Wieso der Iran einen antikolonialen Kampf führt …

Themen: Imperialismus und Neokolonialismus, Palästina

CC BY-NC-SA 4.0

… warum Teheran einen Sieg errungen hat und weshalb wir uns auf die Seite der Islamischen Republik stellen müssen!

Von Noel Bamen

Dass es sich bei der jüngsten US-israelischen Aggression gegen den Iran um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gehandelt hat, ist offensichtlich und weithin anerkannt – sogar bis hinein in deutsche bürgerliche Kreise.1 Leider aber fallen nicht nur einige Teile der politischen Linken, der Friedens- und der Palästinabewegung hinter diese Einsicht zurück, wenn sie von einem Krieg „zwischen“ Israel und Iran oder einer „Gewaltspirale“ sprechen. Vielmehr scheuen so gut wie alle deutschen und exiliranischen Linken wie auch der größte Teil der Palästina-Solidaritätsbewegung davor zurück, sich offen an die Seite des Iran im Kampf gegen die imperialistische Aggression zu stellen. 

Das hat verschiedene Gründe, auf die hier nicht alle eingegangen werden kann: von der Ablehnung des iranischen „Autoritarismus“/„Faschismus“/„Islamismus“/etc. über den Vorwurf, im Iran würden nationale Minderheiten wie die Kurden unterdrückt, bis hin zu der prinzipiellen Position, man dürfe sich niemals an die Seite irgendeines bürgerlichen Staates stellen. Hier soll eine andere und auch lediglich nur eine – wenn auch zentrale – Seite beleuchtet und dabei argumentiert werden, dass sich der Iran in Form der Islamischen Republik erfolgreich gegen einen Kolonialkrieg zur Wehr gesetzt hat, dessen Ziele die Zerstörung des Irans als Nation und vor allem seine Ausschaltung als antiimperialistische Kraft waren – und dass wir uns als Linke und Kommunisten, als Antiimperialisten und palästinasolidarische Menschen klar an seine Seite stellen müssen, zumal die Gefahr eines erneuten und umfassenderen Krieges keineswegs gebannt sind.

Iranischer Imperialismus?

Von unterschiedlichen Seiten wird gegen den Iran selbst häufig der Vorwurf erhoben, eine „imperialistische Macht“ zu sein bzw. eine „imperialistische Politik“ zu betreiben. Dabei wird meist auf Syrien oder ganz allgemein auf die Unterstützung von „Milizen und Stellvertretergruppen in weiten Teilen des Nahen Ostens“2 (gemeint sind dann Libanon, Jemen und Irak) verwiesen. Auf diesen Aspekt soll hier nicht groß eingegangen werden, ein paar Sätze müssen diesbezüglich aber doch fallen.

Zwar kann man die Rolle des Iran in Syrien nicht umfassend bewerten, ohne über Syrien selbst zu sprechen, wofür hier nicht der Platz ist. Doch selbst wenn man einmal davon ausgeht, dass Teheran die Baath-Herrschaft gegen eine legitime „Volksrevolution“ verteidigt habe, und es sich nicht um einen vom imperialistischen Westen und seinen Verbündeten im Nahen Osten befeuerten Regime-Change gehandelt hat, könnte man zwar von einer „ausländischen Einmischung“ mit Blick auf den Iran sprechen – ein Beweis für einen „iranischen Imperialismus“ ist das aber noch lange nicht. Die Behauptungen vor allem des Westens, die libanesische Hisbollah oder die jemenitischen Ansarollah seien Marionetten des Iran, werden von seriösen (bürgerlichen) Wissenschaftlern und selbst von ehemaligen US-Diplomaten nicht geteilt.3 Und in Bezug auf die Baath in Syrien war dieser Vorwurf nicht einmal ein zentrales Motiv der westlichen Propaganda.

Wer dem Iran einen wie auch immer gearteten „Imperialismus“ nachweisen wollte, müsste dafür zunächst eine (umfassende) Analyse der iranischen Ökonomie vorlegen und nachweisen, wie die Islamische Republik sich andere Nationen systematisch ökonomisch, politisch und militärisch unterordnet.4 Das dürfte nicht einmal für seine unmittelbaren Nachbarländer nachweisbar sein.

Ein Land am Rand kolonialer Unterwerfung

Der Iran wurde zwar nie formal kolonisiert, worauf die Iraner zurecht stolz sind. Doch ist er seit über hundert Jahren imperialistischen Einflüssen ausgesetzt. Ohne ins Detail zu gehen, sei hier nur auf ein paar wenige Tatsachen verwiesen: 1914 zählte Lenin das Land neben China und der Türkei zu den Halbkolonien und schrieb: „Persien ist schon fast vollständig zur Kolonie geworden“.5 1953 wurde der Premierminister Mossadegh von Großbritannien und den USA gestürzt, nachdem er das iranische Erdöl verstaatlicht hatte, und durch den bis zur Revolution 1979 vom Westen gestützten Schah ersetzt. 1980 überfiel der Irak den Iran und verwickelte ihn in einen achtjährigen blutigen Krieg. Dieser Krieg spaltete sowohl die arabischen Länder als auch die antiimperialistisch ausgerichteten Staaten in der Region und diente so objektiv den Interessen Israels und der Imperialisten. Die USA sollen den Irak nicht nur ermutigt haben, den Iran anzugreifen (wie sie es 1990 auch bei Kuwait taten), sie halfen bekanntlich auch, den Krieg durch Waffenlieferungen an beide Seiten in die Länge zu ziehen. 1988 schossen sie eine zivile iranische Passagiermaschine auf dem Weg in die Vereinigten Arabischen Emirate ab und töteten dabei alle 290 an Bord befindlichen Personen. Bereits 1979 belegte Washington Teheran zudem mit Sanktionen, die im Laufe der Zeit immer aggressiver und weitreichender wurden. Allein zwischen 2012 und 2023 sollen dem Iran Schäden in Höhe von 1,2 Billionen US-Dollar entstanden sein.6 Hinzu kommen massive Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, die unzählige Menschenleben gefordert haben.7

1987 wurden von israelischer Seite erstmals Gerüchte in die Welt gesetzt, der Iran, der – im Gegensatz zu Israel – seit 1968 Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags ist, strebe nach einer Atombombe. 1992 behaupteten die USA, der Iran werde bis zum Jahr 2000 eine solche Waffe entwickelt haben. 2003 und 2004 gab der Iran dem Druck des Westens bzw. der IAEA nach, schränkte sein ziviles Atomprogramm massiv ein und weitete seine Kooperation mit der IAEA aus. Washington gingen diese Zugeständnisse jedoch nicht weit genug. Wie Henner Fürtig schreibt, legte die Tatsache, dass gleichzeitig „ein umfangreicher Atomvertrag zwischen den USA und Indien publik“ wurde, in Teheran schon damals die Vermutung nahe, „dass die US-Administration Iran die Nutzung der Kernenergie grundsätzlich verweigere“;8 eine imperialistische Anmaßung in Bezug auf die Energie-Souveränität des Landes. Vor diesem Hintergrund kündigte der Iran den Verzicht auf Anreicherung von Uran auf. Die Folge waren massive Sanktionspakete durch den UN-Sicherheitsrat (die von China und Russland damals übrigens mitgetragen wurden). „Im März 2008 ging Präsident Bush noch einen entscheidenden Schritt weiter“, kann man bei Michael Lüders nachlesen. „Er unterschieb ein Dekret, das eine „beispiellose verdeckte Offensive“ gegenüber dem Iran einleitete, in enger Kooperation mit Saudi Arabien.“ Diese Offensive reichte „bis hin zur „Ermordung von Regierungspolitikern“, Anschlägen auf Mitarbeiter des Atomprogramms und der Entwicklung des Computervirus „Stuxnet“ 2009/10, der die Zentrifugen der Urananreicherungsanlage in Natanz ausschalten sollte und damit zeitweilig auch Erfolg hatte.“9 

Bereits 2007 war der iranische Atomphysiker Ardeshir Hosseinpour vermutlich vom Mossad ermordet worden. Zwischen 2010 und 2020 kamen fünf weitere iranische Wissenschaftler, die am iranischen Atomprogramm arbeiteten, bei Anschlägen ums Leben. Ein weiterer, Fereydoon Abbasi, überlebte 2010 ein Bombenattentat. Er wurde, wie neun seiner Kollegen, Mitte Juni diesen Jahres durch israelische Bombenangriffe getötet. Insgesamt sollen während des Juni-Krieges mindestens 17 iranische Naturwissenschaftler, teilweise mitsamt ihren ganzen Familien, ermordet worden sein.10 Seit Jahren steht zudem der Verdacht im Raum, dass die IAEA geheime  Daten an Israel weitergegeben hat, mit deren Hilfe Tel Aviv die gezielten Morde begehen konnte.11 Im Januar 2020 verübten die USA darüberhinaus einen Anschlag auf den iranischen General Qasim Soleimani, als dieser im Rahmen einer zivilen diplomatischen Mission im Irak landete. Neben Soleimani wurden weitere iranische Gesandte sowie mehrere irakische Militärs und mindestens ein Zivilist ermordet. Im April 2024 bombardierte Israel die iranische Botschaft in Syrien und im Juli ermordeten die Zionisten Ismail Haniyeh in Teheran

Hinzu kommt die jahrelange Unterstützung des Westens und seiner Verbündeten für oppositionelle, separatistische oder schlicht kriminelle zivile wie bewaffnete Akteure innerhalb und außerhalb Irans. Noch einmal Lüders: „Von Libanon bis Afghanistan (…) Die Gegner Teherans erhielten Waffen und Geld. Ein Eckstein dieser Strategie: das syrische Regime zu destabilisieren.“12 Allein über den 2006 unter George W. Bush initiierten Iran Democracy Fund und seinen 2009 von Obama eingerichteten Nachfolger, den Near East Regional Democracy Fund, flossen in den letzten beiden Jahrzehnten Hunderte Millionen US-Dollar in die unmittelbare Zersetzung des iranischen Staates.13 (Der zionistische US-Think-Tank Washington Institute for Near East Policy prahlte u. a. damit, dass die „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste 2022 ohne die US-Hilfe nicht möglich gewesen wären.14)

Ein kolonialer Krieg – und ein iranischer Sieg 

Dieser kurze Überblick zeigt, dass das Bild von „einem Krieg zwischen zwei hochgerüsteten imperialistischen Ländern“ (MLPD)15 oder „eine(r) zwischenimperialistische(n) Auseinandersetzung zweier reaktionärer Regime“ („KP“)16 grundfalsch ist. Es handelt sich noch nicht einmal um einen „normalen“ Krieg zwischen zwei annähernd ebenbürtigen Staaten. Der Iran ist zwar keine Kolonie, sondern ein formal unabhängiges Land. Und er hat sich durch und nach der Revolution von 1979 in einem mühsamen und von Widersprüchen geprägten Prozess langsam aus der Rolle einer Halbkolonie herausgearbeitet. Doch ist er permanenten Angriffen des Imperialismus ausgesetzt, befindet sich in struktureller Abhängigkeit – nicht zuletzt vom US-Dollar – und droht ständig, durch innere konterrevolutionäre Kräfte zurück in einen halbkolonialen Status geworfen zu werden. Das iranische Volk hat durch die Existenz seines Staates – so geschwächt er sein mag – natürlich große Vorteile gegenüber den Palästinensern: Die Iraner sind im Kampf um die nationale Souveränität einen entscheidenden Schritt weiter, so wie die meisten Kolonialvölker der Welt, die es geschafft haben, sich ihre (formale) staatliche Unabhängigkeit zu erkämpfen. Damit sind imperialistische Vorherrschaft und kolonialistische Einmischung aber noch nicht am Ende.

Das zeigt sich beim Iran besonders deutlich: Wie oft konnten die USA und Israel den Iran ungestraft bombardieren und Politiker und Zivilisten ermorden? Dieser Staatsterrorismus ist Ausdruck eines letztlich kolonialen Verhältnisses, in dem das eine Land „Jagdrevier“ des anderen ist. Zwar schlägt der Iran seit letztem Jahr endlich auch einmal zurück, wie die Operationen „True Promise“ und „True Promise 2“ gezeigt haben. Doch dass „True Promise 3“ als Reaktion auf die Ermordung Hasan Nasrallahs ausfiel und erst jetzt als Vergeltung für die Eröffnung des israelischen Angriffskrieges realisiert wurde, beweist wiederum die Schwäche des Iran.

Auch die Opferzahlen zeigen deutlich, dass es sich um einen ungleichen Krieg handelt: Es wurden 10 Mal mehr Iraner getötet als Israelis – ein typisches Verhältnis für einen Kolonialkrieg. Zugleich haben die Zionisten zahlreiche hochrangige iranische Militärs getötet – umgekehrt konnte der Iran bislang keine israelischen Führungspersonen ausschalten. Das ist ebenfalls eine Parallele zu vergangenen antikolonialen Befreiungskriegen: Weder die Algerier noch die Vietnamesen haben je französische oder US-amerikanische Führungspersonen töten können. Die Raketen auf Tel Aviv und andere militärische Ziele in Israel – aber auch den US-Stützpunkt in Qatar – sind ein großer Fortschritt und enorm wichtig. Dass der Iran aber die USA, die eigentliche Macht hinter Israel, das „Mutterland“ quasi, direkt angreift, ist vollkommen undenkbar. 

Allerdings wissen wir auch: Die unterdrückten Völker müssen die imperialistischen Zentren nicht militärisch erobern oder ausschalten, um zu siegen. (Der einzige Kolonialkrieg, an dessen Ende der „Untermensch“ schließlich in die Metropole einmarschiert, den selbsternannten „Herrenmenschen“ zur bedingungslosen Kapitulation auf eigenem Boden gezwungen und die verbrecherischen Führer vor Gericht gestellt hat, war der Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands zur Kolonisierung der Sowjetunion.) Sie siegen, wenn sie der Unterwerfung widerstehen, wenn sie die Aggressoren abwehren oder rauswerfen, wenn sie die nationale Souveränität herstellen bzw. verteidigen. Wie Ali Abunimah argumentiert, war das Ziel der Zionisten weniger die Zerstörung des iranischen Atomprogramms und des Raketenarsenals, als vielmehr der Sturz des Islamischen Republik. Während es zumindest sehr fraglich ist, ob die beiden erstgenannten Ziele wirklich erreicht wurden, ist der Regime-Change definitiv gescheitert. Das lag wohl nicht zuletzt daran, dass  Netanyahu daran gescheitert, ist die Trump-Regierung in den Krieg hineinzuziehen – Ersterer wollte einen kolonialen Unterwerfungskrieg, Letztere lediglich eine koloniale „Strafexpedition“. Und statt eines Aufstandes der pro-westlichen, liberalen Opposition im Iran wurden diese Teile der Gesellschaft angesichts der Aggression offenbar eher auf die Seite der iranischen Regierung getrieben.17

In Teheran wird Gaza verteidigt!

Verschiedene Stimmen warnten schnell davor, der Krieg gegen den Iran lenke von der Lage in Gaza ab. Darin steckt zwar insofern ein Teil Wahrheit, als Israel mit dem Angriff auf den Iran wohl tatsächlich eine Flucht nach vorn angetreten ist, die u. a. dazu dienen sollte, vom Völkermord in Gaza abzulenken, gegen den sich mittlerweile auch von westlichen Regierungen Protest regt. Aber gerade von „linker“, exil-iranischer Seite war diese „Warnung“18 perfide und sollte vor allem der Entsolidarisierung vom Iran dienen. Denn das eigentliche Ziel war die Zerstörung der Islamischen Republik, die neben dem Jemen die einzige staatliche Macht auf der Welt ist, die als wirklicher Verbündeter des palästinensischen Widerstands einzustufen ist.

Alle anderen, von Marokko und Ägypten über Jordanien bis zu den Ölmonarchien der arabischen Halbinsel, sind Verräter – wenn man nach Jahrzehnten des Paktierens mit dem Zionismus überhaupt noch von „Verrat“ und nicht ganz einfach von Feindschaft sprechen kann. Auch das neue Regime in Syrien hat innerhalb kürzester Zeit unter Beweis gestellt, in wessen Lager es steht, und damit die Warnungen all jener, die vor der „syrischen Revolution“ gewarnt haben, letztlich bestätigt: Die ausgedehnte israelische Besatzung syrischer Gebiete wird vom Regime bislang hingenommen und es gibt Gerüchte, dass sie sogar dauerhaft akzeptiert werden soll,19 der Iran und die Hisbollah sind die erklärten Hauptfeinde des „neuen Syrien“ und die palästinensischen Fraktionen werden vom Regime schrittweise entwaffnet, wenn sie nicht direkt zerschlagen werden, wie die beiden stark an die syrische Baath gebundenen Organisationen PFLP-GC und Fatah al-Intifada, bzw. man ihre Anführer verhaftet, wie im Fall des iran-nahen Palästinensischen Islamischen Jihad.20 Die Türkei hat zwar offiziell den Handel mit Israel ausgesetzt – 75 Jahre nach der Nakba und sieben Monate und mehrere Milliarden US-Dollar an Handelsvolumen nach Beginn des Völkermords –,21 aber seither erreichen türkische Exporte im Wert von Hunderten Millionen, wenn nicht längst Milliarden Dollar Israel, die das Embargo unterlaufen, indem sie einfach „Palästina“ als Ziel angeben.22 Über Azerbaidjan, das ganz offen mit dem zionistischen Regime gegen den Iran paktiert, besteht neben der NATO eine zweite wichtige geopolitische De facto-Allianz zwischen der Türkei und Israel.23 Selbst Südafrika, das wegen seiner Klage gegen Israels Völkermord zurecht international große Sympathie genießt, gehört nach wie vor zu den wichtigsten Kohlelieferanten des zionistischen Regimes, hat diesen für den israelischen Energiesektor überlebenswichtigen Export sogar noch gesteigert und verkauft daneben auch Munition und Diamanten an Tel Aviv.24

Der Iran dagegen boykottiert Israel nicht nur vollständig. Er ist auch die Schutzmacht des palästinensischen Widerstands, so wie es früher die Sowjetunion war: Während die Palästinenser ihre Moral, ihr Durchhaltevermögen und ihr Leben in ihren Kampf einbringen, bringt Teheran das Geld, das militärische Gerät und das militärische und technische Wissen ein, und zwar seit Jahrzehnten.25 Teheran finanziert, bewaffnet und trainiert zudem nicht nur die Palästinenser, sondern auch die Hisbollah und die Jemeniten. Außer Iran, Jemen und der Hisbollah hat in den letzten Jahrzehnten niemand an der Seite des palästinensischen Widerstands gekämpft (von einigen schiitischen, ebenfalls vom Iran unterstützen Organisationen im Irak und Bahrain sowie von einzelnen sunnitischen Kleingruppen im Libanon abgesehen). Zwischen dem 7. Oktober 2023 und November 2024 haben 4.000 Hisbollah-Mitglieder ihr Leben gegeben.26 Das entspricht immerhin fast der Hälfte der im selben Zeitraum gefallenen Kämpfer im Gazastreifen.27 Fast 900.000 Libanesen wurden zudem vertrieben.28 Im Jemen wurden allein durch die USA im Zeitraum März bis Mai 2025 Mehr als 200 Zivilisten ermordet.29 Und im Iran wurden innerhalb von einer Woche 430 Menschen von Israel getötet und 3.500 verletzt.30

Häufig wird angeführt, der Iran unterstütze die Palästinenser nicht aus „Nächstenliebe“, sondern aus Eigeninteresse. Dagegen habe ich bereits an anderer Stelle argumentiert:31 Zum einen stimmt diese Behauptung schlicht und einfach nicht, weil es im Iran tatsächlich eine bis heute lebendige, tiefsitzende Solidarität mit den Palästinensern und ihrem Kampf gibt – sie ist genauso Ausdruck von aufrichtiger „Zärtlichkeit der Völker“ (Che Guevara), wie es die Solidarität unter den arabischen, muslimischen und nicht-arabischen und nicht-muslimischen Massen ist, die wir seit Oktober 2023 weltweit beobachten können. Und zum anderen ist diese Gegenüberstellung von Interessen und echter Solidarität falsch: Die Islamische Republik unterstützt die Palästinenser (und andere Widerstandskräfte in der Region) aus Eigeninteresse, eben weil sie sich objektiv im Widerspruch zum Zionismus und zum westlichen Imperialismus befindet und sich auch subjektiv dazu bekennt. Ihr Kampf ist aufs Engste mit dem der Palästinenser und der nach Befreiung vom Imperialismus strebenden Völker der Region verbunden. Die Islamische Republik ist ein natürlicher Verbündeter der Palästinenser und umgekehrt. Das unterscheidet sie von den vom Westen abhängigen Regimen in Marokko, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, Bahrain, den Emiraten und Syrien, von Qatar, wo der größte US-Militärstützpunkt der Region liegt, und von dem NATO-Mitglied Türkei.

Historische Vergleiche hinken immer, aber man kann trotzdem sagen: Der Iran spielt heute für die Palästinenser eine gleich doppelt zentrale Rolle: Als Schutzmacht hat er die Sowjetunion beerbt. Und zugleich ist er eine Art „Frontstaat“ geworden, nachdem Ägypten 1967 gegen Israel verloren und 1978 die Seiten gewechselt hat, nachdem die PLO 1972 aus Jordanien und 1980 aus dem Libanon vertrieben wurde, nachdem Syrien 2024 gefallen ist und sich Mahmud Abbas aktuell daran macht, die palästinensischen Kämpfer im Libanon zu entwaffnen. Anders als bei den Frontstaaten in Nord- und im südlichen Afrika, von denen aus die algerische bzw. die südafrikanische, namibische und simbabwische Befreiungsbewegung agieren konnte und anders als Nordvietnam, liegt der Iran eben nicht direkt an der Front. Daher können die palästinensischen Freiheitskämpfer nicht von seinem Gebiet aus operieren. Doch spielt er eine ähnliche Rolle wie die genannten Staaten: Er nutzt seine eigene nationale Souveränität, um den palästinensischen Befreiungskampf zu unterstützen – und riskiert damit, selbst zum Kriegsgebiet und zum Opfer der Aggression zu werden. Genau das war zuletzt der Fall: Iran ist – wie Nordvietnam, Namibia, Angola, Mosambik und Libanon vor ihm – Ziel einer imperialistischen Aggression geworden, weil er einen nationalen Befreiungskampf unterstützt. Und genau wie diese Länder ist seine nationale Souveränität fragil und er selbst steht in der imperialistischen – und nicht zu vergessen rassistischen – Ordnung kaum über dem Kolonialvolk, dem er so sehr hilft.

Fazit: Solidarität mit der Islamischen Republik Iran!

Mitten in der US-zionistischen Aggression demonstrierten verschiedene deutsche Organisationen wieder einmal ihren Linksradikalismus und ihren Mangel an revolutionärer Realpolitik: Die MLPD gab die Parole „Nieder mit dem Regime der Islamischen Republik!“ aus;32 in einem Medium des Kommunistischen Aufbaus wurde deklariert, es sei die akute Aufgabe der Iraner, genau wie die der israelischen Arbeiterklasse, ihr eigenes „reaktionäre(s) Regime in die Knie zu zwingen“ – wobei in Bezug auf Israel nicht das zionistische Regime an sich, sondern lediglich die „rechte Regierung“ gemeint zu sein scheint, während es im Iran um das gesamte „Mullah-Regime“ geht –;33 und die Gruppe See Red! schreibt über das „reaktionäre Netanjahu-Regime“ und das „reaktionäre Mullah-Regime“, um dann so allgemein wie wenig hilfreich zu verkünden, dass „die Herrschenden gestürzt & der Kapitalismus überwunden“ werden müssten.34 Die „KP“ windet sich angesichts der zionistischen Aggression um derlei offensichtlich äquidistante Plattitüden herum – ihre Formulierung, „Solidarität mit dem iranischen Volk“,35 läuft aber letztlich auf dieselbe Haltung wie bei den anderen genannten Organisationen hinaus.

Die Islamische Republik Iran ist ein bürgerlicher Staat und die herrschende Klasse ist eine kapitalistische, von der ein großer Teil dazu neigt, die nationalen Interessen ihres Landes zu opfern, um in das westliche Lager hinüberzuwechseln. Damit ist dieser Staat in seiner Funktion der Verteidigung der nationalen Souveränität strukturell geschwächt. Zugleich aber ist er, mit seiner Armee, seinen Milizen und seiner relativ autarken Ökonomie die wichtigste Waffe zum Schutz der Nation und der Volksmassen – deshalb muss er verteidigt werden! Hinzu kommt, dass dieser Staat seit Jahrzehnten subjektiv wie objektiv eine gegen den imperialistischen Westen gerichtete Politik praktiziert – und dafür sind wichtige Teile der Volksmassen wie auch der herrschenden Klasse bereit, Opfer zu bringen. Deshalb wollen ihn die Imperialisten stürzen – und deshalb müssen wir ihn unterstützen!

Eine sozialistische Wirtschaft wäre selbstverständlich wichtig für die werktätigen Klassen des Iran, deren soziale und ökonomische Rechte auf einem katastrophalen Stand sind. Zudem wäre sie ein Garant für die wirtschaftliche wie militärische Wehrhaftigkeit gegen imperialistischen Einmischungen. Doch ist die Ersetzung des existierenden iranischen Staates durch einen sozialistischen angesichts der derzeitigen Kräfteverhältnisse im Land nichts als linksradikale Träumerei. Solange das so ist, bedeutet der Aufruf zum Umsturz nicht die Aufhebung der Islamischen Republik hin zu einer fortschrittlicheren Staats- und Gesellschaftsform, sondern spielt lediglich Israel und den USA in die Hände.

  1. Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat „erhebliche Zweifel“ an der Völkerrechtskonformität der israelischen Aggression geäußert: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192403.angriff-auf-den-iran-zweifel-an-rechtmaessigkeit-von-israels-bombardements.html. ↩︎
  2. Beispielsweise: https://etosmedia.de/politik/israels-angriff-verurteilen-irans-regime-nicht-verharmlosen-solidaritaet-mit-den-opfern/  ↩︎
  3. Said AlDailami: Jemen. Der vergessene Krieg, München (C.H. Beck) 2019, S. 119-23. Michael Lüders: Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt, München (C.H. Beck) 2018, S. 87, 173-78. Imad Mustafa: Der Politische Islam. Zwischen Muslimbrüdern, Hamas und Hizbollah, Wien (Promedia Verlag) 2013, S. 112. Manuel Samir Sakmani: Der Weg der Hizbullah. Demokratietauglichkeit, Konflikt- und Stabilisierungspotenziale im Libanon Berlin (Klaus Schwarz Verlag) 2008, S. 63-65. ↩︎
  4. Ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen kann, findet sich einmal mehr bei der MLPD: https://www.rf-news.de/2024/kw03/iran-regionalmacht-atomwaffen  ↩︎
  5. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/imp/kapitel6.htm  ↩︎
  6. https://www.iranintl.com/en/202406244025  ↩︎
  7. https://www.hrw.org/de/news/2019/10/29/iran-sanktionen-gefaehrden-gesundheit, https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(13)61024-7/fulltext  ↩︎
  8. Henner Fürtig: Großmacht Iran. Der Gottesstaat wird Global Player, Köln (Quadriga Verlag) 2016, S. 182. ↩︎
  9. Lüders: Armageddon im Orient, S. 106f. ↩︎
  10. https://thecradle.co/articles/israels-war-on-irans-scientific-resistance-inside-the-targeted-killings-of-nuclear-minds ↩︎
  11. Ebd. Außerdem: https://english.almayadeen.net/news/politics/tehran-unravels-documents-revealing-secret-iaea–israel–col  ↩︎
  12. Lüders: Armageddon im Orient, S. 106f. ↩︎
  13. https://ciaotest.cc.columbia.edu/pbei/winep/0017484/f_0017484_14967.pdf, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/after-crackdown-iran-democracy-fund, https://thecradle.co/articles/leaked-documents-expose-us-interference-projects-in-iran. ↩︎
  14. https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/why-secretary-rubio-should-provide-grant-waivers-urgent-human-rights-work-iran  ↩︎
  15. https://www.rf-news.de/2025/kw25/mittlerer-osten-uebergang-zu-einem-offenen-krieg-zwischen-zwei-imperialistischen-laendern  ↩︎
  16. https://kommunistischepartei.de/aktuelles/ueber-voelkerrecht-und-voelkerrecht/  ↩︎
  17. https://electronicintifada.net/blogs/ali-abunimah/iran-won-israel-lost  ↩︎
  18. https://etosmedia.de/politik/israels-angriff-verurteilen-irans-regime-nicht-verharmlosen-solidaritaet-mit-den-opfern/, https://www.rf-news.de/2025/kw25/krieg-mit-dem-iran-lenkt-aufmerksamkeit-vom-anhaltenden-toeten-im-gazastreifen-ab ↩︎
  19. https://www.jfeed.com/middleeast/israel-syria-secret-talks-1  ↩︎
  20. https://thecradle.co/articles/how-syrias-hts-is-quietly-dismantling-the-palestinian-cause, https://peoplesdispatch.org/2025/04/23/syrias-interim-government-arrests-senior-palestinian-resistance-leaders/  ↩︎
  21. https://thered.stream/erdogans-palestine-dilemma-love-trade-and-the-anatomy-of-a-collaborator/  ↩︎
  22. https://www.middleeasteye.net/news/turkish-exports-reach-israel-goods-palestine-skyrocket  ↩︎
  23. https://thecradle.co/articles/axis-of-encirclement-azerbaijan-israel-and-turkiye-close-in-on-iran  ↩︎
  24. https://www.theleftberlin.com/bds-south-africa-syria-palestine-coal/  ↩︎
  25. https://kommunistische-organisation.de/broschueren/15-gaengige-mythen-ueber-die-hamas-und-wieso-wir-gegen-ihr-verbot-kaempfen-muessen/#heading-20  ↩︎
  26. https://www.reuters.com/world/middle-east/hezbollah-faces-long-recovery-officials-fear-thousands-fighters-lost-israel-2024-11-27/  ↩︎
  27. https://acleddata.com/2024/10/06/after-a-year-of-war-hamas-is-militarily-weakened-but-far-from-eliminated/  ↩︎
  28. https://www.iom.int/crisis-lebanon  ↩︎
  29. https://trump-yemen.airwars.org/operation-rough-rider  ↩︎
  30. https://www.reuters.com/world/middle-east/iran-israel-launch-new-attacks-after-tehran-rules-out-nuclear-talks-2025-06-21/  ↩︎
  31. https://kommunistische-organisation.de/broschueren/15-gaengige-mythen-ueber-die-hamas-und-wieso-wir-gegen-ihr-verbot-kaempfen-muessen/#heading-20 ↩︎
  32. https://www.rf-news.de/2025/kw25/nein-zu-diesem-reaktionaeren-krieg-nieder-mit-dem-regime-der-islamischen-republik  ↩︎
  33. https://perspektive-online.net/2025/06/weder-tel-aviv-noch-teheran/  ↩︎
  34. https://www.facebook.com/photo.php?fbid=1111074937713198&set=pb.100064321074344.-2207520000&type=3  ↩︎
  35. https://kommunistischepartei.de/stellungnahmen/nieder-mit-der-aggression-israels-solidaritaet-mit-dem-iranischen-volk/  ↩︎