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IGBCE hält Kurs: Lohnverlust und Krieg

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Der Tarifabschluss für die Chemie-Branche wurde Mitte Oktober bekannt gegeben. Diese Stellungnahme behandelt die Ergebnisse und die Argumentation von Kapitalseite und Gewerkschaftsführung.
29.11.22

Im Oktober wurden die Tarifverhandlungen in der chemischen Industrie fortgesetzt, nachdem sie im April aufgrund der “angespannten Lage” zunächst pausiert worden waren. Damals waren die Beschäftigten mit einer Einmalzahlung von 1400 € (brutto) abgespeist worden. Jetzt konnten sich die “Sozialpartner” – die Gewerkschaft (IG BCE) und der Arbeitgeberverband – auf einen neuen Tarifvertrag verständigen. Der Begriff “Sozialpartner“ wird hier ganz bewusst genutzt, da das Ergebnis Ausdruck dessen ist, was Sozialpartnerschaft bedeutet: knallende Korken bei den Arbeitgebern und Reallohnverlust für die Beschäftigten. In Zahlen: zwei Einmalzahlungen von 1500 € (netto), jeweils mit dem Januarentgelt 2023 und 2024, dazu je eine tabellenwirksame Lohnerhöhung von 3,25 %. Für die insgesamt 20 Monate Laufzeit sei das laut IG BCE eine Netto-Lohnerhöhung von durchschnittlich 12,94 % (über alle Entgeltgruppen berechnet) und für die niedrigen Entgeltgruppen sogar bis zu 16 %. Die beiden Einmalzahlungen machen einen großen Anteil dieser Milchmädchenrechnung aus, stellen aber keine tabellenwirksame und somit dauerhafte Lohnerhöhung dar. Die 1500 € werden vielleicht für einen Teil der Gasnachzahlungen reichen, die 100-200 € Bruttoerhöhungen sind ein Tropfen auf dem heißen Stein bei parallelen Mieterhöhungen und steigenden Lebensmittelpreisen von knapp 25 %.

Lange Laufzeit
Viele Hauptamtliche der Gewerkschaft befürworten den Vertrag mit der Behauptung, dass dies die größte tabellenwirksame Erhöhung seit Jahren sei. Das mag durchaus sein, allerdings scheinen diese Leute meilenweit an der Realität vorbeizulaufen: In diesem Jahr liegt die Inflation bei etwa 10 %, für 2023 werden bereits bis zu 7 % prognostiziert, und ein Ende ist nicht absehbar. In den lebensnotwendigen Bereichen (Lebensmittel, Energie, etc.) sind die Preissteigerungen noch deutlich höher. Mit diesen Problemen hat die Arbeiterklasse schon seit Monaten zu kämpfen, dennoch wurde in der Tarifrunde keine akute Entlastung vereinbart – den Betrieben ist zwar freigestellt, die Einmalzahlung schon vorher zu leisten, aber damit ist nicht zu rechnen. Der neue Tarifvertrag gilt somit effektiv erst ab 2023 – die Brückenlösung aus dem April hatte also faktisch eine längere Laufzeit als ursprünglich behauptet und ist daher rückblickend noch weniger wert. Durch die lange Laufzeit des neuen Tarifvertrags nimmt sich die Gewerkschaft bis Mitte 2024 jede Möglichkeit auf steigende Inflation oder andere Verschlechterungen zu reagieren.

Keine feste Forderung
3,25 % Lohnerhöhung bedeutet für die Entgeltstufe E7, die als gutes Einstiegsgehalt für ausgelernte Fachkräfte gilt, ein Bruttoplus von ca. 100-110 €, je nach Bundesland. Zum Vergleich: verdi fordert 10,5 %, jedoch mindestens 500 € Bruttolohnerhöhung in der Tarifrunde für den TVöD. Selbst die Hälfte dessen würde den Abschluss der IG BCE in den Schatten stellen. Und genau da liegt der Hund bei der IG BCE begraben: Es gab keine feste Forderung. Man sprach von einem „Bollwerk gegen die Inflation“, von einer „nachhaltigen Stärkung der Kaufkraft“ und weiteren, ähnlich klingenden Allgemeinplätzen. Eine feste Forderung gab es nicht, obwohl seit Anfang 2022 in verschiedensten ehrenamtlichen Gremien Diskussionsrunden zu den Forderungen liefen; allgemein war mindestens 6 % der Tenor, wohlgemerkt in Bezug auf die damalige Inflationsrate und Prognosen, die bei ca. 5-7 % lagen. Dennoch verzichtete man bereits da auf eine quantitativ feste Forderung sowie größer angelegte Tarifaktionen in den Betrieben und einigte sich relativ schnell auf die eingangs erwähnte Brückenzahlung.

Die Nachverhandlungen wurden danach zwar als sehr wichtig dargestellt, doch es blieb bei der Phrasendrescherei – es gab keine weiteren Diskussionsrunden, Tarifaktionen oder quantitative Forderungen. Diese, laut IG BCE „harten und schwierigen“ Verhandlungen waren nach 2,5 Tagen beendet und der Abschluss wurde als voller Erfolg verkauft. Auf reichlich geäußerte Kritik, primär über Social Media, wird von der IG BCE nicht konstruktiv geantwortet, sondern eher ausgewichen und probiert, den Abschluss als einen Knaller zu verkaufen.

Auf berechtigte Sorgen und Bedenken der kritisierenden Beschäftigten wird nicht eingegangen. All dies ist jedoch lediglich Symptomatik des tiefergreifenden Geschwürs, das alle DGB-Gewerkschaften, vor allem aber die IG BCE, befallen hat: die Verklärung und Anbetung der Sozialpartnerschaft. Sowohl im Jugendbereich, exemplarisch beim Überthema Ausbildung, als auch bei den aktuellen Tarifverhandlungen, wird stets betont wie wichtig „konstruktive Diskussionen“ mit den Arbeitgebern sind. Während im Frühjahr noch argumentiert wurde, dass die Konzerne Rekorddividenden auszahlen und auch trotz sich anbahnender (Produzenten-)Inflation in der Lage seien, das Lohnniveau nachhaltig zu erhöhen, wurde bereits im August die Begründung des Arbeitgeberverbandes eins zu eins übernommen: Hohe Dividenden zahlten nur ganz wenige Betriebe, der Mehrheit gehe es schlecht oder könne es bald schlecht gehen (!), vor allem durch die steigenden Energiekosten.

Weitergabe der Kosten – Milliardengewinne für die Konzerne
Tatsächlich war dies bei allen bundesweit relevanten Betrieben nicht der Fall, da trotz der teils in Milliardenhöhe gestiegenen Energiekosten hohe Umsätze und Gewinne verzeichnet werden konnten. So konnte Evonik den Umsatz im zweiten Quartal 2022, trotz gesunkenem Produktionsvolumen, um 31 % steigern. Der Gewinn stieg um 12 % – begründet wird das von Unternehmensseite mit der Weitergabe der gestiegenen variablen Kosten. (https://kurzelinks.de/5bbc, abgerufen am 01.11.). Wacker Chemie konnte im zweiten Quartal ein Umsatzplus von 45 % erzielen; das bereinigte Endergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen wurde von 578 Millionen Euro auf 1269 Millionen Euro mehr als verdoppelt. (https://kurzelinks.de/bzij, abgerufen am 01.11) Auch weitere wichtige Unternehmen verzeichneten hohe Umsatzsteigerungen, verbunden mit einer Kostenweitergabe: z.B. BASF 11,6 % (Q3; https://kurzelinks.de/4f1z, abgerufen am 01.11.), Lanxess 36,1 % (Q2; https://kurzelinks.de/amp9, abgerufen am 01.11.), Bayer 9,6 % (Q2; https://kurzelinks.de/k2ql, abgerufen am 01.11.), Sanofi 8,1 % (Q2; https://kurzelinks.de/0zcq, abgerufen am 01.11.)

Dennoch wurde vom Arbeitgeberverband, wie in allen Tarifrunden zuvor auch, betont, man müsse an die Wettbewerbsfähigkeit denken und könne keine großen Zugeständnisse machen. So war es gewerkschaftsintern wohl bereits im Spätsommer klar, dass die Verhandlungen nicht gut laufen würden. Dennoch wurde vom Kurs, den die IG BCE seit Jahren in der Chemieindustrie fährt, niemals abgewichen: bloß keine größere Außendarstellung als notwendig, bloß keine Arbeitskampfmaßnahmen, schließlich könne das ja die Außenwirkung stark beeinträchtigen.

Vergessen wurde und wird dabei allerdings die Wirkung nach innen – auf die Basis und unorganisierte Beschäftigte in der chemischen Industrie. Denn eine unsichtbare Gewerkschaft, die bestenfalls unterdurchschnittliche Lohnerhöhungen aushandelt und sich in großen Teilen des Hauptamtes eher als Dienstleister für Events statt als kämpfende Arbeitnehmervertretung versteht, wird es nicht schaffen, Mitglieder zu halten oder gar zu gewinnen. Freilich ist man durch diese Taktik per du mit den Arbeitgebervertretern, deren Aktien übrigens durch die Bank weg am 18.10.2022 um 13:30 – dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Tarifvertrages – ein großes Plus verzeichneten und kann sich auf ein entspanntes langes Wochenende freuen, wenn es um die Tarifverhandlungen geht. Die „schlaflosen Nächte“ wurden wahrscheinlich eher an der Hotelbar mit Aperol statt in harten Diskussionen verbracht.

Mit der Regierung in „konzertierter“ Aktion
Nicht nur die Nähe zum Arbeitgeberverband steht einem kämpferischen Auftreten der IG BCE im Weg, sondern auch die Nähe zur Bundesregierung, insbesondere zur SPD, macht sich hier bemerkbar. Mit der “konzertierten Aktion” (https://kurzelinks.de/f9li) versucht die Regierung bereits seit Monaten, die Gewerkschaften auf ihren Kurs einzuschwören und Lohnverzicht durchzusetzen. Yasmin Fahimi, jahrelanges IG BCE-Mitglied, bis Mai SPD-Bundestagabgeordnete und seit diesem Jahr DGB-Bundesvorsitzende, nahm in dieser informellen Gesprächsrunde die Arbeitnehmerseite ein. Nicht nur gibt die Gewerkschaft damit die Interessen der Lohnabhängigen auf und verzichtet bereits im Voraus auf Reallohnerhöhungen, sie akzeptiert außerdem massive Eingriffe der Politik in die Tarifautonomie.

Kampf gegen Kriegspolitik und Aufrüstung?
Der IG BCE-Vorsitzende Vassiliadis wurde derweil in die “ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme” der Bundesregierung eingeladen, ist also mitverantwortlich für die peinliche Farce einer Entlastung, die diese ergab. Öffentlich verteidigt er die Ergebnisse und ruft für die Wintermonate, für die keine Entlastung vereinbart wurde, zum Sparen auf. Das alles ist nur zu begreifen als Teil der Taktik der Regierung, die Gewerkschaften in ihren Kriegskurs einzubinden. Bedenkt man, dass sich die IG BCE zu Beginn des Krieges in der Ukraine noch gegen ein Gasembargo gegenüber Russland positionierte, scheint diese Thematik inzwischen nicht mehr allzu wichtig zu sein.

Zusätzlich besteht in der IG BCE wohl zumindest in einigen Teilen keine ablehnende Haltung bezüglich des 100-Milliarden-Aufrüstungspakets für die Bundeswehr. Somit ist der nun beschlossene Tarifvertrag die Fortsetzung, wenn nicht gar eine Steigerung der Burgfriedenspolitik, die mit der „Brückenlösung“ im April begann und dient gleichzeitig als schlechtes Exempel für die folgenden Tarifauseinandersetzungen in anderen Branchen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die anderen großen Verhandlungsrunden in der Metall- und Elektroindustrie sowie für den öffentlichen Dienst, die immerhin rund 6,4 Millionen Menschen betreffen, bessere Ergebnisse und vor allem stärkere Arbeitskämpfe bewirken. Der Abschluss der IG BCE zeigt, wie wichtig es ist, sich in den Betrieben sowie gewerkschaftlich zu organisieren, um zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen Druck sowohl auf die Arbeitgeberseite als auch die Gewerkschaftsführung ausüben zu können.

Zionisten hetzen gegen Veranstaltung der KO

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Am morgigen Mittwoch sollte eine von der Ortsgruppe Jena organisierte Veranstaltung der KO mit dem israelischen Historiker und Soziologen Moshe Zuckermann unter dem Titel „Besatzung und Widerstand – Was hat Palästina mit uns zu tun?“ stattfinden. Lokale pro-zionistische Kräfte haben angekündigt, die Veranstaltung zu stören. Die Räumlichkeiten, in denen die Veranstaltung planmäßig hätte stattfinden sollen, haben sich nun dieser Hetze gebeugt und die Räumlichkeiten gekündigt. Wieder einmal zeigt uns das, wie einfach es mittlerweile in Deutschland geworden ist, dem herrschenden Mainstream und der repressiven Politik im Dienste der Interessen des deutschen Imperialismus und seiner Verbündeten zu gehorchen.

Dieser Angriff auf unsere Veranstaltung reiht sich ein in eine lange Reihe von Diffamierung, Zensur, Kriminalisierung und Repression gegen die Solidaritätsbewegung mit Palästina. Gerade Moshe Zuckermann wurde als linker und zionismus-kritischer Referent in der Vergangenheit bevorzugt von deutschen Zionisten und selbsternannten „Linken“ als „selbsthassender Jude“ und als „linker Antisemit“ diffamiert. Unserer Veranstaltung mit ihm wurden bereits vom Studierendenrat (StuRa) der FSU Jena nach anfänglicher Zusage die Räume verwehrt.

Diese pro-imperialistischen, reaktionären Kräfte entpuppen sich wieder einmal als willige Vollstrecker der Herrschenden in Deutschland, als Fußtruppen des Geschichtsrevisionismus und der Relativierung der Nazi-Verbrechen und nicht zuletzt als willfähriges Instrument gegen alles, was noch links ist sowie als eine Waffe gegen den Kommunismus. Sie  bezeichnen die KO als „Stalinist*innen“, werfen uns, wie wir es von Zionisten nicht anders kennen, Antisemitismus vor und erklären, dass wir „den israelsolidarischen Konsens der linken Strukturen in Jena zu brechen“ versuchen. Zumindest letztgenannter Punkt stimmt: Wir bekämpfen den pro-israelischen und zionistischen Konsens – in Jena und in ganz Deutschland. Denn das ist der Konsens des deutschen Imperialismus, den er braucht und nutzt, um sich seiner faschistischen Vergangenheit zu entledigen. An diesem Kampf ist nichts antisemitisch. Mit dem Label „antisemitisch“ versuchen die sog. „Antideutschen“ alle zu brandmarken, die Kritik am Staat Israel für seine Unterdrückungspolitik gegen die Palästinenser formulieren. Diese Kritik ist aber richtig und notwendig. Die Tabuisierung der Kritik an Israel als siedlerkoloniales Projekt im Dienste imperialistischer Politik ist eine nützliche Waffe gegen jegliche Kritik am Imperialismus. Mit ihr lassen sich fast alle linken Grundpositionen – Antimilitarismus, Antikolonialismus, Antiimperialismus, Antifaschismus und Antirassismus – moralisch untergraben: Waffenlieferungen an Tel Aviv gelten genau wie sämtliche westliche Kriege in der Region als legitim, weil sie angeblich Israels Existenz schützen. Kritik an Apartheid, Landraub, Massakern und ethnischer Säuberung wird als „antisemitisch“ delegitimiert.  Der Begriff des Antisemitismus wird dabei völlig verdreht und inhaltlich entleert. Er hat in der hier vorgeworfenem Form nichts mehr mit einer Feindschaft gegenüber Juden als Juden zu tun, sondern soll antiimperialistische Gegner zum Schweigen bringen. Der proletarische Internationalismus verpflichtet uns zur Solidarität mit dem gerechten und antiimperialistischen Kampf der Palästinenser um ihre nationale Befreiung. Zugleich ist ihr Kampf eng mit dem unsrigen gegen die Klassenherrschaft in der Bundesrepublik und gegen den deutschen Imperialismus verbunden. Genau darum soll es bei der Veranstaltung mit Moshe Zuckermann gehen.

Wir werden uns ihrer antipalästinensischen und antikommunistischen Hetze nicht beugen und rufen alle palästinasolidarischen Menschen in Jena und der Umgebung auf, sich dieser reaktionären Front entgegenzustellen und sich solidarisch zu zeigen.

Die Veranstaltung wird online, 18:30 Uhr, unter folgendem Link stattfinden:

https://us02web.zoom.us/j/84502102930

Zum 9. November: Wie sich der deutsche Imperialismus von seiner faschistischen Vergangenheit befreit

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Text als pdf

Um die historische Schuld, die den deutschen Imperialismus bis heute politisch behindert, auszuhebeln, dienen ihm aktuell vor allem zwei ideologische Stemmeisen: Israel und die Ukraine.

Der 9. November ist ein historisch symbolträchtiger Tag, denn er ist mit den größten Klassenschlachten der deutschen Arbeiterbewegung verbunden – und steht zugleich für ihre größten Niederlagen: Die offizielle Geschichtsschreibung und Erinnerungspolitik der BRD bringt den 9.11. mit folgenden Ereignissen in Verbindung: Niederschlagung der bürgerlichen Revolution in Deutschland und Österreich (1848), Beginn der Novemberrevolution (1918), Hitler-Putsch (1923), Reichspogromnacht (1938) und „Fall der Berliner Mauer“ (1989). Dabei schweigen die Ideologen der Herrschenden bewusst darüber, dass es 1848/49 die Bürgerlichen waren, die die Revolution aus Angst vor der Arbeiterklasse an die monarchistische Konterrevolution verrieten, und dass 1918/19 die SPD den revolutionären Massen in den Rücken fiel, indem sie im Bündnis mit Monarchisten und Proto-Faschisten die Rätebewegung zerschlug. Die Konterrevolution, die in der DDR 1989 siegte, wird von den Herrschenden quasi als „Ehrenrettung“ dieses Datums und des deutschen Volkes dargestellt, die die „Schande“ von 1923 und 1938 ausgleiche. Wir aber wissen, dass auch die Konterrevolution 1989/90 nur durch Verrat siegen konnte. Und wir wissen, dass die BRD seit der Annexion der DDR alles tut, um wieder in die Fußstapfen jenes deutschen Imperialismus zu treten, der in der Lage war, Weltkriege zu entfesseln, der die Novemberrevolution zerschlug und den Faschismus 1933 an die Macht brachte.

Dabei muss dieser „neue“ deutsche Imperialismus allerdings mit jenem historischen Ballast umgehen, den zwei Weltkriege und der Nazi-Faschismus ihm aufgehalst haben – gegenüber den Völkern der Welt, gegenüber den heutigen westlichen Verbündeten und gegenüber der eigenen Bevölkerung. Um diese historische Schuld, die den deutschen Imperialismus bis heute politisch behindert, auszuhebeln, dienen ihm aktuell vor allem zwei ideologische Stemmeisen: Israel und die Ukraine.

Zweierlei Maß

Der Faschismus hatte in den 1930er und 40er Jahren primär die Zerschlagung der Arbeiterbewegung im eigenen Land sowie des realexistierenden Sozialismus in Form der Sowjetunion und den Aufstieg des eigenen Monopolkapitalismus in der imperialistischen Hierarchie zum Ziel. Im Zuges dieses Feldzuges wurden aber nicht nur Kommunisten und Arbeiter zu hunderttausenden verfolgt, ermordet, gefoltert, versklavt und verheizt, sondern auch ganze Volksgruppen und Nationen. Aufgrund der rassistischen Ideologie der Nazis und ihres Vernichtungskrieges im Osten waren von diesen Genoziden vor allem die europäischen Juden und Roma sowie die Völker der Sowjetunion betroffen.

Während der Antifaschismus in der DDR Staatsräson und der Faschismus von Tag eins an aufgearbeitet wurde, wurde er in der von alten Nazis aufgebauten Bundesrepublik solange verschwiegen, bis linke Studenten, Überlebende des Faschismus und andere Antifaschisten eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ab den 1960ern erzwangen. Heute rühmt sich die BRD ihrer angeblich vorbildlichen Aufarbeitung und ihrer Gedenkpolitik. Doch in Wahrheit gehören Rassismus und Faschismus nach wie vor zur DNA dieses Staates und der Umgang mit den Opfern könnte unterschiedlicher und heuchlerischer kaum sein: Anders als die DDR hat die BRD bis heute so gut wie keine Entschädigung an irgend ein Land gezahlt, das von Nazi-Deutschland überfallen wurde. Roma sind bis heute als Opfer faktisch nicht anerkannt und werden rassistisch diskriminiert. Aufgrund des anhaltenden Antikommunismus und der Russlandfeindlichkeit werden auch die bis zu 37 Millionen getöteten Sowjetbürger weitgehend verschwiegen. Allein Israel erhielt über Jahrzehnte „Wiedergutmachungszahlungen“ und weitere „Entschädigungen“ von der BRD und Juden werden als die zentralste und „wichtigste“ Opfergruppe der Nazis dargestellt.

Zionismus statt Antifaschismus

Die Bevorzugung Israels ist zum einen aus der Geschichte der Westintegration der BRD zu erklären: Der Ablasshandel diente der Legitimierung gegenüber den Westmächten und dem Aufbau Israels als wichtigsten Vorposten des Imperialismus im Nahen Osten gegen den Sozialismus und die arabische Unabhängigkeitsbewegung. Über diese materielle Basis erhob sich in der Folge zunehmend ein ideologischer Überbau, der den Schutz Israels zur „Staatsräson“ erhob und sich sowohl nach innen als auch nach außen richtete: Während in der DDR die Zerschlagung der materiellen Basis des Faschismus real angegangen wurde, versuchte die herrschende Klasse in der BRD ihre systemische und personelle Kontinuität zum Faschismus zu verschleiern, indem sie sich nun „demokratisch“ und „pro-jüdisch“ gab. Sprich: Parlamentarismus und Zionismus waren und sind bis heute der ideologische Konterpart der BRD zum Antifaschismus der DDR. Umso mehr als die DDR Israel – zurecht – nie anerkannt hat.

Darüber hinaus hat diese „Staatsräson“-Ideologie zunehmend weitere Funktionen hinzugewonnen, vor allem seit der Konterrevolution 1989/90 und der Rückkehr des deutschen Imperialismus auf die Weltbühne: Die Tabuisierung der Kritik an Israel ist eine nützliche Waffe gegen jegliche Kritik am westlichen und damit auch am deutschen Imperialismus. Mit ihr lassen sich fast alle linken Grundpositionen – Antimilitarismus, Antikolonialismus, Antiimperialismus, Antifaschismus und Antirassismus – moralisch untergraben: Waffenlieferungen an Tel Aviv gelten genau wie sämtliche westliche Kriege in der Region als legitim, weil sie angeblich Israels Existenz schützen. Kritik an Apartheid, Landraub, Massakern und ethnischer Säuberung wird als „antisemitisch“ delegitimiert.

Nazifizierung der Palästinenser

Selbst Rassismus kann mit Verweis auf Israel gerechtfertigt werden: Das gilt nicht nur für den Rassismus, der jede Faser des Kolonialprojekts Israel durchzieht. Auch Deutsche können mittlerweile „politisch korrekt“ rassistisch sein, und zwar gegen Muslime bzw. Araber und Türken, die – ebenfalls völlig zurecht – in ihrer absoluten Mehrheit antizionistisch eingestellt sind. Es ist kein Zufall, sondern völlig notwendig, dass die größten Israel-Apologeten überzeugte Islam-, Araber- und Türkenhasser sind: Sowohl die „Antideutschen“ als auch die AfD liegen vollkommen richtig, wenn sie sich als die konsequentesten Freunde Israels darstellen. Vor dem Hintergrund, dass der antimuslimische Rassismus die besondere Eigenschaft hat, einerseits nach innen sowohl die Spaltung der Gesellschaft entlang rassistischer Linien zu forcieren, als auch den Abbau von Grundrechten zu legitimieren, und andererseits nach außen hin Kriege zu rechtfertigen, wird ersichtlich, wie nützlich es ist, diesem Rassismus den Anschein von Berechtigung zu verleihen. Daher sind der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus in Deutschland und gegen die zionistische Staatsräson engstens miteinander verbunden. 

Die anti-palästinensische und die antimuslimische Hetze zuspitzend, erleben wir in den letzten Jahren zudem zunehmende Versuche, Araber und vor allem die Palästinenser quasi zu „nazifizieren“: Durch die starke Fokussierung auf arabische politische Kräfte, die vermeintlich oder tatsächlich mit Deutschland in den 1930ern und 40ern sympathisiert oder kooperiert haben, durch die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus und indem man Palästinensern oder auch palästina-solidarischen Muslimen in Deutschland völlig ahistorisch und ignorant europäische antisemitische Motive unterschiebt, [1] sollen Muslime/Araber bzw. die Palästinenser quasi als die ideologischen Erben der Nazis dargestellt werden. Damit werden nicht nur der antimuslimische und anti-arabische Rassismus ein weiteres Mal legitimiert, von den Verbrechen Israels gegen die arabischen Völker ganz abgesehen. Diese Projektion dient dem deutschen Imperialismus darüber hinaus einmal mehr zur Entledigung von der eigenen Vergangenheit, während der reale historische wie zeitgenössische Faschismus zugleich extrem relativiert wird.

Rehabilitierung des Faschismus in der Ukraine

Während also die Palästinenser – auch von selbsternannten „Linken“ – als antisemitisch und als Wiedergänger der Nazis gebrandmarkt werden, sehen wir, wie waschechte Faschisten, mit Hakenkreuzen und SS-Symbolen auf Helm und Brust spätestens seit Anfang diesen Jahres salonfähig gemacht werden: Die Kämpfer des faschistischen Asow-Bataillons werden als Helden gefeiert und von der NATO mit Waffen beliefert; die antisemitischen Massenmörder und Nazi-Kollaborateure Bandera und Melnyk werden zu ukrainischen Nationalhelden verklärt und Bundestagsvize Göring-Eckardt (Grüne) ruft durch den Bundestag unter Applaus „Slawa Ukrajini“, das ukrainische „Sieg Heil“.[2] Parallel dazu strömen seit 2014 aus ganz Europa (auch aus Deutschland) Neonazis in die Ukraine, um sich zu vernetzen, von ihren „Kameraden“ zu lernen – und um sich militärisch ausbilden zu lassen.[3] Und auch hier fallen wieder viele Linke auf die westliche Propaganda herein: Einige glauben die Märchen, wonach etwa das faschistische Asow-Bataillon längst nicht mehr faschistisch sei. Andere stimmen sogar lauthals in den Chor der dreistesten Faschismus-Rehabilitierer ein, indem sie offen von „nützlichen Nazis“ sprechen.[4]

Diese Relativierung des ukrainischen Faschismus in der deutschen Politik und Öffentlichkeit dient natürlich zunächst als unmittelbare Kriegspropaganda gegen Russland. Doch sie erfüllt für den deutschen Imperialismus noch eine weitere Funktion, nämlich die totale Relativierung und auch Rehabilitierung des Faschismus: Wenn ukrainische Nazi-Kollaborateure und ihre politischen Nachfolger letztlich „Helden“ im Krieg gegen Russland waren und sind, dann waren auch weder der deutsche Faschismus noch der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion so eindeutig falsch und schlimm. Wenn die Faschisten in der Ukraine damals wie heute als „nützlich“ gelten können, dann können sie das perspektivisch auch in Deutschland sein – sowohl rückblickend, etwa im Kampf gegen die damalige „bolschewistisch Gefahr“, und auch künftig, gegen Kommunisten, Friedenskräfte usw. Selbst wenn das Ergebnis wohl kaum sein dürfte, dass in absehbarer Zeit Hitler als Person und die NSDAP als Partei in Deutschland wieder rehabilitiert werden, so handelt es sich doch um einen krassen Sprung von der seit 1945 eher peinlichst verschwiegenen Kontinuität zwischen „Drittem Reich“ und BRD hin zu einer offenen Bezugnahme auf eindeutig in Tradition des Nazi-Faschismus stehende Kräfte, der nicht ohne ideologische und sozialpsychologische Folgen bei der deutschen Bevölkerung bleiben wird.

Gegen den Hauptfeind!

So widersprüchlich die staatsoffizielle Erinnerungskultur und der zelebrierte Philosemitismus auf der einen und die Rehabilitierung von Nazi-Kollaborateuren und Neofaschistischen auf der anderen Seite auf den ersten Blick erscheinen, so sehr dienen beide dem Zweck, den deutschen Imperialismus von seinen Altlasten aus der NS-Zeit propagandistisch zu befreien. Beides erfolgt in derzeit völligem Einklang mit den westlichen Verbündeten und wird zugleich der deutschen Bevölkerung auf moralisch völlig verdrehte und emotional extrem aufgeheizte Art medial eingepeitscht. Und so können die deutschen Imperialisten heute im Namen des Kampfs gegen Antisemitismus oppositionelle Stimmen zum Schweigen bringen und die eigene Bevölkerung spalten, unter dem Motto „Nie wieder Auschwitz“ Kriege führen[5] und zugleich wieder faschistische Truppen unter Bannern der SS gegen Russland ins Feld ziehen zu lassen.

Vor dieser Entwicklung dürfen wir als Kommunisten und Linke, als Antifaschisten und Kriegsgegner nicht die Augen verschließen: Wir müssen die Parole, den „Hauptfeind im eigenen Land“ zu bekämpfen, ernst nehmen und seine Strategien auf politischer, militärischer und auch ideologischer Ebene konkret herausarbeiten, offenlegen und bekämpfen!

Gegen Geschichtsrevisionismus, Relativierung und Rehabilitierung: Kampf dem Faschismus – in Deutschland, in der Ukraine und international!

Antifaschismus statt zionistischer „Staatsräson“: Solidarität mit allen Opfern rassistischer Gewalt! Freiheit für Palästina!

Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz: Nieder mit dem deutschen Imperialismus!

[1] Mittlerweile gilt es als Konsens im herrschenden Diskurs, dass die Parole „Kindermörder Israel“, die man von türkei- und arabischstämmigen Demonstranten bei Palästina-Demos hört, angeblich auf die antisemitische Ritualmord-Legende verweist, die allerdings ein christlich-europäisches Produkt aus dem Mittelalter ist und im Nahen Osten und gerade unter Muslimen weitgehend unbekannt ist.

[2] https://youtu.be/7saRclvYCq4?t=1600.

[3] https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-ukraine-sehnsuchtsort-der-extremen-rechten.

[4] So Fabio Di Masi, damals noch Abgeordneter der Linkspartei im EU-Parlament: https://twitter.com/fabiodemasi/status/1508523950992764933?lang=de.

[5] https://youtu.be/7jsKCOTM4Ms?t=541.

Zum 9. November: Wie sich der deutsche Imperialismus von seiner faschistischen Vergangenheit befreit

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Um die historische Schuld, die den deutschen Imperialismus bis heute politisch behindert, auszuhebeln, dienen ihm aktuell vor allem zwei ideologische Stemmeisen: Israel und die Ukraine.

Der 9. November ist ein historisch symbolträchtiger Tag, denn er ist mit den größten Klassenschlachten der deutschen Arbeiterbewegung verbunden – und steht zugleich für ihre größten Niederlagen: Die offizielle Geschichtsschreibung und Erinnerungspolitik der BRD bringt den 9.11. mit folgenden Ereignissen in Verbindung: Niederschlagung der bürgerlichen Revolution in Deutschland und Österreich (1848), Beginn der Novemberrevolution (1918), Hitler-Putsch (1923), Reichspogromnacht (1938) und „Fall der Berliner Mauer“ (1989). Dabei schweigen die Ideologen der Herrschenden bewusst darüber, dass es 1848/49 die Bürgerlichen waren, die die Revolution aus Angst vor der Arbeiterklasse an die monarchistische Konterrevolution verrieten, und dass 1918/19 die SPD den revolutionären Massen in den Rücken fiel, indem sie im Bündnis mit Monarchisten und Proto-Faschisten die Rätebewegung zerschlug. Die Konterrevolution, die in der DDR 1989 siegte, wird von den Herrschenden quasi als „Ehrenrettung“ dieses Datums und des deutschen Volkes dargestellt, die die „Schande“ von 1923 und 1938 ausgleiche. Wir aber wissen, dass auch die Konterrevolution 1989/90 nur durch Verrat siegen konnte. Und wir wissen, dass die BRD seit der Annexion der DDR alles tut, um wieder in die Fußstapfen jenes deutschen Imperialismus zu treten, der in der Lage war, Weltkriege zu entfesseln, der die Novemberrevolution zerschlug und den Faschismus 1933 an die Macht brachte.

Dabei muss dieser „neue“ deutsche Imperialismus allerdings mit jenem historischen Ballast umgehen, den zwei Weltkriege und der Nazi-Faschismus ihm aufgehalst haben – gegenüber den Völkern der Welt, gegenüber den heutigen westlichen Verbündeten und gegenüber der eigenen Bevölkerung. Um diese historische Schuld, die den deutschen Imperialismus bis heute politisch behindert, auszuhebeln, dienen ihm aktuell vor allem zwei ideologische Stemmeisen: Israel und die Ukraine.

Zweierlei Maß

Der Faschismus hatte in den 1930er und 40er Jahren primär die Zerschlagung der Arbeiterbewegung im eigenen Land sowie des realexistierenden Sozialismus in Form der Sowjetunion und den Aufstieg des eigenen Monopolkapitalismus in der imperialistischen Hierarchie zum Ziel. Im Zuges dieses Feldzuges wurden aber nicht nur Kommunisten und Arbeiter zu hunderttausenden verfolgt, ermordet, gefoltert, versklavt und verheizt, sondern auch ganze Volksgruppen und Nationen. Aufgrund der rassistischen Ideologie der Nazis und ihres Vernichtungskrieges im Osten waren von diesen Genoziden vor allem die europäischen Juden und Roma sowie die Völker der Sowjetunion betroffen.

Während der Antifaschismus in der DDR Staatsräson und der Faschismus von Tag eins an aufgearbeitet wurde, wurde er in der von alten Nazis aufgebauten Bundesrepublik solange verschwiegen, bis linke Studenten, Überlebende des Faschismus und andere Antifaschisten eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ab den 1960ern erzwangen. Heute rühmt sich die BRD ihrer angeblich vorbildlichen Aufarbeitung und ihrer Gedenkpolitik. Doch in Wahrheit gehören Rassismus und Faschismus nach wie vor zur DNA dieses Staates und der Umgang mit den Opfern könnte unterschiedlicher und heuchlerischer kaum sein: Anders als die DDR hat die BRD bis heute so gut wie keine Entschädigung an irgend ein Land gezahlt, das von Nazi-Deutschland überfallen wurde. Roma sind bis heute als Opfer faktisch nicht anerkannt und werden rassistisch diskriminiert. Aufgrund des anhaltenden Antikommunismus und der Russlandfeindlichkeit werden auch die bis zu 37 Millionen getöteten Sowjetbürger weitgehend verschwiegen. Allein Israel erhielt über Jahrzehnte „Wiedergutmachungszahlungen“ und weitere „Entschädigungen“ von der BRD und Juden werden als die zentralste und „wichtigste“ Opfergruppe der Nazis dargestellt.

Zionismus statt Antifaschismus

Die Bevorzugung Israels ist zum einen aus der Geschichte der Westintegration der BRD zu erklären: Der Ablasshandel diente der Legitimierung gegenüber den Westmächten und dem Aufbau Israels als wichtigsten Vorposten des Imperialismus im Nahen Osten gegen den Sozialismus und die arabische Unabhängigkeitsbewegung. Über diese materielle Basis erhob sich in der Folge zunehmend ein ideologischer Überbau, der den Schutz Israels zur „Staatsräson“ erhob und sich sowohl nach innen als auch nach außen richtete: Während in der DDR die Zerschlagung der materiellen Basis des Faschismus real angegangen wurde, versuchte die herrschende Klasse in der BRD ihre systemische und personelle Kontinuität zum Faschismus zu verschleiern, indem sie sich nun „demokratisch“ und „pro-jüdisch“ gab. Sprich: Parlamentarismus und Zionismus waren und sind bis heute der ideologische Konterpart der BRD zum Antifaschismus der DDR. Umso mehr als die DDR Israel – zurecht – nie anerkannt hat.

Darüber hinaus hat diese „Staatsräson“-Ideologie zunehmend weitere Funktionen hinzugewonnen, vor allem seit der Konterrevolution 1989/90 und der Rückkehr des deutschen Imperialismus auf die Weltbühne: Die Tabuisierung der Kritik an Israel ist eine nützliche Waffe gegen jegliche Kritik am westlichen und damit auch am deutschen Imperialismus. Mit ihr lassen sich fast alle linken Grundpositionen – Antimilitarismus, Antikolonialismus, Antiimperialismus, Antifaschismus und Antirassismus – moralisch untergraben: Waffenlieferungen an Tel Aviv gelten genau wie sämtliche westliche Kriege in der Region als legitim, weil sie angeblich Israels Existenz schützen. Kritik an Apartheid, Landraub, Massakern und ethnischer Säuberung wird als „antisemitisch“ delegitimiert.

Nazifizierung der Palästinenser

Selbst Rassismus kann mit Verweis auf Israel gerechtfertigt werden: Das gilt nicht nur für den Rassismus, der jede Faser des Kolonialprojekts Israel durchzieht. Auch Deutsche können mittlerweile „politisch korrekt“ rassistisch sein, und zwar gegen Muslime bzw. Araber und Türken, die – ebenfalls völlig zurecht – in ihrer absoluten Mehrheit antizionistisch eingestellt sind. Es ist kein Zufall, sondern völlig notwendig, dass die größten Israel-Apologeten überzeugte Islam-, Araber- und Türkenhasser sind: Sowohl die „Antideutschen“ als auch die AfD liegen vollkommen richtig, wenn sie sich als die konsequentesten Freunde Israels darstellen. Vor dem Hintergrund, dass der antimuslimische Rassismus die besondere Eigenschaft hat, einerseits nach innen sowohl die Spaltung der Gesellschaft entlang rassistischer Linien zu forcieren, als auch den Abbau von Grundrechten zu legitimieren, und andererseits nach außen hin Kriege zu rechtfertigen, wird ersichtlich, wie nützlich es ist, diesem Rassismus den Anschein von Berechtigung zu verleihen. Daher sind der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus in Deutschland und gegen die zionistische Staatsräson engstens miteinander verbunden. 

Die anti-palästinensische und die antimuslimische Hetze zuspitzend, erleben wir in den letzten Jahren zudem zunehmende Versuche, Araber und vor allem die Palästinenser quasi zu „nazifizieren“: Durch die starke Fokussierung auf arabische politische Kräfte, die vermeintlich oder tatsächlich mit Deutschland in den 1930ern und 40ern sympathisiert oder kooperiert haben, durch die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus und indem man Palästinensern oder auch palästina-solidarischen Muslimen in Deutschland völlig ahistorisch und ignorant europäische antisemitische Motive unterschiebt, [1] sollen Muslime/Araber bzw. die Palästinenser quasi als die ideologischen Erben der Nazis dargestellt werden. Damit werden nicht nur der antimuslimische und anti-arabische Rassismus ein weiteres Mal legitimiert, von den Verbrechen Israels gegen die arabischen Völker ganz abgesehen. Diese Projektion dient dem deutschen Imperialismus darüber hinaus einmal mehr zur Entledigung von der eigenen Vergangenheit, während der reale historische wie zeitgenössische Faschismus zugleich extrem relativiert wird.

Rehabilitierung des Faschismus in der Ukraine

Während also die Palästinenser – auch von selbsternannten „Linken“ – als antisemitisch und als Wiedergänger der Nazis gebrandmarkt werden, sehen wir, wie waschechte Faschisten, mit Hakenkreuzen und SS-Symbolen auf Helm und Brust spätestens seit Anfang diesen Jahres salonfähig gemacht werden: Die Kämpfer des faschistischen Asow-Bataillons werden als Helden gefeiert und von der NATO mit Waffen beliefert; die antisemitischen Massenmörder und Nazi-Kollaborateure Bandera und Melnyk werden zu ukrainischen Nationalhelden verklärt und Bundestagsvize Göring-Eckardt (Grüne) ruft durch den Bundestag unter Applaus „Slawa Ukrajini“, das ukrainische „Sieg Heil“.[2] Parallel dazu strömen seit 2014 aus ganz Europa (auch aus Deutschland) Neonazis in die Ukraine, um sich zu vernetzen, von ihren „Kameraden“ zu lernen – und um sich militärisch ausbilden zu lassen.[3] Und auch hier fallen wieder viele Linke auf die westliche Propaganda herein: Einige glauben die Märchen, wonach etwa das faschistische Asow-Bataillon längst nicht mehr faschistisch sei. Andere stimmen sogar lauthals in den Chor der dreistesten Faschismus-Rehabilitierer ein, indem sie offen von „nützlichen Nazis“ sprechen.[4]

Diese Relativierung des ukrainischen Faschismus in der deutschen Politik und Öffentlichkeit dient natürlich zunächst als unmittelbare Kriegspropaganda gegen Russland. Doch sie erfüllt für den deutschen Imperialismus noch eine weitere Funktion, nämlich die totale Relativierung und auch Rehabilitierung des Faschismus: Wenn ukrainische Nazi-Kollaborateure und ihre politischen Nachfolger letztlich „Helden“ im Krieg gegen Russland waren und sind, dann waren auch weder der deutsche Faschismus noch der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion so eindeutig falsch und schlimm. Wenn die Faschisten in der Ukraine damals wie heute als „nützlich“ gelten können, dann können sie das perspektivisch auch in Deutschland sein – sowohl rückblickend, etwa im Kampf gegen die damalige „bolschewistisch Gefahr“, und auch künftig, gegen Kommunisten, Friedenskräfte usw. Selbst wenn das Ergebnis wohl kaum sein dürfte, dass in absehbarer Zeit Hitler als Person und die NSDAP als Partei in Deutschland wieder rehabilitiert werden, so handelt es sich doch um einen krassen Sprung von der seit 1945 eher peinlichst verschwiegenen Kontinuität zwischen „Drittem Reich“ und BRD hin zu einer offenen Bezugnahme auf eindeutig in Tradition des Nazi-Faschismus stehende Kräfte, der nicht ohne ideologische und sozialpsychologische Folgen bei der deutschen Bevölkerung bleiben wird.

Gegen den Hauptfeind!

So widersprüchlich die staatsoffizielle Erinnerungskultur und der zelebrierte Philosemitismus auf der einen und die Rehabilitierung von Nazi-Kollaborateuren und Neofaschistischen auf der anderen Seite auf den ersten Blick erscheinen, so sehr dienen beide dem Zweck, den deutschen Imperialismus von seinen Altlasten aus der NS-Zeit propagandistisch zu befreien. Beides erfolgt in derzeit völligem Einklang mit den westlichen Verbündeten und wird zugleich der deutschen Bevölkerung auf moralisch völlig verdrehte und emotional extrem aufgeheizte Art medial eingepeitscht. Und so können die deutschen Imperialisten heute im Namen des Kampfs gegen Antisemitismus oppositionelle Stimmen zum Schweigen bringen und die eigene Bevölkerung spalten, unter dem Motto „Nie wieder Auschwitz“ Kriege führen[5] und zugleich wieder faschistische Truppen unter Bannern der SS gegen Russland ins Feld ziehen zu lassen.

Vor dieser Entwicklung dürfen wir als Kommunisten und Linke, als Antifaschisten und Kriegsgegner nicht die Augen verschließen: Wir müssen die Parole, den „Hauptfeind im eigenen Land“ zu bekämpfen, ernst nehmen und seine Strategien auf politischer, militärischer und auch ideologischer Ebene konkret herausarbeiten, offenlegen und bekämpfen!

Gegen Geschichtsrevisionismus, Relativierung und Rehabilitierung: Kampf dem Faschismus – in Deutschland, in der Ukraine und international!

Antifaschismus statt zionistischer „Staatsräson“: Solidarität mit allen Opfern rassistischer Gewalt! Freiheit für Palästina!

Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz: Nieder mit dem deutschen Imperialismus!

[1] Mittlerweile gilt es als Konsens im herrschenden Diskurs, dass die Parole „Kindermörder Israel“, die man von türkei- und arabischstämmigen Demonstranten bei Palästina-Demos hört, angeblich auf die antisemitische Ritualmord-Legende verweist, die allerdings ein christlich-europäisches Produkt aus dem Mittelalter ist und im Nahen Osten und gerade unter Muslimen weitgehend unbekannt ist.

[2] https://youtu.be/7saRclvYCq4?t=1600.

[3] https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-ukraine-sehnsuchtsort-der-extremen-rechten.

[4] So Fabio Di Masi, damals noch Abgeordneter der Linkspartei im EU-Parlament: https://twitter.com/fabiodemasi/status/1508523950992764933?lang=de.

[5] https://youtu.be/7jsKCOTM4Ms?t=541.

„Man darf gegen die NATO nicht länger Zeit verlieren, sondern muss jetzt das Momentum der Geschichte nutzen.“

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Von Bernhard Falk

Anmerkung der Redaktion: Wir veröffentlichen hiermit einen Beitrag von Bernhard Falk, der uns im Rahmen der Debatte zu Imperialismus und Krieg zugesendet wurde. Folgende Redaktionsnotiz möchten wir dem Beitrag vom 27.06.2022 voranstellen: der Beitrag ist insofern interessant, als er erstens eine bestimmte Denkweise vorstellt, die es durchaus in der Bewegung gibt. Zweitens zeugt er von einer ernstgemeinten internationalistisch solidarischen Sichtweise.

Zum ersten sei gesagt, dass offenkundig der hier vorgestellte Antiimperialismus der Behandlung der Klassenfrage nicht mehr bedarf. Wir möchten dem Autor nicht unterstellen, dass er das bewusst unterlässt, jedoch spricht der Artikel selbst an keiner Stelle mehr vom internationalen Proletariat bzw. ihren nationalen Abteilungen. Es sind lediglich Völker, Staaten und Staatsführer, die als Subjekte der Geschichte vorgestellt werden. Wir sind der Ansicht, dass diese Antiimperialismusvorstellung nicht dazu geeignet ist, das revolutionäre (Selbst-) Bewusstsein der internationalen Arbeiterklasse hinsichtlich ihrer Rolle im Kampf gegen den Imperialismus / Kapitalismus zu schärfen.

Wir denken, dass der vorliegende Beitrag ein gutes Zeugnis dafür ablegt, wie ein zwar ernstgemeintes, aber nicht ausreichendes Antiimperialismusverständnis aussieht. Im kommunistischen Klärungsprozess, den wir angestoßen haben und gewillt sind, zu organisieren, müssen wir uns auch mit solchen Vorstellungen, die es in der Bewegung gibt, auseinandersetzen. Es sollte dabei darum gehen, zu verstehen wie sich solche Vorstellungen entwickeln und welche politischen Konsequenzen mit ihnen einhergehen.

Vor wenigen Tagen bin ich in Berlin durch Hans Bauer (GRH), den ich persönlich sehr schätze, auf den vorbezeichneten Podcast hingewiesen worden, in dem Hans mit einem Diskutanten spricht. Die bisweilen recht kontroverse Diskussion umfasst ca. 90 Minuten, ist sehr interessant und erörtert Fragen, die für Antiimperialisten in aller Welt aktuell von zentraler Bedeutung sind.

Vor dem Hintergrund, dass ich mindestens die vergangenen 30 Jahre meines Lebens in Vollzeit dem antiimperialistischen Widerstand gegen die USA und die BRD gewidmet habe, davon zwölfeinhalb Jahre im Knast als politischer Gefangener der BRD wegen mutmaßlicher Beteiligung an der „Antiimperialistischen Zelle“ (AIZ), liegt es nahe, dass ich mir ein paar Anmerkungen zu den im Podcast angesprochenen Fragen erlaube.

Ich will versuchen, dies ohne den Anschein von „Besserwisserei“ zu tun, möchte aber auch keinen Zweifel daran lassen, dass ich es als Antiimperialist für verpflichtend halte, in der heutigen Zeit solidarisch an der Seite der Russischen Föderation und ihres Präsidenten Putin zu stehen.

Auf dem Internationalen Forum, das vorige Woche in St. Petersburg (Leningrad) stattfand, betonte Präsident Putin, „dass die Ära der unipolaren Weltordnung vorüber ist“. Und er warnte treffend vor aufgezwungenen „Schablonen“ des Denkens und Handelns: „Denn die zivilisatorische Vielfalt des Planeten, der Reichtum der Kulturen lässt sich nur schwer mit politischen, wirtschaftlichen und anderen Schablonen vereinbaren. Schablonen, die grob und alternativlos von einem Zentrum aufgezwungen werden, funktionieren hier nicht.“

Es ist eine Tatsache, dass die unipolare – nämlich von der NATO dominierte – Weltordnung der vergangenen 30 Jahre (1991 – 2021) ein Intermezzo war, das nun vorüber ist. Während ich diese Zeilen schreibe, versammelt sich gerade unter BRD-Präsidentschaft im Luxushotel „Schloss Elmau“ nahe Garmisch-Partenkirchen die G7-Führung. Die dort versammelten Herren haben bis heute nicht begriffen, dass das Intermezzo ihrer globalen Vorherrschaft vorbei ist. Präsident Putin sagte hierzu vorige Woche, dass sich „die herrschenden Eliten einiger westlicher Staaten Illusionen hingeben“.

Sagen wir also ganz deutlich, was es konkret bedeutet, dass sich die vorgenannten westlichen Kreise der Realität verweigern: „Weil sie sich selbst für außergewöhnlich halten“, konstatiert Putin, „betrachten sie die anderen immer noch als Kolonien und die dort lebenden Völker als Menschen zweiter Klasse. Daher kommt der unbändige Wunsch, jeden, der aus der Reihe tanzt und nicht blind gehorchen will, zu bestrafen und wirtschaftlich zu vernichten. Mehr noch, sie drängen allen auf rüde und skrupellose Weise ihre Ethik, ihre Meinungen über Kultur und Geschichte auf …“

In den letzten drei Jahrzehnten habe ich mich immer gefragt, wie lange die Russische Föderation sich eine derart zersetzende westliche Arroganz eigentlich noch gefallen lassen will. Nach dem Hochverrat durch Gorbatschow (1985 – 1991) war Jelzin aus westlicher Sicht quasi die passende Marionette für den Ausverkauf – fast zehn Jahre lang (1991 – 1999). Damals, ab 1998, leisteten es sich die G7-Imperialisten sogar, den G7-Kreis durch vorübergehende Aufnahme einer Delegation der Russischen Föderation auf „G8“ zu erweitern.

Gleichzeitig rückte die NATO durch permanente Ausdehnung immer näher an das Territorium der Russischen Föderation heran; natürlich kann man das flächengrößte Land der Erde nicht einfach „umzingeln“; aber es ist völlig klar, dass die Wühltätigkeit der NATO in Osteuropa damals wie heute auf die Zerschlagung der Russischen Föderation abzielt. Letztlich handelt es sich bei dieser NATO-Zielsetzung um eine Fortsetzung der Politik des Hitler-Faschismus mit anderen Mitteln. Welche Hochrüstung gepaart mit Russlandfeindlichkeit sich die NATO leistet, wird man auf dem morgen in Madrid beginnenden NATO-Gipfeltreffen besichtigen können.

Wie gesagt – ich fragte mich während der vergangenen Jahre immer wieder, ob/wann die Russische Föderation die Kraft finden wird, sich der westlichen Zersetzung entschlossen zu widersetzen. Ja, es gab zunehmend entsprechende Signale – 2007, 2014, … -, aber erst seit diesem Jahr (2022) kann man wirklich sicher sein, dass die Russische Föderation fest und mutig Widerstand gegen die NATO-Aggressoren leistet und leisten wird. Und das ist eine großartige Wendung, zu der man die Völker in der Russischen Föderation wirklich von Herzen beglückwünschen muss!

Menschen in aller Welt sind erleichtert, dass das 30-jährige Intermezzo der globalen NATO-Dominanz nun endgültig vorbei ist und die Russische Föderation ihren eigenständigen Weg geht, nämlich im Bündnis mit China. Man braucht kein Experte zu sein, um zu ahnen, dass das flächengrößte Land der Erde – die Russische Föderation – im Bündnis mit dem bevölkerungsreichsten Land der Erde – der Volksrepublik China – angesichts des mittlerweile erreichten Niveaus der Entwicklung beider Länder ein starkes Gegengewicht gegen die NATO sein wird.

Diese neue weltpolitische Konstellation, deren Beginn wir in den gegenwärtigen Monaten erleben, ist eine erfreuliche Zeitenwende und ich bin sehr dankbar, dass das zu meinen Lebzeiten geschieht. Natürlich würde ich mir persönlich wünschen, physisch und psychisch in den vergangenen sehr schwierigen 30 Jahren des antiimperialistischen Widerstands nicht so viel Kraft verloren zu haben (innerhalb des Knasts und außerhalb), aber die neue Etappe jetzt beflügelt und ermutigt.

Da viele Leute der außerparlamentarischen Linken in der BRD nicht wissen, wie sie sich bezüglich der neuen Entwicklungen verhalten sollen, dazu meinerseits folgender Hinweis: Natürlich ist die Entscheidung der Russischen Föderation, das Intermezzo des Ausverkaufs und der Agonie endgültig hinter sich zu lassen, nicht nur die Entscheidung und der Wille einer bestimmten Klasse, sondern der Völker der Russischen Föderation in ihrer Gesamtheit. Die entschlossene Verteidigung dieses Vielvölkerstaates mit seinen Kulturen, Sprachen, Religionen und Werten ist eine Angelegenheit des gesamten Staates.

Denjenigen, die hier in der BRD zögern, sich damit zu solidarisieren, sei zudem empfohlen, den gegenwärtigen Übergang zur multipolaren Weltordnung zu begreifen: Die Völker Lateinamerikas lassen sich immer weniger von NATO-Kräften gängeln; auf dem afrikanischen Kontinent fasst die NATO kaum noch Fuß; in Afghanistan hat die NATO trotz 20-jähriger Besatzung (2001-2021) eine fulminante Niederlage erlitten und weltweit leisten Muslime gegen die NATO militant Widerstand; und ostasiatische Länder wie die VR China und die DVR Korea lassen keinen Zweifel, dass sie die NATO in die Schranken weisen werden. Das heißt, die Russische Föderation befindet sich in guter Gesellschaft und ist Teil der globalen Anstrengung, den Hegemon zu überwinden.

Es mag manchen Personen, die allzu holzschnittartige Vorstellungen von der menschlichen Geschichte als der Geschichte von Klassenkämpfen haben, die Erkenntnis schwerfallen, dass die Verteidigung des jeweiligen Kulturkreises (Sprache, Ethik, Religion) eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau einer gerechten globalen multipolaren Ordnung ist. Umgekehrt gefragt: Würde man ernsthaft mit einer „verwestlichten“ Gesellschaft, deren kulturelle Identität von der NATO verwüstet ist und die nur noch Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus und Konsumismus kennt, noch eine gerechte Gesellschaftsordnung aufbauen können???

Wichtig zu berücksichtigen ist meines Erachtens auch die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit. Als Antiimperialist sollte man sich jetzt entscheiden – für Solidarität mit der Russischen Föderation und ihrem Präsidenten – und die persönliche Entscheidung nicht verzögern. Es gibt Situationen, in denen muss man sich schnell entscheiden und die aktuelle Zeitenwende ist eine solche historisch bedeutsame Situation. Man darf gegen die NATO nicht länger Zeit verlieren, sondern muss jetzt das Momentum der Geschichte nutzen.

Man bedenke die Chance, dass das Verhältnis zwischen Russland und China jetzt so eng ist wie seit 70 Jahren nicht mehr – siehe die Zeit nach dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg unter Führung von Stalin und der Gründung der Volksrepublik China unter Führung von Mao Tse-tung.

Man bedenke die dramatische Tatsache, dass sich die von den NATO-Staaten weltweit propagierte Lebensweise des hemmungslosen Konsumismus ökologisch mittlerweile so verheerend auswirkt, dass sich die globale Klimakatastrophe einem Kipp-Punkt der Irreversibilität nähert.

Man berücksichtige die mehr als 800 Millionen hungernden Menschen weltweit – das ist mehr als jeder zehnte Einwohner auf der Erde; für diese von der Klimakatastrophe und der NATO-Politik an den Rand des Todes gebrachten Menschen ist es überlebenswichtig, den Hegemon zu überwinden.

Zum Abschluss dieses Beitrags, den ich als Denkanstoß verstanden wissen möchte, drängt mich die aktuelle Situation, meine vorzügliche Hochachtung gegenüber allen Menschen auszudrücken, die in treuer Pflichterfüllung – Tag für Tag, von Stunde zu Stunde – der Russischen Föderation dienen. Durch solch eine kollektive Kraftanstrengung wird der Weltgemeinschaft jetzt konkret gezeigt, wie wirkungsvoll Antiimperialismus ist. Druschba – auf dem Weg zu einer gerechten Weltordnung!!!

Die Bourgeoisie im imperialistischen Weltsystem

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Finanzkapital, finanzkapitalistische Herrschaftsverhältnisse und die sogenannte „Kompradorenbourgeoisie“

Von Thanasis Spanidis

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Zusammenfassung des Artikels in Kurzthesen:

  • Im heutigen Kapitalismus hat sich das monopolistische Finanzkapital als dominierender Kapitaltyp weltweit durchgesetzt. Auch Industriemonopole sind eine Form des Finanzkapitals, auch in ihnen ist das Kapitaleigentum vom fungierenden Kapital getrennt und sie realisieren einen großen Teil ihrer Profite über Finanzoperationen.
  • Thesen, wonach das imperialistische Weltsystem heute unipolar durch die USA beherrscht ist, sind nicht haltbar. Die Argumentation, dass US-amerikanische Vermögensverwalter und institutionelle Investoren eine weltbeherrschende Rolle spielen würden und damit alle anderen Länder in eine einseitige Abhängigkeit von sich drängen, sind mindestens stark übertrieben und halten einer Überprüfung nicht stand.
  • Der Begriff der „Kompradorenbourgeoisie“ ist völlig ungeeignet, um die Bourgeoisie in schwächeren Ländern des imperialistischen Weltsystems zu charakterisieren. Auch in diesen Ländern herrscht das Monopolkapital und dieses geht, um seine eigenen Profitstrategien zu verfolgen, auf globaler Ebene Verbindungen auf Grundlage ungleicher gegenseitiger Abhängigkeit mit anderen finanzkapitalistischen Monopolen ein. Dadurch verliert es aber nicht seine Eigenständigkeit und wird auch nicht zum bloßen Anhängsel der ausländischen Monopole. Die Kategorie der „Kompradorenklasse“ stammt hingegen aus dem Kontext der Kolonialherrschaft und bezog sich entweder auf vorkapitalistische herrschende Klassen oder auf nicht-monopolistisches Kapital, das als bloßer Vermittler ausländischer Monopole agierte.
  • Eine nähere Betrachtung der russischen Kapitalistenklasse im Besonderen untermauert diesen Punkt: Auch hier handelt es sich nicht um eine „Kompradorenbourgeoisie“, sondern um entwickeltes Monopolkapital. Weder agiert es als Vermittler der ausländischen Monopole noch ist es in besonderem Maße von diesen abhängig. Vielmehr hat sich seine Abhängigkeit in den letzten Jahren gerade als Folge des Konflikts mit dem Westen deutlich reduziert. Das russische Kapital ist dennoch aktiv in den internationalen Kapitalverkehr eingebunden. Die Auffassung vom russischen Kapitalexport als bloßer „Kapitalflucht“ ist falsch und beruht auf einem unzureichenden Verständnis des Kapitalverkehrs.
  1. Einleitung

In den Diskussionen um die Bewertung des Krieges in der Ukraine geht es von Anfang an nicht nur um den Krieg, sondern um die Analyse des Imperialismus. Dass dies so ist und auch nicht anders sein kann, liegt auf der Hand, wenn man die Diskussionsbeiträge der letzten Monate liest: Die Einordnung des Krieges hängt im Wesentlichen davon ab, ob das Handeln Russlands als das einer rivalisierenden kapitalistischen Macht im Kampf um die Aufteilung der Welt gesehen wird oder als forcierte Abwehrmaßnahme eines vom Imperialismus bedrängten Landes.

Einen Aufschlag zur Analyse des Imperialismus hatte ich mit meinem Artikel „Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen der KO! Das Konzept der imperialistischen Pyramide und seine Kritiker“ vorgelegt. Mit diesem Text und seinen Schlussfolgerungen sind viele der Befürworter des Krieges nicht einverstanden. Eine schriftliche Kritik (oder auch eine umfassendere mündliche Kritik) daran steht jedoch nach wie vor aus. Bisher wurde in verschiedenen Diskussionen eher punktuell versucht, einen diffusen Widerspruch gegen die dort dargelegte Analyse zu erzeugen, indem mehr oder weniger vage Thesen zur Stellung der USA im imperialistischen Weltsystem und zum Charakter der Abhängigkeitsbeziehungen ins Spiel gebracht wurden. Dass diese bisher nicht systematisch dargelegt wurden, ist ein Problem für die Diskussion, das es erschwert, darauf einzugehen. Positionen und Thesen werden als „Fragen“ getarnt, die eine Kritik beinhalten und Verunsicherung über die bis vor kurzem konsensual geteilte Imperialismusanalyse der KO erzeugen sollen, ohne jedoch selbst ausformuliert zu werden. Für die Diskussion ist das schlecht, denn es bedeutet, dass eine Seite des Dissenses sich faktisch der Kritik entzieht. Aus diesen Gründen wird in diesem Text gegen einen in den Diskussionen allgegenwärtigen, aber bisher nur diffus begründeten und ausformulierten Gegner argumentiert, in der Hoffnung, dass ich damit dazu beitragen kann, die Diskussion wieder zurück in den Modus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu führen.

Konkret stehen folgende Behauptungen im Raum:

  1. Die USA seien nach wie vor eine „weltbeherrschende“ Macht in einer „unipolaren Weltordnung“. Ihr relativer Abstieg ebenso wie der Aufstieg Chinas zur zweiten imperialistischen Führungsmacht neben den USA würden massiv übertrieben oder fänden sogar überhaupt nicht statt.
  2. Diese angeblich weiterhin eindeutige Führungsrolle der USA werde neben der militärischen Überlegenheit (zu der ich bereits in meinem oben zitierten Artikel einiges geschrieben hatte) auch durch eine Spitzenrolle der USA in den globalen Kapitalverflechtungen untermauert. Hierfür wird sich sehr häufig auf die prominente Rolle des Vermögensverwalters BlackRock bezogen, der Großaktionär in den meisten großen Monopolen Nordamerikas und Europas ist. Von der Bedeutung BlackRocks auf den Finanzmärkten wird diffus auf eine tendenziell absolute Weltherrschaft des US-Kapitals geschlossen.
  3. Die eigenständige Rolle der Bourgeoisien in Ländern, die weiter unten in der imperialistischen Rangordnung stehen, wird bestritten oder stark relativiert mit dem – ebenfalls äußerst vage verwendeten – Begriff der „Kompradorenbourgeoisie“. Die dabei immer wieder implizit oder explizit aufgestellte These ist, dass die Bourgeoisie wahlweise aller Länder außer den USA oder doch zumindest außerhalb der alten imperialistischen Führungsmächte (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und vielleicht noch wenigen weiteren) eine rein abhängige Position innehabe, dass sie lediglich als Sachwalter und Vermittler der Monopole der USA und ggf. weniger weiterer Führungsmächte agiere und damit die Abhängigkeit dieser Länder aufrecht erhalte. Konkret wird diese Behauptung auf Russland bezogen – politisch wird daraus die Konsequenz gezogen, dass Russland in seinem Kampf gegen den Westen generell oder zumindest im Ukrainekrieg zu unterstützen sei.

Um zu einem Urteil zu kommen, was an diesen Analysen, die zur Rechtfertigung konkreter opportunistischer Standpunkte in der Kriegsfrage herangezogen werden, möglicherweise plausibel sein könnte, ist eine Beschäftigung mit der Bourgeoisie notwendig: Es geht darum, wie die Bourgeoisie, die herrschende Klasse, im heutigen imperialistischen Weltsystem aufgestellt ist, welche Charakteristika sie aufweist, welche Beziehungen sie miteinander eingeht und wie sie sich in dem guten Jahrhundert seit Lenins Imperialismusschrift entwickelt hat.

Dieser Text soll, wie schon der oben zitierte („Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen…“) einen Beitrag zur Klärung des Dissenses in der Imperialismusanalyse leisten.

Zuerst muss der hier zugrunde gelegte Begriff des Finanzkapitals entwickelt werden, denn das beherrschende Kapital unserer Epoche ist das monopolistische Finanzkapital. Dann wird der Artikel sich der Rolle von Vermögensverwaltern wie BlackRock zuwenden und prüfen, ob und inwiefern sie eine weltbeherrschende Rolle ausüben und als Argument für eine unipolare Weltordnung unter Hegemonie der USA herangezogen werden können. Im dritten Kapitel wird der Begriff der Kompradorenbourgeoisie untersucht und auf seine Tauglichkeit zur Analyse des heutigen Imperialismus überprüft. Schließlich wird im letzten Kapitel die russische Bourgeoisie noch einmal thematisiert mit Blick auf verschiedene Behauptungen, die diesbezüglich im Umlauf sind: Sie sei eine Kompradorenbourgeoisie, von ausländischem Kapital beherrscht und Russland sei nicht imperialistisch, weil es keinen nennenswerten Kapitalexport, sondern v.a. Kapitalflucht aufweise. Auch diese Behauptungen werden einer kritischen Prüfung unterzogen.

Es ist davon auszugehen, dass auch die hier dargelegten Argumente nicht bei Allen auf Zustimmung treffen werden. In diesem Fall wäre es zu begrüßen, wenn die Kritik daran konkret und möglichst in schriftlicher Form entwickelt würde, damit der Dissens zumindest für alle Interessierten klar auf dem Tisch liegt und es möglich wird, sich auch auf etwaige Gegenargumentationen konkret zu beziehen. Nur so kann Klärung funktionieren: Klar formulierte Thesen, begründet mit Argumenten, die sich dann kritisieren lassen, was es ermöglicht, sie zu revidieren, zu bestätigen, zu korrigieren oder zu erweitern.

  1. Das Finanzkapital

Der marxistische Begriff des Finanzkapitals unterscheidet sich bekanntlich von dem landläufigen bürgerlichen Begriff, der darunter lediglich die Prozesse der rein finanziellen Akkumulation begreift (also Geldkapital, das ohne Investitionen in Wertschöpfung oder Warenhandel vermehrt wird). Der marxistische Begriff des Finanzkapitals umfasst hingegen den Zusammenhang zwischen Mehrwertproduktion und finanzieller Akkumulation.

Angelegt ist dieser Begriff inhaltlich bereits bei Marx, der das Kreditsystem als Hebel der Zentralisation des Kapitals (d.h. der Zusammenführung von immer mehr Kapital unter ein zentralisiertes Kommando) versteht. Marx erkannte zudem auch bereits die mit der Entfaltung des Kapitalismus tendenziell zunehmende Trennung des Kapitaleigentums vom fungierenden Kapital: „Das Kreditsystem, das seinen Mittelpunkt hat in den angeblichen Nationalbanken und den großen Geldverleihern und Wucherern um sie herum, ist eine enorme Zentralisation und gibt dieser Parasitenklasse eine fabelhafte Macht, nicht nur die industriellen Kapitalisten periodisch zu dezimieren, sondern auf die gefährlichste Weise in die wirkliche Produktion einzugreifen – und diese Bande weiß nichts von der Produktion und hat nichts mit ihr zu tuni. Die Aktiengesellschaften sieht er dabei als „Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremden Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße Eigentümer, bloße Geldkapitalistenii.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde diese Analyse vor allem von dem sozialdemokratischen Ökonomen Rudolf Hilferding erheblich ausgearbeitet und differenziert. Hilferdings zentrale These: „Ein immer wachsender Teil des Kapitals der Industrie gehört nicht den Industriellen, die es anwenden. Sie erhalten die Verfügung über das Kapital nur durch die Bank, die ihnen gegenüber den Eigentümer vertritt. Andererseits muss die Bank einen immer wachsenden Teil ihrer Kapitalien in der Industrie fixieren. Sie wird damit in immer größerem Umfang industrieller Kapitalist. Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in industrielles Kapital verwandelt wird, das Finanzkapitaliii. Hilferding beobachtet eine Verwandlung des Bankkapitals in industrielles Kapital, also ein Verwachsen beider Formen des Kapitals und diesen Komplex aus Industrie- und Bankkapital nennt er Finanzkapital.

Während Hilferding aber als Reformist davon ausging, dass durch die in den Konzernen zunehmend zentralisierten Operationen und den zunehmenden Organisationsgrad der Ökonomie unter der Herrschaft der Banken die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise abnehmen würden, geht Lenin von tendenziell wachsenden Widersprüchen aus. Lenin kritisiert an Hilferdings Definition des Finanzkapitals, sie sei „insofern unvollständig, als ihr der Hinweis auf eines der wichtigsten Momente fehlt, nämlich auf die Zunahme der Konzentration der Produktion und des Kapitals in einem so hohen Grade, daß die Konzentration zum Monopol führt und geführt hativ. Zudem nimmt er eine anderepolitische und historische Einordnung des Finanzkapitals vor: Dieses stellt nicht eine Einhegung der kapitalistischen Gegensätze dar (in einem „organisierten Kapitalismus“, wie Hilferding dachte), sondern reproduziert sie auf höherer Stufe, noch unversöhnlicher und noch explosiver, es stellt die höchste Stufe der Vergesellschaftung des Kapitals dar und ist damit unmittelbare Vorbereitung des nächsten historischen Schrittes der Menschheit – der Übernahme der Produktionsmittel unter gesellschaftliche Kontrolle und damit der Aufhebung des Kapitals überhauptv.

Lenin weist hin auf die „Trennung des Kapitaleigentums von der Anwendung des Kapitals in der Produktion, die Trennung des Geldkapitals vom industriellen oder produktiven Kapital, die Trennung des Rentners, der ausschließlich vom Ertrag des Geldkapitals lebt, vom Unternehmer und allen Personen, die an der Verfügung über das Kapital unmittelbar teilnehmen“, die dem Kapitalismus grundsätzlich eigen sei, aber im Imperialismus „gewaltige Ausdehnung“ erreichevi.

Das Finanzkapital ist also ein Ergebnis des Monopolkapitals und umgekehrt. Beides, die Ablösung des Kapitaleigentums vom fungierenden Kapital und tendenzielle Dominanz über dieses, sowie die Vereinigung von immer mehr Kapital in markt- und produktionsbeherrschenden Monopolen, entstand in enger Wechselwirkung miteinander am Ende des 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende herum. Die Wechselwirkung besteht darin, dass einerseits die Entwicklung des Beteiligungssystems und des Kreditwesens ein enormer Hebel der Zentralisation ist, andrerseits aber das Monopolkapital auch die Profite akkumuliert und hervorbringt, die die Entfaltung des Finanzsystems nähren.

Ein Autorenkollektiv marxistischer Ökonomen aus der DDR schreibt dazu: „Das charakteristische Kennzeichen des Finanzkapitals ist die Verschmelzung des monopolistischen Industrie- und Bankkapitals. Es sind natürlich nicht die Institutionen, die hier verschmelzen, sondern das monopolistische Kapitaleigentum und die auf diesem gegründete Macht des Kapitals, wobei sich hinsichtlich der Formen dieser Verschmelzung bedeutsame Entwicklungen vollzogen habenvii. Zu diesen Veränderungen weiter unten mehr. Zweitens ist zu beachten, dass „finanzkapitalistische Herrschaft die monopolistische und staatsmonopolistische Stufe des Prozesses der Trennung von Kapitaleigentum und Kapitalfunktion ist, der Prozeß, in welchem eine Fraktion der Kapitalistenklasse die Verfügungsgewalt über fremdes Eigentum erhält und dadurch über das gesellschaftliche Gesamtkapital herrscht.“viii

Das Finanzkapital ist damit „die Lösungsbewegung des Widerspruchs von Produktion und Aneignung, wobei sich mit der wachsenden Vergesellschaftung der Produktion das Eigentum mehr und mehr gegen die materiellen Prozesse verselbstständigt, um die weitere Durchbrechung der privaten Schranken innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise zu vollziehenix. Diese relative Verselbstständigung des Eigentums gegen die materielle Produktion bedeutet natürlich nicht, dass die Produktion des Wertes und Mehrwertes nun plötzlich außerhalb der materiellen Produktion möglich wäre; sie ist vielmehr so zu verstehen, dass der fungierende Kapitalist (also der Manager, der die Produktion verwaltet und ausführen lässt) zunehmend Nichteigentümer wird, während auf der anderen Seite die Eigentümer-Kapitalisten stehen, die eben nur noch Eigentümer von Finanztiteln, also Geldkapitalisten sind und mit der Produktion nichts mehr zu schaffen haben.

Dieses Finanzkapital, also das verselbstständigte monopolisierte Eigentum, stellt einen vorwiegend erst im Monopolkapitalismus neu entstehenden Typ des Kapitals dar. Während z.B. das industrielle Kapital Produktion und Absatz in Übereinstimmung bringen, die Produktion organisieren muss usw., ist das Finanzkapital nur noch auf die Verwertung des Kapitals, also die Abschöpfung von Profiten als Rente ohne „Umweg“ über Produktion oder Handel ausgerichtetx. „Das verselbständigte kapitalistische Eigentum realisiert sich heute im Verwertungskreislauf des Finanzkapitals, der sich immer weiter von seiner letztlichen Grundlage – der Ausbeutung der lebendigen Arbeit – loslöstxi. Seine neuartige und übergreifende Art drückt sich vor allem darin aus, dass andere Kapitalformen dadurch bestimmbar sind, in welcher Weise sie sich einen Teil des Mehrwerts aneignen, während das Finanzkapital „in verschiedener Gestalt Unternehmergewinn und Zins, Grundrente und Spekulationsgewinne als Monopolprofit realisieren kann.“xii

Als vorherrschende Form des Monopols bzw. des Finanzkapitals haben sich die Transnationalen Konzerne (TNKs) herausgebildet. Diese sind definiert als Unternehmen, die die Kontrolle über Tochterunternehmen in anderen Ländern ausüben. TNKs sind also Gruppen von Unternehmen, die darauf basieren, dass Finanzmittel in ihnen zentralisiert werden. Auch wenn sich alle TNKs bestimmten Branchen und Betätigungsfeldern zuordnen lassen, handelt es sich dabei nicht um Industriekapital im ursprünglichen Sinne (d.h. als eine Form des Kapitals, die ihre Profite aus der Produktion von Mehrwert bezieht, im Gegensatz zum zinstragenden Kapital). De facto sind die TNKs Finanzgruppen, die je nach Betätigungsfeld eben auch industrielle oder andere Aktivitäten ausführenxiii.

Der französische Ökonom Claude Serfati weißt darauf hin, dass das Finanzkapital eine funktionelle und eine institutionelle Seite aufweist, die nicht miteinander identisch sind: Es ist zum einen institutionell als ein bestimmter Sektor zu begreifen, der eben aus Institutionen besteht, die zum Zwecke finanzieller Aktivitäten bestehen (z.B. Banken, Versicherungen usw.). Die funktionelle Facette besteht in der Funktion des Finanzkapitals, Einkommen zu produzieren, scheinbar aus sich selbst heraus, wie ein Birnbaum Birnen produziert. Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil Finanzoperationen nicht nur von Finanzinstitutionen verrichtet werden, sondern in zunehmendem Maße von Industriegruppen, die ebenfalls Finanzaktiva zentralisieren und eigene Finanzabteilungen zur Generierung finanzkapitalistischer, d.h. nicht unmittelbar der materiellen Produktion entspringender Profite gründenxiv. Ein großer Anteil der Kapitalflüsse, die statistisch als ausländische Direktinvestitionen (FDI) geführt werden, sind in Wirklichkeit Finanzaktivitäten innerhalb von Firmen, d.h. sie haben nichts mit der Schaffung oder auch Übernahme von physischen Produktionskapazitäten zu tunxv.

Während das Kapital per se nach der Verwertung strebt, wird dieser Antrieb beim Finanzkapital verabsolutiert: Durch die zunehmende Mobilität und Liquidität des Kapitals wächst der Drang, jede Möglichkeit für die Generierung zusätzlicher Profite auszunutzen. Das Vorherrschen des Finanzkapitals als Kapitaltyp im entwickelten Imperialismus drückt sich daher erstens in der Präferenz des Monopolkapitals für den „Shareholder Value“, d.h. für die Ausschüttung von Dividenden und steigende Aktienkurse aus. Zweitens müssen strategische Entscheidungen tendenziell immer stärker kurzfristigen Rentabilitätskriterien entsprechen (auf Kosten anderer Kriterien wie z.B. langfristige Kontrolle, Integration privilegierter Arbeiterschichten usw.). Drittens müssen industrielle Aktivitäten so separat bleiben, dass man sie jederzeit veräußern kann, wenn das Rentabilitätskriterium es verlangtxvi. Profite „müssen und können allein durch die stärkere Berücksichtigung der Eigenständigkeit der Finanzoperationen, sei es in Übereinstimmung, sei es im Gegensatz zu den Anforderungen der ‚betrieblichen Aspekte‘, gesteigert werdenxvii. Der Konzern gewinnt zunehmend den Charakter einer Finanzanlage, eines Portfolios von Finanzaktiva, bei denen es vorrangig um den Börsenwert und nicht um andere Gesichtspunkte gehtxviii. Das bedeutet natürlich nicht, dass es keinerlei längerfristige strategische Entscheidungen mehr gibt, z.B. dass umfangreiche Investitionen mit längerfristiger Perspektive immer noch vorkommen, wenn es darum geht, sich auf neuen Produktmärkten eine Monopolstellung zu erarbeiten. Trotzdem findet eine Verschiebung des Schwerpunktes statt.

Diese zunehmende Dominanz des Finanzkapitals in der Ökonomie ist zugleich ein wichtiger Hebel der Zentralisation des Kapitals: Die Konzentration enormer Summen von Liquidität in den Händen der TNKs ist Instrument und Anreiz dafür, ständig nach lukrativen Möglichkeiten für Fusionen und Übernahmen zu suchen. Nach einer Studie haben bei den 1000 größten TNKs der Welt die Fusionen und Übernahmen im Zeitraum 1999-2010 wesentlich stärker zugenommen als produktive Investitionen und waren ein entscheidender Faktor der Rentabilitätxix.

Die Herausbildung eines international operierenden monopolistischen Finanzkapitals, d.h. eines liquiden Anlagekapitals, das in den Händen einer kleinen Klasse von Eigentümern der Finanztitel extrem konzentriert ist und ein die ganze Welt umspannendes Netz gebildet hat, ist der entscheidende Prozess der kapitalistischen Entwicklung im letzten Jahrhundert gewesen und bildet die „Geschäftsgrundlage“ des Kapitalismus auf globaler Ebene.

  1. BlackRock, Vanguard, State Street – die neuen Weltherrscher?

Seit einigen Jahren wird v.a. von dem Wirtschaftsjournalisten Werner Rügemer in zahllosen Publikationen die Behauptung aufgestellt, dass die großen Vermögensverwalter wie BlackRock, Vanguard und State Street zu einer weltbeherrschenden Rolle aufgestiegen seien und auch den westeuropäischen Kapitalismus dominieren würden. Dafür verweist Rügemer v.a. darauf, dass diese Investoren mit BlackRock an ihrer Spitze an allen Unternehmen des Deutschen Aktienindex beteiligt sind.

Rügemers Analyse zusammengefasst: „Kapitalorganisatoren wie BlackRock, die die Finanzkrise ebenfalls mitverursacht hatten, sind nun die Eigentümer der alten Banken und Börsen und vor allem die Eigentümer der wichtigsten Unternehmen. Vom Typ BlackRock agieren heute, weitgehend unreguliert und unbekannt, einige Dutzend weitere Finanzakteure der ersten Liga, hinzukommen die neuen Finanzakteure der zweiten und dritten Liga, also Private Equity Fonds, Hedgefonds, Venture Capitalists, dazu elitäre Investmentbanken, die traditionellen Großbanken und die von diesen allen geförderten und beherrschten Aufsteiger des Internets wie Apple und Microsoft, Google/Alphabet, Amazon, Facebook, Uber oder AirBnB.“xx. Diese bildeten eine „transnationale kapitalistische Klassexxi und „aus der Konkurrenz mehrerer imperialistischer Staaten ist ein US-geführtes Imperium hervorgegangen. Die neuen Finanzakteure haben die US-Vorherrschaft und das Vasallentum der ‚Bündnispartner‘ noch einmal vertieftxxii. Laut Rügemer hat sich das Kapital also aus seiner Verbindung mit dem bürgerlichen Nationalstaat gelöst, es agiert transnationalisiert mit den USA als Zentrum. Deutschland, Frankreich, Großbritannien haben keine eigenen imperialistischen Ambitionen und Entwicklungstendenzen mehr, sondern sind nur noch US-Vasallen, Bündnispartner sind sie nur noch in Anführungszeichen.

Diese Analyse ist keineswegs neu, sie wurde – ohne den Bezug auf die damals noch weniger bedeutenden Vermögensverwalter – bereits von Michael Hardt und Antonio Negri in ihrem Buch „Empire“ aufgestellt und vielfach kritisiert. Neu ist, dass nun auch ein Teil der KO dieser Analyse etwas abgewinnen kann. So meint Klara Bina trotz einiger Kritikpunkte an Rügemers Schlussfolgerungen, sein oben zitiertes Buch biete „all denjenigen, die sich für die Machtverhältnisse im internationalen Maßstab interessieren, eine gute Grundlage, um in das Thema einzusteigen.“xxiii. Nun ist es sicherlich richtig, dass eine Analyse auch eines bürgerlichen Autors unvoreingenommen geprüft werden muss und auch eine insgesamt falsche Analyse richtige und bereichernde Elemente enthalten kann. Hier geht es aber konkret um die Behauptung einer weltbeherrschenden Rolle der USA, die auf der Dominanz der US-amerikanischen Vermögensverwalter (und in zweiter Linie institutionellen Investoren aus den USA) beruht. Untersuchen wir also, ob Rügemer die internationalen Machtverhältnisse des Kapitals mit seiner These einer absoluten Vorherrschaft der USA richtig darstellt.

Rügemer zählt das „Einfluss-Instrumentarium“ der Vermögensverwalter auf: 1) Informationen über alle wichtigen Unternehmen. 2) Miteigentümerschaft der wichtigsten Unternehmen der wichtigsten westlichen Volkswirtschaften. 3) Miteigentümerschaft der Rating-Agenturen. 4) Abhängigkeit der Unternehmen von Dienstleistungen der Vermögensverwalter (Risikoanalysen, Finanzmanagement). 5) Einfluss auf die Entwicklung der Aktienkurse. 6) Koordinierung des Abstimmungsverhaltens der Vermögensverwalter auf den Aktionärsversammlungenxxiv. Diese Darstellung ist nicht falsch. Es stimmt, dass z.B. BlackRock über einen enormen Schatz an Informationen über die Weltwirtschaft und Unternehmen verfügt. Das Datenanalysesystem Aladdin (kurz für: Asset, Liability, and Debt and Derivative Investment Network) wertet ständig die Entwicklung von Vermögenswerten auf der ganzen Welt aus, entwirft Entwicklungsmodelle für Krisenszenarien, versucht dadurch Kursentwicklungen vorherzusagen usw. Dies verstärkt die Vormachtstellung BlackRocks als Anbieter von Finanzdienstleistungen, die die Konkurrenz nicht bieten kann. Doch lassen sich aus den von Rügemer angeführten Punkten wirklich derart weitreichende Schlussfolgerungen bezüglich einer „Weltherrschaft“ einzelner Fondsgesellschaften ableiten?

Sehen wir uns zuerst an, wodurch die großen Vermögensverwalter ihre Profite realisieren.

Als „Herzstück des Geschäfts“ von BlackRock wird der Handel mit ETFs (exchange-traded funds) der Eigenmarke iShares bezeichnet. BlackRock ist der weltweit führende Händler mit ETFs und diese repräsentieren ein Drittel des von BlackRock verwalteten Vermögensxxv. Worum handelt es sich dabei? ETFs sind börsengehandelte Indexfonds. Das bedeutet, dass ihre Preisentwicklung nicht den Börsenkurs z.B. eines einzelnen Unternehmens abbildet wie eine Aktie, sondern die eines Indexes wie z.B. des DAX. Steigt der DAX, steigt automatisch der Preis des ETF. Anders als andere Fonds, um die sich ein Fondsmanager kümmert, um die Renditen zu maximieren, werden ETFs nicht aktiv gemanagt (d.h. es werden keine Aktien aus dem Fonds verkauft oder neue gekauft, um bessere Renditen zu erzielen). Eine Einmischung in die Unternehmenspolitik der Konzerne findet in der Regel dabei nicht statt. Anders als aktive Fonds erheben ETFs daher nur sehr niedrige Gebühren und werfen unterm Strich daher mehr Rendite ab, was ihre zunehmende Beliebtheit unter Investoren erklärt.

Etwa 55% der von BlackRock verwalteten Vermögenswerte sind Aktienxxvi. Auch bei diesen ist der Anreiz für BlackRock, sich aktiv in die Unternehmenspolitik der Konzerne einzumischen, deren Aktien gehalten werden, relativ gering. Ziel der Fondsgesellschaften ist die Maximierung der Renditen, des Shareholder Value. Dazu kann es zwar mitunter sinnvoll sein, wenn bei den größten und wichtigsten Unternehmen Einfluss auf wichtige Entscheidungen genommen wird. Entsprechende Berichte gibt es auch, wo BlackRock-Chef Larry Fink z.B. entscheidenden Einfluss auf die Personalpolitik der Führungsetagen von Deutscher Bank und Lufthansa genommen haben sollxxvii. Eine systematische, flächendeckende Einflussnahme ist damit trotzdem nicht beabsichtigt, da sie erhebliche Kosten bedeuten würde. „Denn warum Geld für etwas ausgeben, wofür man von seinen Anlegern weder beauftragt noch bezahlt wird? Groß wurden Blackrock und Co. Schließlich als günstige, passive Anbieter. Rund drei Viertel der verwalteten Mittel von rund 13.000 Milliarden US-Dollar von Blackrock, Vanguard und State Street stammen aus strikt passiven Mandaten: Die Anleger hätten gerne für geringe Gebühren die Kursentwicklung bekannter Indizes wie dem Dax oder dem MSCI World abgebildet.“xxviii

Eine flächendeckende Einflussnahme ist mit der Anlagestrategie von BlackRock und anderen institutionellen Investoren auch nicht möglich, denn diese besteht darin, das Investment möglichst zu diversifizieren, also in möglichst vielen Unternehmen kleine Anteile zu halten, um eine möglichst sichere Rendite abzuschöpfen. So lagen die Beteiligungen von BlackRock an den 30 DAX-Unternehmen 2018 zwischen 1,5 und 8,3% und betrugen 4,5% des DAX insgesamtxxix. Zusammengenommen sind das enorme Summen an Kapital. Für eine effektive Kontrolle der DAX-Konzerne reichen sie aber bei Weitem nicht aus und ein „Souveränitätsverlust“ der deutschen Bourgeoisie gegenüber den USA lässt sich daraus auch sicherlich nicht ableiten. In einem Kommentar heißt es: „solche Beteiligungen ergeben sich quasi wie von selbst, wenn Finanzdienstleister Aktienmärkte weltweit abbilden. Mit seinen wenigen Prozentpunkten ist Blackrock jedoch weit entfernt von der Sperrminorität über 25 Prozent – wie sie einst die Deutsche Bank zu nutzen wusste.“. Und: „Die Investoren hinter Blackrock suchen Rendite, nicht Machtspielchenxxx. „BlackRocks Einfluss ist geringer als vielfach angenommen, weil die Kapitalanteile auf viele Fonds verteilt sind, von denen eine große Anzahl gar nicht aktiv verwaltet werden, sondern passiv Aktienindizes folgen. Dass der Konzern wie ein aktivistischer Investor eingreift, ist eine Seltenheit.“xxxi

Ein Aktionär, der 10% der Stimmrechte aus Aktien überschreitet, muss nach dem deutschen Wertpapierhandelsgesetz dem die Aktien emittierenden Unternehmen gegenüber eine Erklärung darüber abgeben, welche Ziele mit der Investition verfolgt werden, d.h. konkret ob es allein um Renditen oder die Ausübung strategischer Kontrolle geht, ob der Erwerb weiterer Anteile geplant ist und Einflussnahme auf die Besetzung von Gremien des Unternehmens ausgeübt werden sollxxxii. Die Gesetzgebung geht also erst ab einer Schwelle von 10% von einem Anteil aus, der potenziell für eine strategische Einflussnahme ausreicht. Bezeichnenderweise erreicht BlackRock in keinem einzigen DAX-Unternehmen diese Schwelle – weil es offensichtlich gar nicht um strategische Kontrolle geht, sondern um die Teilhabe an den Profiten dieser Unternehmen.

Die Investoren bei BlackRock sind zu über 60% andere institutionelle Anleger, also Investmentbanken und Investmentfonds, Pensionsfonds, Stiftungen, Versicherungen usw. Für eine aktive Einmischung in die Geschäftspolitik der Unternehmen reicht auch das Personal des Konzerns bei Weitem nicht aus: Etwa 2500 Berater stehen Beteiligungen an 17.000 Unternehmen gegenüberxxxiii. Das wären pro Jahr über 160.000 Anträge auf Aktionärs- und Gläubigerversammlungen, über die abgestimmt werden muss. Die Gesamtzahl der mit diesen Aufgaben betrauten hauptberuflichen Mitarbeiter lag laut einer Erhebung Ende 2017 nur bei 65 Personen – bei der größten Fondsgesellschaft der Weltxxxiv.

Das Gewicht BlackRocks und vergleichbarer Gesellschaften als Anbieter von Finanzdienstleistungen wie Risikoanalyse ist ebenfalls sehr relevant. Es belegt allerdings nichts anderes, als dass BlackRock eins der wichtigsten Monopole für diese Art Dienstleistungen ist. Eine Kontrolle über die Unternehmen, die diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen, ergibt sich daraus nicht. Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass BlackRock bei Finanzberatungen für Unternehmen deren Entscheidungen systematisch und einseitig im Sinne eigener Geschäftsinteressen steuert – derartige Aktivitäten wären einigermaßen durchsichtig und würden dem Ruf von BlackRock als Finanzdienstleister schaden.

Ähnlich verhält es sich mit der Miteigentümerschaft an den Rating-Agenturen: Die (anscheinend bei Rügemer implizierte) Annahme, dass BlackRock einen bedeutenden Einfluss auf die Ratings nehmen könnte und damit den Unternehmen, an denen es Anteile hält, zusätzliche Vorteile zu verschaffen, ist kaum überzeugend. Wäre es so einfach, die Ratings der Agenturen im eigenen Sinne zu beeinflussen, indem man sich deren Anteile einkauft, dann würden die meisten Staaten und großen Unternehmen dies tun. Es ist aber nicht so, dass Rating-Agenturen ihre Bewertungen einfach willkürlich verteilen können. Eine solche Rolle wäre für den Kapitalismus hochgradig dysfunktional und würde das Vertrauen in die Ratings und damit letzten Endes auch ihren Sinn massiv untergraben. In der EU beispielsweise unterliegen die Rating-Agenturen deshalb strengen Regulierungen. Nach der Verordnung EG Nr. 1060/2009 müssen sie für jedes Rating offenlegen, auf welchem Weg sie dazu gekommen sind und müssen bei Verstößen Schadensersatz zahlen. Die Agenturen finanzieren sich teilweise durch Gebühren, die ihren Kunden entrichtet werden. Allerdings steht drei großen Rating-Agenturen eine riesige Anzahl von Firmen gegenüber, die auf die Ratings angewiesen sind, sodass es wenig wahrscheinlich, dass ein Unternehmen, das unzufrieden mit seinem Rating ist, durch seine Abwendung von einer der Agenturen großen Druck ausüben könnte. In der EU kommt hinzu, dass nach der Kapitaladäquanzverordnung alle Banken verpflichtet sind, Ratings einzuholen und somit gar nicht damit drohen können, den Agenturen als Kunden abzuspringenxxxv. Auch die Erfahrung zeigt letztlich, dass Up- und Downgrades grundsätzlich dem Verlauf der ökonomischen Konjunktur und den Erwartungen an das Geschäftsklima (die natürlich auch von politischen Ereignissen beeinflusst wird) folgen. Direkte Einflussnahmen im eigenen Interesse wären auch hier geschäftsschädigend.

Indem Rügemer diverse „Einflussfaktoren“ aufzählt, zeichnet er ein Bild, das nicht per se falsch ist. Indem er aber nicht im Detail die Frage stellt, wie groß und wie absolut der Einfluss tatsächlich ist, der sich aus diesen unterschiedlichen Elementen ergibt, bleibt es bei einem diffusen Bild, das offensichtlich den Eindruck einer enormen, präzedenzlosen und nahezu unanfechtbaren Macht hinterlassen soll. Dies entspricht aber eindeutig nicht den Tatsachen.

Weshalb sind all diese Fakten über BlackRock überhaupt wichtig? Sie sind es, weil in der Imperialismusdebatte inzwischen wieder die Vorstellung eines „Superimperialismus“ kursiert, der von den USA bzw. einer Handvoll Akteure der Wall Street in einer strengen Top-Down-Hierarchie beherrscht wird und tendenziell die ganze Welt zu „Vasallen“ des US-Kapitals machen würde. Diese vermeintliche Alleinherrschaft wird nicht konkret belegt, sondern diffus anhand eines Geflechts von Instrumentarien behauptet, deren wirkliches Gewicht als Herrschaftsinstrumente aber nicht genau evaluiert wird.

„Superimperialismus“-Vorstellungen waren bereits in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg anzutreffen und auch damals schon falsch, da sie vor allem die eigene Rolle des westeuropäischen und japanischen Kapitals, aber auch die Bourgeoisien anderer Länder unterschätzten. Heute sind sie mehr denn je Ausdruck einer extrem einseitigen, verkürzten und falschen Betrachtungsweise, die erstens einen einzelnen Aspekt der Realität – die Beteiligungsverhältnisse des monopolistischen Finanzkapitals – als den vermeintlich einzig relevanten herausgreifen und damit andere Faktoren, die die Rangordnung im imperialistischen Weltsystem in ihrem Zusammenspiel bestimmen, ignorieren. Als solche Faktoren wären z.B. zu bedenken: Wertschöpfung in den strategisch wichtigen Industrien, Verfügung über wichtige Ressourcen, Verfügung über Devisenreserven, Leitwährungen und Reservewährungen, Positionierung innerhalb zwischenstaatlicher Bündnisse, Stärke in den verschiedenen militärischen Disziplinen usw. usf.

Zweitens beruhen solche Allmachtsmythen auf einer unrealistischen Vorstellung vom Finanzkapital in seiner heutigen Form. Zur Verdeutlichung ein paar Sätze über die Veränderungen finanzkapitalistischer Herrschaft in Deutschland in den letzten Jahrzehnten: In der BRD herrschte bis in die 90er das Modell der sogenannten „Deutschland AG“, das durch enge Kapitalverflechtungen innerhalb des bundesdeutschen Finanzkapitals und Cluster der Konzerne um die Großbanken herum (v.a. die Deutsche Bank, in den 90ern auch die Allianz) gekennzeichnet war. Diese Verflechtungen waren zum einen gegenseitige Kapitalbeteiligungen unter den großen Konzernen, zum anderen aber auch personelle Verflechtungen durch Aufsichtsratsmandate. Diese Konstellation wurde im Verlauf der 1990er und um die Jahrtausendwende weitgehend aufgelöst. Mitte der 2000er Jahre hatte die Deutsche Bank kaum noch Beteiligungen an der Großindustrie, war keineswegs mehr der Knotenpunkt eines Netzwerkes und hatte ihre Verknüpfungen zunehmend gelockert. Grund dafür war eine veränderte Ausrichtung der Deutschen Bank und anderer finanzkapitalistischer Großakteure weg von der langfristigen strategischen Kontrolle, hin zu diversifizierten und flexiblen Beteiligungen mit dem Ziel größtmöglicher Renditenxxxvi. Der Zufluss ausländischen Kapitals war dafür durchaus willkommen, dementsprechend erhöhte sich der ausländische Anteil am DAX 2001-2013 von 36% auf 55%xxxvii. All das bedeutet nicht, dass den Kapitalisten heute die dauerhafte Kontrolle über Konzerne gleichgültig geworden wäre, wie die bemerkenswert stabilen Anteile vieler Ankeraktionäre der DAX-Unternehmen bezeugen. Es zeigt aber, dass das Finanzkapital in einem weitaus höheren Maße als früher auf die reine Verwertung mit größtmöglichem Profit aus ist, gleichgültig wo dieser herkommt.

Doch zurück zu den US-amerikanischen Vermögensverwaltern: BlackRock als der größte der Vermögensverwalter verwaltete Ende 2021 Vermögen im Wert von etwa 10 Billionen US-Dollar. Das ist eine gigantische Summe, die etwa dem kombinierten BIP von Japan, Deutschland und Spanien entspricht. Damit verwaltet die Gesellschaft 8% des weltweiten Vermögens – eine enorme Konzentration von Kapital. Doch kann man daraus eine weltbeherrschende Rolle dieses Finanzkonzerns selbst ableiten? Wie bereits gezeigt, handelt es sich ja um fremde Vermögen, die von BlackRock – zu einem großen Teil passiv – in Anlagen rund um den Globus verteilt werden. Die letztendliche Verfügungsgewalt liegt nicht bei BlackRock, sondern einerseits bei den Eigentümern dieses Kapitals, an die auch der absolute Großteil der Renditen zurückfließt und andrerseits bei institutionellen Anlegern und Banken, die das bereits gesammelte Kapital über BlackRock anlegen. Eigentümer bleiben weiterhin Menschen mit Namen und Adressen (auch wenn diese aufgrund der Geheimnistuerei eines Teils der Kapitalistenklasse nicht immer in Erfahrung zu bringen sind). Es sind also in der Regel nicht anonyme, unpersönliche Institutionen, die sich den gewaltigen, von der globalen Arbeiterklasse produzierten Reichtum aneignen, sondern die Millionäre, Multimillionäre und Milliardäre dieser Welt. Wenn diese in Hong Kong, Singapur, Qatar, Paris oder Tokio ansässig sind, aber ihr Finanzvermögen über einen US-amerikanischen Vermögensverwalter anlegen lassen, ändert sich dadurch nicht die „Nationalität“ dieses Kapitals – es gehört ja weiterhin Kapitalisten aus diesen Ländern. Es stärkt natürlich aber die zentrale Rolle US-amerikanischer Banken und Investmentgesellschaften im globalen Kapitalverkehr und damit auch die Stellung der USA an der Spitze des imperialistischen Weltsystems.

Die Bilanzsumme von BlackRock selbst, also die Summe des Gesamtkapitals dieses Unternehmens liegt laut dem Portal Statista „nur“ bei 152,6 Mrd. US$ – also gerade einmal bei 1,5% der oben genannten zehn Billionen. Damit ist BlackRock immer noch ein gewaltiger Monopolkonzern, aber im Vergleich zu US-amerikanischen Konzernen wie Apple Walmart, Amazon, dem saudischen Ölkonzern Saudi Aramco oder chinesischen Monopolen wie State Grid, China National Petroleum und Sinopec keiner der ganz großen „Fische“.

Die großen Vermögensverwalter sind gewissermaßen „Flaschenhälse“ beim internationalen Kapitalverkehr, da die Beteiligungsverhältnisse zu einem großen Teil über sie laufen. Damit haben sie strukturell eine zentrale Rolle im kapitalistischen Weltsystem inne. Ein guter Grund, andere Monopole und auch andere Länder deshalb in der Analyse zu vernachlässigen, ist das jedoch keineswegs. Der Blick auf die größten „Fortune 500“-Unternehmen, wie ich ihn in meinem Artikel „Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen“ versucht hatte, verrät über die tatsächliche Rangordnung der Kapitalisten der Welt und die Positionierung der verschiedenen Länder auf den Stufen dieser Rangordnung sicherlich sehr viel mehr als Phantastereien über die Weltherrschaft einzelner Finanzkonzerne.

Der wesentliche Charakterzug des heutigen Kapitalismus, der darin seinen Ausdruck findet, ist die Herrschaft des monopolistischen Finanzkapitals. Diese darf man sich nicht so vorstellen, dass es eine strikte Top-Down-Hierarchie gibt, wo die großen Finanzmonopole Eigentümer der kleineren sind. Vielmehr bildet das Finanzkapital ein weit gespanntes Netzwerk gegenseitiger Beteiligungen, wobei diese Beziehungen natürlich auch asymmetrisch strukturiert sind – eben im Sinne ungleicher gegenseitiger Abhängigkeiten (s.u.). Das Beteiligungssystem dient dabei der Mobilisierung von liquiden Kapitalmassen, die weit über das verfügbare Eigenkapital der Firma hinausgehen.

Der Aufstieg der Kapitalorganisatoren wie BlackRock, Vanguard, State Street ist nur vom Volumen her, nicht aber von der Qualität her etwas Neues. Dass zunehmend große Anteile der größten Unternehmen in der westlichen Hemisphäre von institutionellen Investoren (überwiegend aus den USA und Großbritannien) gehalten werden, ist keine ganz neue Entwicklung (sie vollzieht sich bereits seit den 1980ern massiv) und Vermögensverwalter sind nicht mehr als eine Unterart dieser institutionellen Investoren, die aufgrund ihres breitestmöglich aufgestellten Geschäftsmodells besonders große Massen an Anlagekapital bei sich konzentrieren. Auch die institutionellen Investoren waren jedoch nichts völlig Neues, sondern letztlich nur ein Auswuchs des finanzkapitalistischen Beteiligungssystems, das schon Hilferding beschrieb. „BlackRock & Co.“ kanalisieren nun einen erheblichen Anteil der weltweiten Finanzvermögen über das Beteiligungssystem in die Mehrwertproduktion, was vorher auf eine größere Zahl von Banken aufgeteilt war. Wenn Rügemer nun so tut, als wäre im 21. Jahrhundert oder seit der Krise von 2008 eine völlig neue Form des Kapitalismus entstanden, so entspricht das nicht den Tatsachen.

Einer der größten institutionellen Investoren, die große Anteile an Unternehmen der europäischen Börsen halten, ist auch der norwegische Staatsfonds Government Pension Fund of Norway. Dieser kanalisiert die Einnahmen aus dem Ölgeschäft in kapitalistische Geschäfte auf der ganzen Welt und ist mit knapp 1,2 Bio. US$ (Stand 2020) der größte Staatsfonds der Welt. Er hält relevante Anteile an globalen Monopolen wie UBS, Crédit Suisse, Shell, Nestlé, Adidas, Unilever, der Deutschen Post, BNP Paribas, Enel, der Allianz, Total, Siemens usw. – im Durchschnitt 1,3% des Anlagekapitals aller börsennotierten Firmen der Weltxxxviii. Anders als die Vermögensverwalter kauft der norwegische Staatsfonds diese Anteile mit eigenem Kapital, das aus dem Verkauf des Erdöls stammt.

Zu den größten institutionellen Investoren gehört des Weiteren der japanische Government Pension Investment Fund, der mit ca. 1,6 Bio. US$ der größte Rentenfonds der Welt ist. Als Selbstverwaltungskörperschaft untersteht er letztlich dem japanischen Staat, agiert aber wie ein Privatunternehmen. Weitere Riesen auf dem Gebiet sind der Pension Service of Korea aus Südkorea mit 637 Mrd. US$, der US-amerikanische FRT und der niederländische ABP mit 600 bzw. 523 Mrd. US$xxxix. Die drei chinesischen Gesellschaften China Investment Corporation, SAFE Investment Company und National Council for Social Security Fund verwalteten 2020 zusammengenommen ein Kapital von etwa 1,7 Bio. US$, wobei noch ein weiterer zu Hong Kong gehöriger Staatsfonds mit einem Volumen von über 500 Mrd. US$ zu berücksichtigen ist, also insgesamt eine Summe von ca. 2,2 Bio. US$. Es gilt des Weiteren auch für Singapur (zwei große Staatsfonds mit einem kombinierten Kapital über 800 Mrd. US$) und die Golfmonarchien Saudi Arabien, Qatar, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate (zusammengenommen ein Kapital von über 1,7 Bio. US$)i. Bei einigen dieser Staatsfonds ließe sich viel eher als bei Vermögensverwaltern wie BlackRock argumentieren, dass es sich hierbei um Instrumente der Bourgeoisie eines Landes zur Ausübung effektiver und dauerhafter Kontrolle handelt – und tatsächlich ist es so, dass diese Fonds teilweise auch im weiteren Sinne politischen Zwecken dienen (beispielsweise beschweren sich westliche Unternehmen und Regierungen regelmäßig darüber, wie China sich in Unternehmen einkauft, um Wissen über Technologien zu gewinnen, das wiederum der nationalen kapitalistischen Entwicklungsstrategie Chinas dient).

Größter institutioneller Investor in Deutschland ist mit Abstand die Allianz Lebensversicherungs-AG mit 302 Mrd. € (aktuell etwa 304 Mrd. US$)xl. BlackRock verwaltet nach eigenen Angaben etwas mehr als ein Drittel dieser Summe (110 Mrd. € bzw. 111 Mrd. US$) von deutschen Klientenxli. Das Gewicht von US-amerikanischen institutionellen Investoren auf dem Kapitalmarkt ist ohne Zweifel enorm. Von einer im absoluten Sinne weltbeherrschenden Rolle dieser Akteure oder gar nur einzelner Investoren wie BlackRock zu sprechen, ist allerdings eine starke Übertreibung, die der Realität nicht gerecht wird. Die eigenständige und ebenfalls überaus bedeutende Rolle institutioneller Anleger aus China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Südkorea, Italien, Norwegen, den Niederlanden und den Golfmonarchien, um nur die größten zu nennen, ist nicht zu leugnen.

Wer die Beteiligungsverhältnisse für den einzigen oder entscheidenden Faktor hält, nach dem sich die Rangordnung der Länder im imperialistischen Weltsystem bestimmt, dann würden nach den USA (und China) u.a. Länder wie Norwegen, Qatar oder die Vereinigten Arabischen Emirate an der Spitze dieses Systems stehen – eine absurde Auffassung, die als Hinweis darauf dienen mag, dass die Rangordnung zwischen den kapitalistischen Ländern auf sehr viel komplexere Weise zustande kommt bzw. von wesentlich mehr Faktoren abhängtxlii.

So wie auch die Welt der Staaten stehen auch die Kapitalgruppen verschiedener Länder (natürlich sofern es sich nicht um unselbstständige Tochterfirmen handelt) in einem Verhältnis asymmetrischer gegenseitiger Abhängigkeit. Darin spielen die Kapitalorganisatoren à la BlackRock zweifellos eine führende Rolle. Das bedeutet aber nicht, dass sie im Alleingang die Weltwirtschaft oder ganze Länder kontrollieren könnten; es bedeutet auch nicht, dass kleinere Finanzkapitalisten in diesem System nur als „Opfer“ und Unterworfene vorkämen, die keine aktive Rolle spielen könnten.

Der Vorstellung, dass das Kapital durch die Internationalisierung der Investitionen seinen nationalen Charakter verliere (wie es z.B. Rügemer, Hardt/Negri und viele andere Autoren behaupten), liegen letztlich auch falsche staatstheoretische Annahmen zugrunde. Der Nationalstaat wird durch Kapitalverflechtungen nicht obsolet und verliert auch nicht an Bedeutung. Im Gegenteil geht die zunehmende globale Vergesellschaftung des Kapitals mit einer ebenfalls zunehmenden Krisenhaftigkeit einher, was zunehmende Anforderungen an die Kapazität des bürgerlichen Staates zur Regulierung und Kriseneindämmung stellt. Das bedeutet nicht zwingend eine immer weiter steigende Staatsquote oder zunehmende staatliche Beteiligungen an kapitalistischen Unternehmen, wie in der Vergangenheit einige Autoren annahmen. Eher bedeutet es den Ausbau der staatlichen Interventionsfähigkeit in die Ökonomie.

Diese herausragende Rolle der Nationalstaaten wiederum bedeutet aber, dass die Bourgeoisie sich zwangsläufig und trotz ihrer immer globaleren Strategien und Betätigungsfelder in Anbindung an den kapitalistischen Staat, in diesem und um ihn herum organisiert, koordiniert und Entscheidungen trifft. Selbst in der Europäischen Union, dem einzigen Beispiel, wo wirklich in großem Maße Staatsfunktionen auf eine supranationale Ebene verlagert wurden (bis hin zur Währungspolitik), tritt die Bedeutung des Nationalstaates in der Krise wieder verstärkt hervor und äußert sich in verschärften Konflikten entlang der nationalen Grenzen des Kapitals: Zwischen Frankreich, Italien und Deutschland, den nördlichen und südlichen Mitgliedsländern, in der Entscheidung Großbritanniens zum Austritt aus der EU usw. Auch die EU hat sich erneut als ein imperialistisches Bündnis von Nationalstaaten erwiesen, deren Mitglieder im Prinzip jederzeit dieses Bündnis aufkündigen können – wenn sie bereit sind, die ökonomischen und politischen Kosten für die Vorteile des Austritts in Kauf zu nehmen.

Dabei ist es selbstverständlich richtig, darauf hinzuweisen, dass schwächere Länder aufgrund ihres schwächer entwickelten Kapitals und allgemein geringeren Machtressourcen begrenztere Handlungsoptionen haben als die reichsten und dominierenden Länder. Dabei können auch Formen von Erpressung eine Rolle spielen. Natürlich fanden z.B. die Verhandlungen über die Bailout-Kredite während der Krise in Portugal oder Griechenland keineswegs auf Augenhöhe statt; vielmehr handelten vor allem die deutsche und französische Regierung bestimmte Bedingungen aus, die den hoch verschuldeten Staaten dann unterbreitet wurden. Doch die Entscheidung, diese Bedingungen anzunehmen, anstatt aus der Eurozone auszutreten, die Schulden einseitig zu streichen, Kapitalverkehrskontrollen einzuführen usw. lag immer noch bei den Regierungen in Lissabon und Athen. Außerdem sind auch die schwächeren Mitgliedsländer freiwillig (und meistens geradezu euphorisch) im Interesse ihrer eigenen Bourgeoisie sowohl der EU als auch der Eurozone beigetreten und nicht, weil sie mit Gewalt dazu gezwungen worden wären. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Beispielen: Die mexikanische Bourgeoisie war nicht gezwungen, dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA beizutreten, sie tat es auf Grundlage der erwarteten Vor- und Nachteile dieses Abkommens. Von „Zwang“ in einem engeren Sinne kann man hier nicht sprechen.

Auch hier sind also Analysen, die von absoluten Abhängigkeiten und Zwängen ausgehen, fehl am Platze und gehen an den Realitäten vorbei.

  1. Kompradorenbourgeoisie“ und „nationale Bourgeoisie“?

In der marxistischen Imperialismusanalyse gibt es seit jeher die Auffassung, dass nur eine kleine Minderheit der Länder der Welt imperialistisch seien und die Mehrzahl der Länder „abhängige“ und „unterdrückte“ Länder. Dieses Verständnis stützt sich darauf, dass Lenin sich in seiner Analyse bekanntlich auf eine internationale Ordnung bezog, die tatsächlich maßgeblich in die Kolonialmächte mit ihrem entwickelten Monopolkapitalismus einerseits und die Kolonien und einseitig abhängigen Länder mit einer höchstens embryonalen kapitalistischen Entwicklung andrerseits aufteilte. Die dogmatische Übertragung dieser konkreten Analyse auf die heutige Welt kann nur in die Irre führen und mit dieser Auffassung habe ich eine kritische Auseinandersetzung bereits an anderer Stelle versuchtxliii. Eng verbunden ist sie mit der Vorstellung, die Bourgeoisie der meisten Länder der Welt wäre eine sogenannte „Kompradorenbourgeoisie“. Insbesondere wird die russische Bourgeoisie in verschiedenen Beiträgen auf der Website der KO als eine solche bezeichnetxliv.

Die Diskussionen in der KO deuten darauf hin, dass nicht immer allen Beteiligten klar ist, was dieser Begriff eigentlich bedeutet. Deshalb wollen wir uns ansehen, woher der Begriff kommt, mit welchen Bedeutungen er belegt wurde und ob er für die Analyse des heutigen Kapitalismus brauchbar ist.

4.1) Zur Geschichte des Begriffs der „Kompradorenbourgeoisie“

Der Begriff „Kompradorenbourgeoisie“ stammt aus China und findet sich dementsprechend auch bei Mao Tse-tung. In China wurde mit dem portugiesischen Wort „comprador“ ein Zwischenhändler bezeichnet, „der als Mittelsmann im Handel Chinas mit dem Westen eine unersetzliche Rolle spielte. Er war ‚das Oberhaupt des chinesischen Personals einer ausländischen Firma (yanghang)‘, ‚rekrutierte die chinesischen Arbeitskräfte, beaufsichtigte und bezahlte sie‘, war ‚für die Beziehungen zur einheimischen Geschäftswelt zuständig‘, ‚gewann seinem yanghang chinesische Kunden, beurteilte ihre Kreditwürdigkeit, führte die Geschäftsverhandlungen mit ihnen und bürgte für ihre Zahlungsmoralxlv.

Mao schreibt dazu: „Im ökonomisch rückständigen und halbkolonialen China sind die Grundbesitzerklasse und die Kompradorenklasse völlige Anhängsel der internationalen Bourgeoisie, abhängig vom Imperialismus für ihr Überleben und ihr Wachstum. Diese Klassen repräsentieren die am meisten rückständigen und am meisten reaktionären Produktionsverhältnisse in China und behindern die Entwicklung seiner Produktivkräfte.“xlvi.

Es ist bedeutsam, wie Mao die Existenz einer Kompradorenklasse in China begründet sieht: In der ökonomischen Rückständigkeit (d.h. Chinas damaligem Entwicklungsstand in den Kinderschuhen der kapitalistischen Entwicklung und noch weit entfernt vom Übergang zum Monopolkapitalismus) und seiner Abhängigkeit als Halbkolonie. Neun Jahre später, 1935, nach der Annexion der Mandschurei durch Japan, schätzt Mao ein, dass China sich inzwischen auf dem Weg der Umwandlung von einer Halbkolonie in eine Kolonie befand. Der abhängige bzw. halbkoloniale Status des Landes führe nun dazu, dass selbst innerhalb der Kompradorenklasse eine Spaltung darüber entstehe, welche Position gegenüber dem ausländischen Imperialismus einzunehmen sei. Wichtig für die Bündnisstrategie der Arbeiterklasse sei die Existenz der Kompradorenklasse, weil in China – angesichts der Rückständigkeit des Landes und seiner noch ausstehenden bürgerlichen Entwicklung – die bürgerlich-demokratische Revolution erst noch stattfinden müsse: „Die Revolution von 1924-1927 war eine bürgerlich-demokratische Revolution, aber diese Revolution wurde nicht vollendet, sondern erlitt eine Niederlage. Die Agrarrevolution, die unter unserer Führung seit 1927 bis heute durchgeführt wird, ist ebenfalls eine bürgerlich-demokratische Revolution, wenn die Aufgabe dieser Revolution ist der Kampf gegen den Imperialismus und den Feudalismus, nicht aber gegen den Kapitalismusxlvii.

Bedeutsam ist auch, dass Mao nur selten von einer „Kompradorenbourgeoisie“, in aller Regel dafür aber allgemeiner von einer „Kompradorenklasse“ spricht. Dies ist kein Zufall, sondern Ausdruck davon, dass diese gesellschaftliche Gruppe wohl kaum den Charakter einer kapitalistischen Bourgeoisie hatte, sondern sich in Maos Beschreibungen an verschiedenen Stellen vorwiegend aus Staatsbürokraten, Militärführern, Grundbesitzern, reaktionären Intellektuellen und Wohlhabenden zusammensetzt, also eher aus dem Herrschaftspersonal des alten imperialen Chinas und seiner vorkapitalistischen Wirtschaftsweise bestand als dass wirklich von einer Kapitalistenklasse gesprochen werden könntexlviii. Ob es wirklich haltbar ist, diese Mischung aus gesellschaftlichen Gruppen, deren Gemeinsamkeit vor allem darin besteht, Ausdruck rückständiger Produktionsverhältnisse zu sein und mit dem Imperialismus im Bunde zu stehen, als „Klasse“ zu bezeichnen, ist eine andere Frage, die uns aber hier nicht interessieren soll.

Aus diesem Grund spricht Mao auch explizit davon, dass die Kompradoren die „am meisten reaktionären Produktionsverhältnisse“ repräsentierten. Dies wäre nicht der Fall, wenn es sich wirklich um Teile einer sich entwickelnden kapitalistischen Bourgeoisie handeln würde, denn diese wäre zumindest historisch fortschrittlicher gewesen als der auf außerökonomischen Gewaltverhältnissen beruhende Grundbesitz, der außerhalb der Städte Chinas dominierte.

An dieser Stelle ist nicht von Interesse, wie die Strategie und Taktik der KP Chinas in den 1920er und 30er Jahren sowie Maos Klassenanalyse des damaligen China aus heutiger Sicht einzuschätzen sind. Dies wären interessante und wichtige Fragen für die weitere Klärung, um eine vertiefte Einschätzung der maoistischen Strömung vornehmen zu können. Hier soll vorerst der Hinweis genügen, dass das von Mao entwickelte begriffliche Instrumentarium sich auf eine sehr spezifische historische Situation bezieht, nämlich die des halbkolonialen und erst ganz am Anfang der kapitalistischen Entwicklung stehenden China. Die Dekolonisierung, die die allermeisten ehemaligen Kolonien zu politisch eigenständigen Staaten gemacht hat, die Expansion des Monopolkapitalismus über die gesamte Erdkugel und der Aufstieg Chinas zu einer der führenden kapitalistischen Mächte des Planeten haben heute eine völlig andere Situation geschaffen, die es verbietet, diese Konzepte schematisch auf heute zu übertragen.

An dieser Stelle ist eine Erläuterung zum Begriff „Halbkolonie“ angebracht, der von Lenin oft verwendet wird und in der aktuellen Diskussion einige Verwirrung stiftet. Lenin nennt als Beispiele für diese Kategorie von Ländern immer wieder folgende drei: Die Türkei, Persien und China. Zur Erläuterung schreibt er: „Persien ist schon fast vollständig zur Kolonie geworden, China und die Türkei sind im Begriff, es zu werdenxlix. Wie waren die politischen Verhältnisse in diesen Ländern zum Zeitpunkt von Lenins Schrift? Persien beispielsweise war zu dieser Zeit nach dem Vertrag von St. Petersburg (1907) in Einflusszonen zwischen Russland und Großbritannien aufgeteilt, die unmittelbar in die Politik des Landes intervenierten und auf seinem Territorium Krieg gegen die Osmanen führten. Das Osmanische Reich war zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits im Zerfall begriffen, finanziell völlig im Würgegriff westlicher Banken und verlor innerhalb kurzer Zeit große Teile seines Territoriums an Italien und die Balkanstaaten. Am Ende des Ersten Weltkrieges fand tatsächlich eine Form der Kolonisierung durch die Entente statt, die nur durch den nationalen Aufstand unter Führung Mustafa Kemals verhindert wurde. Auch China wurde im 19. Jahrhundert mit kriegerischer Gewalt gezwungen, die Anwesenheit der europäischen und japanischen Kolonialmächte auf dem Kontinent und den Inseln zu akzeptieren und den zahllosen sogenannten „ungleichen Verträgen“ zuzustimmen, die den ausländischen Mächten sehr weitreichende Eingriffe in die nationale Souveränität ermöglichten (z.B. die Abtretung von Hongkong, Macao, der Mandschurei und weiterer Landesteile an die Kolonialmächte, die Aufgabe der Hoheit über die Zollpolitik, die erzwungene Öffnung für den britischen Opiumhandel, das ungehinderte Wirken christlicher Missionare usw. usf.). Wir sehen also: Lenin meinte mit „Halbkolonien“ keineswegs einfach Länder, die politisch unabhängig, aber ökonomisch in einer Abhängigkeit von den führenden imperialistischen Ländern stehen. Das wird ganz klar dadurch, dass Lenin wenig später Argentinien als „andere Form“ der „Übergangsformen“ zwischen Kolonialmächten und Kolonien bezeichnet und ausführt, dass Argentinien sich in starker finanzieller Abhängigkeit vom britischen Kapital befandl. Als „Halbkolonien“ bezeichnete er in zutreffender Weise lediglich solche Länder, die tatsächlich eine Zwischenform zwischen einer Kolonie und einem souveränen Staat darstellten. Lenin unterschied also bereits in einer Weltlage, die tatsächlich von der Zweiteilung zwischen Kolonialmächten und Kolonien gekennzeichnet war, bereits deutlich verschiedene Gruppen von Ländern: 1) Die Kolonialmächte mit einem entwickelten Monopolkapital. 2) Die von diesen abhängigen Länder, die aber (wie z.B. Portugal) durchaus eine eigenständige Politik betreiben konnten. 3) Die drei Halbkolonien Persien, China und Türkei. 4) Die Kolonien.

Die Kommunistische Internationale verwendet den Begriff „Kompradorenbourgeoisie“ auf ihrem VI. Weltkongress im Jahr 1928 ebenfalls. In den Kongressdokumenten ist zu lesen: „Die nationale Bourgeoisie in diesen kolonialen Ländern nimmt keine einheitliche Stellung gegenüber dem Imperialismus ein. Ein Teil dieser Bourgeoisie, in erster Linie der Handelsbourgeoisie, dient unmittelbar den Interessen des imperialistischen Kapitals (die sogenannte Kompradorenbourgeoisie). Sie verteidigt im großen und ganzen mehr oder weniger konsequent einen antinationalen, imperialistischen Standpunkt, der sich gegen die gesamte nationale Bewegung richtet, genau so wie die feudalen Verbündeten des Imperialismus und die besser bezahlten einheimischen Beamten.“li. Und: „Die verschiedenen einheimischen Kapitalisten sind allerdings infolge ihrer unmittelbaren Interessen größtenteils durch mannigfaltige Bande mit dem imperialistischen Kapital verknüpft. Der Imperialismus ist imstande, einen bedeutenden Teil dieser Bourgeoisie direkt zu kaufen, könnte sogar für einen noch größeren Teil als bisher eine gewisse Kompradorenstellung schaffen, die Stellung eines kommerziellen Vermittlers, eines subalternen Ausbeuters, eines Aufsehers über das versklavte Volk. Aber die Stellung des Sklavenbesitzers, des monopolistischen obersten Ausbeuters behält der Imperialismus sich selber vor.“lii.

In den Komintern-Dokumenten ist also klar von einer Kompradorenbourgeoisie statt allgemein von einer „Kompradorenklasse“ die Rede. Diese wird auch genauer bestimmt: Sie ist v.a. ein Teil der Handelsbourgeoisie, bezieht ihre Profite also aus dem Warenhandel, indem sie den Handel anderer Kapitalisten vermittelt und/oder subaltern die Arbeiter des Landes ausbeutet, d.h. unter dem Kommando eines fremden Kapitals steht und Aufseherpflichten für dieses übernimmt. Zudem wird klargestellt, dass es sich um kleines, nicht-monopolistisches Kapital handelt und nur der ausländische Imperialist über monopolistisches Kapital verfügt.

Am wichtigsten ist aber: Das Dokument spricht an mehreren Stellen klipp und klar von der Situation in einer Kolonie, also einem Land ohne jegliche politische Souveränität unter direkter fremder Beherrschung. Es geht eindeutig nicht um Länder, in denen der Kapitalismus sich bereits über sein embryonales Stadium hinaus entwickelt hat. Das alleine führt direkt zu der Frage, welche Relevanz dieser Begriff für die heutige Zeit, Jahrzehnte nach der fast völligen Dekolonisierung der Welt und in einem global entwickelten Kapitalismus überhaupt haben kann.

Wie wurde der Begriff seitdem weiterverwendet?

Eingang den akademischen Diskurs fand der Begriff der „Kompradorenbourgeoisie“ vor allem durch den Staatstheoretiker Nicos Poulantzas, der politisch der „eurokommunistischen“ Strömung zuzurechnen ist. Poulantzas analysierte in den 70ern die Krise der Diktaturen in Portugal, Griechenland und Spanien u.a. mit Blick auf die Konflikte zwischen den Kapitalfraktionen in diesen Ländern, wobei er vor allem zwischen der „Kompradorenbourgeoisie“ und der „inneren Bourgeoisie“ unterschied. Als „innere Bourgeoisie“ verstand er (monopolistische und nichtmonopolistische) Kapitalisten v.a. aus der Leichtindustrie, die zwar vom ausländischen Kapital abhängig seien, aber auch im Widerspruch zu diesem stünden, weil sie bei der Verteilung des Mehrwerts benachteiligt sind. Es handelt sich laut Poulantzas hier aufgrund der bestehenden Abhängigkeit vom Auslandskapital nicht um eine nationale Bourgeoisie, aber dennoch um eine Bourgeoisie mit eigenen Interessenliii. Deshalb, so Poulantzas, sei die „innere Bourgeoisie“ in Opposition zu den von den USA gestützten Diktaturen und für eine bürgerliche Demokratisierung gewesen, was sie zum Bündnispartner für die Kommunisten macheliv. Die „Kompradorenbourgeoisie“ dagegen wird definiert als eine Klasse „deren Interessen gänzlich denen des ausländischen Kapitals unterliegen und die gleichsam als direkter Vermittler für die Festsetzung und die Reproduktion dieses Kapitals in diesen Ländern fungiert“. Dies seien vor allem Banken und Handelsunternehmen, aber auch solche der Industrie, wofür er als Beispiel die griechischen Reedereien und Schiffskonstrukteure nennt. Die Kompradorenbourgeoisie stelle einen „Agenten“ des ausländischen Kapitals dar und hebe sich politisch durch die Unterstützung der Diktaturen hervorlv.

Hier sehen wir bereits eine erhebliche Bedeutungsverschiebung beim Begriff Kompradorenbourgeoisie, der schon erkennen lässt, wie problematisch dieser Begriff als Kategorie für die Analyse heutiger Verhältnisse ist. Poulantzas spricht hier nämlich nicht mehr von Kolonien, sondern von Ländern mit einem auch damals (in den 1960ern und 70ern) einigermaßen entwickelten Kapitalismus. Die Beispiele, die er für die „Kompradorenbourgeoisie“ anführt, sind z.T. eindeutig monopolistische Großkapitalisten (die griechischen Reedereien etwa dominieren seit Jahrzehnten und bis heute den weltweiten maritimen Handel). Wie dieses Verhältnis genau aussehen soll, das sie angeblich zu Knechten der ausländischen Monopole machen soll, erklärt Poulantzas nicht. Das macht seine Klassenanalyse äußerst zweifelhaft. Und die politische Konsequenz? Während es Mao und der Komintern noch darum ging, Bündnisse für den Kampf um die Dekolonisierung zu schmieden, wird bei Poulantzas auch in kapitalistischen Ländern die Bourgeoisie in einen reaktionären und einen tendenziell fortschrittlichen Teil unterteilt, der mit den Interessen der Arbeiterklasse (zumindest für eine bestimmte „Kampfetappe“) vereinbar sei. Es ist kein Zufall, dass Poulantzas politisch im Lager des offenen Opportunismus landete, nämlich der „eurokommunistischen“ (d.h. in Wahrheit letztlich antikommunistischen) Abspaltung von der Kommunistischen Partei Griechenlands. Denn die Vorstellung, die Arbeiterklasse eines kapitalistischen Landes könnte sich mit ihren Kapitalisten verbünden, bedeutet letzten Endes die Aufgabe des Klassenkampfes.

Für die Analyse von Kolonien oder Halbkolonien wie China in den 1930ern und 40ern mag die Kategorie der Kompradorenbourgeoisie also zutreffend sein oder auch nicht. Wenn wir aber über souveräne Staaten mit einem entwickelten Kapitalismus sprechen, muss ihre Aussagekraft sicherlich sehr infrage gestellt werden.

4.2) Die „Kompradorenbourgeoisie“ als Kategorie der Analyse entwickelter kapitalistischer Klassenverhältnisse

Es herrscht in der international geführten Imperialismusdiskussion teilweise ein so vulgäres Verständnis bestimmter Begriffe vor, dass in der Diskussion die „Kompradorenbourgeoisie“ mitunter einfach als Kapital mit dominierender ausländischer Beteiligung verstanden wird. In Wirklichkeit hat das eine mit dem anderen nicht das Geringste zu tun: Der Begriff „Kompradorenbourgeoisie“ bezeichnet keineswegs einfach ein kapitalistisches Unternehmen, das von ausländischem Kapital übernommen wurde. Kompradoren sind keineswegs einfach Gruppen des Kapitals, die mit dem ausländischen Kapital verbunden sind – denn diese Tatsache sagt noch nichts über das „wie“, also über die Qualität dieser Verbindungen aus. Der Begriff bezeichnet, wie aus oben dargestellter Begriffsgeschichte hervorgeht, eine bestimmte Funktion dieses Kapitals in der Akkumulation des Gesamtkapitals: Als Kompradorenklasse wurde eine gesellschaftliche Gruppe (nicht einmal hauptsächlich eine Bourgeoisie) bezeichnet, die allein die Akkumulation ausländischer Monopole vermittelt und dabei die „Brotkrumen“ des von den imperialistischen Monopolen produzierten Mehrwert abbekommt.

Beschreibt dies die Realität von Unternehmen in schwächeren kapitalistischen Ökonomien?

Das Kapital entwickelt sich überall auf der Welt nach denselben Gesetzmäßigkeiten. Es hat an der Wall Street keinen grundsätzlich anderen Charakter als in Indonesien oder in Russland. Eine Aktiengesellschaft aus Indien funktioniert im Prinzip genauso wie eine in den USA. Das Kapital indischer Milliardäre wird ebenfalls überall nach den besten Anlagemöglichkeiten suchen, die die größte Sicherheit und den größten Profit versprechen. Sein Ziel ist der eigene Profit, nicht der Profit von Kapitalisten in den USA oder Europa. Dabei existieren überall auf der Welt Einstiegsbarrieren, die den freien Fluss des Kapitals von einer Anlagesphäre in eine andere erschweren. Diese sind ein wesentlicher Grund für die Ungleichheit der Entwicklung des Kapitalismus, die ein grundlegendes Gesetz darstellt. Die ungleiche Entwicklung macht es unmöglich, dass es jemals zu dem von Kautsky imaginierten „Welttrust“ kommen kann, in dem alle Einzelkapitale aufgehoben werden. Die fortschreitende Konzentration und Zentralisation des Kapitals wird begleitet davon, dass immer wieder neue Kapitale entstehen und zum Teil selbst den mächtigsten Monopolen Konkurrenz machen können (auch wenn sie das lokal oder branchenmäßig begrenzt tun).

Überhaupt schließt die Herausbildung des Monopolkapitals eine Charakterisierung dieser Kapitale als Kompradorenbourgeoisie aus. Monopole sind Kapitalien, die mindestens im Rahmen ihres Nationalstaates, oft aber darüber hinaus, eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Die Stellung als Monopol impliziert, dass große Mengen an Mehrwert akkumuliert werden, die innerhalb der Branche, der sie entstammen, keine ausreichend profitträchtige Anlage mehr finden und daher danach drängen, andernorts investiert zu werden. Der Tätigkeitskreis des Monopolkapitals ist daher prinzipiell unbegrenzt (obwohl es natürlich auch für kleinere Monopole Eintrittsbarrieren gibt, die beispielsweise den Eintritt in Branchen mit sehr hohem Technologieanteil erschweren). Es expandiert in andere Branchen, in andere Länder, es entwickelt finanzkapitalistische Aktivitäten, durch die es (in Form von Zinsen, Dividenden, Spekulationsgewinnen usw.) Profite ohne den Umweg über die materielle Produktion realisieren kann. Solche Marktmacht, solche Verfügungsgewalt über enorme Kapitalsummen sind nicht vereinbar mit der völligen Abhängigkeit von ausländischen Monopolen, die den „Kompradoren“ zugeschrieben wird.

Das Monopolkapital kann letztlich also allein deshalb nicht Vermittler zwischen dem imperialistischen Kapital und dem Binnenmarkt eines nicht-imperialistischen, unterdrückten Landes sein, weil es selbst das Produktionsverhältnis des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus verkörpert. Die ahistorische Vulgarisierung der Begriffe, die willkürliche Anwendung von Begriffen mit völlig unpassendem und unklarem Bedeutungsinhalt spiegelt hierbei aber nur die Unmöglichkeit wider, für das Konzept der Kompradorenbourgeoisie, das aus dem semi-kolonialen Kontext Chinas stammt, eine Entsprechung unter den Bedingungen des entfalteten Monopolkapitalismus zu finden.

Diese ahistorische Anwendung des Begriffs „Kompradoren“ auf die heutige Zeit führt zu so absurden Behauptungen, wie dass die Kapitalistenklasse in Neuseeland, die traditionell eng mit den Monopolen der USA, Großbritanniens und Australiens verbunden war, jetzt aber zunehmend Geschäftsoptionen mit chinesischen Konzernen wahrnimmt, eine „Kompradorenbourgeoisie“ sei, die von der Abhängigkeit vom Westen hin zur Abhängigkeit von China umschwenkelvi. Man fragt sich, weshalb der Gedanke, dass Kapitalisten aus Neuseeland vielleicht aus ihrem ureigenen Profitinteresse ihre Geschäfte diversifizieren und dieses Vorgehen selbst Ausdruck einer imperialistischen Strategie sein könnte, anscheinend so schwerfällt.

Sicherlich: Wenn man krampfhaft danach sucht, wird man sicherlich Beispiele finden, wo ein Unternehmen in einem Land als Vermittler der Geschäfte ausländischer Konzerne auftritt. Ein Autohaus in Marokko, das die Fahrzeuge eines französischen Autokonzerns vertreibt, würde z.B. dieser Beschreibung entsprechen. Doch ergibt es nicht sonderlich viel Sinn, dieses dann als „Kompradorenbourgeoisie“ zu bezeichnen. Denn ob es als Teil einer organisierten „kompradoristischen“ Fraktion der Bourgeoisie auftritt, ob es überhaupt eine politisch organisierte Gruppe der Bourgeoisie gibt, die in diesem Sinne aktiv ist (als Interessenvertreter ausländischer Monopole) ist zweifelhaft und muss ggf. konkret belegt und nicht einfach nur behauptet werden.

Selbst wenn also nachgewiesen werden könnte, dass bestimmte Teile des Kapitals in Ländern auf einer niedrigeren Stufe der imperialistischen Rangordnung die Charakteristika einer „Kompradorenbourgeoisie“ aufweisen, dann könnten dies zwangsläufig nur kleinere Betriebe sein, deren Aktivitäten einen sehr beschränkten Radius haben und die unmittelbar an die Geschäfte der ausländischen Monopole (und nicht gleichzeitig auch der einheimischen Monopole) angedockt sind. Selbst wenn die Existenz solcher Teile der Bourgeoisie nachgewiesen werden könnte, müssten wir davon ausgehen, dass es sich um eine marginale Fraktion des Kapitals handelt, die niemals imstande sein kann, die politische Entwicklung des Landes zu kontrollieren. Andernfalls wäre es zumindest ein großes Rätsel, wie in einem Land, dessen Entwicklung sich im Stadium des Monopolkapitalismus befindet, nicht die ökonomisch stärksten Kapitale die Führung innerhalb der herrschenden Klasse und im Staatsapparat übernehmen können, sondern eine vergleichsweise marginale Gruppe von Kapitalisten, die zudem noch nicht einmal eine eigene Akkumulationsbasis im Land besitzen. Dass es einen solchen Fall gibt, konnte bisher noch niemand überzeugend darlegen.

Sehen wir uns an dieser Stelle beispielhaft und ausschnittsweise die Bourgeoisien einiger Länder mit schwächerer kapitalistischer Entwicklung an. Der Kapitalismus auf der Südhalbkugel muss noch tiefergehend analysiert werden. Ein besseres Verständnis darüber, inwiefern sich auch dort monopolkapitalistische Verhältnisse herausgebildet haben, können aber bereits folgende, mehr oder weniger zufällig herausgegriffene Daten schaffen:

  • Zum saudischen Staatsfonds wurde weiter oben schon geschrieben. Zudem ist der saudische Ölkonzern Saudi Aramco die größte Ölfördergesellschaft der Welt und streitet sich mit Apple und Microsoft um den Titel des (gemessen an der Marktkapitalisierung) größten Konzerns der Welt.
  • Die südafrikanische Standard Bank besitzt Filialen in Botswana, DR Kongo, Ghana, Kenia, Malawi, Nigeria, Südsudan, Tansania, Uganda, Sambia, Simbabwe, aber auch Großbritannien, Russland und der Türkeilvii. Die Marktkapitalisierung beträgt umgerechnet 23,5 Mrd. € (Stand 2018, Wechselkurs vom 1.1.2018). Die Bank gehörte 2021 zu knapp über 50% südafrikanischen Aktionären, wobei die ICBC aus China mit ca. 20% größter Einzelaktionär warlviii. Noch größer ist die Bankengruppe FirstRand mit Sitz in Johannesburg und einer Marktkapitalisierung von umgerechnet ca. 26 Mrd. €. Der Medienkonzern Naspers aus Kapstadt ist der größte Medienkonzern des afrikanischen Kontinents mit einem Volumen von 97 Mrd. €lix. FirstRand gehört zu mindestens 52% südafrikanischen Investoren, wobei weitere 11,7% der Eigentümer nicht bekannt sindlx
  • Die nigerianischen Zementkonzerne Dangote Cement und BUA Cement haben aktuell eine Marktkapitalisierung von über 11 Mrd. US$ und 5,8 Mrd. US$ respektivelxi. Es handelt sich um Transnationale Konzerne mit Operationen im Ausland. Beispielsweise betreibt Dangote Cement Fabriken in Äthiopien und Senegal, um den Zementbedarf in diesen und weiteren Ländern zu bedienenlxii. Zudem baut er seit 2016 im nigerianischen Lekki die weltgrößte Ölraffinerie. Der Konzern gehört zu 85% dem nigerianischen Milliardär Aliko Dangote, dem reichsten Mann Afrikas und auf Platz 130 der Weltrangliste der reichsten Menschenlxiii.
  • Die Walton-Gruppe aus Bangladesh hat eine Marktkapitalisierung von 3,7 Mrd. € und dominiert den heimischen Markt bei Elektro- und Elektronikproduktenlxiv. Walton kaufte 2022 drei prestigeträchtige italienische Elektromarken (ACC, Zanussi Elettromeccanica und VOE) auf mit dem erklärten Ziel, bis 2030 zu einem der größten Konsumelektronikproduzenten der Welt zu werdenlxv.
  • Der kolumbianische Ölkonzern Ecopetrol war 2012 die Nummer 346 auf der Liste der 500 weltgrößten Konzerne und ist einer der vier größten Ölkonzerne Lateinamerikas. Die Holding-Gesellschaft Grupo Aval mit Sitz in Bogotá ist mit Tochtergesellschaften in allen Ländern Zentralamerikas sowie in den USA vertreten, kontrolliert mehrere kolumbianische Banken und ist im Bereich Telekommunikation und Immobilien aktiv. Die Bank Bancolombia mit Sitz in Medellin verfügt über ein Jahreseinkommen von 7 Mrd. US$ (2016) und bietet Finanzdienstleistungen in zahlreichen Ländern Lateinamerikas, in Australien, den USA, Spanien, Sri Lanka und Malaysia anlxvi. Ecopetrol gehört zu über 88% dem kolumbianischen Staat, der Rest verteilt sich auf kolumbianische und ausländische Investorenlxvii. Bancolombia gehört zu 24,5% dem kolumbianischen Versicherungskonzern Suramericana de Inversiones, zu 23,2% kolumibanischen Rentenfonds und zu 18,1% kleineren Aktionären aus Kolumbienlxviii.
  • Auf den Philippinen spielt die SM Investment Corporation des 2019 verstorbenen philippinischen Milliardärs Sy Chi Sieng eine dominierende Rolle im Einzelhandel, Immobilien, Banking und Tourismus. Das zweitgrößte Unternehmen BDO Unibank gehört ebenfalls zur SM-Gruppe. Beide zusammen haben einen Marktwert von umgerechnet 29 Mrd. US$. Die BDO-Bank kaufte in den vergangenen Jahren zahlreiche Zweigstellen anderer Banken in den Philippinen auf, u.a. von der Deutschen Bank, Santander und der Citibank. Die sieben größten Monopole der Philippinen sind zusammengerechnet knapp 50 Mrd. US$ wertlxix.

Es versteht sich von selbst, dass diese Liste beliebig fortgesetzt werden könnte. Um welche Art von Kapital handelt es sich bei den genannten Unternehmen? Um monopolistisches Finanzkapital wie Lenin es beschreibt oder um eine Kompradorenklasse vergleichbar den Großgrundbesitzern und Mandarinen im China der 1930er Jahre? Oder in dem Sinne, wie die Komintern den Begriff verwendet, um nicht-monopolistische und subalterne Vermittler des Warenabsatzes ausländischer Monopole? Die Frage ist selbstverständlich rhetorisch. Es handelt sich offensichtlich um Monopole mit einer eigenständigen Kapitalakkumulation, die gleichermaßen in Industrie, Handel und Finanzwesen aktiv sind, die Arbeiterklasse des eigenen Landes ebenso wie die fremder Länder (oft sogar in den Zentren des imperialistischen Weltsystems) ausbeuten und ihre Interessen auf dieser Grundlage verfolgen. Auch die oft gehörte Behauptung, diese Unternehmen seien nur scheinbar unabhängig, würden sich aber in Wirklichkeit unter der Kontrolle des Kapitals aus den USA oder Europa befinden, erweist sich anhand der vorliegenden Daten als eindeutig falsch: Sie gehören (in allen Fällen, in denen Daten dazu verfügbar waren) Kapitalisten aus den Ländern, in denen auch ihr Geschäftssitz liegt. Ausländisches Kapital wird bei Bedarf über die Börse zur Stärkung der eigenen Operationen und Zentralisation des Kapitals angezogen, so wie es das Finanzkapital auf der ganzen Welt praktiziert. Zusammenfassend lässt sich bei diesen Monopolen absolut kein Wesensunterschied zu den Monopolkonzernen der führenden imperialistischen Länder wie Deutschland, China, USA usw. ausmachen. Die Unterschiede bestehen lediglich im Umfang der Geschäfte und des Kapitalexports.

Wenn nun einige Autoren von einer „Kompradorenbourgeoisie“ schreiben und damit in Wirklichkeit Monopole mit eigenen Profitinteressen meinen, dann ist das mehr als nur eine willkürliche und ahistorische Verzerrung eines Begriffs, der eigentlich einen fest definierten Inhalt hat. Es ist vor allem der Versuch, entgegen allen vorliegenden Tatsachen die Bourgeoisie willkürlich in zwei Gruppen zu unterteilen, um die Unterstützung bürgerlicher Parteien und Regierungen damit rechtfertigen zu können.

Bedeutet all das nun, dass das Kapital, auch das Monopolkapital eines schwächeren Landes unmöglich in einer Abhängigkeitsbeziehung vom ausländischen Kapital stehen kann?

Natürlich nicht. Der kapitalistische Weltmarkt ist überall von Abhängigkeitsverhältnissen durchzogen. Ebenso wie zwischen den Ländern gibt es auch zwischen den Kapitalen asymmetrische gegenseitige Abhängigkeiten: So ist beispielsweise der Autoproduzent in Baden-Württemberg von seinen Zulieferern abhängig und diese von ihm – wer in dieser Beziehung allerdings die Oberhand hat, wer die größere Macht zur Gestaltung der Einkaufspreise hat und die größeren Möglichkeiten, auf alternative Geschäftspartner umzusteigen, ist auch offensichtlich: Das kleine Kapital ist dem großen immer untergeordnet. Gleiches gilt grundsätzlich auch auf der Ebene des Monopolkapitals selbst: Ein kleineres, im Wesentlichen im nationalen Rahmen operierendes Monopol ist der internationalisierten Großbank, dem großen institutionellen Investor oder dem industriellen Großkonzern in der Hierarchie untergeordnet: Er ist deren größerer Macht zur Preisbildung ausgesetzt, von dessen Krediten abhängig, Teile seiner Aktien werden von größeren Investoren gehalten und möglicherweise wird es irgendwann von einem größeren Monopol aufgekauft. Als „Kompradorenbourgeoisie“ kann man es trotzdem nicht bezeichnen. Die Ungleichheit von gegenseitigen Abhängigkeiten, die Unterordnung der Schwächeren unter die Stärkeren ist ein universelles Charakteristikum der kapitalistischen Entwicklung. Diese Unterordnung ist aber immer relativ – sie ist wie in einer „Pyramide“ abgestuft, die Übergänge sind fließend und die Rangordnung ist veränderlich. Wäre dem nicht so, dann müsste es in der Tat auf der Welt nur eine winzige Handvoll Monopole geben, denen alle anderen Kapitale bedingungslos untergeordnet wären. Und es gäbe keine Chance, dass sich an dieser Rangordnung irgendwann etwas ändert. Dem ist aber offensichtlich nicht so: Die Rangordnung der Stärke der Monopole ist in ständiger Veränderung begriffen. Viele der weltweit größten Monopole spielten beispielsweise vor 20 Jahren nur eine randständige und untergeordnete (!) Rolle oder sie existierten noch gar nicht. Dies gilt beispielsweise für die heute gigantischen Monopole Chinas wie Sinopec, ICBC, China National Petroleum, Ping An, Huawei usw.

Alle Kapitale gehorchen, wie bereits gesagt wurde, grundsätzlich denselben Gesetzmäßigkeiten. Das erste Gesetz jeden Kapitals ist, dass es die Bewegung G-G‘ vollziehen muss – es muss sich verwerten, es muss das angelegte Kapital mit Profit wieder einnehmen. Für die Akkumulation des Kapitals müssen aus Sicht des Kapitals bestmögliche Bedingungen hergestellt werden: Lohnkosten müssen begrenzt werden, Steuern und Abgaben niedrig bleiben, Infrastruktur und Zugang zu Forschungsinstituten bereitstehen, der gesetzliche Rahmen kapitalfreundlich sein, Lobbyismus und der Zugang zum Staatsapparat möglichst barrierefrei, der Zugriff auf Ressourcen gesichert, der Eintritt in die Märkte anderer Länder notfalls erzwungen werden.

Dieses Gesetz mit all seinen Konsequenzen ist für den kleinen Kapitalisten ebenso gültig wie für den großen, für die Kapitalisten in schwächeren Ländern ebenso wie für die großen Investmentbanken in New York, London und Paris. Differenzen zwischen den Interessen der Kapitalisten verschiedener Branchen, zwischen Banken und Industrie, zwischen Monopolen und KMUs und entlang anderer Scheidungslinien existieren zweifellos zu allen möglichen Fragen. Beispiele dafür zu finden, fällt leicht: Die britische Bourgeoisie war gespalten über den Brexitlxx. Die deutsche und französische Bourgeoisie entzweite sich in den Diskussionen um die Krisenbewältigung in der EU an Fragen wie den Eurobonds (Gemeinschaftsanleihen der Eurozone) und der europäischen Wirtschaftsregierung. In Deutschland favorisierten in den letzten Jahren Teile der Monopolbourgeoisie eine Annäherung an Russland, andere wiederum das festere Bündnis mit den USA. Die Grundlage dafür ist jeweils das Interesse am Profit. Die Gründe, weshalb dieses Interesse – das allen Kapitalisten gemein ist – die Kapitalisten trotzdem in unterschiedliche Richtungen treiben kann, können im Prinzip alles Mögliche sein: Von geografischen Faktoren über die Abhängigkeit von bestimmten Ressourcen oder den monopolistischen oder nicht-monopolistischen Charakter eines Unternehmens bis zur hauptsächlichen Tätigkeit eines Monopols im Finanzsektor oder in der Industrie. Für die konkrete Analyse der Politik der Bourgeoisie sind diese Differenzierungen relevant. Was sich daraus aber sicherlich nicht konstruieren lässt, ist eine Unterscheidung der Bourgeoisie in „Imperialisten“ und „Kompradoren“.

Auch ist es natürlich richtig, dass manche Gruppen des Kapitals in ökonomisch schwächeren Ländern enger mit den führenden imperialistischen Zentren, insbesondere den USA verbunden sind als andere. Dies kann verschiedene Gründe haben, in der Regel gehen Kapitalverflechtungen und Handelsbeziehungen miteinander einher und sind geografisch ähnlich gelagert. Die enge Verbindung mancher Monopole mit dem US-Kapital ist also historisch gewachsen, weil sich in bestimmten Branchen durch diese Verbindung besonders hohe Profite erzielen ließen. Auch wenn diese Beziehungen asymmetrisch sein mögen, sind sie doch nicht zwangsläufig Beziehungen der Unterwerfung unter die USA. Die Kapitalisten gehen Bündnisse und Verflechtungen immer dort ein, wo sie einen Vorteil davon haben und lösen diese wieder auf, wenn der Vorteil verschwindet – durch eine solche Verbindung ändert sich aber nicht der Charakter des Kapitals, es wird dadurch nicht zum „Kompradoren“ und gewinnt nicht erst bei der Auflösung der Verbindung seine Eigenständigkeit.

Die politische Ausrichtung des Kapitals ist grundsätzlich reaktionär. Sie steht dem Interesse der Arbeiterklasse und der Volksmassen diametral feindlich gegenüber. Sie ist auf die Erhaltung der kapitalistischen Eigentumsordnung, die Intensivierung der Ausbeutung und die Eroberung neuer Geschäftsmöglichkeiten mit allen Mitteln, inklusive dem des Krieges ausgerichtet. Hierin stimmen die Kapitalisten trotz all ihrer sonstigen Differenzen überein. Gewisse Analysen, die etwa den Beitritt der südeuropäischen Länder zur EU und Eurozone darauf zurückführen, dass die herrschenden Politiker dieser Länder den imperialistischen Hauptmächten (in diesem Fall wohl Deutschland und Frankreich) „hörig“ seien und die Kapitalistenklasse dieser Länder nur aus „Kompradoren“ bestehe, entsprechen nicht der Realität. Damit wird verschleiert, dass das Kapital in diesen Ländern selbst ein Interesse an diesen Schritten hatte: Die kapitalistische europäische Integration verschafft auch vielen Kapitalisten der ökonomisch schwächeren Länder eine Reihe handfester Vorteile: Vom erleichterten Zugang zu ausländischen Märkten über den Zugriff auf stark verbilligte Kredite, stabilisierte Wechselkurse, eine starke Währung, um beispielsweise Unternehmen in Nicht-Euro-Ländern aufkaufen zu können bis hin zu einer breiten Palette an Instrumenten, um Sozialleistungen und Löhne kürzen zu können (Fiskalpakt, Europäisches Semester usw.).

Aus alldem folgt notwendigerweise: Unabhängig davon, wie wir diese Frage für die Vergangenheit einschätzen, im heutigen Kapitalismus gibt es keine „Kompradorenbourgeoisie“ mehr, jedenfalls nicht in einem irgendwie relevanten Maße. Genauso wenig gibt es eine „nationale Bourgeoisie“ in dem Sinne, dass es Kapitalisten gäbe, die nicht mit dem ausländischen Kapital verflochten sind und für eine „ökonomische Unabhängigkeit“ kämpfen und als Bündnispartner für die Arbeiterklasse infrage kommen könnten. Der Kampf für „ökonomische Unabhängigkeit“ bedeutet nichts anderes, als sich langfristig (d.h. faktisch strategisch) der Bourgeoisie des eigenen Landes zu unterwerfen und ihr Interesse an der Stärkung ihrer Position im imperialistischen System zu unterstützen. Dies bedeutet zwangsläufig, dass die Arbeiterklasse dazu bewegt wird, Opfer bei ihrem Lebensstandard hinzunehmen, um das Kapital des eigenen Landes zu entwickeln. Es bedeutet auch zwangsläufig, dass der Drang des eigenen Kapitals zur Überakkumulation, zum Kapitalexport und zur Ausbeutung der Arbeiter anderer Länder unterstützt wird. Deshalb handelt es sich letzten Endes um eine chauvinistische und konterrevolutionäre Position.

Jede vermeintlich „nationale Bourgeoisie“ folgt denselben Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung hin zum Monopol, zum Export und Import von Kapital, d.h. zur zunehmenden Verflechtung mit dem Kapital anderer Länder, zur Fäulnis und zum Parasitismus, zur Reaktion. Im heutigen Kapitalismus hat diese Entwicklung sich bereits überall vollzogen. Die Entfaltung der Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise hat einer Unterscheidung der Bourgeoisie in „nationale Bourgeoisie“ und „Kompradorenbourgeoisie“ schlicht die materielle Grundlage entzogen.

  1. Noch einmal zur russischen Bourgeoisie

Zur russischen Bourgeoisie im Allgemeinen, d.h. welche Unternehmen und Kapitalisten in Russland dominieren, wo Schwerpunkte ihres Auslandsgeschäfts liegen usw., habe ich in früheren Artikeln bereits einiges geschrieben. Für die Zwecke dieses Artikels ist es nicht nötig, dies weiter zu vertiefen. Es soll auch nicht wiederholt werden, sondern kann an entsprechender Stelle nachgelesen werdenlxxi.

Die Vorstellung einer einseitigen, verabsolutierten Abhängigkeit wird von Vertretern der revisionistischenlxxii Imperialismusauffassung nicht nur in Bezug auf Russland propagiert, sondern bildet den Kern ihres Imperialismusverständnisses mit allen problematischen Konsequenzen (tendenziell positive Einordnung der BRICS, Illusionen in Vorteile, die sich aus der „Multipolarität“ ergeben können, „der Kapitalexport macht die Produktivkraftentwicklung unmöglich“ usw.). Diese vulgär-dependenztheoretischen Positionen wurden im Allgemeinen bereits weiter oben und in anderen Artikeln von mir kritisiert. Hier wird nun der Fall Russland noch etwas besser beleuchtet, weil sich an ihm schließlich der Dissens entzündete.

Ist der russische Kapitalexport eine reine Schimäre?

Ein Problem der bürgerlichen Investitionsstatistiken besteht darin, dass durch die aggregierten Größen über den genauen Charakter und Zweck der Investitionen nichts ausgesagt wird. Grenzüberschreitende Direktinvestitionen (foreign direct investment, FDI) umfassen sowohl Investitionen in produktive Aktivitäten als auch sogenannte Kapitalflucht. Als Kapitalflucht wird die schlagartige Verlagerung von Kapital in eine andere Jurisdiktion bezeichnet, die keine produktiven (wertschöpfenden) Geschäftsaktivitäten bezweckt, sondern der Vermeidung von Steuern und Regulierung dient, oft als Reaktion auf eine plötzlich verschlechterte ökonomische Situation im Ursprungsland. In der Diskussion um den Charakter Russlands wird der imperialistische Charakter dieses Landes mit dem Argument bestritten, dass die aus Russland abfließenden Investitionen in Wirklichkeit eine Schimäre, also ein Trugbild seien, eine Art statistischer Effekt, der nichts mit dem Kapitalexport zu tun habe, den Lenin als ein entscheidendes Charakteristikum der imperialistischen Epoche verstand. Was ist dran an diesem Argument?

Zunächst einmal ist unbestritten, dass ein erheblicher Teil der aus Russland abfließenden FDI tatsächlich keine produktiven Investitionen bezweckt. Ebenso unbestritten sollte allerdings sein, dass dies eben nur für einen Teil der FDI gilt, während ein anderer Teil durchaus solche Investitionen ausdrückt. Schätzungen zufolge sollen etwa 70% der FDI aus Russland der Steuervermeidung dienen und 30% produktiven Investitionenlxxiii. Es ist bekannt, dass russische Investoren vor allem Zypern als Steueroase auserkoren haben, in die sie ihr Kapital verlagern.

Doch davon abgesehen sind hier ein paar Worte zum Charakter der sogenannten Kapitalflucht oder allgemeiner des Kapitalabflusses angebracht. Es scheint eine falsche Vorstellung zu geben, was mit dem „fliehenden“ Kapital passiert, nachdem es die Jurisdiktion seines „Heimatlandes“ verlassen hat. Verschwindet dieses Kapital einfach aus den globalen Finanzströmen? Wird es irgendwo geparkt und spielt für die Kapitalakkumulation keine Rolle mehr? Natürlich nicht. Untätiges Kapital hört auf, Kapital zu sein und Profit abzuwerfen, weshalb es aus Sicht des Kapitalisten ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Kapitalist ist eben kein Schatzbildner, der ohne Ziel und Zweck Geld der Zirkulation entzieht, um es anzuhäufen, sondern er investiert es, um immer zusätzlichen Wert in Form des Profits anzueignenlxxiv. Das „geflohene“ Kapital muss also ebenfalls diesem Ziel dienen, wenn auch unter Umgehung der tatsächlichen Mehrwertproduktion. Das ist allerdings nichts besonderes – denn wie wir oben gesehen haben, gibt es neben dem „ursprünglichen“ Kapitalkreislauf G-W-G‘, der sich aus der Produktion von Mehrwert speist, auch den Kreislauf G-G‘, bei dem nur Mehrwert angeeignet wird, der an anderer Stelle produziert wurde.

Einen solchen Kreislauf vollzieht auch das „geflohene“ Kapital. Es wird in sogenannte Offshore-Finanzplätze verlagert, entweder um dort angelegt zu werden, oder um in weitere Länder transferiert zu werden. Diese Operationen haben vor allem drei Ziele: Erstens um im Zielland größere Rechtssicherheit zu genießen (d.h. z.B. vor Enteignungen oder Strafzahlungen geschützt zu sein). Zweitens um Regulierungen durch die Behörden zu entgehen. Drittens um Steuerzahlungen zu vermeidenlxxv. Hinter diesen Operationen stehen vor allem Multinationale Konzerne, die dadurch beispielsweise in der EU pro Jahr schätzungsweise zwischen 50 und 200 Mrd. US$ vermeiden und in den USA mindestens 130 Mrd. US$. Weltweit wird der Umfang der Steuervermeidung der Monopolkonzerne mithilfe solcher Steueroasen auf 500-650 Mrd. US$ geschätzt. Etwa die Hälfte aller grenzüberschreitenden Finanztransaktionen läuft über Offshore-Finanzplätzelxxvi. Typisch für Offshore-Finanzzentren ist, dass das dort eingetragene Kapitals in Wirklichkeit in anderen Ländern fungiert und akkumuliert und vor allem aus juristischen Gründen dorthin verlagert wird. Sie verschleiern also Operationen, die in Wirklichkeit durchaus Kapitalexport sein können, oder aber auch sogenanntes „round-tripping“, d.h. eine Scheininvestition, die sofort wieder ins Ursprungsland zurück transferiert wird, ebenfalls zum Zweck der Steuervermeidung. Schätzungsweise 40% der Kapitalflüsse aus Russland entfallen auf „round-tripping“, bleiben also de facto im Landlxxvii.

Das Verhältnis des kapitalistischen Staates zur Kapitalflucht ist widersprüchlich. Einerseits wird die Kapitalflucht von den Staaten zugelassen und sogar ermutigt. Dies gilt besonders für Staaten, die darauf hinarbeiten, sich selbst in eine Steueroase zu verwandeln. Beispielsweise hat Irland seine Körperschaftssteuer von 50% in den 1980ern auf 12,5% heute gesenkt, um dieses Ziel zu erreichen. Trotz des stark abgesenkten Steuersatzes nimmt der Staat heute aber mehr Unternehmenssteuer ein als zuvor, weil durch die massiven Kapitalzuflüsse die erhobenen Steuern in absoluten Zahlen trotzdem gestiegen sind. Hinzu kommen weitere Einnahmen durch Steuerberatung, Rechnungswesen, Registrierungsgebühren usw., die selbst in den Staaten anfallen, die gar keine Unternehmenssteuern mehr erheben. Dadurch verbessern die Steueroasen-Staaten ihre eigenen Finanzen, indem sie die Finanzierungsbasis aller anderen Länder untergrabenlxxviii. Im Gegensatz dazu steht offensichtlich das Interesse der Staaten, deren Ökonomie und Steuerbasis durch die Steuervermeidung ausgehöhlt werden. Es ist also offensichtlich, dass die Steuergesetzgebung ein Mittel der kapitalistischen Staatenkonkurrenz ist. Deshalb hat beispielsweise die EU ein seit 2019 geltendes Maßnahmenpaket gegen Steuerflucht verabschiedet, das die Besteuerung des „fliehenden“ Kapitals durch die Mitgliedsstaaten vorsieht und Schlupflöcher (z.B. künstlich erhöhte Zinszahlungen, um Steuern zu umgehen) schließen solllxxix. Doch selbst die Länder, von denen die Kapitalflucht ausgeht, können ein Interesse daran haben, sie nicht vollständig zu unterbinden. Denn die Steuervermeidung verstärkt auch die Kapitalakkumulation der großen Monopole und fördert sie in ihrem Bestreben nach Dominanz in der Weltwirtschaft.

Wie sieht es in Russland aus? Komolov schreibt dazu: „Eine Stärkung des Rubels könnte die Position der russischen Ölexporteure verschlechtert haben. Daher war der Staat dazu gezwungen, sie zu verhindern. (…) Unter diesen Bedingungen wurden große Nettoabflüsse von privatem Kapital aus der russischen Ökonomie zu einem positiven Faktor für den Staat (…). Während all dieser Jahre hat zudem die russische Regierung aktiv selbst Kapital in großem Umfang aus dem Land abgezogen. Um dies zu tun, nutzte der Staat zwei Hauptinstrumente: Die Erhöhung internationaler Reserven und Rückzahlung öffentlicher Schulden im Auslandlxxx. Mit anderen Worten: Die Kapitalflucht aus Russland ist selbst nach Ansicht eines Ökonomen, der Russland in der „Semiperipherie“ oder sogar „Peripherie“ des kapitalistischen Weltsystems ansiedelt, nicht nur ein dem Land von außen aufgezwungener Aderlass, sondern vielmehr ein Instrument, mit dem der kapitalistische Staat Wechselkurspolitik zugunsten der in Russland dominierenden Kapitalgruppen (der Öl-, Gas- und Rohstoffkonzerne) betreibt.

Zu unterscheiden wäre hier zwischen Kapitalabflüssen und Kapitalflucht, die von der russischen Bourgeoisie selbst ausgehen und deren Machtposition in Russland nicht beeinträchtigen, sondern eher verstärken; und solchen Kapitalbewegungen, die den Abzug von fremdem Kapital aus Russland ausdrücken und eine Tendenz zur Entkopplung und Blockbildung ausdrücken. Dazu später mehr. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Phänomenen ist anhand der statistischen Daten aber schwierig.

Grundsätzlich können wir festhalten: Kapitalflucht und Kapitalabzug aus einem Land bedeuten nicht, dass dieses Land aus dem imperialistischen Weltsystem ausgeschlossen würde und widersprechen nicht dem imperialistischen Charakter seiner Ökonomie. Während es stimmt, dass „Kapitalflucht“ im engeren Sinne vor allem aus Ländern mit geringerer Investitionssicherheit stattfindet (das ist definitionsgemäß so, wenn damit vor allem große und kurzfristige Abflüsse in Reaktion auf plötzliche Verschlechterungen der Lage gemeint sind), sind Kapitalabflüsse zur Vermeidung von Regulierungen und Steuerzahlungen ein allgemeines Phänomen, das die kapitalistische Weltwirtschaft als Ganzes betrifft. Es liegt im Wesen des Kapitals, Steuern und Einschränkungen seiner Profitmacherei vermeiden zu wollen. Wenn dies mithilfe von Offshore-Finanzzentren passiert, widerspricht das keineswegs dem imperialistischen Charakter der Ökonomie, es ist keineswegs Ausdruck einer unreifen Entwicklung des Kapitalismus. Genau das Gegenteil ist wahr: Die Nutzbarmachung der verschiedenen Jurisdiktionen innerhalb der kapitalistischen Staatenwelt ist gerade Ausdruck davon, dass das Monopolkapital im immer vollendeteren Sinne die Form des Finanzkapitals annimmt und als solches agiert. Erst die relative Loslösung des Kapitals als Eigentum vom fungierenden Kapital und die zunehmende Dominanz der Prozesse der finanziellen Akkumulation (G-G‘ ohne „Umweg“ über die Produktion) machen es möglich und notwendig, jede sich bietende Gelegenheit auf dem gesamten Planeten auszunutzen, um die finanziellen Gewinne weiter zu steigern.

Das russische Monopol- und Finanzkapital ist dabei keine Ausnahme. Auch wenn es international in einer relativ untergeordneten Position gegenüber den Monopolen aus China, Japan, USA, Westeuropa usw. steht, agiert es nach denselben Gesetzmäßigkeiten und ist voll und ganz in die globalen Kapitalströme, die Internationalisierung des Kapitals als bedeutendstem Ausdruck der Herausbildung des Imperialismus eingebunden. Die Stellung eines Landes in der imperialistischen Rangordnung ist zuallererst, wenn auch nicht nur, dadurch bestimmt, in welcher Weise das Kapital an der Verteilung der Monopolprofite teilhat. Es besteht kein Zweifel daran, dass die großen Monopole Russlands im Öl- und Gassektor und bestimmten Hochtechnologien in bedeutendem Maße an der Aneignung der weltweit generierten Monopolprofite teilhaben.

Die Rolle des ausländischen Kapitals in Russland

In einigen Darstellungen der russischen Ökonomie wird ein Bild gezeichnet, wonach die russische Wirtschaft von ausländischem Kapital gewissermaßen durchsetzt sei, von diesem übernommen werde und daher keine wirkliche Eigenständigkeit mehr habe. Damit wird oft die Behauptung untermauert, die russische Bourgeoisie (oder ein großer Teil derselben) sei eine „Kompradorenbourgeoisie“. Besonders die sogenannte „Kommunistische Partei der Russischen Föderation“ hängt dieser Vorstellung an. Sie ist der Ansicht, in Russland herrsche ein „regressiver, parasitärer, oligarchischer Kompradorenkapitalismus“. „Die Abhängigkeit von ausländischem Kapitalbeginnt die Souveränität des Landes zu bedrohen. Unternehmen mit ausländischem Kapital machen 75 Prozent der Kommunikationsbranche, 56 Prozent der Rohstoffindustrie und 49 Prozent der Verarbeitungsindustrie aus. Dies erinnert stark an die Situation im frühen 20. Jahrhundert, als das westliche Kapital den Industrie- und Bankensektor im Russischen Reich beherrschtelxxxi. Der letzte Satz verdient eine kurze, aber wichtige Randbemerkung: Es ist in der Tat so, dass bereits Lenin über die dominierende Rolle des westlichen Kapitals in der Wirtschaft des russischen Zarenreiches geschrieben hatte – offensichtlich war das für ihn keineswegs ein Hindernis dafür, Russland als imperialistisch zu bezeichnen oder gar die russische herrschende Klasse im imperialistischen Ersten Weltkrieg scharf anzugreifen. Doch sehen wir uns das Verhältnis der russischen Bourgeoisie zum ausländischen Kapital etwas genauer an.

Es wurde bereits gezeigt, dass der Begriff „Kompradorenbourgeoisie“ etwas völlig anderes beschreibt als ausländische Beteiligungen an einem Unternehmen. Stimmt denn abgesehen davon das Bild einer „feindlichen Übernahme“ der russischen Ökonomie durch westliche Kapitalisten?

Das tut es nicht. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich auch hier ein sehr fehlerhaftes Verständnis davon zeigt, wie die kapitalistische Ökonomie funktioniert. Ausländische Investitionen in einem Land werden dabei offenbar in schematischer und einseitiger Weise als Mittel zur Beherrschung und Knechtung dieses Landes verstanden. Dies entspricht aber nicht der Realität: Genauso wenig wie Kapitalexport zwingend und in jedem Fall etwas ist, das von der Bourgeoisie eines Landes gewollt ist, ist Kapitalimport notwendigerweise etwas „schlechtes“ für diese Bourgeoisie. Vielmehr ist das Entscheidende, dass die Kapitalisten eines Landes in den internationalen Kapitalverkehr eingebunden sind und diesen aktiv mitbestimmen. Der Import von Kapital ist dabei in der Regel (!) keine Belastung, die Entwicklung verhindert (obwohl es auch das gibt), sondern im Gegenteil ein Mittel, um diese zu fördern. Denn durch ausländischen Kapitalzufluss wird das Kapital im Zielland zentralisiert, es bekommt Zugriff auf größere Mittel für produktive Investitionen, für Finanzoperationen, für Fusionen und Übernahmen. Die Hauptzielländer von Direktinvestitionen sind daher auch nicht arme Länder, die damit geknechtet werden sollen, sondern die führenden kapitalistischen Länder und Länder mit schneller Kapitalakkumulation: die USA, China inklusive Hong Kong, die Niederlande, Indien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Brasilien, Mexiko uswlxxxii.

Russland ist in den letzten Jahren auf der Liste der größten Empfänger von FDI deutlich nach unten gerutscht, v.a. als Folge der Sanktionen. Die Probleme der russischen Bourgeoisie sind also mitnichten eine Folge davon, dass das Land vom Westen aufgekauft würde, sondern genau das Gegenteil: Einer der belastenden Faktoren für den russischen Kapitalismus ist seine im vergangenen Jahrzehnt gesunkene Attraktivität für ausländische Investoren: „Der Beitrag ausländischer Quellen zur Entwicklung der Investitionen ins fixe Kapital der russischen Ökonomie ist nicht groß und das beeinflusst die Wettbewerbsfähigkeit des industriellen Sektors der Volkswirtschaft negativ, weil Investitionen in fixe Anlagen eine bestimmende Rolle für Wachstum und Entwicklung der nationalen Ökonomie spielen. Im Gegenteil stellen gegenwärtig russische Investitionen, die substanziell den Umfang der ausländischen Direktinvestitionen in das fixe Kapital der Russischen Föderation übersteigen, die Grundlage des Wachstums und der Entwicklung der russischen Ökonomie dar.“lxxxiii

Eine Folge der geringen ausländischen Investitionen in Russland ist, dass die internationalen Rating-Agenturen das russische Rating in den letzten Jahren abgesenkt haben: Z.B. erhöhte die Rating-Agentur Standard & Poor’s das Rating Russlands von B- im Jahr 2000 auf BBB 2013, was die in dieser Phase deutlich verbesserte Stellung Russlands im imperialistischen Weltsystem reflektiert. Bis 2017 wurde das Rating infolge sinkender Kapitalimporte dann wieder auf „BB+ positiv“ abgewertetlxxxiv. Seit der russischen Invasion in der Ukraine geben die großen Rating-Agenturen aufgrund der Unsicherheit des Krieges gar kein Rating mehr ab.

Die russische Bourgeoisie ist also durchaus in einer Situation relativer Schwäche, v.a. ökonomisch (weitaus mehr als politisch und militärisch). Diese Schwäche wird durch die Sanktionen seit Beginn des Krieges in der Ukraine 2014 vertieft und genau das ist auch der Zweck der Sanktionen. Allerdings handelt es sich hierbei eben um ein Mittel der westlichen Imperialisten, ihre Rivalen zu schwächen und nicht um eine „Kolonisierung“ eines abhängigen Landes.

Es ist leicht ersichtlich, dass der besonders seit 2014 eskalierende zwischenimperialistische Konflikt zwischen Russland und der NATO sich negativ auf die Kapitalverflechtungen zwischen beiden Seiten auswirken musste. Tatsächlich brachen 2014 die jährlichen Kapitalimporte Russlands um die gewaltige Summe von 138 Mrd. US$ oder 7,3% des russischen BIP ein – gleichzeitig sank auch der nach außen gerichtete Kapitalfluss auf das Jahr gerechnet um geschätzte 116 Mrd. US$. Der Kapitalverkehr hat sich seitdem nicht erholt. Im Zeitraum 2014-2017 reduzierte sich der Zufluss von Kapital nach Russland um insgesamt 276 Mrd. US$, der Abfluss aus Russland um 162 Mrd. US$lxxxv. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Einbruch des Kapitalverkehrs mit dem westlichen Kapitalismus für die russische Ökonomie verheerend war (insbesondere da die fallenden Ölpreise in dieser Periode zusätzlich negativ wirkten) – allerdings genau nicht in dem Sinne, dass sie dadurch in stärkere Abhängigkeit von ausländischen Konzernen geriet. Vielmehr nahm diese Abhängigkeit im Gegenteil massiv ab, weil Russland sich ökonomisch vom Westen abkoppelte (und umgekehrt) und in den letzten Jahren stattdessen zunehmend seine ökonomischen Beziehungen zu anderen Ländern, v.a. China und Indien entwickelte.

Der Anteil ausländischer Finanzkapitalisten (v.a. Banken, institutioneller Investoren usw.) am russischen Bankensystem stieg in den frühen 2000ern bis 2009 stark an (von etwa 6% auf 28% des Gesamtkapitals des Bankensektors), als Ausdruck des ökonomischen Aufstiegs der Russischen Föderation und damit einhergehend der gewachsenen Attraktivität Russlands als Investitionsstandort. Seitdem ist dieser Anteil tendenziell fallend und lag 2018 bei 21-22%lxxxvi. Ein Anteil ausländischen Kapitals im Bankensektor zwischen 20 und 30% ist im internationalen Vergleich sehr niedrig.

Gleichzeitig drückt sich die Entkopplung in einer 2014 beginnenden Reduktion der Auslandsschulden Russlands (d.h. Staatsschulden und private Schulden kombiniert) von 669 Mrd. US$ 2013 auf 476 Mrd. US$ 2020 aus (Siehe Grafik 1).

Grafik 1:

Quelle: https://www.macrotrends.net/countries/RUS/russia/external-debt-stock, online, 14.10.2022.

Mit anderen Worten: Die auch in Teilen der deutschen kommunistischen Bewegung beliebte Darstellung der KPRF, wonach Russland ein vom Westen „aufgekauftes“ Land sei, ist ökonomisch völliger Unsinn. Ganz im Gegenteil ist das russische Finanzkapital relativ wenig und mit abnehmender Tendenz mit dem westlichen verflochten.

Ist die russische Bourgeoisie eine „Kompradorenbourgeoisie“?

Die weiter oben ausgeführte Kritik am Begriff der Kompradorenbourgeoisie bezieht sich selbstverständlich auch auf das russische Kapital. Die Argumentation, dass im entwickelten Monopolkapitalismus dieser Begriff endgültig jede Sinnhaftigkeit verliert, zeigt sich auch und gerade am Fall Russlands.

Die russische Bourgeoisie im Speziellen ist weit davon entfernt, bloßer Vermittler ausländischer Monopole zu sein. Sie ist, wie an anderer Stelle gezeigtlxxxvii, hochgradig zentralisiertes und konzentriertes Finanz- und Monopolkapital. Sie spielt eine dominierende Rolle auf dem globalen Markt für Erdgas und in einigen hochtechnologischen Branchen (Militärfahrzeuge, Raketen, Satellitentechnologie, Atomtechnologie) und eine wichtige Rolle auf dem globalen Ölmarkt und weiteren Märkten. Sie exportiert Kapital und ist in die internationalen Finanzmärkte eingebunden, womit sie andere Länder und Unternehmen in asymmetrische Abhängigkeitsverhältnisse zum russischen Kapital bringt. Sie hat durch die sukzessive Entkopplung Russlands vom westlich dominierten Finanzsystem ein relativ hohes Maß an Unabhängigkeit, das gleichzeitig eine Schwäche darstellt. Durch die interventionistische Rolle des russischen Staates wird diese Unabhängigkeit noch weiter verstärkt und garantiert, dass die russische Bourgeoisie in ihrer Gesamtheit eine Politik in Rivalität zur EU und den USA durchführen kann.

Die Darstellung Russlands als ein vom Westen in einseitiger Abhängigkeit gehaltenes, von Kolonisierung bedrohtes Land lässt sich nur bei völliger Ignoranz gegenüber den Fakten aufrecht erhalten. Korrekt ist es dagegen, Russland als ein ökonomisch auf einer gehobenen Zwischenposition des imperialistischen Weltsystem stehendes kapitalistisches Land zu sehen, dessen Regierung im Interesse ihrer eigenen Bourgeoisie ihre Politik entwickelt und danach strebt, den relativen Aufstieg Russlands in dieser Hierarchie voranzutreiben bzw. einen relativen Abstieg zu verhindern. Die Stellung Russlands im imperialistischen System ist dabei stark umkämpft, weil die bisher dominierenden imperialistischen Zentren ein nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch starkes Russland als Rivalen nicht zulassen wollen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Krieg in der Ukraine zu begreifen. Die internationale Arbeiterklasse, einschließlich derer Russlands und der Ukraine, hat in diesem Kampf nichts zu gewinnen, wenn sie nicht unter der Führung ihrer kommunistischen Partei (die es ggf. erst aufzubauen gilt) für den Sturz ihrer jeweils „eigenen“ Regierung und ihre eigene Macht kämpft.

  1. Fazit

Ziel dieses Artikels war es, eine Reihe von Behauptungen, die in der Diskussion immer wieder auftauchen, kritisch zu überprüfen.

Erstens die Argumentation, die eine uneingeschränkte Führungsrolle der USA im imperialistischen Weltsystem behauptet und mit einer tendenziell alleinigen Beherrschung des globalen Kapitalismus durch Vermögensverwalter wie BlackRock zu belegen versucht.

Zweitens die Unterscheidung der Bourgeoisie in sogenannten „abhängigen Ländern“ in eine „Kompradorenbourgeoisie“ und eine „nationale Bourgeoisie“, wobei erstere weitgehend vom ausländischen Kapital abhängig sei und letztere durch ihr Handeln die Entwicklung der Nation befördere.

Drittens die Behauptung, in Russland sei eine solche „Kompradorenbourgeoisie“ vorherrschend.

Diese Argumente werden in der Diskussion tendenziell angeführt, um den antiimperialistischen Kampf de facto ausschließlich gegen den Imperialismus der USA und ihrer Verbündeten zu orientieren (was letztlich eine Aufgabe des Antiimperialismus bedeutet). Der zwischenimperialistische Krieg in der Ukraine wird so zu einem Überlebenskampf Russlands gegen die Bedrängnis umgedeutet, in der sich das Land durch den westlichen Imperialismus befinde.

Dieser Artikel hat nach meiner Auffassung alle drei Argumente dieser Position widerlegt. Er hat gezeigt, dass die Rolle von BlackRock und Co. bei Werner Rügemer und denjenigen Genossen, die sich auf ihn berufen, deutlich übertrieben dargestellt wird und dementsprechend auch zu falschen Schlussfolgerungen über das Verhältnis zwischen den USA und dem Rest der Welt führt. Er hat gezeigt, dass sich die Bourgeoisie heutzutage auch in weniger entwickelten Ländern nicht in eine „Kompradorenbourgeoisie“ und eine „nationale“ Bourgeoisie unterteilen lässt. Und er hat nicht zuletzt gezeigt, dass auch konkret im Falle Russlands die Konstatierung einer „Kompradorenbourgeoisie“ einer Überprüfung anhand der Tatsachen nicht standhält.

Endnoten:

i Karl Marx: Das Kapital, Band III, MEW 25, S. 560.

ii Ebd, S. 452.

iii Rudolf Hilferding 1955: Das Finanzkapital, Berlin, S. 335.

iv Wladimir I. Lenin 1971: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Berlin, S. 230.

v Ebd., S. 209.

vi Ebd., S. 242.

vii Peter Hess et al. (Autorenkollektiv) 1974: Grundlagen und Formen der Herrschaft des Finanzkapitals, Frankfurt a.M., S. 8, Markierung im Original.

viii Ebd.

ix Gerfried Tschinkel 2013: Zur Dialektik finanzkapitalistischer Entwicklung, in: Aufhebung 2/2013, S. 95

x Peter Hess 1989: Das Finanzkapital. Eigentumsform der Produktivkraftentwicklung im gegenwärtigen Kapitalismus, IPW Berichte 9/89, S. 21f.

xi Ebd., S. 26.

xii Hess et al. 1974, S. 48.

xiii Claude Serfati 2011: Transnational corporations as financial groups, Work Organisation, Labour & Globalisation 5 (1), S. 12.

xiv Ebd S. 17

xv Ebd. S. 28f

xvi Claude Serfati 2012: Die finanz- und rentengetriebene Logik der multinationalen Unternehmen, Prokla 42(4), S. 541f.

xvii Hess et al. 1974, S. 33.

xviii Serfati 2012, S. 544.

xix Ebd.

xx Ebd., S. 15f.

xxi Ebd.

xxii Ebd., S. 18.

xxiii Klara Bina 2022: Zur Macht der Finanzakteure, Kommunismus Kongress-Zeitung #1, S. 4.

xxiv Rügemer 2021, S. 38f.

xxv The European View: BlackRock Aktie. Investieren in den größten Vermögensverwalter der Welt, 3.5.2021, online: https://aktienfinder.net/blog/blackrock-aktie-investieren-in-den-groessten-vermoegensverwalter-der-welt/, abgerufen 29.8.2022.

xxvi Ebd.

xxvii Simon Book/ Angela Hennersdorf 2018: Wie BlackRock die Konzerne kontrolliert, Wirtschaftswoche 2.4.2018.

xxviii Christian Kirchner 2018: Das Problem mit Blackrock ist nicht der Machtmissbrauch – sondern Passivität, Stern, 4.11.2018.

xxix.Ebd.

xxx Hermannus Pfeiffer 2019: Nicht so mächtig wie gedacht, Frankfurter Rundschau, 5.12.2018.

xxxi Frank Wiebe: Stärke der Algorithmen: Die Machtbasis von Blackrock, Handelsblatt, 16.1.2020.

xxxii Wertpapierhandelsgesetz § 43, Abs. 1.

xxxiii Wiebe 2020.

xxxiv Kirchner 2018.

xxxv Verordnung (EU) NR. 575/2013 Art. 144 Nr. 1a.

xxxvi Martin Beckmann 2007: Das Finanzkapital in der Transformation der europäischen Ökonomie, Münster, S. 105ff.

xxxvii Wolf-Georg Ringe 2015: Changing Law and Ownership Patterns in Germany, American Journal of Comparative Law 63(2), S. 525f.

xxxviii Norges Bank: The fund Market value, online: https://www.nbim.no/en/the-fund/market-value/, abgerufen 14.10.2022.

xxxix Julie Segal: Here are the World’s Biggest Asset Owners, 16.11.2020, online: https://www.institutionalinvestor.com/article/b1p7flhqqcgq15/Here-Are-the-World-s-Biggest-Asset-Owners , abgerufen 14.10.2022.

xlTobias Bürger 2021: In Deutschland: Das sind die 10 größten, institutionellen Anleger, online: https://www.institutionelle-investoren.org/2021/05/14/die-10-groessten-institutionellen-investoren-sind-versicherungsgesellschaften/, abgerufen 14.10.2022.

xli BlackRock 2020: BlackRock in Germany, Snapshot February 2020, online: https://www.blackrock.com/corporate/literature/publication/snapshot-blackrock-in-germany.pdf, abgerufen 14.10.2022.

xlii Vgl. Thanasis Spanidis 2022: Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen, online: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/zur-verteidigung-der-programmatischen-thesen-der-ko/, abgerufen 14.10.2022.

xliii Ebd.

xliv Vgl. bspw. Yana Zavatsky 2022: Imperialismus und die Spaltung der kommunistischen Bewegung; Alexander Kiknadze 2022: zum Defensivschlag Russlands gegen die NATO.

xlv Jürgen Osterhammel 1989: China und die Weltgesellschaft. Vom 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit, München, S. 185.

xlvi Mao Tse-tung 1926: Analysis of the classes in Chinese society, Selected Works, Vol. 1, Übersetzung aus dem Englischen, Thanasis Spanidis.

xlvii Mao Tse-tung 1935: Über die Taktik im Kampf gegen den japanischen Imperialismus, https://www.marxists.org/deutsch/referenz/mao/1935/12/taktik.html#:~:text=Die%20eine%20Taktik%20lautet%3A%20Wir,gegen%20einen%20m%C3%A4chtigen%20Feind%20st%C3%BCrzen

xlviii Vgl. auch: Schapour Ravasani 2010: Kompradorenklasse, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, S. 1426, der zum gleichen Urteil kommt.

xlix Lenin 1971, S. 262.

l Ebd., S. 267,

li Kommunistische Internationale 1928: Thesen über die revolutionäre Bewegung in den Kolonien und Halbkolonien, in: Protokoll des VI. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale. Thesen, Resolutionen, Programm, S. 171.

lii Ebd., S. 172.

liii Interview mit Nicos Poulantzas: „Es geht darum, mit der stalinistischen Tradition zu brechen!“, Prokla Bd. 9, Nr. 37, 1979, S. 137-140.

liv Nicos Poulantzas 1977: Die Krise der Diktaturen. Portugal, Griechenland, Spanien, Suhrkamp Verlag, S. 37ff.

lv Ebd, S. 38ff.

lvi Chris Trotter 2015: Friends and Allies: What is the “Comprador Bourgeoisie” when it’s at home?, online: https://thedailyblog.co.nz/2015/07/23/friends-and-allies-what-is-the-comprador-bourgeoisie-when-its-at-home/, 14.10.2022.

lvii Elizabeth Lucas 2009: Standard Bank Group Historical Overview, online: https://www.readkong.com/page/standard-bank-group-historical-overview-1355301, abgerufen 14.10.2022.

lviii Standard Bank: Shareholder information, online: https://reporting.standardbank.com/shareholder-info/shareholder-information/, abgerufen 3.11.2022.

lix Businesstech.co.za 2018: These are the 25 biggest companies in South Africa, online: https://businesstech.co.za/news/business/233451/these-are-the-25-biggest-companies-in-south-africa/, abgerufen 14.10.2022..

lx FirstRand: Ownership and legal structure, online: https://www.firstrand.co.za/the-group/ownership-and-legal-structure/, abgerufen 3.11.2022.

lxi Statista: Leading companies in Nigeria in 2022, by market capitalization.

lxii Moneycentral.com.ng 2021: Dangote Cement’s $500m Ethiopia Plant at Risk as War Escalates, online: https://moneycentral.com.ng/exclusive/article/dangote-cements-500m-ethiopia-plant-at-risk-as-war-escalates/ ; Maureen Ihua-Maduenyi 2015: Dangote Cement begins operation in Senegal, online: https://web.archive.org/web/20150715162657/http://www.punchng.com/business/business-economy/dangote-cement-begins-operation-in-senegal/ , abgerufen 14.10.2022.

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lxv Dhaka Tribune 2022: Walton expands ist global footprint by acquiring three European brands, online: https://www.dhakatribune.com/business/2022/04/07/walton-expands-its-global-footprint-by-acquiring-three-european-brands, abgerufen 14.10.2022.

lxvi Confidus Solutions (undatiert): Top biggest companies in Colombia, online: https://www.confiduss.com/en/info/blog/article/biggest-companies-colombia/#:~:text=Top%20biggest%20companies%20in%20Colombia%201%20Ecopetrol%20Ecopetrol%2C,4%20Banco%20Davivienda%20…%205%20Grupo%20Bolivar%20, abgerufen 14.10.2022.

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lxix Peso Lab 2022: List of Largest Companies in the Philippines, online: https://pesolab.com/list-of-largest-companies-in-the-philippines/, abgerufen 24.10.2022.

lxx Vgl. Thanasis Spanidis 2019: Der Brexit und die Frage des Austritts aus der EU, online: https://kommunistische-organisation.de/diskussion/der-brexit-und-die-frage-des-austritts-aus-der-eu/, abgerufen 14.10.2022..

lxxi Spanidis 2022: Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen.

lxxii Denn dass diese Auffassung revisionistisch ist, dass sie auf einem Bruch mit dem Marxismus beruht, glaube ich hier ausreichend begründet zu haben.

lxxiii Oleg Komolov 2019: Capital outflow and the place of Russia in core-periphery relationships, WRPE Vol. 10, No. 3, S. 332

lxxiv Vgl. Karl Marx: Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 169.

lxxv Javier Garcia-Bernardo et al. 2017: Uncovering Offshore Financial Centers: Conduits and Sinks in the Global Corporate Ownership Network, Scientific Reports 7, S. 1f.

lxxvi Ebd., S. 2; Javier Garcia Bernardo et al. 2017: These five countries are conduits for the world’s biggest tax havens, online: https://theconversation.com/these-five-countries-are-conduits-for-the-worlds-biggest-tax-havens-79555, abgerufen 12.10.2022.

lxxvii Evsey Gurvich & Ilya Prilepskiy 2015: The impact of financial sanctions on the Russian economy, Russian Journal of Economics 1, S. 366.

lxxviii Jannick Damgaard et al. 2019: The Rise of Phantom Investments, Finance & Development, S. 12.

lxxix EU-Kommission 2018: New EU rules to eliminate the main loopholes used in corporate tax avoidance come into force on 1 January, Press release 30.12.2018.

lxxx Komolov 2019, S. 336f, Übersetzung Th.S.

lxxxi Communist Party of the Russian Federation 2017: Political Report of the Central Committee to the XVII Congress of the CPRF, online: http://www.solidnet.org/article/39288ba6-e2d5-11e8-a7f8-42723ed76c54/, 15.10.2022.

lxxxii Gulnaz M. Galeeva et al. 2017: Foreign Direct Investments: Structure and Dynamics in Russia, Helix Vol. 8 (1), S. 2556.

lxxxiii Galeeva et al. 2017, S. 2558.

lxxxiv Ebd.

lxxxv Gurvich & Prilepskiy 2015, S. 376-379.

lxxxvi Anton Lisin 2020: Valuation of the activities of foreign banks in the Russian banking sector, Revista Orbis, Nr. 45, S. 59.

lxxxvii Spanidis 2022: Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen.

Geheimdienstbehörde will Informationen über die KO

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Anquatschversuch vom Verfassungsschutz in Frankfurt/Main
 
Das hessische „Landesamt für Verfassungsschutz“ hat versucht, einen Genossen anzuquatschen und zur „Zusammenarbeit“ zu gewinnen. Der Genosse hat das Gespräch sofort beendet. Wir gehen davon aus, dass der Inlandsgeheimdienst Informationen über unsere Strukturen und Debatten bekommen will. Vielleicht wollten die Behörden den Umstand, dass wir starke Differenzen in der Organisation haben, ausnutzen. Der Zusammenhang der NATO-Aggression und deutschen Aufrüstung könnte ein möglicher Hintergrund für das gesteigerte Interesse der Schlapphüte an allen Organisationen sein, die sich gegen die NATO und die deutsche Kriegspolitik wenden. Ein weiterer Hintergrund könnte die Palästina-Solidaritätsarbeit sein, in der der Genosse aktiv ist und die den Behörden ein Dorn im Auge ist.
 
Der Anquatschversuch war verhältnismäßig aufwändig mit einer fingierten Situation organisiert. Anquatschversuche sollen auch stets einen einschüchternden Effekt haben, indem sie die „Macht“ und Möglichkeiten des Staates zeigen sollen.
 
Wir lassen uns weder einschüchtern noch beeindrucken. Wir setzen unseren Kampf gegen die Kriegs- und Unterdrückungspolitik fort. Unsere Regeln sind klar: Kein Wort zu den Verfolgungsbehörden! Unsere Solidarität ist stärker als ihre Drohgebärden und Manipulationen!

Geschichtsrevisionismus per Gesetz

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Stoppt die Hetze gegen Russland und China! Freiheit für Palästina!

Weg mit dem neuen § 130 Abs. 5!

Es war wieder einmal eine Nacht-und Nebel-Aktion, mit der der Bundestag einmal mehr die Meinungsfreiheit in Deutschland beschnitten hat: Am späten Donnerstag Abend, dem 20. Oktober gegen 23:00 Uhr, wurde der Paragraf gegen „Volksverhetzung“, § 130 StGB, mit den Stimmen von SPD, FDP, Grünen, CDU und CSU erweitert. Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und kritischer Abgeordneter möglichst gering zu halten, wurde die Gesetzesänderung nicht nur spät abends durchgeführt, sondern auch als „sachfremder Änderungsantrag“ an eine gänzlich andere Abstimmung angehängt. Der neu eingefügte Absatz 5 stellt nun das „öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen“ von „Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ unter Strafe, „wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“.[1] Nach dem neuen Gesetz Angeklagten droht eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Wie einige Juristen kritisieren, beruht dabei die Entscheidung, was als „Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ gewertet wird, nicht auf gerichtlichen oder gar wissenschaftlichen Nachforschungen und abschließenden Urteilen, sondern unterliegt der Willkür der Strafverfolgungsbehörden.[2] Das bedeutet konkret, dass Polizisten freie Hand bekommen, nach Belieben Versammlungen aufzulösen, Redebeiträge zu unterbinden, Flyer oder Transparente zu beschlagnahmen und die Betroffenen mit Anzeigen zu überziehen und sie so – selbst wenn es nicht zur Verurteilung kommt – einzuschüchtern, in ihrer Meinungsäußerung einzuschränken und vorauseilenden Gehorsam zu erzwingen. Somit stellt dieser Paragraf eine weitere Waffe in den Händen der staatlichen Repressionsorgane dar.

Umso perfider ist es, wenn deutsche Medien behaupten, die Erweiterung des Gesetzes, das bislang weitgehend auf die Leugnung des Holocaust beschränkt war, sei Ausdruck eines nun geweiteten Blickes, etwa für die Kolonialverbrechen der Europäer.[3] In Wirklichkeit wird der Straftatbestand der „Volksverhetzung“, der ohnehin nur ein billiger, bürgerlicher Ersatz für ein Verbot von rassistischer und faschistischer Propaganda darstellt, noch weiter verwässert und gerade nicht in Richtung eines Antirassismus-Paragrafen weiterentwickelt. Zudem dürfte jedem klar sein, dass es den Herrschenden in der BRD nicht darum geht, gerade jetzt die Verharmlosung kolonialer Verbrechen zu ahnden.

Rückendeckung für Kriegspropaganda

Vielmehr ist offensichtlich, dass das Gesetz vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine entstand – auch wenn dies aus der Politik geleugnet wird. Es geht darum, die westlichen Narrative und die hiesige Propaganda als einzige Wahrheit gesetzlich festzuschreiben und jede davon abweichende Darstellung zu illegalisieren. Damit verschärft das Gesetz die bereits erfolgte Kriminalisierung der Symbole Russlands, der Volksrepubliken im Donbas und der Sowjetunion sowie der öffentlichen Unterstützung für die russische Militärintervention. Konkret werden damit sowohl Interpretationen des Krieges in der Ukraine als Aggression der NATO, auf die Russland mit einer Militäroffensive reagiert hat, als auch konkrete Gegendarstellungen, etwa was die Verantwortung für Massaker wie in Butscha angeht, für illegal erklärt.

Aber auch in anderen andauernden Konflikten kann und wird das Gesetz zur Anwendung kommen: Wer beispielsweise nicht das Baath-Regime, sondern die westlichen Imperialisten, die Golfstaaten und die Türkei für den Krieg in Syrien verantwortlich macht oder angebliche Giftgasangriffe der syrischen Regierung infrage stellt, wird sich künftig ebenso mit Anklagen bedroht sehen wie Personen, die sich für das Recht der Palästinenser auf bewaffneten Widerstand, inklusive dem Abschießen von Raketen und Angriffen auf Siedler, stark machen. Gerade die Palästina-Solidarität steht ohnehin schon seit Jahren durch Resolutionen, Verbote und direkte Repression von Seiten der BRD wie auch der EU unter massivem Druck.

Mit der zunehmenden Konfrontation gegen China wiederum dürfte das Narrativ, wonach Peking einen Genozid gegen die muslimische Bevölkerung Xinjiangs forciere, für die westliche Propaganda weiter an Bedeutung gewinnen. Ebenso würde eine in der Zukunft mögliche Eingliederung Taiwans, das nach allgemeiner internationaler Lesart und seit den 1970er Jahren auch vom Westen offiziell als Teil der Volksrepublik Chinas anerkannt ist, von Seiten der BRD als Annexion und somit als „Kriegsverbrechen“ gewertet. Wer der anti-chinesischen Hetze und der damit einhergehenden Kriegsgefahr entgegentreten will, wird es mit dem neuen Gesetz perspektivisch ebenfalls schwerer haben, dem westlichen Narrativ alternative Darstellungen entgegenzuhalten. 

Aber auch die Legitimierungen früherer Angriffskriege des Westens, vor allem gegen Jugoslawien, können mithilfe des neuen Paragrafen noch weiter gefestigt werden: So dürften die angeblichen Massaker und Völkermorde, die laut der NATO-Propaganda von der jugoslawischen Führung in den 1990er Jahren begangen worden sein sollen, zur quasi gesetzlich verankerten und im Zweifel eben repressiv durchgesetzten Wahrheit erhoben werden. Damit stellen sich SPD und Grüne, die 1999 als rot-grüne Bundesregierung den Überfall auf Jugoslawien mit angeführt und damit den ersten Krieg Deutschlands seit 1945 vom Zaun gebrochen haben, letztlich selbst einen Persilschein aus. Dass zugleich auch die Leugnung dieses deutschen Angriffskriegs, dessen Völkerrechtswidrigkeit der damalige Bundeskanzler Schröder (SPD) später selbst eingestanden hat,[4] künftig unter Strafe steht, wird dagegen ein Wunschtraum bleiben.

Antikommunistisches Geschichtsdiktat

Es geht aber nicht ausschließlich um Kriegshetze, sondern auch um die Festschreibung antikommunistischer Geschichtsnarrative. Das neue Gesetz soll nämlich zugleich einen Beschluss der EU von 2008 umsetzen, der von osteuropäischen Mitgliedsstaaten eingebracht worden war und der sich gegen die „Verklärung“ sog. „stalinistischer Verbrechen“ richtet. Was das in der Praxis bedeutet, können wir in Ländern wie Polen beobachten, wo die Kommunistische Partei sowie kommunistische und sowjetische Symbole verboten sind. Zudem verabschiedete das EU-Parlament 2019 eine geschichtsverfälschende Resolution, in der sie den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom August 1939 als zentrale Weichenstellung für den Zweiten Weltkrieg bezeichnete und der UdSSR eine Mitverantwortung für den imperialistischen Umverteilungskrieg des Nazi-Faschismus unterschob. Damit wird nicht nur die Tatsache geleugnet, dass es in Wahrheit die Sowjetunion und die kommunistische Arbeiterbewegung waren, die den Faschismus von Anfang an in allen Ländern und auf internationaler Ebene bekämpft, den Ausbruch des Weltkriegs durch Bündnisse und Sicherheitsabkommen mit nicht-faschistischen Kräften zu verhindern versucht und  die – unter Aufopferung von Dutzenden Millionen Menschenleben – den größten Beitrag zur Niederringung der faschistischen Regime Europas geleistet haben. Zugleich werden auch die Verantwortung und die Verbrechen des Faschismus relativiert und die historische Schuld, die die Westmächte durch ihre langjährige Unterstützung der faschistischen Regime auf sich geladen haben, verschwiegen.

Zu den „stalinistischen Verbrechen“, deren „Verklärung“ nun also unter Strafe gestellt werden sollen, werden zudem die mitunter ruhmreichsten Kapitel der Sowjetunion und der kommunistischen Bewegung Osteuropas gezählt, wie etwa die Kollektivierung und Industrialisierung der UdSSR,  die die Grundlage für ihren Sieg über Nazi-Deutschland und ihren Aufstieg zur Weltmacht legte, oder aber die Befriedung Osteuropas nach 1945 und die Errichtung des Sozialismus in den dortigen Ländern. Die Gründung der DDR selbst, des friedlichsten deutschen Staates der Geschichte, wo der Sozialismus auf deutschem Boden Realität wurde, die die größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung darstellt und auf die wir uns in unserem heutigen Kampf positiv beziehen, ist in den Augen der Antikommunisten selbst ein „stalinistisches Verbrechen“. Die – im Zuge von heftigen Klassenkämpfen und des faschistischen Überfalls, aber sicher auch aufgrund von Fehlern – in verschiedenen Teilen der Sowjetunion ausbrechenden Hungersnöte in den 1930er und 1940er Jahren werden in der antikommunistischen Propaganda als „Massenmorde“ und „Genozide“ verklärt. Ähnliches gilt auch für die experimentellen Versuche zur Industrialisierung und zur Vertiefung der Revolution im sozialistischen China der 1950er und 1960er Jahre, die zwar auch unter Kommunisten kontrovers diskutiert werden, bei deren Bewertung wir uns aber nicht von den bürgerlichen Ideologen einschränken lassen dürfen!

Indem auf angebliche oder tatsächliche Ungerechtigkeiten gegenüber ganzen Volksgruppen, Nationalitäten oder Nationen in den ehemals sozialistischen Ländern verwiesen wird, soll der diametrale Gegensatz zwischen Sozialismus und Imperialismus, zwischen Marxismus und Rassismus/Faschismus verwischt und die sozialistischen Vielvölkerstaaten zu quasi Kolonialreichen umgedichtet werden. Das entspricht auf perfideste Weise der antikommunistischen Totalitarismusdoktrin, der zufolge Kommunismus und Faschismus letztlich gleichzusetzen sind. Mit dem sog. „Holodomor“, einer Hungerskatastrophe, die in den 1930er Jahren in der Ukraine wütete und die von ukrainischen Nationalisten und westlichen Antikommunisten zu einem anti-ukrainischen „Völkermord“ von Stalin persönlich verdreht wird, schließt sich dabei der Kreis zur aktuellen antirussischen Kriegspropaganda: Wie Stalin damals führt Putin heute angeblich einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Ukraine, wie uns Politiker und Medien seit Monaten weiß machen wollen.

Dieser antikommunistischen und die westlichen Kriege rechtfertigenden Propaganda dürfen wir uns nicht beugen!

Wir Kommunisten stehen auf der Seite der Wahrheit, und die lässt sich nicht verbieten. Ihrer Einschüchterung, ihrer Repression und ihrer Hetze begegnen wir mit Solidarität! Und wir treten ihr entgegen: auf der Straße, in Veranstaltungsräumen, im Internet und in Gerichtssälen!

Revolutionäre Geschichte aneignen und verteidigen!

Stoppt die Hetze gegen Russland und China! Freiheit für Palästina!

Weg mit dem neuen § 130 Abs. 5!

[1] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-916934.

[2] https://www.jungewelt.de/artikel/437430.justiz-und-grundrechte-enger-meinungskorridor.html.

[3] https://www.sueddeutsche.de/politik/holocaust-voelkermord-leugnung-deutschland-1.5681387.

[4] https://www.youtube.com/watch?v=nrv-AzVafSs.

Gemeinsam und solidarisch gegen ihre Verarmungs- und Kriegspolitik!

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Stellungnahme der KO vom 19.10.22

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Stoppt den Wirtschaftskrieg gegen Russland: Weg mit den Sanktionen! Öffnet Nord Stream 2 jetzt!

Klassenkampf statt Burgfrieden: Reallohnerhöhung für alle! Energiekonzerne enteignen! Gaspreise deckeln!

Kampf dem Krieg heißt Kampf der NATO: Keine Waffen für die Ukraine! Keine 100 Milliarden für die Bundeswehr! Deutschland raus aus der NATO!

Politik und Medien warnen: Deutschland „droht“ ein „heißer Herbst“. In Großbritannien und Frankreich kommt es bereits zu Massenprotesten und Arbeitskämpfen gegen die steigenden Energiepreise. Und so bereitet sich auch hierzulande die Polizei bereits auf „Aufstandsbekämpfung“ vor. Doch während sich die Reichen und Mächtigen vor sozialen Unruhen fürchten, droht uns, der einfachen Bevölkerung, ein kalter Herbst, gefolgt von einem noch kälteren Winter. Das ist weder Zufall noch Schicksal, sondern das Ergebnis der asozialen und zum Krieg treibenden Politik der herrschenden Klasse in der Bundesrepublik.

Stoppt den Wirtschaftskrieg gegen Russland!

Während die Inflation in Deutschland bereits im letzten Jahr Rekordwerte erreichte und Löhne und Renten verschlang, hat sie sich im Laufe dieses Jahres noch einmal verdoppelt. Wie immer wird die Schuld an derlei Krisen des Kapitalismus von den Verantwortlichen abgewälzt, aktuell auf Russland.

Tatsächlich hängen die krassesten Preissteigerungen der letzten Monate zwar damit zusammen, dass mittlerweile kein Gas mehr aus der Russischen Föderation nach Deutschland fließt. Anders als uns Politik und Medien einzureden versuchen, liegt das aber nicht daran, dass Moskau „uns“ den Gashahn zugedreht hat. Vielmehr ist es genau andersherum: Nord Stream 2 ist – auch nach den Anschlägen, die allen Indizien und dem gesunden Menschenverstand zufolge nur von den USA verübt worden sein können – lieferbereit. Die Bundesregierung jedoch hat sich im derzeitigen Ukraine-Krieg, der in Wahrheit ein Krieg zwischen der NATO und Russland ist, vollends auf die von den USA vorgegebene Linie eingeschworen: Russland soll in den Worten von Außenministerin Baerbock (Grüne) „ruiniert“ werden. Um dieses Ziel zu erreichen, liefert Deutschland nicht nur im Einklang mit seinen NATO-Partnern Tonnen an Kriegsgerät an die Ukraine. Es führt ergänzend dazu gemeinsam mit der EU auch einen Wirtschaftskrieg gegen die Russische Föderation und ihre Bevölkerung. Dazu gehören neben Sanktionen, die vor allem die einfachen Menschen treffen, auch Boykotte, vor allem im Bereich Erdgas. Russlands Wirtschaft und Gesellschaft sollen derart hart getroffen werden, dass sie zusammenbrechen.

Wir sagen es ganz klar: Wir wollen nicht, dass Russland in die Knie gezwungen wird! Wir wollen nicht, dass das Land in einen vom Westen abhängigen Rohstofflieferanten verwandelt und dass die russische Bevölkerung in Armut gestürzt wird, wie es sich Baerbock und Co wünschen. Wir sehen es im Gegenteil als unsere internationalistische Pflicht, dies zu verhindern.

Wir zahlen nicht für ihre Kriege: Kampf gegen ihre Verarmungspolitik heißt Kampf gegen die NATO!

Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Herrschenden wieder einmal ihren Krieg auf unserem Rücken austragen wollen: Was wir aktuell erleben, ist das Mobilmachen auf allen Ebenen für den großen Krieg mit Russland. Täglich versucht man, uns mit anti-russischer Propaganda aufzuhetzen. Wie zuvor am Hindukusch, so wird jetzt angeblich „unsere Freiheit“ in Kiew verteidigt. Und wir alle sollen mitmachen. Unsere Herrschenden drehen uns das Gas ab und verlangen von uns, „gegen Putin“ zu frieren. Mehr noch: Wir sind es, die die daraus entstehenden Mehrkosten zu zahlen haben, in erster Linie in Form höherer Gaspreise. Aber auch die 200 Milliarden Euro für die zeitweilige Deckelung der Gaspreise dienen vor allem dazu, dass sich die Konzernbosse die Taschen voll machen können – nur eben nicht mit direkten Zahlungen von uns, aber eben doch mit unseren Steuergeldern. Zu den derzeitigen Kriegs- und Krisengewinnern gehören neben Energiekonzernen wie Eon und RWE zudem große Logistikunternehmen und selbstverständlich auch die Rüstungsindustrie, deren Waffenlieferungen an die Ukraine genau wie Aufrüstungsprojekte für die Bundeswehr ebenfalls aus Steuern bezahlt werden.

Zugleich wird uns weiterhin von hochrangigen Politikern eingetrichtert, wir „alle“ müssten jetzt den Gürtel enger schnallen. Diese Propaganda dient der weiteren Mobilmachung für den Krieg, der Beschwörung von Geschlossenheit gegen den „russischen Feind“ und der Ablenkung von der Tatsache, dass es unsere Herrschenden waren, die uns in den Krieg gegen Russland und damit zugleich in die drohende Armut getrieben haben. Es gilt also, den Kampf gegen ihre Verarmungspolitik mit dem Kampf gegen ihre Kriegspolitik zu verbinden, denn beides hängt untrennbar zusammen!

Streiken statt frieren – für Inflationsausgleich und höhere Löhne!

Leider ist es wieder einmal so, dass auch die Gewerkschaften hierzulande sich haben einbinden lassen für die Politik von Regierung und Kapital: Es ist die internationalistische Verantwortung der deutschen Arbeiterbewegung, sich gegen Imperialismus und Krieg zu stellen und somit die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Verlegung von NATO-Kriegsgerät in den Osten zu ver- oder zumindest zu behindern, wie es bereits Hafenarbeiter in Italien, Griechenland und der Türkei getan haben. Stattdessen aber trägt die DGB-Spitze die antirussische Front nach außen weitgehend mit. Die logische Kehrseite dessen ist, dass sie nach innen den Burgfrieden fortsetzt, den wir schon seit der Corona-Krise erleben: So verzichten die Gewerkschaften „in diesen schweren Zeiten“, wie es immer heißt, erneut auf Forderungen, die echte Verbesserungen für die Arbeiterklasse bedeuten würden. Statt den sog. „konzertierten Aktionen“ (also Absprachen zwischen Gewerkschaftsspitze, Politik und Kapitalisten) sowie Einmalzahlungen braucht es jetzt erst recht radikale Arbeitskämpfe, die nicht nur einen echten Inflationsausgleich fordern, sondern darüber hinaus gehende Lohnsteigerungen!

Daher ist es wichtig, gegen die Verarmungspolitik der Herrschenden auf die Straße zu gehen. Dabei müssen wir allerdings rechten Kräften eine klare Absage erteilen: Die AfD ist genauso wenig eine Friedenspartei wie die Grünen! Zwar inszenieren sich Teile der Rechten gerne als „russlandfreundlich“ und als „Vertreter der kleinen Leute“. Beides ist aber geheuchelt: In Wahrheit stehen sie für Rassismus, Sozialabbau, Aufrüstung, Krieg – und für die Interessen des Kapitals. Wir dagegen müssen vor allem zu dem Mittel greifen, mit dem wir am meisten Druck aufbauen können, das der herrschenden Klasse wirklich wehtut und zu dem die Rechten niemals greifen: zum Arbeitskampf! Dazu braucht es Organisation, um die Gewerkschaftsspitzen unter Druck zu setzen und unsere Kampfkraft zu sammeln.

Es gilt, die richtigen Forderungen stark zu machen und durchzusetzen: Überall müssen wir den Zusammenhang aufzeigen, dass es der Krieg der NATO gegen Russland ist, für den uns das Geld aus der Tasche gezogen wird. Ihr Krieg ist ein Angriff auf die Arbeiterklasse – in der Ukraine, in Russland und in Deutschland!

Aufzeichnungen vom Kommunismus Kongress 2022

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Hier können wir euch einen großen Teil der Vorträge und Podien des Kommunismus Kongress 2022 als Audio- bzw. Videomitschnitt präsentieren, teilweise mit Zusatzmaterialien.

Zusätzlich zu YouTube findet ihr die Aufzeichnungen der Vorträge auch auf Spotify & Co.

TitelReferentenAufzeichnungZusatzmaterial
Eröffnung: Welche Fragen der Kommunistischen Bewegung stehen im Raum?KOYouTubeLink
RKAP – Die Russische Kommunistische Arbeiterpartei berichtetVictor Burenkov (RKAP)YouTube-Link
Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk – Legitimer Verteidigungskampf gegen NATO-Aggression und Faschismus oder nützliche Instrumente für Russland?Renate Koppe (DKP)YouTubeLink1.) Referat
2.) Zusatztexte
Monopolkapital, Finanzkapital, transnationales Kapital?Beate Landefeld (DKP)YouTube-Link
Lenin und KriegHeinz Ahlreip, vertreten durch Stiller und Lorenz (KO)YouTube-Link1.) Referat
2.) Zusatztext
Imperialistischer Krieg, Verteidigungskrieg, gerechter Krieg?Erhard Crome, Hannes Hofbauer, Renate Koppe (DKP)YouTube-Link
Neokolonialismus – Zum Verhältnis ehemals kolonialer Länder zu imperialistischen Kernländern (engl.)Vijay Prashad (Tricontinental Institute)YouTube-Link
Zur Rolle der USA in der Welt – Ökonomie, Politik, Militär, Arbeiterklasse (engl.)Ben Becker (PSL)YouTube-Link
Lage und Organisierung der Arbeiterklasse in der Russischen FöderationYana (KPD)YouTube-LinkPräsentation
Der gegenwärtige Imperialismus und die Kommunistische BewegungDima Alnajar (Partei des Volkswillens Syrien), Björn Blach (DKP), Torsten Schöwitz (KPD), Andreas Sörensen (SKP)YouTube-Link
Die aktuelle Stellung des deutschen ImperialismusGretl Aden (KAZ)YouTube-Link
Schweden und die NATO (engl.)Aris Patris (SKP)YouTube-LinkPräsentation
Zur Lage in und dem Charakter der Russischen Föderation (engl.)PolitsturmYouTube-Link
Klassenkampf ohne Klarheit? Die Notwendigkeit der revolutionären Theorie und PraxisHans Bauer (GRH), Kai (Hände weg vom Wedding), Hauke (Kämpfende Jugend), Gregor Lenßen (KPD), Max (KO)YouTube-Link

Spaltung und Haltung der Internationalen Kommunistischen Bewegung in der neuen Etappe des Imperialismus

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Gastbeitrag von Oskar Kirsch

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Liebe Genossen und Genossinnen,

es freut mich außerordentlich, zu sehen, dass die Kommunistische Organisation die angestrebte Arbeitsweise des BolscheWikis – die Dissense in der Internationalen Kommunistischen Bewegung durch Diskussionen unter den kommunistischen Gruppierungen und wissenschaftliches Studium klären zu helfen – zur Vorbereitung des Kommunismus-Kongresses durch Analysen, Podcasts und Rezensionen auf breiter Grundlage anwendet. Der folgende Beitrag, der am 27. August 2022 fertig gestellt wurde, soll daran anknüpfen und darin einige weitere Aspekte beleuchten.

I. Die neue Etappe des Imperialismus

Mit dem Übertritt der Grenze zwischen Russischer Föderation und Ukraine am 24. Februar 2022 durch russische Truppen ist die Welt in eine neue Etappe des Imperialismus eingetreten: Zum ersten Mal haben reguläre Verbände der russischen Atommacht einen der am stärksten militärisch und ideologisch entwickelten Vorposten der beiden miteinander verzahnten imperialistischen Zentren und Atommächte USA und EU – oder, wenn man anders will: die Länder an der Spitze der imperialistischen Pyramide –, beschossen. Die Kämpfe dauern bis heute an. Die weitere Eskalation der Kämpfe, unter Umständen ein NATO-Bündnisfall und der Einsatz von erst taktischen und dann strategischen Nuklearwaffen könnten im Verhungern eines Großteils der Menschheit enden.

Niemals zuvor waren so reich entwickelte Produktivkräfte der Menschheit so eng in ihren Produktionsverhältnissen gefesselt. Die gigantischen weltweit verflochtenen Produktionskapazitäten an Nahrung, Kleidung, Baumaterial und Methoden der Energiegewinnung werden regelmäßig zu großen Teilen vernichtet anstatt die Hunderten Millionen Hungernden sich satt essen oder die Frierenden Kleidung und warme und helle Wohnungen bekommen zu lassen. Wir könnten zu den Sternen fliegen, die hintersten Winkel der Menschheitsgeschichte erforschen, um einander besser zu verstehen und unser Leben stetig verlängern. Stattdessen fließt Überschuss größtenteils in Militär, dekadenten Luxus oder wird bewusst reduziert – Kapitalismus, bei der der Reichtum der Bourgeoisie die Armut des Proletariats und der Bauern schafft.

Die Bourgeoisie, die schon zwei Weltkriege und Tausende kleinere Kriege verbrochen, Milliarden zu früh Gestorbene und die Bremsung des gesellschaftlichen Fortschritts der ganzen Welt auf dem Gewissen hat, dominiert seit weit über einem Jahrhundert und weder die Revolutionen des russischen noch des chinesischen Volkes konnten ihr bis jetzt den wohlverdienten Todesstoß versetzen. Bourgeois existieren heute in jedem Land und sie kämpfen miteinander um jedes Fleckchen Erde, jedes Gramm Rohstoff und jede Sekunde ausgebeutete Arbeitszeit. Teilweise sind sie gut organisiert und nennen Monopole ihr eigen, womit sie die Staats- und Hegemonieapparate zur Unterdrückung und Integration von Proletariat, Kleinbürgertum und Bauernschaft „unterwerfen“ (Stalin 1953, 52).

In den imperialistischen Zentren hat sich die Bourgeoisie als Finanzkapital konzentriert – aktuell geführt aus den USA. Über die Banktrusts Blackrock, Vanguard und Co. beeinflusst es die Firmen- und Politikentscheidungen ihrer Anlageorte, versucht, diese zu kontrollieren (vgl. Rügemer 2018, 12 sowie Bina 2022b) und über Stiftungen, Presse, Parteien und Wissenschaft unterhält es eine Armee von Lohnschreibern zur Manipulation der öffentlichen und privaten Meinung. Dabei stützt es sich auf regionale Kompradoren, die durch den politischen, geheimdienstlichen und militärischen Druck der imperialistischen Zentren in ihren Machtpositionen gehalten werden und sich für das jeweilige Stillhalten einen Teil der Profite einstreichen dürfen.

Zwischen Kompradorenbourgeois und dem führenden Finanzkapital in den USA besteht seit dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der massiven ökonomischen und militärischen Überlegenheit der USA ein relativer Waffenstillstand – bei zu Grunde liegender Normalität des Dauerkriegszustandes innerhalb des Imperialismus. Gerne würde der deutsche Imperialismus seinen dritten Anlauf zur Weltdominanz nehmen, wird aber von den USA noch erfolgreich niedergehalten.

Die beiden anderen wirtschaftlich und militärisch eigenständigen Zentren im imperialistischen Weltsystem sind die Russische Föderation und die Volksrepublik China. Der Rest der Länder verhält sich jeweils zu einem oder mehrerer dieser Zentren in unterschiedlichem Maße als Halbkolonie. Echte Kolonien existieren bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr.

Um die Produktivkräfte zu befreien und die Überproduktionskrisen und die Kriegszirkularität des Kapitalismus zu beenden, steht die Menschheit vor der Aufgabe, das ökonomische Grundgesetz des Kapitalismus von der Sicherung des Maximalprofits praktisch durch das des Sozialismus zu ersetzen: „Sicherung maximaler Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft durch ununterbrochenes Wachstum und ununterbrochene Vervollkommnung der sozialistischen Produktion auf der Basis der höchsten Technik“ (Stalin 1953, 49). Der Vortrupp der revolutionären Klasse des Proletariats, welches die schwankenden Schichten mit sich ziehen muss, um sich gegen die Bourgeoisie durchsetzen zu können, sind die Kommunistischen Parteien:

  • Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) – 95 Millionen Mitglieder1 – versucht auf dem Wege des „Sozialismus chinesischer Prägung“ mit einer „sozialistischen Marktwirtschaft“, nachdem die Revolution und der ökonomische Wechsel gelungen waren, die sozialistische Produktion durch marktwirtschaftliche Elemente letztendlich zu vervollkommnen und sich so auch darauf vorzubereiten, einen Vernichtungsschlag des US-Imperialismus gegen sich selbst als mächtigsten Gegner abwehren zu können.
  • Die Partei der Arbeit Koreas – 7 Millionen Mitglieder – versucht, gegen den US-Imperialismus militärisch wehrhaft zu werden und aus einer Position der Stärke heraus die Wiedervereinigung Koreas zu erreichen.
  • Die Kommunistische Partei Vietnams – 3,6 Millionen Mitglieder – versucht, Neutralität zu wahren und derweil die Landesproduktion zu entwickeln.
  • Die Kommunistische Partei Kubas – 670.000 Mitglieder – versucht, der Blockade zu trotzen und der Welt ein leuchtendes Beispiel für den inklusiven Charakter des Sozialismus zu geben.
  • Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) – 160.000 Mitglieder – versucht, das russische Volk zu vereinen und das Erbe der Sowjetunion unter kapitalistischen Bedingungen zu verteidigen.
  • Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) – mehrere 10.000 Mitglieder und eine parteinahe Gewerkschaft mit knapp einer Million Mitglieder – versucht in einem dem deutschen und dem US-Imperialismus halbkolonial untergeordneten Land die Arbeiterklasse für eine sozialistische Revolution zu organisieren.

II. Spaltung in der Internationalen Kommunistischen Bewegung

Anlässlich des Grenzübertritts am 24. Februar hat die KKE zusammen mit weiteren Parteien – inzwischen über 40 – eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Von den meist kleineren unterzeichnenden Parteien sind die bedeutendsten die South African Communist Party mit 200.000 sowie die KKE selbst als Initiatorin. Dabei ist unbekannt, inwieweit die Formulierungen der Erklärung von jedem Mitglied getragen werden, wie sie in den unterschiedlichen Sprachen jeweils verstanden werden und ob manche Unterzeichnungen nur das Ergebnis kurzfristiger Mehrheiten in Führungsgremien sind, die die Auffassungen der Parteibasis nicht korrekt abbilden. Dennoch trat mit der Erklärung ein relevanter Teil der Internationalen Kommunistischen Bewegung auf.

Darauf bat die KPRF darum, folgenden Satz zu streichen: „Die Entscheidung der Russischen Föderation, zunächst die ‚Unabhängigkeit‘ der sogenannten ‚Volksrepubliken‘ im Donbass anzuerkennen und dann unter dem Vorwand der ‚Selbstverteidigung‘ Russlands, der ‚Entmilitarisierung‘ und ‚Entnazifizierung‘ der Ukraine zu einer Militärintervention überzugehen, diente nicht dem Schutz des Volkes in der Region oder dem Frieden, sondern den Interessen der russischen Monopole auf ukrainischem Territorium, und ihrer erbitterten Konkurrenz mit den westlichen Monopolen“ (Joint Statement 2022) oder durch folgenden zu ersetzen: „Der Zweck der militärischen Sonderoperation zielt darauf ab, Millionen von Menschen, die seit acht Jahren unter Belästigung und Völkermord durch das Kiewer Regime leiden, zu schützen“ (Internationale Abteilung des ZK der KPRF 2022a). Den Rest der Erklärung trug die KPRF mit. Dies ist nachvollziehbar, da die Initiative für die Anerkennung der Volksrepubliken und die damit verbundene staatliche russische Militär- und Wirtschaftshilfe seit dem Maidan-Putsch primär von der KPRF ausging. Sie selbst war auch Hauptakteur der humanitären Hilfe und hat die Verteidigung der Volksrepubliken gegen militärische Angriffe immer unterstützt.

In ihrer Erwiderung greift die KKE Sjuganow als ihrer Einschätzung nach ideologischen Hauptvertreter der KPRF an, argumentiert mit den Rohstoff- und Marktzugängen der russischen Bourgeoisie in der Ukraine als Kriegsgrund und stellt die russische Bourgeoisie als in der Russischen Föderation seit 1990 quasi unverändert ruchlos und dominierend dar (vgl. Abteilung Internationale Beziehungen des ZK der KKE 2022a). Dazu stellt sie zum Verhältnis Russland-Ukraine fest: „Als sich in der Ukraine die Goebbels-Propaganda verbreitete, leistete Russland der Ukraine, mit den Worten W. Putins, ‚materielle Unterstützung‘“. Putin würde einen „Ideologen des Faschismus“ der russischen Jugend empfehlen und die KPRF würde dieser Regierung nun folgen (vgl. ebd.). Dennoch wurde der zur Streichung erbetene Passus seitens der KKE nicht wiederholt, sondern die Teile betont, bei denen die KPRF signalisiert hatte, sich ebenfalls anschließen zu können und versucht, die Debatte – wenn auch polemisch – zu vertiefen.

Darauf antwortete die KPRF wiederum ihrerseits, dass der Charakter des Krieges „ein nationaler Befreiungskrieg der Menschen im Donbass“ und „aus russischer Sicht ein Kampf gegen eine äußere Bedrohung der nationalen Sicherheit und gegen den Faschismus“ sei (Internationale Abteilung des ZK der KPRF 2022b). Dazu sei die russische Bourgeoisie gegen den Militäreinsatz gewesen und hätte kein Interesse an der Ausbeutung der ukrainischen Ressourcen, da sie sich in ihrer Mehrheit mit dem US-Finanzkapital gut stellen wollte. Es sei nicht die KPRF, die der Linie der russischen Regierung folge, sondern umgekehrt müsse die Regierung „unter dem Druck historischer Imperative dem Weg folgen, den die KPRF seit drei Jahrzehnten vertritt“ (ebd.).

Die parallel gelaufene Kontroverse zwischen der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei (RKAP) – 60.000 Mitglieder – und der KKE, die sehr viel heftiger verlief, weil es eine engere gemeinsame Geschichte der beiden Parteien gibt, drehte sich primär um die unterschiedliche Einschätzung der imperialistischen Stärke der Russischen Föderation, der faschistischen Qualität der NATO-Staaten und der Bündnispolitik der RKAP sowie die Kultur der Zusammenarbeit zwischen den Kommunistischen Parteien (vgl. Politischer Rat des ZK der RKAP 2022a, Abteilung Internationale Beziehungen des ZK der KKE 2022b, 2022c sowie Internationale Abteilung des ZK der RKAP 2022 und Internationale Kommission des ZK der RKAP 2022 als auch Düll 2022b).

Unterm Strich hätte man sich etwas mehr Sensibilität der drei Parteien für die unterschiedlichen Umstände in den jeweiligen Ländern gewünscht – gerade jetzt, wo der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit besonders auf den radikaleren gesellschaftlichen „Abweichlern“ liegt, um den Konsens der Mehrheit besser manipulieren zu können. Beispielhaft bei folgendem Fall: „So veröffentlichte G. Zyuganov Fotos der Kundgebung der KKE erneut in den sozialen Medien und interpretierte sie als Unterstützung für die sogenannte russische Welt … Diese Nachricht erschien in einer bürgerlichen Zeitung unseres Landes, die versuchte, die KKE der Doppelzüngigkeit und Unterstützung des kapitalistischen Russlands zu beschuldigen“ (Abteilung Internationale Beziehungen des ZK der KKE 2022a). Mit diesem Problem des Fünfte Kolonnen-Vorwurfs haben alle Kommunistischen Parteien in NATO-Ländern zu tun. In der BRD ist die Parteinahme für Russlands militärisches Vorgehen sogar unter Strafe gestellt, auch wenn einem die Heuchelei dabei, zieht man einen Vergleich zu anderen ebenfalls als völkerrechtswidrig gekennzeichneten Militärhandlungen der Vergangenheit, fast die Schuhe ausziehen kann. Auf der anderen Seite ist die beschriebene Lage von KPRF und RKAP keine einfache und Polemiken – insbesondere ungenaue – in der Öffentlichkeit sind unter diesem Druck leichter dazu geeignet, als anmaßend empfunden zu werden. So ist eine weitere Spaltung in der Internationalen Kommunistischen Bewegung entstanden, deren weiterer Verlauf und Konsequenzen noch schwer abzusehen sind.

III. Die Haltung der deutschen Kommunisten zur neuen Etappe

Wie ist die Haltung der deutschen Kommunisten zum Grenzübertritt?

Die Kommunistische Plattform in der Partei DIE LINKE – 1.000 Mitglieder – ist sich uneins: „Manche meinen, die Ignoranz des Westens gegenüber den begründeten Forderungen nach Sicherheitsgarantien seitens der Russischen Föderation rechtfertigten die Anerkennung der »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk durch Russland. Andere halten es für ungerechtfertigt…Keine Meinungsunterschiede gibt es hinsichtlich der Legitimität russischer Sicherheitsinteressen, vor allem im Zusammenhang mit der wortbrüchigen NATO-Osterweiterung und dem Boykott der Minsker Vereinbarungen durch den Westen und Kiew. Die KPF hat sich zu diesen Fragen seit Jahr und Tag immer wieder eindeutig geäußert und sieht keinen Grund, ihre Position in Frage zu stellen, dass die NATO und vor allem der US-Imperialismus die Hauptverantwortung dafür tragen, dass die Weltlage heute so ist, wie sie ist.“ (Bundessprecherrat der KPF 2022).

Die Deutsche Kommunistische Partei – 2.800 Mitglieder – sieht die Anerkennung der Volksrepubliken durch die Russische Föderation, das Beistandsabkommen sowie die militärischen Aktivitäten auf dem Territorium der Volksrepubliken als völkerrechtskonform an und ist sich uneins bei den Kampfhandlungen im Rest der Ukraine: zu „verurteilender Angriffskrieg“ oder „präventive Verteidigung gegen einen Angriff der Ukraine, hochgerüstet und letztlich politisch dirigiert durch USA und NATO“ (Köbele 2022).

Die Kommunistische Partei Deutschlands – 150 Mitglieder – sieht einen Ablenkungscharakter: „Je mehr wir Kommunisten in Europa uns mit diesem einen Krieg in der Ukraine beschäftigen, desto weiter rücken die anderen politischen Ereignisse auf der ganzen Welt in unserem Bewußtsein in den Hintergrund“ (Geppert 2022, 1) und verweist auf die Medienpropaganda: „Durch die hiesigen Medien wurde und wird Rußlands Rolle im Ukraine-Konflikt maßlos aufgeblasen. Das ist die Begleitmusik dazu, daß sich einige wenige aber einflußreiche Kräfte die Hände reiben, denn endlich gibt es wieder eine günstige Gelegenheit, die Welt ein Stückchen weiter neu aufzuteilen, dieses Mal auf Kosten des russischen Kapitalismus“ (Schöwitz 2022).

Die KO ist sich ebenfalls uneins und variiert leidenschaftlich zwischen folgenden Positionen:

a.

  • 1. Russland ist kapitalistisch (vgl. Bina 2022, Kiknadze 2022, Kissel 2022a).
  • 2. Der Grenzübertritt diente der Verhinderung eines späteren NATO-Angriffes von ukrainischem Territorium aus (vgl. Düll 2022a, Kiknadze 2022, Kissel 2022a).
  • 3. Er fand gegenüber einem nicht souveränen Staat statt (vgl. Düll 2022a, Kiknadze 2022).
  • 4. Die Lage der Arbeiterklasse in Russland und der Ukraine würde sich durch ihn verbessern (vgl. Bina 2022, Düll 2022a, Kiknadze 2022, Kissel 2022a).
  • 5. Man müsse deshalb allein gegen die NATO agitieren (vgl. Bina 2022, Kissel 2022b).

und b.

  • 1. Russland ist imperialistisch (vgl. Aurora 2022, Barth 2022, Hensgen 2022, Hensgen & Spanidis 2022, Honer 2022, Müller 2022, Oskar 2022, Relko 2022, Saidi 2022a, Spanidis 2022a & b, Spanidis & Vermelho 2022), China auch (vgl. Hensgen 2022, Hensgen & Spanidis 2022, Honer 2022, Medina 2022, Müller 2022, Oskar 2022, Saidi 2022a & b, Spanidis 2022a & b, Spanidis & Vermelho 2022).
  • 2. Die NATO würde „rationalen Interessen folgen und keinen selbstmörderischen Angriffskrieg gegen Russland“ beginnen wollen (Spanidis 2022a, vgl. auch Aurora 2022, Hensgen 2022, Spanidis & Vermelho 2022).
  • 3. Der Grenzübertritt war ein Angriff auf einen souveränen Staat (vgl. Spanidis 2022a).
  • 4. Die Lage der Arbeiterklasse in Russland und der Ukraine würde sich durch ihn verschlechtern (vgl. Aurora 2022, Hensgen 2022, Hensgen & Spanidis 2022, Müller 2022, Oskar 2022, Saidi 2022a, Spanidis 2022a, Spanidis & Vermelho 2022).
  • 5. Konsequenz sei, den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg aus der BRD heraus zu verurteilen und auf dieser Basis Bündnisse in der Friedensbewegung gegen Waffentransporte, Aufrüstung und die NATO zu schließen (vgl. Hensgen & Spanidis 2022, Spanidis 2022a).

Zur Klärung der Grundlagen dieser Varianz hat die KO Podcasts zur Kongress-Vorbereitung aufgenommen, in denen die fünf Streitpunkte diskutiert wurden:

Zu 1. Charakter des russischen Staates

Koppe sieht Russland als ein nicht-imperialistisches, vom Imperialismus teilweise halbkolonial abhängiges, kapitalistisches Land mit einer Kompradorenbourgeoisie, deren Monopole durch die Aneignung von sozialistischem Eigentum entstanden seien (vgl. 2022, 20:15). Zavatzky sieht die Kompradorenbourgeoisie vordergründig auf der Extraktion von Rohstoffen fußend und eine im Verhältnis zur NATO geringe konventionelle Militärstärke (vgl. 2022b, 80:45). Die Bourgeoisie sei mehrheitlich gegen den Grenzübertritt gewesen, da sie kein Interesse an ukrainischem Territorium habe. Russland sei reich genug an Boden und Rohstoffen. Zahlreiche Milliardäre protestierten deshalb dagegen oder flüchteten aus Russland (vgl. ebd., 15:35). Corell sieht eine Aufteilung in Kompradoren- und nationale Bourgeoisie und verweist auf die dazugehörige historisch von der KPCh stammende Volksdefinition als bestehend aus Bauern, städtischem Kleinbürgertum, Proletariat und nationaler Bourgeoisie (vgl. 2022, 39:35). Er sieht Russland ebenfalls als Halbkolonie und damit als einen „Staat, der politisch souverän scheint, aber ökonomisch vom Imperialismus abhängig ist“ (ebd., 15:20). Dies würde durch die nicht dominierende Stellung der russischen Unternehmen auf dem Weltmarkt bestätigt (vgl. ebd., 54:35). Zeise hält die Begriffe National- und Kompradorenbourgeoisie, welche antirussisch und pro-amerikanisch sei (vgl. 2022, 67:50), ebenfalls für anwendbar auf Russland, sieht aber das Finanzkapital einen russischen Imperialismus führend (vgl. ebd., 75:20). Lauterbach stimmt zwar dieser begrifflichen Unterscheidung innerhalb der russischen Bourgeoisie nicht zu, beschreibt aber ebenfalls eine westangebundene Kapitalistengruppe und eine, die von Staatsaufträgen lebt (vgl. 2022, 107:00). Zenker sieht das Vorhandensein eines russischen Monopolkapitals und einer Finanzoligarchie und deshalb einen russischen Imperialismus (vgl. 2022, 32:45). Bauer verweist auf die historisch hohe Bedeutung des russischen Volkes in der Zeit der Sowjetunion, dessen sich die Russen heute weiter bewusst seien und deshalb ihre bedeutende Rolle in der Welt wieder erlangen wollten (vgl. 2022, 28:25). Dazu nennt er China, ein Land mit „sozialistischem Anspruch“, als eigentlichen „Hauptgegner“ der USA (ebd., 63:30), welches für ihn eine „große Hoffnung“ darstellt, da die KPCh die Landesentwicklung kontrolliere und erfolgreich eine regulierte Marktwirtschaft etabliert (vgl. ebd., 64:40). Dies begründet er allgemein mit den zwei Seiten einer sozialistischen Gesellschaft und Staatlichkeit: der politischen und der ökonomischen Macht. Die erstere würde von der KPCh ausgeübt und diese müsse in Zukunft beweisen, dass die dortige Ökonomie sich auf Basis dieser Macht in eine sozialistische Richtung entwickele (vgl. ebd., 68:22).

Zur Analyse des Klassencharakters des russischen Staates wären darüber hinaus noch hinzuzufügen die Analysen von Genosse Jeremiah, dass der russische Kapitalexport im Vergleich zu den Kapitalexporten der führenden imperialistischen Staaten weitaus weniger bedeutend und der russische Staat deshalb nicht imperialistisch sei (vgl. 2022, 34ff.) sowie von Stiller, der das hohe Gewicht des russischen Staatsbesitzes betont (vgl. 2022, 51ff.).

Zusammengenommen lassen die skizzierten Analysen sowie die vielfach erwähnte mangelnde Auseinandersetzung mit dem engsten Bündnispartner Russlands – China – die These vom imperialistischen Charakter des russischen Staates und dessen zukünftigen imperialistischen Agierens etwas wackelig erscheinen. Durch die Schwächung der Kompradorenbourgeoisie wird das Gewicht des staatlichen Eigentums weiter zunehmen und dadurch auch den politischen Einfluss der Nationalbourgeoisie schmälern. So steigt der mögliche Einfluss des Proletariats und des Kleinbürgertums auf das Staatshandeln, welchem dazu durch ein fehlendes herrschendes privates Finanzkapital keine Klassenbasis für imperialistische Eroberungen zu Grunde liegen wird. Damit steigt auch tendenziell die Bedeutung von diplomatischer Zusammenarbeit und der Vereinbarung von zwischenstaatlichen wirtschaftlichen Kooperationen. Der Klassencharakter des chinesischen Staates wird deshalb in Zukunft eine noch viel größere Auswirkung auf den des russischen Staates haben. Die Taiwan-Frage macht deutlich, dass die internationale Kommunistische Bewegung sich bald genötigt sehen wird, den Charakter des chinesischen Staates ebenfalls genauer zu analysieren. Dafür müssten hierzulande unter anderem Kunzmanns Replik (2018) auf Spanidis (2016) sowie Flegels und Gepperts ökonomische Analyse Chinas (2020) grundlegender untersucht werden.

Zu 2. Kriegsanlass

Kissel beschreibt, dass dem Grenzübertritt eine „geplante Invasion der ukrainischen Armee auf den Donbass vorausging. Das heißt, Truppen wurden massiert und der militärische Aktionsplan der ukrainischen Regierung sah eine Rückeroberung der Volksrepubliken und der Krim vor. Dann hat die Anerkennung der Volksrepubliken und der militärische Beistand durch die Russische Föderation stattgefunden“ (2022c, 5:25), was Zavatzky ähnlich sieht (vgl. 2022b, 10:00). Wagner führt die massiven Waffenstillstandsverletzungen als Indizien eines für die russische Seite so verstehbaren bevorstehenden ukrainischen Einmarsches an (vgl. 2022, 13:50), während Lauterbach das für nicht nachgewiesen hält (vgl. 2022, 140:45).

Hinzuzufügen wären die Einschätzungen der KPRF und der RKAP zu der sie selbst scheinbar bedrohenden Lage: „Gleichzeitig war die Stationierung taktischer US-Atomwaffen in der Ukraine im Gespräch. Die Ukraine, die über vier Atomkraftwerke und ein beträchtliches wissenschaftlich-technisches Potenzial verfügt, hat mit den Vorbereitungen zur Herstellung einer eigenen Atomwaffe begonnen. Unter der Schirmherrschaft des Pentagon errichtete die Ukraine mehr als 30 Labors zur Entwicklung bakteriologischer Waffen. Es gibt Dokumente, die belegen, dass diese Labors mit besonders gefährlichen Bakterien tödlicher Krankheiten arbeiteten und Methoden untersuchten, sie auf Menschen verschiedener Rassen zu verteilen. All dies stellt nicht nur eine Bedrohung für Russland dar, sondern für die gesamte Menschheit“ (Internationale Abteilung des ZK der KPRF 2022b). Und: „Die Imperialisten brachten die NATO zielstrebig näher an die Grenzen Russlands heran und arbeiteten daran, Russland zu schwächen, um eine immer größer werdende, überhängende Bedrohung für Russland zu schaffen. Angefangen bei Raketen mit minimaler Flugzeit bis hin zu einem Netz von biologischen Labors mit der Aussicht auf neue biologische Waffen“ (Politischer Rat des ZK der RKAP 2022a). Hinweise auf US-Biowaffenlabore gibt es auch in zahlreichen anderen Ländern wie Kasachstan (vgl. Zavatzky 2022a).

Der Klassencharakter des US-amerikanischen Staates als vom weltweit führenden Finanzkapital unterworfen und mit dem deshalb höchsten Verfaultheitsgrad legt nahe, dass es den Plan verfolgt, das russische Volk bei Bedarf biologisch und atomar zu großen Teilen ausrotten zu können. Das hätte es leichter aus der Ostukraine heraus und mit einer zurückeroberten Krim tun können. Der jetzt stattfindende Versuch der wirtschaftlichen Erdrosselung war sichtbar die mildeste intendierte Folge der US-Zustimmung zu den offensiven ukrainischen Militäraktivitäten.

Zu 3. Charakter des ukrainischen Staates

Bauer spricht von „Selbstverteidigung“ in Bezug auf das Völkerrecht (vgl. 2022, 33:00) und zur präventiven Selbstverteidigung sagt Sjuganow: „Im militärpolitischen Bereich müssen Entscheidungen dann getroffen werden, wenn sie die größte Wirkung erzielen“ (2022). Wagner argumentiert, warum sich die Russische Föderation nicht auf das UN-Selbstverteidigungsrecht berufen könne, sondern einen völkerrechtswidrigen Präventivkrieg gestartet hätte (vgl. 2022, 28:40). Zenker nennt es „imperialistischer Angriffskrieg“ (2022, 75:10). Lena weist darauf hin, dass das Völkerrecht aber nur von einer starken organisierten Arbeiterschaft durchgesetzt werden könne (vgl. 2022, 89:50). Die Ukraine sieht Lauterbach in einer „de facto Marionettenrolle“ in „extremer finanzieller Abhängigkeit von westlichen Zuwendungen“, aber nicht als Kolonie, die gänzlich „keine eigene politische Subjektivität“ habe (2022, 19:50). Er (vgl. 2022, 77:45) sowie Fazolo (vgl. 2022, 22:10) halten die Staatsform in der Ukraine für keinen Faschismus an der Macht. Zavatzky hält die Qualität des Faschismus in der Ukraine für vergleichbar mit lateinamerikanischen Formen des Faschismus in einem Peripherieland (vgl. 2022b, 47:20). Die Bevölkerung in den Volksrepubliken möchte laut Koppe lieber zu Russland gehören als zu einer unreformierten Ukraine (vgl. 2022, 17:30).

Faschismus an der Macht als offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals trifft aufgrund des großen Anteils an Verdecktheit in der Ukraine noch nicht zu. Durch den zu geringen Einfluss der Sozialdemokratie als objektiv gemäßigtem Flügel des Faschismus gelang es auch noch nicht, eine ausreichende Massenbasis für einen Faschismus an der Macht zu organisieren. Dennoch ist das Vorhandensein der verdeckten terroristischen Diktatur dieser Elemente des Finanzkapitals der Beweis für die nicht vorhandene Souveränität des ukrainischen Staates. Dazu wollten große Teile der als „Neurussland“ bezeichneten Gebiete seit 2004 stetig steigend in die Russische Föderation und haben damit auch die Einheitlichkeit des ukrainischen Staatsgebietes in Frage gestellt. Eine größere Autonomie der Gebiete innerhalb der Ukraine wäre nur ein Kompromiss mit dieser Bewegung gewesen.

Im Völkerrecht gibt es dafür eine aus der Kolonialbefreiung entstandene, aber bisher selten angewandte Grundlage innerhalb des Selbstbestimmungsrechtes der Völker: Unter nicht diskriminierenden Bedingungen müssen Entscheidungen über Aufteilungen eines Staatsgebietes im Gesamtstaat und innerhalb dessen Verfassung durchgeführt werden. Dies fand in der Ukraine nicht statt. Wenn eine Regierung aber nicht „die gesamte Bevölkerung des Gebiets ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Hautfarbe vertritt“ (Generalversammlung der Vereinten Nationen 1970, 7), entfällt die an selber Stelle ausgedrückte Ablehnung von „Maßnahmen, welche die territoriale Unversehrtheit oder die politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten…ganz oder teilweise auflösen oder beeinträchtigen würden“. Damit entfällt die Notwendigkeit der gesamtstaatlichen Abstimmung und da ein eigenes Volk mit eigenständigen Rechten existiert, welches von einem anderen Volk im bisherigen Staat unterdrückt wird, hat das unterdrückte Volk auch Anrecht auf diplomatische und im zweiten Schritt militärische Beihilfe durch die Vereinten Nationen. Formal gesehen ist das Völkerrecht somit auch für diesen Fall relativ gut ausgearbeitet und würde man es vom Standpunkt der Völker anwenden, würden sich die meisten Konflikte auf der Welt zwischen diesen damit lösen lassen. Da aber internationales Recht seiner gesellschaftlichen Basis entspringt, dient es in der Epoche des Kapitalismus im Stadium des Imperialismus primär dem führenden Finanzkapital. Unter diesen Bedingungen hatten und haben auch sozialistische und halbkoloniale Staaten wenig Interesse an einem generellen Recht auf Sezession, da dieses vom Finanzkapital zu ihrer Destabilisierung missbraucht würde. In diesem Zusammenhang hat die Russische Föderation als eines der beiden unabhängigen dem führenden Finanzkapital gegenüber feindlich eingestellten Wirtschafts- und Militärzentren kein grundsätzliches Interesse an der Sezession gehabt, da eine Kompromisslösung in der Ukraine mehr Gelegenheit gegeben hätte, den Einfluss des US- und EU-Finanzkapitals auf nicht-militärischem Wege zurückzudrängen und damit mehr den Interessen des gesamten russischen Volkes zu entsprechen. Allein die Kriegsorientierung des US-Finanzkapitals und seiner ukrainischen Kompradoren hat dies verhindert. Die Russische Föderation hat mit ihren Verhandlungsbemühungen auch die ganze Zeit dem Völkerrecht entsprochen, obwohl eine schon frühere Militärbeihilfe von diesem ebenfalls abgedeckt gewesen wäre. Der völkerrechtskonforme Weg für eine Militärbeihilfe wäre aber eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrates. Da mindestens die USA wiederum dort ein Veto eingelegt hätten, hat die Russische Föderation durch ihren Grenzübertritt – unter der Prämisse, die feindlichen Verbände, die an der Unterdrückung des russischen Volksteils im Donbass beteiligt sind, kampfunfähig zu machen – dem Willen eines Teiles der Völkerrechts-Gesetzgeber wie der Sowjetunion, aber nicht dem der aktuell dominierenden Gesetzausleger entsprochen. Die aktuelle in der BRD vorgeschriebene Kennzeichnung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ist deshalb korrekt – wenn man sich auf den Standpunkt des US- und EU-Finanzkapitals und ihrer Lakaien stellt.

Zu 4. Veränderung der Lage der Arbeiterklasse

Lauterbach sagt, dass die russische Militäroperation bisher das Gegenteil ihres Zieles der Demilitarisierung wie auch der Entnazifizierung bewirkt hätte (vgl. 2022, 142:20) und, dass es der russischen und ukrainischen Arbeiterklasse durch sie nicht besser gehen würde (vgl. ebd., 56:00). Zenker sieht dies ähnlich, insbesondere, weil immer Arbeiter aufeinander schießen sollen (vgl. 2022, 82:30).

Wiegt man das bisher zerstörte Militärpotential gegen das hinzugekommene in der Ukraine auf, kann in Bezug auf die Ukraine eindeutig von einer Demilitarisierung gesprochen werden. Eine Militarisierung fand eher in anderen Ländern statt, diese waren aber auch nicht erklärte Ziele der Russischen Föderation. Die Anzahl der bewaffneten faschistischen mordbereiten und foltererfahrenen Getöteten ist so groß, dass die gestiegene ideologische Faschismusbereitschaft in der Ukraine qualitativ als von sehr viel geringerer Bedeutung eingeschätzt werden kann. Anders herum ist es wiederum in anderen Ländern wie der BRD.

Die Zerstörungen und Totenzahlen sowie die auf beiden Seiten unkonstruktiv für Waffen und Kriegslogistik verwendeten Produktionskapazitäten lassen die Lage der ausgebeuteten Klassen kurzfristig deutlich schlechter erscheinen. Langfristig gesehen kämpfen die russische Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum – einschließlich Donbass, bzw. Neurusslands – dafür, eine Unterwerfung durch das US- und EU-Finanzkapital sowie die steigende Gefahr eines Dritten Weltkrieges bei einer weiteren Aufrüstung und Faschisierung der Ukraine abzuwenden. Dass dies aktuell nur unter kurzfristiger Erhöhung der Gefahr eines Dritten Weltkrieges und unter großen Opfern realisierbar erscheint, liegt nicht primär im Willen der kämpfenden unterdrückten Klassen, sondern im Grad der Verfaultheit des Finanzkapitals begründet.

Zu 5. Losungen

Da die Podcast-Gäste größtenteils individuell publizistisch tätig sind, konzentrieren sie sich mehr auf die Agitation innerhalb der deutschen Online-Öffentlichkeit als auf Straßenpropaganda und treffen insoweit kaum Aussagen über die richtigen Losungen in der aktuellen Lage.

Dazu scheint der Wunsch nach richtigen Losungen im Angesicht der Schwäche der deutschen Kommunisten – denkt man nicht, dass es nur allein schon der richtigen Losungen bedürfe, um die Massen zu versammeln – öfter unter der Prämisse aufzutreten, dass man die Richtung der Politik nicht grundsätzlich ändern könne, aber anhand des fortlaufenden schlechten Handelns der eigenen Regierung sowie des Erklärens der Hintergründe gegenüber der Arbeiterklasse zeigen könnte, wie überzeugend der Sozialismus sei, in dem so etwas dann nicht mehr stattfände oder zumindest vom gewerkschaftlichen Klassenkampf überzeugen könnte, der einem eine bessere materielle Lage beschere, weil das Kapital sonst leichtes Spiel habe. In diesem Zusammenhang wirkt die Bezugnahme auf den Krieg in der Ukraine manchmal eher wie ein Instrument, um zeigen zu können wie schlecht der Kapitalismus für die Ausgebeuteten ist und es scheint – offensichtlich aufgrund einer eher pessimistischen Sichtweise – weniger darum zu gehen, die Umstände, die den Krieg von Deutschland aus unmittelbar am Laufen halten, wirklich zu ändern, auch unter der Erkenntnis, dass man an der Bereitschaft des US-Finanzkapitals, den Krieg weiter zu eskalieren, wiederum wirklich nicht viel ändern kann. Diese Umstände sind zuallererst die Finanzhilfe sowie die Waffen- und Truppentransporte über deutschen Boden. Für die Änderung dieser Umstände bräuchte man aber Bündnisse, und zwar schnell. Die kommunistischen Gruppen müssten durch Demonstrationen, Flugblattverteilungen und Online-Agitation mit den Massen zusammen Druck auf Nicht- und LINKE-Wähler sowie die Gewerkschaften ausüben, die ihrerseits Druck auf die SPD-Wähler ausüben, sodass die SPD die Führungsgruppe um Scholz stürzt und die Regierung verlässt. Gleichzeitig müsste es Agitation in den sozialdemokratischen Teilen des CDU- und CSU-Klientel geben – Beispiel: Kretschmers Linie gegen Merz’ Linie unterstützen –, damit diese das Geschäft nicht einfach fortführt. Jede Spaltlinie zwischen Kompradoren- und Nationalbourgeoisie, zwischen Bourgeoisie und Kleinbürgertum, zwischen Arbeiteraristokratie und Proletariat müsste zu Ungunsten des Krieges ausgenutzt werden, um der Politik von Grünen und FDP als aktueller Hauptstütze des US-Finanzkapitals sowie deren Massenbasis einen empfindlichen Ansehensverlust zuzufügen. Parallel müssten die hiesigen Truppen- und Waffentransportwege identifiziert, unter breiter Beteiligung durch zivilen Widerstand empfindlich gestört und ihr Vorhandensein diskreditiert werden. Dabei kann man mit zahlreichen Partnern in der Friedensbewegung Bündnisse schmieden – unabhängig davon, ob man das Handeln der ukrainischen oder der russischen Regierung unterschiedlich bewertet. Für eine solche Massenagitation und solche Bündnisse bräuchte man allerdings wirklich die richtigen Losungen, wenn man sich nicht zum Anhängsel der Bürgerlichen machen will. Ob diese aber aus dem klassischen Repertoire wie „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ stammen sollten oder ob im Angesicht der zurzeit vorhandenen potentiellen Bündniskräfte nicht andere Standpunkte wie „Keine deutsche Einmischung mehr in die Angelegenheiten anderer Länder“ wie auch dazu gehörend, aber oft ungerechtfertigterweise nicht so ernst genommen: „Keine Einmischung anderer Länder in die deutsche Politik“ nötig wären, kann nur die weitere Diskussion unter den deutschen Kommunisten ergeben. In dieser sowie in Bezug auf die vielen anderen aufgeworfenen Fragen hoffe ich auf gute Ergebnisse durch den Kommunismus-Kongress der Kommunistischen Organisation.

In diesem Sinne wünsche ich zum Gelingen des Kongresses alles Gute, ich werde selbst daran teilnehmen und dafür werben, dass sich noch weitere zukünftige Genossinnen und Genossen ebenfalls dafür entscheiden.

1 Die angenommenen Mitgliederzahlen sind entnommen aus – mit einem letzten Zugriff am 27.08.2022 12:00: https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Partei_Chinas (KPCh), https://de.wikipedia.org/wiki/Partei_der_Arbeit_Koreas (PdA Korea), https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Partei_Vietnams (KP Vietnam), https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Partei_Kubas (KP Kuba), https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Partei_der_Russischen_F%C3%B6deration (KPRF), https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Publ-Texte/Texte_52.pdf S. 90 (KKE), https://de.wikipedia.org/wiki/Militante_Arbeiterfront (PAME), https://en.wikipedia.org/wiki/South_African_Communist_Party (SACP), https://de.wikipedia.org/wiki/Russische_Kommunistische_Arbeiterpartei_%E2%80%93_Revolution%C3%A4re_Partei_der_Kommunisten(RKAP), https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Plattform (KPF), https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kommunistische_Partei (DKP), https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunistische_Partei_Deutschlands_(1990) (KPD)

Quellen

Abteilung Internationale Beziehungen des ZK der KKE (2022a). Über den imperialistischen Krieg in der Ukraine und die Haltung der KPRF, in: „Rizospastis“ vom 23. April 2022, online unter: https://kommunistische-organisation.de/dossier/kke-i-ueber-den-imperialistischen-krieg-in-der-ukraine-und-die-haltung-der-kprf/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Abteilung Internationale Beziehungen des ZK der KKE (2022b). Zur Haltung der RKAP zum imperialistischen Krieg in der Ukraine, in „Rizospastis“ vom 29. April 2022, online unter: https://kommunistische-organisation.de/dossier/kke-ii-zur-haltung-der-rkap-zum-imperialistischen-krieg-in-der-ukraine/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Abteilung Internationale Beziehungen des ZK der KKE (2022c). Über die inakzeptable Haltung der RKAP gegenüber der KKE, online unter:  https://kommunistische-organisation.de/dossier/kke-iii-ueber-die-inakzeptable-haltung-der-rkap-gegenueber-der-kke/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Aurora, Chris (2022). Wider den Hauptfeind!, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/wider-dem-hauptfeind/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Barth, Diana (2022). Ist es für die Einordnung des Konfliktes so wichtig, ob Russland imperialistisch ist?, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/ist-es-fuer-die-einordnung-des-konfliktes-so-wichtig-ob-russland-imperialistisch-ist/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Bauer, Hans (2022). Podcast #19 – Hans Bauer zum Krieg in der Ukraine und Imperialismus, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=IS8XypNoOMI, Zugriff 27.08.2022 12:00

Bina, Klara (2022a). Imperialismus, Krieg und die kommunistische Bewegung, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/imperialismus-krieg-und-die-kommunistische-bewegung/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Bina, Klara (2022b). Zur Macht der Finanzakteure, online unter: https://kommunistische-organisation.de/allgemein/zur-macht-der-finanzakteure/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Bundessprecherrat der KPF (2022). Wir werden uns keinem Druck beugen, online unter: https://kpf.die-linke.de/mitteilungen/detail/wir-werden-uns-keinem-druck-beugen-1/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Corell, Richard (2022). Podcast #24 – Richard Corell (KAZ) über Russlands Entwicklung seit 1991 und den Imperialismus, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=JYqsfvFHAPI, Zugriff 27.08.2022 12:00

Düll, Nasrin (2022a). NATO, Bandera-Faschismus und Denazifizierung der Ukraine, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/nato-bandera-faschismus-und-denazifizierung-der-ukraine/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Düll, Nasrin (2022b). Exportierter Faschismus?, online unter: https://kommunistische-organisation.de/allgemein/exportierter-faschismus/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Fazolo, Alberto (2022). Podcast #20 – Vortrag von Alberto Fazolo zu Ukraine und zum antifaschistischen Widerstand im Donbass, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=lIRxR6WVEIs, Zugriff 27.08.2022 12:00

Flegel, Frank & Geppert, Jürgen (2020). Ökonomische Analyse Chinas, in: offen-siv. Zeitschrift für Frieden und Sozialismus 03/2020, online unter: https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2020/04/2002-03.pdf, Zugriff 27.08.2022 12:00

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Kissel, Philipp (2022b). Zur Zukunft der KO, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/zur-zukunft-der-ko/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Kissel, Philipp (2022c). Podcast #25 – Renate Koppe (DKP) zur Bedeutung und Entwicklung der Volksrepubliken im Donbass, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=osYP44OJ8vw&t=6s, Zugriff 27.08.2022 12:00

Köbele, Patrick (2022). Referat des Parteivorsitzenden auf dem 24. Parteitag der DKP. Noch nie seit 1945 hat eine deutsche Regierung so massiv an der Eskalation eines Krieges gedreht wie die jetzige, in: Unsere Zeit vom 1. Juli 2022, online unter: https://www.unsere-zeit.de/noch-nie-seit-1945-hat-eine-deutsche-regierung-so-massiv-an-der-eskalation-eines-krieges-gedreht-wie-die-jetzige-169377/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Koppe, Renate (2022). Podcast #25 – Renate Koppe (DKP) zur Bedeutung und Entwicklung der Volksrepubliken im Donbass, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=osYP44OJ8vw&t=6s, Zugriff 27.08.2022 12:00

Kunzmann, Marcel (2018). Theorie, System & Praxis des Sozialismus in China. Berlin: Mirco Kolarczik.

Lauterbach, Reinhard (2022). Podcast #21 – Reinhard Lauterbach über Russland, die Ukraine und den Krieg, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=0s6141pAKjc, Zugriff 27.08.2022 12:00

Lena (2022). Podcast #26 mit Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI), online unter: https://www.youtube.com/watch?v=3MYQHRmWpy0, Zugriff 27.08.2022 12:00

Medina, Pablo (2022). Unipolare Welt?, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/unipolare-welt/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Müller, Hugo (2022). Der Imperialismus von gestern und von heute, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/der-imperialismus-von-gestern-und-von-heute/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Oskar, Bob (2022). Russlands imperialistischer Krieg, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/russlands-imperialistischer-krieg/, Zugriff 27.08.2022 12:00

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Relko, Joschua (2022). Zum imperialistischen Krieg in der Ukraine und zur revolutionären Strategie, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/zum-imperialistischen-krieg-in-der-ukraine-und-zur-revolutionaeren-strategie/, Zugriff 27.08.2022 12:00

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Saidi, Fatima (2022a). Gefahren der aktuellen Diskussion um die Einordnung Russlands für unsere revolutionäre Strategie, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/gefahren-der-aktuellen-diskussion-um-die-einordnung-russlands-fuer-unsere-revolutionaere-strategie/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Saidi, Fatima (2022b). Imperialismus, Lenins Vorgehensweise, Befreiungskriege – zum Beitrag Klara Binas, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/imperialismus-lenins-vorgehensweise-befreiungskriege-zum-beitrag-klara-binas/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Schöwitz, Torsten (2022). Erklärung: Deutschland rüstet wieder zum Krieg!, online unter: http://www.k-p-d.org/index.php/aktuell/partei/1223-erklaerung-deutschland-ruestet-wieder-zum-krieg, Zugriff 27.08.2022 12:00

Sjuganow, Gennadi Andrejewitsch (2022). Rede des Vorsitzenden der KPRF vor der Staatsduma am 22.02.2022, online unter: https://kommunistische-organisation.de/dossier/kprf-i-g-a-sjuganow-die-anerkennung-der-volksrepubliken-donbass-ist-fuer-uns-eine-grundsatzfrage/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Spanidis, Thanasis (2016). Die Diskussion um den Klassencharakter der VR China: Ausdruck der weltanschaulichen Krise der kommunistischen Weltbewegung, in: Theorie & Praxis 41, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion/die-diskussion-um-den-klassencharakter-der-vr-china-ausdruck-der-weltanschaulichen-krise-der-kommunistischen-weltbewegung/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Spanidis, Thanasis (2022a). Das zwischenimperialistische Kräftemessen und der Angriff Russlands auf die Ukraine, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/das-zwischenimperialistische-kraeftemessen-und-der-angriff-russlands-auf-die-ukraine/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Spanidis, Thanasis (2022b). Zur Verteidigung der Programmatischen Thesen der KO!, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/zur-verteidigung-der-programmatischen-thesen-der-ko/, Zugriff: 27.08.2022 12:00

Spanidis, Thanasis & Vermelho, Rudy (2022). Gründe und Folgen des Ukraine-Kriegs, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/gruende-und-folgen-des-ukraine-kriegs/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Stalin, Josef Wissarionowitsch (1953). Die Ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR. Wien: Sowjetischer Informationsdienst.

Stiller (2022). Kritik zu „Notwendigkeit und Klarheit über die ökonomische Struktur Russlands“, offen-siv 2-2022 und 4-2022, in: offen-siv. Zeitschrift für Frieden und Sozialismus Ausgabe Juli-August 2022, online unter: https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2022/08/offen-siv-5-2022.pdf, Zugriff 27.08.2022 12:00

Wagner, Jürgen (2022). Podcast #26 mit Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI), online unter: https://www.youtube.com/watch?v=3MYQHRmWpy0, Zugriff 27.08.2022 12:00

Zavatzky, Yana (2022a). Kasachstan – Hintergründe und Zusammenhänge, online unter: https://kommunistische-organisation.de/diskussion/kasachstan-hintergruende-und-zusammenhaenge/, Zugriff 27.08.2022 12:00

Zavatzky, Yana (2022b). Podcast #18 – Mit Yana (KPD) zur Ukraine und Fragen zum Imperialismus, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=1uooKgPnEYw, Zugriff 27.08.2022 12:00

Zeise, Lukas (2022). Podcast #23 – Lucas Zeise (DKP) über den Ukraine-Krieg und politökonomische Aspekte des Kriegs, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=C9Fl5vXFQPw, Zugriff 27.08.2022 12:00

Zenker, Tibor (2022). Podcast #27 mit Tibor Zenker (PdA) zum Imperialismus als Weltsystem und den Krieg in der Ukraine, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=SCGii0MRPgY, Zugriff 27.08.2022 12:00

Interview: „Ich denke, es ist eine Illusion der Sowjets gewesen, dass es mit dem Faschismus vorbei sei“

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Holger Michael studierte an der Offiziersschule Plauen im Vogtland und an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam. Seine Diplome in Geschichte und Germanistik erwarb er 1977-1981 an den Universitäten Warschau und Wroclaw. Er beendete seine dreijährige Aspirantur mit Spezialisierung Geschichte und Landeskunde Polens und Deutschlands an der Karl-Marx-Universität Leipzig mit seiner Promotion zum Dr.phil. Nach einer Tätigkeit als Sprachmittler für Polnisch nahm Michael 1986 eine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Allgemeine Geschichte (Fachbereich Osteuropa) an der Akademie der Wissenschaften der DDR auf. Seit den neunziger Jahren arbeitete Dr. Holger Michael als Fachlehrer in deutsch-polnischen Schulprojekten, bildete im Auftrag des Goethe-Instituts Deutschlehrer in Kasachstan aus und war schließlich Dozent für Integrationskurse in Fürstenwalde.

Holger Michael ist Autor verschiedener Bücher zur Geschichte Osteuropas  darunter das hier mehrfach erwähnte Buch „Vom Baltikum nach Mittelasien: Legenden und Tatsachen um ehemalige Sowjetrepubliken“, erschienen 2009 im Kai Homilius Verlag.

Lieber Holger, kommen wir zunächst zum Nationalismus in den baltischen Staaten, den du in deinem Buch historisch aufarbeitest. Beginnen wir mit Litauen. Dort forderten die litauischen Kommunisten selbst den Einmarsch der sowjetischen Truppen, um ihre gewählte Volksregierung gegen die Nationalisten abzusichern. Die heutige nationalistische Geschichtsschreibung in vielen baltischen Staaten spricht dagegen von einer sowjetischen, vom Volk abgelehnten Annexion. Diese Annexionspläne habe Russland auch heute wieder. Kannst du auf die Ereignisse 1939-1940 eingehen: Welche Bedeutung spielt dieses Narrativ in den baltischen Staaten heute?

In meinem Buch beschreibe ich, dass der Sturz der reaktionär-faschistoiden bürgerlichen Regierung im März 1940 in Litauen maßgeblich von Kommunisten und fortschrittlichen Linken, vor allem aus der Intelligenz, angeführt wurde. Der Sturz der Regierung war, im Gegensatz zu den Behauptungen der heutigen Nationalisten, zunächst nicht von der Sowjetunion gewünscht. Das primäre Interesse auf sowjetischer Seite war erst einmal eine Regierung, die sich an die noch kurz vorher beschlossenen Beistandsverpflichtungen zwischen Litauen und der Sowjetunion hält. Diese wurden, je mehr sich diese Regierung Hitlerdeutschland annäherte, immer weiter ausgehöhlt. Gleichzeitig geriet das Land in wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten, die die litauischen Linken und Kommunisten nutzen konnten. Die nationalistische Geschichtsschreibung heute verschweigt, dass es sich um eine breite, in der Bevölkerung Litauens verankerte Bewegung gehandelt hat. Natürlich gab es, so ist es ja immer, auch Leute, die dagegen waren – insbesondere unter Leuten aus dem Bürgertum, deren Privilegien von der alten Regierung abgesichert wurden. Aber die Linken und Kommunisten und letztlich die aus ihnen gebildete Volksregierung hatten breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Ihre Machtergreifung war staatsrechtlich sogar von der damaligen bürgerlichen Verfassung Litauens garantiert und keinesfalls das Resultat einer „sowjetischen Okkupation“, wie heute behauptet wird. Das schreibe ich auch in meinem Buch.

Zum Nationalismus im Baltikum allgemein: Er kann sich nur erhalten, in dem die dort lebenden Russen ständig diskriminiert werden, d.h. ihnen bspw. die Staatsbürgerschaft nicht zuerkannt wird. Das gilt vor allem in Lettland und Estland. Faktisch wird dort eine Apartheidpolitik betrieben, worauf sich die Leute in den letzten Jahren auch schon eingestellt haben. Weder Putin noch Jelzin haben sich dort ausreichend um ihre Landsleute gekümmert. Dazu kommt die historisch-kulturelle Dimension: In Litauen herrschte eine ganz andere Mentalität als in Estland und Lettland. Die Esten und Letten waren wesentlich vorsichtiger, da sie eine Handelsbourgeoisie hatten, die Beziehungen auch zu Russland pflegen musste. Die Litauer besaßen einen eigenen Staat und waren auf großen Landbesitz, auch in Polen, aus. Das ist der historisch-kulturelle Hintergrund für die besondere Aggressivität des litauischen Nationalismus – auch noch heute. Man sieht die Aggressivität Litauens auch im jüngsten Konflikt um die Zulieferwege nach Kaliningrad.

Ein weiterer Grund für ihre Aggressivität ist Angst: Sie haben große wirtschaftliche Einbußen, sie haben große Probleme mit Arbeitslosigkeit, vor allem in Lettland. Russland hat die Häfen von Riga und Tallin blockiert, das macht natürlich große Einbußen, etwa 20-30% des BIP! Das ist einer der Gründe für ihre sehr wilde Politik: Sie wollen vom Westen als Frontstaat gegen Russland anerkannt werden, was die USA auch sehr gerne annehmen und teilweise bezahlen. Das ist der Grund dafür, dass sie so scharf agieren.

Der bis 2009 amtierende litauische Staatspräsident Valdas Adamkus organisierte sich, wie du in deinem Buch schreibst, in den 40er-Jahren in der faschistischen Litauischen Aktivistenfront (LAF), die maßgeblich am antisowjetischen Widerstand beteiligt und am ersten Tag nach der Besetzung von Litauen durch Nazideutschland 3500 Juden erschlug. Er konnte nach der Befreiung Litauens durch die Rote Armee mit weiteren 60.000 litauischen Nazis in die BRD fliehen und war später an der Konterrevolution und am Aufbau eines bürgerlichen Litauens beteiligt. Kannst du uns über weitere faschistische Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten Russlands berichten, die eine maßgebliche Rolle bei der Konterrevolution spielten? Welche Rolle spielen sie heute?

Erst einmal muss man sagen, dass Litauen ursprünglich ein sehr gutes Verhältnis zur Sowjetunion hatte, was auch korrekt war, da die Sowjetunion Litauens Kampf gegen Polen unterstützt hatte und als Schutzmacht agierte, obwohl sie keine gemeinsamen Grenzen hatten. Sie waren zwar antikommunistisch aber nicht unbedingt antisowjetisch. 1926 wurde das liberal-demokratische Litauen dann durch einen Putsch des Faschisten Antonas Smetona beseitigt. Diese faschistische Regierung pflegte widersprüchliche Beziehungen zum faschistischen Deutschland, worauf ich in meinem Buch mehr eingehe. Es herrschten widersprüchliche Interessen in diesem Bündnis. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs verstärkten sich diese Widersprüche, die in einer maßgeblichen Schwächung dieser faschistischen Regierung mündeten. Sie wurde in diesem Moment der Schwäche von der Volksbewegung gestürzt. Die neue Regierung hatte allerdings mit vielen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen. Auf Grundlage dieser Probleme machten die Nationalisten aller baltischen Staaten gemeinsame Pläne zur Beseitigung der neuen Volksregierung.  Das haben die Sowjets mitbekommen und gesagt, dass sie eine Regierung haben wollen, die auch wirklich die gemeinsamen Verträge mit der Sowjetunion erfüllt- sie wurden ja offiziell nicht infrage gestellt. Daraufhin haben sie dort eine Regierungsumbildung gemacht. Die Sowjetunion hat dort dann Truppen stationiert, die aber de facto nichts bewirkt haben – sie hatten keinen Einfluss im Land. Allerdings: Dadurch, dass eine neue Regierung kam (eine Regierung, die maßgeblich von linken Intellektuellen besetzt war) kam die Sache natürlich in Schwung: Sie haben mit der neuen Regierung die nationalistischen, faschistischen Parteien verboten. Die Sowjetunion hatte definitiv nicht die Absicht, die baltischen Republiken in die Union einzugliedern. Ihr Interesse war ein Bündnis ähnlich dem Warschauer Pakt. Aber: Die baltischen Kommunisten selbst sagten, dass es nicht ohne Anschluss an die Sowjetunion geht. Sie wollten den Anschluss an die Union. Der Widerspruch war folglich der: Es gab keine Volksabstimmung über den Anschluss an die Sowjetunion – sondern das war die Entscheidung dieser linken Volksregierungen durch Parlamentsbeschlüsse. Die Sowjets waren also in einer üblen Situation- einerseits wollten sie den Anschluss nicht, anderseits konnten sie die Kommunisten dieser Regierungen nicht im Stich lassen.

Man kann also durchaus sagen, dass in Litauen eine Revolution stattgefunden hat und diese Revolution die Litauer selbst gemacht haben. Die Sowjets haben dort selbst sehr wenig bewegt. Die Revolution hat es gegeben – bevor die Russen dort stationiert wurden gab es ja schon eine neue Regierung.

Ab Herbst 1940 gab es Widerstandsgruppen, die sich gegen die Volksregierung und den Anschluss an die Union stellten. Diese Widerstandsgruppen wollten sich gegen die neue Regierung wehren und wurden dabei ertappt und verhaftet. Die Behauptung ihrerseits, dass die Volksregierung gegen den Willen des Volkes handele, ist in diesem Kontext dann natürlich eine Behauptung, die man von ihrer Seite aus nachvollziehen kann – schließlich haben sie sich selbst als wahre Volksvertreter gesehen.

Fakt ist aber: Es hat in allen drei Republiken einen ordentlichen Parlamentsbeschluss zum Anschluss gegeben.  Und das vor allem aus ökonomischen Gründen: Es sollte gegen die Arbeitslosigkeit gekämpft werden, es sollten Schulden der Bauern gestrichen werden. Das ist auch geschehen, und der Lebensstandard, vor allem die Lebensmittelversorgung, hat sich wesentlich verbessert. Die Beschlüsse, die für den Anschluss an die Sowjetunion getroffen wurden, lassen sich  nicht infrage stellen – entsprechend sind die Erzählungen über eine angebliche sowjetische Annexion großer Unsinn.

In Estland und Lettland sind diese Umwälzungen wesentlich komplizierter abgelaufen als in Litauen. In Estland war es sehr schwierig.

Ich hatte noch nach faschistischen baltischen Geflüchteten in den Westen gesagt- kannst du noch prominente Beispiele nennen?

Ein wichtiger Name ist Vytautas Landsbergis-Zemkalnis. Er war einer der Minister der nach dem Überfall 1941 gebildeten faschistischen Regierung, die schon antisemitische Gesetze auf den Weg gebracht hatte. Allerdings wurde er von den Deutschen dann abgesetzt und ist über Deutschland nach Australien geflohen. Er hat nach der Befreiung allerdings immer wieder um die Erlaubnis gebeten, zurückzukehren und dies hat ihm die Sowjetregierung unter Chruschtschow tatsächlich auch erlaubt. Er ist der Vater des ersten Präsidenten Litauens ab 1990, Vytautas Landsbergis. Der hat dann noch lange gelebt und war noch lange Diplomat. Man sieht die Verbindungen.

Es ist also nicht so, dass die SU dort brutal vorgegangen sei. Sie haben viele deportiert, nämlich die aktiven Rechten. Allerdings durften diese Leute alle wieder zurückkehren nach 1956. Das war natürlich ein schwerer Fehler Chruschtschows. Damit wurden Gerichtsurteile außer Kraft gesetzt, es sind Leute verurteilt worden, sie sind ja nicht umsonst deportiert worden – da waren richtige Faschisten dabei. Da war übrigens auch der letzte Ministerpräsident dabei – der ist dann allerdings zurückgetreten und hat politisch keine weitere Rolle gespielt. Ich denke, es war eine Illusion der Sowjets gewesen, dass es mit dem Faschismus vorbei sei.

 .. und offensichtlich war es dann ja nicht vorbei – wie man an Valdas Adamkus gesehen hat, der sich an der Konterrevolution beteiligt hat.

Genau – sie haben vor allem in der Zeit, als sie zurückgekehrt sind, eine Rolle gespielt und haben erzählt, wie schlimm es mit dem Sozialismus gewesen sei. Das Problem war auch, dass die baltischen Kommunisten teilweise leider auch nationalistische Züge hatten und in ihren Bildungssystemen nationalistische Tendenzen zugelassen haben. Sie sind davon ausgegangen, dass sich die politische Bedeutung des Nationalismus mit steigendem Lebensstandard von selbst erledigen würde – das war wie gesagt ein Fehler und sicher auch ein Faktor, warum es den Nationalisten dann wieder so leicht gemacht wurde, eine starke politische Rolle einzunehmen.

Auch in Kasachstan wurden bzw. werden antisowjetische bzw. antirussische Separationsbestrebungen vom Westen unterstützt. Du schreibst, dass sich im Gegensatz zu den baltischen Staaten dort nie eine wirklich nationale Bewegung entwickelt hat, da sich bis zur Errichtung der Sowjetmacht dort noch gar keine bürgerliche Klasse herausgebildet hatte. Aufgabe der Sowjetmacht sei es gewesen, die regionalen Feudalherren zu enteignen und politisch zu entmachten. Kasachstan habe sich insbesondere während des zweiten Weltkriegs zu einer stabilen Sowjetrepublik entwickelt. Das Land sei nach der Konterrevolution in ein innenpolitisches, wirtschaftliches und soziales Chaos  versunken. Der Präsident Nursultan Nasarbajew, der als ehemaliger KP-Funktionär selbst an der Loslösung von Russland beteiligt war, wolle gegen dieses Chaos seit 1997 mit dem Programm “Kasachstan 2030” vorgehen. Dieses Programm sehe im wesentlichen eine innenpolitische und wirtschaftliche Stabilisierung des Landes durch eine stark staatliche geführte Entwicklung auf Grundlage der Marktwirtschaft vor. Ob dieser Plan aufginge, sei bei der mittlerweile starken Präsenz von ausländischem und privatem Kapital fragwürdig, außerdem seien konjunkturelle Einbrüche gar nicht einberechnet. Er sei zuletzt durch starken Einfluss der USA und antirussischer Nationalisten gefährdet.

Viele Kommunisten schätzten die Eindämmung der Proteste in Kasachstan 2021 durch die OVKS-Truppen als Niederschlagung von Arbeiteraufständen, maßgeblich vom kapitalistischen Russland initiiert, ein. Wie schätzt du die Ereignisse ein? Hat es sich um einen Machtkampf zwischen Nasarbajew und Tokajew gehandelt? Welche Kräfte haben bei den Aufständen eine Rolle gespielt?

Die Vorgänge in Kasachstan hatten nichts mit einem Arbeiteraufstand zu tun. In Almaty gibt es so gut wie keine Arbeiterklasse. Die Kasachen selbst stellen nur einen sehr kleinen Teil der Arbeiterklasse dar- zu Sowjetzeiten bspw. nur ca. 18%. Die Bewegung ist nicht groß gewesen, es waren nur sehr wenige Leute auf der Straße. Es ist schlecht vorbereitet gewesen, ich nehme stark an, dass auch die USA etwas damit zu tun hatten: Kasachstan ist ein Schlüsselpunkt im Kampf gegen China und Russland. Es ist ein Kampf zwischen zwei oligarchischen Systemen. Es ging überhaupt nicht um die Verbesserung der sozialen Verhältnisse. In anderen Städten waren die Nationalisten sehr präsent. Darüber hinaus waren auch viele Studenten aktiv, denen es vor allem um ihre eigenen Privilegien -sie studieren vor allem an von der EU und USA finanzierten Universitäten- ging. Außerdem hörte ich davon, dass auch islamistische Truppen beteiligt waren.

Kannst du weiter darauf eingehen, wie die Verbindungen der liberal und westlich orientierten Teile der kasachischen Gesellschaft -du spricht vor allem von Studenten- in Richtung USA und EU aussehen?

Die Proteste müssen organisiert gewesen sein, die Studenten haben ja ihre Studienplätze riskiert. Die Sicherheitskräfte müssen das toleriert haben, die Regierung muss das geduldet haben. Es war in Kasachstan im System Nasarbajew ansonsten nicht möglich, wirkliche Proteste zu organisieren: Die Kommunistische Partei ist verboten und ich schätze die Lage in Kasachstan nicht so ein, dass es dort breite, wirklich in der Bevölkerung verankerte Proteste gab. Die Bevölkerung ist an einer ruhigen Lage interessiert, diese Proteste kamen definitiv von außen. Es gibt kaum eine Industrie und eine Arbeiterklasse; die meisten jungen Leute wollen studieren und ins Ausland. Es kann kein breit in der Bevölkerung angelegter Arbeiteraufstand gewesen sein.

Kommen wir zur Ukraine und den Wurzeln des Nationalismus in diesem Land. Du beschreibst sehr verständlich, dass die ursprüngliche ukrainische nationale Bewegung die politische Bewegung einer sich herausbildenden Bourgeoisie (insbesondere Händler, Kaufleute und Handwerker) unter der 300 Jahre währenden polnischen Adelsherrschaft im Gebiet der heutigen Ukraine war. Der polnische Adel realisierte seine Herrschaft mittels der in der Ukraine ansässigen Juden. Der Kampf gegen den Feudalismus wurde also gegen Polen und Juden geführt, dies sei die Wurzel des bis heute starken Antisemitismus und antipolnischen Rassismus im ukrainischen Nationalismus. Weiterhin richtete sich der Nationalismus gegen die herannahende Sowjetmacht, die das Eigentum der Großbauern und bürgerlichen Klasse gefährdete. Er setzte zuletzt auf die Unterstützung durch die deutschen Faschisten. Kannst du genauer auf die Zusammenarbeit der ukrainischen Nationalisten und deutschen Faschisten eingehen?

Also erstmal muss man sagen, dass Deutschland ein sehr wichtiger Emigrationsort für ukrainische Faschisten war. Auch die Tschechoslowkai war ein Ort dafür. Die Tschechen haben die ukrainischen Nationalisten unterstützt, weil sie antipolnisch waren und prosowjetisch. Sie haben sich aber wie gesagt auf polnischem Territorrium organisiert und ihre Kongresse abgehalten. Von deutscher Seite gab es immer ein Interesse an der Ukraine, sie haben 1918 ja dort ihren ersten Marionettenstaat (das als „Hetmanat“ bezeichnete von Pawlo Skoropadskyj aus Kiew regierte Staatswesen, das von deutschen und österreich-ungarischen Truppen nach ihrer Besetzung installiert wurde, Anm. A.K.). Die ukrainischen Nationalisten wussten also, dass die Deutschen dort immer ein Interesse hatten. Zu Beginn des zweiten Weltkriegs gab es eine ukrainische Legion mit ein paar Tausend Leuten, die gegen die Polen mit einmarschiert sind. Als dann jedoch die Sowjettruppen von der anderen Seite einmarschiert waren, hat man diese ukrainischen Legionäre zurückgezogen. Deutschland hatte nie daran gedacht, die Ukraine als eigenständigen Staat zu nehmen, dafür hielten sie die Ukrainer auch für zu unzuverlässig und sie wollten es lieber selbst machen. Die Ukrainer haben mit den Deutschen zusammengearbeitet und sich dann aber gegen die Deutschen gewandt, weil diese ja wiederum Bandera und andere Führer verhafteten, sie haben den Staat nicht anerkannt. Aber sie haben trotzdem gemeinsame Sachen gemacht gegen die Juden.

Kannst du darauf nochmal genauer eingehen? Du hattest in deinem Buch gesagt, dass die Deutschen die ukrainischen Nazis fallengelassen haben, weil sie sie für unzuverlässig hielten. Du hattest in deinem Buch auch geschrieben, dass sich ein hoher deutscher Beamter sehr abfällig über die Ukrainer geäußert hat. Warum konnten die Deutschen nicht einfach zu 100% mit ihnen kollaborieren?

Die Ukrainischen Nazis waren extrem brutal. Ihre politische Agenda war außerdem die, dass sie einen eigenen Staat aufbauen wollten. Die deutschen Faschisten wollten aber keinen ernstzunehmenden Partner mit einer eigenen Staatlichkeit. Sie hatten für sie nur die Funktion als Kraft gegen die Sowjetunion. Die ukrainischen Faschisten waren ja nur in der Westukraine, in den drei polnischen Wojewoidschaften, präsent und nicht in der Zentral- und Ostukraine. Sie waren nicht mehr als eine unsolide, sehr selbstbewusste aber wenig verankerte und für die Deutschen politisch sehr unzuverlässige Mörderbande. Das ist der Grund für dieses widersprüchliche und abfällige Verhältnis der Deutschen zu ihnen.

Du unterscheidest in deinem Buch sehr stark zwischen der Ost- und Westukraine. In ersterer habe sich aufgrund der Rohstoffvorkommen und schnellen Industrialisierung ein Proletariat herausgebildet, das immer sehr wenig mit dem Nationalismus der ukrainischen Bourgeoisie im Westen anfangen konnte und seine Interessen eher in der Sowjetmacht realisiert sah. Wie drückte sich dieser Interessensgegensatz in den 1940er-Jahren aus und welche Rolle spielt diese Spaltung in der Ukraine heute?

Ich muss erstmal grundsätzlich sagen, dass die Ukraine über Jahrhunderte gespalten war. Erstmal war ein Großteil polnisch, die Polen standen ja im 17.Jahrhundert in Moskau. Die Polen haben also einen Großteil der Ukraine gehabt, der musste Stück für Stück befreit werden. Im 17. Jahrhundert wurde die Befreiungsbewegung stark, aber sie konnte nur einen Teil befreien. Die Polen wurden schließlich aus der Ukraine rausgeworfen, allerdings gab es noch einen polnischen Teil, der Rauswurf der Polen ist also zum Preis der ukrainischen Teilung passiert. Die Westukraine blieb nach Brest-Litowsk dann weitestgehend bäuerliches Land. Im Osten war das anders: Diese Region war wegen der großen Bodenschätze stark industrialisiert und gehörte zum Russischen Reich. Dort hat sich eine Arbeiterklasse formiert. Nach dem Bürgerkrieg war dann Charkow (ukr. Charkiw, Anm. A.K.) bis 1934 ukrainische Hauptstadt, erst dann wurde Kiew Hauptstadt. Das lag daran, dass die Nationalisten dort immer sehr starke Positionen besaßen und auch die ukrainischen Kommunisten nicht immer eine ganz saubere Position eingenommen haben, es gab viele Dissidenten, es war eine sehr komplizierte Situation. Im Osten gab es auch mehr Russen. 1922 wurde ja die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik gegründet. Die starke Besiedelung durch Russen hieß aber erstmal nichts, außer dass der ukrainische Nationalismus dort natürlich nicht sehr beliebt war. Der Westen blieb in erster Linie unter polnischer Herrschaft, sodass dort natürlich der Nationalismus weiter blühte. Man hätte, als die Sowjetunion zu Bruch ging, das möglicherweise klären können, aber daran hatte die Ukraine meines Erachtens kein Interesse – sie hätten da nichts hergegeben. Was schlimm ist: Sie haben sich vom Westen “beschwatzen” lassen, vom Westen, dessen Interesse es natürlich war und ist, die Ukraine für sich zu gewinnen. Die Fragen der Einbindung an den Westen/an die EU ist also nicht aus dem Nichts gekommen und hat seine Geschichte. Neben wirtschaftlichen Interessen an der Ukraine will der Westen sie natürlich auch als Gegengewicht gegen Russland haben.

Du führst in deinem Buch aus, dass die in der Ukrainischen Aufständischenarmee UPA organisierten Faschisten sich nach dem Vorrücken der Roten Armee nach Westeuropa absetzten oder von der Sowjetmacht liquidiert oder deportiert wurden. Allerdings konnten nicht alle unschädlich gemacht werden – der Faschismus in der Westukraine war folglich auch in den folgenden Jahren weiterhin stark in der Bevölkerung verankert. Wie ist diese Verankerung in der westukrainischen Bevölkerung historisch zu erklären und wieso konnte die Sowjetmacht den Faschismus nicht vollständig beseitigen?

Heute hat der ukrainische Nationalismus in der Westukraine eine Mehrheit, ganz klar. Damals war es so, dass die Sowjettruppen nach der Befreiung die ukrainischen Kollaborateure bestraft haben. Außerdem gab es die Situation, dass ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung nicht wieder zurück zur Kollektivierung wollte. Es ging – vor allem bei den Klein- und Großbauern – um ganz einfache Besitzfragen und die ukrainischen Nationalisten standen auf dem Standpunkt des Privateigentums. Damit verbunden spielte das Gefühl, mal eine große und starke bedeutende Bewegung gewesen zu sein, natürlich eine Rolle. Außerdem ist der Nationalismus natürlich mit Antisemitismus und Hass auf alles Russische verbunden. Auch die Polen haben den Hass gegen Russland gepredigt. Nationalismus kriegt man also unter besten Bedingungen nicht weg.

Es gab diesen Nationalismus auch bei uns in der DDR – auch dort haben wir ihn nicht wegbekommen. Die Idee des “Wir waren mal wer” und “Wir haben mal jemanden geschlagen, der uns unterdrückt hat” verfängt immer wieder sehr stark in der Bevölkerung.

Zuletzt wollen wir über den Anfang deines Buchs sprechen. Wir haben jetzt viel über historische Zusammenhänge gesprochen und festgestellt, dass die antirussischen nationalistischen Bewegungen in den Randstaaten Russlands immer vom Westen genutzt wurden, um Russland zu bedrohen und zu schaden. Du sprichst davon, dass Russland sich heute in einer ähnlichen geopolitischen Situation wie im 16. Jahrhundert befinde: Seine staatliche Souveränität sei durch Destabilisierungs- und Separationsstrategien seiner politischen Gegner gefährdet. Allein die USA gäben sehr viel Geld für diese Programm aus, man wolle Russland wieder zu einem Rohstoffversorger degradieren. Dies halten viele Linke in Anbetracht der Größe und ihrer Einschätzung nach Stabilität Russlandsfür sehr unwahrscheinlich. An welchen Akteuren, Papieren, Ereignissen machst du diese Strategie konkret fest und für wie wahrscheinlich hältst du einen Erfolg?

Das Problem der westlichen Separationsstrategie für den Westen selbst ist, dass diejenigen, die das in Russland durchsetzen wollen, keine große politische Rolle spielen. Außerdem sagen Schätzungen des Russlandspezialisten Alexander Rahr, dass die prowestlich orientierte Bevölkerung in Russland nur ca. 15% ausmacht. Man könnte auch sagen, dass die westlichen Strategen nicht viel von Russland verstehen. Mit diesen 15% haben die westlichen Strategen Verbindungen. Ein Beispiel war Grigori Jawlinski, der bis 2008 Vorsitzender der liberalen Jabloko-Partei war.

Die Strategie besteht darin, Russland entlang der verschiedenen Ethnien, die in den Regionen Russland leben, in verschiedene Teilgebiete aufzuteilen. Das wurde auch öffentlich mehrfach gesagt. Sie sprechen dabei auch von einer „Dekolonisierung“ Russlands, womit eine Zerschlagung gemeint ist. Diese Gebiete sollen unabhängig von Moskau und einzeln von prowestlichen Marionettenregierungen regiert werden.

Das Hauptziel dabei ist aber nicht Russland, Russland ist nur Mittel zum Zweck. Das Hauptziel ist China. Wenn der Westen es schafft, Russland auf seine Seite zu ziehen, hat China ein echtes Problem. Dann kommt China  nicht an die wichtigsten Rohstoffe und Erdöl. Dann ist Chinas einzige Möglichkeit, ans Erdöl zu kommen, der Iran, was vom Westen allerdings leicht gesperrt werden kann. Das würde sich katastrophal auf die chinesische Wirtschaft auswirken. Das -die Verhinderung, dass China Nr.1 wird- ist der Grund dafür, dass sie so gegen Russland drängen.

Wir erinnern uns an den Marineoffizier Kay-Achim Schönbach und seine Aussage, man müsse sich auf China konzentrieren und den Konflikt gegen Russland nicht eskalieren lassen, man brauche Russland noch gegen China. Er wurde für diese Aussagen entlassen – da er aus dem Nähkästchen geplaudert hatte. Aus meiner Sicht ist es so: Die westlichen Strategen können sich nicht vorstellen, dass Russland das lange durchhält. Sie kennen die Kraft der russischen Bevölkerung nicht, sich zu stabilisieren und dem zu widersetzen. Es ist nicht das erste Mal, dass Destabilisierung und Separation in Russland geschürt werden sollen, die Bevölkerung kennt das. Russland ist als Staat nicht zu besiegen. Selbst wenn jemand wie Jelzin, der alles verschleudert hat, an der Macht ist. Heute habe ich noch gelesen, dass der Westen bis zu 60-70% der russischen Industriekapazitäten besitzt. Ihnen geht es jedoch darum, alles zu bekommen. Putin fragte mal auf einer Konferenz, was man ihnen denn noch geben solle, man könne ihnen nicht noch mehr geben. Der Westen wird jedoch erst Ruhe geben, wenn Russland seine Kolonie ist.

Ich würde zum Thema Separations- und Destabilisierungsstrategie nochmal gerne konkreter nachhaken, da diese Strategien häufig als Verschwörungstheorien eingeschätzt werden. Welche Separationsbestrebungen wurden und werden heute konkret vom Westen unterstützt?

Ein Beispiel ist Tschetschenien. Dieser Krieg war sehr wichtig für Russland. Hätten sie diesen verloren, hätten sich die Separationsbewegungen in anderen Regionen der Föderation ebenfalls bestärkt gefühlt. Das kann aber gar nicht erfolgreich sein, da in diesen Gebieten neben den ethnischen Minderheiten ja sehr viele Russen leben.  Diese ethnischen Minderheiten sind sehr wenige, sie wären nicht in der Lage, dort selbstständig zu agieren. Die Russen agieren taktisch sehr klug – indem sie diese Minderheiten demokratisch am Staatswesen, beispielsweise durch eigene regionale Parlamente beteiligen. Gegen diese Taktik haben die westlichen Unterstützungsstrategien für radikale separatistische Bewegungen keine Chance.

Um es nochmal ganz klarzuziehen: Du hältst es also für unwahrscheinlich, dass die westliche Strategie für Russland funktionieren wird?

Ja. Auch die nationalen Minderheiten selbst stehen nicht dahinter. Es gibt dort keine ernstzunehmenden separatistischen Tendenzen. Die würden aber möglicherweise größer werden, wenn man ihnen freien Lauf ließe. Diese Erfahrung hat Russland ja historisch gemacht und deshalb reagieren sie auf diese Bestrebungen auch sehr aufmerksam und repressiv, bspw. durch die Gesetze gegen ausländische Agenten.

Mir ist auch noch wichtig zu sagen, dass  die Regierung die Bevölkerung in dieser Frage hinter sich hat. Außerdem kommt natürlich hinzu, dass Russland bzw. die SU immer der größte Staat der Welt ist und war.

Du schreibst weiter, dass der Kampf Russlands um seine territoriale Einheit, Integrität und staatliche Souveränität unsere Solidarität verdiene. In der Debatte sagen viele Linke und Kommunisten, es sei nicht Sache der Arbeiterklasse, sich für die Souveränität eines bürgerlichen Klassenstaates einzusetzen. Wie begründest du deine Forderung? Wofür sollte die internationale Arbeiterklasse in diesem Krieg kämpfen?

Wir haben jetzt eine neue Situation. Lenin hatte nie die Möglichkeit ins Auge gefasst, dass es große bürgerliche Länder gibt, mit denen man sich solidarisieren könne, bzw. dass es solche Länder gäbe, die  im Interesse für Frieden und sozialen Fortschritt agieren könnten.

Es ist heute aber so, dass Russland im Bündnis mit China einen Friedensfaktor darstellt, da sie die absolute Hegemonie der USA und Westeuropäer verhindern. Das einheimische Kapital in Deutschland wird durch diese Politik schwächer, was man ja gerade an den Diskussionen um die Gasknappheit innerhalb der deutschen Bourgeoisie erkennt. Deshalb muss diesen Staaten unbedingt unsere Solidarität gehören. Unter Lenin gab es diese Situation nicht, da war Russland natürlich ein imperialistisches Land. Es ist ganz klar, dass das heutige Russland das Resultat einer antikommunistischen Konterrevolution ist – trotzdem gilt diesem Staat unsere Solidarität. Das Bündnis mit China wird nur noch enger werden und es wird für eine günstige Veränderung der Arbeiterklasse international sorgen. Du musst auch sehen, dass die KPRF die russische Regierung in einem gewissen Maße unterstützt – auch wenn uns die Argumente vielleicht nicht immer gefallen. Es geht um Frieden in Europa, deshalb müssen wir diese Kräfte unterstützen.

Es muss uns in Europa und Deutschland darum gehen zu sagen: Der Krieg, den unsere Regierung führt, das ist nicht unser Krieg. Wenn wir diese Losung in Europa und Deutschland durchbekommen, dann kippen die Sanktionen.

Fassen wir zusammen: Du sagst, die RF und China sind Friedensmächte, weil sie die absolute Hegemonie der USA und Westeuropäer schwächen. Schwächen diese die Hegemonie nicht nur, weil sie selbst aufstrebende imperialistische Staaten sind? Was nützt es der Arbeiterklasse auf Dauer, diese Staaten zu unterstützen, wenn sie doch später als imperialistische Staaten agieren?

China ist ein sozialistisches Land. China ist nicht aggressiv und betreibt keine imperialistische Politik. Natürlich versuchen sie Einfluss zu gewinnen, aber ihre Politik bspw. in Afrika ist auch im Sinne der Menschen dort. Das macht der Westen nicht. Russland ist natürlich schwach, es hat aber die Rohstoffe. Es gibt immer imperiale Traditionen, aber dass sie das Baltikum wieder zurückhaben wollen ist großer Unsinn. China betreibt in Afrika wirkliche Entwicklungshilfe, sie bauen dort etwas und sie bekommen etwas dafür. Die afrikanischen Staaten wissen aus ihrer Erfahrung mit  den Briten, Franzosen etc., was koloniale Ausbeutung bedeutet. Man darf nicht davon ausgehen, dass die Afrikaner nicht wüssten, was sie tun. China ist sehr willkommen dort. Sie investieren in Afrika zugunsten der Bevölkerung vor Ort. Viele dieser Staaten lassen sich nicht ins antirussische Konzept reindrängen, das hängt auch mit China zusammen. China ist für Russland sehr wichtig als Rohstofflieferant und logistisch für die neue Seidenstraße. China geht von einer multipolaren Welt aus, die für die Arbeiterklasse und ihre Kampfbedingungen definitiv besser ist als die monopolare Welt der USA und EU. Die USA wissen genau, dass China von dieser multipolaren Welt ausgeht und das ist der Grund dafür, dass sie Russland besiegen wollen: Sie wollen Russland als Rohstofflieferant für China vernichten, um die ökonomische Entwicklung Chinas und damit die Infragestellung der unipolaren Weltordnung zu verhindern.

Das Interview führte Alexander Kikanadse

Podcast #30 – Hannes Hofbauer über die Entwicklung Russlands und die NATO- und EU-Osterweiterungen

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Hannes Hofbauer ist Journalist, Autor und Verleger aus Wien. Mit ihm sprachen wir unter anderem über die Entwicklung Russlands seit 1990 und die EU- und NATO Osterweiterung als Vorgeschichte zum aktuellen Ukraine-Krieg.

Live-Streams vom Kommunismus-Kongress 2022

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Beim Kommunismus-Kongress am kommenden Wochenende in Berlin werden wir die zentralen Podien und Einführungsvorträge live streamen. Auf unserem YouTube-Kanal und in diesem Beitrag findet ihr alle Links dazu.

Freitag 16:15 Uhr: Eröffnung – Welche Fragen der Kommunistischen Bewegung stehen im Raum?

Freitag 19:00 Uhr: RKAP – Die Russische Kommunistische Arbeiterpartei berichtet

Samstag 14:00 Uhr: Podium – Imperialistischer Krieg, Verteidigungskrieg, gerechter Krieg?

Samstag 18:30 Uhr: Podium – Der gegenwärtige Imperialismus und die Kommunistische Bewegung

Sonntag 13:00 Uhr: Podium – Klassenkampf ohne Klarheit? Die Notwendigkeit der revolutionären Theorie und Praxis

Dieses Podium wird nur als Audio gestreamt.

Anmeldung zum Kommunismus-Kongress noch bis Donnerstag Abend möglich

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Online-Anmeldungen zum Kommunismus-Kongress sind noch bis Donnerstag, 22.09.22 bis 23:59 möglich. Danach können vor Ort Tickets gekauft werden.

Anzahl der Tagestickets vor Ort entsprechend der freien Kapazitäten.

Kommunismus-Kongress 2022

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Alle Aufzeichnungen des Kommunismus-Kongress 2022 finden sich hier.

Programm

als PDF hier

als Tabelle hier

Freitag, 23.09.22

14:00 Einlass

16:00

Eröffnung: Welche Fragen der Kommunistischen Bewegung stehen im Raum?

Wir wollen hier darstellen, welche Dissense es aus unserer Sicht in der Kommunistischen Bewegung gibt und um welche inhaltlichen Fragen es sich dabei dreht. Wir wollen auch über unsere Diskussion und unseren Versuch, eine Klärung zu organisieren, berichten. Das Programm des Kongresses soll in die Debatten der Internationalen Kommunistischen Bewegung eingeordnet werden.

Münzenbergsaal + Stream in Seminarraum 1

18:00 Abendessen, Innenhof

19:00

RKAP– Die Russische Kommunistische Arbeiterpartei berichtet

Vertreter der RKAP werden über die Situation und ihre Position zur Militäroperation und zum antiimperialistischen Kampf berichten.

Anschließend besteht die Möglichkeit für Fragen und Diskussion.

Münzenbergsaal + Stream in Seminarraum 1

21:30 Kulturprogramm, Münzenbergsaal

Samstag, 24.09.22

9:00

Einlass

9:15-10:15

Vorbereitung der Vorträge

Hier wird kurz in das Thema eingeführt. Es wird eine Übersicht über die verschiedenen Positionen gegeben, die es zum Thema des Vortrags gibt. Es ist möglich Fragen zu stellen und ausgewählte Artikel zu lesen.

In den jeweiligen Räumen der Vorträge

10:30-12:30

Vorträge

Die Vorträge finden parallel in separaten Seminarräumen statt. Im Anschluss an den Vortrag wird es die Möglichkeit der Diskussion geben.

Die Volksrepubliken Donezk und Lugansk – Legitimer Verteidigungskampf gegen NATO-Aggression und Faschismus oder nützliche Instrumente für Russland?

Zur Entstehung und Entwicklung der Volksrepubliken im Donbass und zur Rolle der Kommunisten in diesem Prozess. Der Vortrag soll sich auf der einen Seite konkret mit der historischen Entstehung und Entwicklung der Volksrepubliken befassen und sich aber auch mit den damit verbundenen Fragen der Strategie der Kommunisten.

Münzenbergsaal

Renate Koppe ist im Sekretariat des Parteivorstands der DKP für internationale Beziehungen zuständig und verfolgt die Entwicklung der Volksrepubliken und hat enge Kontakte in die VR Donezk. Sie hat zahlreiche Artikel in der „UZ“ zu den Volksrepubliken und dem Minsker Prozess veröffentlicht.

Monopolkapital, Finanzkapital, transnationales Kapital?

Was ist das Finanzkapital? Was ist das Monopolkapital? Welche unterschiedlichen Vorstellungen vom transnationalen Agieren und Charakter des Kapitals gibt es? Wie ist das Verhältnis des transnationalen Kapitals zum Staat, gibt es auch hier unterschiedliche Vorstellungen? Hat sich und wenn ja wie im Laufe der Geschichte der Charakter des Kapitals geändert?

Seminarraum 1

Beate Landefeld ist Mitglied der DKP, veröffentlicht regelmäßig in den „Marxistischen Blättern“, der „Unsere Zeit“ und hat zahlreiche Analysen zur Verfasstheit des deutschen Monopolkapitals erstellt, sowie das Buch „Staatsmonopolistischer Kapitalismus“ im Papyrossa-Verlag mitverfasst.

Lenin und Krieg

Hier geht es darum herauszuarbeiten, welche Schlussfolgerungen aus den diversen Aussagen Lenins zum Thema Krieg gezogen werden können. Was lernen wir über die Methode, worauf basieren diese Aussagen, welche Perspektive nehmen sie ein? Aber auch, welche Kontroversen gibt es hinsichtlich des Umgangs mit diesen Aussagen?

Seminarraum 2

Heinz Ahlreip veröffentlicht regelmäßig in der Zeitschrift „offen-siv“ und der Zeitung der KPD „Die Rote Fahne“.

Die Stellung Russlands mit Blick auf die Neuaufteilung der Welt seit 1990

Hier soll die Stellung Russlands im imperialistischen Gesamtgefüge nach Lenins Hauptkriterien herausgearbeitet werden – mit besonderem Blick auf die ‚Neuaufteilung der Welt‘ seit 1990. Das globale ökonomisch-militärisch-politische Kräfteparallelogramm soll in seinen wesentlichen Zügen erfasst werden (also – nicht nur unmittelbar Russland betreffende – Staaten- und Interessenkonstellationen, zwischenstaatliche Kräfteverhältnisse in der Dynamik der letzten 30 Jahre).

Seminarraum 3

Eva Niemeyer ist Mitglied der Marx-Engels-Stiftung, des Hamburger Arbeitskreises „akdiamat“ und der Gesellschaft für dialektische Philosophie. Sie ist freie Publizistin und veröffentlicht zu Themen aus Technik (Künstliche Intelligenz), Philosophie und Politik (bzgl. Russland u.a. zum Kaukasus-Krieg und der Unabhängigkeit des Kosovo 2008).

Einschätzungen zur Militärstrategie Russlands

Wie ist die militärische Macht Russlands einzuschätzen? Welche Kriegsstrategie verfolgt die Russische Föderation in der Ukraine? Geht es um die südlichen und östlichen Regionen oder um den Sturz der Regierung? Inwiefern hängt beides miteinander zusammen? Hier geht es sowohl um die konkrete Kriegsführung als auch um Grundlagen der Militärtaktik und militärische Begriffe.

Seminarraum 4

Ingo Höhmann war Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und hat einen Beitrag in dem Buch „Die verratene Armee“ von Uwe Markus und Ralf Rudolph verfasst.

Zur Geschichte des Nationalismus in den Ex-Sowjetrepubliken

In diesem Vortrag wird es um die Geschichte des Nationalismus und ihre (widersprüchliche) Kollaboration mit den deutschen Faschisten in den Ex-Sowjetrepubliken gehen. Außerdem um ihre Rolle in der Konterrevolution und in der heutigen Politik, als erneute antirussische Projekte.

Seminarraum 7

Holger Michael war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR. In den neunziger Jahren bildete er Deutschlehrer in Kasachstan aus. Er ist Autor verschiedener Bücher zur Geschichte Osteuropas, darunter das Buch „Vom Baltikum nach Mittelasien: Legenden und Tatsachen um ehemalige Sowjetrepubliken“ (2009)

12:30 Mittagessen Innenhof

14:00 Podium Krieg

Münzenbergsaal + Stream in Seminarraum 1

Imperialistischer Krieg, Verteidigungskrieg, gerechter Krieg?

  • Erhard Crome
  • Hannes Hofbauer
  • Renate Koppe (DKP)

Wie ist die Militäroperation Russlands einzuschätzen, welche Entwicklung führte dazu? Das Podium wird sowohl darüber diskutieren, wie die internationalen Verhältnisse einzuschätzen sind als auch die konkretere Entwicklung in der Ukraine vor und nach dem Februar 2022. Die Diskussion reicht von der Frage, ob es ein „Weltordnungskrieg“ ist und wenn ja, für welche „Ordnung“ bis zur Einschätzung der Volksrepubliken und dem Minsker Prozess.

Erhard Crome ist Politikwissenschaftler und geschäftsführender Direktor des WeltTrends-Instituts für Internationale Politik in Potsdam. Er hat in der DDR studiert, promoviert und habilitiert. Er publiziert in zahlreichen Zeitschriften, darunter die „Zeitschrift Z – für marxistische Erneuerung“. In der „jungen Welt“ erschien zuletzt ein Artikel von ihm zur Einschätzung des Kriegs in der Ukraine (Thema vom 22.04.22).

Hannes Hofbauer (Wien) ist Verleger (Promedia Verlag) und Autor zahlreicher Bücher und Artikel zum Schwerpunkt Osteuropa.  Sein 2016 erschienenes Buch „Feindbild Russland“ gibt einen Einblick in die Geschichte Russlands und sein von Spannungen und Widersprüchen geprägtes Verhältnis zum Westen.

Renate Koppe ist Mitglied des Sekretariats des Parteivorstands der DKP und dort zuständig für internationale Beziehungen. Sie verfolgt die Entwicklungen in den Volksrepubliken und der Ukraine sowie der Russischen Föderation und hat enge Kontakte zur KP Donezk. Sie hat in der Wochenzeitung „Unsere Zeit“ zahlreiche Artikel zu den Volksrepubliken, zum Minsker Prozess und zur Entwicklung in der Ukraine veröffentlicht.

Vorträge

16:00-18:00

Neokolonialismus – Zum Verhältnis ehemals kolonialer Länder zu imperialistischen Kernländern

Was heißt Abhängigkeit und wie wirkt sie sich aus? Was wird mit Neokolonialismus beschrieben und wo ist der Unterschied zum Kolonialismus? Wie hat sich der Neokolonialismus in den letzten Jahren entwickelt und welche unterschiedlichen Ansätze einer anti-(neo-)kolonialen Perspektive tun sich auf?

Seminarraum 3

Der Vortrag findet digital und auf englisch statt. Eine Flüsterübersetzung vor Ort ist begrenzt möglich.

Vijay Prashad ist Autor und Direktor des Tricontinental Institute – einem internationalen Institut für Sozialforschung, das versucht, eine Brücke zwischen akademischer Produktion und politischen und sozialen Bewegungen zu schlagen.

16:30-18:00

Zur Rolle der USA in der Welt – Ökonomie, Politik, Militär, Arbeiterklasse

Leben wir noch in einer unipolaren Weltordnung, an dessen Spitze die USA mit ihren ungeheuren Machtinstrumenten stehen oder ist die Stunde des Abstiegs der Weltmacht USA schon längst geschlagen und die Welt ist zu einer multipolaren Welt geworden, in dem die USA eine Macht unter anderen Großmächten ist? Welche Machtinstrumente sind es, die den USA zur Verfügung stehen? Wie steht es mit den transatlantischen Partnern der USA? Wie steht es um die US-amerikanische Arbeiterklasse?

Münzenbergsaal

Ben Becker ist Gründungsmitglied der Party for Socialism and Liberation (USA). Die PSL wurde 2004 gegründet. Ben Becker hat in einer Neuausgabe der Imperialismusschrift Lenins ein einleitendes Kapitel zum aktuellen Entwicklungstand des Imperialismus im 21.Jahrhundert geschrieben.

Der Vortrag findet auf Englisch statt. Flüsterübersetzung vor Ort ist in begrenzt möglich.

Lage und Organisierung der Arbeiterklasse in der Russischen Föderation

Hier wird es um die Lebensbedingungen, Bewußtseinslage und die Organisierung der Arbeiterklasse unter anderem in Gewerkschaften gehen.

Seminarraum 4

Yana (KPD) setzt sich mit der Entwicklung in Russland auseinander und betreibt einen Telegram-Kanal mit Informationen zur Entwicklung der Militäroperation. Ihr könnt einen Podcast mit ihr zum Thema hören und einen Diskussionsbeitrag zur Imperialismusdiskussion lesen auf kommunistische.org


16:30-18:00

Diskussionsräume

In den jeweiligen Räumen wird es die Möglichkeit geben, sich im kleineren Rahmen weiter zu den Themen und über die Vorträge auszutauschen, zu diskutieren, sich über weiterführende Literatur zu informieren und Gedanken und Ideen festzuhalten.

Diskussionsraum 1

Der Krieg in der Ukraine

Seminarraum 2

Diskussionsraum 2

Gegenwärtige Weltordnung – Multipolarität/Unipolarität

Seminarraum 4

Diskussionsraum 3

Finanzkapital

Seminarraum 7

18:00-18:30

Snack und Pause, Münzenbergsaal

18:30 Podium Imperialismus

Münzenbergsaal + Stream in Seminarraum 1

Der gegenwärtige Imperialismus und die Kommunistische Bewegung

  • Dima Alnajar (Partei des Volkswillens Syrien)
  • Björn Blach (DKP)
  • Torsten Schöwitz (KPD)
  • Andreas Sörensen (SKP)

Zur Diskussion steht das Verständnis des Imperialismus unserer Zeit. Können wir von unterdrückenden und unterdrückten Staaten sprechen oder hat sich das Verhältnis der Länder untereinander angeglichen? Wie ist das Verhältnis der nationalen Frage zum Kampf um den Sozialismus einzuschätzen, was bedeutet Antiimperialismus heute? Wo liegen opportunistische Irrwege in den Annahmen und in der Untersuchung des Imperialismus?

Dima Alnajar ist Journalistin der Wochenzeitung der Partei des Volkswillens „Kassioun“. Sie hat als Gastautorin in der „jungen Welt“ zu Syrien geschrieben.

Björn Blach ist Redakteur der Wochenzeitung „Unsere Zeit“ sowie Leiter der Karl-Liebknecht-Schule der DKP. Zuletzt erschien eine Artikelreihe von ihm zum Thema „Gerechte Kriege?“ in der UZ vom 22.07. und 29.07.

Torsten Schöwitz ist Vorsitzender der KPD. Ihm ist die Verteidigung des realen Sozialismus der DDR und allen anderen sozialistischen Länder sowie die Formierung einer einheitlichen Kommunistischen Partei auf marxistisch-leninistischer Grundlage wichtig.

Andreas Sörensen ist Vorsitzender der SKP. Wir haben ihn in einem Podcast zu seinen Positionen befragt (siehe kommunistische.org).

20:30-21:30 Abendessen

22:00-22:45 Kulturprogramm, Münzenbergsaal

Sonntag, 25.09.22

9:00

Einlass

9:00-9:45

Vorbereitung für die Vorträge

Hier wird kurz in das Thema eingeführt. Es wird eine Übersicht über die verschiedenen Positionen gegeben, die es zum Thema des Vortrags gibt. Es ist möglich Fragen zu stellen und ausgewählte Artikel zu lesen.

In den jeweiligen Räumen der Vorträge

10:00-12:00

Vorträge

Die aktuelle Stellung des deutschen Imperialismus

Es wird um die Frage der Eigenständigkeit des deutschen Imperialismus und sein Verhältnis zu den USA, sowie um die EU als Instrument der BRD für ihre Weltmachtpläne gehen. In dieses Gesamtverhältnis soll die Ostpolitik der deutschen Strategen eingeordnet werden.

Münzenbergsaal

Gretl Aden schreibt regelmäßig für die Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ). Sie äußerte sich mehrfach zur Strategie des deutschen Imperialismus in der KAZ sowie im Zuge der Konferenz „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“.

Faschismus in der Ukraine: Entwicklung und Charakter des ukrainischen Faschismus im Kontext der Entwicklungen der gegenwärtigen imperialistischen Weltordnung.

Das Interesse der NATO, EU, Deutscher Imperialismus am ukrainischen Faschismus als Instrument zur Durchsetzung ihrer geopolitischen Interessen.

Der Vortrag befasst sich mit der historischen Entwicklung des westukrainischen Faschismus. Es soll auch um die Auswirkungen hierzulande gehen, wie hier Geschichtsrevisionismus und Faschismus gestärkt werden.

Seminarraum 1

Susann Witt-Stahl hat sich intensiv mit der Entwicklung des Faschismus in der Ukraine befasst, ebenso wie mit dem antifaschistischen Kampf im Donbass. Sie hat zahlreiche Recherchen in der „jungen Welt“ und in weiteren Publikationen verfasst, sowie das Buch „Antifa heißt Luftangriff!“ herausgegeben. Sie ist Chef-Redakteurin des linken Kulturmagazins Melodie&Rhythmus.

Schweden und die NATO

Geschichte der „Neutralität“ – War und ist Schweden je ein wirklich neutraler Staat gewesen? Inwiefern war Schweden schon seit Längerem an die NATO angegliedert? Innenpolitische Reaktionen? Gibt es Opposition gegen den NATO-Beitritt, wie relevant ist diese?

Seminarraum 2 

Der Vortrag wird von Aris Patris (SKP) gehalten. Der Vortrag findet auf Englisch statt. Auch hier ist eine Flüsterübersetzung begrenzt möglich.

Zur Lage in und dem Charakter der Russischen Föderation

Wie sieht die Lage der Arbeiterklasse und der Kommunisten in der Russischen Föderation aus? Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf die Arbeiterklasse? Welche Debatten innerhalb der kommunistischen Bewegung in Russland hat sie entfacht?

Seminarraum 3

Der Vortrag wird digital und auf englisch stattfinden, eine Flüsterübersetzung wird begrenzt möglich sein. Politsturm ist eine länderübergreifende unabhängige kommunistische Informationsquelle.

Diskussionsraum 1

Wesen des Imperialismus – Abhängigkeit und Hierarchie

Seminarraum 1

12:00-13:00 Mittagessen

13:00

Podium Klärung

Münzenbergsaal + Stream in Seminarraum 1

Klassenkampf ohne Klarheit? Die Notwendigkeit der revolutionären Theorie und Praxis

  • Hans Bauer – (GRH)
  • Hände weg vom Wedding
  • Hauke (Kämpfende Jugend)
  • Gregor Lenßen (KPD)
  • Max (KO)

Wir resümieren die Diskussionen in der Kommunistischen Bewegung, insbesondere vor dem Hintergrund der Debatten am Wochenende. Welche Relevanz haben diese Auseinandersetzungen für den Kampf der Arbeiterbewegung in Deutschland? In welchem Verhältnis stehen diese Debatten zur Militarisierung und Verarmungspolitik der Regierung? Wie wichtig ist die Klärung dieser Fragen für den Klassenkampf? Ist es übertriebene Seminaristik oder droht sonst blindes Handwerkeln? Wie muss und kann eine Debatte und Klärung aussehen?

Hans Bauer

Hans Bauer ist Vorsitzender der Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH), die sich für die Rechte von DDR-Bürgern einsetzt, die von der politischen Strafjustiz der BRD verfolgt werden und Mitglied der DKP. Er war stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR.

„Hände weg vom Wedding“

Die Initiative „Hände Weg Vom Wedding ist eine linke Stadtteilorganisation, die seit 2012 Nachbarn organisiert, um auf Verdrängung und andere soziale Missstände aufmerksam zu machen und diese mit antikapitalistischem Kampf zu verbinden. Weitere Themen sind Feminismus, Antifaschismus und Arbeitskämpfe.

Die „Kämpfende Jugend“

Die Kämpfende Jugend Bremen wurde 2019 gegründet, sie organisiert Jugendliche und veranstaltet Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Faschismus. Sie versteht sich internationalistisch und strebt eine neue Kommunistische Partei an.

KPD

Die Kommunistische Partei Deutschlands wurde 1990 noch auf dem Boden der DDR gegründet und sieht sich in der Tradition der KPD Liebknechts und Luxemburgs, Thälmanns und Piecks. Sie organisiert zusammen mit der Zeitschrift „offen-siv“ das marxistisch-leninistische Fernstudium.

KO

Die KO wurde 2018 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, einen Klärungs- und Aufbauprozess zu organisieren.

15:00 Abschluss, Münzenbergsaal

Podcast #29 – Susann Witt-Stahl über den Faschismus in der Ukraine und die aktuelle „Heimatfront“

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Susann Witt-Stahl arbeitet als freie Journalistin u.a. für die junge Welt, ist Buchautorin und Chefredakteurin des Gegen-Kulturmagazins Melodie & Rhythmus. Susann beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Entwicklungen in der Ukraine, war mehrmals dort und pflegt Kontakt zu vielen antifaschistischen Genossen vor Ort.

Wir haben die Entwicklung des Faschismus in der Ukraine nachgezeichnet und diskutiert. Im Fokus stand dabei auch die Frage, welche Wirkung diese Entwicklungen hier an der „Heimatfront“ haben, wo die deutsche Linke steht und was nun die Aufgabe von Antifaschisten und Kommunisten ist.

Außerdem haben wir uns mit der jüngsten Diskussion in der Kommunistischen Bewegung zum „exportierten Faschismus“ auseinandergesetzt und die Notwendigkeit eines fundierten Faschismusbegriffs als Aufgabe der Bewegung herausgestellt.

Interview: „In einem Konflikt zwischen zwei Räubern werden Kommunisten nicht eine Seite wählen“

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Tibor Zenker zum Imperialismus als Weltsystem, zur Rolle Chinas und Russlands und zum Krieg in der Ukraine.

Wir haben mit Tibor Zenker, dem Vorsitzenden der Partei der Arbeit (PdA) aus Österreich, einen Podcast gemacht, der auf unserer Website in Gänze zu finden ist. Ausschnitte daraus geben wir hier in Schriftform wieder. Der Fokus dieses Auszugs liegt auf dem Imperialismusverständnis, der Stellung von Russland und China in der Welt, der Einschätzung des Krieges in der Ukraine und den Differenzen innerhalb des kommunistischen Lagers.

Sind die Aggression der USA und ihrer Verbündeten das bestimmende Moment in der aktuellen Situation oder geht es nicht auch um eine Rivalität zwischen aufsteigenden und etablierten imperialistischen Mächten? Häufig wird die momentane Situation auch mit dem Vorabend des Ersten Weltkriegs verglichen. Würdest du sagen man kann diesen Vergleich so ziehen?

Generell sind solche Vergleiche bis zu einem gewissen Grad bequem und ich würde davon grundsätzlich eher Abstand nehmen. Wichtiger ist genau zu analysieren, wie das Hier und Jetzt ausschaut und nicht in historischen Analogien zu denken. Es mag nachvollziehbare Parallelen geben, aber eben auch markante Unterschiede. Wenn man an 1914 denkt, dann haben wir es heute z.B. definitiv mit mehr Akteuren zu tun und außerdem auch mit globalen Verhältnissen. Man darf nicht vergessen, dass der Erste Weltkrieg schlussendlich vornehmlich ein europäischer Krieg war. Meines Erachtens ist der Schlüssel zum Verständnis das Gesetz über die ungleichmäßigen Entwicklungen im Kapitalismus. Wir haben es mit aufsteigenden und regionalen Mächten zu tun, die ihren Platz an der Sonne einfordern – ökonomisch, politisch und in letzter Instanz militärisch.
Wir befinden uns im Kampf um die Neuaufteilung der Welt, das muss aber nicht immer nach demselben Schema ablaufen. Die besondere Aggressivität der USA und von Teilen der NATO ist zweifellos die Hauptgefahr für den Frieden. Sie sind die Hauptkriegsverbrecher – nicht Russland. Diese Aggressivität hat meines Erachtens ihre Ursache im ökonomischen Abstieg der USA. Die Imperialmacht verteidigt ihre Stellung vermehrt militärisch, weil ihr immer weniger andere Möglichkeiten bleiben. Zugespitzt könnte man formulieren: Der verbliebene Rüstungsvorsprung, die Waffenarsenale und ihre weltweite Einsatzfähigkeit bieten genau jenes Argument, warum man den US-Dollar überhaupt noch als seriöses Zahlungsmittel akzeptiert. Kurz gesagt, die militärische Karte – oder weiter gedacht der direkte Großmachtkonflikt und der drohende Weltkrieg – muss keineswegs zuerst von der aufstrebenden Macht ausgespielt werden. Das hat auch damit zu tun, dass wir kein klassisches Kolonialsystem mehr haben wie zu Lenins Zeiten und auch noch in den Jahrzehnten danach. Die Stellungen, die hier verteidigt oder angegriffen werden, sind ein bisschen subtiler.
Aufstrebende Mächte haben andere Möglichkeiten. Trotzdem, wenn er nicht verhindert wird, dann kommt es am Ende zum großen imperialistischen Krieg. Aber ich würde mein Geld eigentlich nicht darauf verwetten, dass der Krieg von China oder Russland begonnen wird oder bereits begonnen wurde. Ich denke, dieser Krieg wird von der Pole-Position aus geführt und das natürlich mit Provokationen, um gegebenenfalls öffentlich etwas Anderes behaupten zu können. Das heißt für mich unterm Strich, dass die globale US-Aggressivität bestimmend ist. Und ich weiß schon, dass ich da ein Problem minimiere, das anderswo ein größeres ist. Aber sie ist eben auch das Ergebnis der ungleichmäßigen Entwicklung und der von anderer Seite angestrebten Neuaufteilung der Welt.

Und wie würdet ihr die Rolle Russlands und Chinas einschätzen? Ist da ein imperialistischer Pol im Entstehen, der sich als ebenbürtiger Rivale neben den USA etablieren will?

Natürlich gibt es in einem globalen System – und das ist der Imperialismus – eine entsprechende Konkurrenz zwischen den USA und ihren Verbündeten. Deren Interessen fallen nicht immer zusammen. Ebenso ist es mit Russland und China. Jedes imperialistische Bündnis ist ein Zweckbündnis. Es gibt ein russisches Monopolkapital sowie eine russische Finanzoligarchie mit allen zwingenden Konsequenzen: internationaler Kampf um Einflusssphären, Ressourcen, Transportwege, Investitionsmöglichkeiten, geopolitische Positionen. Das ist bekannt.

Bislang ist der russische Imperialismus im Gegensatz zum US-Imperialismus vornehmlich an seinen eigenen Grenzen besonders ambitioniert. Doch grundsätzlich besteht der expansive Drang. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass Russland ihn ohne chinesische Hilfe umfassender realisieren kann.

Ich will aber noch etwas zu bedenken geben: Gegenwärtige Bündnisse müssen nicht Bestand haben. Selbstverständlich gibt es auch Bruchlinien, sogar regelrechte Sollbruchstellen in der NATO und in der EU. Und auch die sogenannte transatlantische Partnerschaft ist nicht für die Ewigkeit bestimmt. Aber der Ukrainekrieg und die allgemeine Frontstellung gegen Russland verdecken das gegenwärtig. Das ist ein wichtiger Bonus für die USA.

Trotzdem denke ich, dass zwischenimperialistische Verhältnisse rascher an Dynamik gewinnen können, als es statisch betrachtet wirken mag. Um noch einmal präziser zu antworten: Nimmt man China und Russland zusammen, dann haben die USA bereits einen weitgehend ebenbürtigen Rivalen und ich denke, das weiß man in Washington am besten.

Woran machst du den expansiven Charakter Russlands denn fest?

Ich denke, dass dieser expansive Charakter als Tendenz den imperialistischen Staaten gegeben ist, aber immer nach Maßgabe der realen Möglichkeiten. Das österreichische Bundesheer kommt mit EU- und NATO-Unterstützung bis auf den Balkan. Bei Russland geht es um ein bisschen mehr und es geht nicht nur darum, etwas zu verteidigen, sondern etwas zurückzugewinnen. Denn die Ukraine oder zumindest der größte Teil der Ukraine ist 2014 verloren gegangen, nachdem es bereits in den Jahren davor ein bisschen unentschieden war.

Im Prinzip ist es auch, was Kasachstan betrifft, nicht ganz so einfach. Da haben auch verschiedene Akteure ihre Hände im Spiel. Darüber hinaus gibt es auch das Eingreifen in Syrien, das eindeutig außerhalb der ehemaligen Sowjetunion liegt. Syrien ist von besonderer Bedeutung, denn dort hat die russische Flotte im Zweifelsfall einen Mittelmeerhafen.

Ich habe jetzt nur die militärische Seite betrachtet, da geht es sehr wohl langsam, aber sicher auch über die Nachbarschaft hinaus. Ich glaube, ökonomisch sind wir da schon längst. Das wird gerne klein geredet, um zu beweisen, dass Russland gar kein imperialistischer Staat ist. Aber natürlich gibt es eine nennenswerte russische Finanzoligarchie mit allen möglichen Verstrickungen, Investitionen und einem entsprechenden Kapitalexport. Auch in Europa und in Österreich wissen wir das sehr genau. Sehr große Konzerne sind mit der Russischen Föderation verbunden.

In Russland und China sind die ökonomischen Verhältnisse und auch die Rolle des Staates in gewisser Weise anders gelagert als in den westlichen Ländern. Kann man bei Russland und China trotzdem von Imperialismus sprechen?

Unterm Strich wüsste ich nicht, wie es anders einzuschätzen wäre. Es gibt da unterschiedliche Varianten und unterschiedliche Formen, wie man das umsetzt. Aber im russischen Fall habe ich eigentlich keine Zweifel, dass man von einem imperialistischen Staat sprechen kann. Es ist im Prinzip alles vorhanden, wenn man die Merkmale Lenins auf einzelne Staaten anwenden will. Ich weiß, dass das nicht unbedingt common sense ist. Aber es besteht überhaupt kein Zweifel, dass sie alle gegeben sind. Insofern halte ich es für relativ müßig, Russland den imperialistischen Charakter absprechen zu wollen. Die Tatsachen sprechen meines Erachtens für sich.

Ich glaube, dass man Illusionen anhängt, wenn man Russland den Imperialismus abspricht oder falschen Hoffnungen oder auch Symptomschmerzen hat, die seit 1991 unangebracht sind. Diese Rolle spielt Russland sicher nicht und man sollte auch nicht glauben – das ist ja das Naivste überhaupt –, dass wenn Russland irgendwo auf der Welt einen Gegenpart zu den USA darstellt, dass das aus antiimperialistischen Gründen passiert. Natürlich passiert das aus zutiefst imperialistischen Gründen. Wenn das dann doch eine Auswirkung hat, mit der man mitgehen kann, wie etwa in Syrien, dann ist das eine Scheinkorrelation. Aber das ist weder die Ursache noch der Grund, aus dem Russland agiert. Russland agiert nicht antiimperialistisch, sondern im Interesse des russischen Monopol- und Finanzkapitals. Das ist für mich ganz klar.

Anders als die USA und ihre Verbündeten überziehen China und Russland die Welt nicht mit Krieg, ihre Außenpolitik zielt häufig auf eine softere Einflussnahme. Was bedeutet das?

Ich denke, dass die USA im Wesentlichen ihren Pool an Verbündeten haben und dabei sind, ihre Position im System zu verteidigen. Wie ich schon sagte, mit einer entsprechenden militärischen Aggressivität. Russland und China hingegen verfügen natürlich auch über eine Handvoll traditioneller Verbündeter, aber über wesentlich weniger. Und neue Verbündete bauen sie sich im Wesentlichen gerade erst auf, v.a. in den Staaten der sogenannten ‚Dritten Welt‘ und nur vereinzelt in Europa. Das macht man auf eine andere Weise als mit mit Bombardements.

China – und auch Russland bis zu einem gewissen Grad – suchen sich ihre Verbündeten mit den soften Methoden, mit Kooperation vordergründig. Hintergründig werden auch ökonomische Abhängigkeiten geschaffen, das ist eine Tatsache. Aber am Ende geht es darum, diesen Pool auch um entsprechende Verbündete zu erweitern. Ich denke, dass in vielen Fragen, bei vielen Ländern, die durchaus eine größere Relevanz haben, das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Ist es deiner Ansicht nach plausibel, dass man von einem imperialistischen System mit einer von oben nach unten abgestuften Rangordnung gegenseitiger Abhängigkeiten spricht? Oder ist die Situation im Wesentlichen doch eine ähnliche, wie zu Zeiten Lenins, auch wenn es keine formellen Kolonien mehr gibt? Gibt es eine Handvoll faktischer Kolonialmächte, also die Triade Japan – EU – USA und der Rest sind eigentlich abhängige und unterdrückte Länder?

Es ist klar, dass der Imperialismus ein Weltsystem ist, das die ganze Erde erfasst. Das gilt heute sogar noch mehr als 1916 und 1917. Das heißt, jedes Land unseres Planeten befindet sich in diesem System. Und jedes Land hat in diesem System auch eine Position abhängig von seinen politischen, ökonomischen und militärischen Potenzen.

Es gibt trotzdem imperialistische Hauptmächte, die auch die Haupträuber sind, die sich einen Großteil der Monopol- bzw. Extraprofite aneignen. Sie sind es, die ihre Macht mehr oder minder global zur Geltung bringen können, auch wenn sie über keine oder fast keine direkten Kolonien mehr verfügen. Möchte man diese Gruppe benennen, könnte man die G7 in Betracht ziehen, wobei das, wenn man sich den Haupträuber anguckt, fast schon wieder zu groß ist.

Am anderen Ende des Systems gibt es durchaus eine Vielzahl von Ländern, die in der Entwicklung sehr weit zurückstehen und daher vornehmlich zu Opfern der imperialistischen Mächte werden. Und dazwischen gibt es eine ganze Reihe kleinerer imperialistischer Staaten, zu denen ich z.B. auch Österreich zählen würde. Diese haben nur limitierte oder regionale Bedeutung und sind auf größere Verbündete und Bündnisse wie EU und NATO angewiesen. Was zweifellos eine gewisse Abhängigkeit impliziert. In dem Bereich gibt es auf jeden Fall eine Art Doppelcharakter, den wir, die Österreicher, hervorheben.

Das imperialistische Weltsystem hat also logischerweise eine Hierarchie, eine Rangordnung und tatsächlich ergeben sich dabei auch wechselseitige Abhängigkeiten. Insbesondere bei der Verfügung von wichtigen Rohstoffen. Japan, durchaus eine Großmacht, ist z.B. das Paradebeispiel einer rohstoffarmen imperialistischen Hauptmacht. Insbesondere am Beispiel von Erdöl zeigt sich, wie rückständige Länder, die darüber verfügen, ihre Position verbessern können. Und natürlich am besten noch, wenn man sich organisiert wie in der OPEC. Auf dieser Basis kann man zu einem relevanten Kapitalexporteur und Investor aufsteigen, wie es z.B. die Vereinigten Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien zeigen. Insofern könnte man sagen, es besteht auch für die USA als Hegemonialmacht eine gewisse Abhängigkeit von diesem Öl und gewissermaßen auch von deren Dollarreserven. Aber als imperialistische Hegemonialmacht holt man sich im Zweifelsfall bis heute das, was man braucht, mit Gewalt – siehe Irak oder Libyen. Insofern würde ich die gegenseitige Abhängigkeit als limitiert begreifen, nämlich nach Maßgabe der restinstanzlichen allgemeinen Entwicklungen.

Wenn die ganze Welt imperialistisch ist, sind dann alle Staaten imperialistische Staaten, nur in unterschiedlicher Ausprägung? Wenn man das bejaht, dann entledigt man sich so nebenbei natürlich brennender Fragen, die sich Lenin gestellt hat. Zum Beispiel: Ist Russland überhaupt ein imperialistischer Staat? Ich bin mir nicht sicher, wie viel damit gewonnen ist. Zugespitzt gesagt: Was nützt es Haiti oder die Zentralafrikanische Republik zu imperialistischen Staaten zu erklären? Dass es sich um bürgerlich-kapitalistische Staaten, um Klassengesellschaften handelt, ist klar. Vielleicht gibt es auch größere Kapitalisten und Kapitalexport im geringen Ausmaß. Trotzdem ist es eine Tatsache, dass beide sehr weit unten in der zentralen Rangordnung stehen und Ziele imperialistischer Interventionen von imperialistischen Großmächten sind.

Für problematisch halte ich es, in diesen Fällen dann die Legitimation nationaler Befreiungskämpfe in Abrede stellen zu müssen. Damit würde ich doch ein gewisses Standbein des Antiimperialismus negieren. Also unterm Strich bin ich sehr wohl dafür, die Haupträuber, also die imperialistischen Großmächte zu benennen und ebenso die regionalen Mächte. Ich kann die imperialistische Ausplünderung der jugoslawischen Länder durch Österreich nicht vom Tisch wischen, weil umgekehrt vielleicht irgendein kroatischer Investor ein Projekt in Wien unterhält oder an einem österreichischen Unternehmen beteiligt ist. Und ich kann es auch deshalb nicht, weil natürlich nicht alle Staaten im gleichen Ausmaß imperialistisch sein können, gerade weil es ein Weltsystem ist. Imperialismus bedeutet Extraprofite, Ressourcen-Aneignung, Investitionssphären und Marktanteile in anderen Ländern. Das kann nicht für alle gleichermaßen funktionieren. Es können schließlich auch nicht alle Menschen der bürgerlichen Gesellschaft Kapitalisten sein. Ein solches Imperialismusverständnis käme – natürlich nicht intentional – wieder ins Fahrwasser des Ultraimperialismus.

Wir haben zum besseren Verständnis die Rangordnung, wenn man so will das Pyramidenmodell des Imperialismus. Das funktioniert im Wesentlichen auch und muss nicht in irgendeinen Gegensatz zu Lenin gestellt werden. Und trotzdem hat die Pyramide einen Fehler. Die Pyramiden von Gizeh stehen schon seit viereinhalbtausend Jahren in der Wüste und das unveränderlich. Einer der wesentlichsten Punkte des Imperialismus ist doch, dass sich die Steine bewegen, dass sie nach oben oder nach unten wandern können. Mir ist jetzt keine echte Pyramide bekannt, bei der das möglich wäre. Das heißt für den Marxismus-Leninismus ist nicht nur wichtig die Statik, sondern die Dynamik zu erfassen und auch zu beschreiben. Damit sind wir wieder beim Gesetz der ungleichmäßigen politischen und ökonomischen Entwicklung. Vor dem Hintergrund können wir aktuelle Haupträuber benennen, wir können aber auch absteigende und aufstrebende Mächte beobachten, die auf eine Klärung des Ungleichgewichts drängen. Das bedeutet, dass wir nicht fertig mit unserer Imperialismusbetrachtung sind, wenn wir nur die G7 oder die USA im Auge haben. Es bedarf der Betrachtung und Einbeziehung der BRICS-Länder und weiterer Akteure. Warum ist das jetzt gerade wichtig? Hierin liegt wieder das begründet, was uns gegenwärtig antreibt – nämlich die Frage des imperialistischen Kriegs.

Eins sei in diesem Kontext auch noch einmal erwähnt: Wer glaubt, dass eine multipolare Weltordnung der Friedenssicherung dient, hat meiner Meinung nach sehr wenig verstanden. Sie ist in Wirklichkeit das komplette Gegenteil, nämlich der unweigerliche Ausgangspunkt für neue zwischenimperialistische Konflikte und Kriege, die dadurch angekündigt werden.

Seht ihr gerade noch nationale Befreiungskämpfe in der Welt und welche Rolle spielen sie für das imperialistische Weltsystem? Und ergeben sich durch die multipolare Weltordnung nicht doch Spielräume und kann dadurch nicht eine Situation entstehen, die für den Kampf der Arbeiterklasse eine bessere Situation schafft?

Nationale Befreiungskämpfe haben ihren Zenit gewissermaßen überschritten, denn ihre klassische Form war der Antikolonialismus. Aber die Ablösung des klassischen Kolonialsystems bedeutet nicht, dass Abhängigkeiten und Einflusssphären nicht mehr gegeben gewesen wären. Vor allem, was Afrika betrifft, aber auch große Teile Asiens. Ich glaube nicht, dass das das große Thema ist, das kann es aber durchaus wieder werden. Ich weiß, dass man da verschiedene Schichten unterschiedlich einordnen kann und dass man nicht überall Konsens herstellen können wird.

Es ist auch so, dass der zukünftige Charakter der verschiedenen Bewegungen nicht so eindeutig einzuordnen ist. Vor dem Hintergrund kann man so etwas auch anerkennen und wenn es eine militärische Form annimmt zum Beispiel auch als einen gerechten Krieg bezeichnen, ohne dass man es methodisch für richtig halten muss. Letzteres würde sich zum Beispiel rund um das Thema Kurdistan anbieten.
Was aber auf jeden Fall relevant ist, ist Palästina. Und in einer ganzen Reihe von afrikanischen Staaten haben wir Regime an der Macht, die sich im Wesentlichen nur durch die Unterstützung der imperialistischen Staaten des Nordens halten, die dann Grenzfälle sind. In all diesen Staaten müssen die Kommunisten eine entsprechende Rolle spielen. Ein Beispiel ist Swasiland, wo das ganz besonders zugespitzt ist. Das ist aber auch nicht die klassische Variante.

Zur multipolaren Weltordnung: Es gibt kommunistische Parteien, die sagen, das ist das, was wir verteidigen, dass das ist das, was den Frieden sichert, weil es ein Gleichgewicht schafft. Der Punkt ist, es gibt kein Gleichgewicht im Imperialismus und Kapitalismus, sondern nur die ungleichmäßige Entwicklung. Und wenn sich da neue Mächte einbringen in der sogenannten multipolaren Weltordnung, dann ist das eine entsprechende Gefahr und entsprechende Botschaft an die anderen – nämlich, dass man was zu unternehmen hat. Dementsprechend ist die multipolare Weltordnung gesetzmäßig eher der Anlass für Konflikte. Was aber stimmt, ist, dass zwischenimperialistische Konflikte, aber auch Kriege durch fortschrittliche Bewegungen, revolutionäre Bewegungen, sozialistische Bewegungen, kommunistische Bewegungen auch ausgenutzt werden können. Man muss dabei auch nicht übermäßig moralisch agieren, denn es wäre naiv, solche Widersprüche nicht zum eigenen Vorteil zu nutzen. Man kann es aber auch übertreiben. Ich bin kein Freund der Rojava-Kollaboration mit dem US-Imperialismus, um ein Beispiel zu nennen.

Zum Krieg in der Ukraine gibt es verschiedene oder sogar sehr gegensätzliche Bewertungen. Einige sagen, dass es ein gerechter Krieg sei, weil es sich um einen Verteidigungskrieg handele. Würdet ihr sagen, dass man von einem Verteidigungskrieg sprechen kann?

Wir können diesen Krieg nicht unterstützen und ihn als Verteidigungskrieg einordnen, das erscheint mir geradezu absurd. Ich habe bereits gesagt, Russland ist ein imperialistischer Staat und natürlich ist es ein imperialistischer Angriffskrieg, der auf die Erweiterung der Einflusssphäre und vermutlich auch auf Annexionen abzielt. Ich glaube, dass man nach 30 Jahren zur Kenntnis nehmen muss, dass in Moskau im Kreml nicht mehr unsere Genossen sitzen. Die Russische Föderation ist nicht die Sowjetunion und sie spielt nicht diese Rolle. Das heißt, dass man sie nicht in diesem Sinne zu verteidigen hat. Und die Annahme, das russische Handeln wirke hier oder dort objektiv antiimperialistisch, ist falsch, das ist eher eine zufällige Scheinkorrelation.

Tatsache ist, dass die russische Politik und der russische Staat die Interessen des russischen Monopolkapitals und der Finanzoligarchie markieren und sonst nichts. Ich glaube, es ist auch keine besonders gute kommunistische Herangehensweise in einem imperialistischen Konflikt – und ich betrachte den Ukrainekrieg auch als Stellvertreterkrieg – einfach für das kleinere Übel Partei zu ergreifen. Nur weil der russische Imperialismus dem US-Imperialismus gegenübersteht, ist er ja noch lange kein guter Imperialismus. Einen solchen Imperialismus gibt es nicht. Ich denke auch, dass sich die Kommunisten in aller Regel davor hüten sollten, unbedingt Geopolitik betreiben zu wollen. Unsere Aufgabe ist der Klassenkampf und unsere Standpunkte müssen von den Interessen der Arbeiterklasse bestimmt werden. Da bleibt es unterm Strich dabei: In einem Konflikt zwischen zwei Räubern werden Kommunisten nicht eine Seite wählen. Es handelt sich auf beiden Seiten um einen ungerechten Krieg, um auch diese Einordnung explizit vorzunehmen.

Wenn Russland seine Einflussgebiete verteidigt, also in diesem Fall die Ukraine, dann stellt sich die Frage, aus welchen es das tut. Naja, aus imperialistischen Gründen! Und dann ist es auch ein imperialistischer Krieg. Das erscheint mir recht einfach. Aber offensichtlich gibt es da einen Dissens.

Was die Volksrepubliken betrifft: Das sollte man nicht überbewerten. Man sollte nicht der Illusion verfallen, dass hier etwas besonders Progressives entstanden wäre. Das hat es vielleicht in manchen Elementen am Anfang gegeben, aber das ist vom Tisch und zwar vollständig. Natürlich geht es noch um Bezugnahmen auf die Sowjetunion und den großen vaterländischen Krieg. Damit schmückt man sich. Das macht auch die russische Regierung, aber die ist nun mal definitiv antikommunistisch und antisowjetisch.

Ich würde die Rolle und den Charakter der Volksrepubliken nicht überbewerten. Ich denke, dass es aus russischer Sicht logisch wäre, diese Gebiete vollständig anzugliedern, wenn das möglich ist. Es hat wenig Sinn, die Gebiete so bestehen zu lassen.

Was die Verbesserung der Interessensüberschneidungen und der Kampfbedingungen betrifft: Dem würde ich auch nicht unbedingt folgen. Ein imperialistischer Krieg ist keine wünschenswerte Situation für die Arbeiter, weil es immer die Arbeiter sind, die ins Feld geschickt werden und aufeinander schießen sollen. Die Frage ist, ob sich dann in weiterer Folge die Kampfbedingungen für die Kommunisten und Kommunistinnen in einem ‚befreiten‘ Donbass oder in der Ostukraine verbessern. Da bin ich ein bisschen skeptisch. Der Gegner wäre dann nicht mehr das Kiewer Regime und der oligarchische Schokoladenkönig der Ukraine. Dann wäre der Gegner ungleich größer, nämlich der russische Staat und die russische Finanzoligarchie und im Zweifelsfall die russische Armee. Eine Optimierung schaut für mich anders aus.

Kann man dem Krieg dennoch etwas abgewinnen, weil er einen antifaschistischen Charakter trägt?

Da tue ich mich ehrlich gesagt schwer. Ich denke, dass hier weder ein antiimperialistischer noch ein antifaschistischer Krieg geführt wird. Das Regime in Kiew ist antidemokratisch und nationalchauvinistisch und es ist auf der Grundlage des Maidan-Putsches von 2014 entstanden. Unter diesen Bedingungen ist es, natürlich mit entsprechenden Parteiverboten usw., kein faschistisches Regime. Daran ändern auch das Asow-Batallion oder die Bandera-Verklärung nichts, denn das ist ja eine Äußerlichkeit.

Dass die Bevölkerung des Donbass seit acht Jahren durch das westukrainische Regime mit Krieg bedacht wird, ist eine Tatsache und dass es da einen entsprechenden Widerstand gibt, ist auch logisch. Ich würde aber nicht meinen, dass es ein antifaschistischer Widerstand ist. Heute sind die militärischen Einheiten der Volksrepubliken nur noch Anhängsel der russischen Armee und somit ist es eine komplett neue Situation. Und an den antifaschistischen Imperialismus würde ich auf gar keinen Fall glauben. Das gibt es nicht.

Was wäre denn die richtige Orientierung in solch einer Situation? Mit welcher Stoßrichtung, mit welchen Parolen müssten sich die Kommunisten dort zum Krieg verhalten?

Allgemein ist es immer schwierig Kommunisten in anderen Ländern Ratschläge aufzuzwingen. Aber trotzdem: Ich denke, das ist recht einfach. Die richtigen Parolen wären jene Lenins und Liebknechts. Kommunisten verweigern dem imperialistischen Krieg die Gefolgschaft. Sie verweigern die Vaterlandsverteidigung und sie verweigern den Burgfrieden mit der Bourgeoisie. Sie verschärfen hingegen vielmehr den Klassenkampf und klären die Arbeiterklasse im Land über die Hintergründe des Krieges auf. Ihr Aufruf ist es, die Waffen gegen die eigenen Herrschenden, deren Niederlage sie wünschen, zu kehren und dadurch den Frieden zu erzwingen.

Und ich füge noch hinzu: Sie streben grundsätzlich nach einer Umwandlung des Krieges in einen revolutionären Bürgerkrieg, auch wenn die Voraussetzungen hierfür gegenwärtig nicht gegeben sind. Und das alles gilt nicht nur für die Ukraine und den Donbass, sondern im Prinzip genauso für Russland. So würde ich das sehen.

Kann man sagen, dass der Krieg die Differenzen in der internationalen kommunistischen Bewegung vertieft hat und es aus eurer Sicht den marxistisch-leninistischen Kräften geholfen hat, sich besser vom opportunistischen Lager abzugrenzen?

Ich denke, der Ukraine-Krieg und die Positionen, die damit zu tun haben, haben durchaus manches vertieft; anderes aber auch nur offengelegt, was ohnehin schon da war, aber aus diesen oder jenen Gründen überdeckt oder bewusst nicht thematisiert wurde. Ich meine, dass man z.B. jetzt auch innerhalb der Initiative (gemeint ist die Initiative kommunistischer und Arbeiterparteien Europas, Anm. KO) Differenzen hat und dabei nicht zuletzt mit dem russischen Mitglied (gemeint ist die RKAP, Anm. KO).

Das ist etwas, was dann doch etwas unangenehm ist und nicht das ist, was man sich erhofft oder sogar erwartet hätte. Ob uns das hilft, ist also fraglich. Es muss am Ende helfen, denn es führt ja sowieso kein Weg daran vorbei, das Richtige zu tun und das Richtige zu sagen. Das ist zumindest die Mindestanforderung an uns Kommunisten. Auch wenn das vorübergehend Rückschläge bedeuten mag, muss es in Kauf genommen werden, denn nur das ist die Grundlage, um auch wieder vorwärtszukommen – auf nationaler wie auf internationaler Ebene.

Interview: „Die Unterschiede müssen herausgearbeitet werden“

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Richard Corell (KAZ) zu Übergängen und Widersprüchen der historischen Entwicklung

Wir haben Richard Corell von der Kommunistischen Arbeiterzeitung (Ausrichtung Kommunismus) zur Einschätzung Russlands, zur Entwicklung des Imperialismus und zur Strategie der Arbeiterklasse interviewt. Das Gespräch ist in voller Länge als Podcast auf unserer Website zu finden.

Wie ist deiner Meinung nach der Krieg in der Ukraine einzuschätzen? Wie ist es zu der gegenwärtigen Situation gekommen und was sind die wesentlichen Interessen der beteiligten Akteure?

Das Wesentliche an der Geschichte ist, dass die NATO der Aggressor in dem Ganzen ist. Nur daraus lässt sich der ganze Krieg verstehen. Das Vorrücken der NATO in Richtung Osten ist wohl bekannt. Auch die strategische Bedeutung der Ukraine machte Zbigniew Brzeziński schon früh deutlich. Der entscheidende Punkt ist das Ziel, die Ukraine auf die Seite der Imperialisten zu ziehen. Es geht in der gesamten Auseinandersetzung und in diesem Krieg darum, Russland ökonomisch und politisch nicht mehr hochkommen zu lassen. Die NATO soll so weit vorangetrieben werden, dass sie eine direkte Bedrohung für Moskau darstellt. Bei dieser Schwächung der Russischen Föderation ist es wichtig, Russland als Bündnispartner Chinas zu verstehen.

Dieser Krieg, der sich gegen Russland richtet, versteht sich nur, wenn man sich über das große Ziel der Imperialisten im Klaren ist: die Zerstörung der VR China als ein sozialistisches Land. Es geht darum, die Allianz zwischen China und Russland zu zerstören und schließlich Russland so zu schwächen, dass es für die Imperialisten wieder möglich wird, ein neues, dem Imperialismus höriges Regime zu installieren. Die NATO stellt bei dem Ganzen keinen einheitlichen Block dar. In dieser gesamten Auseinandersetzung finden sich unterschiedliche Interessen, bspw. zwischen dem deutschen Imperialismus als Vormacht in der EU und dem US-Imperialismus.

Darin, dass die NATO ein Aggressor ist, besteht unter Kommunisten Einigkeit. Die Kontroversen beginnen, wenn es um die Einschätzung der Aktivität Russlands geht. Wie würdest du das militärische Vorgehen Russlands einzuschätzen?

In der aktuellen Diskussion geht es um die Frage, ob Russland ein imperialistisches Land ist oder etwas anderes. Ich würde sagen, dass man der Beantwortung dieser Frage erst einmal vorwegschieben muss, dass es sich bei der Geschichte der russischen Föderation um einen in der Menschheitsgeschichte bisher einmaligen Vorgang handelt.

Russland befindet sich seit der Konterrevolution in einem Übergang, in einer Art Transformation vom Sozialismus. Und hier setzt die Frage an, Transformation wohin? Diese Frage ist in meinen Augen noch nicht ganz entschieden. Ich denke, dass sich in Russland aus dieser Besonderheit einer Gesellschaft im Übergang eine Differenzierung ergeben hat, die ich mit den Begrifflichkeiten ‚nationale‘ und ‚Kompradorenbourgeoisie‘ beschreiben würde. Geht es im Transformationsprozess nach der russischen Kompradorenbourgeoisie, dann soll sich Russland zu einer imperialistischen Großmacht entwickeln. Geht es nach der Arbeiterklasse, ist es das Interesse, dass aus Russland wieder ein sozialistisches Land wird, dass die Diktatur des Proletariats wieder erkämpft wird. Möglich wäre, als ein Übergang zur Diktatur des Proletariats, eine Volksdemokratie wie es in China der Fall war – ein Zustand, in dem mehrere revolutionäre Klassen die Herrschaft übernehmen.

Solange die Frage der Transformation Russlands unentschieden bleibt, solange ist klar, dass der Imperialismus das Interesse hat, das Land in dem Status einer Halbkolonie zu halten. Unter einer Halbkolonie verstehe ich das, was Lenin auch immer wieder in seiner Imperialismusschrift anführt, also einen Staat, der politisch souverän scheint, aber ökonomisch vom Imperialismus abhängig ist. Diese Kategorie kann man heute noch auf sehr viele Länder dieser Welt anwenden.

Zu der Frage, wie Kommunisten sich zu den Klassenauseinandersetzungen in Halbkolonien stellen müssen, möchte ich auf Lenin verweisen, bei dem wir hier fündig werden. Lenin schrieb bereits auf dem ersten Weltkongress der Komintern einschlägige Sachen zu der nationalen und kolonialen Frage. Die wurden lange diskutiert und auf dem vierten Weltkongress mündete dies in einer Resolution. Auch auf dem sechsten Weltkongress wurde noch einmal einiges zu dieser Frage geschrieben.

In der Diskussion über die Einschätzung der russischen Föderation spielt die ökonomische Verfasstheit des Landes eine wichtige Rolle. Kann man hier von einem russischen Imperialismus sprechen?

Wir sollten in der Diskussion mitbedenken, dass es etwas Neues ist, wenn es Großunternehmen gibt – ich verwende hier noch nicht den Begriff Monopole –, die aus der Kollektivwirtschaft hervorgegangen sind. Diese stellen etwas anderes dar als Großunternehmen, die aus dem Akkummulationsprozess im Kapitalismus über die Konzentration und Zentralisation gewachsen sind und schließlich zu Monopolen geworden sind. Es geht hier um eine Entwicklung des Kapitalismus hin zum Imperialismus, die fast einhundert Jahre dauerte. Der Übergang von Volkseigentum in kapitalistisch wirtschaftende Großunternehmen beschreibt etwas ganz Neues, das wir noch nicht theoretisch durchdrungen haben.

Blickt man auf die wirtschaftliche Stellung Russlands im globalen Kontext, zeigt sich etwas Typisches für Halbkolonien. Beim Warenexport Russlands stellt sich die Frage, in welchem Bereich sie auf dem Weltmarkt eine starke Stellung einnehmen, welche es ihnen ermöglichen würde, dort wirklich mit anderen Imperialisten in Konkurrenz zu treten. Eine starke Stellung besitzt Russland nur im Rohstoffbereich. Über diesen Bereich hinaus besitzt Russland keine Stellung, die ihm eine ökonomische Großmachtposition erlauben würde. Die russischen Energieunternehmen sind nicht Teil des Ölkartells. Sie sind Außenseiter dieses Kartells und es war immer das Bestreben der Kartellmitglieder, Russland unter Kontrolle zu bringen. Nicht, um es in das Kartell aufzunehmen, sondern um leichter die Ölpreise diktieren zu können.

Auch in der russischen Rüstungsindustrie sehen wir etwas, das aus der Sowjetzeit übernommen wurde. Diese Übernahme stellt ein Faustpfand für Russland dar, mit dem sich Russland vor direkten Zugriffen des US-Imperialismus und anderen Imperialisten schützen kann. Die Rüstungsindustrie in Russland schafft die Möglichkeit, dass sich andere Halbkolonien ebenfalls bewaffnen können, um sich unter Umständen auch zur Wehr setzten zu können. Russlands Stärke in diesem Bereich ist ein Problemfeld. Aber es bietet auch ein Potenzial, dass es in eine fortschrittliche Richtung geht. Dass Völker und Länder unterstützt werden, die berechtigterweise um ihre Unabhängigkeit ringen.

Wie würdest du die politische Herrschaft, also die Staatsmacht in Russland charakterisieren?

Ich denke, dass das in Russland noch nicht entschieden ist. Im Augenblick scheint es so, als würde eine kleine Clique, die hinter Putin steht, den Staatsapparat kontrollieren. Das ist vermutlich aber nicht so einfach. In Russland geht es um eine Auseinandersetzung um die Identität des Landes. Da kann diese Clique nicht einfach herrschen, wie sie will.

Es gibt in der Bourgeoisie eine Differenzierung zwischen Kompradoren und der nationalen Bourgeoisie. Blickt man auf den Krieg, dann hatte diese nationale Bourgeoise die Zustimmung der russischen Kommunistischen Partei, die ich als Vertretung der Arbeiterklasse sehe. Der Ausgangspunkt des Krieges war, dass die KPRF in der Duma beantragt hatte, dass die Volksrepubliken im Donbass anerkannt und die Beziehungen zu den Volksrepubliken geöffnet werden sollen. Das war ein Rückgriff auf den Versuch, die Arbeiterklasse mit ins Boot zu holen. Das ist etwas Bekanntes in nationalrevolutionären Befreiungskriegen.

Du schreibst davon, dass in Russland die nationale Bourgeoisie an der Macht sei. Wie ist das einzuschätzen? Ist von ihr etwas anderes als eine imperialistische Politik, wie sie die alten Imperialisten betreiben, zu erwarten?

Die Frage, wie es mit Russland weitergeht, ist für mich noch nicht entschieden. Es ist klar, dass die nationale Bourgeoise als solche nicht in der Lage ist, eine Befreiungsmission zum Sieg zu führen. Die Führung in einer volksdemokratischen Revolution kann nur die Arbeiterklasse übernehmen. Wenn die Arbeiterklasse nicht die Führung übernimmt, wird das Übliche passieren. Die Bourgeoise wird versuchen, stärker zu werden, es wird wieder größere Versuche geben, sich an den Imperialismus dranzuhängen und sich mit einer imperialistischen Macht zu verbinden.

Ich denke, genau das ist die Fragestellung und die Aufgabe, vor der die Russische Föderation steht und über die sich auch die Genossen der KPRF streiten. Wie schwierig es ist, die ganze Strategiefrage zu entscheiden, wissen wir selbst zu gut. Daher sind es große Fragestellungen, die auch in der Russischen Föderation gegeben sind. Ich denke, wir müssen hier eine Klärung betreiben und uns historische Beispiele anschauen. Da ist China ein wichtiges Beispiel, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

Worauf müsste deiner Einschätzung nach die Arbeiterklasse in Russland orientiert werden?

Ratschläge an Organisationen in anderen Ländern sind nicht mein Ding. Folgt man meiner Analyse, dass es sich bei Russland um eine Halbkolonie handelt und der Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, würde man sich darauf verständigen, dass man in Russland so etwas wie eine volksdemokratische Revolution anstrebt. Eine neue Demokratie, die die Unabhängigkeit Russlands verteidigt und sich daraus der Weg zum Sozialismus öffnet. Das sage ich unter dem Vorbehalt, dass wir die Transformation vom Sozialismus – wohin auch immer – noch nicht wirklich verstanden haben. Die Zeiträume, in denen sich Gesellschaftsformationen ändern, sind oft sehr lange.

Was würdest du sagen, ist heute charakteristisch für die Dynamik des Imperialismus im Unterschied zu Lenins Zeiten?

Die Dynamik des Imperialismus würde ich so sehen: Die Konterrevolution 1989 und die folgenden Jahre, in denen alles untergepflügt wurde, zum Teil mit den sog. ‚Bunten Revolutionen‘, haben die Dynamik des Imperialismus nochmal richtig angeheizt. Wir sind in einer Phase der territorialen Neuaufteilung der Welt angekommen. Zunächst mal ohne Weltkrieg. Das ist die Besonderheit, die man sehen muss. Die Konterrevolution hat dem Imperialismus eine Atempause gegeben, die er in bekannter Weise genutzt hat, um die Ausplünderung der Welt nochmal in neue Höhen zu führen. Direkt nach 1992 hat eine sog. Koalition der Willigen den großen Golf-Krieg angezettelt, dann der Jugoslawien-Krieg und viele weitere, die folgten. Bis 2010 ist zudem das Vormachtstreben des deutschen Imperialismus eine prägende Entwicklung. Auf der einen Seite gibt es also die Tendenz des abnehmenden US-Imperialismus und auf der anderen Seite eine zunehmende Stärke Europas, die meines Erachtens jetzt scheinbar an eine Grenze gestoßen ist.

Ein Punkt innerhalb der Diskussion ist die Frage der mulipolaren Weltordnung. Siehst du in ihr etwas, mit der die Arbeiterklasse ihre Stellung verbessern kann?

Ich denke, dass man sich bei dieser Frage in die Lage der sozialistischen Länder, aber auch Halbkolonien versetzten muss. Diese Länder sagen natürlich, umso multipolarer die Welt, umso mehr imperialistische Zentren, desto besser ist die Situation für uns. Im besten Fall können wir einen „Schutzherrn“ auswählen. Das ist das klassische Spiel, das Halbkolonien unter der Führung der nationalen Bourgeoisien gespielt haben. Sie versuchten, die Imperialisten gegeneinander auszuspielen. Aus der Perspektive der sozialistischen Länder ist klar, dass Multipolarität gut ist. Wenn ein solches Land nur dem US-Imperialismus gegenübersteht und dies die anderen imperialistischen Großmächte vereint, dann können sie einem viel leichter etwas diktieren, als wenn sie gegeneinander ausgespielt werden. Für uns muss klar sein, dass wir alles dafür tun müssen, den deutschen Imperialismus bei seinen Versuchen, mit der EU unter seiner Hegemonie selbst ein eigenständiger Pol zu werden, zu bekämpfen. Wenn ein sozialistisches Land wie Vietnam oder China sagt, dass es toll wäre, wenn die EU als imperialistisches Projekt stärker wird und dem US-Imperialismus Paroli bietet, dann ist das aus ihrer Perspektive richtig. Wir müssen die EU trotzdem bekämpfen, denn die Stärkung der EU ist im Augenblick die Stärkung des deutschen Imperialismus.

In der Auseinandersetzung um die Entwicklung Russlands spielen der deutsche und der US-Imperialismus eine wichtige Rolle. Wie würdest du das Verhältnis dieser beiden Imperialisten zueinander beschreiben? Gibt es hier Widersprüche?

Der deutsche Imperialismus ist in der Entwicklung Richtung Osten in einen Widerspruch mit dem US-Imperialismus gekommen. Ich denke mit Nord Stream 2 ist dies mehr als deutlich geworden. Das ist nur die offensichtliche Seite von etwas, das schon lange schwelt. Die strategische Orientierung der frühen NATO war immer „keeping the Soviets out of Europe, keeping the Germans down in Europe and keeping the US in Europe”. Eine gewisse Parallele dazu zeigt sich auch heute. Die USA haben zwischen Russland und Deutschland eine Art Schutzkorridor gebaut mit Polen und einem Teil der baltischen Staaten, wo der US-Imperialismus entsprechende Raketenbasen stationiert hat. Das ist nicht nur etwas, dass sich gegen Russland richtet, sondern auch Deutschland unten halten soll. Das ist der Hintergrund von Victoria Nulands Aussage „Fuck the EU“.

Was aktuell passiert, gibt dem deutschen Imperialismus mehrere Optionen. Über all im Osten sollen mehr Truppen, mehr Waffen stationiert werden. Der deutsche Imperialismus kann endlich aufrüsten. Wenn der Einfluss der USA in Osteuropa schwächer wird, dann werden noch mehr Staaten und diese dann noch stärker vom deutschen Imperialismus dominiert – mehr als sie es im Rahmen der EU bereits sind.

Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, welcher EU-Staat im Osten bereits ein Eurostaat und dadurch leichter erpressbar ist. Oder welche EU-Staaten wie Polen mit dem Zloty oder Ungarn mit dem Forint zwar schon vielfach abhängig sind, aber doch noch gewisse Hebel haben. Hier zeigt sich die nächste Welle des deutschen Ostland-Ritts, der gerade eingeläutet wird. Dafür auch die militärische Power durch das 100 Mrd.-Sondervermögen, das bereits vor dem Krieg in der Ukraine geplant war. Der deutsche Imperialismus versucht gerade etwas auf die Beine zu stellen.

Das ist der Hintergrund hinter den ganzen Fragen der digitalen, militärischen und Rohstoffsouveränität. Aus diesen Ansprüchen ergibt sich, dass der Einzige, der in der Lage ist eine Koalition gegen Russland zu führen, wenn die USA im Ukrainekrieg eine Niederlage erfahren, letztlich Deutschland ist. Der deutsche Imperialismus hat sich zeitweise dem US-Imperialismus untergeordnet, weil sie noch nicht in der Lage sind, einen Konflikt offen auszutragen. Die AfD vertritt letztlich genau diese Position als Sprachrohr eines bestimmten Teils des deutschen Monopolkapitals, wonach die USA sich eine Niederlage in der Ukraine einholen sollen. Am Ende ist Russland geschwächt, die USA sind geschwächt und der deutsche Imperialismus kann endlich auftreten.

Ich denke, in diesem Sinn ist es das Interesse der internationalen Arbeiterklasse, dass der Imperialismus auf keinen Fall in der Ukraine siegen darf. Es ist, glaube ich, ganz klar in unserem Interesse, dass der deutsche Imperialismus, der ja inzwischen Kriegspartei ist, das müssen wir auch mal deutlich zum Ausdruck bringen, dort nicht weiter kommt, sondern ihm klar die Grenze in der Ukraine gezeigt wird.

Was ist dein Eindruck von der gegenwertigen Debatte in der internationalen kommunistischen Bewegung zu der Frage in der Ukraine, aber auch der Frage des Imperialismus. Welche Relevanz spielt dieser Dissens, diese Unklarheiten für unsere Bewegung und wie können wir da vorankommen, was brauchen wir eigentlich?

Ich habe in Gesprächen mit Leuten die Erfahrung gemacht, wenn man einen klaren Standpunkt zum Krieg bezieht, dass es dann wenig hilfreich ist, wenn man sagt „Ich bin ja auch gegen den Krieg und das ist ja alles nicht so doll.“. Meine Erfahrung ist, wenn man sagt, dass Russland sich wehrt und zwar zu Recht, dass man dann gleich ganz anders ins Gespräch kommt. Wenn man von vorneherein sagt „Die Russen sind nicht schuld.“, dann hat man eine ganz andere Gesprächsgrundlage. Eine Äquidistanz zu Russland hält uns eher von einer direkten Auseinandersetzung ab, in der man erkennen kann, wo Kollegen stehen.

Dass wir in der kommunistischen Bewegung solche Debatten führen müssen, ist natürlich auch unsere Schwäche. Es ist schade, dass gerade solche hervorragenden Parteien wie die KKE und andere hier meines Erachtens keinen Weg zur Lösung einschlagen. Das ist insgesamt ein Mangel an Führung. Vielleicht zur Einordnung: Nach dem Ersten Weltkrieg hat sich die Lage nochmal geändert. Vor dem Ersten Weltkrieg und zu Lenins Zeiten war klar, dass es unsere Aufgabe ist, für die Niederlage der eigenen Bourgeoisie zu kämpfen. Nach dem Ersten Weltkrieg ergab sich aber auch eine neue Situation, in der man auch für den Sieg des sozialistischen Landes eintreten musste. Das war damals die Sowjetunion. Ich tue mir da etwas leichter als ihr, weil ich sage, wir müssen heute auch für den Sieg des sozialistischen Landes China kämpfen. Hinzu kommt: Wir müssen auch für den Sieg eines Landes eintreten, das um seine nationale Unabhängigkeit gegen den Imperialismus ringt wie das aktuelle Russland.

Wir sind alle noch im Findungsprozess und ich möchte davor warnen zu glauben, dass es die Strategie in ihrer Gesamtheit bereits gibt. Ich denke, wir müssen zwei Dinge berücksichtigen. Das erste ist: Was haben wir in unserem Werkzeugkasten und was davon wurde aus verschiedenen Gründen nicht genutzt. Zu diesen nicht genutzten Werkzeugen gehören die Fragen der Halbkolonie, Kompradoren und der nationalen Bourgeoisie. Das zweite ist: Die Strategie ist immer von der Entwicklung abhängig. Ich verweise nochmal auf Lenin zur „Junius-Broschüre“, das ist gleich im Band 22 hinter dem Imperialismus. Er verweist sehr deutlich darauf, wie sich Zeiten verändern können und plötzlich auch bei imperialistischen Ländern nationale Befreiungskriege möglich werden und dann wieder die Strategie geändert werden muss. Von daher plädiere ich dafür, dass man erst auf die Welt schaut und sagt, welche Umstände in den unterschiedlichen Ländern zu finden sind und welche Strategien sich daraus ergeben.

Aus diesen Erkenntnissen heraus können wir dann etwas dazu sagen, was uns in einem imperialistischen Land mit den Kämpfen verbindet, die Genossen und Völker in Halbkolonien, vom Imperialismus abhängigen Ländern und in sozialistischen Ländern führen. Wenn man sich einigen will auf eine Strategie, dann muss man auch erst die Unterschiede kennen, die es in den verschiedenen Ländern gibt, und verstehen, dass sie nicht alle in einen Topf geworfen werden können. Die Unterschiede müssen herausgearbeitet werden, damit man zusammenkommen und sich dann auf der Grundlage verständigen kann.

Richard Corell schreibt für die Kommunistische Arbeiterzeitung, die „Junge Welt“, die „Unsere Zeit“ und die „World Review for Political Economy“, die Zeitschrift der World Association for Political Economy (WAPE). Er hat Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre studiert und zuletzt an einer privaten Fachhochschule gearbeitet.

Imperialismus und die Spaltung der kommunistischen Bewegung

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Gastbeitrag von Yana (KPD)

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Wo genau liegt die Spaltung?

Seit dem 24. Februar 2022 herrscht Aufruhr in der kommunistischen Bewegung Deutschlands, Europas und Russlands. Aspekte kommen zum Vorschein und werden kontrovers diskutiert, die schon seit vielen Jahren geklärt werden sollten. Die militärische Operation, die Russland in der Ukraine angefangen hat, stellte plötzlich alle vor die Frage: Auf welcher Seite stehen wir eigentlich? Wie schätzen wir die Situation ein? Was sollen wir den Arbeitermassen sagen? Diese Fragen waren auch früher wichtig, weil nicht weniger wichtige Ereignisse z.B. im Nahen Osten stattgefunden haben, aber erst jetzt kommt wirklich Bewegung in die Diskussion. Und das Problem geht weit über die Einschätzung eines bestimmten Landes. Es geht nicht oder nicht nur um Russland. Es ist vielen klar geworden, dass auch die allgemeine Einschätzung des Imperialismus in den letzten Jahren vielleicht doch in einer Sackgasse gelandet ist. Ein klares und eindeutiges Verständnis vom Imperialismus ist nicht mehr vorhanden.

Das ist allerdings nicht bei allen Kommunisten der Fall. Die griechische Kommunistische Partei KKE hatte kein Problem damit, weil sie seit Jahren eine neue Theorie des Imperialismus ausgearbeitet hat. Und diese Theorie gibt ihr, wie es scheint, ein zuverlässiges Instrument, um jedes Ereignis in der Welt richtig einzuschätzen. Dank der großen Autorität der KKE auf der internationalen Ebene, sind viele Parteien und Kommunisten auch unter den Einfluss dieser Theorie geraten und halten sie für die einzig mögliche „Fortsetzung der Leninschen Theorie des Imperialismus auf moderner Ebene“.

Kurz zusammengefasst, betrachtet die Theorie der imperialistischen Pyramide den Imperialismus als Stadium des Kapitalismus, das jedes Land einzeln erreicht, solange dort Monopole gebildet sind und der Kapitalexport zum Vorschein gelangt. Faktisch heißt es, dass jedes oder fast jedes moderne kapitalistische Land auch gleichzeitig imperialistisch ist. Da die wirtschaftliche Stärke der Länder sich voneinander unterscheidet, bilden sie eine allgemeine „Pyramide“: Die Länder an der Spitze sind vorherrschend, an der Basis befinden sich ganz arme Länder (die dennoch auch imperialistisch sind).

Vasilis Opsimos (KKE) kritisiert in seinem Artikel „Lenins Theorie über den Imperialismus und ihre Verzerrungen“ (1) scharf die viele „Opportunisten“, die diese Theorie in Frage stellen. So schreibt er zum Beispiel:

„Charakteristisch für all diese Bemühungen ist das kontinuierliche sich Herausreden und die Trübung der Wasser, typisches Merkmal des Opportunismus, den Lenin selbst zu seiner Zeit gebrandmarkt hat. Sie lehnen es nicht nur ab historische Lehren zu ziehen, sondern sie verlassen den Boden der revolutionären Dialektik, der konkreten Analyse des konkreten Zustandes und kehren zu den verknöcherten Formen einer ‚modernen‘ menschewikischen, reformistischen Strategie zurück.“

Dieses Zitat dient einem Zweck: Zu zeigen, in welchem problematischen Ton die KKE generell diskutiert und wie die Kommunisten eingeschätzt werden, die es wagen, an der Theorie der KKE zu zweifeln.

Genosse Opsimos schreibt über das „opportunistische Gerede, das den Imperialismus angeblich als neues Stadium des Kapitalismus akzeptiert, aber im ‚System‘ des Imperialismus ‚imperialistische‘ und nicht imperialistische Länder unterscheidet.“ (Meine Hervorhebung, Y.). Außerdem kritisiert er scharf die praktischen Folgen: Die Möglichkeit der nationalen Befreiung und die möglichen Bündnisse mit der national orientierten Bourgeoisie in den ausgebeuteten Ländern.

Ich werde im Weiteren oft auf den Artikel von Gen. Opsimos zurückgreifen, nun aber schauen wir, wer sind denn diese Opportunisten, die es wagen, imperialistische Länder von nicht-imperialistischen zu trennen!

Chronologisch ist der erste dieser Opportunisten… Wladimir Iljitsch Lenin. Gen. Opsimos merkt auch selbst, dass Lenin in seinem berühmtesten Werk über den Imperialismus Kolonien und verschiedene Arten der Abhängigkeit (an den Beispielen Argentinien und Portugal) aufführt (10), und versucht es zu widerlegen, im Sinne, dass heute alles anders sei! Aber schauen wir auch auf andere Arbeiten von unserem Klassiker. Z. B. in seiner Rede beim II. Kongress der Komintern sagt Lenin folgendes:

„Was ist der wichtigste, der grundlegende Gedanke unserer Thesen? Die Unterscheidung zwischen unterdrückten und unterdrückenden Völkern. Wir heben diesen Unterschied hervor — im Gegensatz zur II. Internationale und zur bürgerlichen Demokratie. In der Epoche des Imperialismus ist es für das Proletariat und die Kommunistische Internationale besonders wichtig, die konkreten wirtschaftlichen Tatsachen festzustellen und bei der Lösung aller kolonialen und nationalen Fragen nicht von abstrakten Leitsätzen, sondern von den Erscheinungen der konkreten Wirklichkeit auszugehen. Das charakteristische Merkmal des Imperialismus besteht darin, daß sich, wie wir sehen, gegenwärtig die ganze Welt in eine große Zahl unterdrückter Völker und eine verschwindende Zahl unterdrückender Völker teilt, die über kolossale Reichtümer und gewaltige militärische Kräfte verfügen.“ (2)

Man kann nicht noch deutlicher sagen, dass genau die Unterscheidung zwischen der Minderheit der imperialistischen Länder und Mehrheit der unterdrückten Nationen (zu denen nicht nur Kolonien, sondern auch abhängige Nichtkolonien gehören!) eine bolschewistische Einstellung prägt.

In der gleichen Rede spricht Lenin ebenfalls über Bündnisse mit Bourgeoisie.

„Wir als Kommunisten müssen und werden die bürgerlichen Befreiungsbewegungen in den kolonialen Ländern nur dann unterstützen, wenn diese Bewegungen wirklich revolutionär sind, wenn ihre Vertreter uns nicht hindern, die Bauernschaft und die breiten Massen der Ausgebeuteten in revolutionärem Geist zu erziehen und zu organisieren. Sind dagegen diese Bedingungen nicht vorhanden, so müssen die Kommunisten in diesen Ländern die reformistische Bourgeoisie bekämpfen.“ (2)

Also sind laut Lenin Bündnisse mit der Bourgeoisie nicht ausgeschlossen, man muss aber immer konkret einschätzen, ob dieses Bündnis schädlich oder nützlich für die Arbeiterklasse sein könnte.

Es war auch später nicht anders. Im Laufe des 20. Jahrhundert wurde diese Haltung eigentlich kaum in Frage gestellt – außer durch die bürgerliche Wissenschaft, die diese Einstellung selbstverständlich nicht akzeptieren wollte. Stalin war in diesem Sinne auch ein Schüler Lenins und hat die Bewegungen der nationalen Befreiung unterstützt. Für ihn war es selbstverständlich, dass Länder sich in die imperialistischen und abhängigen unterteilen. Das prägt nicht nur viele seiner Reden und Schriften, sondern auch die praktische Tätigkeit. Er hat z. B. den chinesischen Kommunisten bis 1927 geraten, mit der bürgerlichen Kuomintang zusammenzuarbeiten, und selbst nach dem Verrat durch die nationale Bourgeoisie und grausamer Verfolgung der Kommunisten hat die Sowjetunion zwar erst die Verbindung zur Kuomintang abgebrochen, aber diese 1937 dennoch wiederhergestellt und hat sowohl die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) als auch die Kuomintang unterstützt. Es gibt zahlreiche Aussagen Stalins über die Zusammenarbeit der Kommunisten und der bürgerlichen nationalen Bewegung in China. So z. B. sagt er zu möglichen zukünftigen revolutionären Regierung Chinas:

„Die zukünftige revolutionäre Macht in China wird gegenüber der MacDonald-Regierung den Vorzug haben, dass sie eine antiimperialistische Macht sein wird. Es handelt sich nicht nur um den bürgerlich-demokratischen Charakter der Kantoner Regierung, die den Keim der zukünftigen allchinesischen revolutionären Macht bildet, sondern es handelt sich vor allem darum, dass diese Macht eine antiimperialistische Macht ist und gar nichts anderes sein kann, dass jedes weitere Vordringen dieser Macht einen Schlag gegen den Weltimperialismus bedeutet, folglich auch einen Schlag zugunsten der internationalen revolutionären Bewegung.“ (3, meine Hervorhebung)

Wer sind noch gleich die „Opportunisten“, die gemäß Genosse Opsimos (KKE), die kapitalistischen Länder nicht alle als imperialistisch betrachten?
Weitere „Opportunisten“ waren die führenden Persönlichkeiten von Korea und Kuba, die dennoch die erfolgreichen sozialistischen Revolutionen durchgeführt haben. Kim Jong Il (4) äußerte sich über den Neokolonialismus gegenüber den Ländern, die sich gerade vom kolonialen Joch befreit haben, so schrieb er in 1960 über die Republik Korea (Südkorea):

„Wegen der alten kolonialistischen Politik des japanischen Kolonialismus wies Korea früher das Antlitz eines kolonial abhängigen Staates auf, aber das heutige Südkorea, das der neokolonialen Politik der USA zu Opfer fällt, ist eine Kolonie unter der Maske eines ‚unabhängigen Staates‘.“

Laut Kim Jong Il wurden Kolonien in abhängige Länder umgewandelt und die koloniale Ausbeutung ging in versteckter Form weiter. Die Imperialisten exportieren Kapital und verhindern die Entwicklung der Nationalwirtschaft. Was für uns in Bezug auf die Ukraine interessant ist: „verwandeln sie in ihre Militärstützpunkte“ (ebenda, S. 140).

Aber die DVRK (Nordkorea) ist aus der Sicht der KKE ohnehin ein „revisionistisches“ Land. Vielleicht sagen z. B. die Kommunisten Kubas etwas anderes?

Che Guevara:

„Wir müssen uns daran erinnern, dass der Imperialismus, das letzte Stadium des Kapitalismus, ein Weltsystem ist, und eine globale Konfrontation notwendig ist, um ihn zu besiegen. Das strategische Ziel unseres Kampfes ist die Zerstörung des Imperialismus. Die Beteiligung unserer Völker, der Völker der rückständigen und ausgebeuteten Länder, muss unweigerlich zur Zerstörung der Versorgungsbasen des Imperialismus führen, dazu, seine Kontrolle über unsere unterdrückten Länder abzuschneiden: Länder, aus denen der Imperialismus heute sein Kapital bezieht, aus denen er billige Rohstoffe und billige Fachkräfte bezieht, wo billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und wohin neues Kapital als Herrschaftsinstrument, Waffen und andere Mittel geschickt werden, um unsere totale Abhängigkeit aufrecht zu erhalten.“ (5, meine Hervorhebungen)

Man kann diese Liste unendlich erweitern.

Außerdem kann man sagen, dass die meisten erfolgreichen und mehrere beinahe erfolgreichen Revolutionen des 20. Jahrhunderts, im Unterschied zur russischen Revolution (obwohl es auch hier Besonderheiten gibt, auf die wir hier nicht näher angehen können), eher diejenigen waren, die von der Idee der nationalen Befreiung dominiert waren. Die Gruppe um Fidel Castro und seine revolutionäre Armee war keineswegs marxistisch, bestand größtenteils aus Bauern (die Arbeiterklasse Kubas war noch klein und wenig bedeutend), es gab nur einzelne Kommunisten (wie Che), und erst später nach dem Sieg der Revolution, unter dem Einfluss der Sowjetunion, wurde Kuba sozialistisch (was allerdings die weiteren Erfolge der Revolution bestimmte). In China, Vietnam und Korea waren die Motive zur nationalen Befreiung in den breiten Massen stärker ausgeprägt als die reine Aktivität des Proletariats in Richtung Sozialismus. Die kommunistischen Parteien der drei Länder verstanden es jedoch, Führungskraft der nationalen Bewegung zu sein. Man mag es unterschiedlich einschätzen, aber man muss diese Tatsachen mit offenen Augen betrachten. Und es gibt viel mehr von diesen Tatsachen.

Also: es gab im 20. Jahrhundert kaum Zweifel in der kommunistischen Bewegung an den Tatsachen, dass es imperialistische Länder, „ein Haufen Länder“ (nach Lenin) gibt, und sie genau deswegen imperialistisch sind, weil die anderen Länder zu deren Opfern wurden. So lehrte man es in der Sowjetunion und der DDR.

Diese Haltung zur neokolonialen Ausbeutung war völlig selbstverständlich in der ganzen kommunistischen Bewegung im 20. Jahrhundert. Auch in der kommunistischen Bewegung der BRD konnten wir keine anderen Vorstellungen finden. So beschrieb z. B. Michael Opperskalski die Situation in 21. Jahrhundert als Hegemonie der USA und der neu aufsteigenden imperialistische Macht, dem von der BRD geführten Europa (6), die sich die Rohstoffe der anderen Länder sichern wollen. Später hat er auch andere Zentren des Imperialismus betrachtet, z. B. Japan und Russland. Außerdem sprach M. Opperskalski über den Antiimperialismus. Antiimperialistischer Kampf wurde in kommunistischer Bewegung als sehr wichtig betrachtet. Die Autorin dieses Artikels war früher ein Mitglied in der heute nicht mehr existierenden Kommunistischen Initiative (KI), in der M. Opperskalski und F. Flegel als leitende Mitglieder wirkten. Zu dieser Zeit, ca. 2008 – 2015, haben wir Syrien unterstützt und Äquidistanz kritisiert, wenn angebliche Kommunisten z. B. im Rahmen der vom Imperialismus unterstützten sogenannten „grünen Revolution“ (2009) im Iran einen Regime Change mitunterstützen. Das taten wir, obwohl der Iran rechtskonservativ und antikommunistisch ausgerichtet ist, denn Iran stand für die Kommunisten damals auf antiimperialistischen Positionen. Wir haben auch das Vorgehen der BRD gegen das Volk Griechenlands während der Krise scharf kritisiert und dagegen gekämpft, was in den BRD-Medien als „Hilfe für die faulen Griechen“ dargestellt wurde. Für uns, Kommunisten der BRD, war das ein klarer imperialistischer Angriff der BRD auf Griechenland.

Nun stellt sich heraus, dass die Kommunisten Griechenlands generell den Begriff Antiimperialismus ablehnen und alle Länder mit kapitalistischer Wirtschaft auch als imperialistisch bezeichnen. Sie unterschieden sich quantitativ, in der Wirtschaftsstärke, aber nicht qualitativ voneinander. Da die KKE eine sehr angesehene Partei auf internationaler Ebene ist, stehen jetzt viele Parteien (darunter z.B. ebenfalls die sehr starke TKP) unter ihrem theoretischen Einfluss. Auch viele Kommunisten in der BRD sind unter diesen Einfluss geraten und lehnen nun jeglichen antiimperialistischen Kampf ab, wenn er nicht rein sozialistisch und proletarisch ist. In verschiedenen Diskussionen sollte die Autorin dieses Artikels sogar hören, dass auch Venezuela und Nicaragua eigentlich zu imperialistischen Ländern gehören sollen, da dort eben kapitalistische Wirtschaft vorherrsche. Und das äußerten sehr erfahrene leitende Mitglieder kommunistischer Parteien und Organisationen.

Aufgrund dessen, was in diesem Kapitel dargestellt wurde, kann man sagen, dass die Sicht, die durch die KKE vorgetragen wurde, absolut neu ist und nichts mit der Weiterentwicklung der Leninschen Imperialismustheorie im Laufe des 20. Jahrhundert zu tun hat. Um diese Theorie anzunehmen, müssten wir auf die ganze revolutionäre Erfahrung von Kuba, Korea, China, Vietnam und der Sowjetunion verzichten.

Wie wir sehen, es besteht ein sehr viel tieferer und grundlegender Gegensatz in der Bewegung als nur der aufgrund verschiedener Einschätzung eines einzelnen Landes (z. B. Russlands oder China) oder eines Krieges.

Und genau dieser massive Gegensatz sollte erst geklärt werden. Erst danach kann man wieder über Russland, Ukraine oder ein anderes einzelnes Land sprechen.

Anmerkungen zu Wissenschaftlichkeit

Der Marxismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Theorien streng wissenschaftlich sein soll. Wissenschaftlichkeit ist unser unbestrittenes Ziel. Aber was wird unter der Wissenschaftlichkeit verstanden?

1.    Diskussion

Ein Genosse aus der KPD schreibt zum Beispiel: „Kann man über den Charakter eines Krieges eine ‚Meinung‘ haben? Muss man nicht vielmehr mit dem Instrumentarium, das uns der Marxismus-Leninismus in die Hand gibt, die Realität wissenschaftlich entschlüsseln?“ Generell werden „Meinungen“ von manchen Genossen abgelehnt, weil ja die objektive Wahrheit existiert, die von der Wissenschaft erforscht wird.

Wenn wir aber von Wissenschaft sprechen, lässt diese immer verschiedenen Meinungen zu. Das gilt besonders für die noch wenig erforschten Gebiete, wie z. B. moderne Physik, die mehrere Theorien (zu „dunkler Materie“, „Strings“ usw.) betrachtet, weil sie noch keine fertige objektive Wahrheit über das Universum nachweisen konnten. Rudolf Virchow war der Meinung, dass die Tuberkulose durch die schlechten sozialen Bedingungen hervorgerufen wird, Robert Koch hat den Erreger der Tuberkulose entdeckt. Ihre Meinungen zur Entstehung der Erkrankung waren unterschiedlich und führten zu heftigen Streitigkeiten. Erst mit der Zeit wurde die objektive Wahrheit festgestellt, die lautete, dass beide Wissenschaftler Recht hatten.

Ja, es gibt eine objektive absolute Wahrheit, das Problem liegt aber darin, dass wir uns als Menschen ihr nur durch relative Wahrheiten, die Teile der absoluten Wahrheit enthalten, schrittweise annähern. Wissenschaft ist nur ein Versuch, diese Wahrheit festzustellen (s. auch „Dialektik der Natur“ von Engels). Darum sind verschiedene Meinungen notwendig, und die Wahrheit wird nur im Prozess einer wissenschaftlichen Diskussion, mit Beweisen und Experimenten, erkannt. Auch im Marxismus sind verschiedene Meinungen unvermeidbar, und ich würde nicht die Anhänger anderer Meinung sofort ohne weiteres als „Revisionisten“ oder „Opportunisten“ bezeichnen, ohne eine sachliche Diskussion mit ihnen zu führen.

2.    Autorität

Wissenschaftliche und politische Autorität sind sehr verschiedene Kategorien. Ja, eine politische Errungenschaft bedeutet im Marxismus so viel, wie ein erfolgreiches Experiment in einer Naturwissenschaft. Deswegen zählen wir Stalin sogar zum Klassiker, und Mao, Kim Il Sun und Kim John Il als sehr angesehene Theoretiker: genau, weil sie unbestrittene Erfolge auf politischer Ebene erzielten.

Dennoch wenn wir über Wissenschaft sprechen, sollen wir uns auch die theoretischen Ideen der politisch weniger erfolgreichen Persönlichkeiten anschauen. Auch die bürgerlichen Wissenschaftler, z. B. im Bereich Ökonomie sollen studiert und betrachtet werden. Das war beim Begründer des Marxismus auch der Fall: Marx hat sich stark mit den Theorien von Adam Smith befasst und sogar auf ihnen aufgebaut. Das Buch von Engels „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ ist auf der Grundlage einer Forschung von Lewis Morgan geschrieben. Morgan war eindeutig ein bürgerlicher Wissenschaftler. Lenin studierte für sein Buch über Imperialismus sehr viele bürgerliche Quellen und das Werk des späteren Opportunisten (ohne Gänsefüßchen!) Rudolf Hilferding.

Heute aber äußern einige Genossen, dass nur jene kommunistischen Wissenschaftler, die zu einer „richtigen“ (also nicht maoistischen, trotzkistischen oder revisionistischen) Partei angehören Recht haben dürfen und nur ihre Worte überhaupt berücksichtigt werden sollen. In einer Diskussion hat ein Genosse die Überlegungen eines marxistischen Philosophen aus sowjetischer Schule abgelehnt, mit der Begründung, dass dieser Philosoph im Moment nicht ein aktives Mitglied einer kommunistischen Partei sei und lediglich die politische Arbeit in einer Bildungsorganisation führe. So ein nicht ganz reiner Kommunist kann doch nichts beitragen, was von wissenschaftlichem Interesse sein könnte!

Das alles hat nichts mit Wissenschaft zu tun! Die Wissenschaft muss alles zulassen und jeder Meinung zuhören, ob sie von ideologischen Feinden oder sogar „nicht ganz richtigen“ stammt. Ansichten werden widerlegt oder erweitert, oder sie werden in die marxistische Sichtweise integriert. Aber jemanden generell ablehnen, weil er kein Marxist oder nicht richtiger Marxist ist, wäre unwissenschaftlich, hier zählt nur der Erkenntnisgewinn der Aussagen.

3.    Wissenschaftliche Qualifikation

Das Problem beim Marxismus ist, dass er eine sehr komplexe Wissenschaft ist. Um marxistische Aussagen machen zu können, sollte man mindestens Politikwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften vorher studieren, zusätzlich unbedingt Philosophie, Geschichte, Soziologie und weitere Disziplinen (je nachdem, welche Richtung des Marxismus wir betrachten). Das ist nicht machbar. Das verlangt auch keiner. Jede Disziplin in der modernen Welt ist komplex. Dennoch sollte man mindestens das Grundwissen von vielen Disziplinen haben und dazu ein grundlegendes tiefes Wissen der marxistischen Schriften und der Geschichte des Kampfes um den Sozialismus. Und was nicht weniger wichtig ist: Es sollten die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens erlernt werden, und diese Arbeit muss zuverlässig durchgeführt werden. Leider ist das oft nicht der Fall.

In bestehenden Diskussionstexten gibt es eine ganze Menge fehlerhafter Daten, die entweder veraltet sind oder aus falscher Quelle stammen. Wenn die Quelle gut ist, stellt sich oft heraus, dass der Autor einfach den Sinn dieser Daten nicht versteht oder falsch interpretiert hat.

Beispielsweise in der Ausgabe von Offensiv Juli-August 2022 kritisiert der Genosse Stiller (7) den Offensiv-Artikel von E. Cervi und A. Vicario aus der Ausgabe 2/2022 (8) für die unklaren Zahlenangaben, die mit anderen bekannten Quellen nicht übereinstimmen, für die ungenauen Angaben der Ränge der russischen Milliardäre und Unternehmen in der Forbes Liste. Außerdem stellt sich heraus, dass die angenommenen russischen „Kapitalexporte“ entweder an Offshore-Inseln oder westliche Banken erfolgen. Genosse Stiller merkt zurecht an, dass es sich bei den „Exporten“ eher um Casinokapital oder Steuervermeidung handelt, was strenggenommen eigentlich keine wissenschaftlichen Begriffe sind.
Ein weiteres Beispiel dafür finden wir in einem Brief der KKE an die RKAP, wo es heißt: „Das sagt man über Russland, die zweitgrößte Militärmacht der Welt“(20). An Militärausgaben steht aber Russland am 5. Platz zwischen Großbritannien und Frankreich (21), und wenn man viele anderen Kriterien berücksichtigt (auf die wir hier nicht näher angehen können), kann man Russland keineswegs als „zweitgrößte Militärmacht“ bezeichnen.  

Auch in anderen Artikeln werden oft Zahlen und Daten genannten, von denen entweder die Quelle unklar ist, oder die Bedeutung dieser Zahlen falsch interpretiert wird. Aber aufgrund des fehlenden Platzes werde ich jetzt nicht weiter darauf eingehen.

Des Weiteren versuchen die Anhänger der „richtigen, nicht-revisionistischen Theorie“ immer wieder festzustellen, ob ein Land imperialistisch ist. Obwohl es nach der Theorie der Pyramide eigentlich überflüssig ist: alle Länder bis auf Kuba sind ja in der Pyramide drin. Hier kann ich wieder auf den Artikel von Cervi und Vikario „Die Notwendigkeit der Klarheit über die ökonomische Struktur Russlands“ (8) verweisen, oder die Arbeit zu Ökonomischer Analyse Chinas (9). Die Methode dabei ist sehr einfach: man nutzt die fünf Merkmale des Imperialismus, die Lenin in seiner grundlegenden Arbeit (10) genannt hat und überprüft diese Merkmale in Bezug auf das entsprechende Land. Dabei wird ganz außer Acht gelassen, dass diese Merkmale von Lenin keineswegs als „diagnostische“ aufgeführt wurden und sie nicht ein einzelnes Land betrafen, sondern den Imperialismus als Stadium, das in der ganzen Welt aufgetreten ist. Da zwei der fünf Merkmale offensichtlich nicht nur ein Land betreffen (Abgeschlossene Teilung der Welt; Bildung der internationalen Konzerne), werden nur drei davon genutzt.

Warum gilt diese Methode als zuverlässige, um die imperialistischen Länder von den ausgebeuteten zu unterscheiden? Keine Antwort. Ich finde, dass diese Methode vor allem deswegen nicht relevant ist, weil sie

1. Das einzelne Land allein, ohne Zusammenhänge mit den anderen Ländern der Welt betrachtet, 2. Suggeriert, dass der Imperialismus ein Stadium der Entwicklung eines einzelnen Landes ist, dabei ist es nicht so, und nicht jedes Land der Welt muss z. B. zuerst feudal, dann kapitalistisch, dann imperialistisch werden. Vielmehr ist der Imperialismus ein ganzheitliches System, das verschiedene Glieder – Zentrum, Halbperipherie, Peripherie – einschließt, und ja, jedes Land gehört zu der imperialistischen Weltordnung, aber nicht jedes Land ist in dieser Ordnung der imperialistische Ausbeuter. Alle Länder spielen in dieser Weltordnung verschiedene Rollen.

Eine wissenschaftliche Arbeit braucht vor allem die Begründung ihrer Methoden. Diese Begründung fehlt aber in den oben genannten Beispielen; wenn in einer Diskussion gefragt wurde, warum diese Kriterien von Lenin überhaupt für die „Diagnose“ eines einzelnen Landes geeignet seien (ohne an diesen Kriterien generell zu zweifeln), kam als Antwort „Das ist einfach Revisionismus und Angriff auf die Grundlagen des Marxismus-Leninismus!“ Diese Aggression hat mit Wissenschaft auch nichts zu tun. Man muss sachliche Erklärungen der wissenschaftlichen Methodik erwarten!

Der Marxismus basiert in vielen Aspekten auf der Ökonomie. Die moderne Ökonomie ist aber sehr kompliziert, es ist kaum möglich, diese als Autodidakt zu begreifen und zu erlernen. Genau dadurch entstehen Fehler (wenn die Autoren zuverlässig sind und gute moderne Quellen finden, können sie trotzdem nicht immer die ökonomische Bedeutung, z.B. von BIP oder Staatsschulden begreifen). Ich verfüge auch über keine spezielle ökonomische Ausbildung oder Studium. Dennoch kann man ohne Ökonomie keine Analyse der Basis durchzuführen, also die Produktionskräfte und -verhältnisse einzuschätzen. Ich sehe hier einen Ausweg in der Spezialisierung. Es existieren marxistische Schulen der Wirtschaftswissenschaft, also Menschen, die gleichzeitig Ökonomie beruflich studiert haben und sich als Marxisten positionieren. Ich werde im Weiteren auf die Daten und Schlussfolgerungen dieser Schulen zurückgreifen, ohne die politische Meinung ihrer Repräsentanten unkritisch zu übernehmen.

Frage der Unterscheidung zwischen imperialistischen und ausgebeuteten Ländern

Die Theoretiker der KKE sind sich über die Existenz solcher ökonomischen Schulen bewusst. So schreibt Gen. Opsimos über die „Abhängigkeitstheorien“, mit denen er sich allerdings nicht so genau auseinandersetzen will, sie aber pauschal ablehnt.

Wie wir im ersten Teil gesehen haben, war aber das ganze 20. Jahrhundert politisch von dem Begriff der neokolonialen Abhängigkeit geprägt. Es sind auch viele Theorien erschienen, die auf verschiedene Weise die ökonomischen Mechanismen dieser Ausbeutung beschrieben haben. Das sind, einerseits, die Theorien der Weltsystemanalyse (Wallerstein, Braudel, Samir Amin), andererseits die Abhängigkeitstheorien (P. Baran, A.G.Frank).

Ihre Ansichten sind in vielen Aspekten unterschiedlich und können nicht unkritisch als „ideologische Grundlage“ aufgenommen werden. Dennoch sind diese Forschungen für das Verständnis des Imperialismus aus ökonomischer Sicht unentbehrlich.

Im Allgemeinen, nach modernen Vorstellungen, wird die Welt hier als „System“ betrachtet, das aus dem Zentrum und der Peripherie besteht. Zwischen Zentrum und Peripherie besteht ein nicht äquivalenter Tausch. Der Kapitalfluss strömt überwiegend aus der Peripherie zum Zentrum. Dies verursacht immer größeren Reichtum des Zentrums und eine Unmöglichkeit der Peripherie ohne politischen Kampf für die Unabhängigkeit, nur durch den Ausbau der Wirtschaft, sich weiterzuentwickeln: Dieser Ausbau wird von den Imperialisten künstlich gekürzt und gestoppt.

Die zentralen Länder investieren in die Wirtschaft der Länder der Peripherie, um dort möglichst hohe Profite zu erzielen. Aber auch die Arbeitsteilung selbst ist entscheidend für den nicht-äquivalenten Tausch.

So schreibt R. Dzarasov (11, meine Übersetzung).:

„Arbeitsintensive Produktion mit geringer Kapitalintensität (niedrige organische Kapitalstruktur) ist charakteristisch für die Peripherie des Weltkapitalismus, während die kapitalintensive Produktion mit einer hohen Kapitalausstattung der Arbeit (hohe organische Struktur des Kapitals) charakteristisch für das Zentrum ist. Dies kommt zum Ausdruck in der Struktur der Preise, welche höher sind als die Arbeitskosten für Produkte aus entwickelten Ländern und niedriger als die Arbeitskosten für die Erzeugnisse der unterentwickelten Länder. Dies bedeutet, dass die Volkswirtschaften der Peripherie der Welt gezwungen sind, einen beträchtlichen Teil des von ihren Arbeitern geschaffenen Arbeitswertes kostenlos den Volkswirtschaften des Zentrums zu überlassen. Dies ist das Wesen des nicht-äquivalenten Tauschs und der Ausbeutung der Peripherie des Weltkapitalismus durch sein Zentrum.“

Durch diesen von Dzarasov charakterisierten nicht-äquivalenten Tausch wird es erst möglich, dass sich in den zentralen Ländern eine Arbeiteraristokratie entwickelt, die auf Kosten der Arbeiter der globalen Peripherie etwas bessere Lebensbedingungen für sich durch legalen ökonomischen Kampf durchsetzen kann. Der Kampf der Arbeiter in der Peripherie hingegen wird überwiegend durch massive Repression unterdrückt. Dabei stehen diese Arbeiter unter einem doppelten Druck: einerseits ist das die Ausbeutung durch die eigene Bourgeoisie, andererseits, durch die Vermittlung von dieser eigenen (so genannten Kompradoren-) Bourgeoisie durch das ausländische Kapital.

Ich hoffe, wir müssen jetzt nicht den Begriff „Neokolonialismus“ und seine Geschichte und Bedeutung betrachten. Wenn dieser Bedarf weiterhin besteht, kann man dazu viel mehr schreiben. Es gibt Arbeiten, die speziell die Geschichte der Ausbeutung und Unterdrückung der Länder Afrikas oder Lateinamerikas durch die imperialistischen Zentren betrachten. Dies muss ich hier leider auslassen, in der Hoffnung, dass zumindest die größten Ereignisse in diesem Sinne allgemein bekannt sind.

Ich komme jetzt zu der Frage, die vielleicht am wichtigsten ist, auch in Betracht heutiger Ereignisse, und die Gen. Opsimos so formulierte:

„So ist es heute denjenigen, die auf der Unterscheidung der Länder in imperialistische und abhängige beharren, unmöglich, streng wissenschaftliche Kriterien für die Zuordnung zu diesen oder jenen zu liefern.“

Tatsächlich gibt es bereits solche streng wissenschaftlichen Kriterien, und ich werde sie jetzt aufführen.

Ich berufe mich im Weiteren auf die Arbeiten der russischen marxistisch-ökonomischen Schule, und genau gesagt, die von P. Dzarasov und O. Komolov. Der letzte ist ein Kandidat der Wirtschaftswissenschaften, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Plechanov-Akademie und politisch aktiv als Kommunist in „Rot Front“ (und hat übrigens andere Ansichten zur Spezialoperation Russlands als die Autorin dieses Artikels, also ist nicht politisch daran interessiert, ihre Notwendigkeit zu beweisen). Dennoch sind seine wissenschaftlichen Arbeiten hier von Bedeutung (Arbeiten von Komolov werden überwiegend im letzten Teil betrachtet).

R. S. Dzarasov (11) identifiziert vier Hauptelemente, die dem nicht-äquivalentem Tausch zugrunde liegen:

1) Preisstruktur – die Preise für die Produkte der Zentrumsländer steigen schneller als die der peripheren Volkswirtschaften;

2) technologische Unterschiede – die Produktion mit hoher Wertschöpfung ist in den Zentrumsländern angesiedelt, die mit niedriger Produktivität in der Peripherie;

3) Währungsbeziehungen – die nationalen Währungskurse der rückständigen Länder werden künstlich unterbewertet, was den Ressourcenfluss erleichtert, indem die Exporte angekurbelt werden;

4) Finanzströme – Einkommen aus der Peripherie wird in den entwickelten Volkswirtschaften investiert

Nach diesen Kriterien kann man recht einfach unterscheiden, ob das Land zum imperialistischen Zentrum oder zur Peripherie gehört. Es gibt Länder mit „starken“ und „schwachen“ Devisen und die Stärke einer Währung ist direkt mit der Lage im Weltsystem verbunden. Auch die Struktur der Wirtschaft lässt sich leicht erkennen. Die Länder in der Peripherie liefern Rohstoffe, Produkte der Landwirtschaft, also Produkte, die niedrigen Mehrwert haben (wie z. B. Walzerzeugnisse oder auch Bekleidung und Alltagsgegenstände). Die Produktion der Zentren hingegen ist teuer, komplex und akkumuliert die billige Arbeit aller vorherigen Teilnehmer des Produktionsprozesses, dadurch entsteht ein hoher Wert dieser Produktion. So arbeitet zum Beispiel ein Programmierer im kalifornischen Silicon Valley an Computern, die in Asien hergestellt wurden, die Rohstoffe zur Herstellung lieferten afrikanische Länder. Die Software, die der Programmierer produziert, ist teuer und beinhaltet die Werte aller Komponenten, die er dafür nutzt. Die Komponenten dagegen werden durch die billige Arbeit mit der geringen organischen Zusammensetzung (= viel körperliche Arbeit, wenig Automatisierung) des Kapitals geschaffen. Diese Arbeitsteilung zwischen den Ländern ist keineswegs ein „natürliches“ Phänomen, diese Arbeitsteilung wird durch politische Mittel (z. B. direkter politischer Druck, Farbenrevolutionen, regime changes, Putsch, Krieg) bewahrt.

Entscheidendes Kriterium ist aber der Fluss des Kapitals. Die Profite aus der Peripherie fließen zum Zentrum durch verschiedene Mechanismen: z. B. Staatsschulden, die ärmere Länder regelmäßig tilgen müssen. Oder Kapitalflucht: die Kompradorenbourgeoisie schafft die Kapitale aus dem Land und platziert sie in „sicheren“ imperialistischen Banken oder Steueroasen. Ein weiterer Aspekt ist die direkte Ausbeutung der billigen Arbeitskraft im Land der Peripherie durch ausländische Beteiligung an Kapitalen oder direkte ausländische Unternehmen. Das sind nur einige sehr verbreitete Mechanismen, die die Kapitalströme von der Peripherie zum Zentrum lenken. Das widerspricht (für die Puritaner!) keineswegs dem „Kapitalexport“ nach Lenins Definition, denn Kapital wird eben gerade dafür exportiert, um Profite zu erzielen, und diese Profite sind größer als das exportierte Kapital, und sie fließen in die andere Richtung.

So viel zum kurzen Exkurs zu den ökonomischen Grundlagen des modernen Imperialismus. Wohlgemerkt, die Theorien des Weltsystems und der Abhängigkeit sind unterschiedlich und teilweise verwirrend. Daran kann man vieles kritisieren. Dennoch ist das nach wie vor die einzige ökonomische, wirtschaftswissenschaftliche Orientierung, die imperialistische Beziehungen adäquat widerspiegelt. Die Theorie der imperialistischen Pyramide ist dagegen streng genommen eine politische und keine ökonomische Theorie. Der Marxismus hat kein anderes ökonomisches Instrument, um die Beziehungen in der heutigen Welt zu beschreiben. Und dieses Instrument, wie oben gezeigt, widerspricht keineswegs dem grundlegenden Werk von Lenin, sondern bestätigt ihn auf der neuen Ebene.

Nun kommen wir zu der Betrachtung des modernen Weltsystems.

Moderner Imperialismus

Die Genialität von Lenin besteht darin, dass er, obwohl 1916 in der Welt noch das koloniale System herrschte, alle weitere Entwicklungen in seinem Buch schon vorausgesagt hat. Nicht direkt und nicht als Prophezeiung. Aber er hat genau beschrieben, welche Formen der Abhängigkeit, außer direkter kolonialen Abhängigkeit, damals existierten.

Zuvorderst ist das die neokoloniale Abhängigkeit, die Lenin am Beispiel von Argentinien zeigte (10):

„Typisch für diese Epoche sind nicht nur die beiden Hauptgruppen von Ländern – die Kolonien besitzenden und die Kolonien selber -, sondern auch die verschiedenartigen Formen der abhängigen Länder, die politisch, formal selbständig, in Wirklichkeit aber in ein Netz finanzieller und diplomatischer Abhängigkeit verstrickt sind. Auf eine dieser Formen, die Halbkolonien, haben wir bereits hingewiesen. Ein Musterbeispiel für eine andere Form ist z.B. Argentinien.

‚Das südliche Südamerika, insbesondere Argentinien‘, schreibt Schulze-Gaevernitz in seinem Werk über den britischen Imperialismus, ‚findet sich in solcher finanzieller Abhängigkeit von London, daß es fast als englische Handelskolonie zu bezeichnen ist.‘ Die in Argentinien investierten Kapitalien Englands schätzt Schilder auf Grund des Jahresberichtes des österreichisch-ungarischen Konsuls in Buenos Aires für 1909 auf 83/4 Milliarden Francs. Man kann sich leicht vorstellen, mit wie festen Banden infolgedessen das Finanzkapital Englands – und sein treuer ‚Freund‘, die Diplomatie – mit der Bourgeoisie Argentiniens und den führenden Kreisen seines gesamten wirtschaftlichen und politischen Lebens verknüpft ist.“

Nach der Befreiung der Kolonien sind die meisten in die beschriebene neokoloniale Abhängigkeit geraten, deren ökonomische Mechanismen oben bereits beschrieben wurden.

Andererseits beschreibt Lenin auch die andere bestehende Situation:

„Eine etwas anders geartete Form finanzieller und diplomatischer Abhängigkeit, bei politischer Unabhängigkeit, bietet uns Portugal. Portugal ist ein selbständiger, souveräner Staat, aber faktisch steht es seit mehr als 200 Jahren, seit dem spanischen Erbfolgekrieg (1704-1714), unter dem Protektorat Englands. England verteidigte Portugal und dessen Kolonialbesitz, um seine eigene Position im Kampfe gegen seine Gegner, Spanien und Frankreich, zu stärken. Dafür erhielt England Handelsprivilegien, bessere Bedingungen beim Warenexport und besonders beim Kapitalexport nach Portugal und seinen Kolonien, die Möglichkeit, die Häfen und Inseln Portugals zu benutzen, seine Kabel usw. usf. Derartige Beziehungen zwischen einzelnen großen und kleinen Staaten hat es immer gegeben, aber in der Epoche des kapitalistischen Imperialismus werden sie zum allgemeinen System, bilden sie einen Teil der Gesamtheit der Beziehungen bei der ‚Aufteilung der Welt‘ und verwandeln sich in Kettenglieder der Operationen des Weltfinanzkapitals.

Diese zwei Formen, die von Lenin noch als seltene Ausnahmen charakterisiert wurden, sind heute in etwas modifizierter Form, vorherrschend auf der Erde. Die meisten Länder sind heute entweder abhängig nach dem Beispiel Argentiniens oder „Protektorate“ wie damals Portugal. Betrachten wir dieses System genau. So schreibt der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Samir Amin(12)[1]:

„Der Zweite Weltkrieg führte zu einem bedeutenden Wandel in den Formen des Imperialismus, der eine Vielzahl von Imperialismen in ständigem Konflikt durch einen kollektiven Imperialismus ersetzte. Dieser kollektive Imperialismus ist ein Zusammenschluss der Zentren des kapitalistischen Weltsystems oder, einfacher ausgedrückt, eine Triade: die Vereinigten Staaten und ihre äußere kanadische Provinz, West- und Mitteleuropa und Japan. Diese neue Form des imperialistischen Expansionismus hat verschiedene Entwicklungsphasen durchlaufen, existiert aber seit 1945 ununterbrochen.“ (Meine Hervorhebung – Y).

Samir Amin erklärt diese Änderung durch die Notwendigkeit, der sozialistischen Welt und den Bewegungen der nationalen Befreiung in Asien und Afrika einen geschlossenen Widerstand entgegen zu stellen. In diesem Sinne waren zwischenimperialistische Widersprüche zweitrangig: nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Imperialismus angefangen, um seine bloße Existenz zu fürchten. Andere Autoren (darunter z. B. Kim Jon Il, s. 4) erklären die Entwicklung dieses geschlossenen imperialistischen Blocks durch die unvergleichbare Größe der USA, die aus dem Ausgang des 2. Weltkriegs gewaltige Vorteile zog, während alle anderen Länder mit Zerstörungen und Verlusten daraus hervorgingen.

Ich würde nicht über die „Abhängigkeit“ der BRD reden, im direkten Sinne ist die BRD nicht abhängig und beutet ihre eigenen „Neokolonien“ zuverlässig aus. Dennoch ist die Situation heute ganz anders als im Jahr 1914, und wenn jemand sagt, dass heute selbstverständlich ein Krieg zwischen, z. B. Deutschland und Frankreich, oder USA und Japan möglich ist, wäre das sehr realitätsfern. Diese Länder kämpfen nicht mehr direkt gegeneinander, sondern bilden einen „Kollektiven Imperialismus“. Diesen Begriff finde ich sehr gut, weil der oft erwähnte Begriff des „Kollektiven Westens“ eher an die Zivilisationstheorie denken lässt.

Das ist wiederum keine Bestätigung für die Theorie von Kautsky, falls jemand so denken sollte. Laut Kautsky sollten die nationalen Staaten die Bedeutung verlieren, es passierte aber genau das Gegenteil. In der DDR und UdSSR ging man mit damaligem Wissen davon aus, dass der Zusammenschluss der Imperialisten ein vorläufiges Phänomen ist, solange sie mit dem gemeinsamen Feind, also dem Weltsozialismus und den nationalen Befreiungsbewegungen ringen. Mit dem Wissen von heute im Jahr 2022 und der nackten Tatsache, dass die NATO sich trotz Wegfall des weltanschaulichen Todfeindes nicht aufgelöst, sondern sogar erweitert hat, kann man mit Fug und Recht trotz innerer Widersprüche (zeitweiliger Austritt Frankreichs aus der NATO, Streit um den Irakkrieg zwischen USA und Frankreich und BRD, Brexit, U-Boot Deal mit Australien zwischen USA und Frankreich, Streit um Sanktionen gegen China) davon ausgehen, dass dieser imperialistische Bund bestehen bleibt. Das Bündnis nutzt seine geballte Macht um potentielle Aufsteiger wie das kapitalistische Russland oder (noch gefährlicher für den Westen) China von vornherein unten zu halten, um sie präventiv daran zu hindern ebenbürtig zu werden.

Samir Amin schreibt weiter:

„Die blockfreien Staaten befinden sich also in einem Zustand der Konfrontation mit dem fast unteilbaren westlichen Block.“

Amin setzt noch diese wichtige Aussage hinzu:

„Die herrschende Klasse der Vereinigten Staaten erklärt offen, dass sie nicht zulassen wird, dass sich irgendeine wirtschaftliche oder militärische Kraft wieder durchsetzt, die ihr Monopol der planetarischen Vorherrschaft in Frage stellen könnte, und hat sich daher das Recht gegeben, Präventivkriege zu führen. Drei Hauptgegner könnten ins Visier genommen werden – Russland, China, Europa.“ (12)

Es ist wahr, dass in der Welt, neben den „kollektiven Imperialisten“ auch andere aufsteigende „Kandidaten“ für die imperialistische Rolle existieren. Aber wie weit sind sie in diese Rolle vorgedrungen, und wie realistisch sind ihre Chancen?

China kommt der Rolle des konkurrierenden Imperialisten mit seiner starken Wirtschaft am nächsten.

Nehmen wir an, China hätte sich mit den USA militärisch angelegt.

Auf der Abbildung 1 sehen wir den direkten Vergleich zwischen den Armeen Chinas und der USA. Sie ist allerdings noch sehr unvollständig. Hier werden z.B. nicht die Militärstützpunkte der USA berücksichtigt, das heißt, Positionen, über die die USA direkt an den Küsten Chinas verfügt (umgekehrt existieren keine chinesischen Stützpunkte in der Nähe der USA). Dennoch kann man schon einige Punkte vergleichen:

Abbildung 1.

Vergleich des Militärs der USA und China 2015  
Vergleich wichtiger Militäreinheiten der USA und China im Jahr 2015  
 USAChina
Soldaten13812502333000
Interkontinentalraketen45062
Artillerie742913380
Kampfpanzer28316540
Kampfflugzeuge31301866
Bomber157150
Kampfhubschrauber902200
Flugzeugträger101
Kreuzer, Zerstörer, Fregatten8873
Atomsprengköpfe*7000260

Quelle: 13.

Auch ein Vergleich der Militärausgaben ist aufschlussreich. Die USA gaben 2021 801 Milliarden Dollar aus, China im Vergleich 293 Milliarden Dollar (14). Wie wir sehen können, ist China den USA in einigen Bereichen sogar voraus, etwa bei Panzern und Artillerie, sowie bei der Truppenstärke. Allerdings ist China viel schwächer bei der Luftwaffe, Flugzeugträgern, Raketen und Atomsprengköpfen.

Das klingt für China auf den ersten Blick nicht so schlecht, allerdings wird China beim direkten Konflikt gegen die USA allein gegen den „kollektiven Imperialismus“ stehen. Es besteht kein Militärblock z. B. mit Russland. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) ist keinerlei „Alternative“ NATO (geschweige denn BRICS). Es bestehen keine militärischen Abkommen und Verpflichtungen, die Russland zwingen, China militärische Hilfe zu leisten (und auch umgekehrt).

Gegen China werden dann sowohl die NATO, als auch der neue Block AUKUS, der Australien einschließt, kämpfen. Wie groß sind heute die Chancen Chinas gegen alle diese Kräfte zusammen?

Warum konnte China in Taiwan nicht sofort eingreifen, als dort provokativ Ms Pelosi gelandet ist? Selbst die kleinsten Schritte innerhalb der eigenen Einflusssphäre (rechtlich gesehen gehört Taiwan sogar zum eigenen Territorium!) darf sich dieser „Imperialist Nummer 2“ nicht erlauben.

Dass auf der Erde ein kollektiver Imperialismus existiert, können wir gut am Beispiel des aktuellen Kriegs beobachten. Selbst der engste Verbündete Russlands, Belarus, der als „Mittäter“ auch unter Sanktionen steht, leistet keine militärische Hilfe. Kein einziger belorussischer Soldat unterstützt Russland. Es gibt nur Gerüchte, dass Iran vielleicht Russland einige Drohnen verkauft, oder auch nicht, und diese Gerüchte sorgen schon für Riesenaufruhr. Russland steht ganz allein gegen den kollektiven Imperialismus, dessen Mitglieder nicht nur seit Februar 2022, sondern bereits seit acht Jahren Waffen in die Ukraine liefern und dort Soldaten ausbilden.

Nicht nur die Kommunisten der KKE glauben sinngemäß an „mehrere imperialistische Zentren, die sich auf Augenhöhe bekämpfen, genau wie 1914“. Auch Putin sprach kürzlich häufiger über die „Multipolare Welt“, die nichts anderes bedeuten würde als die Situation der Vergangenheit, die des Anfangs des 20. Jahrhunderts. Das ist aber nur Wunschdenken der russischen und chinesischen Regierungen.

Nichts ist unmöglich. Aber im Moment sind wir sehr weit von dieser „multipolaren“ Welt auf Augenhöhe entfernt.

Eher werden Krisen von unvorstellbarer Kraft die westliche Welt erschüttern, und eher entsteht ein neuer Sozialismus aus dieser Auseinandersetzung, als dass die Verhältnisse aus dem „guten alten“ 1914 so zurückkehren. Oder eben eine Vernichtung in einem Atomkrieg, denn eher provozieren oder entfachen die Mitglieder des „Kollektiven Imperialismus“ einen Atomkrieg, als dass sie „Autoritäre Regime gewinnen“ lassen (übersetzt: die anderen Kandidaten zu gleichwertigen imperialistischen Zentren werden lassen).

Deswegen ist in der heutigen Welt kein Krieg zwischen imperialistischen Kräften nach dem Muster von 1914 möglich. Denn der „Kollektive Imperialismus“ lässt die anderen Länder nicht mal zu Kandidaten für diese Rolle aufsteigen. Sie werden beim Abflug abgeschossen. Noch beim Versuch, aus der Abhängigkeit rauszukommen. Das ist nicht vergleichbar mit den Versuchen der deutschen Imperialisten im Jahr 1914 und in den 1930ern sich verspätet noch Kolonien anzuschaffen und einen Platz neben Großbritannien und Frankreich zu sichern: Deutschland war bereits ein imperialistisches Land (1914 hatte es auch Kolonien, aber „zu wenige“ für seinen Heißhunger nach neuen Märkten). Es war keineswegs abhängig, vielmehr war Russland und eine Reihe europäischer Länder von deutschem Kapital abhängig. Und die Aggression des deutschen Imperialismus war eine imperialistische Aggression. Heute existiert nirgendwo auf der Welt eine vergleichbare Situation, sondern nur Versuche, sich politisch unabhängig zu machen und gegen den kollektiven Imperialismus vorzugehen. Also ein antiimperialistischer Kampf (später mehr dazu).

Politische Folgen

Die politische Widerlegung der Theorien der Weltsystemanalyse, die Gen. Opsimos aufgeführt hat, ist folgende:

„[Diese Theorien] ignorieren die Ausbeutung, die die große Masse der Arbeiterklasse und der armen Bevölkerungsschichten in den entwickelten kapitalistischen Ländern erleidet und die quantitativ (als Prozentsatz und als Masse des Mehrwerts) voluminöser ist als jeder ‚Tribut‘, der durch die Monopolgewinne von der ‚Peripherie zum Zentrum‘ hingeht. Diese Form steckt die Arbeiterklasse in den mehr entwickelten Ländern mit den Ausbeutern in einen Sack und behindert objektiv den gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse auf globaler Ebene.“ (1)

Mir sind leider die Arbeiten nicht bekannt, die quantitativ die Größe der Ausbeutung der Arbeiter in den zentralen Ländern und der Monopolgewinne aus der Peripherie vergleichen. Also lassen wir es stehen. Aber dieser Vergleich wäre leider sehr unvollständig. Einer der Mechanismen der imperialistischen Ausbeutung besteht eben darin, dass in der Peripherie die Rohstoffe, Landwirtschaftsproduktion und andere Produktion mit niedrigem Mehrwert produziert wird, während die zentralen Länder die komplexe Produktion mit hohem Mehrwert leisten. Ein Hollywood-Film oder ein Düsenflieger kostet mehr und bringt mehr Profit als ein T-Shirt oder ein Laptop. In dieser komplexen Produktion können heimische qualifizierte Arbeiter für ihre Ausbeuter im Zentrum viel mehr Profit bringen als Kinder im Kongo, die mit ihren Händen Cobalt abbauen. Selbst die miserabelsten Bedingungen in Deutschland, wie Hartz IV und der Niedriglohnsektor, sind für ein Kind aus dem Kongo verhältnismäßig erstrebenswert, wie die Flüchtlingsströme in Richtung Westeuropa Zeugnis geben.

Hier schlägt uns Genosse Opsimos vor, dass wir einfach die Augen vor den realen Tatsachen verschließen und mit Scheuklappen weiterhin sagen, dass die Arbeiter in allen Ländern gleiche Lebensbedingungen und gleiche Probleme haben. Das widerspricht aber nicht nur den realen Tatsachen, sondern auch Marx und Engels, die den Begriff „Arbeiteraristokratie“ eingeführt haben, mit dem Hinweis, dass die bessere Lage von englischen Arbeitern durch die koloniale Ausbeutung anderen Ländern ermöglicht wird.

So heißt es bei Engels: (15)

„Solange Englands Industriemonopol dauerte, hat die englische Arbeiterklasse bis zu einem gewissen Grad teilgenommen an den Vorteilen dieses Monopols. Diese Vorteile wurden sehr ungleich unter sie verteilt; die privilegierte Minderheit sackte den größten Teil ein, aber selbst die große Masse hatte wenigstens dann und wann vorübergehend ihr Teil. Und das ist der Grund, warum seit dem Aussterben des Owenismus es in England keinen Sozialismus gegeben hat.“

Lenin schreibt noch schärfer darüber:

„Nun hat aber die ausgedehnte Kolonialpolitik für das europäische Proletariat zum Teil eine solche Lage geschaffen, dass die Gesellschaft als Ganzes nicht von seiner Arbeit, sondern von der Arbeit der fast zu Sklaven herabgedrückten kolonialen Eingeborenen lebt. Die englische Bourgeoisie z. B. zieht aus den Millionen und aber Millionen der Bevölkerung Indiens und anderer Kolonien größere Profite als aus den englischen Arbeitern. Unter solchen Verhältnissen entsteht in bestimmten Ländern eine materielle, ökonomische Grundlage für die Ansteckung ihres Proletariats mit dem Kolonialchauvinismus.“ (16)

Auch während des Großen Vaterländischen Krieges fragten die Menschen in der UdSSR die Parteipropagandisten: warum haben die deutschen Arbeiter uns, das erste sozialistische Land, angegriffen?! Das ist doch gegen ihre Klasseninteressen, und sie verfügen doch über ein sehr gutes Klassenbewusstsein? Vielleicht sollen wir jetzt lieber in nationalen Kategorien denken? Selbst die Propagandisten konnten damals nicht immer diese Frage beantworten.

Die richtige Antwort bestand darin, dass der deutsche Imperialismus den Faschismus hervorgerufen und den Arbeitern versprochen hat, auf Kosten der „minderwertigen“ Völker ihr wunderschönes Traumreich aufzubauen. Damit waren die Faschisten leider erfolgreich! Mit der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ auf Kosten der „Untermenschen“ gelang es den deutschen Faschisten die Masse von skeptisch bis feindlich gesinnten Arbeitern nach Ausschaltung ihrer führenden Kraft, also der Kommunisten und widerständigen Sozialdemokraten, zu neutralisieren und wohlwollender zu stimmen. Ein wesentliches Element, die Arbeiter gefügig zu machen, war sicher auch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, freilich durch die massive Hochrüstung zur Vorbereitung auf die Revanchekriege. Solange der Krieg im Sinne der deutschen Eroberer verlief, konnte sich so manche vorher gedrückt lebende Existenz an der Front im Sinne der „Volksgemeinschaft“ austoben und dort eine Art von individuellem Erfolg und Reichtum als Sklavenhalter über die minderwertigen „Wilden“ erzielen. Wer vorher in Deutschland nie etwas zu melden hatte, konnte als Besatzer immer noch jedes Mädchen haben. Allerdings: Das sowjetische Volk wollte nicht zu den neuen „Indianern“ werden und hat sich gegen den imperialistischen Angriff zur Wehr gesetzt.

Führt dieses Verständnis zur Spaltung der Arbeiterklasse? Das erinnert mich an die Ausführungen von männlichen Chauvinisten: man darf nicht über die besondere Ausbeutung der Frau reden, weil die Männer sich eben beleidigt und unterschätzt fühlen, und das spaltet die Arbeiterklasse! Aber in der westeuropäischen Bewegung ist das kein Problem (das ist eher ein Problem der einigen russischen Kommunisten), weil es für alle klar ist: die männlichen Proletarier müssen einfach einsehen, dass Frauen noch größere Probleme haben, und das ist eine reale, gut nachweisbare Tatsache.

Genauso sehe ich als Arbeiterin in einem Land des imperialistischen Zentrums absolut kein Problem, zu erkennen, dass die Arbeiter in anderen Ländern noch schlechter leben, weniger essen, sogar hungern, weniger medizinische Hilfe und soziale Leistungen bekommen! Das macht unseren Gewerkschaftskampf nicht weniger nötig, aber es liegt an uns, den Arbeitern des Zentrums, besondere Verantwortung und Bereitschaft, die Proletarier der Peripherie solidarisch zu unterstützen und ihre Probleme und doppelte Ausbeutung zu verstehen.

Wer zur internationalen Solidarität nicht bereit ist, darf kein Kommunist werden!

Warum ist es eigentlich wichtig, diese Unterscheidung zwischen den Staaten des Zentrums und der Peripherie zu erkennen?

Der Unterschied liegt in der Taktik. Lenins Theorie der imperialistischen Ausbeutung gibt bestimmte strategische und taktische Empfehlungen. Es gilt, einen antiimperialistischen Kampf, der gegen den kollektiven Imperialismus unter Führung der USA gerichtet ist, generell zu unterstützen, auch wenn er von einem bürgerlichen Regime geführt wird. Innerhalb des peripheren Landes müssen die Kommunisten eine Taktik auswählen, je nachdem ob die Regierung anti- oder prokommunistisch ist und je nachdem, ob diese Regierung im Antiimperialismus konsequent ist.

Die Arbeiterklasse ist immer konsequenter antiimperialistisch als die Bourgeoisie, deswegen müssen die Kommunisten das gegenüber dem Volk offenlegen und die Regierung dazu drängen, konsequent in diesem Kampf zu sein, und auch selbst diesen Kampf, neben dem „normalen“ Klassenkampf führen. Es gibt Begriffe wie „Kompradoren-Bourgeoisie“ und „national orientierter Bourgeoisie“, „Nationale Befreiung“ und „Unabhängigkeitskampf“, auch Nationalismus kann bis zu einem gewissen Grad links und progressiv sein (solange es Nationalismus einer wirklich unterdrückten Minderheit ist), und so weiter. Der Kampf in abhängigen Ländern unterscheidet sich in vielen Hinsichten vom Kampf in den zentralen Ländern.

Was bietet uns die Theorie der KKE an? Unabhängig von dem vorhandenen Klassenbewusstsein, muss man gemäß der Pyramidentheorie immer die bürgerliche Regierung bekämpfen, auch dann, wenn das z. B. wie in Belarus oder Venezuela auch prowestliche Kräfte der Farbenrevolutionen und der regime changes immer wieder versuchen. Das heißt, sich mit diesen „Ratten“ solidarisieren und dem kollektiven Imperialismus in die Hände spielen. Das ist eine sehr fragliche Strategie mit wenig Fingerspitzengefühl! Solange es nur um die revolutionären Parolen und Plakate geht, ist es auch in Ordnung, das stört ja keinen. Wenn man aber mit ganz konkreten Massen arbeiten will, wird es sehr fraglich. Sollen die Arbeitermassen in Venezuela, z. B. sich mit Guaidó solidarisieren und mit der „Opposition“ zusammen zu Kundgebungen gegen die Regierung der Chavisten gehen? Auch wenn sie dabei ihre eigenen Plakate und Flugblätter mitbringen. Ebenso fragwürdig wären auch Parolen, die Maduro und Guaidó gleichsetzen und dazu auffordern „Weder Maduro noch Guaidó!“.

Ich zeige es nun konkret am Beispiel Donbass. Die Menschen dort spüren sehr deutlich die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten, die ihnen mit Rückendeckung aus den imperialistischen Zentren, mit den Händen des ukrainischen Militärs und Faschisten, angetan werden. Sie sind erfüllt von dem Gefühl, die Heimat und sich selbst, ihre eigene Identität und einfach ihr eigenes Leben verteidigen zu müssen. Dafür brauchen sie keine Propaganda. Die Propaganda in westlichen und ukrainischen (für sie verfügbaren!) Medien stellt sie als „prorussische Separatisten“ und gar „Faschisten“ dar, nimmt ihnen jedes moralische Recht, sich selbst zu verteidigen. Ihnen wird auch der eigene Willen und Subjektivität nicht zugestanden, sie sind ja nur „prorussische Agenten“.

Dann gibt es sogar Kommunisten wie die der KKE, die diese Erzählung des kollektiven Imperialisten blind übernehmen und sinngemäß etwa folgendes sagen: „Ihr seid doch nur Handlanger des anderen Imperialisten (der eigentlich genauso schlimm ist), mit einer sogenannten Volksrepublik in Gänsefüßchen, also ist euer Kampf nicht gerechtfertigt. Geht nach Hause, schließt Frieden mit den ukrainischen Faschisten (Wie auch immer man dauerhaft Frieden mit Faschisten schließen kann, vielleicht durch die freiwillige Aufstellung von Bandera Denkmälern?) und versucht lieber ein bisschen mehr Lohn durch die Gewerkschaft zu erkämpfen, das ist der richtige Weg. Vielleicht in 50 Jahren lernt ihr endlich, dass man sich kollektiv verteidigen kann, bekommt eine organisierte Arbeiterbewegung nach unseren Vorstellungen, und dazu noch eine richtige kommunistische Partei ohne revisionistische Abweichungen, und dann ok, dann sagen wir vielleicht, dass euer Kampf gerecht und richtig ist!“

Ups. Wenn das Kommunismus ist, dann bin ich ganz eindeutig keine Kommunistin. Ich will zu den Reihen gehören, wo unsere gefallenen Kämpfer Alexey Mozgovoj (überhaupt kein Kommunist) und Alexey Markov-Dobryi stehen! Wo noch einige im Kampf gefallene oder noch lebende Kommunisten und Nicht-Kommunisten stehen. Ich will da hingehören, wo gerade Geschichte geschrieben wird.

Ich will in die Reihen gehören, wo mal Che, Allende, Ho Chi Minh, Sankara und Lumumba und Kim Il Sung standen.

In die Reihen des antiimperialistischen Widerstandes!

Wie schon erwähnt: Wenn die Kommunisten in den zentralen Ländern nicht anerkennen, welche mehrfachen Probleme das Proletariat in den Ländern der Peripherie hat, wie sollen sie solche Erscheinungen wie Migration (sehr aktuell!) oder „Farbenrevolutionen“ einschätzen? Wie können die Genossen der KKE dann überhaupt erklären, dass einige Länder hochentwickelt, und andere rückständig sind? Vielleicht wiederholen sie die Lügen der deutschen Medien über die „faulen Griechen“: angeblich sind Griechen nicht so fleißig wie die Deutschen, und so kommen sie zu ökonomischen Problemen? Die Theorie des Weltsystems (oder der Abhängigkeit) lässt verstehen, warum gerade Griechenland, die europäische Halbperipherie, während der letzten großen Wirtschaftskrise so ausgequetscht wurde. Es ist aber davon auszugehen, dass die Genossen spätestens dann selbst darauf kommen, wenn sie nach einer Erklärung für den Hunger in Afrika suchen, dass hier offensichtlich imperialistische Ausbeutung die Ursache ist. Jede andere Erklärung wäre rassistisch.

Anderenfalls wäre mir absolut unklar, wozu die KKE dann sonst überhaupt einen Begriff wie „Imperialismus“ bräuchte? Es wäre sonst ja genug zu sagen, dass alle Länder kapitalistisch sind, und dass ein kapitalistisches Land, wenn es eine gewisse Stärke hat, immer eine aggressive Politik führt. Und wir müssen eben „einfach“ gegen alle Kapitalisten vorgehen und auf der Seite der Arbeiterklasse stehen, und gut ist!

Russland

Im letzten Teil komme ich zu dem eigentlichen Auslöser der heutigen Denkkrise: Russland mit seiner Spezialoperation und der darauf folgende Wirtschaftskrieg des Westens.

Die Diskussionen der letzten Jahre um Russland haben sich immer um die gleichen Probleme gedreht: eine Seite behauptete, dass Russland ein angehender imperialistischer Riese ist (und dabei die drei von fünf Lenins Merkmale von allen Seiten massiv mit Zahlen zugebombt). Die andere Seite schien eine emotionale Neigung zu Russland zu haben und erklärte Russland für „nicht-kapitalistisch“, fast sozialistisch, „Dritter Weg“, „Genosse Putin“, „In Russland steht die Politik über der Ökonomie“ und weitere verwirrende Aussagen. Der zweite Standpunkt schien mir sehr realitätsfern (und er ist es auch immer noch!), und ich habe daher eher zu dem ersten geneigt.

Um die wahre Position Russlands im heutigen Weltsystem zu erkennen, möchte ich wieder zu den Arbeiten von Oleg Komolov greifen. In Gänsefüßchen sind meine direkten Übersetzungen aus seinem Artikel (17). Alle Hervorhebungen habe ich gemacht. Im Artikel gibt es viel Grafiken und Tabellen, die ich hier nicht aufführe, da sie auch übersetzt werden müssen und den Artikel noch weiter unnötig aufblähen, und jeder Interessierte kann neben diesen Grafiken auch die Quellen von Komolov im Artikel selbst mit Hilfe automatisierter Übersetzungen wie Google Translate oder DeepL ansehen.

Komolov betrachtet den Begriff der Kapitalabwanderung, der die Kategorien Kapitalexport, Flucht oder Ausfuhr umfasst.

„Unter Kapitalexport versteht man traditionell die Ausfuhr von Kapital ins Ausland in Geld- oder Warenform zur Steigerung der Profite, welche zur Stärkung der wirtschaftlichen und politischen Position und zur Ausweitung des Ausbeutungsbereichs durchgeführt werden.“

Diese Erklärung steht dem Begriff, den Lenin in seiner Arbeit „Imperialismus als das höchste Stadium des Kapitalismus“ verwendet hat, nahe. Russland hat auch Kapitalexport.

„Die größten russischen Unternehmen und transnationalen Konzerne investieren aktiv im Ausland, erwerben Vermögenswerte und kämpfen dafür, ihren Anteil auf ausländischen Märkten zu erhöhen. Zum Beispiel investiert PJSC Gazprom 102,4 Milliarden Rubel in das Nord Stream-2-Projekt [3]. Der Bestand an Auslandsaufträgen der Rosatom Corporation belief sich Ende 2016 auf 133 Milliarden US-Dollar [4]. Insgesamt beliefen sich die kumulierten ausländischen Direktinvestitionen Russlands im Ausland Ende 2016 auf 335,7 Milliarden US-Dollar [5].“

(Die in eckigen Klammern markierten Quellen kann man im Artikel von Komolov sehen, s. Literaturliste).

Übrigens, hier merken wir schon, dass der ganze Export von Gasprom eigentlich für die Katz war, Nord Stream 2 bringt keinen Profit.

„Der Kapitalexport ist charakteristisch für die entwickelten, starken Volkswirtschaften, die Kapital ins Ausland schicken, um es dort gewinnbringend einzusetzen.

In diesem Fall wird das Exportland einen ständigen Nettokapitalzufluss haben, wobei jeder exportierte Dollar einen Gewinn von zum Beispiel 10 Cent einbringen wird. Die seit Jahrzehnten anhaltenden Nettokapitalabflüsse aus Russland deuten jedoch darauf hin, dass diese Gewinne entweder im Ausland bleiben und nicht in die russische Wirtschaft zurückkehren oder nicht ausreichen, um den ‚nicht-investiven‘ Kapitalabfluss aus dem Land zu kompensieren. Darüber hinaus können solche Investitionen als Mittel zur Verlagerung von Vermögenswerten aus dem Land in Offshore-Zonen genutzt werden. So, gemäß der Zentralbank von Russland, im Jahr 2014. Russland beschert der Wirtschaft der britischen Jungferninseln mehr als 82 Mrd. $ in Form von direkten Investition 6], was dem 77-fachen des jährlichen nominalen BIP dieses Landes entspricht [7].

Natürlich können solche Auslandsinvestitionen nicht dem Kapitalexport zugeschrieben werden.“

Des Weiteren existieren noch Kapitalabfluss und -abwanderung (die sich nur durch die Geschwindigkeit und Motivation unterscheiden). Sie entstehen dadurch, dass die Eigentümer versuchen, ihr Vermögen an zuverlässigere Orte zu bringen.

Es existiert in der kommunistischen Bewegung der BRD die Legende, dass die Kapitalflucht in Russland mit dem Ende der 1990er, durch das Durchgreifen Putins, größtenteils aufgehört habe (8). Komolov zeigt, dass dem nicht so ist.

„In Russland hat sich die Kapitalflucht besonders in den Jahren 2008 und 2014 verschärft. In beiden Fällen sah sich das Land mit einem Anstieg der Inflation, einem Rückgang der Verbrauchernachfrage und Massenkonkursen von Unternehmen konfrontiert. Dies ging einher mit einer hohen Volatilität der Wechselkurse, Abwertungserwartungen und steigenden Zinssätzen. In diesen beiden Jahren zog sich der private Sektor aus der Wirtschaft 285 Mrd. USD.“

„Einigen Schätzungen zufolge, macht der Kapitalabfluss ohne Bezug zur normalen Geschäftstätigkeit und mehr auf ihre Verheimlichung ausgerichtet ist, etwa 70 % aller Vermögenswerte aus, die die russische Grenze überschreiten.“ [11, S. 114]

„Wohin fließt das russische Kapital? In den letzten Jahrzehnten wurden (und werden) russische Vermögenswerte hauptsächlich im Ausland gelagert – in 42 klassischen Offshore-Zonen, die in der offiziellen Liste der russischen Zentralbank [12] aufgeführt sind (dazu gehören vor allem exotische Inselstaaten), sowie ‚Offshore-Pipeline‘-Länder [13, S. 8] (Vereinigtes Königreich, Niederlande, Irland, Schweiz, Zypern, Liechtenstein, Luxemburg), die als Umschlagplätze dienen.«

„Um den Anteil der Offshore-Unternehmen am gesamten Kapitalabfluss aus Russland zu ermitteln, wenden wir uns den Statistiken über die russischen Auslandsinvestitionen (Direkt- und Portfolioinvestitionen) zu. Nach Angaben der russischen Zentralbank entfielen in den letzten zehn Jahren rund 70 % der Auslandsinvestitionen auf Offshore-Anlagen. Die meisten von ihnen gingen in Offshore-Länder, während der Anteil der Inselstaaten Offshore in diesem Zeitraum auf 10 % im Jahr 2017 gesunken ist (Abbildung 2).

Diese Situation spiegelt zweifellos den ungesunden Zustand der russischen Wirtschaft wider. Auch die Behörden auf höchster Ebene sprechen über dieses Thema.“

(Die russische Regierung versucht Maßnahmen zu treffen, um das Kapital zurück ins Land zu holen, diese Maßnahmen sind aber ineffektiv).

„Fünf Jahre sind seit der Kriegserklärung an das Offshoring vergangen, aber die Ergebnisse der Deoffshorisierungs- und Rückführungspolitik können nicht als erfolgreich bezeichnet werden. Die russische Wirtschaft verliert weiterhin jährlich Dutzende von Milliarden Dollar, und 2017 lag der Offshore-Anteil des Kapitalabflusses bei über 82 %. Gleichzeitig ist der nominale Rückgang des Nettokapitalabflusses in den letzten Jahren vor allem auf einen starken Rückgang der Deviseneinnahmen aus Rohstoffexporten und eine fast zweifache Abwertung der russischen Landeswährung gegenüber dem Dollar zurückzuführen.“

Auf diese Weise zeigt Komolov, dass der Abfluss und die Abwanderung des Kapitals in Russland den Kapitalexport massiv übersteigen. Des Weiteren erklärt er den Mechanismus, mit dessen Hilfe speziell die russische Wirtschaft ausgebeutet wird. Die Wirtschaften der Peripherie konkurrieren gegeneinander beim Verkauf, in diesem Fall, von Rohstoffen. Komolov:

„Eines der wirksamsten Instrumente in diesem Kampf (um die Märkte) ist die bewusste Politik der Peripheriestaaten, die nationalen Währungen unterzubewerten, was zu günstigen wirtschaftlichen Bedingungen für Exporteure führt. Wie M.V. Ledneva hervorhebt, sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Peripherie und dem Zentrum des Weltkapitalismus dafür zu sorgen, dass die westlichen Länder (in denen 16 % der Weltbevölkerung leben) 85 % der natürlichen Ressourcen der Welt verbrauchen [22, S.46]. Im Allgemeinen besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Entwicklungsstand des Landes und dem Grad der Abweichung des nominalen Wechselkurses der Landeswährung von der Kaufkraftparität (KKP) zum US-Dollar (Abb. 3).“

„Bis 2014 hatte sich die Handelsbilanz der Russischen Föderation mehr als verdreifacht, nämlich von 60 Milliarden auf 190 Milliarden US-Dollar [25]. Der massive Zufluss von Petrodollars auf dem Devisenmarkt konnte einen erheblichen Druck auf den Rubelkurs ausüben und dessen Wachstum anregen…  Diese Situation verschlechterte die Lage der russischen Exporteure und zwang die Regierung, Maßnahmen zur Eindämmung dieses Wachstums zu ergreifen.

Der stetig sinkende nominale effektive Wechselkursindex, der nur durch die bewusste Einflussnahme der großen Akteure zustande kommen konnte, ist ein deutlicher Hinweis darauf.

Unter diesen Umständen ist der umfangreiche Nettokapitalabfluss aus der russischen Wirtschaft ein positiver Faktor für die Regierung, der das Angebot an Dollar auf dem Devisenmarkt reduziert, um damit die Aufwertung der Landeswährung zu begrenzen. Darüber hinaus hat der russische Staat in all den Jahren selbst aktiv Kapital aus dem Land abgezogen, und zwar in nicht geringerem Umfang als der private Sektor. Zu diesem Zweck haben die Regierung und die Zentralbank zwei Hauptinstrumente eingesetzt: Aufbau von Währungsreserven und Tilgung der Staatsschulden.

Wie aus den obigen Zahlen hervorgeht, fungiert der Staat als aktives Subjekt des Kapitalabflusses aus Russland. Und als der Privatsektor aufhörte, Vermögenswerte aus der heimischen Wirtschaft abzuziehen (2006-2007), tat der Staat dasselbe. In dieser Zeit begann die Zentralbank mit dem zügigen Aufbau von Reserven – um die auf den russischen Devisenmarkt gelangten Dollars zurückzukaufen und so ihr Angebot zu senken. Diese Mittel wurden dann zu einem großen Teil in den Kauf von Wertpapieren der westlichen Welt investiert.

Die russische Regierung hat auch in Wertpapiere der Industrieländer investiert. Zwischen 2007 und 2013 stiegen beispielsweise die Investitionen Russlands in US-Staatsanleihen von 8 Milliarden Dollar auf 164 Milliarden Dollar…

Dieses Geld arbeitet nicht in Russland, es wird nicht in die Entwicklung der heimischen Wirtschaft investiert, sondern im Gegenteil in die Wirtschaft der westlichen Länder, ohne aufgrund der niedrigen Zinssätze, die heute im Westen gelten, große Gewinne für den Anleger zu bringen. Ein weiteres Instrument für den Abzug von Dollar-Guthaben aus der Wirtschaft ist die Begleichung von Auslandsschulden durch den Staat. Im Jahr 2000 beliefen sich die Auslandsverbindlichkeiten des russischen Staates auf 149 Mrd. USD, im Jahr 2017 hatte sich diese Summe auf 51 Mrd. USD geschrumpft [27].

Indem sie in Fremdwährung getätigt werden, ist ihre Rückzahlung auch ein wichtiges Instrument zur Entlastung des inländischen Devisenmarktes. Kombiniert man beide Kanäle des Kapitalabflusses aus Russland (privat und staatlich), so stellt man fest, dass der Gesamtabfluss von Vermögenswerten aus der heimischen Wirtschaft periodengerecht steigt (Abb. 6).

Addiert man diese Zahlen nach Jahren, erhält man den Betrag der Nettokapitalabflüsse aus der russischen Wirtschaft in den letzten zwanzig Jahren. Diese beliefen sich auf mehr als 1 Billion Dollar.

Daher kann die Regierung den Kapitalabfluss nicht als negativen Faktor für das Funktionieren des russischen Wirtschaftsmodells ansehen. Im Gegenteil, der private Sektor hilft der Regierung, ein wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel zu erreichen, das typisch für periphere und semi-periphere Länder ist, nämlich die nationale Währung auf einem unterbewerteten Niveau zu halten. Doch was bedeutet dies für die russische Wirtschaft?

Letztlich macht die Unterstützung eines bestimmten Wechselkurses ein Land weder reicher noch ärmer. Sie ist lediglich ein Instrument zur Umverteilung von Vermögenswerten zwischen den Wirtschaftsakteuren. Wenn der Rubel unterbewertet ist, werden den Importeuren Vermögenswerte entzogen: die normalen Verbraucher, die ausländische Waren kaufen, leiden, sowie die eigene Produktion: das verarbeitende Gewerbe und insbesondere Landwirtschaft mit einem hohen Anteil an importierten Maschinen, Düngemitteln, Saatgut usw. Die russischen Exporteure (und das sind 70 % der Rohstoffunternehmen) schwimmen in Rubelliquidität….

Nach Angaben der FCS, entfielen im Jahr 2016 47 % der russischen Importe auf Maschinen und Ausrüstungen und 18 % auf Chemikalien [29]. Und das sind Traktoren und Mähdrescher, Transportmittel und Werkzeugmaschinen, Düngemittel und Chemikalien – die wichtigsten Bestandteile der Produktionskosten von Gütern des täglichen Bedarfs. Gleichzeitig sind die Rohstoffindustrien zu den wichtigsten Profiteuren des billigen Rubels geworden. Der Anteil von Erdöl und Erdgas an den Inlandsausfuhren liegt selbst bei einem zweifachen Rückgang der Preise für diese Rohstoffe jetzt bei 60 %. Die Rohstoffsektoren konnten aufgrund der hohen Rentabilität einen steigenden Anteil der Investitionen in der heimischen Wirtschaft absorbieren, der für die Erschließung neuer Felder erforderlich ist [30, S. 18]. Die privilegierte Stellung der Rohstoffindustrie aufgrund des unterbewerteten Rubels führt dazu, dass es rentabler wird, Brennstoffe zu exportieren als sie im Inland zu verkaufen. Dies führt zu einer Verknappung des Angebots auf dem heimischen Markt und zu einem zusätzlichen Anstieg der Preise für Brennstoffe und Energieerzeugnisse auf dem Inlandsmarkt. Der unterbewertete Rubel verringert die Effizienz bei der Aufnahme von Fremdwährungskrediten und schwächt Russlands Rolle als Investor in der Weltwirtschaft, da ausländische Vermögenswerte zu teuer werden.

Zusammenfassend stellen wir fest, dass Kapitalabflüsse für die Volkswirtschaften der globalen Peripherie, die in nicht-äquivalenten Austauschbeziehungen zu den Industrieländern stehen, typisch sind. Da Russland als Rohstofflieferant Teil des globalen kapitalistischen Systems bleibt, scheint der Kampf gegen die Kapitalflucht sinnlos und vergeblich. Auch die immer häufigeren Forderungen nach Rückgabe von Gold und Devisenreserven, die in Wertpapieren ausländischer Staaten angelegt sind, lassen Zweifel aufkommen. Wenn das derzeitige sozioökonomische Modell beibehalten wird (dominiert von rohstoffbasierten Industrien und Öffnung für den Weltmarkt durch die WTO-Mitgliedschaft) würde das Land nur einen Rückgang der Exporteinnahmen und Haushaltsungleichgewichte erleiden.

Es ist nicht möglich, ein Element zu ändern und gleichzeitig das System unverändert zu lassen. Der Kampf gegen den Kapitalabfluss aus Russland muss mit der Ausarbeitung einer neuen Strategie für die Entwicklung der nationalen Wirtschaft und ihrer Reindustrialisierung einhergehen. Verwendung von Planungsmechanismen, wirtschaftlicher Aufschwung in Russland. Der Staat sollte seine Ressourcen auf einige der wichtigsten Branchen konzentrieren, Industrien, vor allem wissensintensive Industrien. In diesem Fall wird die Einbehaltung des abfließenden Kapitals aus Russland zu einer Quelle von Startinvestitionen, und die Stärkung des Rubelkurses wird es ermöglichen, diese Industrien schnell und billig mit moderner Ausrüstung auszustatten.

Durch die Stärkung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Industrien wird Russland die Möglichkeit haben, in einer neuen Rolle auf dem Weltmarkt aufzutreten und sich mit Produkten zu versorgen, die es derzeit in großen Mengen importiert. Bleibt es jedoch bei der derzeitigen sozioökonomischen Strategie, die in erster Linie auf den Schutz der Interessen der Rohstoffkonzerne abzielt, so ist die Umsetzung einer solchen Regelung zweifelhaft.“

Dieser lange und umständlich übersetzte Bericht war zur wissenschaftlichen Erklärung der Entwicklung der russischen Wirtschaft notwendig. Nach den westlichen Sanktionen sehen wir nicht zufällig, dass der Rubel plötzlich gegenüber Dollar und Euro stark gewachsen ist (von 80 – 90 im Februar, bis zu 60 und früher sogar 50 Rubel für einen Dollar). Die Mechanismen der Absenkung des Rubels haben aufgehört zu wirken (nun werden sie wiederhergestellt, nach Angaben von Komolov selbst, deswegen sehen wir kein weiteres Wachstum der russischen Devisen – Russland exportiert Rohstoffe weiter und soll zugunsten der Exporteure den Rubel unten halten).

Somit ist Russland ein typischer Staat der kapitalistischen Peripherie. Obwohl keine schwarz-weiße Sicht möglich ist, denn es gibt auch Kapitalexporte und Kapitalfluss nach Russland, der Kapitalabfluss aber doch deutlich überwiegt, und die Position als Lieferant billiger Rohstoffe für Europa ist alles andere als gesund und bereichernd für das russische Volk. Putin hat diese Situation keineswegs verändert, und bereits in der späten Gorbatschow-Sowjetunion war die Rolle der Rohstoffexporteur nicht prinzipiell anders (18), aber in der UdSSR gab es natürlich keinen Kapitalabfluss in westliche Banken, sowie auch kein Privateigentum auf diese Kapitale.

In Russland herrscht eine Kompradoren-Bourgeoisie, Rohstoff-Könige, die sehr wenig an der territorialen Integrität und Unabhängigkeit Russlands interessiert sind. Auch wenn die Russische Föderation auf viele kleine Subjekte geteilt und komplett ausgeplündert wird, auch wenn ausländische Unternehmen direkten Zugang zu Öl und Gas bekommen, erhalten diese Oligarchen trotzdem ihren Anteil an Profiten und werden damit zufrieden sein. Sie haben Villen und Schlösser im Westen, ihre Kinder haben westliche Bildung bekommen und fühlen sich ohnehin weniger als Russen, mehr als westliche Weltbürger. Ein Teil der hohen Beamten verhält sich genauso und bedient die Interessen von diesen Kompradoren.

Es gibt allem Anschein nach eine andere Fraktion von Beamten um Putin, die eine relativ selbständige Politik Russlands unterstützt. Die Putin-Regierung versucht alternative Verbündeten zu finden und auch gewisse soziale Errungenschaften zu erhalten (obwohl hier gibt es auch Einbußen, wie z. B. Erhöhung des Rentenalters oder „Optimierung“ der Bildung und Medizin).

Ausgehend aus den bekannten Fakten der Umkreisung Russlands durch die NATO (hier kann ich auf den hervorragenden Artikel des Genossen Kissel der KO verweisen, 19) und generell aggressiver Politik und Rhetorik, kann man schließen, dass die heutige Situation in Russland für den kollektiven Imperialisten unzureichend ist. Die reichen Ressourcen dieses Landes sollen noch billiger und ganz ohne Bedingungen verkauft werden, womöglich möchten die US-Konzerne einfach selbst die Kontrolle übernehmen und Russland nach Belieben zerlegen. Genau deswegen wurde die Ukraine und teilweise auch eine Reihe anderen Nachbarländern zu einem „Militärischen Stützpunkt“ (4) gegen Russland verwandelt.

Zu den politischen Voraussetzungen und Einzelheiten um die Spezialoperation wurde bereits viel geschrieben, und ich will das hier nicht wiederholen.

Fazit

Aus dem, was oben geklärt wurde, ist eindeutig klar, dass:

  1. Russland ein Land der imperialistischen Peripherie ist, ihre Wirtschaft wird ausgebeutet und hat wenig Möglichkeiten, sich zu entwickeln, die Profite aus Russland fließen überwiegend zum kollektiven Imperialisten.
  2. Die russische Regierung führt dennoch eine selbständige Politik und will zumindest politische Unabhängigkeit, territoriale Integrität und ein gewisses Lebensniveau für das Volk erhalten.
  3. Die eigene Großbourgeoisie ist in großen Maßen eine Kompradorenbourgeoisie und steht auf der Seite des kollektiven Imperialisten.
  4. Die Krise in der Ukraine wurde seit 2014 und eigentlich noch viel früher von den Diensten des kollektiven Imperialisten vorbereitet, mit dem Ziel, Russland politisch in die Schranken zu weisen und es nach Möglichkeit auch so zu zerlegen, dass es nicht mehr selbständige Entscheidungen treffen kann (keine Atomwaffen, keine große Armee, Territorien teilen usw).
  5. Es gibt keinen Zweifel, dass die Politik der westlichen Imperialisten und der NATO höchst gefährlich auch für die Arbeiterklasse Russlands ist. Der oben beschriebene „Sieg“ über Russland und die Entnahme seiner Unabhängigkeit bedeutet auch eine massive Verschlechterung der Lage der Arbeiterklasse, ökonomisch und politisch (Stichwort „Dekommunisierung“).
  6. Die Arbeiterklasse der Ukraine leidet jetzt bereits mindestens seit 2014 unter dem faschistischen und komplett abhängigen Regime (Ähnliches würde der kollektive Imperialist auch gerne in Russland sehen.) Neben einer sehr schlechten sozialen Lage, Antikommunismus und teilweise (insbesondere im Osten und Süden) faschistischem Terror, gab es nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums sogar biologische Experimente an Menschen durch biologische Testanlagen der NATO. Selbstverständlich bringt auch der aktuelle Krieg ein enormes Elend über das ukrainische Volk. Die Beendigung dieses Krieges ist sehr wünschenswert. Aber da der Krieg bereits ausgebrochen ist, soll er dann beendet werden, wenn die Interessen aller beteiligten Völker – die von Russland, vom Donbass und von der Ukraine – geschützt werden, und nicht im Interesse des kollektiven Imperialisten, der unter dem Vorwand von „Kindertränen“ (Dostojewski) sehr gerne die Krim und den Zugang zur Schwarzmeerküste, die reichen Ressourcen von Donbass und Tavrida und in der Perspektive auch die Zerlegung Russlands und seine vollständige Abhängigkeit bezwecken möchte.
  7. Dieser Krieg kann nicht als „zwischenimperialistisch“ bezeichnet werden, weil gerade die größte russische Bourgeoisie nicht an diesem Krieg interessiert ist, was auch durch die zahlreichen Äußerungen der Oligarchen und die Abwanderung z.B. von Chubais, Prochorov und anderen Superreichen belegt werden kann. Das ist nicht der Krieg, den „russische Imperialisten“ führen, sondern der Krieg der national orientierten Bourgeoisie und patriotischen Beamten bei großer Unterstützung des Proletariats (75% Unterstützung nach Umfragen, große Bewegung der Freiwilligen).

Das ist ein antiimperialistischer Verteidigungskrieg.

  • Die weltweiten Ambitionen der Imperialisten werden durch diesen Krieg ausgebremst. In diesem Sinne ist jede Äquidistanz, jede Verurteilung Russlands als „auch Aggressor“ und „auch Imperialist“ ein Verrat an der internationalen Solidarität.

Literaturverzeichnis

  1. Vasilis Opsimos (2017): Lenins Theorie über den Imperialismus und ihre Verzerrungen. KOMEP, Heft 02/2017, Übersetzung: Franz Holzer
  2. Lenin Werke, Band 31, S. 228. „Bericht der Kommission für die nationale und die koloniale Frage“.
  3. Stalin Werke, T.7, S. 189. „Über die Perspektiven der Revolution in China“.
  4. Kim John Il, Ausgewählte Werke T 1.  August 1960-Juni 1964
  5. Ernesto Che Guevara. „Botschaft des Kommandanten Che Guevara an die Völker der Welt, vermittelt durch die Trikontinentale“, 1966.
  6. Michael Opperskalski. „Einige Thesen zur sogenannten „Neuen Weltordnung“, in: „Imperialismus und anti-imperialistische Kämpfe in 21. Jahrhundert“, 28/29 Oktober 2020, Hrsg: Offensiv.
  7. Stiller, „Kritik zu Notwendigkeit der Klarheit über die ökonomische Struktur Russlands“ in: Offensiv 04-2022.
  8. E.Cervi, S.Vicario „Die Notwendigkeit der Klarheit über die ökonomische Struktur Russlands“ in: Offensiv 02-2022.
  9. F. Flegel, J. Geppert „Ökonomische Analyse Chinas“, 2019.
  10. W.I. Lenin. „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, 1916. Verfügbar Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus [Inhaltsverzeichnis] (mlwerke.de), letztes Mal geprüft 25.08.2022.
  11. Дзарасов, Р. С. Развитие в современном мире. Возможен ли национально ориентированный капитализм? / Р. С. Дзарасов // Экономика мегаполиса и регионов. – 2013. – № 1(48). – С. 8–35.
  12. Самир Амин. Американский империализм, Европа и Ближний Восток. 2004. Verfügbar: Самир Амин. Американский империализм, Европа и Ближний Восток (archive.org) letztes Mal geprüft 25.08.2022.
  13. Statista.de. USA und China – Vergleich des Militärs 2015 | Statista
  14. Statista.de de.statista/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/
  15. Friedrich Engels. „Vorwort zu englischer Ausgabe (1892) der „Lage der arbeitenden Klasse in England“. Verfügbar unter Friedrich Engels – Vorwort zur englischen Ausgabe (1892) der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ (mlwerke.de)  letztes Mal geprüft 25.08.2022.
  16. W.I. Lenin „Der internationale Sozialistenkongress in Stuttgart“. Verfügbar unter: Wladimir I. Lenin 19071102 Der Internationale Sozialistenkongress in Stuttgart – Sozialistische Klassiker 2.0 (google.com)    letztes Mal geprüft 25.08.2022.
  17. О. Комолов. «Отток капитала из России в контексте мир-системного анализа». Verfügbar unter: Отток капитала из России в контексте мир-системного анализа – тема научной статьи по экономике и бизнесу читайте бесплатно текст научно-исследовательской работы в электронной библиотеке КиберЛенинка (cyberleninka.ru)
  18. Внешняя торговля СССР. Внешняя торговля СССР | Проект «Исторические Материалы» (istmat.org)
  19. Ph. Kissel. „Zur Kritik der „Joint Statement“ und zur NATO-Aggression gegen Russland“.

Verfügbar unter: Zur Kritik am „Joint Statement“ und zur NATO-Aggression gegen Russland | Kommunistische Organisation


[1] Da ich diesen Text nur auf Russisch finden konnte, gebe ich ihn hier in meiner Übersetzung.

Interview: „Im Donbass kämpfen die Menschen gegen ein faschistisches Regime“

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Interview mit Renate Koppe (DKP) über die Volksrepubliken und ihre
Entwicklung sowie über die Rolle Russlands und die Militäroperation. Der Podcast zum Nachhören findet sich hier.

Der Situation vom Februar 2022 ging eine geplante Invasion der ukrainischen Armee in den Donbass voraus. Dann hat die Anerkennung der Volksrepubliken stattgefunden und auch der militärische Beistand durch die Russische Föderation. Wie war die Lage in den Monaten vor dem Februar 2022? Stand ein Angriff der ukrainischen Armee bevor und was hätte das bedeutet?
 
Bereits vor der Anerkennung hat sich die Lage verschlechtert. Gut war sie nie. Ab Februar 2022 hat der Beschuss stark zugenommen und ukrainische Truppen wurden am Donbass konzentriert. Ab diesem Moment ist die Lage eskaliert. Es gibt viele Hinweise, dass ein Angriff bevorstand. Die ukrainische Regierung hat auch immer wieder angekündigt, dass eine militärische Rückeroberung durchaus zu ihren Optionen gehört – im Übrigen auch der Krim. Ein Erlass der Regierung Selensky vom Frühjahr 2021 sah das vor. Wenn die ukrainische Armee den Angriff hätte ausführen können, wäre die Lage jetzt katastrophal, weil es ihnen möglicherweise gelungen wäre, die Front weiter in den Großraum Donezk zu schieben. Ich bin allerdings keine Militärexpertin und daher nicht in der Lage, das umfassend zu bewerten.
 
Viele linke Organisationen, darunter auch wir, haben die Militäroperation nicht kommen sehen, manche hatten Hoffnung, dass es zu Verhandlungen kommt. Aber man konnte ja auf der russischen Seite auch Militärbewegungen beobachten. Wie hast du das gesehen?
 
Es gab vorher Militärbewegungen auf russischer Seite. Es gab in der Oblast Rostow zusätzliches russisches Militär. Das heißt aber nicht automatisch, dass es auch eingesetzt wird. Viele, auch die Menschen vor Ort, hatten die Hoffnung, dass die Ukraine damit an den Verhandlungstisch gezwungen werden kann. Als die Russische Föderation die Volksrepubliken anerkannt hatte und gleichzeitig die Freundschafts- und Zusammenarbeitsverträge einschließlich militärischer Unterstützung unterzeichnet wurden, da war mir schon irgendwie klar, dass zumindest im Donbass russische Truppen sein werden.
 
Neben der geplanten Invasion in den Donbass seitens der Ukraine spitzte sich auch die Aggression der NATO mit der Diskussion um die Aufnahme der Ukraine in die NATO, mit zehn geplanten NATO-Manövern in der Ukraine und weiteren Provokationen zu. Russland hat auf Verhandlungen gedrängt und verschiedene Vorschläge gemacht, die aber alle einfach abgewatscht wurden. Gleichzeitig wurde die militärische Drohkulisse der NATO ständig erhöht. War die Anerkennung der Volksrepubliken durch die Russische Föderation lediglich ein Vorwand für Russland, um zu intervenieren oder was ist wirklich die Bedeutung der Anerkennung der Volksrepubliken?
 
Die Anerkennung hat es natürlich erst mal über einen völkerrechtlichen Vertrag ermöglicht, dort einzugreifen. Das ist auch nichts, was aus dem Nichts kam. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) fordert schon seit 2014, dass das Ergebnis der beiden Referenden anerkannt werden muss und damit auch die Anerkennung der Volksrepubliken als souveräne Staaten. Eine Begründung war, dass dann die Möglichkeit besteht, die Bevölkerung zu schützen. Wie der Schutz dann aussieht, wurde offengelassen. Das hängt schließlich auch davon ab, wie sich die Verhandlungssituation in so einem Fall entwickelt. Ich halte es deshalb nicht für einen Vorwand, sondern eher für einen Punkt, an dem die russische Regierung auch ein wenig von Links getrieben worden ist.

Es ist zudem nicht der einzige Grund für das Eingreifen – da geht es nicht nur um den Donbass. Die Ukraine ist seit 2014 zu einem Brückenkopf, einer Speerspitze gegen die Russische Föderation ausgebaut worden. Das war der Sinn hinter dem vom Westen stark unterstützten Putsch im Jahr 2014. Seit 2021 war die offizielle Doktrin der ukrainischen Regierung, dass auch die Krim – wenn nötig – militärisch erobert werden soll.

Insgesamt ist es meines Erachtens so, dass der Imperialismus Russland wieder in einen abhängigen Zustand bringen will, wie es auch nach 1991 unter Jelzin der Fall gewesen ist. Diese verschiedenen Aspekte – also die Frage des Donbass und die Bedrohung Russlands – kann man nicht trennen. Dazu kam die Ankündigung der Ukraine auf der Münchner Sicherheitskonferenz, wieder ein Atomwaffenstaat zu werden, indem Selensky die Aufkündigung des Budapester Memorandums angedroht hat. Das hat Selensky kaum aus einer Laune heraus gesagt, das war mit den NATO-Ländern abgesprochen.

Aber geht es hier nicht auch um Einflusssphären, Rohstoffe und die Vergrößerung des Einflussgebiets der RF unter anderem durch die Forderung, dass die Volksrepubliken Teil der Russischen Föderation werden?
 
Der Wunsch, dass die Republiken Teil oder Mitglied der russischen Föderation werden, ist vorhanden und wird in den Volksrepubliken breit unterstützt. 2014 haben viele gehofft, dass die Referenden ein erster Schritt sind, um so vorgehen zu können wie die Krim. Das ist damals nicht möglich gewesen, denn die russische Regierung wollte das nicht. Es gibt das Interesse Russlands, dass das Nachbargebiet nicht unter NATO-Einfluss kommt und zu einem NATO-Aufmarschgebiet wird, das ist richtig. Aber für Russland geht es nicht darum, imperialistische Interessen zu vertreten, sondern seine eigene Souveränität als Nationalstaat behalten zu können und nicht zu einer Halbkolonie herabzusinken. Russland ist in weiten Teilen vom Westen abhängig. Etwa 60% der russischen Großindustrie stehen unter Einfluss von westlichem Kapital. Da stellt sich mir die Frage, was wäre dann überhaupt ein so genannter russischer Imperialismus?

„Russland geht es nicht darum, imperialistische Interessen zu vertreten, sondern seine eigene Souveränität als Nationalstaat behalten zu können und nicht zu einer Halbkolonie herabzusinken.“

Ein Land, das teilweise halbkolonial abhängig ist, kann nicht als imperialistischer Player gesehen werden. Natürlich ist es ein kapitalistisches Land. Natürlich gibt es dort auch Monopole – aber diese haben einen anderen Charakter. Sie sind entstanden durch die Aneignung des ehemaligen sozialistischen Eigentums durch die Oligarchen und eine Kompradorenbourgeoisie. Natürlich liegt der Erhalt der nationalen Souveränität im Interesse eines großen Teils des russischen Kapitals, allerdings nicht des gesamten Kapitals. Ein Teil der russischen Oligarchen, die sehr westlich orientiert sind und großen Einfluss haben, steht dem Militäreinsatz keineswegs freundlich gegenüber.

Es gibt in der Ukraine Rohstoffe, allerdings ist die Russische Föderation ein sehr rohstoffreiches Land. Ich glaube nicht, dass ein solcher Krieg von einem Land mit so vielen Rohstoffen geführt werden würde, nur um Rohstoffe zu gewinnen. Und in den Donbass müsste erstmal ganz viel Geld reingesteckt werden, unmittelbarer oder mittelfristiger Profit ist da nicht zu erwarten.

Ich sehe hier tatsächlich einen Krieg zur Verteidigung der eigenen nationalen Souveränität und das liegt keineswegs nur im Interesse des Kapitals. Zu verhindern, dass ein Land in einen kolonialen Abhängigkeitsstatus gerät, liegt in einem nicht-imperialistischen, kapitalistischen Land nicht nur im Interesse der Bourgeoisie. Die Kampfbedingungen werden in einem solchen Abhängigkeitsstatus für die Arbeiterklasse nicht besser.
 
Kommen wir zu einem weiteren Gegenstand der Diskussion in der kommunistischen Bewegung. Es wird gesagt, dass die Verteidigung des Donbass gerechtfertigt sei, aber die Militäroperation darüber hinaus – das heißt in andere Gebiete der Ukraine – nicht. Was würdest du dazu sagen, Renate?
 
Ja, diese Diskussion gibt es auch in unserer Partei. In unserem Parteitagsbeschluss vom Mai haben wir das erstmal als Dissens formuliert und nicht versucht, diese Frage durch eine Kampfabstimmung zu lösen, was ich auch gut finde. So löst man solche Fragen nicht, die mitten in einer Diskussion sind. Im Beschluss wurde formuliert, dass die militärische Unterstützung der Republiken des Donbass in unseren Augen dem Völkerrecht entspricht, dass aber die Frage des militärischen Eingreifens in den übrigen Gebieten der Ukraine bei uns umstritten ist.

Ich würde hier zwei Aspekte nennen: Ich bin schon der Meinung, dass das nicht zu umgehen war und auch dem Völkerrecht entspricht. Es wäre schlichtweg nicht möglich gewesen, den Donbass zu befreien und dort Frieden zu gewährleisten, wenn nicht gegen das militärische Potenzial der Ukraine vorgegangen wird und letzten Endes auch gegen das nationalistische und faschistische Regime. Das jetzt erstmal zur Donbass-Frage. Auch das Problem, dass die Ukraine zu einer Speerspitze gegen Russland aufgebaut wurde, wäre allein durch die Befreiung des Donbass nicht gelöst worden. Ich denke, es ist sehr schwierig zu einem Aspekt ja zu sagen und zu dem anderen nein, da sich die Sachen einfach nicht trennen lassen und das eine ohne das andere wahrscheinlich unmöglich wäre. Insgesamt handelt es sich um ein defensives Vorgehen, wenn es auch teilweise auf offensive Weise erfolgt.
 
Ist es nicht ein Fehler, sich auf die eine Seite eines kapitalistischen Landes zu stellen und dieses als Opfer zu betrachten und den Krieg als gerecht zu bezeichnen? Leidet die Arbeiterklasse nicht im Krieg?
 
Die Arbeiterklasse leidet natürlich. Menschen leiden immer im Krieg. Auch in Befreiungskriegen leiden Menschen auf der Seite derjenigen, die sich befreien. Die Frage ist dennoch, was dort in welchem Interesse ist. Zum einen verteidigt Russland seine Souveränität, zum anderen muss man die Auseinandersetzung im Kontext der gesamten Lage der Welt sehen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Russland hier durch das sozialistische China unterstützt wird. China ist nicht neutral, sondern eng mit Russland verbündet. Es geht darum, gegen die Dominanz des US-Imperialismus anzugehen. Dadurch ist ein kapitalistisches Land wie Russland gezwungen, sich mit einem ökonomisch starken, sozialistischen Land wie China relativ eng zu verbünden. Das wird von manchen Teilen der herrschenden Klasse in der BRD auch als Befürchtung geäußert. Aber über den Charakter der Volksrepublik China können wir an dieser Stelle nicht diskutieren. Das würde zu weit führen.

Wie kann ein Angriff ein Verteidigungsakt sein und kann es einen gerechten Krieg eines kapitalistischen Landes geben?
 Meines Wissens bezieht sich die Frage eines gerechten Kriegs bei Lenin durchaus nicht nur auf Kriege sozialistischer Länder, die sich verteidigen. Das sind die einfachen Fälle. Aber auch Kriege von Ländern, deren Souveränität vom Imperialismus direkt bedroht ist, würde ich unter Verteidigungskriege fassen. Es ist hier ein defensives Vorgehen, das in einer sehr offensiven Form stattfindet. Das macht die Einschätzung schwieriger und das macht auch teilweise die Argumentation hier schwieriger, z.B. in Zusammenhängen der Friedensbewegung. Dort ist es manchmal recht schwer klarzumachen, dass der Aggressor dennoch die NATO ist. Wir können von Russland und auch von der russischen Bevölkerung nicht erwarten, dass sie es uns leichter machen, in der Friedensbewegung zu argumentieren. Das ist nicht ihre Aufgabe.
 
Kommen wir etwas genauer zu den Volksrepubliken. Wer waren die Träger des Aufstands im Donbass 2014 und handelte es sich dabei um eine sozialistische Revolution?

Es gibt ausführliche Argumentationen von Genossen der KP der DVR, in denen sie analysieren, wer eigentlich der soziale Träger 2014 im Donbass war. Sie sehen dort nicht die Arbeiterklasse als die führende Kraft des Aufstands, sondern kleinbürgerliche Elemente, die stark von der Arbeiterklasse, beispielsweise Bergarbeitern und Metallarbeitern, unterstützt wurden. Es wird nicht als sozialistische Revolution interpretiert. Was es natürlich gegeben hat, war eine starke prosowjetische Stimmung in einem Großteil der Bevölkerung. Aber das führt ja nicht allein zu einer sozialistischen Revolution. Dafür braucht man auch eine Organisation der Arbeiterklasse, die wirklich politisch an der Spitze steht und die gab es damals nicht.

Die Menschen haben sich gegen einen faschistischen und nationalistischen Putsch gewehrt und waren zunächst fassungslos, dass sie mit schweren Waffen angegriffen wurden. Sie haben sich also gegen den Putsch gewehrt und vor allem dagegen gewehrt, dass Russland und Russen und die russische Sprache, die die Mehrheit im Donbass stellen, als Feindbild dargestellt werden. Im Donbass konnte sogar der militärische Angriff zurückgewiesen werden, den die Ukraine mit westlicher Unterstützung durchgeführt hat und damit einen Bürgerkrieg ausgelöst hat. Es war kein Krieg, in den Russland involviert war, sondern ein Bürgerkrieg, bei dem die eine Seite eine vom Westen unterstützte Putschregierung war. So hat der Krieg angefangen.

Sie haben den Kampf weitergeführt und ihr Recht auf Selbstbestimmung erkämpft und sich von der Ukraine getrennt. Es ist darum gegangen, einen Staat aufzubauen, in dem beispielsweise Bodenschätze und Grund und Boden Staatseigentum sind und das ist auch bis jetzt noch der Fall. In den gemeinsamen Bestrebungen der kleinbürgerlichen Schichten und der Arbeiterklasse gegen die Kompradorenbourgeoisie ist zudem recht viel gelungen.

Wenn es sich nicht um den Aufbau des Sozialismus dreht und die Arbeiterklasse nicht die politische Führung hatte, ist dann der Begriff der Volksrepubliken überhaupt haltbar?
 
Wenn man unter Volksrepubliken nur sozialistische Republiken verstehen würde, wie zum Beispiel die Volksrepublik Polen oder andere, dann wären es keine Volksrepubliken. Aber beispielsweise auch in der DDR ging es zunächst um eine demokratische Umgestaltung, allerdings unter anderen Kräfteverhältnissen und der Bedingung der Präsenz der Sowjetunion. Dadurch konnte der Begriff eine andere Bedeutung annehmen. Im Donbass ist der Begriff mit Bezug auf die sowjetischen Traditionen gewählt worden. Die Menschen im Donbass haben beschlossen, diese Bezeichnung für ihre Republiken zu wählen. Dafür gab es eine breite Unterstützung. Das muss man akzeptieren und sich nicht davon distanzieren. Natürlich gibt es in so einer Situation Klassenauseinandersetzungen, aber es gibt eben auch Erfolge.

Wir haben doch solche Situationen auch in anderen Ländern. In Venezuela beispielsweise sehen wir viele Widersprüche und auch Handlungen der Regierung gegen die KP. Aber wir sehen einen antiimperialistischen Kampf, der keineswegs unmittelbar zum Sozialismus führt. Aber in der Bevölkerung gibt es eine Hinwendung zum Sozialismus oder zu sozialistischen Konzepten. Das ist ein großer Unterschied zu Ländern, in denen die Regierung oder Staatsräson nationalistisch oder faschistisch ist, wie es in der Ukraine der Fall ist.

Wie sind die Kampfbedingungen und die Möglichkeiten im Donbass aktuell?

Die Kommunisten, damals noch als Teil der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU), waren maßgeblich an der Organisierung des Referendums und der Formulierung der Souveränitätserklärung beteiligt. Bei den Wahlen 2015 und 2018 wurden die Kommunisten nicht zugelassen, die KP hat es auch schwer, in die Medien zu kommen. Auf der anderen Seite ist die KP nicht verboten und hat ziemlich breite Aktionsmöglichkeiten, auch solche die wir hier nicht haben. Sie kann in Schulen gehen und dort Unterrichtseinheiten zur sowjetischen Geschichte durchführen. Die Situation ist also widersprüchlich, aber in keiner Weise mit der in der Ukraine zu vergleichen, wo mit brutaler Gewalt gegen alles Linke und inzwischen gegen jegliche Opposition vorgegangen wird. Es gibt also Antikommunismus, aber dennoch haben die Kommunisten Möglichkeiten, aktiv mit der Bevölkerung zu arbeiten.

Wie ist der Einfluss Russlands zu bewerten?

Man kann auf keinen Fall sagen, dass die Republiken ein Projekt der RF sind. Sie sind ein Projekt der Bevölkerung, die dort lebt. Die Regierung der RF hatte an den Referenden und der Ausrufung der Republiken 2014 kein sonderliches Interesse. Sie hat sogar die Führung des Aufstands aufgefordert, das Referendum zu verschieben, worauf diese allerdings nicht eingegangen ist.

Natürlich gibt es einen Einfluss Russlands, auch weil die Bevölkerung sich sehr stark auf Russland bezieht. Die Mehrheit hatte die Hoffnung, dass es einen ähnlichen Verlauf wie auf der Krim geben könnte, also einen Eintritt in die RF. Allerdings ist dieser Einfluss nicht nur negativ zu bewerten, beispielsweise war die humanitäre Hilfe durch die RF sehr wichtig.

Dass mit dem Einfluss auch politisch bürgerliche und zum Teil antikommunistische Tendenzen verstärkt wurden, ist richtig. Man kann von einem kapitalistischen Land nicht erwarten, dass es den Aufbau von Verhältnissen, die vielleicht Richtung Sozialismus gehen, unterstützt. Aber die RF hat durch die Hilfe und die Unterstützung der Bevölkerung verhindert, dass die Ukraine die Republiken wieder zerstören konnte.

Auch Minsk geht auf die Initiative Russlands zurück und war der Versuch, eine breite militärische Auseinandersetzung einzudämmen und zu Verhandlungen zu kommen. Es hat sich nur sehr schnell herausgestellt, dass es nicht funktioniert, weil die Ukraine auf Betreiben des Westens sich nicht darauf eingelassen hat und auch nicht darauf einlassen sollte. Russland hat insgesamt eine zwiespältige Rolle, nicht eine einseitig negative.

Beispielsweise wurden 2017 viele Betriebe unter äußere Verwaltung gestellt – ein Fortschritt gegenüber den vorherigen Eigentumsverhältnissen. Eine wirkliche Nationalisierung konnte aber nicht durchgesetzt werden. Bei dieser äußeren Verwaltung hat russisches Kapital eine große Rolle gespielt und spielt es noch. Unter den gegebenen Verhältnissen wäre das vermutlich gar nicht anders zu lösen gewesen. Da läuft ein Klassenkampf und der muss zusammen mit dem in Russland laufen. Der Klassenkampf in der RF hat sich unmittelbar im Verhältnis zu den Volksrepubliken ausgewirkt. Es ist inzwischen ein gemeinsamer Raum des politischen Klassenkampfes. Auch in den Volksrepubliken haben bürgerliche Schichten die Macht. Die Genossen kämpfen für eine Gesetzgebung zur Regelung gesellschaftlicher und politischer Organisationen, sowie zur kommunalen Selbstverwaltung und für den Aufbau von Genossenschaften in der Wirtschaft. Sie stehen an vorderster Front in der Verteidigung der Volksrepubliken.
 
Ist wirklich die Perspektive der Arbeiterklasse mit einer Angliederung an die RF und mit diesem Krieg gerade besser?
 
Mit der Militäroperation werden Gebiete befreit, die seit acht Jahren unter Besatzung und Beschuss des Kiewer Regimes leiden. Ich sehe einen Unterschied zwischen einer bürgerlichen Demokratie, wie sie die RF ist und einem Staat wie der Ukraine. Die Ukraine ist in keiner Weise das, was man als eine bürgerliche Demokratie bezeichnen kann. Man kann darüber diskutieren, was Faschismus in einem Land bedeutet, das voll und ganz vom Imperialismus abhängig ist. In der Ukraine ist nicht in erster Linie das eigene Finanzkapital relevant, sondern das westliche. Dieser Aspekt des Faschismus in der Ukraine ist auffällig. Tatsache ist aber, dass es ein faschistisches Regime ist.

Durch die Anerkennung und die militärische Unterstützung ist es überhaupt erstmals möglich, aus hunderten von Ortschaften und Städten die ukrainischen Faschisten zu vertreiben. Durch die Kampfhandlungen sind die Bedingungen wesentlich schlimmer, als sie es vor dem Krieg waren, aber das ist irgendwann vorbei. Es geht langsam voran, aber es geht nach vorne und nicht mehr zurück. Der Beitritt zur RF, sollte es dazu kommen, entspricht nicht nur dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch den ökonomischen, kulturellen und historischen Verbindungen.
 

Ist Solidarität mit dem Kampf des Donbass wichtig? Warum ist sie gerade für Kommunisten wichtig?

Die jetzige Auseinandersetzung in der Ukraine ist ein Teil eines Kampfes gegen den Imperialismus und insgesamt die Vorherrschaft insbesondere des US-Imperialismus. Der antifaschistische Kampf im Donbass wird im Moment weiter geführt – es sind weiterhin Städte noch nicht befreit. Die Solidarität mit diesem Kampf ist wichtig und richtig. Genauso wie man Solidarität mit anderen antiimperialistischen Kämpfen übt, auch wenn sie nicht immer von sozialistischen Ländern geführt werden. Ja, wir haben das sozialistische Kuba, aber wir haben auch Länder wie Venezuela, die sehr widersprüchlich in ihrem Inneren sind, aber dennoch einen antiimperialistischen Kampf führen. Das wird auch dort von den Genossen nicht bestritten.

Insofern halte ich eine Solidarität mit dem Donbass für sehr wichtig und ich habe manchmal in der Diskussion den Eindruck, dass es leicht war solidarisch zu sein, so lange Leute beschossen wurden und eigentlich nicht viel machen konnten. In dem Moment, wo aber dann eine Befreiung mit Unterstützung möglich wird, dann sieht man das auf einmal nicht mehr so und abstrahiert völlig von den konkreten Bedingungen und – zack, dann steht man auf der Seite der NATO.

Dort im Donbass sind Menschen, die konkret gegen ein nationalistisches, faschistisches Regime kämpfen. Allein das erfordert unsere Solidarität. Natürlich ist auch materielle Solidarität wichtig. Das ist uns nur sehr beschränkt möglich. Es geht aber vor allem um politische Solidarität. Die Genossen aus dem Donbass haben oft gesagt, dass das wichtigste ist, dass wir hier bei uns informieren, was im Donbass wirklich abläuft und dass wir Position beziehen.

Renate Koppe ist Mitglied des Sekretariats des Parteivorstands der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und dort zuständig für internationale Beziehungen. Sie hat enge Kontakte in die Donezker Volksrepublik und zu den Genossen der dortigen KP. Sie verfolgt die Entwicklungen detailliert, schreibt in der „Unsere Zeit“ und informiert in ihrem Telegram-Channel. Renate Koppe wird auf dem Podium „Krieg in der Ukraine“ des Kommunismus-Kongress teilnehmen.