Auch dieses Jahr beteiligten wir uns als Kommunistische Organisation und in gewerkschaftlichen Strukturen wieder an Veranstaltungen rund um den 1. Mai in Berlin, Bremen, Chemnitz, Dresden, Duisburg, Erfurt, Essen, Frankfurt, Jena, Leipzig, Mannheim und Saalfeld. Unsere politische Ausrichtung war, den Zusammenhang zwischen der deutschen Kriegspolitik gegen Russland und der wachsenden Verarmung in Deutschland aufzuzeigen. Mit dieser Stoßrichtung wollten wir eine Lücke füllen, die sowohl der DGB als auch die sogenannten revolutionären Demonstrationen offenließen. Interessanterweise hatten wir keinerlei Probleme, als KO bei den DGB-Veranstaltungen aufzutreten, obwohl sich der DGB klar hinter den Kriegskurs Deutschlands stellt. Auf den sogenannten revolutionären Demonstrationen sah das anders aus: Hier wurden wir für unsere Anti-Kriegshaltung angegangen und zum Teil auch körperlich angegriffen.[1]
Der DGB schweigt zum Zusammenhang von Krieg und Verarmung
Die diesjährige Ausgangslage am Kampftag der Arbeiterklasse war in Deutschland wie international vom Krieg gegen Russland geprägt. Die NATO führt Krieg gegen Russland, welches laut Baerbock ruiniert werden müsse. Deutschland rüstet sich mit einem milliardenschweren Kriegskredit für weitere Kriege und die Arbeiterklasse muss dafür bezahlen. In Deutschland explodieren die Preise für Energie und Lebenshaltung, u.a. eine Folge der verhängten Sanktionen gegen Russland. Vor allem für die Beschäftigen aus dem Niedriglohnsektor hat sich die soziale Lage stark verschärft. Aber auch Normalverdiener haben immer mehr Probleme, den bisherigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Die letzten Tarifrunden und die verstärkte Streikbereitschaft zeigen, dass einige nicht mehr länger Reallohnverluste hinnehmen wollen, während die Profite der großen Konzerne munter sprudeln.
In dieser Situation muss aus Regierungssicht klar verhindert werden, dass der Zusammenhang zwischen Verarmung und Krieg zur Sprache gebracht wird. In diesem Sinne gestaltete der DGB den diesjährigen 1. Mai. Bereits in seinem Statement „Ungebrochen Solidarisch“ machte der DGB klar, in welche Richtung es gehen soll: Die hohen Preise und die steigende Inflation werden benannt, jedoch nicht deren Ursachen. Zu den Sanktionen und den damit zusammenhängenden Energiepreisen schweigt der DGB. Die Welt befinde sich im „Krisen-Dauermodus“, was die Ursachen dieser Krisen sind und wer von ihnen profitiert wird jedoch ausgespart. Einzig in Bezug auf den Krieg in der Ukraine ist der Schuldige schnell ausgemacht: Russland, das „mit seinem mörderischen Angriffskrieg (…) ein schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begangen hat. Friedenspolitische Äußerungen werden am Ende auf dem Papier gemacht, bleiben aber Lippenbekenntnisse, da sie den deutschen Kriegs- und Aufrüstungskurs nicht angreifen.[2]
Die Rednerauswahl und Inhalte der Reden auf den diesjährigen DGB-Veranstaltungen unterstützten diesen Kurs: So machte Bundeskanzler Scholz in Koblenz gleich in den ersten drei Minuten seiner Rede klar, wo er mit seiner Regierung steht und wo auch der DGB und die Arbeiterbewegung zu stehen haben: vereint im Kampf für Freiheit, Demokratie und Frieden. Dies sei auch konkret der Kampf der Ukrainer und Ukrainerinnen, die von „Russlands Imperialismus“ angegriffen worden seien. Während Scholz auf der 1. Mai Kundgebung 2022 in Duisburg noch lautstark ausgebuht wurde, konnte er seine Kriegspropaganda dieses Jahr trotz hörbarem Protest aus dem Hintergrund eher unbehelligt herum posaunen. Im Verlauf seiner Rede skizzierte Scholz dann auch klar, wo er Deutschland in Zukunft sehe: als Führungsmacht an der Spitze des technologischen und wirtschaftlichen Wettkampfes. Ganz nach dem Motto: Am deutschen Ingenieurswesen soll die Welt genesen. Dafür sei nach Scholz jedoch die Zuversicht aller Beschäftigen notwendig, damit die Transformation auch gelinge. Den Gewerkschaften gesteht er eine wichtige Rolle zu, nämlich die, Zuversicht auszustrahlen und dem deutschen Ringen um die ökonomische Vormachtstellung in der Welt den Weg zu ebnen.[3]
Die DGB-Vorsitzende Fahimi griff diese Steilvorlage in ihrer Rede in Köln auf. Sie setzte an der feministischen Außenpolitik Baerbocks an, um Länder, die sich nicht den Regeln der sogenannten westlichen Demokratien unterwerfen wollen, mit einem zivilisierenden Überlegenheitsdünkel moralisch zu belehren. So ging es Fahimi am internationalen Kampftag auch um eine „ungebrochene Solidarität“ mit den Frauen der Welt, vor allem im Iran und in Afghanistan, wo diese brutal „unterdrückt“ und „entmenschlicht“ würden. Auch im Ukraine-Krieg signalisierte Fahimi klar, dass sie an der Seite „der Ukrainerinnen und Ukrainern und ihrem ausgeübten Recht auf Selbstverteidigung“ stehe. Genauso wie an der Seite der Gewerkschaften in Belarus, die sich dort gegen Unterdrückung wehrten. Zur massiven Repression gegen Gewerkschaften in der Ukraine bis hin zu deren körperlichen Bedrohung, schwieg sich Fahimi aus – die Solidarität ist eben doch nur ungebrochen, solange sie mit der deutschen außenpolitischen Ausrichtung übereinstimmt.[4]
So war es auch kein Wunder, dass das Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014, bei dem über 50 Linke und Gewerkschafter von Faschisten ermordet wurden, kein Thema am 1. Mai war. Im Gegenteil: In Leipzig wies ein Plakat auf die Kontinuitäten hin: Am 2. Mai 1933 wurde das Leipziger Gewerkschaftshaus gestürmt. Der deutsche Faschismus rüstetet im zweiten Weltkrieg die ukrainischen Faschisten auf, auf die sich die heutigen faschistischen Kräfte in der Ukraine positiv beziehen. Auch heute werden diese wieder vom deutschen Imperialismus unterstützt. Dieses Plakat nahm der lokale Grünenpolitiker Jürgen Kasek, der sich gerne als Antifaschist inszeniert, zum Anlass, den lokalen kommunistischen Gruppen „NS-Relativierung“ vorzuwerfen.[5]
Als KO traten wir aktiv bei verschiedenen DGB-Veranstaltungen auf, verteilten unsere Stellungnahme „Was uns auf dem Teller fehlt, finden wir in der Kriegskasse“ und setzten mit Schildern und Bannern einen sichtbaren Widerspruch zum deutschen Kriegskurs und der damit zusammenhängenden Verarmung: „Frieren für den Krieg? – Nein Danke!“, „Kampf der Verarmung heißt Kampf dem Wirtschaftskrieg“ oder auch „Nein zum Krieg heißt Nein zur NATO“. Es zeigte sich, dass der DGB den 1. Mai immer weiter entpolitisiert und zu einem Art Volksfest mit Beschallung und Bespaßung verkommen lässt. So wurde der Demozug in Leipzig von einem Lautsprecher-Wagen angeführt, der die Menge mit verschiedenen Charts-Hits beschallte und teilweise eher die Wirkung einer Loveparade ausstrahlte. Dennoch versuchten wir uns mit lautstarken Demorufen Gehör zu verschaffen. Wir konnten mitlaufende Gruppen und Einzelpersonen teilweise dazu animieren, mit uns zu rufen. Unseren „Nein zum Krieg heißt Nein zur NATO“-Rufen wurde nur einmal „Nein zum Krieg heißt Putin verpiss dich“ entgegengesetzt. Auch in anderen Städten gab es keine Probleme, mit unseren Bannern am Demozug teilzunehmen. Auf den Kundgebungen konnten wir viele Gespräche mit Interessierten führen: Dabei wurde deutlich, dass es eine große Ablehnung gegen die deutsche Aufrüstung und den 100-Milliarden Kredit gibt. Auch der Zusammenhang zwischen dem deutschen Kriegskurs und der Verarmung wurde von fast allen geteilt. In Dresden machten unsere Genossen die Beobachtung, dass diese Verarmung jedoch vor allem von jüngeren Personen teilweise als Preis für die Ukraine-Solidarität gesehen wurde. Unter den älteren Anwesenden war die Ablehnung zur NATO-Politik und zum deutschen Kriegskurs viel klarer ausgeprägt, was sicherlich auch mit der sozialistischen Erziehung der DDR zusammenhängt. Deutlich sichtbar stellten sich in den westdeutschen Städten mehr Personen hinter die Kriegspolitik der NATO als in den ostdeutschen.
Viele Interessierte teilten unsere Kritik an der DGB-Führung, die sich hinter den Kriegs- und Aufrüstungskurs stellt und forderten mehr Aktivität aus der Basis dagegen. So wurde geäußert, dass sich die Gewerkschaften für den Frieden und nicht die Machtpolitik Deutschlands einsetzen sollten. Außerdem gab es einige Stimmen, die mit den Ergebnissen der letzten Tarifrunden unzufrieden waren und sich mehr Stärke und Durchhaltevermögen der Gewerkschaft gewünscht hätten. In diesem Zusammenhang wurde jedoch auch die reale Stärke der Gewerkschaften hinterfragt. Obwohl es ein paar Gespräche gab, in denen die Befragten keine Aktionsmöglichkeiten mehr innerhalb des DGB sahen, waren wir uns doch mit den meisten einig, dass es eine klare Stärkung der Gewerkschaften von unten brauche und ein Ringen um klassenkämpferische und internationalistische Inhalte. In diesem Zusammenhang stießen unsere Forderungen für die Gewerkschaftsarbeit, die wir in unserer Stellungnahme aufgestellt hatten, auf weitgehende Zustimmung.
Die Linke Szene hält dem deutschen Kriegskurs den Rücken frei
Neben den DGB-Aktionen beteiligten wir uns in Frankfurt, Berlin und Duisburg an den sogenannten revolutionären 1. Mai Demonstrationen. Sofern überhaupt Inhalte auf diesen Demos vertreten wurden, waren diese meist so abstrakt gehalten, dass sich niemand daran stören konnte: Die linksradikale Kapitalismuskritik stand für sich allein und wurde in keinen Zusammenhang mit dem imperialistischen Treiben der NATO und Deutschlands in der Welt und gegen Russland gesetzt. Es gab kaum Positionierungen gegen die Waffenlieferungen, die Aufrüstung oder die Sanktionen. So war es nicht verwunderlich, dass wir mit unserer klaren Positionierung gegen unseren Hauptfeind schnell aneckten. In Berlin haben wir uns am 30. April an der „antikapitalistischen Kiezdemo“ unter dem Motto „Frieden statt Kapitalismus! – Wettrüsten stoppen und Armut beenden!“ von der Stadtteilorganisation „Hände weg vom Wedding“ beteiligt. Mit unserem Transparent „Stoppt den Krieg gegen Russland – Keine Waffenlieferungen an die Ukraine – Für die Niederlage der NATO“ sorgten wir für einiges Aufsehen, sowohl bei der bürgerlichen Presse und Passanten, als auch den Demoteilnehmern selbst.[6] Mehrfach wurden wir von Ordnern aufgefordert, mit unserem Banner an das hintere Ende der Demo zu gehen, um das Bild der Versammlung nicht zu stark zu prägen. Es war offensichtlich, dass einigen Teilnehmern unsere Losung nicht schmeckte. Man fragt sich, was mit dem im Aufruf formulierten „Kampf gegen Aufrüstung und Krieg“ gemeint sein soll, wenn nicht der Kampf gegen die Kriegsregierung, deren Außenministerin selbst öffentlich und unwidersprochen davon spricht, dass Deutschland einen Krieg gegen Russland führt. Auch in Frankfurt am Main beteiligten wir uns mit dem Banner „Stoppt den Krieg gegen Russland“ an der sogenannten revolutionären Demonstration. Während der Demonstration wurden wir mehrfach verbal und schließlich körperlich angegriffen (ausführlich in unserer Stellungnahme nachzulesen).[7]
Unsere Losung ist und bleibt „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“
Wer gegen Inflation, Sozialabbau und Verarmung kämpfen will, der muss gegen den Krieg, den Deutschland gegen Russland führt und von der Arbeiterklasse zahlen lässt, kämpfen. Dieser Zusammenhang wurde von der DGB-Führung bewusst ausgespart. In unseren Gesprächen zeigte sich jedoch, dass viele Leute diesen Zusammenhang klar sehen und es wichtig ist, innerhalb der Gewerkschaften für eine solche Haltung zu kämpfen. Trotz der klar regierungsfreundlichen Haltung der DGB-Spitze konnten wir uns problemlos an den Demonstrationen und Aktionen beteiligen. Dies war auf den Demonstrationen, die sich gerne als revolutionäres Gegenprogramm zum DGB inszenieren, anders. Hier wurde mit Gewalt versucht, unsere Anti-Kriegsposition von der Demo zu entfernen.
Diese Situation führt uns klar vor Augen, was wir schon in den letzten NATO-Kriegen gegen Jugoslawien, Irak, Syrien oder auch Libyen in großen Teilen der linken Szene beobachten konnten: Eine klare Haltung gegen den Kriegskurs der NATO und Deutschlands wird abgeschwächt oder gar in Frage gestellt. Dies passiert durch den lautstarken Verweis auf den Feind des vermeintlich eigenen Hauptfeinds, egal ob er Milošević, Hussein, Assad, Gaddafi oder Putin heißt. Gleichzeitig ist man sich doch nicht mehr ganz sicher, ob man den eigenen Hauptfeind überhaupt bekämpfen müsse oder ob Waffen in die Ukraine und ein erneuter Ostritt des deutschen Imperialismus nicht doch angebracht seien.
Dieser 1. Mai hat uns gezeigt: Ist die Frage nach dem Antikriegskampf mal konkret gestellt und offensiv gegen den Hauptfeind gerichtet, zeigt sich offenbar, wer es ernst meint mit ebendieser Losung.
Der Hauptfeind steht im eigenen Land!
Das ist unsere Losung, und an dieser halten wir fest.
[1] https://kommunistische-organisation.de/stellungnahme/angriff-auf-anti-kriegs-banner-auf-revolutionaerer-1-mai-demo-in-ffm/
[2] https://www.dgb.de/erster-mai-tag-der-arbeit#uuid-730a094c-c7f3-11ed-b0d9-001a4a160123
[3] https://www.tagesschau.de/inland/regional/rheinlandpfalz/swr-1-mai-kundgebung-in-voller-laenge-100.html
[4] https://www.dgb.de/presse/++co++b7f9dc3e-e789-11ed-8bad-001a4a160123
[5] https://twitter.com/jkasek
[6] Verschiedene Zeitungen wie die SZ, tagesschau, BZ, Welt u.a. berichteten über die Demo und zitierten dabei unser Banner-Slogan, z.B. https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/berlin-demonstrationen-zum-mai-feiertag-100.html
https://www.bz-berlin.de/ticker/wenige-teilnehmer-bei-demo-in-wedding
[7] https://kommunistische-organisation.de/stellungnahme/angriff-auf-anti-kriegs-banner-auf-revolutionaerer-1-mai-demo-in-ffm/