikanischen Gemeinschaft dienen. Weder ein Commonwealth noch eine Französisch-Afrikanische Gemeinschaft können ein Ersatz dafür sein.
Für uns ist Afrika mitsamt seinen Inseln ein einziges Afrika. Wir verwerfen jeden Gedanken an irgendeine Art einer Teilung unseres Kontinents. Von Tanger oder Kairo im Norden bis Kapstadt im Süden, vom Kap Guardafui im Osten bis zu den Kapverdischen Inseln im Westen ist Afrika eins und unteilbar.
Wenn wir von politischer Einheit sprechen, dann sind unsere Kritiker – dessen bin ich mir bewusst – schnell mit der Entdeckung bei der Hand, jemand wolle eine Diktatur errichten und die Staaten ihrer Souveränität berauben. Wir haben aber an den vielen Beispielen von Staatenbünden gesehen, dass über die Gleichberechtigung der Gliedstaaten in jeder Verfassung eifersüchtig gewacht und ihre Souveränität nicht angetastet wird. Es gibt Unterschiede in Bezug auf die Machtbefugnisse, die der Zentralregierung zustehen und die die Gliedstaaten behalten, wie auch auf den Gebieten der Exekutive, der Legislative und der Justiz. Alle Mitgliedstaaten haben jedoch eine gemeinsame Handels- und Wirtschaftspolitik. Alle Regierungen sind weltlicher Natur, damit Fragen der Religion sich nicht nachteilig auf die vielen Probleme auswirken, die sich aus der Erhaltung der Einheit und der Gewährleistung der größtmöglichen Entwicklung ergeben.
Wir in Afrika, die gegenwärtig auf Einigung drängen, sind von der Rechtmäßigkeit unserer Ziele vollauf überzeugt. Wir benötigen die Kraft unserer vereinigten Volksmassen und Naturschätze, um uns gegen die äußerst bedrohlichen Gefahren, die eine Rückkehr des Kolonialismus in getarnter Form mit sich bringt, zu verteidigen. Wir benötigen die Einheit um die Kräfte, die sich in unserem Lande eingenistet haben, die unseren Kontinent zersplittern und noch immer Millionen unserer Brüder in Knechtschaft halten, zu bekämpfen. Wir benötigen die Einheit, um ganz Afrika die Freiheit zu bringen. Wir brauchen sie, um den Aufbau eines sozialökonomischen Systems durchzuführen, das der großen Masse unserer ständig wachsenden Bevölkerung einen Lebensstandard verschaffen soll, der sich mit dem der höchstentwickelten Staaten vergleichen lässt. Ohne ein Zusammenwirken sind wir aber außer Stande, unsere gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten voll auszunutzen. Müssten wir unser Potenzial an Arbeitskräften und Naturschätzen in separaten, isolierten Gruppen entwickeln, so würden wir unsere Energie sehr bald im gegenseitigen Konkurrenzkampf verschwenden. Wirtschaftliche Gegensätze würden unfehlbar zu erbitterter politischer Rivalität führen, wie sie bereits Jahrhunderte lang das Wachstum und die Entwicklung Afrikas gehemmt hat.
Im gegenwärtigen Stadium haben die meisten selbstständigen Staaten Afrikas einen Weg eingeschlagen, auf dem sie den Gefahren des Imperialismus und Neokolonialismus ausgesetzt sind. Was uns daher fehlt, ist eine gemeinschaftliche politische Basis zur Koordinierung unserer Pläne für den Aufbau der Wirtschaft, für die Verteidigung und für die Außenpolitik. Eine solche Basis für einheitliche politische Aktion braucht die Souveränität der afrikanischen Teilstaaten in ihrem Wesen nicht zu beeinträchtigen. Die einzelnen Staaten würden auch weiterhin selbstständige Autorität ausüben; ausgenommen wäre nur die Gebiete, die vereinbarungsgemäß im Interesse der Sicherheit und einer geregelten Entwicklung des ganzen Kontinent einheitlich geleitet werden.
Meiner Ansicht nach sollte also ein vereintes Afrika, das bedeutet die politische und wirtschaftliche Vereinigung des afrikanischen Kontinent, drei Ziele verfolgen:
In erster Linie sollten wir auf kontinentaler Grundlage einen ökonomischen Gesamtplan aufstellen. Dadurch würde die industrielle und wirtschaftliche Macht Afrikas ein Zuwachs erfahren. Solange wir balkansiert sind, in Regionen und Territorien zersplittert, werden wir dem Imperialismus und Kolonialismus auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert bleiben. Die Lektion, die uns die Stellung der südamerikanischen Staaten gegenüber der Macht und Geschlossenheit der Vereinigten Staaten von Amerika erteilt, ist für jeden erkennbar.
Der Reichtum Afrikas kann nur dann zum größten Vorteil und höchsten Nutzen für alle verwendet werden, wenn er in den Rahmen einer kontinental geplanten Entwicklung einbezogen wird. Ein solcher wirtschaftlicher Gesamtplan auf der Grundlage eines vereinten afrikanischen Kontinents würde unser industrielles und wirtschaftliches Potenzial erhöhen. Wir sollten uns darum schon heute ernsthaft Mittel und Wege überlegen, wie wir den Gemeinsamen Markt eines Vereinigten Afrika aufbauen und den Verlockungen der zweifelhaften Vorteile einer Assoziierung mit dem sogenannten Europäischen Gemeinsamen Markt Widerstand entgegensetzen können. Wir in Afrika haben unsere Blicke allzu lange nach außen gerichtet und von dort das Heil für unsere Wirtschaft und unser Verkehrswesen erwartet. Von jetzt an wollen wir hinsichtlich aller Aspekte seiner Entwicklung unseren Blick nach innen, auf den afrikanischen Kontinent, richten. Unsere Verbindungswege wurden von den Kolonialregierung so angelegt, dass sie nach außen in Richtung auf Europa und andere Erdteile wiesen, anstatt sie im Innern zwischen unseren Städten und Ländern auszubauen. Politische Einheit sollte uns die Macht und den Willen verleihen, dies alles zu verändern. Wir in Afrika verfügen über unermessliche landwirtschaftliche Reichtümer, über Reichtümer an Bodenschätzen und Wasserkräften. Dieser beinahe fantastisch anmutende Reichtum kann im Interesse Afrikas und der Afrikaner nur dann voll erschlossen und ausgenutzt werden, wenn wir ihn im Rahmen einer Unionsregierung der afrikanischen Staaten entwickeln. Eine solche Regierung wird eine gemeinsame Währung, ein einheitliches Zollgebiet und eine gemeinsame Notenbank haben müssen. Die mit solchen finanziellen und währungstechnischen Maßnahmen verbundenen Vorteile würden unschätzbar sein, da sie Geldtransaktionen zwischen unseren Staaten erleichtern und das Tempo unserer finanziellen Entwicklung beschleunigen würden. Im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Wirtschaft Afrikas neu zu orientieren und sie ausländischer Kontrolle zu entziehen, ist die Errichtung einer zentralen Notenbank ein dringendes Gebot.
In zweiter Linie sollten wir auf die Schaffung einer einheitlichen Militär- und Verteidigungsstrategie hinarbeiten. Ich kann kaum etwas Gutes oder Kluges darin entdecken, wenn jeder Einzelstaat bemüht ist, große, militärische Kräfte für seine Verteidigung aufzubauen oder zu unterhalten, die bei einem massiven Angriff auf einen einzelnen Staat ohnehin unwirksam wären. Wenn wir dieses Problem realistisch einschätzen, so sollten wir im Stande sein, uns die entscheidende Frage zu stellen: Welcher afrikanische Staat könnte unter den jetzigen Umständen seine Souveränität gegen einen imperialistischen Angreifer allein verteidigen? […] Wenn wir uns nicht vereinigen und unser militärisches Potenzial für die gemeinschaftliche Verteidigung nutzen, dann könnten sich die einzelnen Staaten aus Sicherheitsgründen gezwungen sehen, ihre Zuflucht im Abschluss von Verteidigungsabkommen mit ausländischen Mächten zu suchen, wodurch die Sicherheit aller afrikanischen Staaten in Gefahr geraten könnte.
Dazu kommt noch der finanzielle Aspekt dieses Problems. Die Unterhaltung starker Militärkräfte stellt eine schwere, finanzielle Belastung selbst für die reichsten Staaten dar. Für die jungen afrikanischen Staaten, die für ihre innere Entwicklung dringend Kapital benötigen, ist es lächerlich, wenn nicht selbstmörderisch, wenn ein jeder von ihnen separat und individuell eine so schwere Rüstungslast für seine Selbstverteidigung auf sich nimmt, während doch das Gewicht dieser Last durch eine Aufteilung auf viele Schultern ohne Schwierigkeiten verringert werden könnte. Derartige Versuche, gemeinsamer Verteidigung wurden bereits von den Casablanca-Staaten und der Afro-Madagassischen Union50 unternommen, aber um wievieles besser und größer könnte der Erfolg sein, gäbe es anstelle zweier solcher Ansätze ein gemeinsames Oberkommando für die Land-, See- und Luftstreitkräfte Afrikas?
Das dritte Ziel, das wir in Afrika erreichen sollten, ergibt sich aus den ersten zwei Problemen, die ich soeben behandelt habe. Sobald wir in Afrika einen gemeinsamen Wirtschaftsplan aufstellen und eine gemeinsame Militär- und Verteidigungsstrategie organisieren, wird es sich für uns auch als notwendig erweisen, eine gemeinsame außenpolitische Linie und Diplomatie auszuarbeiten, um unseren vereinigten Bestrebungen zur Verteidigung und ökonomischen Entwicklung unseres Kontinents eine politische Zielrichtung zu geben. Außerdem gibt es etwa 60 Länder in Afrika, von denen bis jetzt 32 ihre Unabhängigkeit erreicht haben. Es würde die einzelnen Staaten finanziell schwer belasten, diplomatische Vertretungen in jedem afrikanischen Staat einzurichten, gar nicht zu reden von der Vertretung außerhalb Afrikas. Die Forderung einer gemeinsamen Außenpolitik, die es uns ermöglichen wird, auf den Ratsversammlungen der Welt mit einerStimme zu sprechen, ist so sonnenklar, lebensnotwendig und dringlich, dass jeder Kommentar überflüssig erscheint.
Es sollte – dessen bin ich sicher – möglich sein, eine Verfassung auszuarbeiten, die unseren besonderen afrikanischen Bedingungen entspricht. Sie muss nicht unbedingt den bestehenden Verfassungen von europäischen, amerikanischen oder anderen Staaten gleichen. Sie soll uns in die Lage versetzen, die von mir angeführten Ziele zu verwirklichen, und dennoch bis zu einem gewissen Grad die Souveränität jedes Staates innerhalb der Union Afrikanischer Staaten erhalten. […]
Die Weiterexistenz des freien Afrika, die sich ausdehnende Unabhängigkeit unseres Kontinents und unser Vorwärtsschreiten in eine helle Zukunft, auf die unsere Hoffnungen und Bestrebungen gerichtet sind, hängen von der politischen Einheit ab.
Unter einem größeren politischen Zusammenschluss Afrikas könnte ein Vereinigtes Afrika entstehen, groß und mächtig, in dem die territorialen Grenzen, die uns der Kolonialismus hinterlassen hat, veraltet und überflüssig sein werden und das auf die vollständige und totale Mobilisierung der Wirtschaftsplanung unter einer einheitlichen politischen Leitung hinarbeitet. Die Kräfte, die uns einen, sind viel stärker als die Schwierigkeiten, die uns gegenwärtig trennen. Unser Ziel muss Afrikas Würde, Fortschritt und Wohlstand sein.
Es ist darum klar erwiesen, dass die kontinentale Einheit Afrikas einem dringenden Bedürfnis entspricht. Wir müssen nur fest entschlossen sein, unseren Hoffnungen und Plänen zum Durchbruch zu verhelfen. Unser Ziel ist, eine moderne Gesellschaft aufzubauen, die unseren Völkern die Möglichkeit bietet, ein reiches und befriedigendes Leben zu führen. Die Kräfte, die uns einigen, sind wesentlich und sie sind stärker als die uns von außen aufgezwungen Einflüsse, die uns spalten. Diese Kräfte müssen wir mobilisieren und verstärken, um das Vertrauen, das die Millionen in uns, ihre Führer, gesetzt haben, zu rechtfertigen. Sie erwarten von uns, dass wir sie aus Armut, Unwissenheit und Chaos, die ihnen der Kolonialismus hinterlassen hat, heraus in eine geordnete Einheit führen, in der Freiheit und Freundschaft inmitten von Überfluss erblühen können.
Dies ist die Aufgabe, die das Schicksal den Führern Afrikas gestellt hat. An uns ist es, die goldene Gelegenheit zu ergreifen und uns zu beweisen, dass der Genius des afrikanischen Volkes die separatistischen Tendenzen in den souverän Nationalstaaten zu überwinden vermag, indem sie sich bald zu einer Union Afrikanischer Staaten vereinigen, zum höheren Ruhm Afrikas und um einen unbegrenzten Wohlstandes willen.
1 Kwame Nkrumah: Ghana. The Autobiography of Kwame Nkrumah, New York (International Publishers) 1957, S. 53. Zensur durch KO.
2 Gemeint sind kleinbürgerliche Bewegungen und Regime, die nach eigenem Verständnis einen Sozialismus anstrebten, den Klassenkampf dabei aber verleugneten. Diese „Sozialismen“ beschränkten sich in der Praxis meist auf eine Agrarreform, die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, staatliche Außenhandelsmonopole und einen starken Sozialstaat.
3 https://kommunistische-organisation.de/klaerungunddebatte/kwame-nkrumah-ueber-den-klassenkampf-in-afrika/
4 Gemeint ist die Pariser Friedenskonferenz von 1919, ein Treffen unter Leitung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs.
5 Gemeint sind die karibischen Inseln.
6 Offizieller Name des britisch beherrschten Ghana.
7 Die UGCC war eine 1947 gegründete gemäßigte nationale Partei Ghanas.
8 1949 brach der radikale Flügel der UGCC um Nkrumah mit der Partei und gründete die CPP.
9 Schloss sich 1973 mit mehreren anderen afrikanischen Gewerkschaftsdachverbänden zur Organisation der Afrikanischen Gewerkschaften (OATUU) zusammen.
10 In Algerien tobte seit 1954 der Befreiungskrieg, der 1962 mit der Unabhängigkeit endete.
11 Am 21. März 1960 fand das Massaker von Sharpeville statt. Die südafrikanische Bevölkerung reagierten mit Streiks und Unruhen, der ANC ging zum bewaffneten Kampf über.
12 Am 13. Februar 1960 fand der erste französische Atombombentest in der algerischen Sahara statt. Zwischen April 1960 und April 1961 fanden dort drei weitere derartige oberirdische Versuche statt.
13 „Nordrhodesien“ (Sambia) war bis 1964 britische Kolonie, „Südrhodesien“ (Zimbabwe) stand bis 1980 unter der Herrschaft weißer Siedler.
14 Aus dem Kontext lässt sich nicht erschließen, ob hier das sozialistische Lager, die Bewegung der Blockfreien oder ganz allgemein alle Staaten mit antiimperialistischem Selbstverständnis gemeint sind.
15 Dag Hammarskjöld war UN-Generalsekretär zur Zeit der Kongo-Krise und galt daher als mitverantwortlich für den Putsch und die Ermordung Lumumbas in Anwesenheit der UNO-Truppen.
16 Kenyatta war Führer der nationalen Befreiungsbewegung Kenias. Er befand sich ab 1952 zunächst in Haft, dann in Exil. Im August 1961 freigelassen, wurde er 1963 Premierminister und 1964 Präsident des unabhängigen Kenia.
17 1953-63 bestehender Zusammenschluss aus „Nord“- und „Südrhodesien“ sowie „Njassaland“ (Malawi).
18 Ab 1959 eskalierte das portugiesische Kolonialregime in Angola die Repression gegen die Unabhängigkeitsbewegung mittels Massakern und Massenhinrichtungen. Daraufhin nahm die MPLA am 4. Februar 1961 den bewaffneten Kampf gegen das Regime auf.
19 Am 3. November 1960 wurde Félix-Roland Moumié, Kommunist und antikolonialer Führer Kameruns, mit Thallium vergiftet und ermordet.
20 Antoine Gizenga war Lumumbas Vizepräsident und rief nach Mobutus Putsch und der Ermordung Lumumbas eine Gegenregierung in Stanleyville, im Nordosten Kongos, aus.
21 Bis 1972 offizieller Name Sri Lankas.
22 Mobutu Sese Seko putschte im September 1960 mit Unterstützung des belgischen Geheimdienstes und der CIA gegen Lumumba. 1965-97 errichtete er eine antikommunistische Diktatur.
23 Die ehemalige Kolonialmacht Belgien mischte sich auch nach der Unabhängigkeit Kongos in die inneren Angelegenheiten des Landes ein und war u. a. direkt an dem Sturz und der Ermordung Lumumbas beteiligt.
24 Die Bandung-Konferenz 1955 gilt als Geburtsort der Bewegung der Blockfreien.
25 Die Formulierung ist irreführend, denn die Monrovia-Konferenz fand erst im Mai 1961 statt. Siehe weiter unten.
26 Nachfolgerin der Französischen Union, die wiederum eine neokoloniale Transformation des französischen Kolonialreichs war. Anfang 1961 gehörten ihr noch Gabun, Kongo-Brazzaville, Madagaskar, der Tschad und die Zentralafrikanische Republik an.
27 Von den 23 Ländern der Welt, die Diamanten fördern, sind 17 afrikanisch. Ohne Russland produzieren sie heute (Stand 2023) etwa 78 % der geförderten Diamanten. https://www.bgs.ac.uk/mineralsuk/statistics/world-mineral-statistics/world-mineral-statistics-data-download/world-mineral-statistics-data/
28 Heute stammen 70 % allein aus der DR Kongo. https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/bergbau-und-rohstoffe
29 Bis heute ist Afrika mit einem Drittel der jährlichen Förderung noch immer der größte Goldproduzent der Welt.https://elements.visualcapitalist.com/gold-production-by-region-visualized/
30 Heute vor allem für die IT-Produktion zentral. Die größten Abbaugebiete liegen in der DR Kongo, Ruanda und Nigeria.https://www.regenwald-schuetzen.org/handeln/bodenschaetze/coltan
31 Heute Belegen Südafrikas Gabun und Ghana Platz 1, 2 und 4 der größten Mangan-Produzenten. https://www.technik-einkauf.de/rohstoffe/kritische-rohstoffe/mangan-vorkommen-aus-welchen-laendern-kommt-der-rohstoff-948.html
32 Aktuell (Stand 2022) gibt es 22 afrikanische Staaten mit Uranvorkommen, von denen 13 bis heute unangetastet sind. Die derzeit größten Uranproduzenten Afrikas sind Südafrika, Niger und Namibia.https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/Uranatlas_2022_2.pdf
33 Bis heute wird das Wasserkraftpotenzial Afrikas Schätzungen zufolge nur zu 11 % ausgeschöpft. https://www.africa-business-guide.de/de/praxis/erfahrungen/zukunftsmarkt-mit-wasserkraft-fuer-mehr-nachhaltigkeit-in-afrika-689754#:~:text=Welche%20Gründe%20sehen%20Sie%20für,zur%20Erreichung%20der%20Nachhaltigkeitsziele%20leisten
34 Nach heutigen Schätzungen verfügt allein Südafrika über 10,9 Milliarden Tonnen.https://aenert.com/de/laender/afrika/energiewirtschaft-in-suedafrika/
35 Derzeit geht man von 119 Milliarden Barrel Erdölreserven in Afrika aus. https://almenassa.ly/en/2025/07/20/opec-libya-holds-africas-largest-oil-reserve-ranks-second-in-continental-production-for-2024
36 Aktuellen Schätzungen zufolge verfügt Afrika über 17,5 Billionen Kubikmeter an Erdgasreserven, was 9 % der weltweiten Vorkommen entspricht. https://energychamber.org/natural-gas-is-key-to-africas-industrialisation-process-and-to-ending-the-regions-massive-energy-poverty/
37 Frederick John Dealtry Lugard war ein britischer Baron, Offizier und Kolonialbeamter. Er gilt als Erfindet der britischen „Indirect rule“.
38 Gemeint ist der Amerikanische Bürgerkrieg 1861-65.
39 Gemeint ist die schwarze Bevölkerung in den USA, die bis zum Civil Rights Act von 1964 auch formal nicht gleichberechtigt war.
40 Französisch für „Isolationsgebiet“, „Sperrgürtel“, „Pufferzone“.
41 Gemeint ist das Osmanische Reich.
42 In Irland betrieben die Briten eine konfessionelle (katholisch–protestantisch) und eine ethnische (gälisch–angloschottisch), in Indien eine religiöse (hinduistisch-muslimisch) sowie ethnische (zwischen den vielen verschiedenen Volksgruppen) Spaltungspolitik, die sich u. a. in der Spaltung Irlands 1921 und der gewaltsamen Abspaltung Pakistans von Indien 1947 niederschlugen.
43 Frankreichs Kolonien in Subsahara-Afrika waren zusammengefasst in den Föderationen Französisch-Westafrika (AOF) und Französisch-Äquatorialafrika (AEF). Bevor es seine Kolonien in die Unabhängigkeit „entließ“, löste Frankreich diese Föderationen auf, um mit jeder einzelnen über die Konditionen der Unabhängigkeit zu verhandeln und um souveräne Machtblöcke in Afrika zu verhindern.
44 Kurz vor der Unabhängigkeit führten die Briten in Nigeria ein föderales System ein, das das Land in drei ethno-religiöse Regionen teilte und regionale Identitäten und Eliten förderte. Drei Jahre nach Nigerias Unabhängigkeit 1960 herrschten in dem Land entsprechende Spannungen, 1966 kam es tatsächlich zum Bürgerkrieg, als Biafra versuchte, sich abzuspalten.
45 Die Belgier förderten die Spaltung zwischen Hutu, Tutsi und Twa und „entließen“ die Kolonie 1962 wegen der angeblich unüberbrückbaren und vermeintlich ethnischen Gegensätze in Form zweier getrennter Staaten: Ruanda und Burundi.
46 Die FAC wurde 1973 und die CCCE 1998 offiziell aufgelöst und ihre jeweiligen Aufgaben an die Agence Française de Développement (AFD) übertragen.
47 Seit 1975 Benin.
48 Tatsächlich wurde diese zahl bereits Anfang der 1980er Jahre erreicht. Im Jahr 2000 waren es bereits mehr als 830 Millionen Menschen, heute sind mehr als 1,5 Milliarden. https://www.worldometers.info/world-population/africa-population/
49 Die Nachfolgerin der EWG, die EU, wird heute vom deutschen Imperialismus dominiert.
50 Organisatorischer Zusammenschluss innerhalb der Monrovia-Gruppe. Sie unterstellte ihre politische Agenda ab 1963 der OAU und verfolgte bis zu ihrer Auflösung 1985 nur noch wirtschaftliche Ziele.