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40 Jahre Volksrevolution in Burkina Faso: Aus den Kämpfen der Völker lernen!

Am 4. August 1983 brach sich in der ehemals französischen Kolonie Obervolta unter der Führung von Hauptmann Thomas Sankara eine Entwicklung Bahn, die in der Region, aber auch darüber hinaus, bis heute großen Eindruck auf all jene ausübt, die gegen Imperialismus und Neokolonialismus und für Unabhängigkeit, Entwicklung und sozialen Fortschritt kämpfen. Die damals innerhalb kürzester Zeit errungenen Fortschritte waren der Disziplin, Klarheit und Kompromisslosigkeit der noch jungen Revolutionäre zu verdanken, die die große Unterstützung der Volksmassen genossen.

In nur vier Jahren wurde u. a. erreicht, dass …

… Burkina Faso durch die Einrichtung einer gesamtwirtschaftlichen Planung bereits 1986 eine vollständige Lebensmittelautarkie herstellen konnte. Das konnte u. a. auch mithilfe zahlreicher Straßenbauprojekte erreicht werden, welche die auf imperialistischer Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ausgerichtete Infrastruktur gesamtwirtschaftlich nutzbar machte. Durch die Schaffung von Komitees zur Verteidigung der Revolution (Comités de Défense de la Révolution) gelang es Sankara und der revolutionären Regierung in beispielloser Weise, das Bewusstsein der Volksmassen für die wesentlichen volkswirtschaftlichen Aufgaben zu wecken. Das Volk mobilisierte sich zum kollektiven Straßenbau.

… der Kampf für die Befreiung der Frau zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe wurde. Gewalt gegen Frauen, Frauenbeschneidung, Polygamie und Prostitution wurden verboten und unter Strafe, Frauen den Männern gleichgestellt. Ca. 40% der Regierungsmitglieder waren Frauen.

… das burkinische Volk in selbstorganisierter Weise Millionen von Bäumen pflanzte, um die Wüstenausbreitung zu stoppen.

… ein landesweites Impfprogramm binnen weniger Wochen ca. 3 Millionen Kinder vor schweren und oft tödlich verlaufenden Krankheiten wie Polio oder Masern schützte.

… großangelegte Alphabetisierungskampagnen dafür sorgten, dass die Alphabetisierungsrate innerhalb von nur vier Jahren von 13% (1983) auf 73% (1987) anstieg.

Doch das waren bei weitem nicht alle Verbesserungen für das Volk. Der junge Präsident Sankara forderte von den imperialistischen Eliten den vollständigen Verzicht auf die Rückzahlung der Schulden, die die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung der afrikanischen Staaten regelmäßig verhinderte. Drei Monate später war der revolutionäre Führer Thomas Sankara tot. Nicht nur, dass er es gewagt hatte, seinem Volk, das sich 1984 selbst den stolzen Namen, „die aufrechten Menschen“ gegeben hatte; er vermittelte seinem Volk ein revolutionäres Selbstbewusstsein und forderte den Kampf für ein menschenwürdiges Leben. Thomas Sankara „maßte“ sich an, die über Jahrhunderte global festgefügten Ausbeutungsverhältnisse aufzuheben. Diesen Angriff auf ihre Interessen konnten die Imperialisten nicht zulassen. Sie fanden ihre Helfer, wie so oft, im Land selbst, unter den korrumpierten und um ihre Privilegien bangenden Eliten.

Vermeintliche oder tatsächliche Übertreibungen des revolutionären Kurses dienten schon bald Vorwände für Machtkämpfe innerhalb der Volksmacht. 1987 bereitete eine Gruppe von Konterrevolutionären, die innerhalb der revolutionären Führung konspirierten, den großartigen Fortschritten ein abruptes Ende, indem sie Sankara kaltblütig ermordeten. Unter ihnen war mit Blaise Compaoré ein enger Vertrauter Sankaras und Mitbegründer des Nationalrats der Revolution (Conseil National de la Révolution, CSP). Das verräterische Regime gab zunächst vor, den revolutionären Kurs fortführen zu wollen. Tatsächlich jedoch handelten die Verschwörer als Handlanger des Imperialismus: ieferten sie ihr Land erneut und für viele Jahrzehnte der neokolonialen Unterdrückung und Ausbeutung aus.

Der Kampf gegen Imperialismus und Neokolonialismus geht weiter

Sankaras Sturz hinterließ tiefe und bis heute nachwirkende Wunden: Nach der brutalen Machtübernahme, bei der nicht nur Sankara selbst und mehrere seiner politischen Gefährten und Mitarbeiter ermordet wurden, sondern auch hunderte seiner Anhänger aus dem Volk, gerieten die Burkiner in den nachfolgenden Jahrzehnten – unter Compaorés Regime – unter das Diktat von Weltbank, WHO und IWF. Doch Sankaras Geist von Selbstbestimmung, Würde und Gerechtigkeit ist in vielen Köpfen und Herzen des Landes lebendig geblieben. Eine neue Generation junger Burkiner zeigt sich standhaft und entschlossen im Kampf gegen Einmischung und Zerstörung ihres Landes. Am 30. September 2022 gelang die Militäradministration um Ibrahim Traoré an die Macht. Die neue Regierung verwies die französische Truppen, deren Medien, Botschafter und hochrangige Diplomaten des Landes. Gemeinsam mit Mali und Guinea wird derzeit über den Aufbau einer gemeinsamen Föderation und die die Stabilisierung der nationalen Sicherheit im Kampf gegen terroristische Gruppen beraten. Premierminister Kyélem de Tambela reduzierte drastisch die Gehälter hochrangiger Beamter, eine erste, wirksame Maßnahme gegen Korruption und Opportunismus innerhalb der staatlichen Eliten. Bei seiner Rede auf dem Russland-Afrika-Gipfel vom 27.-28. Juli formulierte Traoré, auch in Bezug auf den Staatsstreich in Niger, klar und unmißverständlich:

Unsere Vorgänger haben uns eines gelehrt: Ein Sklave, der nicht in der Lage ist, seine eigene Revolte zu führen, verdient es nicht, bemitleidet zu werden. Wir bemitleiden uns nicht selbst, wir bitten niemanden, uns zu bemitleiden. (…) Das Problem sind die afrikanischen Staatsoberhäupter, die nichts zu den Kämpfen der Menschen beitragen, aber das gleiche Lied wie die Imperialisten singen, uns als Milizen bezeichnen und uns als Menschen bezeichnen, die die Menschenrechte nicht achten. Von welchen Menschenrechten ist die Rede? Wir sind beleidigt, es ist beschämend. Wir afrikanischen Staatschefs müssen aufhören, uns wie Marionetten zu verhalten, die jedes Mal tanzen, wenn die Imperialisten an den Fäden ziehen.“i

Die Worte des burkinischen Staatsoberhauptes spiegeln den allgemein zunehmenden Widerstand in der westafrikanischen Bevölkerung wider. Dieser weitere, allem Anschein nach antiwestliche Putsch auf dem Gebiet eines bisher strategisch wichtigen Bündnispartners bzw. Uranlieferant und Stützpunkt für westliches Militär, scheint das (afrikanische) Fass – aus Sicht der imperialistischen Machtzentren – zum Überlaufen zu bringen. Der Druck auf die ECOWAS und insbesondere Nigeria – vor allem seitens Frankreichs und der USA – wächst dieser Tage mit Ziel auf eine militärische Intervention in Niger. 

Aus den Kampferfahrungen der Völker lernen

Grund genug, um heute einen Blick auf das theoretische Fundament der burkinischen Revolution zu werfen. Darum veröffentlichen wir, anlässlich des heutigen Jahrestags, die Rede zum politischen Kurs („Discours d’Orientation politique“). Die Ansprache an das Volk wurde im September 1983 verfasst und von Sankara am 2. Oktober 1983 im Radio verlesen. Er verfasste sie gemeinsam mit allen im CSP vertretenen Fraktionen – Panafrikanisten, Studierenden und Militärs, allesamt mit kommunistischem Selbstverständnis, wie er selbst. Eingangs werden die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Ausgangslage des Klassenkampfes in Burkina Faso unter den Bedingungen des Neokolonialismus beschrieben. Auf der Grundlage einer kompakten Klassenanalyse begründet die Ansprache den Charakter der Augustrevolution als eine „demokratische Volksrevolution“, die notwendigerweise eine souveräne Machtausübung durch das Volk benötige. Das Herzstück dafür bilden (nach dem Vorbild Kubas und Ghanas) die Komitees für die Verteidigung der Revolution.ii Darauf aufbauend werden die Kernziele für die Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und eine knappe Formulierung von Aufgaben auf internationaler Ebene benannt.

Lernen wir aus der Geschichte! Machen wir die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage der vor uns liegenden Kämpfe!

Redaktion der KO

i Auszüge der Rede als Video hier mit englischen Untertiteln: https://www.youtube.com/watch?v=O8J5mK7JKMY

ii Auf Stadtteil- oder Wohnblockebene organisierte Rätestrukturen.


Thomas Sankara: Rede zum politischen Kurs (2. Oktober 1983)

„Volk von Obervolta, Kameradinnen und Kameraden, Aktivistinnen und Aktivisten der Revolution. 

Unser Land hat im Laufe dieses Jahres 1983 Augenblicke von besonderer Intensität erlebt, die im Gedächtnis zahlreicher Bürger unauslöschliche Spuren hinterlassen haben. Der Kampf des obervoltaischen Volkes durchlebte in dieser Zeit zahlreiche Höhen und Tiefen.

Unser Volk wurde in heroischen Kämpfen auf die Probe gestellt. In der historischen Nacht des 4. August 1983 hat es schließlich den Sieg errungen. Seit bald zwei Monaten ist die Revolution in unserem Land unumkehrbar im Gang. Seit zwei Monaten steht das kämpfende Volk Obervoltas wie ein Mann hinter dem Nationalrat der Revolution (Conseil National de la Révolution, CNR), setzt sich aktiv für den Aufbau einer neuen, freien, unabhängigen, blühenden Gesellschaft in Obervolta ein, die frei ist von sozialer Ungerechtigkeit und der jahrhundertealten Herrschaft und Ausbeutung durch den internationalen Imperialismus.

Am Ende dieses kurzen Weges lade ich Euch ein, gemeinsam einen Blick zurück zu werfen, um die nötigen Lehren zu ziehen und die revolutionären Aufgaben, wie sie sich heute und in naher Zukunft stellen, angemessen zu bestimmen. Eine klare Wahrnehmung des Verlaufs der Ereignisse wird uns in unserem Kampf gegen den Imperialismus und die reaktionären Kräfte der Gesellschaft zusätzlich stärken.

Anders ausgedrückt: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Dies sind die Fragen der Stunde, Fragen, die unsererseits eine klare, entschlossene. eindeutige Antwort verlangen, wenn wir kühn zu größeren, durchschlagenderen Erfolgen schreiten wollen.

Die Augustrevolution als Erfolg des obervoltaischen Volkskampfs

Der Triumph der Augustrevolution ist nicht bloß das Ergebnis der revolutionären Attacke auf die sakrosankte reaktionäre Allianz vom 17. Mai 1983. Er bildet den siegreichen Abschluss des obervoltaischen Volkskampfs gegen unsere alten Feinde. Er ist ein Sieg gegen den internationalen Imperialismus und dessen Verbündete im Inneren. Ein Sieg gegen die rückwärtsgewandten, aufklärungsfeindlichen Kräfte der Finsternis. Ein Sieg gegen alle Feinde des Volkes, die hinter dessen Rücken Komplotte und Intrigen schmiedeten.

Die Augustrevolution ist definitiv das Ende des Volksaufstands, der im Anschluss an das imperialistische Komplott vom 17. Mai 1983 losgebrochen war, welches darauf abzielte, die anschwellende Flut der demokratisch- revolutionären Kräfte des Landes zu stoppen.

Dieser Aufstand fand seinen Ausdruck nicht nur in der mutigen, heroischen Haltung der Kommandos in der Stadt Po, die gegen die proimperialistische, volksfeindliche Macht des Mediziners und Majors Jean-Baptiste Ouedraogo und des Oberst Somé Yorjan erbitterte Gegenwehr leisteten, sondern gleichermaßen in der Tapferkeit der demokratischen, revolutionären Kräfte des Volkes, die im Bündnis mit den patriotischen Soldaten und Offizieren beispielhaft Widerstand geleistet haben. 

Der Aufstand vom 4. August 1983, der Sieg der Revolution und die Gründung des Nationalrat der Revolution bilden daher unbestreitbar die Krönung, den erfolgreichen Abschluss der Kämpfe, die das Volk Obervoltas gegen neokoloniale Herrschaft und Ausbeutung, gegen die Unterjochung unseres Landes, für Unabhängigkeit, Freiheit, Würde und Fortschritt unseres Volkes geführt hat. Grobschlächtige, oberflächliche Analysen, die lediglich herkömmliche Schemata reproduzieren, können an diesen Gegebenheiten nichts ändern. 

Die Augustrevolution triumphierte, weil sie sich als Erbe des Volksaufstandes vom 3. Januar 1966 erwiesen und diesen vertieft hat. Sie bestand in der Fortführung und qualitativen Weiterentwicklung aller großen Kämpfe dieses Volkes, die in den letzten Jahren immer mehr zugenommen haben und die entschiedene Weigerung des obervoltaischen Volkes, insbesondere der Arbeiterklasse, zum Ausdruck brachten, sich regieren zu lassen wie zuvor. Meilensteine dieser großen Kämpfe des Volkes waren der Dezember 1975, der Mai 1979, der Oktober und der November 1980, der April 1982 und der Mai 1983.

Die große Widerstandsbewegung des Volkes, die unmittelbar auf die reaktionäre, proimperialistische Provokation vom 17. Mai 1983 gefolgt war, hat erwiesenermaßen günstige Bedingungen für den 4. August 1983 geschaffen. So beschleunigte das imperialistische Komplott vom 17. Mai ganz erheblich die Reorganisation der demokratisch-revolutionären Kräfte, welche in dieser Zeit auf den Plan traten, Initiativen entwickelten und neuartige, kühne Aktionen starteten. Damals erwies sich die sakrosankte Allianz der reaktionären Kräfte hinter dem absterbenden Regime als unfähig, den Durchbruch der revolutionären Kräfte zu unterdrücken, zumal diese die volksfeindliche, antidemokratische Ordnung immer offener attackierten.

Die Volksdemonstrationen vom 20., 21. und 22. Mai fanden im ganzen Land ein großes Echo. Dies ist im Wesentlichen auf ihre große politische Bedeutung zurückzuführen, denn sie lieferten den Beweis dafür, dass das gesamte Volk, insbesondere die Jugend, die revolutionären Ideale jener Menschen teilte, die von den reaktionären Kräften auf heimtückische Weise gemeuchelt wurden. Diese Demonstrationen hatten in der Praxis erhebliche Folgewirkungen, denn sie brachten die Entschlossenheit des gesamten Volkes- und der gesamten Jugend – zum Ausdruck, die sich erhoben hatten, um den imperialistischen Kräften der Herrschaft und Ausbeutung unmittelbar die Stirn zu bieten. Damit trat offen zutage, dass der Imperialismus und seine Verbündeten vor dem Volk erzittern, wenn es aufsteht.

Geschichte und politische Bewusstwerdung der Volksmassen folgen einer dialektischen Bewegung, die sich der reaktionären Logik entzieht. Daher haben die Ereignisse im Mai 1983 den politischen Klärungsprozess in unserem Land erheblich beschleunigt, sodass dieser einen Punkt erreicht hat, an dem die gesamten Volksmassen im Verständnis der Lage einen qualitativen Sprung gemacht haben.

Die Ereignisse des 17. Mai haben in hohem Maße dazu beigetragen, die des Volkes zu öffnen. Der Imperialismus als ein Unterdrückungs- und Augen Ausbeutungssystem zeigte sich dem Volk in einem brutalen, grausamen Licht. 

Manche Tage bringen Lehren mit sich, die in ihrem Wert denen eines ganzen Jahrzehnts in nichts nachstehen. An diesen Tagen lernt das Volk mit nie gekannter Schnelligkeit und einer Gedankentiefe, gegen die tausend Studienjahre völlig verblassen. Nach den Ereignissen vom Mai 1983 kennt das obervoltaische Volk seine Feinde nun besser. Von nun an weiß in Obervolta jeder, wer wer ist! Wer es mit wem hält, und wer gegen wen steht! Wer was macht und warum. 

Eine solche Situation markiert den Auftakt für große Umwälzungen. Sie trug dazu bei, die zugespitzten Klassengegensätze in Obervolta zu entlarven. Die Augustrevolution führt demzufolge zur Lösung der gesellschaftlichen Widersprüche, die nicht mehr durch Kompromisslösungen erstickt werden konnten.

In der Begeisterung der breiten Volksmassen für die Augustrevolution schlägt sich die immense Hoffnung nieder, die das obervoltaische Volk mit der Gründung des Nationalrates verbindet, damit sein tiefes Bestreben nach Demokratie, Freiheit und Unabhängigkeit, nach echtem Fortschritt, Wiedererlangung von Würde und Größe des Vaterlands endlich verwirklicht wird. Werte, die das neokoloniale Regime 23 Jahre lang vehement mit Füßen trat.

Das Erbe von 23 Jahren Neokolonialisierung

Die Gründung des Nationalrates der Revolution am 4. August 1983 mit der anschließenden Errichtung einer revolutionären Ordnung in Obervolta ist eine ruhmreiche Seite in den Annalen unseres Volkes und unseres Landes. Aber wir tragen schwer am Erbe, das uns 23 Jahre imperialistische Ausbeutung und Herrschaft hinterlassen haben. Wir stehen vor der harten, mühe-vollen Aufgabe, eine neue Gesellschaft zu schaffen, eine Gesellschaft, die frei ist von all jenen Übeln, welche unser Land in wirtschaftlicher und kultureller Rückständigkeit halten.

Als der französische Kolonialismus 1960 von allen Seiten attackiert wurde, als er in Dien-Bien-Phu (Vietnam) geschlagen wurde und in Algerien vor gewaltigen Schwierigkeiten stand, sahen sich seine Protagonisten gezwungen, Lehren aus ihren Niederlagen zu ziehen. Aus diesem Grund gewährten sie unserem Land nationale Souveränität und territoriale Integrität. Das Volk begrüßte diese Maßnahmen. Dabei hatte es sich nicht etwa gleichgültig verhalten, sondern geeignete Formen des Widerstands entwickelt. Dass der imperialistische Kolonialismus Frankreichs die Flucht nach vorn antrat, bedeutete für das Volk einen Sieg über die ausländischen Kräfte der Unterdrückung und Ausbeutung. Aus der Perspektive der Volksmassen war es eine demokratische Reform, aus der des Imperialismus jedoch bloß eine Neujustierung der Herrschaft über das Volk und dessen Ausbeutung.

Diese Neujustierung führte allerdings zu einem Wandel der gesellschaftlichen Klassen und Schichten und zur Herausbildung neuer Klassen. Im Bündnis mit den rückwärtsgewandten Kräften der traditionellen Gesellschaft und in völliger Missachtung der Massen, die es als Instrument zur Machteroberung gebrauchte, ging das gebildete Kleinbürgertum daran, die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen der neuen imperialistischen Herrschafts- und Ausbeutungsformen zu schaffen. Die Furcht, der Kampf der Volksmassen könnte sich radikalisieren und auf eine wahrhaft revolutionäre Lösung hinauslaufen, erklärt, warum der Imperialismus an der Kontrolle unseres Landes festhielt und die Ausbeutung des Volkes mittels einheimischer Komplizen fortsetzte. Obervoltaerinnen und Obervoltaer selbst sollten das fremde Herrschafts- und Ausbeutungssystem fortführen. Die Organisation der neokolonialen Gesellschaft wurde nur pro forma gerändert.

Ihrem Wesen nach unterscheiden sich die koloniale und die neokoloniale Gesellschaft nicht im Geringsten. So wurde die koloniale Verwaltung durch eine neokoloniale ersetzt, die mit jener in jeder Hinsicht identisch ist. Die koloniale Armee wurde durch eine neokoloniale Armee ersetzt, die de gleichen Merkmale und Funktionen aufweist, die gleiche Rolle als Hüterin der Interessen des Imperialismus und seiner internen Verbündeten einnimmt. Die koloniale Schule wurde durch eine neokoloniale Schule ersetzt, die die Entfremdung unserer Kinder fortschrieb und darüber hinaus eine Gesellschaft im Dienste der Interessen des Imperialismus und in zweiter Linie seiner Lakaien beziehungsweise lokalen Verbündeten reproduzierte.

Obervoltaer waren es, die mit Unterstützung und Segen des Imperiaismus die systematische Ausplünderung unseres Landes betrieben. Da dabei auch einige Brocken für sie abfielen, wurden sie nach und nach zu einer regelrecht parasitären Bourgeoisie, die sich gieriger und gieriger zeigte. Einzig von egoistischen Interessen motiviert, schrecken sie nicht mehr vor dem Gebrauch betrügerischster Mittel zurück und fördern in großem Stil Korruption, Zweckentfremdung öffentlicher Gelder und des Gemeinwesens, Vorteilsannahme, Immobilienspekulation und Vetternwirtschaft.

Daher die vielen materiellen Reichtümer, die sie auf Kosten des arbeitenden Volkes anhäuften. Dabei geben sie sich nicht damit zufrieden, von den astronomischen Einkünften zu leben, die sie auf dubiose Weise erzielen, sondern trachten außerdem danach, Posten in Beschlag zu nehmen, um zum Zweck von Ausbeutung und Misswirtschaft über den Staatsapparat zu verfügen

Kein Jahr vergeht, ohne dass diese Helfershelfer des Imperialismus sich Luxusurlaube im Ausland gönnen. Sie nehmen ihre Kinder aus unseren Schulen und schicken sie an prestigeträchtige Einrichtungen in anderen Ländern. Sobald ihr Nachwuchs auch nur ansatzweise kränkelt, werden alle staatlichen Hebel in Bewegung gesetzt, um ihm eine kostspielige Behandlung in ausländischen Luxuskrankenhäusern angedeihen zu lassen.

All dies spielt sich unter den Augen des schwer arbeitenden, tapferen, ehrlichen Volkes von Obervolta ab, das sein Dasein in bitterstem Elend fristet. Für die Minderheit der Reichen ist unser Land ein Paradies, für die Mehrheit des Volkes eine beinahe unerträgliche Hölle.

Als Teil dieser großen Mehrheit sind die Lohnarbeitenden, obwohl sie über ein regelmäßiges Einkommen verfügen, den Zwängen und Fallstricken der kapitalistischen Konsumgesellschaft ausgesetzt. Ehe sie sich versehen, ist ihr gesamtes Gehalt aufgebraucht. Und der Teufelskreis geht, unaufhörlich weiter, ohne dass ein Bruch in Sicht wäre.

In den Gewerkschaften organisieren die Lohnarbeitenden Kämpfe für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Das Ausmaß dieser Kämpfe nötigt die neokolonialen Behörden hin und wieder zu Zugeständnissen. Doch was sie mit der einen Hand geben, streichen sie mit der anderen sofort wieder ein. Da wird mit großem Tamtam eine 10prozentige Lohnerhöhung verkündet, um unmittelbar danach steuerpolitische Maßnahmen zu beschließen, die deren Wirkung gleich wieder aufheben. Nach fünf, sechs oder sieben Monaten merken die Arbeitenden jedes Mal, dass sie getäuscht wurden, um sich anschließend für weitere Kämpfe zu mobilisieren. Sieben Monate sind für die reaktionären Machthaber allerdings mehr als genug Zeit, um zu verschnaufen und neue Listen auszuhecken. Aus diesem Kampf ohne Ende geht der Arbeitende stets als Verlierer hervor.

Teil dieser großen Mehrheit sind auch jene „Verdammten dieser Erde“, jene Bauern, die enteignet, beraubt, misshandelt, eingekerkert, mit Füßen getreten und Tag für Tag beleidigt werden, jene Bauern, deren Arbeit Reichtum schafft. Mit ihrer Produktion halten sie die zerbrechliche Wirtschaft des Landes in Gang. Dank ihrer Arbeit sahnen all jene Landsleute kräftig ab, für die Obervolta ein Eldorado ist. Dabei fehlt es vor allem den Bauern an Strukturen, an Verkehrs- und Gesundheitsinfrastruktur und an medizinischer Betreuung. Dabei leiden diese Bauern, die den Wohlstand des Landes erwirtschaften, am meisten unter dem Mangel an Schulen und Lernmitteln für ihre Kinder. Diese gehen nach kürzester Zeit von der Schule ab, die obendrein mit den Realitäten des Landes nicht viel zu tun hat, um sich anschließend zum Heer der Arbeitslosen zu gesellen, das damit noch weiter anschwillt. Unter ihnen ist die Analphabetenrate mit 98% am höchsten. Diejenigen, die Wissen am nötigsten brauchen, um mit ihrer Arbeit mehr Ertrag zu erzielen, profitieren am wenigsten von Investitionen in Gesundheit, Bildung und Technologie.

Die Bauernjugend, welche die gleiche Grundeinstellung hat wie die Jugend im Allgemeinen – also sensibler für soziale Ungerechtigkeit und progressiver eingestellt ist – verlässt im Gefühl des Aufbegehrens nach und nach die ländlichen Gebiete und bringt diese damit um ihre aktivsten Kräfte. Einem spontanen Impuls folgend begibt sich diese Bauernjugend in die städtischen Zentren Ouagadougou und Bobo-Dioulasso. Dort hofft sie, einträglichere Arbeit zu finden und an den Früchten des Fortschritts teilzuhaben. Weil es indes an Arbeit fehlt, neigt die Bauernjugend zum Nichtstun und den damit verbundenen Untugenden. Um nicht im Gefängnis zu enden, sucht sie schließlich ihr Heil im Ausland, wo sie schamloseste Erniedrigung und Ausbeutung erfährt. Doch lässt ihnen die Gesellschaft Obervoltas überhaupt eine andere Wahl? 

Nach 23 Jahren Neokolonialisierung sieht die Lage unseres Landes ganz knapp gesagt folgendermaßen aus: Paradies für die einen, Hölle für die anderen.

Nach 23 Jahren imperialistischer Herrschaft und Ausbeutung ist unser Land noch immer ein rückständiges Agrarland, in dem der landwirtschaftliche Sektor, der mehr als 90% der Erwerbsbevölkerung beschäftigt, lediglich 45% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet und 95% der Gesamtexporte produziert. Einfacher gesagt: Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass in anderen Ländern die Bauern weniger als 5% der Bevölkerung ausmachen, nicht nur ihre eigene Ernährung, sondern die Versorgung des ganzen Landes sicherstellen und noch dazu riesige Mengen an landwirtschaftlichen Produkten exportieren. Bei uns hingegen leiden mehr als 90% der Bevölkerung trotz großer Anstrengungen unter Hunger und Nahrungsmittelknappheit und sind wie der Rest der Bevölkerung auf den Import von Agrarprodukten oder gar auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das damit geschaffene Ungleichgewicht zwischen Importen und Exporten trägt mit dazu bei, die Abhängigkeit unseres Landes vom Ausland zu vergrößern. Das entsprechende Handelsbilanzdefizit nimmt von Jahr zu Jahr spürbar zu. Der Deckungsgrad der Importe durch die Exporte beträgt ca. 25%. Um es deutlicher zu machen: Wir kaufen mehr im Ausland, als wir ins Ausland verkaufen; eine Wirtschaft, die so funktioniert, ruiniert sich allmählich selbst, sie steuert auf eine Katastrophe zu. 

Die ausländischen Privatinvestitionen sind nicht nur unzureichend, sie erzeugen einen enormen Druck auf unsere Wirtschaft und stärken daher keineswegs ihre Produktions- und Akkumulationsfähigkeit. Ein Großteil des Reichtums, der mithilfe ausländischer Investitionen geschaffen wurde, wird ins Ausland abgeführt, anstatt reinvestiert zu werden und die Produktionskapazitäten unseres eigenen Landes zu steigern. Für die Zeit von 1973 bis 1979 wird die Devisenausfuhr in Form von Erträgen aus ausländischen Direktinvestitionen auf 1,7 Milliarden Francs CFA pro Jahr geschätzt, während die Neuinvestitionen nur durchschnittlich 1,3 Milliarden Francs CFA pro Jahr betragen.

Angesichts unzureichender Produktivinvestitionen tendiert der obervoltaische Staat dazu, großen Einfluss auf die Wirtschaft des Landes zu nehmen, indem versucht wird, die schwachen Privatinvestitionen auszugleichen. Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn der Staat bezieht seine Einnahmen bekanntlich im Wesentlichen aus fiskalischen Mitteln, die 85% der Gesamteinnahmen ausmachen und sich größtenteils auf Importzölle und Steuern beschränken. Mit den Staatseinnahmen werden außer den Investitionen die Ausgaben des Staates finanziert, von denen 70% in die Gehälter der Beamten oder in die Behörden fließen. Was kann da noch für soziale und kulturelle Belange bleiben? 

Im Bildungsbereich gehört unser Land mit einer Einschulungsrate von 16,4% und einer Analphabetenrate von durchschnittlich 92% zu den rückständigsten Ländern überhaupt. Von 100 Bürgern können in Obervolta offensichtlich kaum 8 lesen und schreiben, in welcher Sprache auch immer.

Was den Gesundheitsbereich angeht, sind die Morbiditäts- und die Sterberate in unserer Subregion wegen der starken Verbreitung übertragbarer Krankheiten und der Mangelernährung mit am höchsten. Wie könnte die Lage auch weniger katastrophal sein, da bei uns bekanntlich auf 1.200 Einwohner ein Krankenhausbett und auf 48.000 Einwohner ein Arzt kommt?

Mehr als diese wenigen Fakten braucht es nicht, um das Erbe zu veranschaulichen, das uns 23 Jahre Neokolonialisierung, 23 Jahre einer Politik des totalen Versagens, hinterlassen hat. Die Lage könnte trister kaum sein; sie kann keinen Bürger Obervoltas, der sein Land liebt und ehrt, gleichgültig lassen.

Dabei hat unser tapferes, fleißiges Volk diese Verhältnisse nie hingenommen. Weil es verstand, dass es sich dabei nicht etwa um Schicksal, sondern um die Folgen einer ungerechten Gesellschaftsordnung handelte, die nur einer Minderheit zugutekam, trug es vielfältige Kämpfe aus, suchte Mittel und Wege, um diesen überkommenen Verhältnissen ein Ende zu setzen. Daher begrüßte unser Volk enthusiastisch die Gründung des Nationalrates der Revolution und die Augustrevolution als Lohn für die Anstrengungen und Opfer, die es gebracht hat, um die alte Ordnung zu stürzen und eine neue zu schaffen. Eine Ordnung, die geeignet ist, die Obervoltaer zu rehabilitieren und unserem Land einen festen Platz im Konzert der freien, prosperierenden, geachteten Nationen zu geben.

Die parasitären Klassen, die aus dem kolonialen wie aus dem neokolonialen Obervolta stets Profit schlugen, stehen heute und in Zukunft den Umwälzungen feindselig gegenüber, die im Rahmen des revolutionären Prozesses seit dem 4. August 1983 in Angriff genommen wurden. Der Grund dafür ist, dass sie am Tropf des internationalen Imperialismus hängen und weiterhin hängen werden. Sie sind und bleiben glühende Verfechter ihrer eigenen Privilegien, die sie ihrer Ergebenheit gegenüber dem Imperialismus verdanken.

Egal, was man auch tut oder sagt, diese Klassen bleiben sich treu, schmieden weiter Komplotte und Intrigen, um ihr „verlorenes Reich“ zurückzuerobern. Von diesen Nostalgikern darf man keine Mentalitäts- oder Einstellungsänderung erwarten. Sie verstehen einzig die Sprache des Kampfes, des Kampfes der revolutionären Klassen gegen die Ausbeuter und Unterdrücker des Volkes. Für sie wird unsere Revolution das Autoritärste sein, was es gibt; sie wird ein Akt sein, durch den das Volk ihnen mit allen Mitteln über die es verfügt – wenn nötig mit Waffengewalt – seinen Willen aufzwingt.

Wer sind diese Feinde des Volkes? Angesichts der Gehässigkeit, die sie während der Ereignisse des 17. Mai den Kräften der Revolution gegenüber an den Tag legten, haben sie sich selbst entlarvt. Im Feuer des revolutionären Kampfes hat sie das Volk eindeutig identifiziert. Die Feinde des Volkes sind: 

1. Die obervoltaische Bourgeoisie. Diese unterteilt sich entsprechend der jeweiligen Funktion in Staatsbourgeoisie, Kompradoren-Bourgeoisie und mittlere Bourgeoisie.

Die Staatsbourgeoisie: Diese Fraktion wird auch als politbürokratische Bourgeoisie bezeichnet. Sie hat sich mittels ihres Politikmonopols auf unlautere, schändliche Weise bereichert. Sie hat den Staatsapparat gebraucht, wie der Kapitalist seine Produktionsmittel zur Aneignung von Mehrwert aus menschlicher Arbeitskraft. Diese Fraktion der Bourgeoise wird niemals freiwillig auf ihre Pfründe verzichten und sich den revolutionären Veränderungen gegenüber passiv verhalten.

Die Handelsbourgeoisie: Diese Fraktion der Bourgeoisie ist durch ihre Aktivitäten mit dem Imperialismus auf vielfältige Weise verbunden. Die Abschaffung der imperialistischen Herrschaft ist für sie gleichbedeutend mit dem Tod ihrer „Henne mit den goldenen Eiern“. Daher wird sich diese Klasse mit aller Kraft der Revolution entgegenstellen. Zur Handelsbourgeoisie gehören zum Beispiel jene unredlichen Händler, die die Bevölkerung aushungern, indem sie zum Zweck der Spekulation und Wirtschaftssabotage der Warenzirkulation Lebensmittel entziehen.

Die mittlere Bourgeoise: Diese Fraktion der obervoltaischen Bourgeoisie ist mit dem Imperialismus verbunden, konkurriert aber mit ihm um die Kontrolle des Marktes. Da sie ökonomisch schwächer ist, wird sie vom Imperialismus verdrängt. Insofern hat sie diesem gegenüber Grund zur Klage. Gleichzeitig fürchtet sie sich vor dem Volk. So kommt es vor, dass sie mit dem Imperialismus gemeinsame Sache macht. Weil diese Klasse allerdings durch die imperialistische Herrschaft über unser Land daran gehindert ist, ihre eigentliche Rolle als wahrhaft nationale Bourgeoisie zu spielen, könnten sich manche ihrer Mitglieder gewissermaßen für die Revolution erwärmen, sich damit objektiv auf die Seite des Volkes stellen. Aber es braucht gegenüber den Mitgliedern der Bourgeoisie, die sich der Revolution und dem Volke annähern, ein revolutionäres Misstrauen. Denn unter dem Deckmantel der Solidarität biedern sich Opportunisten aller Couleur der Revolution an.

2. Die Macht der rückwärtsgewandten Kräfte beruht auf den traditionellen, feudalen Strukturen der Gesellschaft. Diese Kräfte haben gegen den französischen Kolonialismus mehrheitlich entschlossen Widerstand geleistet. Doch seitdem unser Land die nationale Souveränität erlangt hat, unterdrücken sie im Bündnis mit dem Imperialismus das obervoltaische Volk. Diese Kräfte hielten sich die bäuerlichen Massen als Stimmvieh, um sie bei Bedarf mit wahltaktischen Manövern zu ködern. Zur Wahrung ihrer volksfeindlichen Interessen, die sie mit dem Imperialismus teilen, bedienen diese reaktionären Kräfte zumeist die im ländlichen Milieu noch lebendigen, dekadenten Werte unserer traditionellen Kultur. Diese reaktionären Kräfte wenden sich dagegen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Land durch die Revolution demokratisiert werden, dass das Verantwortungsbewusstsein der Bauern geweckt und ihnen zugunsten ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Emanzipation der Zugang zu Bildung ermöglicht wird.

Dies sind die Feinde des Volkes in der gegenwärtigen Revolution. Feinde, die das Volk selbst während der Geschehnisse im Mai als solche identifizieren konnte. Abgeschirmt von einem Militärkordon bildeten unsere Feinde das Gros einer Truppe von Einzelgängern, unterstützten als Klasse ein bereits absterbendes Regime, das aus einem reaktionären, proimperialistischen Staatsstreich hervorgegangen war.

Abgesehen von diesen eben angeführten reaktionären, konterrevolutionären Klassen konstituiert der Rest der Bevölkerung das obervoltaische Volk. Dieses Volk ist angewidert von der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung, und es hat seinen Widerwillen im konkreten, alltäglichen Kampf gegen die verschiedenen neokolonialen Regime stets deutlich zum Ausdruck gebracht. Das obervoltaische Volk setzt sich im Kontext der gegenwärtigen Revolution folgendermaßen zusammen:

1. Die junge, nicht sehr zahlreiche obervoltaische Arbeiterklasse. Diese hat in andauernden Kämpfen gegen die Arbeitgeberschaft bewiesen, dass sie eine wahrhaft revolutionäre Klasse ist. In der gegenwärtigen Revolution hat diese Klasse nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Sie hat keine Produktionsmittel zu verlieren. Sie hat im Rahmen der überkommenen neokolonialen Gesellschaft keine Parzelle Eigentum zu verteidigen. Sie ist im Gegenteil davon überzeugt, dass die Revolution ihre Sache ist, weil sie gewachsen und gestärkt aus ihr hervorgehen wird.

2. Das Kleinbürgertum. Diese ist eine umfangreiche. äußerst instabile gesellschaftliche Klasse, die sehr oft zwischen der Sache der Volksmassen und der des Imperialismus schwankt. Die große Mehrheit dieser Klasse stellt sich letztlich stets auf die Seite der Volksmassen. Sie umfasst viele unter- schiedliche Schichten, unter anderem Kleinhändler, kleinbürgerliche Intellektuelle (Beamte, Studenten, Schüler, Angestellte im privaten Sektor und so weiter) und Handwerker.

3. Der obervoltaische Bauernstand besteht in seiner großen Mehrheit aus Kleinbauern, die seit der Einführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in unserem Land wegen der fortschreitenden Auflösung des Kollektiveigentums auf Parzelleneigentum angewiesen ist. Warenförmige Beziehungen zersetzen immer mehr gemeinschaftliche Bindungen. An deren Stelle tritt das Privateigentum an Produktionsmitteln. In diesen neuen Verhältnissen, die durch das Vordringen des Kapitalismus in die ländlichen Gegenden entstanden sind, verkörpert der an die Kleinproduktion gebundene obervoltaische Bauer die bürgerlichen Produktionsverhältnisse. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass der obervoltaische Bauernstand integraler Bestandteil des Kleinbürgertums ist. In Anbetracht seiner vergangenen und gegenwärtigen Lage hat er als gesellschaftliche Schicht der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung den höchsten Preis bezahlt. Wegen der wirtschaftlichen und kulturellen Rückständigkeit der ländlichen Regionen Obervoltas blieb der Bauernstand als unfreiwilliges Reservoir der reaktionären politischen Parteien lange von Fortschritt und Modernisierung ausgeschlossen. Allerdings hat der Bauernstand ein Interesse an der Revolution, und er ist zahlenmäßig deren stärkste Kraft.

4. Das Lumpenproletariat. Zu dieser Kategorie zählen all jene Deklassierten, die mangels Arbeit nahezu darauf angewiesen sind, sich bei den Kräften der Konterrevolution und der Reaktion zu verdingen und deren schmutziges Werk auszuführen. Sollte es der Revolution gelingen, die Angehörigen des Lumpenproletariats zu gewinnen, indem sie ihnen eine nützliche Arbeit verschafft, können diese zu ihren glühendsten Verfechtern werden.

Charakter und Tragweite der Augustrevolution

Revolutionen, die irgendwo auf der Welt ausbrechen, gleichen einander kaum, Jede Revolution hat ihren eigenen Charakter, der sie von den anderen unterscheidet. Unsere Revolution, die Augustrevolution, bildet dahingehend keine Ausnahme. Sie entspricht den Besonderheiten unseres Landes, dem Grad seiner Entwicklung und seiner Unterwerfung unter das kapitalistisch-imperialistische Weitsystem. Unsere Revolution vollzieht sich in einem rückständigen Agrarland, wo der Druck von Tradition und Ideologie – ausgehend von einer feudalen Gesellschaftsordnung – schwer auf den Volksmassen lastet. Unsere Revolution vollzieht sich in einem Land, das aufgrund der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung des Volkes von einer Kolonie zu einer Neokolonie geworden ist.

Unsere Revolution spielt sich in einem Land ab, das noch keine Arbeiterklasse kennt, die sich ihrer historischen Mission bewusst und entsprechend organisiert wäre. Es verfügt daher über keine Tradition des revolutionären Kampfes. Unsere Revolution vollzieht sich in einem kleinen Binnenland, zu einem Zeitpunkt, da die revolutionäre Bewegung auf internationaler Ebene von Tag zu Tag schwächer wird, ohne sichtbare Hoffnung auf ein neues homogenes Ganzes, das den aufkeimenden revolutionären Bewegungen Impulse und praktische Unterstützung geben könnte. Diese historischen, geografischen und soziologischen Bedingungen wirken sich in besonderer Weise auf unsere Revolution aus.

Die Augustrevolution weist einen Doppelcharakter auf. Sie ist zum einen eine demokratische Revolution und zum anderen eine Revolution des Volkes. Vordringliche Aufgaben dieser Revolution sind die Liquidierung der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung, die Befreiung der ländlichen Regionen von allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Fesseln, die sie in Rückständigkeit halten. Darin liegt ihr demokratischer Charakter.

Ihr Charakter als Volksrevolution ergibt sich daraus, dass die Volksmassen in Obervolta integraler Bestandteil der Revolution sind und demnach zu demokratischen, revolutionären Grundprinzipien aktiv werden, die ihre Interessen, die mit denen der reaktionären, proimperialistischen Klassen unvereinbar sind, unmittelbar zum Ausdruck bringen. Der Charakter der Augustrevolution als Volksrevolution ist auch darauf zurückzuführen, dass anstelle der alten Staatsmaschinerie ein neues System errichtet wurde, das eine demokratische Machtausübung durch das Volk und für das Volk gewährleistet.

Unsere solchermaßen charakterisierte Revolution ist antiimperialistisch. Vollzieht sich aber noch in den Grenzen des bürgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Bei der Analyse der gesellschaftlichen Klassen der obervoltaischen Gesellschaft vertraten wir die Ansicht, dass die Bourgeoisie in Obervolta durchaus keinen reaktionären, antirevolutionären, homogenen Block bildet. Tatsächlich ist die Bourgeoisie der unterentwickelten Länder im kapitalistischen System vor allem durch die ihr eigentümliche Unfähigkeit charakterisiert, die Gesellschaft so umzuwälzen, wie es die Bourgeoisie der europäischen Länder in den 1780er Jahren getan hat, also zu jener Zeit, da diese noch im Aufstieg begriffen war.

Dies also sind die Merkmale und Grenzen der Revolution, die am 4. August 1983 in Obervolta ausgebrochen ist. Mit einer klaren Vorstellung und einer präzisen Definition dieses Prozesses wappnen wir uns gegen Gefahren wie Irrungen und Exzesse, die den siegreichen Gang der Revolution behindern könnten.

Mögen all diejenigen, die für die Augustrevolution Partei ergreifen, ihre Rolle als bewusste Revolutionäre ausfüllen, indem sie das skizzierte Leitbild verinnerlichen und es als wahrhaftige, unerschrockene, unermüdliche Propagandisten unter den Massen verbreiten.

Es genügt nicht mehr, sich als revolutionär zu bezeichnen. Es kommt darauf an, die tiefere Bedeutung der Revolution zu verinnerlichen, deren glühender Verfechter man ist. So schützt man sie am besten gegen die Attacken und Entstellungsversuche, die die Konterrevolutionäre gewiss starten werden. Die Fähigkeit, revolutionäre Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, ist das entscheidende Kriterium für die Unterscheidung konsequenter Revolutionäre von all jenen, deren Motivation, sich der Revolution in die Arme zu werfen, mit der Sache der Revolution an sich nichts zu tun hat.

Über die Volkssouveränität bei der Ausübung der revolutionären Macht

Eines der Wesensmerkmale der Augustrevolution als einer Revolution des Volkes liegt wie gesagt in ihrem Charakter als eine Bewegung der überwiegenden Mehrheit zugunsten der überwiegenden Mehrheit. Diese Revo lution wird von den obervoltaischen Volksmassen selbst mit ihren eigenen – Bestrebungen und Grundsätzen – vollzogen. Das Ziel dieser Revolution besteht darin, dem Volk die Macht zu übertragen. Daher bestand der erste Akt der Revolution nach der Erklärung vom 4. August darin, einen Appell zur Gründung von Komitees zur Verteidigung der Revolution (Comités de Défense de la Révolution, CDR) an die Bevölkerung zu richten. Der Nationalrat der Revolution ist davon überzeugt, dass durch diese Revolution – damit sie wirklich die Sache des Volkes ist – die neokoloniale Staatsmaschinerie zerschlagen und ein neues System organisiert werden muss, welches die Volkssouveränität gewährleisten kann. Die Frage, auf welche Weise die Macht des Volkes ausgeübt und organisiert wird, ist für die Zukunft der Revolution von grundlegender Bedeutung. 

Die Geschichte unseres Landes wurde bis heute im Wesentlichen von den konservativen ausbeutenden Klassen bestimmt, deren Diktat auf der Kontrolle von Politik, Wirtschaft, Ideologie, Kultur, Verwaltung und Justiz beruhte.

Das oberste Ziel der Revolution besteht darin, die Macht aus den Händen der proimperialistischen Bourgeoisie Obervoltas in die der vereinigten Volksklassen zu legen. Das bedeutet, dass das nun ermächtigte Volk der von der reaktionären Allianz der proimperialistischen Klassen getragenen diktatorischen, volksfeindlichen Ordnung nunmehr seine demokratische Macht entgegensetzen muss.

Diese demokratische Volksmacht wird eine solide Basis für die revolutionäre Ordnung in Obervolta bilden. Die vordringliche Aufgabe dieser Volksmacht wird darin bestehen, die Staatsmaschine mit ihren Gesetzen, ihrer Verwaltung, ihren Gerichten, ihrer Polizei und Armee, die allesamt geschaffen wurden, um den egoistischen Interessen der reaktionären Klassen und Schichten zu dienen, vollkommen umzugestalten. Aufgabe der Volksmacht wird es sein, den Kampf gegen konterrevolutionäre Machenschaften zu organisieren, die auf die Rückeroberung des „verlorenen Paradieses“ ausgerichtet sind, und den Widerstand der Reaktionäre endgültig zu zerschlagen. Daher die Notwendigkeit und die Rolle der Komitees zur Verteidigung der Revolution als Instrument der Volksmassen zum Sturm auf die reaktionären Zitadellen der Konterrevolution.

Für ein exaktes Verständnis von Wesen, Rolle und Funktionsweise der Komitees zur Verteidigung der Revolution

Der Aufbau des demokratischen Volksstaates als Endzweck der Augustrevolution wird sich nicht über Nacht realisieren lassen. Vielmehr haben wir es mit einer mühseligen Aufgabe zu tun, die uns gewaltige Opfer abverlangen wird. Der demokratische Charakter dieser Revolution verpflichtet uns zur Dezentralisierung und Entflechtung des Verwaltungsapparats, denn es gilt, die Distanz zwischen Verwaltung und Bevölkerung zu verringern und das Gemeinwesen zu einem Anliegen zu machen, das alle angeht. Im Rahmen dieses gewaltigen Werkes, das einen langen Atem braucht, haben wir begonnen, zur Steigerung der Effizienz die Verwaltungskarte des Landes zu verändern. 

Wir haben außerdem begonnen, die Leitung der Verwaltungsbehörden verstärkt in unserem revolutionären Sinn zu besetzen. Gleichzeitig haben wir Beamte und Militärs „freigestellt“, die dem Rhythmus der Revolution aus unterschiedlichen Gründen nicht folgen konnten. Es bleibt viel zu tun, und wir sind uns dessen bewusst.

Der Nationalrat der Revolution – dasjenige Staatsorgan, das im Rahmen des am 4. August begonnenen revolutionären Prozesses das gesellschaftliche Leben auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene plant, leitet und kontrolliert – ist in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft auf lokale Instanzen angewiesen. Darin liegt die tiefere Bedeutung der Komitees zur Verteidigung der Revolution als Vertretungen der revolutionären Ordnung in Dörfern, Stadtvierteln und an den Arbeitsorten.

Die Komitees sind authentische Organisationen des Volkes zur Ausübung der revolutionären Macht. Sie sind Instrumente, die das Volk geschmiedet hat, um sein Schicksal tatsächlich selbst in die Hand zu nehmen und dergestalt seinen Einfluss auf alle Bereiche der Gesellschaft auszuweiten. Über die Waffen des Volkes, die Macht des Volkes, die Reichtümer des Volkes wird das Volk selbst verfügen. Dafür gibt es die Komitees.

Die Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, sind immens und vielfältig. Die oberste Mission der Komitees besteht in der Organisierung des gesamten Volkes Obervoltas für den revolutionären Kampf. Die in den Komitees organisierte Bevölkerung hat nicht nur ein Mitspracherecht in Bezug auf die Probleme, die ihre Zukunft betreffen, sondern beteiligt sich auch an der Entscheidungsfindung und Gestaltung ihrer eigenen Zukunft. Die Revolution als angemessene Theorie zur Vernichtung der alten Ordnung und deren Ersetzung durch eine Gesellschaft neuen Typs kann nur von denjenigen vollzogen werden, die an ihr ein Interesse haben.

Die Komitees agieren also als Sturmtrupps, die sämtliche Widerstandsnester angreifen werden. Sie sind die Erbauer des revolutionären Obervoltas und werden den Funken der Revolution in alle Provinzen, alle Dörfer, alle öffentlichen, privaten Dienste, alle Haushalte und alle Milieus tragen. Um dies zu schaffen, kommt es darauf an, dass die revolutionären Aktivisten in den Komitees sich folgenden wichtigen Aufgaben mit besonderem Elan widmen:

1. Der Umgang mit den Mitgliedern der Komitees: Den revolutionären Aktivisten kommt die politische Bildung ihrer Kameraden zu. Sie müssen Schulen für politische Bildung sein. Die Komitees sind ein geeigneter Rahmen für Diskussionen der Aktivisten über Entscheidungen der obersten Instanzen der Revolution, des Nationalrates und der Regierung.

2. Im Umgang mit den Volksmassen sollen diese durch stetige, kühne Propaganda und Agitation dazu bewegt werden, den Zielen der Komitees massiv zuzustimmen. An die Stelle der lügenhaften Propaganda und der Verleumdungen der reaktionären Kräfte müssen die sie eine angemessene Propaganda der revolutionären Erklärung setzen, die dem Prinzip folgt, wonach einzig die Wahrheit revolutionär ist.

Die Komitees müssen den Massen zuhören, ihren Befindlichkeiten und Bedürfnissen Rechnung tragen, rechtzeitig dem Nationalrat darüber berichten und konkrete Vorschläge unterbreiten. Sie sind gehalten, sich mit den Fragen zu befassen, die die Interessen der Volksmassen betreffen, sowie deren Initiativen zu unterstützen.

Der direkte Kontakt mit den Volksmassen durch des Öfteren abgehaltene offene Versammlungen, in denen Fragen diskutiert werden, die die Bevölkerung betreffen, ist für die Komitees zur angemessenen Umsetzung der Nationalrats-Weisungen zwingend notwendig. Die Propaganda dient also dazu, den Massen die Entscheidungen des Nationalrates zu erklären. Erklärt werden außerdem alle Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Die Komitees müssen gemeinsam mit den Volksmassen in den Städten und auf dem Land gegen ihre Feinde kämpfen, den Widrigkeiten der Natur begegnen und sich für die Veränderung ihres materiellen und geistigen Daseins einsetzen.

3. Die Komitees müssen rational vorgehen und damit einem Wesensmerkmal unserer Revolution Ausdruck verleihen: Stringenz. Sie müssen ebenso kohärente wie ehrgeizige Aktionspläne erstellen, die für alle ihre Mitglieder gleichermaßen bindend sind.

Seit dem 4. August – für unser Volk nunmehr ein historisches Datum – sind die Obervoltaer dem Aufruf des Nationalrates gefolgt und haben Initiativen ergriffen, die die Gründung von Komitees zur Verteidigung der Revolution zum Ziel hatten. Tatsächlich wurden in Dörfern und Städten, wenig später auch in Betrieben, Behörden, Fabriken und in der Armee Komitees ins Leben gerufen. All dies ist das Ergebnis des spontanen Handelns der Massen. Jetzt gilt es, auf einer klaren Grundlage die interne Struktur der Komitees und deren Organisation auf nationaler Ebene weiterzuentwickeln. Dieser Aufgabe widmet sich gegenwärtig das Generalsekretariat des Nationalrates. Um den Ergebnissen der Überlegungen, die zurzeit anhand vergangener Erfahrungen angestellt werden, nicht vorzugreifen, begnügen wir uns hier damit, Grundstruktur und allgemeine Leitprinzipien der Komitees zu skizzieren.

Die zentrale Idee, die mit der Gründung der Komitees verbunden ist, liegt in der Demokratisierung der Macht. Durch sie übt das Volk auf lokaler Ebene die Macht aus, wobei diese aus der Zentralmacht hervorgeht, die dem Nationalrat obliegt.

Der Nationalrat ist abgesehen von den Tagungen des Nationalkongresses die oberste Gewalt. Er ist das Leitorgan der gesamten Struktur, deren Leitprinzip im demokratischen Zentralismus besteht. 

Der demokratische Zentralismus beruht einerseits auf einer von unten nach oben gestuften Rangordnung von Organen, an deren Spitze der Nationalrat steht. Diesem unterstehen alle anderen Organe. Andererseits bleibt dieser Zentralismus demokratisch, denn auf allen Ebenen gilt unbedingt das Prinzip der Wählbarkeit. Hinzu kommt, dass die Autonomie der lokalen Organe in allen Fragen garantiert wird, für die sie zuständig sind – in den Grenzen sowie unter Beachtung der allgemeinen Richtlinien, die von der jeweils oberen Instanz festgelegt werden.

Zur revolutionären Moral der Komitees zur Verteidigung der Revolution

Die Revolution zielt auf eine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Transformation der Gesellschaft ab. Sie zielt darauf ab, einen neuen Obervoltaer zu erschaffen, der sich durch vorbildliche Moral und Sozialverhalten auszeichnet und diesbezüglich bei den Massen Vertrauen und Bewunderung hervorruft. Die neokoloniale Herrschaft hat unsere Gesellschaft in einen derart verfallenen Zustand geführt, dass wir Jahre brauchen werden, um sie zu bereinigen.

Inzwischen müssen die Komitee-Aktivisten ein neues Bewusstsein, neue Verhaltensweisen entwickeln und dadurch den Volksmassen ein gutes Beispiel geben. Als Akteure der Revolution kommt es darauf an, dass wir uns selbst qualitativ verändern. Ohne qualitative Veränderung derer, die die Urheber der Revolution sein sollen, ist es praktisch unmöglich, eine neue Gesellschaft zu schaffen, die frei ist von Korruption, Diebstahl, Lüge sowie vom Individualismus schlechthin.

Wir müssen uns bemühen, Taten und Worte in Übereinstimmung zu bringen und auf unser Sozialverhalten zu achten. Denn es gilt, den Attacken der Konterrevolutionäre, die auf der Lauer liegen, keine Angriffsflächen zu bieten. Wenn wir uns stets bewusst sind, dass das Interesse der revolutionären Massen Vorrang hat gegenüber dem Eigeninteresse, sind wir vor allen Irrungen gefeit. Manche Aktivisten legen einen Aktionismus an den Tag. Der sich aus dem konterrevolutionären Traum speist, mithilfe der Komitees Güter anzuhäufen und Profite einzustreichen. Dieser Aktionismus muss angeprangert und bekämpft werden. Eitelkeiten müssen ein Ende haben. Je rascher diese Unzulänglichkeiten bekämpft werden, desto besser für die Revolution.

Revolutionär ist unserer Ansicht nach derjenige, der es versteht, bescheiden zu sein und gleichzeitig voller Entschlossenheit die ihm anvertrauten Aufgaben erfüllt. Er erfüllt sie, ohne zu prahlen, und erwartet keine Belohnung.

In letzter Zeit stellten wir fest, dass Personen, die sich an der Revolution aktiv beteiligt haben und sich davon bevorzugte Behandlung, Ehren und hohe Posten versprachen, nun, da sie sich damit nicht durchsetzen konnten, versuchen, die Revolution zu untergraben. Darin zeigt sich, dass sie sich an ihr beteiligten, ohne ihre wirklichen Ziele zu begreifen. Man macht keine Revolution, um bloß die alten Machthaber abzulösen. Man beteiligt sich nicht aus Rachsucht an einer Revolution, um sich selbst in eine vorteilhafte Position zu bringen, nach dem Motto: „Mach Platz, jetzt bin ich an der Reihe.“ Diese Art Motivation hat mit dem Ideal der August-Revolution nichts zu tun. Diejenigen, denen diese Motivation eigen ist, offenbaren kleinbürgerliche Makel, wenn nicht gar den Opportunismus gefährlicher Konterrevolutionäre.

Das Bild des Revolutionärs, welches der Nationalrat im Bewusstsein aller verankern möchte, ist das eines Aktivisten, der mit den Massen eng verbunden ist, an sie glaubt und sie achtet. Der Revolutionär zeigt ihnen gegenüber keinerlei Geringschätzung. Er sieht sich keineswegs als Lehrer, dem die Massen Gehorsam und Fügsamkeit schulden. Im Gegenteil: Er lernt von ihnen, hört ihnen aufmerksam zu und achtet auf ihre Ansichten. Er vermeidet die autoritären Methoden reaktionärer Bürokraten.

Die Revolution hat nichts mit zerstörerischer Anarchie zu tun. Sie erfordert vorbildliche Disziplin und konsequentes Vorgehen. Akte des Vandalismus oder des Abenteurertums jeglicher Art schwächen die Revolution, statt sie zu stärken, und schrecken die Massen ab, statt sie zu überzeugen und zu begeistern. Daher müssen die Mitglieder der Komitees der Bevölkerung gegenüber noch mehr Verantwortungssinn zeigen und damit Respekt und Bewunderung hervorrufen.

Die besagten Unzulänglichkeiten resultieren zumeist aus Unwissen in Bezug auf Charakter und Ziele der Revolution. Um ihnen vorzubeugen, müssen wir uns ins Studium der revolutionären Theorie vertiefen. Das Theoriestudium ermöglicht uns ein besseres Verständnis der Dinge, klärt uns über unser Handeln auf und bewahrt uns vor allerhand Fehleinschätzungen. Wir müssen diesem Aspekt von nun an besondere Aufmerksamkeit widmen und uns bemühen, gute Vorbilder zu sein, so dass die anderen uns folgen.

Für eine Umwälzung aller Bereiche der obervoltaischen Gesellschaft

Alle bisherigen Regime waren lediglich darauf aus, durch eine Reihe von Maßnahmen die neokoloniale Gesellschaft effizienter zu verwalten. Die unter diesen Regimen vorgenommenen Änderungen beschränkten sich auf einen Personalwechsel innerhalb der neokolonialen Ordnung. Keines dieser Regime wollte oder konnte die sozioökonomische Basis der obervoltaischen Gesellschaft infrage stellen. Aus diesem Grund sind sie allesamt gescheitert.

Die Augustrevolution ist nicht darauf ausgerichtet, ein weiteres Regime in Obervolta zu errichten. Sie bricht mit allen bisherigen Regimen. Ihr Endziel besteht in der Errichtung einer neuen Gesellschaft, in der jeder Bürger Obervoltas aufgrund seines revolutionären Bewusstseins zum Schöpfer seines eigenen Glücks wird, eines Glücks, das den Anstrengungen entsprechen sollte, die er aufgebracht hat. Ob es den konservativen und rückwärtsgewandten Kräften gefällt oder nicht, als totale, tiefgreifende Umwälzung wird die Revolution keinen Bereich, keinen Sektor des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens aussparen. Die Umwälzung aller Bereiche, aller Tätigkeitsfelder ist die Losung, die den gegebenen Herausforderungen entspricht. Mit der beschriebenen Strategie im Rücken, muss es sich jeder Bürger, auf welcher Ebene auch immer, zur Aufgabe machen, den eigenen Tätigkeitsbereich im revolutionären Sinne zu verändern.

In folgenden Bereichen wird die Philosophie der revolutionären Umwälzungen unverzüglich angewandt: 1. Der Armee, 2. Der Frauenpolitik, 3. dem wirtschaftlichen Aufbau.

1. Die nationale Armee

Ihre Stellung in der demokratischen Volksrevolution. Der Verteidigungsdoktrin des revolutionären Obervoltas zufolge kann ein bewusstes Volk die Verteidigung des Vaterlandes nicht einfach einer bestimmten Gruppe von Personen überantworten, ganz egal, wie kompetent diese auch sein mögen. Ein bewusstes Volk nimmt die Verteidigung des Vaterlands selbst in die Hand Daher bilden unsere Streitkräfte lediglich ein Kontingent, das in Sachen innere und äußere Sicherheit über eine größere Spezialisierung verfügt als der Rest des Volkes. Desgleichen wird es weiterhin spezialisiertes medizinisches Personal geben, das dem öffentlichen Gesundheitswesen mehr Zeit widmet, auch wenn die Gesundheit der Obervoltaer gleichzeitig Sache des Volkes und jedes einzelnen Obervoltaers selbst ist.

Die Revolution trägt den nationalen Streitkräften drei Missionen auf: 

1. In der Lage sein, jeden inneren und äußeren Feind zu bekämpfen und sich an der militärischen Schulung des Volkes zu beteiligen. Dies setzt eine höhere Einsatzfähigkeit voraus, so dass im Unterschied zur früheren Armee – einem bloßen Heer von Berufssoldaten – jeder einzelne Soldat zu einem leistungsfähigen Kämpfer wird.

2. Sich am nationalen Wirtschaftsleben beteiligen. Der neue Soldat soll zusammen mit dem Volk, dem er angehört, leben und leiden. Die Zeiten, da die Armee einen Großteil der öffentlichen Gelder verschlang, sind vorbei. Von nun an werden Soldaten nicht mehr bloß mit Waffen hantieren, sondern sich auf die Felder begeben, Rinder, Schafe und Geflügel züchten. Soldaten werden Schulen und Krankenstationen bauen und für deren Funktionsfähigkeit Sorge tragen; sie werden Straßen instand halten und auf dem Luftweg kranke Menschen, die Post und landwirtschaftliche Produkte transportieren.

3. Jeden Soldaten zu einem revolutionären Aktivisten ausbilden. Vorbei sind die Zeiten einer angeblich neutralen, apolitischen Rolle der Armee, die sie aber gleichzeitig zum Schutzwall der Reaktionäre, zur Garantin der imperialistischen Interessen machte!

Vorbei auch die Zeiten, da sich unsere Armee wie ein Heer von Söldnern in erobertem Land benahm! Ja, diese Zeiten sind endgültig vorbei. Unsere Soldaten, Offiziere und Unteroffiziere, die sich am revolutionären Prozess beteiligen, sind politisch und ideologisch gebildet. Sie sind daher keine potenziellen Verbrecher mehr, sondern im Begriff, bewusste Revolutionäre zu werden, die sich im Volk wie ein Fisch im Wasser bewegen.

Da sie im Dienste der Revolution steht, wird unsere Volksarmee keinen Soldaten mehr dulden, der das Volk verachtet, verhöhnt oder gar misshandelt. Anstelle der neokolonialen Armee als ein Unterdrückungs- und Repressionsinstrument in den Händen der reaktionären Bourgeoisie, die es gegen das Volk einsetzt, werden wir eine Armee des Volkes im Dienste des Volkes schaffen. Eine solche Armee wird sich in ihrer internen Struktur und ihren Funktionsprinzipien grundsätzlich von der alten Armee unterscheiden. Anstatt blinden Gehorsams der Soldaten gegenüber ihren Vorgesetzten, der Subalternen gegenüber ihren Chefs wird eine gesunde Disziplin entwickelt, die zwar streng ist, aber auf der bewussten Zustimmung der Menschen und Truppen basiert.

Im Gegensatz zu dem, was die reaktionären Offiziere meinen, die dem kolonialen Geist verhaftet sind, bedeuten Politisierung und revolutionäre Umgestaltung der Armee keineswegs Abschaffung der Disziplin. In unserer politisierten Armee wird die Disziplin einen neuen Gehalt erhalten. Es geht um eine revolutionäre Disziplin. Um eine Disziplin, die ihre Wirksamkeit aus der Tatsache bezieht, dass Offizier und einfacher Soldat, untere und obere Dienstgrade in Bezug auf die Menschenwürde gleich sind, dass sie sich einzig in der konkreten Aufgabe und den jeweiligen Verantwortlichkeiten unterscheiden. Auf Basis einer solchen Einsicht in die Beziehungen zwischen Menschen müssen die militärischen Führungskräfte ihre Untergebenen achten, mögen und gerecht behandeln.

Auch hier spielen die Komitees zur Verteidigung der Revolution eine herausragende Rolle. Die Komitee-Aktivisten in der Armee müssen unermüdliche Pioniere bei der Bildung einer demokratischen Volksarmee in einem demokratischen Volksstaat sein. Ihre wesentlichen Aufgaben sind die folgenden:

1. Im Bereich der inneren Sicherheit: Die Verteidigung der Rechte und Interessen des Volkes, die Aufrechterhaltung der revolutionären Ordnung und der Schutz der demokratischen Volksmacht.

2. Im Bereich der äußeren Sicherheit: Die Verteidigung der territorialen Integrität.

2. Die Frau in Obervolta

Ihre Rolle in der demokratischen Volksrevolution. Die Last jahrhundertealter Traditionen unserer Gesellschaft reduziert Frauen auf die Rolle bloßer Arbeitstiere. Alle Übel der neokolonialen Gesellschaft bekommt die Frau doppelt zu spüren: Zum einen macht sie das gleiche durch wie der Mann, zum anderen fügt ihr dieser zusätzlich Leid zu.

Die Revolution geht alle Unterdrückten, alle Ausgebeuteten an. Daher geht sie auch die Frau an, denn ihre Beherrschung durch den Mann basiert auf dem politischen und ökonomischen Gesellschaftssystem. Indem die Revolution die bestehende Gesellschaftsordnung, die für die Unterdrückung der Frau verantwortlich ist, grundsätzlich umgestaltet, werden die Bedingungen für ihre wirkliche Emanzipation geschaffen.

Männer wie Frauen sind in unserer Gesellschaft Opfer imperialistischer Unterdrückung und Herrschaft. Darum führen sie den gleichen Kampf. Die Revolution ist untrennbar mit der Befreiung der Frau verbunden. Dabei ist es kein Akt der Barmherzigkeit oder des Humanismus, die Emanzipation der Frauen zum Thema zu machen. Vielmehr ist diese für den Triumph der Revolution im Ganzen eine absolute Notwendigkeit. Die Frauen tragen die andere Hälfte des Himmels. Eine der entscheidenden Aufgaben der Revolution besteht darin, eine neue Mentalität zu schaffen, die es der Frau ermöglicht, sich an der Seite des Mannes dem Schicksal des Landes zu stellen. Nicht weniger Bedeutung kommt der Veränderung jener Verhaltensweisen zu, die der Mann gegenüber der Frau an den Tag legt.

Bis heute wurde die Frau von den Entscheidungssphären ferngehalten. Indem sie die Verantwortung der Frau stärkt, werden durch die Revolution die nötigen Bedingungen geschaffen, um den Kampfgeist der Frauen zu entfalten. Die revolutionäre Politik des Nationalrates ist darauf ausgerichtet, alle tragenden Kräfte der Gesellschaft zu mobilisieren, zu organisieren und zu einen, und die Frauen werden hier keinesfalls außen vor bleiben. Die Frau wird an allen Kämpfen beteiligt, die wir werden führen müssen, um uns der diversen Fesseln der neokolonialen Gesellschaft zu entledigen und eine neue Gesellschaft zu schaffen. Die Frau wird auf allen Planungs-, Entscheidungs- und Ausführungsebenen an der Organisation des gesamten gesellschaftlichen Lebens beteiligt sein. Das Endziel dieses großartigen Unterfangens besteht darin, eine freie und prosperierende Gesellschaft zu schaffen, in der die Frau dem Mann in allen Bereichen gleichgestellt ist.

Allerdings braucht es ein angemessenes Verständnis dessen, was Emanzipation der Frau bedeutet. Es geht dabei nicht um eine mechanische Gleichheit Frau – Mann. Die Frau emanzipiert sich nicht, indem sie anfängt, wie der Mann zu trinken, zu rauchen und Hosen zu tragen. Auch der Erwerb von Bildungsabschlüssen wird nicht zur Gleichheit von Mann und Frau beziehungsweise zu deren Emanzipation führen.

Ein Abschluss ist kein Passierschein hin zur Emanzipation. Wirkliche Emanzipation stärkt die Verantwortung der Frauen, ihre Beteiligung an den Produktionsaktivitäten und Kämpfen des Volkes.

Wirkliche Emanzipation der Frau nötigt dem Mann Respekt und Achtung ab Ebenso wie die Freiheit kann auch die Emanzipation unmöglich gewährt. Sondern nur erkämpft werden. Es ist an den Frauen selbst, ihre Forderungen vorzutragen und sich für deren Erfüllung einzusetzen. 

Hierfür wird die demokratische Volksrevolution die notwendigen Bedingungen schaffen, um es der obervoltaischen Frau zu ermöglichen, sich voll und ganz zu verwirklichen. Denn wie könnte das System der Ausbeutung abgeschafft werden, wenn die Frauen, die mehr als die Hälfte der Gesellschaft ausmachen, weiter ausgebeutet werden?

3. Eine unabhängige, autarke, geplante Volkswirtschaft im Dienste einer demokratischen Gesellschaft

Mit dem revolutionären Transformationsprozess, der am 4. August begann, stehen große demokratische Reformen auf der Tagesordnung. Der Nationalrat der Revolution ist sich insofern der Tatsache bewusst, dass der Aufbau einer unabhängigen, autarken, geplanten Volkswirtschaft eine radikale Umgestaltung der bestehenden Gesellschaft verlangt, die wiederum folgende bedeutende Reformen erfordert: eine Agrarreform, eine Verwaltungsreform, eine Schulreform, eine Reform der Produktions- und Verteilungsstrukturen im modernen Sektor.

Die Ziele der Agrarreform lauten folgendermaßen: Steigerung der Arbeitsproduktivität durch bessere Organisierung der Bauern und Einführung moderner landwirtschaftlicher Methoden, Diversifizierung der Landwirtschaft bei gleichzeitiger regionaler Spezialisierung, Beseitigung aller Hemmnisse, die von den traditionellen sozioökonomischen Strukturen herrühren und die Bauern unterdrücken, Ausbau der Landwirtschaft zu einer Säule der industriellen Entwicklung.

Dies ist zu schaffen, wenn die inzwischen etwas verblasste, weil ohne Überzeugung gebrauchte Losung „Ernährungssouveränität“ mit ihrer wahren Bedeutung versehen wird.

Das bedeutet zunächst einen harten Kampf gegen die Natur, die ja bei uns nicht undankbarer ist als in anderen Ländern, wo das Volk sie im Bereich der Landwirtschaft ausgezeichnet bezwungen hat. Der Nationalrat der Revolution wird sich keinen Illusionen über gigantische komplexe Projekte hingeben. Im Gegenteil: Dank einer Vielzahl kleinerer landwirtschaftlicher Leistungen wird unser Land zu einem einzigen großen Feld, einer endlosen Aneinanderreihung von Farmen. 

Außerdem bedeutet es den Kampf gegen diejenigen, die das Volk aushungern, gegen Spekulanten und Landwirtschaftskapitalisten aller Art.

Das bedeutet schließlich den Schutz unseres Agrarwesens vor dem Einfluss der imperialistischen Herrschaft. Dabei geht es um die Ausrichtung der Landwirtschaft, die Plünderung unserer Ressourcen und den unlauteren Wettbewerb durch Importwaren, deren Qualität allein in ihrer Verpackung für Wichtigtuer liegt. Einträgliche Preise und neue Strukturen der Lebensmittelindustrie werden unseren Bauern zu jeder Jahreszeit Zugang zu Märkten ermöglichen.

Die Verwaltungsreform zielt darauf ab, die von der Kolonisation ererbte Verwaltung funktionsfähig zu machen. Dafür muss sie von allen ihren Missständen befreit werden, das heißt von einer schwerfälligen, schikanösen Bürokratie mit den entsprechenden negativen Folgeerscheinungen. Es braucht zudem eine umfassende Überprüfung der Statuten des Öffentlichen Dienstes. Die Verwaltungsreform muss zu einer kostenarmen, wirkungsvolleren und flexibleren Verwaltung führen.

Die Schulreform zielt auf eine Neuausrichtung von Bildung und Kultur ab. Durch diese Reform muss die Schule letztlich in ein Instrument der Revolution verwandelt werden. Die diplomierten Absolventen sollen nicht zuallererst ihren Eigeninteressen dienen (oder denen der ausbeutenden Klassen), sondern den Interessen der Volksmassen. Die revolutionäre Schulbildung muss jedem eine Weltanschauung vermitteln und ihn zu einer obervoltaischen Persönlichkeit reifen lassen, so dass der Nachahmungsdrang des Einzelnen ein Ende hat. Bestimmung der Schule in einer demokratischen Gesellschaft wird es unter anderem sein, den Schülern die Mittel in die Hand zu geben, sich sowohl kritisch als auch positiv Ideen und Erfahrungen anderer Völker anzueignen. 

Damit dem Analphabetismus und der Aufklärungsfeindlichkeit ein Ende gesetzt werden können, muss das Augenmerk konsequent darauf gelegt werden, müssen alle Energien darauf verwandt werden, die Massen zu organisieren, zu sensibilisieren und ihren Wissensdurst anzuregen, indem Ihnen die Nachteile der Unwissenheit vor Augen geführt werden. Dabei ist jede Bekämpfung des Analphabetismus ohne Beteiligung der Betroffenen zum Scheitern verurteilt.

Die Kultur der neuen demokratischen Gesellschaft muss sich durch drei Wesensmerkmale auszeichnen: Sie muss national, revolutionär und volksnah sein. Alles, was antinational, antirevolutionär und gegen das Volk gerichtet ist, muss geächtet werden. Unsere Kultur hingegen, die Würde, Tapferkeit, Nationalismus und die hohen Tugenden der Menschheit preist, wird gewürdigt werden.

Die demokratische Volksrevolution wird ein Klima schaffen, das das Aufblühen einer neuen Kultur begünstigt. Künstler werden die Freiheit haben, kühn voranzuschreiten. Es ist an den Künstlern, die Gelegenheit zu ergreifen, unsere Kulturproduktion auf Weltniveau zu bringen. Mögen die Schriftsteller ihre Feder in den Dienst der Revolution stellen. Mögen die Musiker nicht nur die glorreiche Vergangenheit unseres Volkes besingen, sondern auch dessen strahlende, verheißungsvolle Zukunft.

Der Beitrag der Künstler zur Revolution sollte darin bestehen, dass sie die Wirklichkeit beschreiben, lebendige Bilder von ihr schaffen, dieser in melodiösen Tönen Ausdruck verleihen und dem Volk den rechten Weg in eine bessere Zukunft weisen. Den Künstlern obliegt es, ihren Schöpfergeist in den Dienst einer obervoltaischen, nationalen, revolutionären und volksnahen Kultur zu stellen.

Es gilt, das Gute aus der Vergangenheit zu schöpfen, aus unseren Traditionen sowie das Positive anderer Kulturen, um unserer eigenen Kultur eine neue Dimension zu verleihen.

Die unerschöpfliche Inspirationsquelle befindet sich in den Volksmassen selbst. Mit den Massen leben, sich in der Volksbewegung engagieren, Freud und Leid des Volkes teilen, gemeinsam arbeiten und kämpfen; dies sollten die wichtigsten Anliegen der Künstler sein. 

Vor Beginn des Schaffens stellt sich die Frage, wem wir unser Schaffen widmen. Wenn wir davon überzeugt sind, für das Volk tätig zu sein müssen wir wissen, was das Volk ist, wie es sich zusammensetzt und was dessen wichtigste Anliegen sind.

Die Verbesserung der ökonomischen Produktions- und Verteilungsstrukturen: Die Veränderungen in diesem Bereich sollen der obervoltaischen Bevölkerung schrittweise eine effektive Kontrolle von Produktion und Verteilung ermöglichen. Denn ohne echte Kontrolle der Wirtschaftskreisläufe ist es praktisch unmöglich, eine unabhängige Wirtschaft im Dienste des Volkes aufzubauen.

Volk von Obervolta, Kameradinnen und Kameraden, Aktivistinnen und Aktivisten der Revolution, die Bedürfnisse unseres Volkes sind enorm. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse verlangt revolutionäre Umgestaltungsprozesse in allen Bereichen. 

Daher sind in den Bereichen Gesundheitswesen und Fürsorge zugunsten der Volksmassen folgende Ziele zu erreichen: Gesundheit für alle, Einrichtung eines Betreuungsdienstes zum Schutz von Müttern und Kindern, eine Politik der Immunisierung gegen übertragbare Krankheiten durch verstärkte und häufigere Impfkampagnen, eine Sensibilisierung der Massen in Hygiene- fragen. Keines dieser Ziele kann ohne das bewusste Engagement der kämpfenden Volksmassen und deren revolutionäre Orientierung durch die Gesundheitsdienste erreicht werden.

Im überaus wichtigen Bereich des Wohnungswesens müssen wir eine konsequente Politik betreiben, um der Immobilienspekulation und der Verarmung der Arbeiter durch überzogene Mieten ein Ende zu setzen. Umfangreiche Maßnahmen müssen in diesem Bereich ergriffen werden um vernünftige Mietpreise festzulegen, rasch die Parzellierung in den Wohnvierteln vorzunehmen, in großem Umfang und ausreichender Zahl moderne Wohnhäuser zu bauen, die den Arbeitern zur Verfügung gestellt werden.

Eines der wesentlichen Anliegen des Nationalrates der Revolution besteht in der Einheit der unterschiedlichen Nationen Obervoltas im gemeinsamen Kampf gegen die Feinde der Revolution. Tatsächlich gibt es in unserem Land eine Vielzahl von Volksgruppen, die sich in Sprachen und Bräuchen voneinander unterscheiden. Die obervoltaische Nation setzt sich aus all diesen Nationen und Volksgruppen zusammen. Der Imperialismus, mit seiner Politik des „teile und herrsche“ zielte darauf ab, die Widersprüche zwischen den Volksgruppen zu verschärfen und diese gegeneinander aufzuhetzen.

Die Politik des Nationalrates hingegen strebt die Einheit unserer Nationen an, damit sie in Gleichheit leben können und über gleiche Erfolgschancen verfügen. Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, dass die wirtschaftliche Entwicklung der verschiedenen Regionen in Angriff genommen wird, der wirtschaftliche Austausch zwischen den Regionen gefördert wird, Vorurteile zwischen den Volksgruppen bekämpft werden und Streit in einem Geist der Einheit beigelegt wird und dass Spalter bestraft werden. 

Angesichts der vielen Probleme, mit denen sich unser Land konfrontiert sieht, erscheint die Revolution als eine Herausforderung, der wir mit Siegeswillen sowie der aktiven Beteiligung der in den Komitees organisierten Volksmassen begegnen müssen. 

In naher Zukunft wird das gesamte Staatsgebiet Obervoltas dank der Sektorenprogramme zu einer riesigen Baustelle werden, wo es auf die Mitarbeit aller arbeitsfähigen Obervoltaer ankommt. Wir werden einen unerbittlichen Kampf führen, um unser Land in ein prosperierendes und strahlendes Land zu verwandeln, in ein Land, in dem das Volk selbst über die Materiellen und immateriellen Reichtümer der Nation verfügt. 

Schließlich gilt es, die obervoltaische Revolution im Kontext des weltweiten revolutionären Prozesses zu verorten. Unsere Revolution ist ein integraler Bestandteil der globalen Bewegung für Frieden und Demokratie, gegen Imperialismus und jede Form von Hegemoniestreben.

Daher sind wir darum bemüht, unabhängig ihres jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Systems mit anderen Staaten diplomatische Beziehungen aufzunehmen, und zwar auf Grundlage folgender Prinzipien: gegenseitiger Respekt der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der nationalen Souveränität, gegenseitiger Nichtangriff, Nichteinmischung in Innere Angelegenheiten, Handel mit allen Ländern auf Augenhöhe und zum gegenseitigen Vorteil.

Unsere Solidarität und aktivistische Unterstützung gelten den nationalen Befreiungsbewegungen, die für die Unabhängigkeit ihrer Länder und die Befreiung ihrer Völker kämpfen. Unsere Unterstützung gilt insbesondere dem Volk Namibias unter Führung der SWAPO, dem Volk der Sahraoui im Kampf für die Wiedererlangung seines Staatsgebiets, dem palästinensischen Volk für die Erlangung seiner nationalen Rechte.

In unserem Kampf sind die antiimperialistischen afrikanischen Länder unsere natürlichen Verbündeten. Die Verständigung mit diesen Ländern ist wegen der neokolonialen Bündnisse auf unserem Kontinent unbedingt erforderlich. 

Es lebe die demokratische Volksrevolution!

Es lebe der Nationalrat der Revolution! 

Vaterland oder Tod, wir werden siegen!“

Die deutsche Übersetzung stammt aus Eric Van Grasdorff, Thea Kulla, Nicolai Röschert (Hrsg.): Thomas Sankara: Die Ideen sterben nicht! Reden eines aufrechten und visionären Staatsmannes, Berlin: AfricAvenir International e.V., 2016, S. 41-67.

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„Der nationale Befreiungskampf ist eine Form des Klassenkampfes“. Interview mit Anwar Khoury – Teil 1 / “The national liberation struggle is a form of...

In Teil 1 des Interviews mit Anwar Khoury, Mitglied des ZK der Palästinensischen Kommunistischen Partei (PalCP), geht um die jüngere Geschichte der kommunistischen Bewegung in Palästina, um die sog. Zweistaatenlösung, um die Strategie der nationalen Befreiung und um die Alliierten im antikolonialen und antiimperialistischen Kampf in der Region.Part 1 of the interview with Anwar Khoury, member of the Central Committee of the Palestinian Communist Party (PalCP), introduces the PalCP, discusses the so-called two-state solution, the strategy of national liberation and the allies in the anti-colonial and anti-imperialist struggle in the region.

Spendet für Gaza! Ein Aufruf und eine Kritik

Wir teilen hier drei ausgewählte Spendenaufrufe für Gaza. Zugleich wollen wir konkret über die Probleme der humanitären Hilfe aufklären, wie sie sich derzeit im Gazastreifen stellen. Denn klar ist: So notwendig humanitäre Hilfe auch ist – die Menschen in Gaza und in ganz Palästina brauchen neben Brot auch Freiheit, und die kriegen sie nicht gespendet.