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»Unser Hauptkampf gilt den Großgrundbesitzern und dem Monopolkapital in Indien«

Beitrag aus der Zeitung zum Kommunismus Kongress 2023


Im Juli führten wir ein Interview mit dem Genossen Arun Kumar, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch) und unter anderem zuständig für internationale Fragen.

Das vollständige Interview kann ab sofort auch hier gelesen werden.

Wie beurteilen Sie die Entscheidung Indiens, die militärische Intervention Russlands in der Ukraine nicht zu verurteilen? Nimmt die indische Politik unter Modi eine anti-amerikanische und somit antiimperialistische Position ein?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir den Charakter des indischen Staates verstehen. Das Verständnis der Kommunistischen Partei Indiens [CPIM] über den indischen Kapitalismus ging von jeher davon aus, dass die Großbourgeoisie und die Landbesitzerklasse gelernt haben, ihre Widersprüche durch Kompromisse zu überbrücken. Zur Durchsetzung ihrer Interessen arbeiten die konkurrierenden Fraktionen der Ausbeuterklasse regelmäßig zusammen. Diese Position haben wir seit Gründung der CPIM vertreten; daran hat sich nichts geändert.

Die indische Politik agiert seit der Unabhängigkeit ambivalent. Indien verblieb im Commonwealth und das britische Kapital wurde nicht enteignet. Zuerst wollte Indien seinen wirtschaftlichen Aufbau über die westlichen, kapitalistischen Staaten finanzieren. Als das vom Westen abgelehnt worden war, bat Indien die sozialistischen Länder um Unterstützung und erhielt von dort bereitwillig die gewünschte Hilfe. Die IITs, die Indian Institutes of Technology, sind ein Beispiel dafür, wie die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und die DDR Indien geholfen haben, eine technologische Souveränität zu erlangen. Für vier von fünf IITs kam die Hilfe von den sozialistischen Ländern. Als die Imperialisten das sahen, kamen sie und haben das fünfte unterstützt. Indiens Blockfreiheit war die perfekte Maske, um von beiden Seiten Hilfe zu erhalten, die eine gegen die andere Seite auszuspielen und die eigenen Interessen durchsetzen zu können.

Indiens Positionierung zum Ukraine-Krieg ist Ergebnis dieser Strategie. Diesen Hintergrund müssen wir berücksichtigen, wenn wir den Charakter der indischen Politik erklären wollen. Nein, Indien ist nicht als antiimperialistisch zu bezeichnen. Indiens Bourgeoisie verfolgt einzig seine eigenen Interessen.

Wenn Indien russisches Öl kauft, verhandelt es anschließend mit dem Westen über bessere Handelskonditionen. Für neue Abkommen erhält der Westen dann die indische Loyalität.

Warum hat der Westen Indien nicht bei seinem ersten Fünfjahresplan unterstützt?

Der Imperialismus verhindert notwendigerweise die Entwicklung der Produktivkräfte in Ländern, deren Märkte er dominieren will. Die Kolonialmächte haben von Anfang an dafür gesorgt, dass die ehemaligen Kolonien weiterhin von ihnen abhängig bleiben. Dazu mussten sie vor allem die Entwicklung der Produktivkräfte verhindern. So produziert Lateinamerika heute immer noch hauptsächlich Rohstoffe für den Konsum in den hochentwickelten Ländern. Genau dasselbe trifft auch auf Afrika und Asien zu. Die wenigen Industrien in diesen Teilen der Welt haben keinerlei Bedeutung für den Westen, für den Weltmarkt sind sie überflüssig.

Wie war die Beziehung zwischen der indischen Bourgeoisie und den westlichen Imperialisten in den vergangenen siebzig Jahren?

Wie bereits erwähnt, die indische Bourgeoisie verfolgte ihre eigenen Interessen und spielte die kapitalistischen Länder gegen die sozialistischen Länder und umgekehrt aus. Z.B. 1961, im Krieg zwischen Indien und China, waren die USA der Helfer. 1971, im Krieg gegen Pakistan, half die Sowjetunion Indien, weil die USA damals Pakistan militärisch unterstützten. Erst in den 1990er Jahren, als dieses Doppelspiel nicht mehr möglich war, konnte sich Indien nur an die USA wenden – und tat dies vollumfänglich. Aus diesem Grund hatte es keine Probleme, die vom IWF und der Weltbank vorangetriebenen neoliberalen Reformen umzusetzen. Im Jahr 2008 schloss Indien dann ein Atomabkommen mit den USA ab, und zum ersten Mal wurde der Dienstleistungssektor, zu dem Bildung, Finanzdienstleistungen, Gesundheit usw. gehören, für die imperialistische Durchdringung geöffnet. Die Finanzkrise von 2008 spielte eine wichtige Rolle, da die Imperialisten gezwungen waren, sich nach neuen Finanzsektoren umzusehen, in die sie investieren konnten.

Was waren die Ursachen für die Gründung der staatlichen Unternehmen in den wirtschaftlichen Kernbereichen Indiens?

Aus Sicht der Bourgeoisie war das eine Notwendigkeit, weil für solche Investitionen einfach nicht genügend Kapital und technisches Know-how vorhanden waren. Also musste der Staat einspringen und den öffentlichen Sektor finanzieren: die Energieversorgung, die Stahlproduktion, den Bergbau, den Verkehr, die Banken usw. Die indischen Kapitalisten nutzten anfänglich die staatlichen Ressourcen für ihre eigene Entwicklung, bis sie selbst diese Bereiche übernehmen konnten.

Auch hinsichtlich Ernährungssicherheit versuchte Indien, sich unabhängig zu machen.

Hungersnöte waren in Indien keine Seltenheit und die Not nahm von Jahr zu Jahr zu. Ein öffentliches Verteilungssystem (Public Distribution System – PDS), bei dem der Staat die Nahrungsmittel direkt von den Landwirten aufkaufte, wurde eingerichtet. Es gab Mindestpreisgarantien für die Ernten. Das PDS verteilte die Nahrungsmittel zu sehr geringen Preisen an die Armen des Landes. Das bedeutete ein gewisses Maß an Ernährungssicherheit für die Mehrheit der Bevölkerung. Und schützte die Landwirte vor den Preisschwankungen auf dem Weltmarkt. Heute wird dieses System demontiert. Die Bauern und die Verbraucher sind wieder der Willkür des Weltmarktes ausgesetzt.

Trotz des kapitalistischen Charakters des indischen Staates hat er dennoch eine Politik betrieben, die die indischen Massen vor dem Weltmarkt schützte.

Das geschah nicht trotz, sondern wegen der herrschenden Klassen. Zudem: wer hat von der grünen Revolution profitiert? Die reichen Großgrundbesitzer! Eben jene, die über das Kapital und das Land verfügten und nicht die große Mehrheit der landlosen Bauern. Dem revolutionären, antikolonialen Kampf versuchte man mit einer internationalen Wohlfahrtspolitik zu begegnen. Indien war da keine Ausnahme.

Was war die Ursache, dass Indien 1991 die LPG-Reformen (Liberalisierung, Privatisierung und Globalisierung) durchführte?

Neben der Stärkung des Imperialismus im globalen Kräfteverhältnis war eine Zahlungsbilanzkrise entstanden; die Kaufkraft der indischen Bevölkerung hatte sich nahezu aufgelöst. Das imperialistische Finanzkapital nutzte diese Krise und erzwang die Öffnung der indischen Märkte. Die indische Währung wurde abgewertet, Staatsbetriebe wurden verkauft und es wurde dem Privatkapital erlaubt, in den indischen Markt einzudringen. Zudem wurden Einfuhrbeschränkungen aufgehoben. Ausländische Produkte wie Kokosnüsse, Gewürze, Baumwolle usw. wurden in Indien zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen. Dadurch wurden die indischen Landwirte ruiniert, was vermehrt zu Selbstmorden unter den Bauern führte. Die Banken gaben vermehrt Kredite an Großkapitalisten statt an Bauern und Kleinhändler.

Wo steht die indische kommunistische Bewegung heute?

Der Großteil der Mitglieder der CPIM kommt aus der Arbeiterklasse, der armen Bauernschaft und den Landarbeitern. Die Basisklassen sind also heute bei uns. Das ist gut so. Aber die indische kommunistische Bewegung steht auch vor einer Menge Schwierigkeiten. Wir sind nicht in der Lage, mit der Jugend des Landes in Kontakt zu treten, die im Zeitalter des Neoliberalismus geboren wurde. Deshalb müssen wir an unseren Kommunikationsstrategien arbeiten. Außerdem sind die Massen enttäuscht darüber, dass es keine Vorteile bringt zu kämpfen. All dem müssen wir entgegentreten.

Werden die Widersprüche zwischen dem Imperialismus und der indischen Bourgeoisie durch die intensivere Kooperation geringer?

Das ist ein Missverständnis über die Stärke der indischen Bourgeoisie. Sie hat immer versucht, ihre Interessen zu wahren. So wurde beispielsweise der jüngste Bauernkampf in Indien nicht nur von der Opposition, sondern auch von verschiedenen Fraktionen der Regierungspartei unterstützt. Das ist Ausdruck des Bestrebens der gesamten Bourgeoisie, ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

Wir können also nicht einfach sagen, dass die Widersprüche zwischen der indischen Bourgeoisie und dem Imperialismus aufgehört haben zu existieren. Diese Widersprüche existieren auch heute noch. Wenn sie zum Ausdruck kommen, dann auf verschiedene Weise – und das müssen wir ausnutzen. Wenn wir es nicht verstehen, diese Widersprüche zu erkennen, werden wir uns im Kampf gegen den Imperialismus isolieren. Aber wir wollen uns nicht isolieren. Wir müssen für unseren Kampf gegen den Imperialismus so viel Unterstützung wie möglich mobilisieren.

Gibt es Fälle der Interessenüberschneidung zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie in Indien?

Nein. Die Interessen der Arbeiterklasse stimmen nicht mit den Interessen der indischen Bourgeoisie überein. Wenn die Bourgeoisie den Kampf der Arbeiterklasse gegen das ausländische Kapital unterstützt, begrüßen wir diese Unterstützung. Aber das ist etwas anderes als eine Angleichung. Gleichschaltung bedeutet, dass wir der Bourgeoisie die Führungsrolle überlassen. Nein, das wollen wir nicht. Wir haben während des indischen Freiheitskampfes gesehen, dass die indische Bourgeoisie den Kampf anführte, ohne ihn zu Ende zu führen.

Was meinen Sie damit, dass der Kampf nicht zu seinem logischen Ende geführt wurde?

Im eigentlichen Sinne hat Indien keine nationale Souveränität erlangt. Wenn die herrschende Klasse ihre Interessen formuliert, vertritt sie nicht die Interessen der Massen. Sie hat sich zudem mit dem Imperialismus verbündet. Wir als CPIM haben die indische Nationalbewegung (den Freiheitskampf) als die erste Etappe unserer Revolution bezeichnet, weil wir sagten, dass es ein Kampf gegen den Kolonialismus und die Kolonialherren war. In dieser Phase des Kampfes waren alle Klassen beteiligt, die Bourgeoisie, die Arbeiterklasse und die Bauernschaft. Aber unsere Losung ist, dass wir jetzt, da die Kolonialmächte verschwunden sind, gegen die Großbourgeoisie kämpfen müssen, gegen den Landbesitzerstaat, der mit dem Imperialismus kompromissbereit kollaboriert. Die zweite Phase unserer Strategie bezeichnet den Kampf gegen den Imperialismus, die Großbourgeoisie und die Gutsherrn.

Wer wird die Kämpfe gegen diese Kräfte anführen?

Die Arbeiterklasse zusammen mit den Landarbeitern und den armen Bauern werden die Führer sein. Dies wird der Kern sein und wir erwarten, dass sich die Mittelschichten aufgrund der Stärke der Kämpfe dieser Klassen um diese Sektion scharen werden. Denn die Interessen der Mittelschichten sind meistens mit diesen Sektionen verbündet, denen sie sich anschließen werden. Mit dieser erweiterten Front wollen wir die reiche Bauernschaft neutralisieren. Wir wollen nicht, dass sich die reiche Bauernschaft den Grundbesitzern und der Bourgeoisie anschließt, wir wollen sie neutralisieren. Diese Strategiebezeichnen wir als die volksdemokratische Phase der Revolution.

In dieser Phase ist der Kampf nicht gegen die gesamte Bourgeoisie und die gesamte reiche Bauernschaft gerichtet. Unser Kampf richtet sich auch nicht gegen das gesamte Privateigentum, denn auch die Bauernschaft besitzt Privateigentum. Unser Hauptkampf ist auf verbreiterter Front gegen die Großgrundbesitzer und das Monopolkapital gerichtet. Dabei werden wir keinen Großgrundbesitz zulassen. Eine wichtige Rolle wird der Staat spielen, der das Kapital verstaatlichen wird. Das verstaatlichte Eigentum des Staates wird von den Arbeitern verwaltet. Das ist unsere Vorstellung von der demokratischen Volksrevolution. Davon ausgehend wollen wir zum Sozialismus übergehen, in dem es kein Privateigentum mehr geben wird. Das ist die logische Schlussfolgerung.

Indien nimmt heute geopolitisch eine kritische Position ein. Was bedeutet das für die CPIM in ihrem Kampf gegen den Imperialismus?

Wir sagen ganz bescheiden, dass wir die größte kommunistische Partei in Indien sind. Aber insgesamt sind wir immer noch eine kleine Kraft und wir wollen in diesem Land wachsen. Indien hat heute in der globalen Arena eine strategische Bedeutung. Wir denken, dass, wenn die kommunistische Bewegung in Indien gestärkt wird, als logische Folge davon auch die antiimperialistischen Gefühle im indischen Volk gestärkt werden. Das wird ein wichtiger Beitrag der indischen Kommunisten im weltweiten Kampf gegen den Imperialismus sein.

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Von der Demokratiebewegung zur kriegstüchtigen Volksgemeinschaft

Der Beitrag von Milo Barus beleuchtet, wie die neue `Demokratie-Bewegung` zum Ausdruck einer neuen Burgfriedenpolitik geworden ist. Gewerkschaften und „linke“ Organisationen werden darin zu Kettengliedern einer neuen Gesinnungsgemeinschaft. Einer Gemeinschaft, in der es keine Klassengegensätze, sondern nur noch „liberale Demokraten“ gibt und in der die Kritik an Krieg und Verarmung einer unerschütterlichen und klassenübergreifenden Kriegsbegeisterung und Opferbereitschaft weicht. Eine Gemeinschaft, in der die rassistische Hetze gegen Araber und Muslime, aber auch gegen Russen und Chinesen als Voraussetzung für die Zustimmung zu den gegenwärtigen und zukünftigen Kriegsprojekten normalisiert wird. Bei Beiträgen handelt es sich nicht zwangsläufig um Positionen der Kommunistischen Organisation.