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Solidarität mit dem Roten Antiquariat!

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Am 8. Mai wurde dem Roten Antiquariat auf dem Bebelplatz in Berlin, dem Ort der Bücherverbrennung, der Verkauf von antifaschistischer Literatur polizeilich verboten. Der VVN-BdA, der die Kundgebung organisierte, stellte sich nicht gegen das polizeiliche Vorgehen, sondern duldete dieses sogar noch. Der VVN-BdA, der für sich beansprucht, im Sinne der Verfolgten des Naziregimes antifaschistisch aktiv zu sein, sollte sich öffentlich zu diesem Verhalten erklären.

80 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus wird der Verkauf von antifaschistischer Literatur und das Zeigen von sowjetischen Fahnen verboten. Es ist klar: Die Geschichte wird von oben umgeschrieben – ganz im Sinne der neuen deutschen Kriegsvorbereitung – und Organisationen wie die VVN-BdA stützen den Kurs mit Aktionen wie diesen.

Das können wir nicht hinnehmen. Wir solidarisieren uns mit dem Roten Antiquariat sowie allen anderen Antifaschisten und Kriegsgegnern, die rund um den 8. Mai Repressionen ausgesetzt waren.

Im Folgenden spiegeln wir die Presserklärung des Roten Antiquariats:

„Wie bei vielen anderen Kundgebungen und Demonstrationen in Berlin sonst auch rollte das Rote Antiquariat mit seinem Lastenrad zur Kundgebung der VVN BdA, die am 8. Mai ab 16 h auf dem Bebelplatz stattfand. Kaum angekommen wurde durch 5 schwerbewaffnete Polizeibeamte das Lastenrad samt Bücher kontrolliert und der Verkauf von antifaschistischer Literatur auf dem Bebelplatz, dem Ort der nationalsozialistischen Bücherverbrennung, untersagt.

Eine Solidarisierung von Seiten der veranstaltenden VVN BdA blieb aus. Auf Nachfrage wurde geantwortet, dass es keine Stände gibt, da diese hätten angemeldet werden müssen. Mit barschen Ton durch eine Verantwortliche der VVN BdA wurde unser Kollege unter Anwesenheit schwerbewaffneter Polizisten aufgefordert, keinen Ärger zu machen. Polizei und VVN BdA sprachen somit ein Verbot aus. Während gleichzeitig an einen anderen Stand Getränke verkauft werden durften, wurde im Falle eines Verkaufs bzw. Weiterverbreitung von Büchern mit einer Festnahme und Beschlagnahme gedroht. Unser Kollege baute den Stand ab und verließ die Kundgebung.

Polizei und VVN BdA haben somit den Vertrieb antifaschistischer und sozialistischer Literatur unterbunden. Bücher von AutorenInnen, die Opfer der Bücherverbrennung wurden durften am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus auf einer antifaschistischen Kundgebung auf dem Bebelplatz nicht vertrieben werden. Dies betraf auch Bücher des ehemaligen Vorsitzenden der VVN BdA Hans Coppi.

Das Auftreten von Polizei und VVN BdA ist auch unter einen anderen Gesichtspunkt sehr fraglich. Die Präsenz des rollende Bücherstandes des Roten Antiquariats und anderer mobiler Stände gehört in Berlin zur Demo- und Kundgebungskultur. Die mobilen Stände sind ein Ort der Information und Bildung und werden von vielen Menschen genutzt. Das polizeiliche Vorgehen unter Duldung der VVN BdA erinnert an autoritäre Staaten und wird von uns verurteilt.“

Rotes Antiquariat, Rungestraße 20, 10179 Berlin

Tel.: 030/275 93 500, info@rotes-antiquariat.de

Erklärung des II. Internationalen Antifaschistischen Forums

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Der 80. Jahrestag des Sieges neigt sich dem Ende. Wir spiegeln zu diesem Anlass noch die Erklärung des II. Antifaschistischen Forums, dass auf Einladung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) am 23. April in Moskau stattgefunden hat.

450 Delegierte die 164 Organisationen aus 91 Ländern repräsentierten, nahmen an dem Forum teil. Vornehmlich waren Vertreter kommunistischer Parteien eingeladen, einige demokratische und antifaschistische Organisationen nahmen auch teil. Auch wir waren mit einer Delegation vertreten. 

Das Forum, zu dem anlässlich des 80. Jahrestages des Sieges über den Faschismus geladen wurde, sendet ein starkes und klares Signal an alle fortschrittlichen, antiimperialistischen und antifaschistischen Kräfte weltweit. In einer Phase der Wiederbelebung des Faschismus durch den Westen, konnte ganz praktisch bewiesen werden, worin unsere mächtigste Waffe besteht: Der proletarische Internationalismus und die internationale Solidarität! 

Nie wieder Faschismus und nie wieder Krieg, dass bedeutet Widerstand und Kampf gegen die NATO. Hierzu bestand eine starke Einigkeit auf dem Forum, die Mut macht für unsere Aufgaben hierzulande.

Hoch die Internationale Solidarität! 


Bekämpfung des Faschismus

eine gemeinsame, dringende Aufgabe fortschrittlicher Kräfte weltweit
Aufruf des II. Internationalen Antifaschistischen Forums

Wir, die Teilnehmer des II. Internationalen Antifaschistischen Forums in Moskau, bestätigen und unterstützen das Manifest zur Vereinigung der Völker der Welt „Schützen wir die Menschheit vor dem Faschismus“, das am 22. April 2023 in Minsk während des I. Internationalen Antifaschistischen Forums verabschiedet wurde.

Der Verlauf der Ereignisse hat die Richtigkeit der Einschätzung bestätigt, dass die Ursache für die Aggressivität der Imperialisten in der modernen Welt die Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus ist. Ende des 20. Jahrhunderts schwächte die Konterrevolution in der UdSSR und den osteuropäischen Ländern vorübergehend den sozialistischen Pol der Erde und gab den reaktionären Kräften freie Hand. So, wie bereits in der leninistischen Imperialismustheorie beschrieben, kämpfen die USA und andere kapitalistische Raubtiere mit den abscheulichsten Methoden, bis hin zur Förderung neofaschistischer Regime, um die Weltherrschaft.

In den letzten Jahrzehnten haben sich die Globalisten durch Aggressionen gegen Jugoslawien, den Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien schuldig gemacht. Ein ähnliches Schicksal bereitete und bereitet der Imperialismus anderen Ländern und Völkern vor. Es wurden Versuche unternommen, Staatsstreiche in Belarus, Venezuela und Nicaragua durchzuführen.

Die NATO-Staaten hatten das Ziel, Russland zu dämonisieren, ihm eine militärische Niederlage zuzufügen und es nach dem Vorbild der Beseitigung der Sowjetunion zu zerstückeln. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine aggressive Plattform in der Ukraine geschaffen. Eine der Formen des Faschismus – der Banderismus – wurde massiv unterstützt. Bis Februar 2022 waren in der antirussischen Politik der NATO- Militärs unter Führung der USA fast 50 Satellitenstaaten involviert. Die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Ressourcen des Weltkapitals, einschließlich Söldnertruppen, wurden im Angriff gegen Russland eingesetzt.

In der Ideologie und Politik des Westblocks werden immer deutlicher revanchistische Motive sichtbar. Ihre Anstifter sind dieselben Kräfte, die 1945 von der Sowjetunion und ihrer Roten Armee besiegt wurden. In den meisten westlichen Ländern nehmen Antisowjetismus, Antikommunismus und Russophobie zu. Gegen die Völker Russlands, Chinas, Kubas und der DVRK wird ein Sanktionsdruck entfaltet. Es wird weitgehend auf militärische Drohungen, politische Erpressung und Terrorzurückgegriffen.

Dieselbe bösartige Gruppe, die ukrainische Neonazis mit Geld und Waffen versorgt, unterstützt auch die israelischen Zionisten, die ein Blutbad in Palästina angerichtet haben. Die Imperialisten schüren die Lage in verschiedenen Regionen der Welt und drohen mit einem neuen Weltkrieg. Gleichzeitig verschärfen sich die Widersprüche innerhalb ihres Lagers. Die USA versuchen, ihre wirtschaftlichen Probleme auf Kosten der Unterdrückung jeglicher Konkurrenten, einschließlich der Europäischen Union zu lösen.

Die Frage der Zukunft der Ukraine muss im Interesse der arbeitenden Bevölkerung des Landes und der Ziele eines dauerhaften Friedens in Europa entschieden werden. Versuche, die Frage auf die Wahl eines neuen Präsidenten zu reduzieren, entsprechen nicht diesen Zielen. Jede Wahl unter der Kontrolle neofaschistischer Kräfte würde nur als Feigenblatt dienen, um der Herrschaft der reaktionärsten Kräfte Legitimität zu verleihen. Eine weitere Stärkung des neofaschistischen Regimes in Kiew, seine Aufrüstung mit Waffen, darf auf keinen Fall zugelassen werden. Es bedarf einer Lösung, die die Möglichkeit weiteren Blutvergießens von vornherein unterbindet.

Die Bandera-Henker und ihre westlichen Gönner müssen gerecht verurteilt werden, und das faschistische Regime in Kiew muss vollständig beseitigt werden. Wir betonen, dass eines der Hauptmerkmale der Wiederbelebung des Faschismus in der Ukraine, im Baltikum und anderen Staaten der Antikommunismus ist. Dies entspricht voll und ganz der Praxis der Hitler-Faschisten, die den Antikomintern-Pakt schufen.

Die Völker der Welt müssen alle Versuche einer faschistischen Revanche verhindern. Wir fordern die vollständige Ablehnung aller Formen der Dekommunisierung in der Staatsideologie und Politik. In Bezug auf die Ukraine bestehen wir auf der Aufhebung des Verbots der Kommunistischen Partei, der freien Verwendung der russischen Sprache, dem Verbot der Verherrlichung der Bandera-Anhänger und der Wiederherstellung der zerstörten Denkmäler für antifaschistische Helden.

Der Kampf gegen den Neofaschismus ist die Aufgabe aller denkenden, mutigen und würdigen Menschen des Planeten. Er kann nicht auf später verschoben werden. Er muss hier und jetzt geführt werden – mit allen verfügbaren Mitteln und durch die Vereinigung aller möglichen Verbündeten!

Anlässlich des 80. Jahrestages des Großen Sieges über den Hitler-Faschismus und den japanischen Militarismus im Zweiten Weltkrieg erklären wir:

Eine endgültige Überwindung des Faschismus und der Gefahr von Weltkriegen ist nur möglich, wenn der Imperialismus überwunden wird. Die einzige Kraft, die dies erreichen kann, ist die Arbeiterklasse und die werktätigen Volksschichten unter Führung der Kommunisten.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich der Kampf gegen den Faschismus zu einem Kampf für die sozialistische Erneuerung aller Länder der Welt entwickelt.

Der Kampf gegen den Faschismus duldet keine Pausen oder Waffenstillstände!

Schließt euch den Kämpfern gegen den Neofaschismus, für sozialen Fortschritt und Sozialismus an!

Lasst uns nicht zulassen, dass die Welt in die Luft gesprengt wird!

¡No pasarán! Sie werden nicht durchkommen!

Es lebe die vereinte Front der fortschrittlichen Kräfte!

Russland widersetzt sich in der Ukraine dem Imperialismus

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18 Diskussionsthesen der Kommunistischen Organisation zum Ukraine-Krieg

Die Broschüre ist auch gedruckt bei unseren Ortsgruppen erhältlich. 

Einleitung

Unmittelbar nach Beginn der russischen Militäroperation im Februar 2022 hatten wir uns als KO den Auftrag gegeben, zu den dringenden Fragen zum Ukraine-Krieg zu arbeiten.[1] In mehreren Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse wir zum Teil nach und nach veröffentlichen, haben wir zu diesen Fragen gearbeitet. Diese Thesen sind keine zusammenfassende Darstellung dieser Ergebnisse, sondern formulieren die zentralen politischen Erkenntnisse, die wir gewonnen haben.

Mehr als zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 ist die anfängliche Diskussionswelle in der kommunistischen Bewegung abgeebbt und es scheint, als seien Positionen eingerichtet, zurechtgeruckelt oder hingenommen worden. Wir gehen aber davon aus, dass es weiterhin sehr unterschiedliche Standpunkte und einen großen Bedarf nach Diskussion und Klärung gibt, auch wenn das Bedürfnis dazu nur noch selten artikuliert wird.

Das ist jedoch ein Problem: Wenn in diesen Thesen die Rede davon ist, dass die NATO Krieg gegen Russland führt, dann bedeutet das auch, dass dieser Krieg mit einem möglichen Abkommen in der Ukraine nicht beendet sein wird. Ganz im Gegenteil – die jüngsten Entwicklungen in Deutschland, der USA und EU zeigen: Der große Krieg gegen Russland wird erst vorbereitet. Mit einem historisch unvergleichbaren Kriegskredit und der offenen Ankündigung, diesen Krieg ab 2030 führen zu wollen, stellt sich der deutsche Imperialismus klar auf. Die kommunistische Bewegung ist also nicht mit einer baldigen Beruhigung, sondern mit einer Eskalation der internationalen Situation konfrontiert. Sie wird sie nicht aufhalten können, wenn sie sie nicht versteht oder gar nicht verstehen will.

Diese Thesen sind ein Aufschlag zur Diskussion. Sie sind nicht der endgültige Standpunkt der KO. Wir haben noch viele Lücken, Fragen, Klärungs- und Diskussionsbedarf. Auch in der KO werden einige Punkte weiterhin unterschiedlich eingeschätzt und es gibt viele Fragen, zu denen wir mehr Informationen und Analysen brauchen. Wir halten mit den Thesen einen Zwischenstand unseres Diskussions- und Rechercheprozesses fest, der weiter vertieft werden soll, um unser Verständnis weiter zu schärfen oder an Stellen zu revidieren, wo es nötig ist.

Die Diskussionsthesen sollen zur gemeinsamen öffentlichen Auseinandersetzung beitragen. Wer Kommentare, Kritiken oder Diskussionsbeiträge zu diesen Thesen formulieren will, kann uns diese gern zusenden. Wir freuen uns über Einsendungen.

Die aktuelle Situation und das Problem der Äquidistanz

Krieg ist der schlimmste Zustand, in dem sich die menschliche Gesellschaft befinden kann. Es kommt zu Zerstörungen und Toten, Chaos und Leid. Es ist deshalb umso wichtiger, diejenigen, die den Krieg wollen, planen und in die Welt bringen, zu benennen und zu bekämpfen. Das sind die NATO und an ihrer Spitze die USA. Daran gibt es keinen Zweifel, wenn man sich die Geschichte und die Verhältnisse unverstellt anschaut. Wenn diese Thesen davon sprechen, dass sich Russland in der Ukraine dem Imperialismus widersetzt, dann auch deshalb, weil damit dem Ursprung von Krieg und Zerstörung, der NATO, ein Stoppsignal gegeben wird.

Wer den Blick auf die ganze Welt richtet, wird zustimmen müssen, dass es die NATO-Staaten sind, die nicht nur in Russland und der Ukraine Krieg bringen, sondern auch in Irak, Libyen, Afghanistan, Syrien und in besonders brutaler Weise in Palästina. In zahlreichen afrikanischen Ländern setzen die NATO-Staaten ihre brutale Unterdrückungs- und Destabilisierungspolitik fort, ob im Kongo, im Sudan, im Sahel oder in Kenia. Diese eigentlich auf der Hand liegenden Tatsachen sollen vor allem in den Zentren der NATO-Staaten vertuscht, verschwiegen und verzerrt werden.

Die USA und auch die Bundesrepublik Deutschland haben in der Ukraine ein faschistisches Regime errichtet, das zum Krieg gegen Russland geeignet und bereit ist und von ihnen dazu aufgerüstet und in Abhängigkeit gebracht wurde. Swoboda, Rechter Sektor und andere faschistische, zutiefst antisemitische und antirussische Organisationen wurden hochgezüchtet und mit dem Maidan-Putsch 2014 an die Macht gebracht, um einen Staat aufzubauen, der den Krieg gegen Russland führt.

Diese Thesen sind keineswegs gegen die Ukraine gerichtet – im Gegenteil: Wir treten für die antifaschistische Befreiung der Ukraine von den von der NATO aufgebauten Bandera-Faschisten ein. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die ukrainische und die russische Nation wieder friedlich und miteinander leben können. Wenn die NATO-Offiziere, CIA-Agenten und Think-Tanks aus der Ukraine rausgeworfen wurden, wenn die Bandera-Ideologie und ihr faschistischer Terror besiegt sein wird, werden die Menschen wieder friedlich miteinander leben können.

Die NATO setzt ihre Aggression fort und hat begonnen, mit weitreichenden Raketen russisches Kernterritorium anzugreifen. Die Kommunistische Bewegung ist schlecht aufgestellt für diese Situation. Äquidistanz, also Gleichstellung von NATO und Russland, verhindert nicht nur die Erkenntnis der Lage, sondern auch konsequentes Eingreifen.

Während die Formel vom „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands“ dazu getaugt hat, vor allem die Sozialdemokratie ins Kriegslager zu integrieren, erlaubt das in der Kommunistischen Bewegung verbreitete Schema vom innerimperialistischen Krieg eine passive Haltung, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer revolutionären Rhetorik für die kommunistische Bewegung. Es erlaubt, in Worten weiterhin scheinbar gegen die NATO zu agitieren, erfüllt aber im Wesentlichen die Funktion, eine opportunistische Position in scheinbar revolutionäre Phrasen zu kleiden.

Wer in einem Krieg Angreifer und wer Angegriffener ist, ist keineswegs eine zweitrangige Frage. Für die Propaganda der Herrschenden ist sie zentral zur Rechtfertigung ihrer Rüstungs- und Kriegspolitik. Es ist leichter nachvollziehbar, wenn ein Land Opfer einer Aggression wurde, dass es dann auch unterstützt werden muss. Deshalb ist es auch viel schwieriger zu vertreten, dass dieser Angriff aber gerechtfertigt sein könnte. Es ist also eine der entscheidenden Fragen der Propaganda, des ideologischen Klassenkampfes und damit eine entscheidende Frage für die Kommunisten.

Für die Kommunisten geht es allerdings um mehr als die Frage des Auslösers. In der Theoriebildung des wissenschaftlichen Kommunismus wird Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (Bezug auf Clausewitz ‚ Schrift „Vom Kriege“) begriffen. Das schließt ein, dass, je nachdem, welche Politik „fortgesetzt“ wird, den Krieg unter Umständen auch als gerecht zu bewerten.

Ausschlaggebend für diese Bewertung ist das Verhältnis seines objektiven politischen Inhalts zu den historisch-konkreten Interessen der Arbeiterklasse. Da ihr Kampf als revolutionäre Klasse den Kampf um Demokratie, um nationale Unabhängigkeit und um Frieden miteinschließt, sind aber nicht nur der revolutionäre Krieg unter ihrer Führung gerecht. Auch nationale Befreiungskriege oder antifaschistische Kriege unter Führung nationaler Bourgeoisien können gerechte Kriege sein, genauso wie Bürgerkriege gegen Reaktion und Konterrevolution, unter Beteiligung der verschiedensten Kräfte.

Gliederung

Die Thesen beginnen auf einer allgemeinen Ebene mit der Einordnung der historischen Situation, der Entwicklung des Imperialismus und warum der Kampf um die nationale Frage, das Selbstbestimmungsrecht der Völker der zentrale Kampf ist, in dem die Arbeiterklasse die führende Rolle übernehmen muss.

Im zweiten Teil geht es um die Einordnung des Ukrainekriegs in die Fragestellung des nationalen Kriegs und die Klassenverhältnisse in Russland und darüber hinaus.

Im dritten Teil werden die historischen Entwicklungen Russlands, der Ukraine und der Volksrepubliken des Donbass genauer behandelt, um konkreter nachvollziehen zu können, wie es zu der Entscheidung der Russischen Föderation kam.

Der vierte Teil beleuchtet die Rolle des deutschen Imperialismus im Ukrainekrieg sowie die Aufgaben, die sich daraus für die Kommunistische Bewegung ableiten.

Kriminalisierung und Repression

Die Bundesrepublik hat sich noch nie als besonders demokratischer Staat entwickelt. Sie war von ihrer Gründung an ein Bollwerk gegen Sozialismus, Kommunisten und jede fortschrittliche Entwicklung. In manchen Phasen mag das etwas anders erschienen sein, aber politische Justiz und konsequente Lügenpropaganda sind von Kontinuität geprägt. Aktuell werden andere Positionen zum Ukrainekrieg strafrechtlich verfolgt mit dem Gummi-Gesinnungs-Paragraphen § 140 – Billigung von Straftaten. Dabei ist völlig klar, dass damit jede andere Position zum Krieg als Ganzes kriminalisiert werden soll.

Während man sich mit der neutralen Losung „Weder Putin noch NATO“ wohl kaum Feinde machen wird, übt die BRD massiven Druck auf Kriegsgegner aus, die darlegen, aus welchen Gründen Russland diesen Krieg führt und ob diese Gründe legitim sind. Allein das sagt schon viel aus.

Mit der Verurteilung Russlands als Eintrittskarte in den herrschenden Diskurs kommt man gut davon – egal, wie vermeintlich radikal man sich dann gegen die NATO stellt. Genau dort enden aber auch die Grenzen des Sagbaren und die Grenzen der Meinungsfreiheit. Wer sich vor diesem Gesslerhut der BRD-Propaganda nicht verbeugt, auf den warten Anklagen, Hetzkampagnen und Gerichtsprozesse. Wer es wagt, sich weiterhin in der Frage grundlegend oppositionell zu verhalten, der kann sich seiner Grundrechte nicht mehr sicher sein. Ähnlich ist es bei der Solidarität mit dem Kampf des palästinensischen Volkes gegen Zionismus und Imperialismus.

Wir bestehen auf unser Grundrecht auf Meinungsfreiheit und wir sind bereit, es zu verteidigen. Der billige Versuch, uns deshalb die Billigung von tatsächlichen oder vermeintlichen Kriegsverbrechen zu unterstellen, ist haltlos. Wenn aber die Aussage, dass Russland gute Gründe hatte, so vorzugehen, bereits unter Strafe gestellt werden soll, dann heißt das: Einzig und allein die Ansicht der Bundesregierung („völkerrechtswidriger Angriffskrieg“) sei zulässig. Das wäre offenkundig eine Bankrotterklärung.

In diesen Thesen werden wir nicht alle Fakten und Einschätzungen von Völkerrechtlern anführen können. Dazu dienen sie auch nicht. Sie sollen als inhaltliche Diskussionsgrundlage in der Kommunistischen Bewegung dienen.

Vor Gericht sollten die Politiker sitzen, die das faschistische Maidan-Regime eingesetzt und unterstützt haben, inklusive dessen brutalen Krieges gegen die eigene Bevölkerung und die einen Krieg gegen Russland entfacht haben, Panzer schicken und Soldaten ausbilden. Es sind dieselben, die darauf abzielen, unsere Kinder in den Krieg zu schicken und unser Land „kriegstüchtig“ zu machen. Kennen wir das nicht aus der Geschichte? Sollten sie wiederum nicht auch aus der Geschichte wissen: Sie werden dafür zur Rechenschaft gezogen!

Kurzform

Die nationale Selbstbestimmung der überwiegenden Mehrheit der Völker steht im Widerspruch zur imperialistischen Herrschaft einiger mächtiger Staaten, die den Imperialismus historisch herausgebildet haben.

Der Kampf um die nationale Selbstbestimmung und seine Verbindung mit dem Sozialismus ist die Herausforderung der Arbeiterklasse und unterdrückten Völker.

In der Ära des Imperialismus nehmen nationale Kriege gegen (Neo-)Kolonisierung und Unterdrückung sowie gegen Annektionen und Aggressionen zu. Jeder Krieg muss einer konkreten Analyse unterzogen werden, die Überstülpung der Verhältnisse des Ersten Weltkriegs ist falsch.

Die nationale Selbstbestimmung Russlands und Chinas steht im Fadenkreuz des Imperialismus. Sie sollen als politische Akteure und Möglichkeiten für unterdrückte Staaten, sich gegen die imperialistische Aggression zu schützen, ausgeschaltet werden. Die Strategien der Imperialisten zur Bekämpfung dieser Staaten treffen teils auf Widersprüche untereinander.

In der Ukraine wurde ein faschistisches Regime aufgebaut, um das Land zu einem Aufmarschgebiet gegen Russland zu machen und von dort die nationale Existenz Russlands zu bedrohen.

Die Volksmassen ergriffen die Initiative gegen den NATO-Faschismus. Sie drängten ihn im Osten der Ukraine zurück und gründeten die Volksrepubliken. Sie verteidigten damit das antifaschistische Erbe des Großen Vaterländischen Kriegs.

Die Militäroperation Russlands dient der Verteidigung der nationalen Souveränität und der Verteidigung der Volksrepubliken. Der Einsatz verfolgt nicht das Ziel einer Ausbeutung und Unterwerfung der Ukraine, sondern einer Verteidigung gegen imperialistische Aggression.

Die Arbeiterklasse ist die konsequente Vertreterin des Kampfs um nationale Selbstbestimmung, während die nationale Bourgeoisie ein wankelmütiger Bündnispartner ist. Die Kommunisten stehen an der vordersten Front des Kampfs.

Der Kampf Russlands gegen die NATO ist ein wichtiger Kampf gegen die imperialistische Herrschaft und dient dem Befreiungskampf anderer unterdrückter Völker. Die internationale Front gegen den Imperialismus wird gestärkt.

Nach der Phase der wirtschaftlichen Zerstörung und politischen Demütigung in den 1990er Jahren ist Russland seitdem auf einem Kurs der Stärkung der nationalen Selbstständigkeit, der von der NATO mit allen Mitteln gestoppt werden soll.

Mit der Zerstörung der ökonomischen, politischen und militärischen Machtmittel Russlands soll ein Exempel statuiert werden, um jeglichen Widerstand auszuschalten.

Mit dem Maidan-Putsch, der Aufrüstung des Kiewer Regimes und der gesteigerten militärischen Bedrohung durch die NATO war Russland in die Ecke gedrängt und so zu einem defensiven Gegenschlag gedrängt, um nicht in eine militärisch aussichtslose Lage zu kommen.

Deutschland nutzt den Krieg gegen Russland als Möglichkeit der Aufrüstung und Stärkung der eigenen Macht. Zugleich steht es seitens der USA unter Druck und wird ökonomisch bedrängt. In jedem Fall hat der deutsche Imperialismus ein eigenes Interesse an der Unterwerfung Russlands.

Um gesellschaftliche Kräfte gegen den Krieg der NATO gegen Russland und insbesondere gegen die deutsche Kriegspolitik zu sammeln, ist eine eindeutige und klare Analyse und politische Strategie notwendig, die der „Äquidistanz“-Ideologie etwas entgegensetzt.

Teil I: Zur historischen Einordnung der Situation

1. These: Internationale Konterrevolution

Mit dem Sieg des imperialistischen NATO-Blocks über die UdSSR begann eine Phase der Internationalen Konterrevolution gegen alle fortschrittlichen Kräfte in der Welt. Die USA konnten sich an der Spitze des imperialistischen Lagers durchsetzen.

Im Zuge des internationalen Klassenkampfs gegen das sozialistische Weltsystem hat sich ein Lager herausgebildet, das sich unter den USA als führende Macht organisiert. Es besteht heute weiter und dominiert die „Weltordnung“ seit 1990. In diesem Lager gibt es Widersprüche und Konkurrenz. Das verdeutlichen unter anderem die verschiedenen Strategien zur Einhegung und Unterwerfung Russlands und Chinas. Eine Voraussetzung für seine Stabilität ist, dass die verschiedenen Imperialisten von dieser Weltordnung profitieren.

Das internationale Kräfteverhältnis hat sich durch den Zerfall des sozialistischen Weltsystems stark zugunsten des Imperialismus verschoben, vor allem, weil er über ein zentralisiertes militärisches Kommando und ökonomische Machtstrukturen verfügt. Mit Institutionen wie der NATO, regionalen Kommandostrukturen wie AFRICOM und vielen weiteren, aber auch der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds konnte das imperialistische Lager sein Diktat gegenüber dem Rest der Welt durchsetzen. Viele Staaten verloren wichtige Positionen in ihrer Selbstbestimmung, für die sie auch in der Phase nach der formalen Unabhängigkeit ringen und kämpfen mussten.

Der Konterrevolution folgten Kriege gegen Staaten, die im Wege standen, strategisch wichtig waren oder sich gegen die Unterwerfung und Unterdrückung wandten. Neue Märkte und Expansionsräume für profitable Kapitalakkumulation konnten, ohne die ehemalige Schutzmacht Sowjetunion, entweder ökonomisch erpresst oder freigebombt werden.

Mit Schwankungen befindet sich der Imperialismus seit 2007/08 jedoch in einer tiefen Wirtschaftskrise, die mit konventionellen Instrumenten nicht überwunden werden konnte. Die schwere Überproduktionskrise und die sinkenden Profitraten der imperialistischen Länder einerseits und der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und seine wachsende internationale Rolle andererseits sind die Hauptgründe dafür, dass sich die Hegemonie des Westens in einer historischen Krise befindet. Die imperialistischen Länder sind gezwungen, auf Krieg zu drängen, um neue Märkte zu erobern und alle Kräfte zu brechen, die versuchen, ihre nationale Souveränität gegen den Imperialismus zu verteidigen.

2. These: Widerspruch zwischen Imperialismus und nationaler Selbstbestimmung

Der Imperialismus steht der nationalen Selbstbestimmung vieler Völker direkt entgegen und muss diese so weit wie möglich unterbinden, deformieren oder nur zum Schein gewähren. Die nationale Selbstbestimmung zuvor kolonisierter Länder (Kuba, China, Vietnam) oder von Imperialismus nach der Revolution bedrohter und bekämpfter Länder (Russland/Sowjetunion) war bereits ein wichtiger Teil des Kampfes der sozialistischen Länder gegen den Imperialismus. Er ist in den Vordergrund getreten und stellt aktuell die Hauptbühne des politischen Kampfes der unterdrückten Völker und Klassen dar.

Das sozialistische Weltsystem ist zwar weitgehend zerschlagen worden, aber die Widersprüche des Imperialismus sind damit nicht verschwunden. Er muss ganze Länder ökonomisch ausplündern, militärisch erpressen und politisch unterdrücken, um seine Machtstellung zu erhalten. Aufgrund der ökonomischen Krisenhaftigkeit steigt der Druck, mit allen Mitteln dieses Machtverhältnis aufrechtzuerhalten. Das alte imperialistische Kolonialsystem wurde durch die Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker zerschlagen. Infolgedessen errichteten die USA und ihre Verbündeten das System des Neokolonialismus, das formale Unabhängigkeit bei gleichzeitig gesteigerter ökonomischer Abhängigkeit und militärischer Bedrohung gegen die jungen befreiten Staaten durchsetzen sollte. Wer sich der neokolonialen Unterordnung widersetzte, musste vor 1990 und bis heute mit Aggressionen und Kriegen rechnen.

Ökonomisch und politisch beherrschen die imperialistischen Länder die internationale Arbeitsteilung und ordnen sie ihrem Reproduktionsprozess unter. Werktätige unterentwickelter kapitalistischer Länder werden ausgebeutet und der produzierte Reichtum zugunsten der herrschenden Monopole abgeschöpft. Die größten Monopole haben die Wirtschaften weniger entwickelter Länder ihrem Akkumulationsregime untergeordnet. Politisch folgt dem die Unterordnung der weniger entwickelten Länder unter das Diktat der führenden imperialistischen Staaten. Der Imperialismus verschafft sich massiven Einfluss auf die Bedingungen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, der Frage der Handels- und Finanzpolitik und vielem weiteren mehr. Im umfassenden Sinne verschaffen sich die Interessen der führenden Monopole Geltung und engen die Selbstbestimmung der Länder und die Möglichkeiten des Klassenkampfes weiter ein.

Eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung wird vielfach unterminiert, die Entwicklungsdiskrepanz und die Abhängigkeit konserviert. Für die unterdrückten Völker bedeutet ihre nationale Selbstbestimmung einen Kampf gegen wirtschaftliche und politische Einflussnahme durch ausländische imperialistische Staaten und für eine selbstständige Bestimmung der Lebensverhältnisse. Darin besteht der Zusammenhang im Kampf um soziale Selbstbestimmung und letztendlich dem Kampf um die Beseitigung der kapitalistischen Ausbeutung, auf Basis einer Bekämpfung politischer Steuerung und Fremdherrschaft durch den Imperialismus.

Auch für große und wirtschaftlich sowie militärisch stärker gewordene Länder wie China und Russland ist diese nationale Frage von existenzieller Bedeutung, da der Imperialismus diese bedroht. Dabei geht es nicht nur um ihre ökonomische Ausbeutung und Unterdrückung, sondern auch darum, sie als politische Subjekte, als eigenständig und damit potenziell entgegen den imperialistischen Mächten handelnde Akteure zu neutralisieren.

3. These: Zentrale Herausforderung der Arbeiterklasse

Die historische Entwicklung zeigt, dass im Kampf für die Verteidigung der nationalen Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Fortschritt sowie zur Verteidigung der Interessen der unterdrückten Länder gegenüber dem Imperialismus die Arbeiterklasse eine entscheidende Rolle einnehmen werden muss. Auch wenn zunächst in den meisten Ländern die Arbeiterklasse nicht oder nicht allein an der Macht ist, ist sie trotzdem schon heute der gesellschaftliche Faktor, der am stärksten gegen die Unterordnung unter imperialistische Herrschaft kämpfen muss.

Dieser entscheidende historische Prozess verläuft nicht ohne Widersprüche zwischen den Klassen in den unterdrückten Ländern und nicht ohne die Notwendigkeit der Durchsetzung der Arbeiterklasse. Der Klassenkampf gegen die Bourgeoisie der nicht-imperialistischen Länder ist damit nicht aufgehoben, sondern besteht in einem historischen Kontext, in dem gerade die Erringung oder Verteidigung der nationalen Selbstbestimmung von der politischen Stärke der Arbeiterklasse abhängen wird.

Der Neokolonialismus und die damit verbundene Frage des Kampfes um nationale Befreiung als antiimperialistischer Kampf und Verbindung mit dem Kampf für den Sozialismus waren für die kommunistische Bewegung immer ein bedeutender Teil ihrer Theorie und Praxis. Ansichten, die die aktuellen Konflikte als Ergebnis des „Aufstrebens“ neuer imperialistischer Staaten sehen, ignorieren diesen Widerspruch und erklären ihn zum Relikt. Der gemeinsame Kampf der Arbeiterklasse der imperialistischen Zentren und der unterdrückten Völker gegen ihren gemeinsamen Feind wird verleugnet und damit eine wesentliche Grundlage des proletarischen Internationalismus negiert. Sie verstehen nicht die Aufgabe der Arbeiterklasse in dieser Kampfphase.

4. These: Die Bedeutung und Bestimmung nationaler und gerechter Kriege

Die Annahme, dass es in der Ära des Imperialismus aufgrund der formalen Unabhängigkeit der Staaten keine nationalen Kriege mehr geben könne, ist falsch. Die Kriege von Kolonien oder Halbkolonien gegen imperialistische Staaten sowie die von bedrohten oder unterdrückten Staaten gegen imperialistische Aggression stellen gerechte nationale Befreiungskriege dar.

Der Verlauf der Weltgeschichte ist widersprüchlich, deshalb ist die konkrete Untersuchung der konkreten Verhältnisse die Voraussetzung, um zu verstehen, wie sich die gesetzmäßige Entwicklung der Geschichte vom Niederen zum Höheren durchsetzt. Da im Ersten Weltkrieg die imperialistischen Regierungen den Krieg mit der „Vaterlandsverteidigung“ und damit der nationalen Verteidigung gerechtfertigt hatten und opportunistische Sozialdemokraten diese Propaganda übernommen hatten, um den imperialistischen Charakter des Krieges zu verschleiern, kamen einige Marxisten zu dem falschen Schluss, dass es grundsätzlich keine nationalen Kriege in der imperialistischen Ära mehr geben könne.

Besonders in seinem Text „Über die Junius-Broschüre“ (Lenin-Werke, Band 22, S. 310 ff.) setzt sich Lenin mit der Annahme Luxemburgs auseinander, dass es keine nationalen Kriege mehr geben könne und zeigt auf, dass die Geschichte widersprüchlich verläuft: „Drittens darf man selbst in Europa nationale Kriege in der Epoche des Imperialismus nicht für unmöglich halten. Die ‚Ära des Imperialismus‘ hat den jetzigen Krieg zu einem imperialistischen gemacht, sie wird unweigerlich (solange nicht der Sozialismus kommt) neue imperialistische Kriege erzeugen, sie hat die Politik der jetzigen Großmächte zu einer durch und durch imperialistischen gemacht, aber diese ‚Ära‘ schließt keineswegs nationale Kriege aus, z. B. von Seiten der kleinen (nehmen wir an, annektierten oder national unterdrückten) Staaten gegen die imperialistischen Mächte, wie sie auch im Osten Europas nationale Bewegungen in großem Maßstab nicht ausschließt.“ (ebd., S. 316 f.)

Lenin weist darauf hin, dass nationale in imperialistische Kriege und umgekehrt umschlagen können und gerade deshalb die konkrete Analyse der konkreten Situation und ihrer Entwicklung notwendig ist. Für die Entwicklung seit dem Ersten Weltkrieg ist erkennbar, dass beispielsweise der Krieg gegen das faschistische Deutschland und seine Besatzung Frankreichs zu einem nationalen Krieg Frankreichs als imperialistischem Land gegen Deutschland geführt hat. Die Herrschaft des imperialistischen Lagers unter Führung der USA seit 1945 führt zu zahlreichen nationalen Kriegen gegen deren Aggression und Bedrohung. Die Militäroperation Russlands ist ein besonderer Krieg in dieser Reihe, da sie von einer größeren militärischen Macht ausgeübt wird, was aber nichts am Charakter des Kriegs ändert.

Teil II: Der Ukraine-Krieg unter der Fragestellung des nationalen Krieges

5. These: Russland und China im Fadenkreuz

Russland und China zu unterwerfen, ist eine Bedingung für die Aufrechterhaltung der imperialistischen Ordnung. Eine Triebkraft der imperialistischen Politik besteht im Widerspruch zur wachsenden Souveränität Russlands, Chinas und anderer Staaten gegenüber dem Weltherrschaftsanspruch der imperialistischen Länder. Diese Front gegen die unterdrückten Völker liegt im gemeinsamen Interesse der Imperialisten.

Die zunehmende Möglichkeit und Bereitschaft von Russland und China, sich zu verteidigen und der imperialistischen Aggression Grenzen aufzuzeigen, geht einher mit verschiedenen Prozessen, die der imperialistischen Herrschaft diametral entgegen. Das betrifft u.a. unabhängige Beziehungen zwischen den unterdrückten Staaten, ein alternatives Währungssystem, Produktivkraftentwicklung, Industrialisierungsprozesse und wissenschaftlich-technischer Fortschritt, kurzum: gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung und die darauf gründende Eigenständigkeit. Diese Prozesse befinden sich derzeitig in einem widersprüchlichen Anfangsstadium.

Russland und China stehen deswegen im Fadenkreuz der Aggression des imperialistischen Lagers. Mit dem Krieg in der Ukraine sind wir bereits in die Phase der „Entscheidungsschlachten“ um die Aufrechterhaltung der bestehenden imperialistischen Ordnung eingetreten. Damit ist der Krieg in der Ukraine zugleich Ausdruck und, angesichts des bisherigen Misserfolgs der NATO, Beschleuniger des Niedergangs des Imperialismus.

Der Verlauf der Entwicklung hat Russland stärker und einheitlicher gegen die imperialistischen Länder in Stellung gebracht. Die Aggression der Imperialisten ist selbst der zentrale Antrieb zur einheitlicheren Formierung seiner Gegenkräfte. Auch wenn Russland kein sozialistischer Staat ist, bedeutet die Aufrechterhaltung seiner nationalen Unabhängigkeit eine Stärkung der gegen die Interessen des imperialistischen Lagers gerichteten Kräfte.

6. These: Nationaler Krieg um Selbstbestimmung

Der bewaffnete ukrainische Faschismus war stets eine aggressive Kraft im Kampf gegen die russische Nation und in der Kriegsführung gegen die Donbass-Republiken. Die Kommunisten in der Ukraine und Russland drängen darauf, den antifaschistischen Charakter des Krieges zu einem konsequenten antifaschistischen Krieg zu führen, da sie die Bekämpfung des Faschismus sowohl für Russland als auch für die Ukraine als eine nationale Notwendigkeit sehen.

Russland führt einen nationalen Krieg, der sich nun unmittelbar gegen die jahrelange imperialistische Aggression richtet. Mit der Militäroperation begegnet Russland der Bedrohung seiner Sicherheitsinteressen. Das beinhaltet die Unterstützung des antifaschistischen Befreiungskampfes der Donbass-Republiken und darüber hinaus die Zurückdrängung der NATO in der Form des von ihr aufgezwungenen Zermürbungskrieges in der Ukraine.

Damit ist die russische Militäroperation der erste seit langer Zeit geführte Krieg einer größeren Militärmacht, die sich gegen die Unterdrückung durch den Imperialismus wendet- das zeichnet ihn historisch aus.

Durch die wirtschaftliche Aggression in Form eines ausgeweiteten Wirtschaftskriegs, die seit 2014 offen und verdeckt stattfindende Kriegsführung der NATO und der Ukraine gegen Russland sowie die ideologische Aggression in Form von nationalistischer und rassistischer Propaganda sah Russland keine Alternative zu dieser Militäroperation.

Es gibt bis heute keine Anzeichen dafür, dass Russland mit dieser Operation eine gewaltsame Beherrschung und Ausbeutung des ukrainischen Staatsgebiets anstrebt. Die militärischen Eroberungen beschränken sich gezielt auf den Osten und Süden der Ukraine. Ihr Ziel ist es, die Funktion der Ukraine als Aufmarschgebiet gegen Russland militärisch-infrastrukturell und politisch zu beenden und sie vom faschistischen Terror des Kiewer Regimes zu befreien. Ihr wesentliches Ziel ist nicht die politische Unterwerfung der Ukraine. Der Zweck des Kriegs liegt nicht in der ökonomischen Ausbeutung von ukrainischer Arbeitskraft und Produktionsmitteln. Russland akzeptierte auch noch nach Beginn der Militäroperation einen EU-Beitritt samt wirtschaftlicher EU-Integration der Ukraine. Nicht jedoch eine NATO-Mitgliedschaft.

7. These: Der antifaschistische Widerstand in der Ostukraine als Vorhut des Kampfs um Selbstbestimmung

Der im Osten und Süden der Ukraine begonnene Widerstand gegen den faschistischen Putsch von 2014 war die mutige Vorhut des Kampfs um Selbstbestimmung. Die Volksmassen ergriffen die Initiative und stellten sich der faschistischen Offensive des Kiewer Regimes entgegen. Unter großen Opfern haben sie ihr Recht auf Selbstbestimmung und das antifaschistische Erbe des Großen Vaterländischen Kriegs verteidigt und damit ein starkes Hindernis für die Expansion des NATO-Bandera-Regimes dargestellt. Ihre Anerkennung und Schutz sowie die Militäroperation stehen in vollem Einklang mit dem Willen der Volksmassen.

Die Gründung der Volksrepubliken von Lugansk und Donezk stellte den Höhepunkt dieses Kampfs dar. Damit konnte nicht nur ein Teil der Ukraine vor dem Zugriff der Faschisten geschützt werden, sondern damit wurde der Kampf auf eine politisch höhere Ebene gehoben und ihm die Bedeutung verliehen, die er hat: als antiimperialistischer und antifaschistischer Kampf. Diese Aktion der Volksmassen stellt eine entscheidende Wende auch in Bezug auf die Notwendigkeit des Handelns der Russischen Föderation dar.

Das Kiewer Regime unter Führung der USA war stets bestrebt, die Volksrepubliken zu zerstören und damit jeden Widerstand zu beseitigen, scheiterte aber damit. Die Aufrüstung des Kiewer Regimes gegen die antifaschistischen Republiken durch die NATO war eine direkte Kriegsvorbereitung gegen Russland.

Die Anerkennung der Volksrepubliken und ihr Schutz durch die Russische Föderation entsprechen dem erklärten Willen der Bevölkerung der Volksrepubliken, den diese immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Sie erfolgte viel zu spät. Die Militäroperation ist die Fortsetzung des antifaschistischen Kampfs der Volksrepubliken und steht vollständig im Einklang mit dem Willen der Volksmassen – keineswegs im Widerspruch dazu.

8. These: Die russische Arbeiterklasse als konsequente Vertreterin der nationalen Frage

Russlands Bourgeoisie ist ein unzuverlässiger und wankelmütiger Klassenfaktor, weil sie stets auch die eigenen Kapitalinteressen im Blick hat und bereit ist, die nationale Frage zu verraten. Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse, die konsequent für die Verteidigung der nationalen Souveränität einstehen und kämpfen wird. Sie muss daher gestärkt werden. Ihr Interesse liegt in einer konsequenten antiimperialistischen Umwälzung zum Sozialismus. Das geht nur über die Stärkung der Kommunistischen Partei. Der nationale und antifaschistische Krieg stellt zwar lediglich eine strategische Etappe des politisch-militärischen Befreiungskampfs der Arbeiterklasse dar, ist dadurch aber gleichzeitig Voraussetzung und Teil des Klassenkampfes. Damit ist er im unmittelbaren Interesse der russischen Arbeiterklasse und ihrer faschistisch beherrschten und im NATO-Krieg verheizten ukrainischen Klassengeschwister.

Ein Sieg der NATO würde zugleich einen Sieg des ukrainischen Faschismus bedeuten. Die Unterwerfung und Ausbeutung der Ukraine gingen einher mit einer erneuten Unterdrückung und Ausbeutung Russlands durch den Imperialismus. Die internationalen Kräfteverhältnisse würden sich zugunsten des Imperialismus verschieben.

Die russischen Kommunisten verfolgen seit langem den Kurs der nationalen Verteidigung, den sie sowohl als Voraussetzung als auch als möglichen Übergang zum Sozialismus begreifen. Durch die notwendigen Maßnahmen zu einer effektiven Verteidigung eröffnen sich Chancen für Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen sowie für die Zurückdrängung der Bourgeoisie, insbesondere ihrer kollaborierenden Teile. So kann der Klassenkampf konsequent in Richtung Sozialismus vorangetrieben werden.

Es ist im Interesse der russischen Arbeiterklasse, das revolutionäre Potenzial dieses nationalen und antifaschistischen Krieges zu nutzen. Dafür muss sie als entscheidender politischer Faktor konsequente nationale Verteidigung und konsequenten Antifaschismus gegen ihre Klassengegner durchsetzen. Nach der Phase der Unterwerfung und Ausplünderung Russlands in den 1990ern weiß die Arbeiterklasse, was sie zu verlieren hat.

Ein Vorteil der durchgeführten Maßnahmen liegt klar in den Händen der nationalen Bourgeoisie. Sie hat ihren politischen Einfluss gefestigt und ihr Betätigungsfeld ausgeweitet. Zugleich hat der Prozess der nationalen Unabhängigkeit Russlands auch den Volksmassen Fortschritte eingebracht. Diese werden nun durch die Militäroperation verteidigt. Dass die Werktätigen in Stadt und Land nicht mehr das alte Doppeljoch der einheimischen und ausländischen Ausbeuter zu ertragen haben, verändert ihre Existenzbedingungen und zugleich die Bedingungen ihres Kampfes, um ökonomische und politische Macht, der in einem unabhängigen Staat leichter zu führen ist als unter der Knute fremder Monopole und Ausbeuter. 

Für die ukrainische Arbeiterklasse entscheidet sich durch die Militäroperation die Frage, weiter als NATO-Rammbock ausbluten zu müssen, während sämtliche Organisationen der Arbeiterklasse entweder verboten oder massiv eingeschränkt sind. Die Zurückdrängung des Imperialismus und Faschismus aus der Ukraine ist dabei auch im Interesse der Werktätigen der Ukraine. Einem Friedensprozess steht dabei die NATO im Weg, die diese Unterwerfung und Aggressionspolitik in welcher Weise auch immer durchsetzen will.

9. These: Stärkung der internationalen Front gegen den Imperialismus

Die Niederlage und Schwächung des aggressiven NATO-Blocks im Krieg gegen Russland bedeuteten die Zurückdrängung des Imperialismus und eine Verschiebung der internationalen Kräfteverhältnisse. Das eröffnet Spielräume für fortschrittliche und antiimperialistische Kräfte. Dieser Charakter und die daraus resultierenden internationalen Entwicklungen müssen von der kommunistischen Bewegung weltweit anerkannt und aufgegriffen werden, um zu zeigen, dass Russlands Militäroperation im Interesse der Befreiung der Arbeiterklasse und unterdrückten Völker weltweit ist.

Die internationale Arbeiterklasse kann unter anderem durch die Militäroperation ihre Spaltungslinien zwischen den imperialistischen Ländern und den unterdrückten Ländern überwinden. Die Entwicklungen im Sahel, in Palästina und im Jemen, sowie der BRICS-Allianz im Allgemeinen zeigen auf, welche Widersprüche sich seit Russlands Militäroperation global verschärfen. Die kriegführenden imperialistischen Regierungen spüren zunehmend Unmut und Ablehnung gegenüber der Aufrüstung und Kriegspolitik, während die unterdrückten Völker gegen ihre Unterjochung aufbegehren.

Zwischen den unterdrückten Völkern und den imperialistischen Zentren treten immer offenere Risse auf. Es liegt im Interesse der weltweiten Arbeiterklasse sowie der unterdrückten Völker, zur Niederlage dieser imperialistischen Kriegsmaschine beizutragen, sie zunehmend anzuführen und mit kommunistischen Positionen zu stärken.

Teil III: Zu den historischen Entwicklungen im Einzelnen

Russlands Charakter und Entwicklung

10. These: Kampf um Unabhängigkeit und Souveränität

Mit der Konterrevolution in der UdSSR wurde Russland dem Imperialismus unterworfen und auf die Rolle eines Rohstofflieferanten und Absatzmarktes reduziert. Seit Beginn der 2000er Jahre richtet sich die russische Politik, sowohl in wirtschaftlicher und innenpolitischer Hinsicht als auch auf internationaler Ebene, zunehmend gegen diese politische und ökonomische Unterwerfung durch den Imperialismus.

Die Kapitalisierung der sowjetischen Volkswirtschaft führte zur Zerstörung der bisherigen Produktionsbeziehungen in der gesamten ehemaligen UdSSR. Dies wiederum verursachte den Niedergang der nunmehr russischen Volkswirtschaft, was zur Kapitalflucht aus Russland führte. Infolgedessen entstand eine Bourgeoisie, die ihr Kapital vorwiegend im Ausland akkumulierte und daher kein Interesse an einem nationalen kapitalistischen Wachstum Russlands hatte. Neben diesem Ausverkauf der Produktion zeigte sich eine weitere Tendenz: die Übernahme der Kontrolle über den profitablen Rohstoffsektor durch ausländisches Kapital. Es ist daher ein Irrtum zu behaupten, die privatisierten Großbetriebe und Banken der ehemaligen Sowjetunion seien in nationale Monopole oder Finanzkapital überführt worden, die mit dem russischen Staat verschmolzen wären.

Russlands Kapitalismus entwickelte sich im Zuge dieses wirtschaftlichen Niedergangs und Ausverkaufs in eine zunehmende Abhängigkeit vom kapitalistischen Weltmarkt des Imperialismus. Diese Abhängigkeit ermöglichte es den Institutionen des Imperialismus, Russland ihre politischen Vorgaben aufzuzwingen. Konkret wurde Russland in den Status eines Rohstofflieferanten und Investitionsstandortes ausländischen Kapitals geführt. Der Profit dieses Kapitals wurde aus dem Land abgezogen und in den Währungen der imperialistischen Länder akkumuliert.

Vor dem Hintergrund dieser Abhängigkeiten verfolgt Russland heute eine Wirtschaftspolitik, die auf eine stärkere staatliche Kontrolle über strategisch zentrale Schlüsselindustrien und Banken abzielt. Diese Kontrolle soll wiederum die Voraussetzung für Importsubstitution und eine Diversifizierung der Exporte schaffen.

Notwendige Voraussetzung dieser, mit vielen Widersprüchen behafteten Agenda ist also mittelfristig keine expansionistische Ausweitung des russischen Kapitals, sondern eine Konsolidierung des russischen Kapitalismus durch eine stärkere Loslösung vom Imperialismus. Anderslautende, großrussisch-chauvinistische Verlautbarungen bestimmter russischer Politiker und Denker sowie mögliche Entwicklungen in ferner Zukunft ändern an dieser aktuellen objektiven Sachlage nichts.

Russland fordert, dass ihm dieses Recht auf Unabhängigkeit anerkannt wird. Es ist aufgrund seiner aus der UdSSR übernommenen militärischen Mittel in der Lage, diesem Recht Geltung zu verleihen. Dieser Forderung wird seitens des Imperialismus mit Einkreisung und Drohung und seit 2014 mit Unterstützung eines bewaffneten Konfliktes in der Ukraine reagiert.

11. These: Verstoß gegen die „Weltordnung“

Mit seiner militärischen Stärke und dem Bestreben, die eigene Abhängigkeit sowie die untergeordnete Rolle in der internationalen Arbeitsteilung auch materiell zu überwinden, stellt Russland eine Herausforderung für den Imperialismus dar – denn es verschiebt das globale Kräfteverhältnis in einer Qualität, wie sie seit der Konterrevolution nicht mehr zu beobachten war. Folglich geht es den imperialistischen Ländern nun prinzipiell darum, Russlands Machtmittel und seine politischen Ambitionen durch einen umfassenden militärischen und Wirtschaftskrieg einerseits und eine politische Destabilisierung andererseits zu zerstören. Mit dieser Zerstörung soll an Russland auch für andere Gegenkräfte der imperialistischen Ordnung ein Exempel statuiert werden.

Die Sowjetunion unterstützte mit ihrer Agenda des proletarischen Internationalismus nationale und antiimperialistische Befreiungsbewegungen. Sie war mit ihren materiellen Mitteln damit in der Lage, im Kräfteverhältnis zwischen Arbeiterklasse und Imperialismus ein bedeutender Faktor zu sein. Konkret konnte sie dabei auf der einen Seite Befreiungsbewegungen materiell unterstützen und auf der anderen Seite der Unterdrückung des Imperialismus gegen diese Bestrebungen eine Grenze setzen und ein alternatives wirtschaftliches Integrationssystem bieten.

Ein militärischer Schlag ist das letzte Mittel zur Durchsetzung des eigenen Interesses. Mit diesem Schlag bekommt der Gegensatz eine neue Form für den Imperialismus und wird damit, im Unterschied zu bisherigen Unabhängigkeitsbestrebungen kleinerer Staaten, zum ultimativen Verstoß gegen seine Weltherrschaft gesehen. Die vollständige Zerstörung seiner materiellen, also militärischen und wirtschaftlichen Machtmittel sowie die Herbeiführung eines proimperialistischen politischen Umsturzes in Russland sind damit notwendig das strategische Ziel des Imperialismus. Das Scheitern dieser Pläne liegt daher im objektiven Interesse des Kampfes gegen den Imperialismus weltweit.

Der Aufbau der Ukraine zu einem Aufmarschgebiet gegen Russland

12. These: Der ukrainische Faschismus als Instrument des Westens

Eine entscheidende Bedingung für den Aufbau der Ukraine zu einem militärischen Aufmarschgebiet gegen Russland war und ist der ukrainische Faschismus, sowohl als Bewegung als auch an der Staatsmacht. Die ukrainischen Ultranationalisten und Faschisten waren und sind die wichtigsten Verbündeten der westlichen Imperialisten für ihre Ukraine- und Russlandpolitik und wurden durch diese nach dem Sieg über den deutschen Faschismus auch im Exil am Leben gehalten.

Die Ukraine wurde aufgrund ihrer geographischen Lage immer als das zentrale Aufmarschgebiet für einen konventionellen Krieg gegen Russland gesehen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg sahen deutsche Strategien die Ukraine als Schlüsselgebiet für einen Sieg über Russland. Auch im Zweiten Weltkrieg und nach der Niederlage des Faschismus wurden ukrainische Faschisten unterstützt bzw. direkt mit ihnen zusammengearbeitet. Nach der Konterrevolution erfüllte der ukrainische Faschismus weiterhin seine antirussische Funktion für die NATO-Mächte. Mithilfe des modernen Banderismus wurde die „Westintegration“ der Ukraine zu einem Rammbock gegen Russland vollzogen. Insbesondere die USA und Deutschland bewaffneten und finanzierten zu diesem Zweck diverse faschistische Gruppen in- und außerhalb der Ukraine.

Seit dem Maidan-Putsch 2014 übernimmt die faschistische Bewegung in der Ukraine Schlüsselpositionen in Militär, Verwaltung und Staat und kann so offenen Terror gegen die Arbeiterbewegung, Linke, Kommunisten und sich als russisch verstehende bzw. russischsprachige Bevölkerungsteile ausüben. Der Banderismus wurde zur Staatsräson erhoben, die Hitler-Kollaborateure wurden zu Nationalhelden erklärt. Es ist die antirussische ethnonationalistische Ideologie der Faschisten, die die nationale Einheit und Souveränität der Ukraine bedroht und nicht vor einem Krieg gegen die eigene Bevölkerung zurückschreckte, wie der Krieg gegen die Ostukraine deutlich gezeigt hat.

Die ukrainische faschistische Bewegung diente dem deutschen Imperialismus bereits nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion als wichtiger Verbündeter zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Der ukrainische Faschismus zeichnete sich neben seinem aggressiven Antisemitismus und Antikommunismus durch eine radikal antirussische, ukrainisch ethnonationalistische Ideologie aus, die die Massenmorde der OUN und UPA zwischen 1943 und 1945 begründete. Nach 1945 wurden die wichtigsten Köpfe des Banderismus von den imperialistischen Mächten vor Verfolgung geschützt und in antisowjetische Programme der US-, britischen und deutschen Geheimdienste eingebunden.

Unter der Führung der USA und Deutschlands wurden nach der Konterrevolution in der Ukraine insbesondere jene Kräfte gefördert, die für eine aggressive antirussische Haltung standen, darunter auch faschistische Strukturen, die in der Nachfolge des Banderismus stehen. Spätestens mit dem vom Westen orchestrierten Maidan-Putsch zeigte sich, welche zentrale Rolle paramilitärische faschistische Kräfte für die Durchsetzung der NATO-Interessen in der Ukraine spielten. Seitdem erfüllt der Faschismus in der Ukraine die Funktion des Terrors, der ideologischen Umorientierung der Bevölkerung und ihrer Spaltung. Bereits vor dem Beginn der SMO im Februar 2022 wurden brutale Maßnahmen des Regimes gegen jegliche Opposition durchgesetzt. Die Organisationen der ukrainischen Arbeiterbewegung wurden illegalisiert und zerschlagen, insbesondere die Kommunisten in die komplette Illegalitätt gedrängt. Massaker an Antifaschisten und ethnischen Minderheiten sowie Angriffe auf bürgerlich-demokratische Kräfte, die sich der Faschisierung entgegenstellten, wurden unter den billigenden Augen des Staatsapparates von faschistischen Banden verübt.

Der ukrainische Faschismus ist dabei rassistisch und aggressiv antikommunistisch und negiert die sowjetische Geschichte der Ukraine. Somit ist er auch gegen die historische sowjetische Identität der Ukraine als Vielvölkerstaat gerichtet. All diese Vorstöße zielten auf die zunehmende Einbeziehung und Zurichtung der Ukraine und ihrer Bevölkerung auf die NATO-Kriegspläne gegen Russland ab. Zu diesem Zweck spaltet der ukrainische Faschismus die ukrainische Bevölkerung und führt sie, entgegen ihrer Interessen, in einen Krieg gegen Russland.

Der umfassende Geschichtsrevisionismus soll die sowjetische Geschichte der Ukraine zu einer Zeit der Fremdherrschaft umdeuten, mit dem Ziel, eine Zugehörigkeit der Ukraine zur EU und damit zum westlichen Imperialismus künstlich zu konstruieren. Doch diese gemeinsame Geschichte ist eben die Geschichte der Kollaboration mit Nazi-Deutschland, in dessen Plänen die Ukraine immer nur als nicht-souveräne Weizenkammer dienen sollte. Der Neo-Banderismus ist damit anti-national, weil er die Interessen ausländischer Imperialisten gegenüber der ukrainischen Nation ausdrückt. Auch wenn er sich auf eine ukrainische nationale Bewegung stützen kann, wurde der ukrainische Faschismus doch sowohl in seiner Entstehung als auch in seiner gesamten Entwicklung fortlaufend von den westlichen Mächten am Leben erhalten und mit massiven politischen, finanziellen und militärischen Mitteln unterstützt. Die Bezeichnung des ukrainischen Faschismus als „Exportfaschismus“ bringt diesen Umstand treffend auf den Punkt.

Wie der deutsche Faschismus damals, so betreibt die BRD heute wieder eine Täter-Opfer-Umkehr zur Legitimation ihres eigenen Interesses an der Ukraine: Das Narrativ, die ukrainische Nation verteidige sich gegen die russische Unterdrückung, wird nahtlos von damals übernommen. Die BRD betreibt damit durch ihre Unterstützung des Neo-Banderismus heute offen eine Rehabilitierung des deutschen Faschismus.

13. These: Die Ukraine muss für den Imperialismus hinhalten

Die seit der Konterrevolution andauernde Eingliederung der Ukraine in den aggressiven NATO-Block erhielt mit dem Maidan-Putsch eine neue Qualität. Mit dem Putsch ging ein radikaler Ausverkauf der Wirtschaft des Landes an westliche Monopole einher. Heute kontrolliert der Imperialismus, insbesondere der US-Imperialismus, die Ukraine politisch und ökonomisch. Ziel war die Zurichtung der Ukraine auf die Kriegspläne der USA und der NATO sowie die wirtschaftliche Unterwerfung und Ausbeutung des Landes.

Die durch die Konterrevolution herbeigeführte staatliche Abtrennung der Ukraine von Russland öffnete unmittelbar viele Möglichkeiten für die NATO-Staaten, durch Stiftungen, Berater und Medien sowie bei ihnen ausgebildeten Politikern Einfluss auszuüben und an sich zu binden. Verbunden mit dem Ausverkauf des Landes wurde die Ukraine seitdem in zahlreiche euro-atlantische Netzwerke integriert. Die geografische Lage der Ukraine versetzt das Land bis heute in eine militärstrategisch wichtige Position gegen Russland. Die IWF-Spardiktate und als „Entwicklungshilfe“ bezeichneter Kapitalexport forcierten den Einfluss ausländischen Finanzkapitals. 2004 wurde mit der „Orangenen Revolution“ erstmals versucht die Unterordnung der Ukraine durch die Installierung einer prowestlichen Marionettenregierung zu beschleunigen. Der Putschversuch scheiterte am Widerstand des ukrainischen Volkes.

Einen Meilenstein in dieser Entwicklung stellte das von der Putschregierung 2014 angenommene „EU-Assoziierungsabkommen“ dar. Die folgenden „Reformprogramme“ führten zur Privatisierung und Öffnung nahezu sämtlicher Sektoren der ukrainischen Wirtschaft, exklusiv zugunsten westlicher Monopole. Diese konnten weit in die ukrainische Wirtschaft eindringen und diese, durch gleichzeitigen starken Einfluss auf den Staatsapparat, gegen die Interessen des ukrainischen Volkes an westliche Interessen ausrichten. Staat und Regierung sind dabei nicht nur dem unmittelbaren politischen Druck aus Washington und Brüssel sowie ihren NGOs ausgesetzt, sondern gleichermaßen durchsetzt mit Beratern und Ministern aus diesen Kreisen. Politische und wirtschaftliche Entscheidungen über die Zukunft des Landes fielen ab dem ersten Tag der postsowjetischen Ukraine immer stärker unter die Profit- und Expansionsinteressen westlichen Kapitals. Eine Orientierung der Ukraine in Richtung Russland war von Seiten des Westens nie eine Option.

Der antifaschistische Widerstand der Volksrepubliken

14. These: Historische Wende im Donbass

Teile der Bevölkerung im Gebiet der heutigen Ukraine kämpften, seitdem es imperialistische Interessen an der Ukraine gab, gegen Faschismus und imperialistische Einflussnahme. Der Maidan-Putsch stellte eine schwere Niederlage für die ukrainische Arbeiterbewegung und diese antifaschistischen Kräfte dar. Zugleich erreichte dieser Widerstand im Donbass und auf der Krim eine neue Qualität. Ihr Kampf ist und war ein existenziell notwendiger Verteidigungskampf gegen ihre Unterdrückung. Besonders aktiv wurde dieser Kampf durch die Ausrufung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk geführt, die das Ergebnis von Volksaufständen gegen das Kiewer Regime darstellten und der NATO auf ihrem Vormarsch nach Osten erstmals eine rote Linie aufzeigten. Die Donbass- Bevölkerung verteidigt seitdem ihr legitimes und völkerrechtlich verbrieftes Recht auf nationale Selbstbestimmung gegen die von ukrainischen Faschisten angeführte NATO-Aggression.

Im gesamten Gebiet der Ukraine wurde sich gegen die 2014 begonnene sogenannte „Anti-Terror-Operation“ des Kiewer Regimes, die in der Sache eine von Faschisten betriebene Säuberungsaktion gegen den Widerstand war, zur Wehr gesetzt. Der schärfste Ausdruck dieses Kampfes entfaltete sich im Donbass und erreichte seinen Höhepunkt in den Volksrevolutionen von 2014, die in der Gründung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk mündeten. Sie stellten einen notwendigen und erfolgreichen Akt der Selbstverteidigung dar, der seit 2022 unmittelbar durch den Militäreinsatz Russlands unterstützt wird.

Die Volksrepubliken im Donbass stützen sich dabei auf ihre antifaschistische und antiimperialistische Grundlage sowie eine breite Unterstützung aus dem Volk. Mit der Abtrennung und Loslösung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk nahmen die Volksrepubliken ihr legitimes und völkerrechtlich verbrieftes Recht auf nationale Selbstbestimmung zugunsten einer Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Russland (politisch, ökonomisch, kulturell) wahr. Sie leisteten einen historischen Schritt gegen die imperialistische NATO-Aggression in Osteuropa und verteidigten seitdem ihr Selbstbestimmungsrecht. Die Kommunisten in Russland und Internationalisten aus der ganzen Welt drängten dabei kontinuierlich auf eine Unterstützung der Bevölkerung zugunsten verbesserter Lebensbedingungen und Kampfbedingungen für die Arbeiterklasse sowie einer Schwächung des Imperialismus durch Abwehr der Unterordnung der Bevölkerung. Die Aggression gegen die Volksrepubliken richtete sich dabei auch immer gegen Russland.

Der Widerstand gegen die faschistische Putschregierung, der 2014 vom Donbass ausging und sich entschlossen und konsequent den Nazi-Truppen entgegenstellte, ist die Vorhut und der eigentliche historische Wendepunkt. Er setzte den faschistischen Truppen Kiews eine Grenze und zeigte den einzigen Weg auf, wie der Faschismus bekämpft werden kann und muss. Seine militärischen Erfolge und sein Durchhaltevermögen brachten auch der Russischen Föderation Zeit, um sich auf die Konfrontation mit dem Imperialismus vorzubereiten und erschwerten der NATO und Kiew eine schnelle Steigerung der Bedrohung gegen Russland.

15. These: Ein erzwungener Defensivschlag

Die Verletzung zentraler Sicherheitsinteressen Russlands und die Zurückweisung jeglicher Verhandlungen sowie eine Steigerung der militärischen Aktivitäten und Provokationen seitens der ukrainischen Armee ab 2021 wurden von der Russischen Föderation mit deutlichen Warnungen und dem Aufzeigen militärischer Möglichkeiten beantwortet. Diese Warnungen wurden mit einer weiteren militärischen und politischen Eskalation seitens des Westens beantwortet. Russland sah keine Alternative zur militärischen Reaktion, die auch von den Volksrepubliken eingefordert wurde. Die militärische Reaktion weist die zunehmende Bedrohung und Eskalation in die Schranken und entblößt damit gleichzeitig ihre zunehmende Schwäche.

Die russische Regierung ist mit ihren jahrelangen diplomatischen Bemühungen, ihre Sicherheitsinteressen vertraglich absichern zu lassen, am Unwillen des Westens gescheitert. Die Liste der Aggressionen ist lang: Sie beginnt mit der NATO-Osterweiterung und führt über die Aufkündigung der INF-Verträge zur verdeckten Kriegsführung gegen Russland. Zugespitzt wurde dies ab Dezember 2021, als die russische Regierung einen konkreten Vertragsentwurf vorlegte, der den Rückzug der NATO-Truppen auf den Stand von 1997 forderte. Dieser wurde vom Westen mit einer Verschärfung der militärischen Drohungen beantwortet: Zu dieser Zeit war ein massives Vorrücken ukrainischer Truppen am Frontverlauf in der Ostukraine zu beobachten. Der ukrainische Präsident kündigte auf der NATO-Sicherheitskonferenz im Februar 2022, also ein paar Tage vor Beginn der Militäroperation, an, dass sie das Budapester Memorandum als obsolet betrachte. Damit kündigte die Ukraine eine eigene atomare Bewaffnung an, was der damalige Botschafter in Deutschland, Melnyk, bestätigte. Die Kiewer Regierung konkretisierte zu diesem Zeitpunkt Eroberungspläne der Krim und der Volksrepubliken. Diese letzten Provokationen zeigten, dass Russland seine Sicherheitsinteressen gegenüber dem Westen nicht mehr mit Diplomatie erreichen konnte. Eine militärische Invasion der Kiewer Truppen in die Volksrepubliken hätten diese nicht überstanden. Die Anerkennung der Volksrepubliken durch die Russische Föderation und ein Beistandsabkommen waren unmissverständliche Signale, dass bei Überschreitung dieser Grenze Konsequenzen eintreten würden. Nachdem der Westen weiterhin jegliche Verhandlungen und Zusicherungen abgelehnt hatte, war eine Intervention als letztes Mittel notwendig und unausweichlich geworden.

Diese strategisch defensive Handlung hat einen taktisch offensiven Charakter und stellt eine konsequente Gegenwehr dar. Sie ist eine Antwort auf die Aggressionen des NATO-Imperialismus.

Die Russische Föderation hat damit nach einer langen Phase der Umzingelung, der Vertragsbrüche und Provokationen seitens der NATO, der Bedrohung ihrer nationalen Existenz einen entscheidenden politischen Schritt getan, der auch auf historischer Ebene unausweichlich war. Die Phase des scheinbaren Triumphs des Imperialismus nach der Konterrevolution, die geprägt war von einer fast ungebremsten militärischen und ökonomischen Macht der imperialistischen Staaten auf der einen Seite, von Unterordnung, Unterdrückung und politischer Gängelung bis hin zu Zerstörung ganzer Länder auf der anderen Seite, ging zu Ende bzw. in eine neue Etappe. Der Zusammenschluss der BRICS und die starke Entwicklung Chinas begünstigten die Bedingungen, in denen die nationale Entwicklungsperspektive vieler Länder wieder stärkere Form annehmen konnte.

Die Politik Russlands in der Syrienfrage verhinderte die Zerstörung des Landes und machte den Plänen des Imperialismus, insbesondere den Plänen der USA, einen Strich durch die Rechnung. Diese und weitere politische Faktoren, die insgesamt zu einer Schwächung der imperialistischen Herrschaft und zu einer Stärkung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit führen könnten, veranlassten die USA dazu, die Russische Föderation in eine existenziell bedrohliche Lage zu bringen und die lange geplante Kriegsführung durch die zu einem Aufmarschgebiet geformte Ukraine zu forcieren. Die Reaktion Russlands stellt einen Wendepunkt dar, in dem die militärische Bedrohungsmacht durch die NATO zum ersten Mal eine Gegenantwort in einer Dimension erhalten hat, die für viele Länder und Völker aufzeigt, dass die Macht des Imperialismus nicht unantastbar ist. Durch eine Hinnahme der Provokationen, Drohungen und Unterwerfung hätte man deren Fortsetzung tatenlos zugeschaut.

Teil IV: Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg und im Imperialismus

16. These: Der Ukraine-Krieg als Sprungbrett und Schwächung

Der Ukraine-Krieg legt sowohl die widersprüchlichen als auch die gemeinsamen Interessen des deutschen und US-Imperialismus offen. Annahmen, die davon ausgehen, dass Deutschland keine Eigeninteressen im Ukraine-Krieg verfolge oder dass dieser keinerlei negativen Folgen für den deutschen Imperialismus hätte, sind falsch. Dem zugrunde liegt eine falsche Bestimmung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses, die sich entweder in einer Überbetonung (Deutschlands dritter Anlauf zur Weltmacht) oder in einer Unterbetonung (Deutschland als Vasall der USA) der Stärke des deutschen Imperialismus ausdrückt. Das „entweder oder“ ist an dieser Stelle falsch und müsste durch ein „sowohl als auch“ ersetzt werden. Denn die Lage des deutschen Imperialismus resultiert aus dem Widerspruch, eigenständige Interessen bei gleichzeitiger Unterordnung unter den US-Imperialismus zu verfolgen.

Das deutsche Interesse besteht darin, seine Vormachtstellung gegenüber Russland durchzusetzen, die EU-Osterweiterung ungestört fortzusetzen, eine Führungsrolle als NATO-Pfeiler gegen Russland einzunehmen und den Krieg als Katalysator für die eigene militärische Aufrüstung zu nutzen. Gleichzeitig wird die Art der Kriegsführung maßgeblich durch den US-Imperialismus bestimmt und verfolgt dabei unter anderem das Ziel der Disziplinierung und maßgeblichen ökonomischen Schwächung des deutschen Imperialismus. Trotz ihrer zwischenimperialistischen Widersprüche stehen die USA und Deutschland prinzipiell jedoch auf derselben Seite im Krieg gegen Russland.

Die Versuche des deutschen Imperialismus, Russland zu erobern, zu vernichten und zu kolonisieren, prägen das Verhältnis auf der Ebene der staatlichen Politik. Auch in den friedlichen Phasen dieses Verhältnisses strebte Deutschland danach, Russland gefügig zu machen und unterzuordnen.

Mithilfe der billigen Energieimporte aus Russland konnte Deutschland seine Exportwirtschaft und damit seine imperialistische Stellung in der Welt absichern. Für Russland ergab sich aus dem Geschäft mit Deutschland nicht der erhoffte Effekt einer Industrialisierung und Technologisierung. Bereits vor 2022 konnte man einen zunehmend konfrontativen Kurs von Deutschland gegenüber Russland beobachten. Deutschland ist seit Jahren bemüht, die EU Richtung Osten zu erweitern sowie mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik einen Ring EU-freundlicher Staaten zu etablieren. Dafür musste die enge wirtschaftliche, kulturelle und politische Verflechtung dieser Staaten mit Russland zersetzt werden. Diese „störende” Rolle Russlands verstärkte das deutsche Interesse an einer politischen, ökonomischen und militärischen Schwächung Russlands. Daher greift es zu kurz, die aktuelle Politik allein durch die USA zu erklären und Deutschland in diesem Prozess als reinen Mitläufer oder als von den USA in den Krieg Gezwungenen zu beschreiben.

Darüber hinaus sieht der deutsche Imperialismus den Ukraine-Krieg als Chance, sich als europäischer NATO-Pfeiler gegen Russland aufzustellen und so seine eigene militärische Stärke massiv auszubauen. Das NATO-Bündnis wird jedoch auch immer durch zwischenimperialistische Widersprüche geprägt, und so ist es offensichtlich, dass der Ukraine-Krieg auch Nachteile für Teile des deutschen Kapitals hat. Die Sanktionen und die Sprengung von Nord Stream II nutzen die USA dazu, nicht nur die russische, sondern auch die deutsche Wirtschaft unter Druck zu setzen. Doch trotz dieser Widersprüche, Nachteile und Einschränkungen, die das Bündnis mit den USA bedeuten, ist ein Bruch mit der NATO für Deutschland auf absehbare Zeit nicht möglich. Dagegen spricht das enge Verhältnis des deutschen Kapitals zum US-Markt, das Gesamtinteresse an der Aufrechterhaltung der imperialistischen Ordnung unter den USA, die das Agieren Deutschlands wesentlich ermöglicht sowie die Schwäche in Hochtechnologie und Militär, um unabhängig von den USA zu agieren.

17. These: Zeitenwende in der Bundesrepublik

Die von führenden Politikern der BRD ausgerufene Zeitenwende dient der Kriegspolitik gegen Russland. Sie ist Ausdruck des Wechsels von Integration und Einhegung hin zu offener Konfrontation gegenüber Russland. Hinter diesem politischen Projekt stehen dementsprechend verschärfte Repressionen gegen Oppositionelle und Gegner der deutschen Kriegspolitik sowie der Abbau demokratischer Grundrechte. Um den Kurs der Aufrüstung und verstärkten Kriegswirtschaft durchzusetzen, bedient sich der Klassenfeind in gesteigerter Form des Militarismus und Chauvinismus gegen andere Völker.

Somit ist die „Zeitenwende“ auch ein Programm zur Mobilmachung und massiven Aufrüstung. Sie holt nun die Kriegsvorbereitung einer konfrontativen Politik bis zum offenen Krieg gegen Russland nach. Dieser Kriegskurs wird militärisch, ökonomisch und politisch weiter ausgebaut. Der BRD-Imperialismus soll innenpolitisch gestärkt sein, um diesen Kriegskurs notfalls mit reaktionären Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen. Dafür bringt der Staat seine Repressionspotenziale in Stellung und baut demokratische Grundrechte ab. Der Militarismus und Chauvinismus finden ihren konkreten Ausdruck in Bundeswehr-Werbekampagnen, Plänen zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit, dem Ausbau der Rüstungsindustrie sowie der Hetze gegen vermeintliche „Feindstaaten“ unter dem Deckmantel überlegener westlicher Kultur und Demokratie. Darüber hinaus findet eine Rehabilitierung des Faschismus statt. Ukrainische Faschisten werden als Verteidiger westlicher Demokratie inszeniert. Der deutsche Imperialismus wäscht sich von seinen historischen Verbrechen rein und instrumentalisiert sie für den Zweck einer neuen Kriegspolitik.

18. These: Ziel der Kommunisten: Niederlage des deutschen Imperialismus und der NATO

Das Ziel der Kommunisten und aller fortschrittlichen Kräfte in Deutschland muss die Niederlage Deutschlands und der NATO sein. Der gegenwärtige Krieg der NATO gegen Russland markiert erst den Auftakt einer umfassenderen Aggression gegen Russland. Trotz aller militärischen Rückschläge darf die Aggressivität und Gefährlichkeit des deutschen Imperialismus keinesfalls unterschätzt werden.

Begleitet wird die NATO-Kriegsführung durch verstärkte Repressionen gegen Oppositionelle und Gegner der deutschen Kriegspolitik sowie durch den Abbau demokratischer Grundrechte. Um den Kurs der Aufrüstung und verstärkten Kriegswirtschaft durchzusetzen, bedient sich der Klassenfeind in gesteigerter Form eines Militarismus und Chauvinismus gegen andere Völker.

Gegner der deutschen Kriegspolitik werden vom Staat systematisch isoliert – und das, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung einen Krieg gegen Russland ablehnt und zunehmend erkennt, dass erneut die eigenen Kinder an die Front geschickt werden sollen. Um eine führende Rolle in der Organisierung einer Anti-Kriegs-Bewegung einnehmen zu können, ist unter anderem eine klare politische Analyse und Positionierung notwendig. Äquidistante und andere opportunistische Positionen, die die NATO in der einen oder anderen Form legitimieren, müssen zurückgedrängt werden.

Dafür ist viel Arbeit notwendig, insbesondere zur Strategie und Rolle des deutschen Imperialismus sowie der Möglichkeiten seiner Bekämpfung. Diese müssen dringend angepackt werden und dürfen nicht länger durch versöhnlerische und ablenkende Positionen verhindert werden.


[1]    Wir hatten uns diese Fragen vorgenommen: Wie ist der Militäreinsatz bzw. der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, der am 24.02.22 begonnen wurde, einzuschätzen? Ist er ein imperialistischer Angriff? Ist der Krieg imperialistisch, weil Russland ein imperialistisches Land ist? Ist der Krieg eine Verteidigungsmaßnahme? Gibt es bei diesem konkreten Militäreinsatz eine Überschneidung mit den Interessen der Arbeiterklasse in Russland, in der Ukraine und international? Wie muss sich demnach die Arbeiterklasse in Russland, in der Ukraine, Deutschland und im internationalen Maßstab zu dem Konflikt klassenkämpferisch positionieren? https://kommunistische-organisation.de/vollversammlung-4-april-2022/beschluss-der-vv4-klaerung-der-imperialismus-und-kriegsfrage/

Победа! Pobeda! Sieg!

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Stellungnahme zu 80 Jahren Befreiung vom Faschismus

Alles, was ich unternehme, ist gegen Russland gerichtet“ (Adolf Hitler, 1939)

Russland wird immer ein Feind für uns bleiben“ (Johann Wadephul, Außenminister der BRD, 2025)

Deutschland wird wieder Krieg führen

80 Jahre nach der Befreiung vom Nazifaschismus wird in Russland der große Sieg (Победа) gefeiert. In Deutschland dagegen sind die Weichen anders gestellt. 2030 soll Krieg gegen Russland geführt werden. Dafür wurde direkt nach der Bundestagswahl der größte Kriegskredit der Geschichte verabschiedet. Dieser Kriegskredit ist der wahre Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Die gesamte Regierungspolitik wird darauf abzielen, das Land kriegstauglich zu machen.

Der vermeintlich neue Drang nach Osten ist in Wahrheit kein neuer. Die BRD wurde 1949 als NATO-Bollwerk für einen Angriff auf die Sowjetunion gegründet. Dafür musste man sich von der historischen Schuld des Faschismus moralisch freikaufen: Während man SS- und NSDAP-Angehörige wieder in Richter- und Geheimdienstämter brachte und Profiteure der Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit freigesprochen wurden, wurde der Staat Israel als vermeintlicher Gesamtvertreter der ermordeten Juden unterstützt. Den Preis dafür zahlen die Palästinenser und es interessiert dabei nicht, dass viele Juden weltweit gegen ihre Instrumentalisierung durch Israel protestieren. Die deutsche Staatsräson ist der Freifahrtschein für Deutschland, wieder andere Länder angreifen zu dürfen.

Der Krieg gegen Russland wird mit Nazis geführt

Die BRD unterstützt seit ihrer Gründung ukrainische Faschisten, die offen in der Tradition der banderistischen SS-Kollaborateure stehen. Diese Kräfte sind mit dem Maidan-Putsch 2014 an die Macht gekommen. Die NATO hat mit dem Kiewer Regime die Ukraine zu einer Kriegskolonie gemacht, die Russland angreifen kann und will. Das wäre ohne die Faschisten, die dies gewaltsam gegen den Willen eines großen Teils des Volks durchsetzten, nicht möglich gewesen. Die NATO hat seitdem jegliche russische Forderungen nach Sicherheitsgarantien abgelehnt.

Das erklärte Ziel, Russland eine strategische Niederlage beizubringen, ist gescheitert. Die massiven Waffenlieferungen haben Kiew keine Erfolge auf dem Schlachtfeld gebracht. Die Sanktionen konnten Russland nicht ruinieren. Und selbst der bewusste Angriff mit Mittelstreckenraketen auf russisches Territorium konnte Moskau nicht zu einem nuklearen Antwortschlag provozieren. Russland hat dieser Aggression damit eine Grenze gesetzt.

Die neue deutsche Kriegsvorbereitung

Das ist für die NATO-Staaten und Deutschland inakzeptabel. Ihnen ist klar: Für den Sieg über Russland muss mehr getan werden. Die Militärausgaben sollen massiv gesteigert werden und die operative Kriegsführung soll besser abgestimmt werden. Das ganze Land soll auf Krieg vorbereitet werden und die Aufgabe der neuen Bundesregierung ist es, dies auf dem Rücken der Arbeiterklasse in die Tat umzusetzen.

Sollte dies mit der SPD in der Koalition scheitern, steht die AfD in den Startlöchern. Sie ist ganz vorne mit dabei, die Arbeiterklasse durch Rassismus und Sozialchauvinismus zu spalten. Sie steht der CDU in nichts nach, was die Zerschlagung der letzten Reste des Sozialstaates angeht. Ihre Vertreter haben im Wahlkampf von allen Parteien die höchsten Militärausgaben gefordert. Sie ist keine „prorussische“ Partei, ganz im Gegenteil: Sie will den Krieg nur vorbereiteter führen: Mit einer besser gerüsteten Bundeswehr, einer kriegstauglicheren Wirtschaft und einer noch verhetzteren Gesellschaft. Ihr Hass auf den Kommunismus und die Sowjetunion fügen sich perfekt in die antirussische Hetze aller Parteien. Die AfD ist Teil der Kriegsvorbereitung und keinesfalls ihr Gegner.

Die Geschichte des Faschismus zeigt, dass es als erstes die Spitze der Opposition trifft – Grundrechtseinschränkungen sind damals wie heute Teil der Kriegsvorbereitung. Organisationen, die im Sinne des Völkerrechts den Widerstand der Palästinenser unterstützen, werden in Deutschland verboten. Mit dem Gesinnungsparagraphen 140 StGB werden Aktivisten, die den „Terrorangriff der Hamas“ und den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ nicht verurteilen, vor Gericht gebracht. Es zeigt sich: Mit juristischen und polizeilichen Mitteln soll die Opposition zum Kriegskurs mundtot gemacht werden.

Faschisierung und Kriegsvorbereitung leben aber auch davon, dass geschwiegen wird. Vereinzelung, Rückzug ins Private und Verrohung sind Anzeichen einer Gesellschaft, die die neuen Realitäten stillschweigend anerkennt. Doch auf der anderen Seite zeigen Statistiken, dass ein Großteil der Gesellschaft in Deutschland keinen Krieg will. Es gibt darüber hinaus eine starke Bewegung, die sich im Kampf für Palästina mit der Gesinnungsjustiz erfolgreich anlegt. Und auch in den Gewerkschaften gibt es viele Kollegen, die sich gegen Zeitenwende und Genozid stellen.

Was tun? Morgen kämpfen und heute feiern!

Die Friedensbewegung muss die Realität anerkennen: Deutschland bereitet einen Krieg gegen Russland vor und dieser Krieg soll bald geführt werden. Appelle an die Vernunft der deutschen Politik helfen nicht, wenn sie gerade diese als vernünftige Agenda gegen die vermeintlich russische Bedrohung verkauft. Die Palästina-Bewegung ist ihr Bündnispartner: Der Kampf, den die Palästinenser in Deutschland führen, ist nicht nur ein Kampf gegen den anhaltenden zionistischen Völkermord. Er ist auch ein Kampf gegen die Staatsräson und damit den Kriegskurs der BRD.

Die Kommunistische Bewegung muss verstehen, dass ihre Distanzierung von Russland Teil des Problems ist. Die imperialistischen G7- und NATO-Staaten wollen sich Russland unterwerfen. Sie sind der Aggressor, nicht Russland. Wer den sogenannten imperialistischen Angriffskrieg Russlands verurteilt, der verkennt diese Realität. Der stellt sich, ohne es vielleicht zu wollen, auf die Seite der Herrschenden.

Der deutsche Imperialismus wurde vor 80 Jahren besiegt, weil der Sozialismus die Einheit des Volkes, die Industrialisierung und Verteidigungsfähigkeit schuf, die den scheinbar übermächtigen faschistischen Feind besiegen konnte. Die Herrschenden in Deutschland haben sich mit dieser Niederlage nie abgefunden. Sie laden russische Vertreter von Gedenkfeiern aus und entfernen ihre Kränze in KZ-Gedenkstätten. Sie verspritzen heute das gleiche Gift wie damals, wenn wir diesen Sieg propagieren.

Der deutsche Imperialismus wurde vor 80 Jahren besiegt und jeder einzelne Sowjetbürger und Antifaschist in Deutschland und weltweit hatte seinen Anteil daran. Morgen müssen wir ihre heldenhafte Arbeit fortsetzen, indem wir gegen Kriegsvorbereitung, Chauvinismus und Rassismus kämpfen. Doch heute haben wir und die ganze Welt erst einmal Grund zu feiern.

С днём победы! Zum Tag des Sieges alles Gute!

Die Relativierung des Antisemitismus durch die Gedenkstättenleitung Buchenwald

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Offener Brief an Jung&Naiv

Liebes Team von Jung&Naiv,

in eurer Sendung mit dem Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Herrn Wagner, wird ab Minute 2:56:00 die Kommunistische Organisation erwähnt. Herr Wagner behauptet, die Kommunistische Organisation „agiere extrem antisemitisch“ und habe deshalb ein Hausverbot bekommen.

Das ist eine infame Unterstellung, die weder begründet noch ausgeführt wird. Wir haben nie eine Mitteilung über dieses Hausverbot erhalten. Der Interviewer Hans Jessen fragt weder nach einer Begründung noch hakt er in irgendeiner anderen Weise nach.

Wir vermuten, dass es sich um unsere Solidarität mit Palästina und dem palästinensischen Widerstand handelt, die von Wagner als antisemitisch diffamiert wird.

Die Kommunistische Organisation bekämpft Antisemitismus. Wir lehnen jede menschenfeindliche Ideologie ab. Dazu gehört auch der Zionismus, dessen Ablehnung keineswegs Antisemitismus ist. Auch viele Jüdinnen und Juden grenzen sich klar vom Zionismus ab.

Die Gleichsetzung des Judentums mit Israel bedeutet, Jüdinnen und Juden mit der zionistischen Ideologie, einer rassistischen Blut-und-Boden-Ideologie gleichzusetzen. Herr Wagner verhöhnt nicht nur die Opfer der israelischen Kriegsverbrechen, er will zugleich die Opfer des deutschen Faschismus instrumentalisieren, um heute Kriegsgegner und Antifaschisten anzugreifen. Im Namen des Judentums einen Kriegsverbrechen und Völkermord begehenden Besatzungsstaat zu verteidigen, ist schlicht rassistisch.

Mit dem falschen Vorwurf des Antisemitismus will Herr Wagner Antifaschisten mundtot machen. Der Vorwurf soll diejenigen, die sich gegen Völkermord und Krieg, gegen Rassismus und völkischen Hass wenden, zum Schweigen bringen. Diejenigen, die sich dem Schwur von Buchenwald verpflichtet haben und gegen Menschenverachtung in jeder Form kämpfen, werden von der Gedenkstättenleitung angegriffen. Wir organisieren seit Jahren Führungen durch das ehemalige KZ Buchenwald und klären über den Faschismus und seine Verbrechen auf. Wir empfinden es als Schande, dass die Gedenkstätte für unsere antifaschistischen Kämpfer von solchen politischen Kräften okkupiert ist.

Diese Gedenkstättenleitung hat Hinweise auf den gemeinsamen Widerstand von Juden und Kommunisten (oftmals auch jüdische Kommunisten) aus der Ausstellung gestrichen und die Gedenkplakette für Jerzy Zweig, dem geretteten polnisch-jüdischen Kind aus dem Film „Nackt unter Wölfen“ entfernt.

Am 6. April 2025 hat eine Genossin von uns in Buchenwald Hausverbot erteilt bekommen, weil sie eine Kufiya als Zeichen der Solidarität mit Palästina trug und wurde allein dafür mit Polizei vom Gelände eskortiert. Wir werden gegen dieses Hausverbot juristisch vorgehen. Solidarität mit Palästina ist nicht antisemitisch, auch Solidarität mit dem Widerstand des palästinensischen Volks ist nicht antisemitisch. Er wendet sich nicht gegen Juden, sondern gegen Besatzung, Vertreibung und Unterdrückung.

Die Gedenkstättenleitung grenzt Russland und Belarus aus, obwohl sie die Herkunftsstaaten vieler Häftlinge und die Befreier Deutschlands waren. Die Gedenkstättenleitung instrumentalisiert das Gedenken an die Opfer des Faschismus, um aktuelle deutsche Kriegsinteressen zu rechtfertigen. Das Feindbild Russland wird aufrecht erhalten und der Genozid an den Palästinensern gerechtfertigt.

Durch die wiederholte Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs trägt die Gedenkstättenleitung ebenso wie die Medien und Regierungsvertreter zur Relativierung des Antisemitismus bei. Diese Relativierung des Antisemitismus, die Verwischung seiner Bedeutung ist gefährlich und führt zur Stärkung von Antisemiten. Das habt ihr auch bereits in einer Sendung vom November 2023 mit Alena Jabarine und Tomer Dreyfuß thematisiert.

Wir werden weiter gegen Antisemitismus und gegen die Unterdrückung des palästinensischen Volks kämpfen – ein Kampf, der zusammen gehört und sich nicht trennen lässt. Der Kampf gegen rassistische und menschenverachtende Ideologie und Kriegsverbrechen ist unteilbar. Antifaschismus ist unteilbar. Er gilt für alle Opfer.

Wir würden uns freuen, wenn das Team von Jung und Naiv unsere Reaktion auf diesen schweren Vorwurf veröffentlichen würde und sind gerne bereit, Fragen zu beantworten.

Wir sind nicht bereit, diese Anschuldigung unkommentiert und unwidersprochen zu lassen. Deshalb veröffentlichen wir diesen Brief, damit sich die Zuschauer von Jung und Naiv und alle Interessierten ein Bild machen können.

Mit besten Grüßen

Kommunistische Organisation

Druck von unten am 1. Mai gegen Völkermord und Kriegspolitik

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In einigen Orten konnte die DGB-Führung nicht mehr so repressiv gegen Kriegs- und Völkermordgegner vorgehen – Bericht und Einschätzung

Die diesjährigen Demonstrationen zum 1. Mai, an denen wir uns beteiligt haben, zeigen, dass die Stimmen gegen den Völkermord in Gaza, eine der beiden prägenden politischen Fragen der Zeit, stark vertreten waren und nicht ausgegrenzt werden konnten. Der Krieg gegen Russland wurde dagegen kaum oder gar nicht thematisiert, teilweise die Aufrüstung, die als „Verteidigung“ verkleidet wird, gerechtfertigt. In Hannover gab es einen rassistischen „Demokonsens“, der propalästinensische und antizionistische Inhalte ausgeschlossen hatte, in Lübeck wurde die DKP vom Fest ausgeschlossen. Dort hatte der DGB in seinem „Demokonsens“ die „uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine – wir erkennen W. Putin als alleinigen Aggressor an“, ein „Bekenntnis zu Europa und zu NATO-Mitgliedschaft“, die „Solidarität mit Israel und den zivilen Opfern der kriegerischen Auseinandersetzung im Gazastreifen“ und ein „Bekenntnis zur Richtigkeit des Sondervermögens, um in die Zukunft zu investieren“ festgeschrieben. Staatsräson hoch zehn. Der Kampf gegen diese „Demokonsense“ muss aufgenommen werden.

In einigen Orten gab es klare Aussagen gegen die Verbrechen Israels und die Waffenlieferungen, in manchen zumindest die Forderung nach Frieden und weniger Aufrüstung. Die DGB-Führung spielt selbst eine aktive Rolle in der Gewährleistung des Kriegskurses und der Unterstützung des Besatzungsregimes. Teile der Basis und der Demonstranten machen dabei nicht mit. Dennoch gibt es die Tendenz, den Kampf für höhere Löhne und gegen die Angriffe auf das Arbeitszeitgesetz in den Vordergrund zu rücken, um über Aufrüstung und Völkermord nicht sprechen zu müssen.

Natürlich ist der Kampf gegen die Angriffe auf Arbeitszeit, Sozialleistungen und Löhne wichtig. Aber er muss verbunden werden mit dem Kampf gegen Aufrüstung und Krieg, wie wir auch in unserer Stellungnahme zum 1. Mai betont haben. Den Krieg gegen Russland und seine geplante massive Expansion konnten wir in einigen Orten nicht stark thematisieren, weil wir neben der Durchsetzung der Palästina-Solidarität dafür zu wenige Kräfte hatten. Ein Mangel war, dass wir nicht ausreichend über die rassistische Histadrut, die zionistische „Gewerkschaft“ und israelische Schwesterorganisation des DGB, zu informieren. In einigen Orten haben wir allerdings den Aufruf des palästinensischen Gewerkschaftsverbandes verbreitet.

Insgesamt scheint uns sowohl das politische Klima von oben – auch durch den DGB – weiter verschärft zu werden, insbesondere gegen antimilitaristische und antizionistische Kräfte. Zugleich ist aber klar erkennbar, dass an der Basis in den Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden Stimmen lauter werden für Solidarität mit Palästina und gegen den Kriegskurs, aber noch keine klaren Kulminationspunkte dieses Potentials geschaffen wurden. Für die nächste Zeit und die nächsten Jahre müssen wir uns auf ungemütliche Zeiten einstellen. Störenfriede, die Kriegspolitik und Völkermord angreifen, sind wir gerne.

Berlin

In Berlin scheint es offenbar innerhalb des DGB eine kleine Selbstkritik gegeben zu haben, nachdem letztes Jahr Palästina-Solidarität sowie linke und kommunistische Gruppen ausgrenzt worden waren. Vereinzelte Palästina-Fahnen waren in der mit 10.000 Teilnehmern wohl bundesweit größten DGB-Demo erlaubt und die linken und kommunistischen Blöcke wurden nicht vom Platz der Endkundgebung ferngehalten. Die Aussagen auf der Bühne waren politisch sehr schwach und man hatte den Eindruck, dass der DGB keine Lust auf die politische Aktion hatte und vor allem versucht, den 1. Mai nicht zu politisieren: Es ging nur um Tarifkämpfe und Löhne und ein wenig um die AfD.

Die Revolutionäre 1. Mai-Abenddemo war mit über 20.000 Leuten sehr groß. Sie war kämpferisch und Palästina sehr präsent. Unser Banner mit der Losung „Stoppt den Krieg gegen Russland“ rief teilweise Anfeindungen vor allem von Seiten jüngerer Leuten hervor, andere aber zeigten ihre Zustimmung. Es gab auch einen „Ukrainischen Block“ unter dem Slogan: „No peace under Russian occupation“.

Dresden

In Dresden konnten wir gemeinsam mit dem Roten Aufbruch, FreePalestineDresden und einem kurdischen Verein erstmals einen internationalistischen Block auf die Beine stellen, der mit 150 Teilnehmern für Dresdner Verhältnisse sehr stark war. Themen waren der Jemen, der Sudan, der Kongo, der Libanon und natürlich Palästina. Im Block liefen neben Migranten auch viele palästinasolidarische deutsche Linke mit. Gewerkschaftsfunktionäre riefen mehrmals in Reden dazu auf, den angeblichen Antisemitismus, der von unserem Block ausgehe, zu unterbinden. Sie meinten damit unsere Palästinafahnen und „Stoppt den Genozid“-Plakate. Ein DGB-Funktionär sagte zu uns: „Meinungsfreiheit bedeutet, auch mal den Mund zu halten.“ Ordner versuchten, uns Schilder und Fahnen abzunehmen, was wir aber nicht zuließen. „Antideutsche“ Ordner hatten sich abgesprochen und waren dazu übergegangen, uns immer wieder vom Rest der Demo abzudrängen und zu blockieren. Das hat dazu geführt, dass wir ab der Hälfte der Demonstration mit ca. 200 Meter Abstand hinter dem DGB gelaufen sind. Es war ein sehr gelungener und auch kraftvoller Auftritt, dem sich spontan Passanten und andere Gewerkschafter angeschlossen haben. Im Jugendblock wurde die Kriegspolitik und Aufrüstung kritisiert.

Duisburg

In Duisburg haben wir uns am Palästina-Block auf der DGB-Demo beteiligt, was auf die Zustimmung großer Teile der Demo gestoßen ist. Abgesehen von den ersten Reihen, in denen SPD und Grüne liefen, wurde der größte Teil der etwa 800 Teilnehmer wie jedes Jahr vor allem von migrantischen und kommunistischen Organisationen gestellt. Spontan schlossen sich uns auch Passanten, darunter vor allem Jugendliche, an. Wegen „verbotener Parolen“ – vermutlich „From the River to the Sea Palestine will be free“ und “Von Duisburg bis nach Gaza – Yallah Intifada“ – gab es Schikane durch die Polizei und vermutlich wurden auch Anzeigen gestellt. Der größte Teil der Demo solidarisierte sich mit dem Palästina-Block während dieser Repressalien.

Während des DGB-Festes sprach die DGB-Jugend auf der zentralen Bühne und in Anwesenheit von Angelika Wagner (DGB-Regionsgeschäftsführerin Niederrhein und rechter Flügel der Gewerkschaften) und Bärbel Bas (SPD-Abgeordnete aus Duisburg und bis vor Kurzem Bundestagspräsidentin) von der „schlimmsten menschengemachten humanitären Katastrophe“ im Gazastreifen. Zwar wurde auch der Aufstand vom 7. Oktober 2023 verurteilt, aber im gleichen Atemzug auch die Ermordung von Journalisten, Ärzten usw. angekreidet. Es wurde benannt, dass laut UNO 50.000 Menschen in Gaza ermordet worden sind und dass 70% davon Frauen und Kinder waren. Abschließend wurde ein Ende der Waffenlieferungen an Israel gefordert und erklärt, dass Gewalt Gegengewalt provoziert. Von der DGB-Jugend wurde danach „Free free Palestine“ und „Stoppt den Krieg“ angestimmt.

Frankfurt am Main

In Frankfurt am Main organisierte das Kufiya-Netzwerk sowohl auf der Demo des DGB als auch auf der Revolutionären 1. Mai-Demo am Abend einen Palästina-Block. Zwar untersagte der DGB das Rufen der Parole „From the River to the Sea“, was absurd ist, da wir uns bereits vor Gericht das Recht erstritten haben, diese Parole rufen zu dürfen. Er verbot zudem jegliche Losungen, die das „Existenzrecht“ der Besatzungsmacht Israel infrage stellten. Allerdings war es aufgrund der Dynamik, die vom Palästina-Block ausging und wegen der großen Solidarität sowohl der türkischen und kurdischen Organisationen als auch des Jugendblocks, für den DGB-Geschäftsführer Frankfurts, Philipp Jacks, bei seiner Rede auf dem Römer nicht möglich, den Block zu ignorieren, und er grüßte ihn von der Bühne, was wiederum positiv zu bewerten ist. Entgegen unseren Befürchtungen, dass es zu größeren Problemen auf der DGB-Demo, an der ca. 3000 Menschen teilnahmen, kommen könnte, blieben Zwischenfälle und Anfeindungen aus. Das Untersagen von Parolen gegen Unterdrückung und für Gleichheit und Freiheit ist ein Skandal. Gleichzeitig zeigte die Demo, dass es für den DGB nicht einfach so möglich ist, eine eindeutig pro-zionistische Politik zu verfolgen, ein Widerspruch, den es besser zu verstehen und auszunutzen gilt.

Bei der Revolutionären 1. Mai-Demo am Abend mit ca. 2000 Personen war der Block des Kufiya-Netzwerks der mit Abstand größte und stärkste. Es schlossen sich im Laufe der Demonstration immer mehr Menschen an. Die Demo zeigte, dass innerhalb der linken Szene die „antideutsche“ Szene mittlerweile deutlich an Einfluss verloren hat und die Palästinafrage wichtig ist – gerade unter jüngeren Menschen. Zurecht und mit Stolz rief der Palästina-Block „Siamo tutti Antifascisti“ – „Wir sind alle Antifaschisten“.

Leipzig

In Leipzig nahmen etwa 500 Menschen an der DGB-Demo teil. An das generelle Fahnen-Verbot mussten wir uns wohl oder übel halten. Unser Banner, das auf die Friedensgrundsätze des DGB verwies und forderte, sich gegen den Krieg gegen Russland und den Genozid in Gaza zu stellen, konnten wir tragen. Es wurde auch in der größten Zeitung Leipzigs platziert. Nachdem auf der Kundgebung immer wieder gefordert wurde, sich an den sogenannten „Demokonsens“ zu halten, haben wir unsere Ablehnung geäußert: Auf unsere Parolen „DGB, warum kein Wort? Völkermord ist Völkermord!“ und: „Alle sagen hier nie wieder – das gilt auch für Palästina!“ wurde von einigen Anwesenden sehr aggressiv reagiert. So wurden wir aufgefordert, uns zu „verpissen“. Wir antworteten, dass wir selbst Gewerkschaftsmitglieder sind und es undemokratisch finden, wegen politischem Dissens von den eigenen Leuten aufgefordert zu werden, die Kundgebung zu verlassen. Einige wenige haben sich aber auch zu uns gestellt und Unterstützung bekundet.

Neben Palästina machten wir auch mit Plakaten auf den Fall der antifaschistischen Kononovich-Brüder aufmerksam, die in der Ukraine unter Hausarrest stehen und an der Front ermordet werden sollen.

Mannheim

In Mannheim haben wir uns am Block von zaytouna, Free Palastine Mannheim und Students for Palestine bei der DGB- und der Revolutionären 1. Mai-Demo beteiligt. Insgesamt haben sich 800 Menschen an der Gewerkschaftsdemo beteiligt, der Palästina-Block war mit 100 Personen recht stark. Bei einigen Teilnehmern stieß der Block auf Ablehnung und Misstrauen, andere haben sich uns explizit angeschlossen. Es gab offensichtlich zahlreiche Menschen, die das Bedürfnis hatten, ihrer Solidarität mit Palästina auch auf dieser Demo Ausdruck zu verleihen. Als wir bei unserer Ankunft am Kundgebungsplatz „DGB, warum kein Wort? …“ riefen stürmten einige DGB-Funktionäre auf uns zu und bedrängten uns. Nachdem wir ihnen klar gemacht hatten, dass wir nicht die Absicht hatten, die Kundgebung zu stören, beruhigten sie sich.

Bei der Revolutionären 1. Mai-Demo vom Offenen Antifaschistischen Treffen Mannheim waren wir mit ca. 90 Personen einer der lautesten und stärksten Blöcke. Auch hier schlossen sich uns viele Leute an und es gab viele positive Reaktion auf unsere Slogans. Auf dem Lautsprecher-Wagen war die Palästinafahne gehisst. Einige Leute bezogen sich auch positiv auf unserer gegen die NATO gerichtetes Banner und posierten vor diesem für Fotos.

„Verteidigungsfähig“ ja – aber nicht gegen Russland, sondern gegen den Kriegskurs der NATO!

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Stellungnahme zum 1. Mai 2025

Deutschland soll 2030 Krieg gegen Russland führen und stellt sich dafür auf: Eine unvorstellbare Summe von 1,7 Billionen fließt in Aufrüstung, statt Autos rollen Panzer und alle Bereiche der Gesellschaft werden für den Krieg fit gemacht. Bezahlen und bluten für diese Politik sollen wir: Unsere Steuern werden für die Aufrüstung verbrannt und unsere Löhne von der Inflation aufgefressen, während die großen Unternehmen Dividenden auf Rekordniveau ausschütten. Entlassungen, Arbeitszeitverlängerung und Sozialabbau stehen auf der Tagesordnung. Mit dem neuen Koalitionsvertrag soll der 8-Stunden-Tag abgeschafft werden, der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst legt bereits den Grundstein dafür. Der neue Wehrdienst ist der erste Schritt zur Wehrpflicht, die vermutlich noch in der kommenden Legislatur wieder eingeführt wird. Für den Krieg gegen Russland wird schließlich jede verfügbare Menschenmasse gebraucht.


Der Kampf gegen Militarisierung und Krieg ist eigentlich Grundverständnis des DGB, wie in seiner Satzung nachzulesen ist. Doch anstatt Widerstand gegen die Verarmung und Aufrüstung zu organisieren, stützt die Führung des DGB die Kriegsvorbereitung: Deutschland müsse „verteidigungsfähig“ sein, hieß es im Statement des DGB zu den diesjährigen Ostermärschen. Was meinen Politiker, Unternehmen und die DGB-Führung, wenn sie von Verteidigung sprechen? Sie verteidigen die Ausdehnung der NATO und EU Richtung Osten. Russland steht dieser Ausdehnung im Weg und wird somit selbst zum Kriegsziel. Was sie Verteidigung nennen, ist eigentlich Angriff.

Für diesen Kriegskurs ist eine Gesellschaft, die sich stillschweigend fügt und einreiht, notwendig. Die Gewerkschaften spielen dabei eine wichtige Rolle und so versucht die DGB-Führung, auf den Kriegskurs einzuschwören: Schlechte Tarifabschlüsse werden damit gerechtfertigt, dass die Zeiten „schwierig“ seien. Arbeitszeitverlängerung wird als „Flexibilisierung und Freiheit“ propagiert. Und das kürzlich beschlossene 500-Milliarden-Sondervermögen für Kriegsinfrastruktur bejubelt Yasmin Fahimi als „Befreiungsschlag zur Modernisierung unseres Landes“. Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie werden als einzige Alternative zu Arbeitslosigkeit dargestellt – wohl wissend, dass die Arbeiter bei Rheinmetall, KNDS & Co mit der Produktion für den Krieg ihr eigenes Grab schaufeln. Aufrüstung und Kriegsvorbereitung ja, aber bitte sozial verträglich lautet das Motto der DGB-Führung.
Dabei ist klar: Erstens ist die Losung „Butter UND Kanonen“ eine Täuschung. Kriegsvorbereitung heißt Verarmung. Kriegstüchtigkeit heißt Einschränkung der sozialen und demokratischen Rechte. Zweitens haben wir im Krieg gegen Russland – ganz unabhängig von Sozialabbau und Verarmung – nichts zu gewinnen, sondern alles zu verlieren. Verteidigen müssen wir uns, allerdings nicht gegen Russland, sondern gegen den Kriegskurs der NATO und Deutschlands.

Was es dafür braucht, ist eine Absage an Sozialpartnerschaft, „sozial verträgliche“ Aufrüstung und das Einschwören der Gesellschaft auf Krieg. Was es braucht, sind Gewerkschaften, die sich gegen den nun seit mehr als eineinhalb Jahren laufenden Völkermord in Palästina stellen und dafür sorgen, dass keine deutschen Waffen mehr an Israel geliefert werden. Was es braucht, sind Kämpfe für höhere Löhne und Arbeitszeitsenkung sowie gegen Entlassungen und Sozialabbau. Wir brauchen Gewerkschaften, die gegen Aufrüstung, Wehrpflicht und den Krieg gegen Russland mobilisieren. Wir müssen dafür sorgen, dass die anti-militaristischen Grundsätze des DGB nicht mit Füßen getreten oder in ihr Gegenteil verkehrt werden. Notwendig dafür ist eine Basis, die sich von den Stillhalte-Parolen der Führung nicht einhegen lässt. Es gibt bereits Zusammenschlüsse von Gewerkschaftsmitgliedern, wie Gewerkschaften gegen Aufrüstung oder Sagt Nein!, die wir unterstützen müssen. Unsere Forderungen dabei müssen sein:

Stoppt den Krieg gegen Russland! Stoppt den Völkermord in Palästina!
Nein zu Aufrüstung & Verarmung!

70 Jahre nach der antikolonialen Konferenz: Der Geist von Bandung

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Von Matthew Read

Dieser Artikel erschien zuerst in der DKP-Wochenzeitung UZ. Wir danken der Redaktion für die Erlaubnis, ihn zu spiegeln.

„Das Wort haben die Stummen der Welt!“ Mit diesen Worten eröffnete Indonesiens Staatspräsident Achmed Sukarno die Afro-Asiatische Konferenz am 18. April 1955 in Bandung, der drittgrößten Stadt des Landes. Über 300 Delegierte aus 29 ehemaligen Kolonien und Halbkolonien waren nach Indonesien angereist, um mehr als die Hälfte der damaligen Weltbevölkerung zu vertreten. Unter den politischen Führern gab es Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Wesens des Kolonialismus und die Konferenz war zuweilen von hitzigen Debatten geprägt. Doch als sie am 24. April zu Ende ging, hatten sich diejenigen durchgesetzt, die sich für eine Einigung auf antikolonialer und antimilitaristischer Basis eingesetzt hatten: In der 10-Punkte-Erklärung von Bandung wurden die Grundsätze der „friedlichen Koexistenz“ und der „Nichtpaktgebundenheit” festgeschrieben. Es war ein entscheidender Moment des Jahrhunderts.

Die Nichtpaktgebundenheit, die sich in den Jahren nach der Bandung-Konferenz zu der festen „Bewegung der Blockfreien Staaten“ entwickelte, kann nur im historischen Kontext der damaligen Weltsituation verstanden werden. Die imperialistischen Staaten waren bestrebt, ihre ehemaligen Kolonien durch militärische Paktbindungen in den „kalten Krieg“ gegen den Sozialismus und die Sache der nationalen Befreiung einzubinden. Die Middle East Treaty Organization (METO) wurde beispielsweise konzipiert, um ein NATO-Pendant an der südwestlichen Grenze der So­wjet­union zu errichten. Die Ablehnung jeder Blockbindung damals richtete sich von daher in erster Linie gegen diese imperialistische Politik. Staatsmänner wie der indische Premierminister Jawaharlal Nehru sprachen von einer „positiven Neutralität“, um sich vom Schweizer Modell der passiven Neutralität abzugrenzen. Der „Geist von Bandung“ bestand im aktiven Widerstand gegen imperialistische Machenschaften in den ehemaligen und bestehenden Kolonien.

Die Vorgeschichte

Der Konferenz ging eine lange Vorgeschichte voraus. Die Völker Afrikas und Asiens waren in der Tat nie stumm gewesen und hatten ihren antikolonialen Kampf bereits seit Jahrzehnten geführt. Die imperialistischen Mächte hatten mit allen Mitteln versucht, sie zum Schweigen zu bringen, aber die Bewegung der nationalen Befreiung war nicht mehr aufzuhalten. Die Oktoberrevolution hatte die Weltsituation grundlegend verändert und strahlte nach 1917 auf alle unterdrückten Völker aus. Im Gegensatz zur Zweiten Internationale verstand die neu formierte Kommunistische Internationale (Komintern) die große Bedeutung der Kolonialfrage und des Selbstbestimmungsrechts aller Nationen. Der Kampf der Kolonialvölker für ihre nationale Befreiung wurde in der Komintern als integraler Bestandteil des revolutionären Weltprozesses verstanden.

Mit der Konsolidierung der So­wjet­union als erster sozialistischer Staat gewannen die nationalen Befreiungsbewegungen einen Verbündeten auf der Weltbühne. Unter Federführung der Komintern und auf Initiative von Willi Münzenberg wurde auf der Brüsseler Konferenz 1927 die „Liga gegen Kolonialgreuel und Unterdrückung“ gegründet. Wie Sukarno später erzählte, bildete die Liga den Auftakt zur weltweiten antikolonialen Massenbewegung, die dann später zu Bandung führte. Die Brüsseler Konferenz brachte die Befreiungsbewegungen aus Afrika und Asien zum ersten Mal mit Vertretern der Arbeiterbewegungen im Westen und der So­wjet­union zusammen. Wie in Bandung setzte sich die Teilnehmerschaft notwendigerweise aus den verschiedensten Klassen zusammen – Kommunisten standen neben bürgerlichen Nationalisten und kleinbürgerlichen Intellektuellen. Sie waren durch den Antikolonialismus geeint.

Mit der Niederlage des deutschen und japanischen Faschismus im Jahr 1945 breitete sich das sozialistische Lager über die Grenzen der So­wjet­union hinaus aus und die Befreiungsbewegungen wurden gestärkt. Tausende von Kolonialsoldaten kehrten nach Hause zurück und griffen zu den Waffen gegen die Besatzer, denen sie gerade geholfen hatten, sich vom Faschismus zu befreien. Ahmed Ben Bella, der Führer der algerischen Nationalen Befreiungsfront und später ein zentraler Akteur in der Bewegung der Blockfreien Staaten, war einer von ihnen. Nach und nach wurde die direkte Kolonialherrschaft in Afrika und Asien gestürzt. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung unter dem imperialistischen Kolonialsystem lebten, waren es nach 1960 nur noch knapp 5 Prozent. Bandung war somit der Anfang vom Ende der ersten Phase der nationalen Befreiung. Die zweite Phase sollte durch den Kampf gegen den Neokolonialismus gekennzeichnet sein: wirtschaftliche Abhängigkeiten, Militärpakte, CIA-gesteuerte Putsche, Sanktionen und Schuldenfallen. Dieser Kampf setzt sich bis heute fort.

Die Bewegung der Blockfreien Staaten

Doch wenn die neu befreiten Staaten noch von den imperialistischen Ländern ausgebeutet und unterdrückt wurden, warum schlossen sie nicht direkt Bündnisse mit dem sozialistischen Lager? Warum bildeten sie eine eigene „Bewegung der Blockfreien“? Dies hatte mit dem Klassencharakter der neuen Regierungen in den jungen Nationalstaaten zu tun. Die koloniale Ausbeutung dieser Länder hatte die Entwicklung der beiden Hauptklassen des Kapitalismus behindert. In den meisten afrikanischen und asiatischen Staaten war die im Entstehen begriffene Arbeiterklasse zahlenmäßig noch sehr schwach. Die nationale Bourgeoisie, sofern sie überhaupt existierte, war politisch desorientiert und wirtschaftlich eher dürftig aufgestellt. Infolgedessen wurden die Befreiungsbewegungen zumeist von Revolutionären aus den sogenannten „Zwischenschichten“ angeführt: kleinbürgerlichen Intellektuellen wie Sukarno und Nehru oder radikalisierten Militäroffizieren wie Gamal Abdel Nasser in Ägypten. Solche Führer strebten nach größerer Unabhängigkeit vom Imperialismus, doch ihre Klassenposition hinderte sie daran, sich eindeutig und konsequent auf die Seite der sozialistischen Staaten zu stellen. Nach der Unabhängigkeit kam es in diesen Ländern zu einem klassenmäßigen Differenzierungsprozess, bei dem um die Ausrichtung des Landes gerungen wurde. Während sich einige Regierungen dem sozialistischen Lager annäherten und einige sogar den Marxismus aufnahmen, freundeten sich andere zunehmend mit dem Westen an und gingen repressiv gegen die Kommunisten in ihren Staaten vor.

Im sozialistischen Lager wurde die Formierung der Bewegung der Blockfreien zunächst zurückhaltend begrüßt. Mit der Zeit kam man jedoch zu dem Schluss, dass das Bündnis ein zwar widersprüchliches, aber sehr reales Phänomen war, das nicht abgeschrieben werden könnte. Als außenpolitische Konzeption widerspiegelte die Nichtpaktgebundenheit die Klasseninteressen der bürgerlichen Kräfte, deren ideologische Grundlage der Nationalismus ist. Doch im Kontext der oben erwähnten „positiven Neutralität“ war der „Nichtpaktgebundenheit unabweisbar eine antikoloniale und antiimperialistische Grundtendenz eigen“, so die Schlussfolgerung von Diethelm Weidemann, Professor für Theorie und Geschichte der internationalen Beziehungen in Asien an der Humboldt-Universität im Jahr 1974. „Die außenpolitische Grundhaltung der nicht paktgebundenen Staaten hat trotz vieler Schwankungen und Inkonsequenzen und unabhängig vom Willen der bürgerlichen Führungskräfte einiger Länder objektiv antiimperialistische Wirkungen hervorgebracht, hat die imperialistische Strategie und Politik erschwert, hat die Position des Imperialismus in den internationalen Beziehungen geschwächt.“ Die Bewegung der Blockfreien wurde zudem als ein umkämpftes Feld verstanden. Es sei notwendig gewesen, einerseits ihre fortschrittlichen Forderungen in der UNO zu unterstützen, andererseits aber auch innerhalb des Bündnisses weiter um konsequente antiimperialistische Positionen zu ringen, wie es Fidel Castro und andere auch taten.

Konterrevolution gegen die Befreiung

Nach der Welle der nationalen Befreiung in den 1950er und frühen 1960er Jahren setzte die Konterrevolution in der Mitte des Jahrzehnts zum allseitigen Gegenangriff an. Sukarnos Regierung wurde zehn Jahre nach der Bandung-Konferenz durch einen vom Westen unterstützten Militärputsch gestürzt. Mithilfe von Geheimdienstinformationen der CIA und des BND ließ die neue Militärregierung mehr als eine Million indonesische Kommunisten und Antiimperialisten ermorden. Ähnliche Putsche gegen die sozialistisch orientierten Regierungen in Ghana und Mali folgten in den Jahren 1966 und 1968. Die USA verstärkten gleichzeitig ihre Kriegführung gegen das vietnamesische Volk, so dass die Zahl der eingesetzten US-Truppen bis 1968 auf über eine halbe Million Mann anstieg. Die Regierungen, denen es gelang, dem Gewaltregime des Imperialismus zu entgehen, wurden entweder gekauft (zum Beispiel Ägypten nach dem Tod Nassers) oder schlichtweg von der kapitalistischen Weltwirtschaft geschluckt. Westliche Finanzsysteme wie der Internationale Währungsfonds (IWF) zwangen den Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika eine Schuldenkrise auf, die sich bis heute fortsetzt. Der Geist von Bandung wurde somit ab den 1980er Jahren weitgehend gebrochen. Mit der Konterrevolution im sozialistischen Lager verloren die Befreiungsbewegungen ihren engsten Partner und wurden zum langen Rückzug gezwungen.

Eine Wiederbelebung von Bandung heute?

Mit der Gründung des BRICS-Bündnisses im Jahr 2009 und seiner Erweiterung im Jahr 2024 stellt sich heute die Frage, ob dies nicht eine Wiederbelebung des Geistes von Bandung darstellt. Auch Indonesien trat Anfang 2025 dem Bündnis bei und wurde damit das erste südostasiatische Vollmitglied. Es stimmt, dass BRICS-Plus viele der Themen aufgreift, die vor 70 Jahren in Bandung angesprochen wurden: Süd-Süd-Zusammenarbeit, Nichtpaktgebundenheit, Schuldenerlass, die Frage nach einer Währungsunion und alternativen Zahlungssystemen. Doch wie der indische Historiker und Kommunist Vijay Prashad feststellt, wäre es irreführend zu behaupten, dass der Geist von Bandung sich von der Konterrevolution bereits erholt habe: „Er existiert, aber weitgehend als Nostalgie und nicht als organische Verbindung zwischen kämpfenden Massen und Bewegungen an der Schwelle zur Macht.“ Prashad sieht in den heutigen Entwicklungen eher die Entstehung einer „neuen Stimmung im Globalen Süden“. Es handele sich „lediglich um eine Andeutung einer neuen Möglichkeit, die jedoch mit dem Konzept der ‚Souveränität‘ im Zentrum enorme demokratische Möglichkeiten birgt“.

Die meisten der Regierungen, die 1955 in Bandung zusammentrafen, waren aus antikolonialen Kämpfen hervorgegangen. Sie waren gegenüber den Massenbewegungen großenteils rechenschaftspflichtig. Die Ambitionen vieler BRICS-Regierungen heute werden hingegen weniger von den Massen angetrieben als von einer wachsenden Zuversicht der nationalen Bourgeoisien und Mittelschichten, die durch die Veränderung der globalen Kräfteverhältnisse aufkommt. Das industrielle Wachstum Chinas und anderer „Lokomotiven des Südens“ haben es ermöglicht, dass Entwicklungsländer immer mehr auf alternative Finanzierungsquellen zurückgreifen können. Die entsprechende Aushöhlung der Abhängigkeiten gegenüber westlichen Institutionen wie dem IWF schwächt die Position des Imperialismus auf der Weltbühne und stellt deswegen eine objektiv antiimperialistische Wirkung dar. Dabei bleibt das BRICS-Bündnis – wie damals die Bewegung der Blockfreien – ein widersprüchliches, aber reales Phänomen. Es ist die Aufgabe der Kommunisten, diese Entwicklung zu erfassen und um die Stärkung des subjektiven Faktors in den antiimperialistischen Kämpfen zu ringen.

Update Syrien-Dossier: Der Fall Syriens

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Wir veröffentlichen ein Update unseres Syrien-Dossiers, in dem wir verschiedene Texte zu den Entwicklungen in Syrien sammeln. Die Texte des Dossiers stellen nicht zwangsläufig die Position der KO dar. Im folgenden spielgen wir den Text „Der Sturz Syriens“, der auf der Website der CPGB-ML (Communist Party of Great Britain – Marxist-Leninist) im Dezember kurz nach den Ereignissen in Syrien veröffentlicht wurde. Die englische Originalversion findet sich hier.

Der Text ist aus zwei Gründen interessant: Einerseits benennt er neben einem kurzen Abriss der Ereignisse der letzten 15 Jahre sehr klar, dass die Niederwerfung der Syrischen Arabischen Republik ein Sieg für den US-Imperialismus und damit eine Niederlage für alle antiimperialistischen Kräfte ist. Andererseits schneidet er kurz die Rolle der britischen Linken an, die sich aber genauso auf Deutschland und den gesamten westlichen Raum übertragen ließe. Die Teile der westlichen Linken, die die Entwicklungen in Syrien direkt oder indirekt angefeuert hat, erwiesen sich – wie schon im Falle Libyens – erneut als Steigbügelhalter der Imperialisten bei der Niederwerfung von Ländern, die vom Imperialismus bekämpft werden.  

Die kürzlich verübten Massaker an vorwiegend Alawiten, primär in den syrischen Küstengebieten, waren in Folge des Umsturzes leider erwartbar und von einigen vorhergesagt worden. Große Teile der westlichen Linken, die zuvor den Regierungssturz und damit die Machtübergabe an vom Imperialismus unterstützte Kräfte befeuerte, stellen sich nun neben diese Ereignisse und beteuern, diese nicht gewollt zu haben. Dabei wird übersehen, dass das eine nicht ohne das andere zu haben war und ist. Auch wenn es dazu noch einmal einer ausführlicheren Auseinandersetzung bedürfte, ist klar, dass spätestens der Fall Syrien zu einem Reflexionsprozess über die eigene Rolle der westlichen Linken bei der Ermöglichung imperialistischer Kriegspolitik führen müsste. Die Autoren des Textes vertreten darauf aufbauend die These, dass erst die Befreiung vom Einfluss der „verräterischen fünften Kolonne“, die die westliche Kriegspolitik de facto zu ermöglichen hilft, es möglich machen wird, auf dem Weg zu unserer eigenen Befreiung voranzukommen. 

Der Sturz Syriens

Der Zusammenbruch der Regierung von Baschar al-Assad ist ein schwerer Rückschlag für die antiimperialistischen Kräfte, aus dem wir lernen müssen. 

Der Rücktritt des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und die Übergabe von Damaskus an von den USA unterstützte Terrorbanden ist ein Sieg für den US-Imperialismus. Die angloamerikanischen Imperialisten haben lange versucht, ganz Syrien zu unterwerfen und jetzt glauben sie, die Gelegenheit dazu zu haben. Es gibt diejenigen, die sich selbst als „Sozialisten“ bezeichnen und den Sturz der syrischen Regierung und das Ende der Arabischen Republik Syrien feiern, aber als bekannt wurde, dass Präsident Assad ins Exil gegangen war, starteten US-amerikanische und israelische Kampfflugzeuge Bombenangriffe im ganzen Land und das israelische Regime begann, weitere syrische Gebiete zu annektieren. 

Der von den USA angeführte Krieg gegen Syrien begann 2011 in der Zeit, die als „Arabischer Frühling“ bezeichnet wird. In dieser Zeit brachen in Tunesien und dann in Ägypten Massenproteste auf der Straße aus, bei denen in beiden Ländern langjährige, mit den USA verbündete Staats- und Regierungschefs gestürzt wurden. Die USA und ihre imperialistischen Verbündeten reagierten schnell auf die Situation und begannen, Proteste in anderen Ländern, darunter Syrien und Libyen, aktiv zu manipulieren und sogar zu initiieren. Ihr Ziel war es, friedliche Proteste, die es gab, schnell in gewalttätige Auseinandersetzungen eskalieren zu lassen, die in einem Bürgerkrieg enden sollten, der dann wiederum als Vorwand für eine „humanitäre“ Intervention des imperialistischen Lagers dienen könnte. Genau das wurde in Libyen getan, was so schreckliche Auswirkungen auf das libysche Volk hatte, dass das Land nun zweigeteilt ist und es in Tripolis offene Sklavenmärkte gibt. 

In Syrien haben die USA zu dieser Zeit eine riesige verdeckte Operation unter dem Codenamen „Operation Timber Sycamore“ in die Wege geleitet. Diese bestand aus einem riesigen Programm zur Bewaffnung von Banden extrem reaktionärer Fundamentalisten, die zu verschiedenen Zeiten unter den Namen Al-Qaida, ISIS, Syrische Nationalarmee, Dschabhat an-Nusra und jetzt Hayat Tahrir asch-Scham auftraten. Diese Vielzahl von Namen verschleiert, dass es sich (im Kern) um dieselbe Gruppe handelt, die mindestens seit der Zeit des Afghanistan-Krieges in den 1980er Jahren in vielen Ländern mit den USA zusammenarbeitet. Ihre Art zu kämpfen ist immer dieselbe und beinhaltet die Massentötung von Zivilisten und unzählige andere Kriegsverbrechen, gegen die die USA zu sein vorgeben. Zusätzlich zu diesem Einsatz massiven Terrors kamen die Sanktionen, die in vielerlei Hinsicht noch verheerender waren als die Aktionen der Terrorbanden. 

Eine brutale und erdrückende Belagerung 

Seit 2011 leidet Syrien unter brutalen und erdrückenden imperialistischen Sanktionen, die es dem Land unmöglich machten, selbst grundlegende Aufgaben wie die Ernährung der Bevölkerung zu erfüllen. Selbst nach der Intervention der Russen und Iraner zur Unterstützung der Regierung in Damaskus blieb mehr als ein Drittel des Landes in Teilen des Nordens und Nordostens unter der Kontrolle von Gruppen, die vom Typus Al-Qaida waren, und von kurdischen Kräften (die ebenfalls mit den USA verbündet sind). In der Zwischenzeit besetzte das US-Militär direkt die wichtigsten Ölförderungs- und Weizenanbaugebiete des Landes. 

Das Ziel all dessen war es, im Land einen Belagerungszustand zu schaffen – denn das Ziel jeder Belagerung ist es, den Widerstandswillen des Gegners zu brechen, indem das Leben im belagerten Land so unerträglich wie möglich gemacht wird. Genau das wurde ab 2011 in Syrien getan, und zwar mit dem Ziel, die von Baschar al-Assad geführte Regierung zu stürzen und durch eine Regierung zu ersetzen, die sich dem Diktat der USA vollständig unterwirft. 

In der vergangenen Woche [Der Text wurde am 12. Dezember veröffentlicht, Redaktion KO] hat sich nun gezeigt, dass sich die jahrelange Belagerungspolitik endlich ausgezahlt hat und eine beträchtliche Anzahl von Befehlshabern der syrischen Armee sich schlichtweg geweigert hat, gegen die jüngste Invasion der von den USA und der Türkei unterstützten HTS-geführten Truppen zu kämpfen. Die kumulative Wirkung der Belagerungspolitik scheint den Kampfeswillen vieler Mitglieder der syrischen Armee endgültig gebrochen zu haben, und Präsident Assad selbst hat das Land im Rahmen eines Deals mit den von den USA unterstützten Truppen verlassen. Syrien ist nun ein Land ohne funktionierenden Staat, ohne Armee, die es verteidigen könnte, und ohne Verbündete. Es wird ständig von israelischen und US-amerikanischen Kampfflugzeugen bombardiert, denn die Imperialisten sind offensichtlich entschlossen, dafür zu sorgen, dass von der Verteidigungsfähigkeit Syriens nicht das geringste übrig bleibt. Israel erobert im Süden Gebiete und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit einer direkten türkischen Invasion im Norden. 

Dreizehn Jahre Krieg, Hunderttausende Tote und Millionen Flüchtlinge. Das ist das Erbe des schmutzigen Krieges der Imperialisten gegen Syrien, und jetzt, da sie ihren düsteren Sieg errungen haben, ist es wahrscheinlich, dass das syrische Volk nur noch Chaos und noch mehr Zerstörung erwartet. 

Der Feind in den eigenen Reihen 

Es muss die Frage gestellt werden: Warum haben so viele in der britischen Linken diesen imperialistischen Krieg unterstützt? Warum haben Linkssozialdemokraten und Trotzkisten wie Owen Jones, Paul Mason, Aaron Bastani, Zarah Sultana und so viele andere „linke“ Berühmtheiten die Zerstörung dieses anti-zionistischen Landes unterstützt? 

Die Antwort ist darin zu finden, dass all diese „Linken“ in Wahrheit fanatische Anhänger des US-Imperialismus sind. Ob der Krieg nun gegen Russland oder Syrien gerichtet ist, die britische Pseudolinke wird ihn entweder direkt unterstützen oder ihn indirekt mit dummen Phrasen wie „Assad ist ein Diktator“ rechtfertigen. Diese Verräter der Arbeiterklasse werden einfach weitermachen und den Krieg vergessen, sobald sich die Presse wieder abwendet und Syrien von den tollwütigen Hunden des Imperialismus in Stücke gerissen wird. Die Lehre für wahre Sozialisten ist, dass eine deutlich entschlossenere Antikriegskampagne nötig gewesen wäre, als dieser Krieg 2011 erstmals von David Cameron vorangetrieben wurde. Stattdessen stimmte die pro-imperialistische Linke einem Großteil der von den Imperialisten verbreiteten Propaganda zu und unternahm letztendlich wenig oder gar nichts, um wirklich Widerstand gegen die 13 Jahre andauernde Belagerung und Zerstörung einer Nation zu leisten, die ein wichtiger Teil der antiimperialistischen Widerstandsachse war. 

Dies ist eine weitere beschämende Episode der Kollaboration der britischen „Linken“ mit unseren Klassenfeinden. Solange wir unsere Bewegung nicht vom Einfluss dieser korrumpierten und verräterischen fünften Kolonne befreien, werden wir unserer eigenen Befreiung keinen Schritt näher kommen. 

Vereinsverbote in der BRD

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Seit November 2023 nehmen die Verbote von Vereinen und Vereinigungen zu, insbesondere in der Palästina-Solidaritäts-Bewegung. Gleichzeitig steigen die Verfahren wegen „Volksverhetzung“ oder „Billigung von Straftaten“ massiv an – meist im Kontext der Palästina-Solidarität, aber auch wenn andere Positionen zum Ukrainekrieg vertreten werden als die der Bundesregierung. Es ist klar: Mit der Kriegspolitik kommen die Verbote

Viele Organisationen, auch wir als KO, sind im Visier des Inlandsgeheimdienstes und des Innenministeriums. Wir werden insbesondere wegen unserer Arbeit in der Palästina-Soli-Bewegung erwähnt. Der „Verfassungsschutzbericht“  ist keine neutrale Berichterstattung, sondern eine Markierung der Positionen und Organisationen, die kriminalisiert werden sollen. Sie dienen damit auch immer der Spaltung. Die ins Visier Genommenen sollen isoliert und innerhalb der Bewegung und Gesellschaft ausgeschlossen werden. Dazu dienen bestimmte Unterstellungen und Narrative wie zum Beispiel, dass die Bewegung „unterwandert“ werden würde. Vor diesem Hintergrund wollen wir in der Artikelreihe verschiedene Fragen behandeln: Warum ist der Kampf um Grundrechte notwendig? Welche Schlussfolgerungen können wir aus den vergangenen Verbote ziehen? Und wie sollten wir mit potentiellen zukünftigen Verboten umgehen? Der erste Beitrag der Reihe forderte dazu auf, Grundrechtskämpfe – von Meinungs‑ über Versammlungs‑ bis Vereinigungsfreiheit – als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, sie zur Entwicklung von Klassenbewusstsein zu nutzen und wirksame Gegenstrategien zur Repression zu entwickeln.

Der zweite Beitrag von Lennart Groh behandelt hier die seit Herbst 2023 in Deutschland laufende Welle politischer Vereinsverbote: Betroffen waren u. a. schiitische Moscheen, palästinasolidarische Gruppen und auch ein rechtes Magazin. Der Artikel erläutert juristische Grundlagen, Begründungen und politische Funktionen von Vereinsverboten und zeigt, wie sie mit den aktuellen politischen Entwicklungen zusammenhängen.

Vereinsverbote in der BRD – Artikelreihe Teil 2

Beitrag von Lennart Groh

1.   Einleitung

Kurz vor 6 Uhr Mittwochmorgen, 24.7.2024 an der Außenalster: Ein Mob von mehreren Dutzend vermummten Polizisten stürmt die Blaue Moschee in Hamburg, eine der größten Moscheen Deutschlands. Mit schwerem Gerät rücken Spezialeinsatzkräfte an, um sich Zugang zu jenem Gebäude zu verschaffen, dessen Enteignung und Überführung in den Besitz der BRD an diesem Morgen bekannt gegeben wird. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verkündet stolz das Verbot des schiitischen Islamischen Zentrum Hamburg (IZH), dem das Gebäude gehört. Bundesweit kommt es zu 52 weiteren Durchsuchungen in 8 Bundesländern sowie der Schließung drei weiterer Moscheen im Bundesgebiet.

Erst eine Woche zuvor war das Verbot des faschistischen Magazins Compact vollzogen worden, das mittlerweile vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Eilverfahren vorerst wieder kassiert wurde.[1] Am 16.5.2024 wiederum hatte das NRW-Innenministerium das Verbot von Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) erlassen, rund ein halbes Jahr nachdem die palästinensischen Organisationen HAMAS (Ḥarakat al-muqāwama al-islāmiyya, dt. Islamische Widerstandsbewegung) und Samidoun durch das Bundesinnenministerium (BMI) verboten worden waren. Hinzu kamen weitere Verbote von Organisationen, wie das der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft (DMG) am 12.6.2024 oder des Islamischen Zentrums Fürstenwalde (IZF) am 12.9.2024. Aktuell wird in Frankfurt am Main vermutlich ein Vereinsverbot des Palästina e. V. vorbereitet, obwohl er sich bereits selbst aufgelöst hatte, in der Antisemitismus-Resolution des Bundestags vom 9.11.2024 wird ein Verbot von BDS gefordert und auch andere palästinensische und palästinasolidarische Initiativen und Gruppen stehen unter Beobachtung durch staatliche Behörden und werden von Schmierkampagnen überzogen, wie etwa Handala Leipzig oder Masar Badil. Und auch die Kommunistische Organisation (KO) steht im Fokus.

Wir scheinen seit Oktober 2023 Zeugen einer „wild gewordenen Exekutive“ zu sein. In der linken und kommunistischen Bewegung gab es allerdings bisher nicht sonderlich viel Interesse an einer Auseinandersetzung mit den genannten Vereinsverboten oder allgemeiner auch der Geschichte dieses Repressionsinstruments. Dabei unterscheiden sich die jüngsten Vereinsverbote politisch in ihrem Charakter. Die Betrachtung von Vereinsverboten im Verlauf der Geschichte der BRD trägt ein Puzzlestück zur Debatte bei, ob und inwiefern wir aktuell einen autoritären Staatsumbau oder das Vorspiel zu einer neuen Form des Faschismus in der BRD erleben. Der Artikel zeigt neben wichtigen Verschärfungen in den Gesetzen zum Vereinsverbot wie verzerrt bestehendes Recht in der BRD durch Ministerien und Gerichte angewendet wird, um die Repression von politischer Opposition in Deutschland zu ermöglichen und zu legitimieren.

Während wir also angespannt darauf warten, welche Organisation es in Deutschland wohl als nächstes trifft, soll hier anhand der jüngsten Vereinsverbote ein kurzer Überblick über rechtliche Aspekte, offizielle Begründungen und politische Hintergründe dieser Form der Repression gegeben werden.[2] Es soll diskutiert werden, was diese Verbote verbindet, worin sie sich aber auch unterscheiden. Um dieses Repressionsinstrument verstehen zu können und ein paar Missverständnisse auszuräumen, soll anfangs besprochen werden, wie Vereinsverbote rechtlich legitimiert werden und welche Art von Gruppierungen sie treffen können.

2.   Was sind Vereinsverbote?

2.1         Vereinsverbote sind die polizeiliche Zerschlagung von Organisationen

Das Vereinsgesetz ist die rechtliche Ermächtigung der parteigeführten Landes- und Bundesinnenministerien, polizeilich ohne vorigen Gerichtsbeschluss politisch unliebsame Vereinigungen zerschlagen zu dürfen. Es finden in der Regel Hausdurchsuchungen, umfassende Beschlagnahmungen, Website-Abschaltungen und weitere Maßnahmen statt, um die Gruppierung nachhaltig von ihrer Arbeit abzubringen. Zudem werden bei diesen Maßnahmen Beweise gesammelt, die im Nachhinein zur Verteidigung des Vorgangs genutzt werden können, etwa wenn wie im Fall von Samidoun, PSDU oder Compact gegen das Verbot geklagt wird.

Alle Vereinsverbote beziehen sich auf den Artikel 9 Abs. 2 im Grundgesetz (GG), so auch bei Samidoun, HAMAS, PSDU, Compact und IZH. In diesem Absatz steht: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ Zusätzlich relevant ist das im August 1964 verabschiedete Vereinsgesetz, das eigentlich Vereinsverbotsgesetz heißen müsste, denn das Gesetz führt einzig und allein aus, wie Vereinigungen verboten werden können. Das Vereinsgesetz (VereinsG) legt fest, dass ein Verein dann als verboten gilt, wenn eine „Verbotsbehörde“ (ergo Innenministerium von Land oder Bund) dies als erwiesen ansieht und darlegen kann (§ 3 Abs. 1 VereinsG). Ein Verbot eines Vereins liegt also allein in der Erwägung der Innenministerien, es gibt formal zunächst keine Beschränkung ihrer Exekutivgewalt – sie müssen das Verbot ausreichend begründen, wenn es vor einer Aufhebung durch Gerichte im Nachhinein geschützt sein soll, aber der Verbotsakt an sich, der auch bei eventueller Rücknahme des Verbots jedes Mal einen unwiderruflichen Schaden erzeugt (Verlust von finanziellen Mitteln, Zerschlagung von Organisationsstrukturen, öffentliche Diffamierung, Einschüchterung…), bedarf erstmal keinerlei Zustimmung durch andere Instanzen wie etwa eines Gerichts. Erst durch aufwendige Klagen können Betroffene überhaupt erwirken, dass diese Exekutivakte wieder rückgängig gemacht werden. Dabei wird vor (zeitweiligen) Rücknahmen von Verboten in der Regel nicht zurückgeschreckt. Das Risiko des politischen Gesichtsverlusts scheint erträglich, wenn ein Gericht in einem von vielen Fällen gegen ein Innenministerium entscheidet, wie bei Compact zumindest im Eilentscheid. Klagen und Beschwerden gegen Vereinsverbote werden von den Gerichten in den allermeisten Fällen immer noch abgewiesen, jüngstes Beispiel ist der gescheiterte Eilantrag gegen das Verbot von PSDU.[3]

Vereinsverbote werden auch dort erhoben, wo man nicht beweisen kann, dass Personen eine Vereinigung gebildet haben, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist“ (§ 129) oder die „terroristische Tätigkeiten“ unterstützt (§ 129a), auch wenn die Organisation nur im Ausland existiert (§ 129b). Die verbotenen Organisationen und die betroffenen Personen haben in der Regel keine vielfachen und organisiert durchgeführten Straftaten vorzuweisen, sondern werden wegen ihrer politischen Haltung verboten, die als „verfassungsfeindlich“ erachtet wird. Es ist daher eindeutig und praktisch ausschließlich ein Instrument politischer Repression.

2.2         Ist jede Form von Organisierung gleich gefährdet?

Das Vereinsgesetz erlaubt Verbote jedweder Organisation, egal welche Form sie sich gibt. So wird laut Vereinsgesetz „ohne Rücksicht auf die Rechtsform“ jede Gruppierung, die sich „für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat“ als Verein gezählt (§2 Abs. 1 VereinsG). Für diesen sehr weiten Begriff von „Verein“ ist also egal, ob es sich um einen eingetragenen Verein (e. V.), nicht eingetragenen Verein, GmbH, Stiftung, Gewerkschaft oder formlose Organisierung handelt – und auch egal, ob die Vereine organisiert Grundfreiheiten wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder Religionsfreiheit wahrnehmen. Gruppen ohne konkrete Rechtsform wie bspw. PSDU wurden als „Verein“ im Sinne des VereinsG verboten, aber auch Compact inklusive zugehöriger GmbH, dessen Aktivität vor allem aus dem Betrieb eines Print-Magazins und diverser Online-Medien bestand. Das heißt, auch Zeitung oder Online-Magazin zu sein, schützt nicht per se vor Verboten. Auch wenn, wie bei der vorläufigen Aufhebung des Compact-Verbots durch das BVerwG zu sehen war, die Wahrnehmung von Grundfreiheiten durch die Organisationen dies bei der Beurteilung der Verbote durch die Gerichte im Sinne der Vereine berücksichtigt werden kann. Tatsächlich wird dies aber nur selten im Sinne der Organisationen so ausgelegt und auch im Fall von Compact stellt das BVerwG klar, dass auch Presse als Verein verboten werden kann und das Verbot formal deshalb nicht zu beanstanden sei.[4] Das BMI bezieht sich in der Verbotsverfügung gegen Compact, die man im Internet finden kann, u. a. auf ein Urteil des BVerwG vom 26. Januar 2022 gegen ein angebliches Medium der PKK, wonach „Meinungs- und Pressefreiheit dort zurückzutreten“ hätten,  „wo sie – wie hier – ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienen“.[5] Auch linksunten.indymedia wurde bekanntlich als Verein verboten und ihre Klage u. a. gegen diese Definition des Mediums als Verein vom BVerwG zurückgewiesen, wenngleich mit anderer Begründung.[6] Beim IZH wurde ein Verein verboten, der in allererster Linie in Moscheen die Ausübung der Religionsfreiheit ermöglicht. Es gibt also keine Grundfreiheit und keine Organisationsform, die auf formale Art und Weise vor den politisch motivierten Exekutivakten der Innenministerien schützt.

Eine bedingte Ausnahme davon stellt die Partei als Rechtsform dar: Seit den 1950er Jahren wurden in der BRD ca. 200 Organisationen durch die Innenministerien als Vereine verboten, aber bislang nur zwei Parteien: die faschistische Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 1956. Der bürgerliche Staat gewährt Parteien im Gegensatz zu allen anderen Organisationen einige handfeste Privilegien: Anders als bei Vereinen müssen Parteien das Ziel und die realistische Chance dazu haben, „die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“, damit sie verboten werden können (Art. 21 Abs. 2 GG), d. h. es geht hier vorrangig nicht um einzelne Straftaten oder diffuse Verstöße gegen „Völkerverständigung“, die der Organisation zugeordnet werden können, wie beim Vereinsverbot, sondern es muss eine realistische Chance auf umsturzähnliche Veränderungen bestehen. Das ist immer noch diffus aber schon eine höhere Schwelle als beim Vereinsverbot, wo die Größe und der Einfluss der Organisation keine Rolle spielt. Noch wichtiger ist aber, dass nur das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Parteien verbieten kann (Art. 21 Abs. 4 GG) und das nur auf Antrag von Bundestag, -rat oder -regierung, die dies mit einem Mehrheitsentscheid beantragen müssen. Ein Antrag auf Verbot der faschistischen NPD wurde 2017 vom BVerfG abgelehnt, weil Anhaltspunkte fehlten, dass die NPD ihre politischen Ziele in der unmittelbaren Zukunft verwirklichen könnte. Voraussetzung, um als Partei anerkannt zu werden, ist, bei Wahlen anzutreten und dafür vom Wahlleiter zugelassen zu werden. Zwar besteht so ein Mittel, um Parteien auf formalem Weg den Parteistatus abzuerkennen (so versucht 2021 bei der DKP[7] und 2024 bei der KPD („KPD-Ost“)[8]), trotzdem besteht dadurch ein größerer Spielraum für Parteien im Gegensatz zu allen anderen Organisationsformen.

Rechtlich wiederum noch schlechter gestellt sind „Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer sind“, und „Vereine mit Sitz im Ausland“ (§§ 14, 15 VereinsG). Für diese „Ausländervereine“ spezifiziert das Vereinsgesetz zusätzliche Verbotsgründe, wie die Gefährdung von „erheblichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ oder dem „friedlichen Zusammenleben von Deutschen und Ausländern“. Angewandt wurden diese auf ausländische Organisationen ausgerichteten Paragrafen zuletzt bei der Hisbollah 2020 und auch bei Samidoun und HAMAS: So heißt es in der Verbotsankündigung von Samidoun u. a., die Gruppe gefährde „das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern und von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet“, zudem verletze die Gruppe „sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland“[9]. Auch die HAMAS gefährde „sonstige erhebliche Interessen der BRD“.[10] Die Ungleichbehandlung von ausländischen und inländischen Vereinen manifestiert sich in diesen zusätzlich ausgeführten Verbotsgründen und macht es den Verbotsbehörden rechtlich noch leichter, migrantische Organisationen zu zerschlagen.

3.        Die Begründungen der Verbote

Wie oben erwähnt, können laut Grundgesetz Organisationen verboten werden, deren Zwecke oder Tätigkeit 1. den Strafgesetzen, 2. dem Gedanken der Völkerverständigung oder 3. der verfassungsmäßigen Ordnung zuwiderlaufen. Diese drei Begründungen sollen hier anhand von Beispielen erläutert werden, zusätzlich außerdem weitere Begründungszusammenhänge, die sich immer wieder in den Verbotsverfügungen finden lassen.

3.1         Verstoß gegen Strafgesetze

Der Verstoß gegen Strafgesetze ist unter den betrachteten Verboten des letzten Jahres nur bei HAMAS und IZH Teil der Begründung für das Vereinsverbot. Auf welche Straftatbestände sich hier konkret bezogen wird, ist leider nicht bekannt. Infrage kommt bspw. die Unterstützung „terroristischer Vereinigungen“, was wie ausgeführt nach §§ 129 a/b StGB unter Strafe steht; die HAMAS selbst wird schon länger durch BVerwG und BVerfG als terroristische Organisation bezeichnet,[11] das IZH sah sich mindestens in öffentlichen Medien mehrfach Vorwürfen ausgesetzt, die seit 2020 in Deutschland verbotene Hisbollah materiell zu unterstützen.

3.2         Ausrichtung gegen die Völkerverständigung

Zentral als Begründung für die Verbote ist bei HAMAS, Samidoun, IZH und PSDU der Vorwurf, „gegen den Gedanken der Völkerverständigung“ gerichtet zu sein. Hierfür ein erstes Zitat aus einem Urteil des BVerfG; die Urteile der höchsten gerichtlichen Instanzen BVerwG und BVerfG sind relevant, weil sie häufig als praktische Ausformulierung eines bestehenden, aber sehr allgemein formulierten Gesetzes fungieren – an ihren Urteilssprüchen und Auslegungen von Gesetzen orientieren sich die Behörden in ihren Verbotsbegründungen und andere Gerichte in ihren Urteilen.

„Gegen die Völkerverständigung richtet sich eine Vereinigung, wenn sie in den internationalen Beziehungen Gewalt oder vergleichbar schwerwiegende völkerrechtswidrige Handlungen aktiv propagiert und fördert […]. Das kann die Vereinigung selbst unmittelbar tun; der Verbotstatbestand kann aber auch erfüllt sein, wenn sich die Vereinigung durch die Förderung Dritter gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet.“ 
– BVerfG, 13.07.2018, 1 BvR 1474/12, 1 BvR 57/14, 1 BvR 57/14, 1 BvR 670/13, Rn. 112 (Beschluss zur Zurückweisung von Verfassungsbeschwerden gegen drei Vereinigungsverbote)

Ähnlich wie beim § 130 StGB zur „Volksverhetzung“ und seiner letzten Novelle im Jahr 2022 ermöglicht der Vorwurf gegen die Völkerverständigung ausgerichtet zu sein, bestimmte Meinungen zu politischen Entwicklungen und militärischen Konflikten auf der Welt unter Strafe zu stellen. Wer öffentlich Völkermord und Angriffskriege durch die Staaten Nordamerikas und Europas in Korea, Vietnam, im Irak, in Jugoslawien, Afghanistan, Libyen, Libanon oder Palästina als notwendige Schritte zur Verteidigung freiheitlicher Werte und westlicher Interessen öffentlich und lautstark rechtfertigt, braucht keine rechtlichen Konsequenzen zu fürchten; wer hingegen die Al-Aqsa-Flut nicht als „antisemitisches Massaker“ der HAMAS oder den Militäreinsatz Russlands in der Ukraine nicht einfach als „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ Putins bezeichnet, der muss befürchten, dass er selbst angeklagt oder seine Organisation unter dem Verweis auf die angebliche Missachtung der Völkerverständigung verboten wird. Die politische „Neutralität“ deutscher Gesetze und Behörden bei der Wahrung und Achtung der Menschenrechte und Völkerverständigung ist eine Farce; im Gegenteil sehen wir hier ein Instrument, um den erlaubten Meinungskorridor hinsichtlich internationaler Konflikte, die die Interessen der BRD berühren, rechtlich abgesichert und moralisch legitimiert stark zu begrenzen. So wird im Fall von PSDU der angebliche Verstoß der Gruppe gegen die Völkerverständigung vor allem dadurch „nachgewiesen“, dass ihr unter Bezug auf die IHRA-Definition (die letztlich Antizionismus mit Antisemitismus gleichsetzt) vorgeworfen wird, „antisemitische Narrative“ (Bezeichnung Israels als siedlerkoloniales Projekt, Vorwurf, dass Israel Kinder tötet, Aufruf zum Boykott Israels) verbreitet, „Sympathie für den bewaffneten Widerstand gegen den Staat Israel“ bekundet und „das Existenzrecht des Staates Israel“ bestritten zu haben.[12] Weshalb die Vorwürfe haltlos sind, lässt sich gut auf der Website des nach dem Verbot von PSDU gegründeten Komitees gegen das Verbot nachlesen.[13] Wichtig ist hier zu verstehen, dass es einer im Sinne deutscher Interessen politisch gefärbten Sichtweise auf die Tätigkeiten und Inhalte von PSDU bedarf, um diese als Verstoß gegen die Völkerverständigung zu interpretieren. Dass auch die „Förderung Dritter“ als Verstoß gegen die Völkerverständigung ausgelegt werden kann, spielt bei der weiter unten behandelten „Kontaktschuld“ eine wichtige Rolle.

3.3         Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung

Neben dem Verstoß gegen Strafgesetze und der Verletzung des Gedankens der Völkerverständigung ist der wichtigste rechtliche Grund für Vereinsverbote, dass die betroffene Organisation „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ gerichtet ist. Man könnte denken, dass es dabei um das Ziel einer Beseitigung (von Teilen) des Grundgesetzes gehe, d.h. um die Abschaffung von Dingen wie Parlamentarismus, Meinungs- und Pressefreiheit, Religionsfreiheit, gleiches Wahlrecht, Recht auf Privateigentum etc. Tatsächlich bezieht sich der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit gerade bei Organisationen mit Auslandsbezug aber i. d. R. wieder nur auf Aktivitäten und Inhalte, die auch schon als Verstoß gegen Völkerverständigung gewertet werden. Weder die Tätigkeit von Samidoun noch HAMAS, von IZH oder PSDU war auf relevante Änderungen an den Inhalten der Verfassung der BRD gerichtet – weder öffentlich und vermutlich auch nicht geheim. Das wird auch von den Innenministerien gar nicht behauptet. Trotzdem wird allen vier Organisationen vorgeworfen, gegen die Verfassung zu wirken, und zwar deshalb, weil das Grundgesetz „unverletzliche und unveräußerliche Menschenrechte“ formuliert (u. a. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), die, bspw. wie in der Verbotsverfügung von PSDU benannt, durch „antisemitische und antiisraelische Narrative“ gefährdet würden.[14] Das NRW Innenministerium macht sich in der Verbotsverfügung zu PSDU konkret keine Mühe, weitere Gründe für Verfassungsfeindlichkeit anzuführen, als bei dem vermeintlichen Verstoß gegen die Völkerverständigung durch PSDU. So kann aber trotzdem der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit aufrechterhalten werden.

3.4         Die „kämpferisch-aggressive Haltung“

In der BRD ist es nicht per se verboten, die Verfassung ändern oder abschaffen zu wollen – Organisationen wird aber faktisch unmöglich gemacht, dieses Ziel ernsthaft zu verfolgen, ohne durch ein Vereinsverbot bedroht zu werden. Aufgrund einer durch Urteile des BVerwG geschaffenen Klausel ist es nämlich verboten, seine vom Grundgesetz abweichende Haltung als Organisation auf „kämpferisch-aggressive“ Art und Weise verwirklichen zu wollen. Diese sogenannte „kämpferisch-aggressive Haltung“ ist bei allen Vereinsverboten zentral. Gemeint ist dabei aber nicht zwangsläufig Militanz oder Aggressivität. Das BVerwG führt das in seinen Urteilen meist so wie folgt oder ähnlich aus:

„Grundsätzlich rechtfertigt sich das Verbot einer Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG nicht bereits bei Äußerungen, welche die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes ablehnen oder ihr andere Grundsätze entgegenstellen. Gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes „richten“ sich grundsätzlich nur Vereinigungen, die den Willen haben, ihre mündlich oder schriftlich verbreiteten verfassungsfeindlichen Ziele in die Tat umzusetzen. Die verfassungsfeindliche Vereinigung muß in kämpferisch-aggressiver Form das Ziel verfolgen, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu untergraben. Um ein Verbot nach Art. 9 Abs. 2 GG rechtmäßig zu erlassen, sind daher grundsätzlich im Zeitpunkt der Verbots- und Auflösungsverfügung Tatsachen festzustellen, die eine Tätigkeit der Vereinigung mit dem Ziele der Verwirklichung ihrer verfassungsfeindlichen Absichten ergeben.“ 
– BVerwG, 23.03.1971, 1 C 54.66
„Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Vereinigung ihre verfassungswidrigen Ziele gerade durch die Anwendung von Gewalt oder durch sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen sucht. Wesentlich ist vielmehr, daß sich die Tätigkeit der Vereinigung kämpferisch-aggressiv gegen die verfassungsmäßige Ordnung wendet, d.h. diese Ordnung fortlaufend untergraben will.“ 
– BVerwG, 02.12.1980, 1 A 3.80, Rn. 42

Die Definition der „kämpferisch-aggressiven Haltung“ ist also weit auslegbar, sodass Behörden großen Spielraum haben, ob sie eine Organisation zerschlagen oder nicht. Diesen Spielraum nutzen sie im eigenen politischen Sinne. Der Bezug auf eine „kämpferisch-aggressive Haltung“ beim Vereinsverbot suggeriert, dass nur eine bestimmte Art und Weise der Tätigkeit zur Verfassungsänderung verboten sei, nämlich eine von Gewalt oder Aggressivität geprägte Tätigkeit. Gewalt und Aggressivität sind tatsächlich eine mögliche, aber offensichtlich keine notwendige Voraussetzung für ein Verbot. Blickt man auf die Gerichtsurteile wird deutlich, dass es in Wirklichkeit nicht um eine bestimmte Form der Tätigkeit, sondern um dessen Inhalt geht: Will eine Organisation die Verfassung in relevanten Teilen ändern und bemüht sich aktiv um die Verwirklichung dieser Ziele (egal in welcher Form), gehört sie aus Sicht der obersten Gerichte verboten. Aus den Verbotsverfügungen selbst geht hervor, was zu einer „kämpferisch-aggressiven Haltung“ gezählt wird – ein einheitliches Bild ergibt sich jedoch auch hier nicht. Deutlich wird lediglich, dass es, wie gesagt, keine konkreten Bestrebungen zur Änderung der Verfassung braucht, um eine kämpferisch-aggressive Haltung und damit Verfassungsfeindlichkeit unterstellt zu bekommen.

Bei PSDU genügt der Verweis auf die an den Haaren herbeigezogene antisemitische Haltung, um die kämpferisch-aggressive Ausrichtung gegen Grundsätze der verfassungsmäßigen Ordnung zu beweisen, konkret wird in diesem Abschnitt zusätzlich nur auf eine „unkritische und undifferenzierte Darstellung des Nahost-Konflikts“ und die „Emotionalisierung und Aufstachelung der Zuhörerschaft“ bei Versammlungen verwiesen.[15] Wer emotional das zum Ausdruck bringt, was Leute bei einem Thema fühlen, gerät also bereits in den Fokus. Das ist eine für die herrschende Klasse politisch absolut zweckmäßige Auslegung des Rechts: Emotionalisierung ist richtig eingesetzt ein wirkungsvolles politisches Instrument; man bewegt die Leute gerade in zugespitzten Situationen nicht allein mit richtigen Inhalten, sondern auch ihre Form muss ergreifend sein. Das ist Gerichten und Behörden bewusst, weswegen die Bestrafung einer „kämpferisch-aggressiven Haltung“ neben anderen Punkten bewusst auf die Unterbindung dieses Instruments zielt.

Bei Compact führt das BMI aus, dass „die fortwährende Schaffung von Verfassungsfeinden durch entsprechende Schulung und Indoktrination der Mitglieder und Anhänger“ den Beweis einer „kämpferisch-aggressiven Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung“ darstellt.[16] Letztlich kann nach den Urteilen der obersten Gerichte zufolge jede Agitation für Änderungen am Grundgesetz als kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung ausgelegt werden. Auch wenn solche Änderungen nicht per se verboten sind, ist es für relevante Änderungen der Verfassung auch auf dem parlamentarischen Weg natürlich immer notwendig, organisiert in der Bevölkerung für die Unterstützung eines solchen Projekts zu werben, um überhaupt entsprechende Mehrheiten zu erreichen. In der Verbotsverfügung von Compact werden als Beleg des „Wirksamwerdens“ der kämpferisch-aggressiven Haltung die steigenden Abonnenten-, Follower- und Spender-Zahlen genannt in Kombination mit „extremistischen“ Online-Kommentaren, die dieses Umfeld aufgrund der Beeinflussung durch das Compact-Magazin abgebe. In Verbindung damit wird umfassend aus internen Telefongesprächen, Schriftverkehr und Zoom-Meetings von Compact zitiert, in denen in unterschiedlicher Formulierung die Absicht bekundet wurde, „das System stürzen“ zu wollen. Es wird aus einem Privatgespräch zwischen Jürgen Elsässer und einem engen Sympathisanten und Mitarbeiter zitiert, wo der Sympathisant konkrete Überlegungen anführt, Vizekanzler Robert Habeck zu erschießen, um ein Signal an die deutsche Bevölkerung zu senden. Vergleicht man die hier bemängelte „kämpferisch-aggressive Haltung“ vom Compact-Magazin, wo über konkrete Anschlagspläne gesprochen und der „Sturz des Systems“ zentraler Dreh- und Angelpunkt jeder zweiten Publikation und Äußerung ist, mit der „kämpferisch-aggressiven Haltung“ von PSDU, wird nochmals die Unklarheit der Definition von „kämpferisch-aggressiv“ deutlich. Aber auch, was bei rechten Organisationen erst passieren muss, damit ein Vereinsverbot überhaupt erwogen wird. Bei linken, migrantischen oder propalästinensischen Organisationen genügen die falschen inhaltliche Positionen.

Grundlegende Änderungen an der Verfassung werden unter Verweis auf eine kämpferisch-aggressive Haltung praktisch verhindert oder zumindest bleibt immer die Option für die Ministerien, dies nach politischem Gutdünken zu verhindern.

3.5         Kontaktschuld

Eine weitere wichtige Begründung für die Verbote ist fast immer der Kontakt zu anderen Organisationen, die verboten sind oder als „verfassungsfeindlich“ bezeichnet werden. Hierbei reicht teils schon die Beobachtung einer Organisation durch den Bundes- oder einen Landesverfassungsschutz, um den Kontakt mit ihr für ein Verbot nutzen zu können.

In der Bekanntmachung des Verbots von Samidoun vom 2.11.2023 heißt es, die Organisation unterstütze „Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten und androhen.“[17] Die ausführliche Verbotsverfügung liegt leider nicht vor, vermutlich werden hier aber Verbindungen zu HAMAS und PFLP gezogen. Das Verbot von Samidoun war wiederum einer der Gründe, um PSDU zu verbieten, denn die Gruppe hatte Kontakt zu Samidoun. Dabei reicht es dem NRW-Innenministerium aus, dass die Begegnungen und Bezüge, vor dem Verbot von Samidoun stattfanden, um daraus einen Verstoß gegen die Völkerverständigung zu konstruieren.[18] Auch der Kontakt zu BDS, Palästina Spricht und dem mittlerweile selbstaufgelösten[19] Palästina e. V. aus Frankfurt am Main werden in dem Verbot von PSDU für die Unterstellung einer Völkerverständigungsfeindlichkeit missbraucht.[20]

Dass Zaid Abdulnasser nach dem Verbot von Samidoun als Einzelperson auf einer Veranstaltung, auf der auch eine Person von PSDU gesprochen hat, aufgetreten ist, reicht aus, um PSDU vorwerfen zu können, dass sie auch nach dem Vereinsverbot von Samidoun ihre „Verbindungen zu ‚Samidoun‘ nicht abgebrochen haben“.[21] Das heißt, Einzelpersonen, wie in diesem Fall Zaid, sind nach einem Vereinsverbot faktisch eingeschränkt in ihrer Meinungsäußerung, denn offensichtlich gehen andere Plattformen und Organisationen ein Risiko ein, wenn sie diesen Einzelpersonen eine Bühne bieten, denn sie riskieren damit ein eigenes Vereinsverbot. Es ist erfreulich zu sehen, dass sich nicht alle Teile der palästinasolidarischen Bewegung davon einschüchtern lassen und bspw. Zaid oder Ahmad und Leon von PSDU bei ihren Veranstaltungen über die Verbote sprechen lassen. Tatsächlich wird nun auch schon PSDU genutzt, um Einzelpersonen und Organisationen, die mit der Organisation in Kontakt standen, zu repressieren.[22]

Es entsteht eine Kette von Repression und Verbot gegen Personen, die miteinander in Verbindung stehen: Organisation 1 ist verfassungsfeindlich, also ist Organisation 2 verfassungsfeindlich, also ist Organisation 3 verfassungsfeindlich. Die entstehende Kette von Verboten und Repression erlaubt es, mit einem erfolgreichen Verbot viel mehr Teile einer Bewegung als nur die verbotene Organisation selbst einzuschüchtern und für ihre Aktivitäten zu bestrafen.

Bei Compact dienen Verbindungen zur Identitären Bewegung, zur AfD und seiner Jugendorganisation (Junge Alternative), zur Partei Die Heimat (ehem. NPD), zu den Freie Sachsen, dem Institut für Staatspolitik und verschiedenen Reichsbürgergruppierungen als Beleg für eine verfassungsfeindliche Grundhaltung.

4.   Die politischen Zwecke der Verbote

4.1         Die Zerschlagung von Orientierungspunkten und der „Avantgarde“ aktueller Kämpfe

Häufig treffen die Vereinsverbote Organisationen, die in brennenden politischen Auseinandersetzungen und aktuell relevanten Bewegungen die Rolle eines Antreibers und inhaltlichen Orientierungspunkts einnehmen. Teils sind es Organisationen, die es schaffen Verbindungen in unterschiedliche soziale Milieus und politische Spektren aufzubauen und damit für aktuelle Kämpfe eine vereinheitlichende und vorantreibende Rolle zu spielen. Deutlich werden diese Punkte am Beispiel der Vereinsverbote gegen die palästinasolidarische Bewegung in Deutschland.

Die Offensive des palästinensischen Widerstands in Gaza im Oktober 2023 markierte eine Zäsur in der Entwicklung des siedlerkolonialen Staats. Investitionen wurden abgezogen, Handel eingestellt, diplomatische Beziehungen zu Israel abgebrochen, ein palästinensischer Staat von zahlreichen Ländern anerkannt. Trotz der weiterhin unklaren Perspektive Palästinas und der Siedlerkolonie sowie der Ermordung von großen Teilen der Führung des Widerstands der Region hat sich das israelische Militär bis jetzt unfähig gezeigt, den palästinensischen Widerstand in seiner Handlungsfähigkeit zu brechen. Die Siedlerkolonie reagiert auf seine brenzlige Lage mit schrecklichen Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung. Der Genozid in Gaza, die erkennbar absteigende Entwicklung Israels und der Mut des palästinensischen Volks haben weltweit gerade in den ersten Wochen und Monaten nach dem 7. Oktober 2023 eine riesige Welle an aktiver Solidarisierung mit dem palästinensischen Befreiungskampf und an öffentlich ausgesprochener Ablehnung des mordenden und unterdrückenden Apartheidstaats hervorgerufen – auch in der Bundesrepublik Deutschland.

Nach dem 7. Oktober 2023 kam es unmittelbar und dauerhaft zu großen Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet. Nicht nur die Zahl der Teilnehmer war beeindruckend, sondern vor allem der positive Bezug auf den Kampf gegen Besatzung und Apartheid in Palästina, also der inhaltlich offensive Charakter der Demonstrationen, der nicht nur von Empörung gegen die Reaktion Israels auf die Al-Aqsa-Flut geprägt ist, sondern von Zuversicht, dass Palästina befreit werden kann und dem Stolz auf den Mut der Palästinenser. Die Demonstrationen sind maßgeblich geprägt von palästinensischen, muslimischen und migrantischen Teilen der Bevölkerung. Ein wichtiger Stoß der Repression der Behörden, um diese Welle zu brechen, richtete sich schnell mittels breit angelegter Versammlungs- und Vereinsverbote gegen antizionistische Positionen und gegen den Positivbezug auf den palästinensischen Widerstand. Gruppierungen und Personen, die diese Positionen in den Protesten und online verbreiten, standen im Fokus der Schläge von Medien und Behörden – bis heute. Es ging dabei darum, den (im positiven Sinne) radikalen Teil der Bewegung zu diffamieren, in seinem Wirken einzuschränken und dadurch die Proteste in gemäßigte Bahnen zu lenken und zu erlahmen.

Dies waren die wichtigsten Gründe für das Verbot von Samidoun und HAMAS im November 2023, das am 12. Oktober durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt und am 2. November durch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) offiziell in Kraft gesetzt wurde. Zweieinhalb Wochen nach dem Verbot am 23. November folgten dann die 21 Razzien,[23] bei denen 13 Orte in Berlin (angeblich sowohl bzgl. HAMAS als auch Samidoun), Nordrhein-Westfalen (2 Orte bzgl. HAMAS), Niedersachsen (2 Orte bzgl. HAMAS), Schleswig-Holstein (3 Orte bzgl. HAMAS) und ein Ort in Hamburg bzgl. HAMAS durchsucht wurden. Das Verbot der HAMAS wurde seit langem gefordert, auf der EU-Terrorliste stand sie seit 2001 (2021 durch EuGH bestätigt[24]), das Bundesverwaltungsgericht hatte die Organisation 2004 im Rahmen einer Entscheidung zum Verbot des Al-Aqsa e. V. zur Terrororganisation erklärt.[25] Die Bundesregierung hat in der Situation nach dem 7. Oktober nachgezogen, politisch vor allem, um das Zentrum des realen Widerstands in Palästina in Deutschland endgültig unsagbar und den Positivbezug strafbar zu machen. In Deutschland wie in Gaza wurde die Vernichtung der HAMAS und der dahinterstehenden Idee des Widerstands zum erklärten Ziel. Für den Protest in Deutschland spielte die HAMAS natürlich weniger organisatorisch als moralisch eine wichtige Rolle, ganz unabhängig davon, was einzelne Gruppen und Personen dieses Protests von der Organisation politisch hielten – die unter der Führung der HAMAS durch vom palästinensischen Volk getragene Widerstandsgruppen erfolgreich durchgeführten Aktionen zum Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis Gaza am 7. Oktober sind der wichtigste Grund, weshalb die Bewegung für Palästina weltweit Hoffnung und Mut auf eine Befreiung von der Besatzung schöpfen konnte, die sich auf den Straßen der Welt entlud. Die HAMAS war das wichtigste und im Umfeld der deutschen Öffentlichkeit auch das leichteste Ziel der westlichen Repression: Das Bild vom mordenden, vergewaltigenden HAMAS-Kämpfer war eigentlich schon vor der Al-Aqsa-Flut etabliert, die Lügen und Verdrehungen zum 7. Oktober taten ihr Übriges, um den Angelpunkt des palästinensischen Widerstands als das ultimative Böse darstellen zu können.

Seitdem genügt es, auf einen realen oder konstruierten Positivbezug zur HAMAS zu verweisen, um Organisationen und Personen für ihr propalästinensisches Engagement bestrafen zu können. Schon in den 2000er Jahren wurden Organisationen in Deutschland verboten, die in einen Zusammenhang mit HAMAS gestellt wurden (z.B. 2002: al-Aqsa e. V.[26]. 2010: Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e. V.[27]). Damals war noch eine unterstellte finanzielle Unterstützung notwendig, heute genügt der Vorwurf einer „ideellen Unterstützung“, wie zuletzt beim Verbot von PSDU deutlich wurde.[28]

Samidoun war im Oktober 2023 noch nicht im bundesweiten medialen Fokus; die Angriffe auf Samidoun und Forderungen nach einem Verbot gab es schon vorher, kamen bis zum 7. Oktober aber vor allem von Zionisten, Journalisten und Politikern aus Berlin, wo die Organisation am aktivsten auftrat. Samidoun schaffte es hier, aber auch in anderen Teilen Deutschlands, die Frage des bewaffneten Widerstands auf die Tagesordnung zu setzen, zeigte sich klar antizionistisch und hatte Verbindungen in linke Kreise genauso wie natürlich zu hier lebenden Palästinensern. Samidoun drängte mindestens seit 2021 zu klaren Positionierungen zu Palästina und gelangte u. a. im Rahmen der (verbotenen) Nakba-Demos in Berlin zu Bekanntheit. Besonders ist am Verbot von Samidoun, dass sie aus Sicht der Bundesbehörden „das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern und von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet“ und „die öffentliche Ordnung“ bedrohen würden. Dies ist weder bei HAMAS noch IZH der Fall, obwohl beide ebenfalls als Ausländerverein definiert werden. Vermutlich war die direkte Rolle von Samidoun in den Protesten in Deutschland den Behörden bewusst und konnte mit dem Verweis auf eine „Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens“ gezielt angegriffen werden. Mit der spontanen Versammlung auf der Sonnenallee am Abend des 7. Oktobers, bei der das Niederreißen der Mauer um Gaza mit Süßigkeiten, Jubelrufen und einer Kundgebung gefeiert wurde und als Samidoun die ersten waren, die Berichte davon auf Social Media teilten, sahen die prozionistischen Berichterstatter der Hauptstadt (allen voran der Tagesspiegel) ihre Gelegenheit gekommen, diesen ideologisch konsequenten Teil der Bewegung ins volle Licht der bürgerlichen Öffentlichkeit zu zerren, wo Politiker und Medien nach dem Beginn der Al-Aqsa-Flut in ihrer ersten Paralyse über das, was da in Gaza passiert war, auf der panischen Suche nach einem Ziel für einen Gegenschlag waren – mit Samidoun war der perfekte Sündenbock gefunden. Mit einmal Mal kannte jedes bürgerliche Hetzblatt und jeder proisraelische Politiker in Deutschland die kleine Organisation und das Verbot war auf dem Weg. Die Wegbereiter waren Tagesspiegel und andere kleinere zionistische Schreihälse, die die Gruppierung auf dem Schirm hatten und schon länger bekämpften.

Solche rechten Leute und Medien, die sich Schmier- und Outing-Kampagnen gegen antiimperialistische Organisationen und Personen zur persönlichen Berufung gemacht haben, können wir deshalb leider nicht einfach als unbedeutend abtun. Sie arbeiten den Repressionsbehörden mit ihrem Monitoring aktiv zu. Bei PSDU waren es die Ruhrbarone, die schon länger umfassend über die Tätigkeiten von PSDU berichteten und dessen Videomaterial sogar als Beleg in der Verbotsverfügung gegen die Duisburger Gruppe verwendet wurde.[29] Dass die Behörden das Material der Antideutschen zur Begründung von Vereins- und Versammlungsverboten benutzen, ist auch aus weiteren Fällen bekannt. Sie sind stolze und tatsächlich nützliche Hilfsangestellte von Staats- und Verfassungsschutz. Die Zusammenarbeit geht nebenbei auch nicht nur in eine Richtung, sondern auch andersherum, dass also der Staat die Medien zum Beispiel mittels VS-Bericht darauf hinweist, welche Organisationen gefährlich und daher mit Schmierkampagnen und Gruselgeschichten zu überziehen sind. Dies ist ein Mittel für den Staat Organisationen schon unterhalb der Schwelle von Vereinsverboten & Co. zu repressieren.

Auch PSDU nahm eine gewisse Vorreiter-Rolle ein, die zu ihrem Verbot beigetragen haben könnte. Die Gruppe zeigte eine hohe und sichtbare Aktivität, vertrat politisch hinsichtlich der Befreiung Palästinas konsequente Positionen, war in der Bewegung und Community gut vernetzt und damit zumindest lokal ein Scharnier zwischen Linken und muslimischen Teilen der Bevölkerung, aus denen sich die palästinasolidarische Bewegung bundesweit vorrangig speiste. Dieser aktiven und sehr offen arbeitenden Gruppe sollte ein Riegel vorgeschoben werden und alle, die mit ihr zu tun hatten, eingeschüchtert werden. Dies wurde auch ermöglicht durch weite Auslegungen des Verbots wie bspw. durch den Landesvorsitzenden des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), einem Berufsverband von Polizisten, der, ohne erkennbare juristische Kenntnisse aber mit der natürlichen Autorität eines Polizisten von Fach in einem weit verbreiteten Interview am Tag des Verbots von PSDU behauptete, dass jeder, der sich dort engagiert habe, nun sein Grundrecht auf Vereinigungsfreiheit verwirkt habe und die Personen nicht mehr gemeinsam auf Versammlungen erscheinen dürften.[30] Solche Aussagen wie von der genannten Person sind juristisch natürlich nicht haltbar und von dem Verbot nicht gedeckt. Durch Einschüchterungen wie diese ist der Effekt der Maßnahme allerdings vermutlich deutlich größer als das, was in der entsprechenden Verordnung steht, denn die Leute bekommen natürlich vor allem das mit, was in den Medien zu einem Verbot erklärt wird. Zudem besteht immer die reale Gefahr unter dem Vorwurf von Fortsetzung der verbotenen Organisation oder Bildung einer Ersatzorganisation mit empfindlichen Strafen belegt zu werden, wenn die Personen wieder aktiv werden. Hierbei werden die Personen bewusst im Unklaren gelassen und viele werden aufgrund von (drohenden) Maßnahmen des Staats ihr Verhalten ändern, obwohl sie nichts verbotenes tun.

4.2         Den äußeren Feind im Innern bekämpfen

Besonders relevant für die letzten Vereinsverbote sind die Bezüge der Organisationen auf ausländische Akteure. Diese Verbindungen haben unterschiedliche Qualität: Teilweise sind es wohl reale Kontakte, häufig geht es aber nur um eine positive Bezugnahme auf Akteure, die mit der BRD und ihren Verbündeten in Konflikt stehen.

Der Kampf gegen den äußeren Feind im Innern erklärt u. a. das Verbot des Islamischen Zentrums Hamburgs: Ein großangelegter Polizeischlag richtete sich am 24.7.2024 gegen 53 ihrer Einrichtungen in den Bundesländern Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Vier Moscheen wurden bundesweit im Zuge des IZH-Verbots geschlossen.[31] Zudem sind mit dem Verbot auf einen Schlag unzählige Bücher und Veröffentlichungen der Verlage des IZH ebenfalls verboten worden. Das Verbot des IZH, die Enteignung seiner Moscheen und das Verbot seiner Publikationen ist ein brutaler Verstoß gegen die Religionsfreiheit und eine massive Einschränkung der Religionsausübung im Umfeld der Moscheen. Schiitische Gotteshäuser und Verlage gibt es in Deutschland keineswegs wie Sand am Meer.

Dem Verbot war eine langjährige, medial begleitete Kampagne gegen das IZH vorausgegangen. Seit spätestens 2022 wurde es als Hort des „Mullahregimes“ durch große Medienhäuser verleumdet. Auf der Innenministerkonferenz (IMK) am 8.12.2023 forderten die Innenminister der Länder von dem BMI eine Prüfung und Umsetzung des Verbots des IZH,[32] die zu diesem Zeitpunkt vermutlich bereits eingeleitet war. Diese Innenministerkonferenz im Dezember 2023 war vermutlich auch für die Verbote auf Länderebene relevant – also PSDU durch das Innenministerium NRW, die sunnitische DMG durch das Innenministerium Niedersachsen und das sunnitische IZF durch das Innenministerium Brandenburg. Hier stimmte man sich ab und nahm sich konkrete Handlungen vor.

Wir erleben heute eine neue Hochphase antimuslimischer Hetze und Verbote. Neben dem IZH sind wie gezeigt auch sunnitische Gruppierungen Ziel von Verleumdungen und Repression, auch solche die keine Verbindungen zu Muslimbruderschaft oder palästinensischen Organisationen haben. So wurde eben die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft Braunschweig (DMG) im Juni 2024 durch das Niedersächsische Innenministerium verboten, die wohl eine der reichweitenstärksten Online-Plattformen muslimischer Prediger in Deutschland organisierte. Aber auch bspw. gegen „Muslim Interaktiv“ wurde zuletzt stark gehetzt und ein Verbot gefordert.[33] Letztere konnten unter Bezug auf den Genozid in Palästina und die Zensur propalästinensischer Stimmen in Deutschland stark mobilisieren, was Behörden und Medien sichtlich ein Dorn im Auge war.

Die Repression reagiert auf eine zunehmende Abkehr migrantischer Bevölkerungsteile von der herrschenden Politik, die von neuen politischen Akteuren organisiert werden, die sich (zumindest in der Ansprache an ihre Zuhörerschaft) gegen die Interessen des US-Imperialismus und der BRD richten. Nicht nur das IZH-Verbot ist damit auch eine Keule gegen migrantische Selbstorganisation abseits des Kurses der herrschenden Politik. Das müssen wir als solche verstehen und kritisieren, auch wenn wir uns mit diesen Kräften politisch nicht auf einer Linie befinden.

Erleichtert werden diese Verbote durch die rechtliche Zuschreibung als Ausländerverein. Die Tätigkeit des IZH würde eine Ausrichtung gegen „die verfassungsmäßige Ordnung“ und „den Gedanken der Völkerverständigung“ vorweisen, sowie gegen Strafgesetze verstoßen, zusätzlich aber auch noch „völkerrechtlichen Verpflichtungen“ der BRD zuwiderlaufen, sowie Bestrebungen außerhalb der BRD fördern, „deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind“.[34] Die Vorwürfe beinhalten neben dem Vorwurf „Sprachrohr Teherans“ zu sein (was so natürlich nicht strafbar ist) unter anderem die Behauptung, dass Personen aus dem IZH die als Terrororganisation definierte Hisbollah finanziell unterstützt hätten und diese sich für ihre Tätigkeiten auch in Räumlichkeiten des IZH getroffen hätten.

Dass das Verbot des IZH ein Puzzlestück im Kampf gegen den Iran ist, erklären selbst bürgerliche Kommentatoren so – diese Ausrichtung gegen den Iran ist die „völkerrechtliche Verpflichtung“ der BRD, wo das IZH in seiner Tätigkeit vermutlich einigermaßen konsequent gegen verstoßen hat. Leider besteht auch hier kein Einblick in die Verbotsverfügung gegen das IZH, sodass nur darüber spekuliert werden kann, gegen welche Strafgesetze das Zentrum systematisch verstoßen haben soll. Mit dem Verbot des IZH entledigte man sich einer Organisation, die im Vergleich zu anderen muslimischen Verbänden vergleichsweise aktiv Stellung gegen die zionistischen Verbrechen in Palästina bezog und sicher zur antiimperialistischen Politisierung ihres riesigen Umfelds in ganz Deutschland beitrug.

Wie an diesem und weiteren Verboten zu erkennen ist, geht es bei den Vereinsverboten auch um den Kampf gegen den äußeren Feind im Inneren und darum, jegliche Möglichkeit der Zersetzung der Heimatfront zu unterbinden. Die Berichte der deutschen Geheimdienste im deutschen Bundestag benennen das selbst genau so: Russland, Nahost und die Kriegstüchtigkeit Deutschlands – das sind die Themen, die Verfassungsschutz, BND und MAD nach eigener Aussage 2023/2024 in erster Linie bewegten.[35] Die Entschiedenheit im Kampf gegen den äußeren Feind im Inneren hat sich mit der von Olaf Scholz am 27.2.2022 im Bundestag ausgerufenen „Zeitenwende“ verschärft. Einige Jahre vorher stellten bereits die Angriffe auf die USA am 11.9.2001 ein weiteres wichtiges Ereignis dar, in dessen Folge sich dieser Kampf qualitativ deutlich verschärfte. Hier zeigte sich eine Verwundbarkeit der entscheidenden imperialistischen Macht in der Welt nach der Konterrevolution Anfang der 1990er Jahre zum ersten Mal sehr deutlich. Im anschließenden Wahn wurde die Repression gegen Organisationen im Rahmen des „war on terror“ nicht nur in den USA massiv ausgeweitet. In Deutschland wurde hinsichtlich des Vereinsverbots bspw. ein bis dahin noch im Vereinsgesetz formuliertes Privileg für religiöse Organisationen abgeschafft. Das BVerfG selbst fasst die einschneidende Wirkung dieser Gesetzesnovelle in einem seiner Urteile aus 2018 rückblickend so zusammen:

„In Reaktion auf die Terroranschläge des 11. September 2001 wurde der Anwendungsbereich der Regelungen über das Vereinsverbot im Ersten Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 4. Dezember 2001 (BGBl I S. 3319) durch Streichung des sogenannten Religionsprivilegs auf religiöse Vereinigungen erstreckt (vgl. BTDrucks 14/7026, S. 6). Seit 2001 ist die Zahl der Vereinigungsverbote erheblich angestiegen. Sie liegt mit über 60 Verboten inzwischen höher als in dem gesamten Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Vereinsgesetzes 1964 und dem 11. September 2001.“ 
– BVerfG, 13.07.2018, 1 BvR 1474/12, 1 BvR 57/14, 1 BvR 57/14, 1 BvR 670/13, Rn. 7

Die Repression im Inland hängt unmittelbar mit der Entwicklung der internationalen Kämpfe der Nationen und Klassen zusammen und leitet sich aktuell im Speziellen von der relativen Krise des US-Imperialismus und seiner Verbündeten ab. Der 11.9.2001, der 24.2.2022 und der 7.10.2023 markieren historisch und in Fragen der Repression wichtige Zäsuren.

Auch bei dem Verbot rechter Organisationen kann das eine Rolle spielen. Das Verbot von Compact wird in der Verbotsverfügung anhand folgender Punkte begründet: Völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept, Fremden- und Migrantenfeindlichkeit, Antisemitismus, Vernetzung im rechtsextremistischen Spektrum. Tatsächlich sind Aussagen von Compact zu Ukraine und Russland in dem Dokument überhaupt kein Thema, obwohl Elsässer Russlands Militäreinsatz in dem rechten Magazin auch explizit u.a. als „Offensive gegen den Great Reset, der die Globalisten stoppt“ begrüßt hatte und die mediale Begleitung diesen Punkt teilweise zum zentralen Vorwurf erhoben hatte. Es scheint auf den ersten Blick merkwürdig, dass die außenpolitischen Positionen des reaktionären Compact-Magazins in der Verbotsverfügung mit keinem Wort Erwähnung finden, es ist aber trotzdem plausibel, dass der starke Bezug auf Russland ein Grund für das Verbot gewesen ist. Weshalb die Verbotsbehörden diesen Bezug auf einen ausländischen Akteur dann nicht selbstbewusster als Grund genannt haben, wie es bei HAMAS, Samidoun, IZH und PSDU auch der Fall war, müsste weiter diskutiert werden.

Bei HAMAS und Samidoun ist der Zusammenhang offensichtlich, der Vorwurf an die beiden Organisationen lautet auch explizit, dass sie „sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ gefährden würden.[36] Dass es hierbei um den Schutz Israels geht, ist klar, welche „Interessen der BRD“ das BMI aber konkret gefährdet sieht und als Grund anführt, bleibt leider unklar, da die Verbotsverfügungen nicht vorliegen.

4.3         Das Sagbare abstecken

Die Verbote sind gleichzeitig auch Teil einer repressiven Einbindungstaktik. In der Regel sind die Verbote begleitet von Aussagen oder Maßnahmen, die der die verbotene Organisation tragenden Bewegung oder dem Spektrum Zugeständnisse macht: Bei den antipalästinensischen Vereinsverboten wurde deutlich gemacht, dass man die Situation in Gaza bedauern darf und Israel in seiner genozidalen Politik um Mäßigung bitten darf (wie von Außenministerin Annalena Baerbock stellenweise heldenhaft vorgelebt), solange nicht ernsthaft etwas am vorgegebenen Kurs der Unterstützung Israels geändert wird und der verachtenswerte Status Quo in Palästina erhalten bleibt. Es bedarf für die Einbindung der notwendigerweise immer wieder protestierenden und unzufriedenen Bevölkerung neben klaren Sündenböcken wie Samidoun und PSDU auch sanfter Kritiker, hinter die man sich stellen kann, womit man klar vermitteln kann: so geht es, aber so geht es nicht!

Beim IZH-Verbot ist es besonders perfide, wie staatliche Akteure beiseitelassen, dass sie die aktuelle Welle von antimuslimischem Rassismus in jeder Verlautbarung zu Migration und Außenpolitik reiten und antreiben, wenn Innenministerin Faeser dann gleichzeitig zum Verbot von IZH sagt: „Wir handeln nicht gegen eine Religion. Wir unterscheiden klar zwischen Islamisten, gegen die wir hart vorgehen und den vielen Musliminnen und Muslimen, die zu unserem Land gehören und ihren Glauben leben.“[37] Eben diese Aussagen sind wichtig und Teil der Angebote zur Einbindung, ohne die die Repression nur halb so wirksam wäre. So wurde auch angedeutet, dass die Blaue Moschee unter geläuterter, pro-westlicher Ausrichtung wieder für Gebete und Veranstaltungen geöffnet werden könnte.[38] Nicht nur geht es darum, den konkreten ideologischen Einfluss der verbotenen Strukturen zu unterbinden, sondern allen Muslimen im Land verstehen zu geben, welche Positionen hinsichtlich der Außenpolitik Deutschlands toleriert werden und welche nicht.

Oppositionelle Meinungen und Akteure haben unter der bürgerlich-parlamentarischen Herrschaft des Kapitals in verschiedenen Themen eine notwendige und hilfreiche Seite, einerseits wie oben erläutert zum Einbinden abweichender Bevölkerungsteile, andererseits bieten manche dieser Kräfte selbst eine attraktive Alternative für den deutschen Imperialismus gegenüber bisherigen Regierungskräften. Daher passiert es, dass Kräfte, die in dem einen Moment vom Staat noch bekämpft werden, im nächsten schon als Handlanger akzeptiert werden. Dies kann auf linke, wie rechte Kräfte zutreffen.

Hinsichtlich des Compact Verbots sollte man die AfD nicht ausblenden. Aktuell bedeutet die AfD für das deutsche Kapital vielleicht noch Instabilität und Unwägbarkeiten und politisch dafür gegenüber den anderen großen, etablierten Parteien im Bundestag keinen Vorteil, der groß genug wäre, um ihr zur Macht zu verhelfen. Trotzdem strahlt die AfD, wie auch andere erfolgreiche Kräfte am rechten Rand in Europas Parlamenten, sicherlich eine gewisse Attraktivität auf das Kapital aus, weil es ihnen aktuell gelingt, verloren gegangene Teile der Bevölkerung wieder für den eigenen Kurs einzubinden. Der AfD kann mit einem Verbot der Organisation Compact, die die Schmuddelpositionen der AfD in kondensierter Form verkörpert, klar signalisiert werden, wo inhaltliche Grenzen liegen. Der wichtigste Unterschied bei Verboten von rechten Organisationen wie Compact im Gegensatz zum Verbot von linken Organisationen ist natürlich, dass es gar kein Problem mit dem Kern der Ideologie der verbotenen Organisationen gibt. Den Chauvinismus gegenüber anderen Völkern bringt die imperialistische Politik der BRD selber hervor und verbreitet ihn ganz offen und aktiv. Nur in seiner radikalsten Form wird er zur Herausforderung, da er schließlich auch eine umfassende, aktuell eher ungünstige Abschottung vom Kapital-, Waren- und Personenverkehr bedeuten kann. Und auch wenn es in der Verbotsverfügung keine hervorgehobene Rolle spielt, ist ein zentraler Grund weshalb Compact und auch die AfD aktuell noch bekämpft werden, ihre oppositionelle Haltung in der Frage des Ukraine-Kriegs. Das Verbot des Compact-Magazins kann also auch Teil einer Strategie zur Zähmung und Wählbarkeit der AfD sein – indem man der AfD ihr radikales Umfeld abschneidet (die AfD bemüht sich natürlich auch selber darum), wird sie mehr und mehr eine reale Option. Das Bild der „Brandmauer“ zur AfD, mit der sich die bisher herrschenden Parteien aktuell noch einen antifaschistischen Anstrich geben wollen, wird wegen der hohen Zustimmungswerte der AfD politisch immer teurer aufrechtzuerhalten und eine geordnete Eingliederung der Partei immer notwendiger, worin ein Verbot ihres radikalen Umfelds eben eins der Instrumente sein kann. Eine Übernahme oder Beteiligung der AfD an den Regierungsgeschäften in Deutschland scheint uns in naher Zukunft bevorzustehen.

Auch wenn sich das Kalkül hinsichtlich Compact und der AfD nur erahnen lässt, ist dieser Kontext zentral und unterscheidet das Verbot von Compact so stark von den Verboten von HAMAS, Samidoun, PSDU und IZH, wo es darum geht pro-palästinensische bzw. pro-iranische Tendenzen in der Bevölkerung als Ganzes unsagbar und unorganisierbar zu machen.

Das Compact-Verbot ist nicht Ergebnis einer progressiven antifaschistischen Bewegung. Das Compact-Verbot hat für die Herrschenden in diesem Land eine andere Funktion als die anderen genannten Verbote und ist trotzdem abzulehnen, weil es solche Organisationsverbote, die vorrangig wegen politischer Äußerungen vorgenommen werden, weiter normalisiert und die viel relevanteren Hetzer in diesem Land, die wir in den Bundestagsparteien, in der Regierung und den großen Medienhäusern finden, ungeschoren davonkommen lässt.

4.4         Wehrhafte Demokratie

Das Compact-Verbot ist nicht die Folge einer moralischen Selbstverpflichtung des deutschen Staats, soll aber als genau diese angesehen werden. Das Verbot versucht auch weit verbreiteten antifaschistischen Haltungen in der Bevölkerung zu schmeicheln. Politisch ausgeglichen soll die Summe der Organisationsverbote wirken, die sich gegen unterschiedliche politische Richtungen richten, sich auf eine politisch scheinbar neutrale Rechtsgrundlage beziehen und jegliche „Feinde der Demokratie“ wirksam bekämpft.

Das ganze Schauspiel der „wehrhaften Demokratie“, bei denen die Vereinsverbote einen wichtigen Teil der Inszenierung bilden, dient wesentlich dazu, Bevölkerungsteilen, die noch mehr oder weniger hinter dem eigenen Kurs stehen, zu signalisieren: Wir haben den Laden im Griff, mit uns muss sich keiner Sorgen um seine kleinen Pfründe machen. Dieses Schauspiel (zusätzlich zur realen Wirkung der Repression) ist wichtig, denn angesichts zahlreicher innen- und außenpolitischer Krisen geht den Herrschenden zunehmend ihr ruhiges Hinterland und die darin gebundenen Gruppen flöten. Bei jedem Vereinsverbot wird dieses Schauspiel lang und breit vorgeführt und die Drangsalierung von ein paar jungen Polit-Aktivisten, friedlichen Moscheebetreibern o.ä. als perfekt organisierter Schlag gegen gemeingefährliche Umstürzler breitgetreten. Die mediale Begleitung von IZH-Verbot oder PSDU sind nur zwei Beispiele dafür. Gerade wo das Image des starken Staats angekratzt wird, dort muss er umso härter zuschlagen, wie auch beim Indymedia-Verbot 2017 schön zu beobachten war, welches nach einer wochenlangen Debatte um „rechtsfreie Räume“ im Hamburger Schanzenviertel während der militanten Proteste zum dortigen G20-Gipfel erfolgte.

5.  Staatsumbau in der Zeitenwende?

Das Repressionsinstrument der Zerschlagung von politischen Organisationen ist in der BRD so lebendig wie nie zuvor. Die Vereinsverbote beweisen sich auch in der „Zeitenwende“ als nützliches Werkzeug zur Absicherung der Heimatfront. Hier gibt es mehr Kontinuität als Brüche: Der bürgerliche Staat kann in Deutschland in seiner jetzigen Phase flexibel auf sich verändernde politische Lagen reagieren. Stets ist das ganze Arsenal an Repression bereit, eingesetzt zu werden, meist braucht es nicht mehr als eine neue Leitlinie aus der übergeordneten Behörde, wie mit neuen politischen Entwicklungen umzugehen ist, praktisch beobachtbar im Nachgang des 7. Oktobers. Auch für die Ausweitung der Vereinsverbote muss der Staat nicht umgebaut werden – und umgekehrt wird er durch deren Durchführung auch nicht strukturell oder institutionell verändert. Es ist die Reaktion eines gut aufgestellten Staates auf politische Entwicklungen, die ihm nicht schmecken. Wie er reagiert, hängt von der welt- und innenpolitischen Lage ab, aber die zentralen Instrumente zur Befriedung standen und stehen immer bereit und finden zu jedem Zeitpunkt Anwendung in dem notwendigen Maß. Damit ist längst nicht alles zur Debatte um den „reaktionär-militaristischen Staatsumbau“ gesagt.[39] Es muss betont werden, dass die Verschärfung der eingesetzten Mittel und des Maßes der Repression real und kein Hirngespinst ist. Ein Blick auf weitere Aspekte staatlicher Repression und Einbindung neben Vereinsverboten würde das zeigen. Zur Verfügung standen die meisten dieser Mittel aber immer. Wenn in den nächsten Jahren bspw. mit einem Mal massenhaft Personen zum Kriegsdienst eingezogen werden, es großen Widerstand dagegen gibt, dann muss dieser Staat nicht erst umgebaut werden, um die im Grundgesetz verankerten Notstandsverordnungen in Kraft zu setzen und damit alle wesentlichen Grundrechte auszusetzen.

Dabei können Betrachtungen der Reaktion des Staates erst dann ein vollständiges Bild ergeben, wenn die politische Entwicklung, auf die der bürgerliche Staat gezwungen ist zu reagieren, verständlich gemacht wird. Also: Welche Entwicklung droht ihrer Herrschaft, ihren Interessen und Verbündeten, worauf sie mit Repression reagieren müssen?

Wir müssen alle lernen, wie man auch juristisch kämpft, denn dies ist ein wichtiges Kampffeld, in dem man in beschränktem Umfang zeitweilige Erfolge erringen, vor allem aber den Charakter dieses Staats praktisch aufzeigen kann. Wir müssen lernen mit Verboten und anderen Formen extremer Repression umzugehen, sie abzufedern und als Bewegung und Organisationen zu verkraften – denn gänzlich vermeiden oder abwehren können wir sie nicht. Wir müssen Strukturen schaffen, die die Schäden auf viele Schultern verteilen und breit darüber aufklären und skandalisieren. Den Schaden, den bspw. Vereinsverbote anrichten können, dürfen wir nicht klein reden, aber wir dürfen uns trotzdem niemals davon entmutigen lassen. Es gibt sehr aktuelle Beispiele von Genossen aus unzähligen Ländern (auch in Deutschland), deren Organisationen unzählige Male verboten wurden und die trotzdem immer weiter ihrer politischen Linie folgen und sich dafür organisieren. Wichtig ist, die Arbeit fortzusetzen, ohne unvorsichtig zu handeln.


[1] https://www.jungewelt.de/artikel/481609.gericht-Compact-verbot-vorerst-nicht-vollziehen.html

[2] Leider sind nur die ausführlichen Verbotsverfügungen von PSDU und Compact öffentlich zu finden, die Verfügungen zu Samidoun, HAMAS und IZH sind bis heute nirgendwo zugänglich gemacht worden.

[3] https://www.psdu-verbot.info/blog/eilverfahrengegenpsduverbotabgelehnt

[4] https://www.bverwg.de/pm/2024/39

[5] BVerwG, Urteil vom 26.01.2022 – 6 A 7.19, Rn 101: https://www.bverwg.de/260122U6A7.19.0

[6] BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 – 6 A 4.19 https://www.bverwg.de/290120U6A4.19.0

[7] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutsche-kommunistische-partei-dkp-wird-nun-doch-zur-bundestagswahl-zugelassen-a-34eee17d-771b-4a7e-a144-7f3f5b716517

[8] https://k-p-d.org/index.php/aktuell/partei/1435-erklaerung-ltw-sachsen-2024

[9] https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/UMOWhKNEkJ5ZQUg5Kk6?5

[10] https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/M0JVrk5Qop55DhqscjE?4

[11] BVerwG, Urt. v. 18.04.2012, 6 A 2/10, Rn. 13 – juris; BVerfG, Beschl. V. 13.07.2018, 1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13, 1 BvR 57/14, Rn. 124 f.-juris; BVerwG, Urt. v. 03.12.2004, 5 A 10/02, Rn. 22 f.-juris.

[12] https://www.psdu-verbot.info/s/Verbotsverfugung-PSDU-geschwarzt.pdf, S. 16ff.

[13] https://www.psdu-verbot.info/blog/category/Infotexte+zu+Verbot+und+Klage

[14] https://www.psdu-verbot.info/s/Verbotsverfugung-PSDU-geschwarzt.pdf, S. 49ff.

[15] https://www.psdu-verbot.info/s/Verbotsverfugung-PSDU-geschwarzt.pdf, S. 51. Das NRW-Innenministerium macht sich hier endgültig lächerlich, als sie behaupten, dass diese Emotionalisierung von PSDU zu Ereignissen, wie dem faschistischen Anschlag in Halle 2019 auf eine Synagoge, führen könnte.

[16] Verbotsverfügung Compact, S. 58.

[17] https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/UMOWhKNEkJ5ZQUg5Kk6/content/UMOWhKNEkJ5ZQUg5Kk6/BAnz%20AT%2002.11.2023%20B12.pdf?inline

[18] https://www.psdu-verbot.info/s/Verbotsverfugung-PSDU-geschwarzt.pdf, S. 33ff., S. 44ff.

[19] https://www.instagram.com/p/DCcT6gasQxN/

[20] Ausführlich wird auf die Kontaktschuld von PSDU auch in diesem Artikel eingegangen: https://www.psdu-verbot.info/blog/lboy2zigru07d71gikypmt0u9maqkq

[21] https://www.psdu-verbot.info/s/Verbotsverfugung-PSDU-geschwarzt.pdf, S. 46

[22] https://www.psdu-verbot.info/blog/kontaktschuld-wirkt

[23] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2023/11/exekutiv3-2311.html

[24] https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/eugh-c833-19p-strafmassnahmen-HAMAS-bleibt-auf-terrorliste/

[25] https://www.bverwg.de/031204U6A10.02.0

[26] http://www.documentarchiv.de/brd/2002/verbot_al-aqsa.html

[27] https://web.archive.org/web/20141030165222/http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm?aktion=jour_pm&r=417592

[28] https://www.psdu-verbot.info/blog/psdu-als-hms-unterstutzer

[29] https://www.psdu-verbot.info/s/Verbotsverfugung-PSDU-geschwarzt.pdf, Fußnote 80

[30] https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Darum-wird-Palaestina-Solidaritaet-Duisburg-verboten-article24946040.html

[31] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/07/izh.html

[32] https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2023-12-08-06/beschluesse.pdf S. 5

[33] Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) setzte sich in diesem Zusammenhang auch noch für eine Verschärfung des Strafgesetzes ein, wonach die Forderung nach Einführung einer islamischen Rechtsordnung unter Strafe stellen soll. Die Möglichkeit zur Bestrafung der Forderung nach einer anderen Verfassung wäre eine massive Ausweitung der politischen Repressionsmöglichkeiten in Deutschland, wurde bisher aber nicht weiter aufgegriffen: https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Grote-will-Kalifats-Forderung-unter-Strafe-stellen,innenausschuss176.html

[34] https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/lrXTsh2FSD2lgjw7RYW/content/lrXTsh2FSD2lgjw7RYW/BAnz%20AT%2024.07.2024%20B1.pdf?inline

[35] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw42-pa-kontrollgremium-969082

[36] https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/M0JVrk5Qop55DhqscjE?4
https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/UMOWhKNEkJ5ZQUg5Kk6

[37] https://www.instagram.com/bmi_bund/reel/C9yzfTxOhOV/

[38] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Nach-Schliessung-300-Menschen-beten-vor-der-Blauen-Moschee,blauemoschee138.html

[39] Zum Einstieg in die Debatte empfiehlt sich diese Bildungszeitung der DKP aus dem Jahr 2020 https://dkp.de/wp-content/uploads/theorie-bildung/Bildungszeitung_08-2020_Druck_final_150dpi.pdf sowie ein Beitrag auf der Website der KO: https://kommunistische-organisation.de/artikel/die-formen-buergerlicher-herrschaft-und-der-kampf-der-kommunisten/

Umsturz in Syrien – Ursachen und Folgen. Mit Karin Leukefeld

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Aufzeichnung der Veranstaltung des Marx-Engels-Zentrum und der KO in Berlin, vom 9. April 2025. 

Nach Jahren eines zermürbenden Kriegs der Türkei, Israel, der USA und anderer NATO-Mächte gegen Syrien erlag die Regierung von Assad dem Ansturm einer Islamistenmiliz, die von der UNO als terroristische Organisation geführt wird. Sturmreif geschossen wurde die Regierung in Damaskus zuvor durch die Verhängung beispielloser Wirtschaftssanktionen, die zur Verarmung der großen Mehrheit des Volkes führte.

Die vom „Westen“ gegen die Interessen Russlands, des Irans und Chinas durchgesetzte neue Ordnung ist aber alles andere als stabil. Große ethnische und religiöse Bevölkerungsgruppen wie die Kurden, die Alawiten und die Christen fühlen sich von den neuen, islamistischen Machthabern bedroht. Wohin wird das geschundene Land gehen?

https://youtu.be/A-dXOnV53LY

Whoever engages in historical revisionism trivializes fascism

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Whoever engages in historical revisionism trivializes fascism

Buchenwald was a concentration camp of the German fascists, build in 1937, located on Ettersberg, very close to the city of Weimar. Even though many were killed through direct execution, like the 8500 Sowjet prioners that were shot in 1943, Buchenwald was no extermination camp like Auschwitz. It was primarily a forced labour camp. The incarcereted had to work to death under brutal conditions, mainly for the war industry. The total number of deaths in Buchenwald or as a direct consequence of the captivity there is 56.000. Approximatly 278.000 were incarcerated in Buchenwald. One of them was Ernst Thälmann, head of the German Communist Party (KPD).

The history of the camp is especially important to remember, not only for the vicious crimes commited there but also for the brave resistance of the prisoners. Under the leadership of the communists, they managed to establish the „International Camp Committee“ in 1943, consisting of prioners from different nationalities. They managed to build resistance in the camp and the arms factory they had to work in and eventually took up arms against the German fascists and freed themselves. This saved the camp from extermination and helped capturing many of the fleeing fascist guards.

While there is plenty to learn about the histroy of Buchenwald, this commentary aims at giving an overview oft he recent attempts to rewrite history on the occasion of the 80th anniversary of the self-liberation of Buchenwald.

As the survivors of the camp become less, German warmongers and anticommunists are trying to rewrite the story of their resistance, the liberation from fascism and the content of their famous oath, in which the survivors swore in 1945:

„We will only give up the fight when the last guilty has been judged by the tribunal of all nations. The absolute destruction of Nazism, down to its roots, is our motto. The building of a new world of peace and freedom is our ideal.“ (Buchenwald Oath)

Latest developments in Buchenwald

We regularly visit Buchenwald to commemorate the prisoners in the camp, remember their resistance and share the history with more people. So we did this year as well. 

Shortly before the entrance to the camp grounds, we were intercepted by the staff –clearly committed zionists – asking us to take down our Kufiyas. As they couldn’t provide us with any written rule that bans Kufiyas from the premises, we refused to do so. Thereupon they threatened to ban us from entering the premises of the memorial site. We questioned their authority to make up a Kufiya ban and claim the Kufiya to be „non aligning with the goals of the memorial site“ or „inaapropriate“ and insisted on a written document. This was important to us in order to be able to take legal action againt this supposedly „Kufiya ban“. We had to insist strongly to make sure to get the ban in writing, but finally succeeded after waiting for an hour under police surveillance and were then followed by a police car far beyond the memorial grounds when we were leaving.

We found out that the police had clear instructions from the (public) foundation that runs the memorial site to make sure no Kufiyas would enter the memorial site. We got no further information if they were checking right winged symbols as well, but the focus was clear. While we were treated like criminals only for wearing the Kufiya, members of the Left Party (Partei die Linke) entered with Israeli Flags and during the official commemoration ceremony, where politicans who take an active part in the warmongering and racist German politics can annualy pretend to care about anti-fascism, Russia and Palestine were repeatedly slandered. The head oft he foundation left out the resistance of the prisoners completely in his speech.

An international student delegation broke the silence. “What are we waiting for? People are dying in a war in Ukraine, people are dying in Palestine in a genocide! ¡No pasarán!” was how they ended their speech. This was so scandalous for the foundation in charge of the memorial, that its director feeled compelled to immediatly delegitimize the speech. “It is not appropriate to speak of genocide in a place like this”. His comment was followed by heavy applause.

You can’t get to the heart of historical oblivion more forcefully than this. A genocide that is currently taking place is being denied at a location of historic genocide.

The following commentary looks back at the developments of the last few years and focuses on the roots of historical revisionism.

After 80 years of self-liberation, the ghosts of the past are haunting the Ettersberg

Since 2022, representatives of the Russian Federation have not been invited to the commemoration ceremony and their wreaths for the victims of the camp have been disposed. With millions of deaths, Russia paid a high toll in human lives for its liberation from fascism; hardly a family was spared. The Saint Georges Ribbon, a symbol of the fight against fascism, is also banned on the site. On the occasion of the 80th anniversary of the liberation of Auschwitz, the memorial site management accused Russia of instrumentalizing the fascist past when its politicians speak of a denazification of Ukraine.[1] Not a word about the fascist death squads in the Ukrainian military and secret service or about the Bandera cult and hatred of Russians that permeates Ukrainian society. In keeping with this line, the official memorial service in 2022 did not fly the Belarusian flag, but that of the opposition.[2] This was despite the fact that the flags are usually supposed to represent the nationalities of the concentration camps prisoners. At the time of the Buchenwald concentration camp, the flag of the Belarusian opposition was the symbol of the Jewish-hating, Belarusian Nazi collaborators.

The failed attempts last year to prevent anti-fascists wearing Kufiya from entering the memorial site are also part of this appalling policy. Fascists and activists expressing solidarity with Palestine are often lumped together: “When young people in Berlin chant ‘Free Palestine from German guilt’, it is hardly different from the ‘guilt cult’ narrative of the far right,”[3]said the memorial’s management in a speech on January 27 this year. While one side insists on really understanding and working through the German guilt for the Holocaust instead of transferring it to Arabs and Palestinians, the other side denies Germany’s fascist crimes.

This policy of the memorial has its roots in the deeply reactionary historical revisionism upon which the Federal Republic of Germany is built. In the following, we want to provide some background information and review the history of the Buchenwald Memorial on the occasion of the 80th anniversary of the self-liberation. The dismissals and political purges since 1990 are only the tip of the iceberg. The history of protest and resistance against this historical revisionism is little known.

The fight against historical revisionism is on the order of the day

For the German war machine, which is currently to be oiled with 1.7 trillion euros, historical revisionism is a crucial lever. With historical revisionism, war and rearmament are legitimized. Germany claims to have learned from its past and that is precisely why it is allowed to have atomic bombs, send tanks to Ukraine or deliver bombs to Israel. With this historical revisionism, neo-fascist tendencies are also encouraged. So, we have to look very closely when people talk about German responsibility and lessons from history today. And we have to study the history of fascism and the anti-fascist resistance even more carefully. It is our history, and we have to know it! Anyone who treats the experiences and class struggles of the past in a stereotyped and identitarian way is doomed to fail – this also applies to the danger of ritualizing commemoration by us communists.

The aim is to whitewash and defame fascist crimes to such an extent that one is able to commit new crimes in the name of these crimes. Or as the bourgeoisie calls it: responsibility. In concrete terms, this policy is expressed in the reversal of the perpetrator-victim relationship in World War II, which becomes necessary in order to prepare the war against Russia.  This is done, firstly, by ignoring German crimes in Eastern Europe and, secondly, by demonizing the Soviet Union, which one no longer wants to accept as a liberator. Thirdly, the role of German monopolies is ignored, in order to declare continuities of fascism, which are still in the DNA of the Federal Republic of Germany (FRG) today, to be called an insane idea.

“The trail of blood leads from Buchenwald to Bonn.”

This was the succinct summary provided by the Buchenwald camp museum until 1990. In that same year, large parts of the exhibition were dismantled. In 1995, the exhibition was disposed completely.[4] During that time, the FRG conducted a inquisition: throughout East Germany, exhibitions were purged of any political content, and smaller concentration camp memorials were even completely demolished.

Why did the exhibition have to be moved from Buchenwald? Because the new memorial management did not want to see either the continuities in the FRG or the role of the monopolies and the financiers behind Hitler. Nor did the camp’s self-liberation and the international resistance fit into this picture. The new memorial management was fully in line with the FRG’s historical revisionism. The state, which never properly dealt with fascism itself, had no sympathy for the anti-fascism that emanated from the concentration camp memorial. While there was no state funded memorial work or research in the FRG up to that point, it now had custody of the extensive archives and research of GDR historical scholarship. In the FRG, former prisoners had to fight for years for the establishment and maintenance of memorials – often unsuccessfully. The volunteers who worked to maintain the Dachau Memorial were repeatedly threatened with closure.[5] In the FRG, research on fascism was completely underfunded and had an outsider status. The broad reappraisal and research in the GDR, on the other hand, proves to this day that things can be done differently. In 1990, the majority of historians were thrown out on the street and banned from the universities of East Germany. Their protest and objection to these measures were drowned out by the nationalist euphoria of the GDR’s integration. A new historical narrative was imposed from above. Since then, the fate of the Buchenwald Memorial has been a prime example of historical revisionism.

The conversion of the Buchenwald Memorial

In 1990, the management of the memorial was also promptly liquidated, and a West German historical commission was set up. Dozens of dismissals and denunciations of the old staff followed. The new director of the memorial only stayed in the office for five days. When the historian’s DKP (German Communist Party) past became known, he had to leave immediately.[6]

The National Place of Remembrance at Buchenwald, planned and erected by former inmates, has since been vilified as a testament to the ‚hypocritical and dictatorial GDR state propaganda‘.[7] For 35 years, Europe’s largest concentration camp memorial has been left to the whims of the weather conditions on the Ettersberg.

Instead, today the focus has been placed on the use of Buchenwald as an internment camp for Nazi officials, members of the SS and Wehrmacht soldiers between 1945 and 1950. This has provided fodder for the reactionary elements: the myth of the Soviet concentration camp Buchenwald was already widespread among many former Nazis in the young Federal Republic of Germany. The fact is that such internment camps were used in all four occupation zones and were based on lists provided by the British and American high command. The decision to do so was taken at the 1943 Allied Conference in Tehran.[8]

The prisoners of the Buchenwald internment camp received compensation early on as “Stalinist persecutees”. What already met with anti-fascist resistance in the FRG of the 1950s was taken to an extreme in the 1990s with a memorial that presents Nazis as victims. While one month of imprisonment in the Soviet internment camp meant 550 marks in compensation, inmates of the concentration camps were fobbed off with 150 marks, by the FGR. Communist prisoners of the concentration Camp got nothing and were exposed to state repression.[9] The memorial to the internment camp, built in 1990s, stands behind the effects chamber and extends over 250 square meters of forest. Since then it has been a place of pilgrimage for right-wingers and neo-fascists.[10]

Controversy over the anti-Fascist heritage

The renewed protest by anti-Fascists and former inmates of the concentration camp against this historical misrepresentation was vilified by the Springer press as the machinations of Communist ideologues and dismissed by the memorial. Nothing should stand in the way of the new historical narrative.[11]

The former inmates of the camp protested against such a reinterpretation of history to the very end. Buchenwald inmate Emil Carlebach criticized how the revolt of the Jewish inmates and the support of the international resistance in the camp were treated: „I myself was hidden under the floor of a barrack for eight days – until the liberation. I was to be hanged because I was suspected, not entirely without reason, of having been involved in preventing the deportation of the Jews to the death march. I myself wore the yellow star, and we saved over 900 children here who, in the words of the SS and the likes of Krupp and IG Farben, were useless eaters and were to be put in gas chambers. Today, all this is denounced by politicians and historians as a communist myth. (…) Well, not only Göbbels could lie, he also had successors.“[12]

Since the political eradication of memory in the nineties, the direction of the march is clear: “In Buchenwald, too, it is about how one deals with history in public and how one also deals with the anti-fascist myth of the GDR and such things. And there they need someone with experience in dealing with history in public, which not only requires, so to speak, scientific brilliance alone.” So the new memorial director Hofmann quoted in the taz-newspaper from 15.6.1992. There seems to be no room for historical facts when it comes to demonizing the anti-fascism of the GDR.

The never-ending attempts to accuse the GDR – and thus the political left – of anti-Semitism do not pass without a trace at Buchenwald. And this despite the fact that the memorial established at the site of the Jewish special camp in 1958, as well as numerous speeches and articles from the period, prove the opposite. It is all the more perfidious that the call of the illegal KPD “Against the disgrace of the Jewish pogroms” and the references to the joint resistance of Jews and Communists were deleted from the exhibition. Even the memorial plaque for Jerzy Zweig, the Polish-Jewish child from Nackt unter Wölfen (German Novel by Bruno Apitz, which was produced as a movie in GDR and recently in FGR again) who was saved, was removed. Zweig himself took legal action against the memorial management for repeatedly defaming him as a “swap child” and a “legend”.

In 2012, the Auschwitz Committee intervened. In an open letter to the German government, Esther Bejarano demanded: “An end to the surveillance of Holocaust survivors and the discrediting of their work as contemporary witnesses!”  She criticizes the secret services‘ snooping on the views of survivors and the general suspicion towards survivors‘ organizations and anti-fascist initiatives, while „those in government share responsibility for the German conditions today: the economization of thought, the erosion of solidarity in society, and, as a result, the social division that fuels fears. Racism, anti-Semitism and xenophobia are on the rise again in Germany today. “[13]

A 1000-year-old stench

The Annexation of GDR not only brought with it a new view of history, but also allowed hundreds of neo-Nazis to spread out again. To this day, they continue to attack the memorial and visiting groups: with Nazi salutes, swastika graffiti, mocking the victims, verbal abuse and sabotage. All too often, the neo-fascists get off with much too light sentences or completely unpunished. The new memorial for the Soviet internment camp, on the other hand, is a popular place of pilgrimage for neo-fascists. In 1996, a neo-Nazi group, including the NSU trio, visited the memorial in Nazi storm trooper-like uniforms to provoke.[14] In the GDR, this would have meant their arrest and saved 10 lives. In the FRG, the secret service-financed group was able to continue its mischief.

Over time, the plan to present victims and perpetrators in a more “differentiated” way also received increasing support from academics and politicians: The portrayal of the SS as diabolical perpetrators of violence is claimed to be undifferentiated – the partial guilt of “red Kapos” must be included. The purely positive portrayal of the camp resistance is also marked as problematic and prove of the one-sidedness of GDR anti-fascism. Here, too, the tabloid Bild-Zeitung was quick to jump on the bandwagon: with its series of articles entitled “How Communists Helped the Nazis Kill,” it incited hatred against Buchenwald prisoners in the most repulsive way.

The Oath of Buchenwald states: “We will only end the struggle when the last culprit has been judged by the tribunal of all nations!” In West Germany, these culprits built a new state. The warmongers and revanchists who are beating the drums for war against Russia today are coming into their own. Three goals testify to this day to the mentality of this Federal Republic: revenge against the Soviet Union, the subjugation of Eastern Europe and the shaking off of historical crimes.


[1] Gedenkstätte Buchenwald (2025): Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. 

[2] Website der Gedenkstätte Buchenwald (2022): 77. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora.

[3] Ebd.

[4] Zorn, Monika (1993): Hitlers Zweimal getötete Opfer.

[5] Daniela Dahn (2021): Der Schnee von Gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit, eine Abrechnung.

[6] Zorn, Monika (1993): Hitlers Zweimal getötete Opfer.

[7] Dutzende Artikel von BPB bis zur Website der Gedenkstätte zeugen davon.

[8] Dahn (2021), S.102.

[9] Daniela Dahn (2021): Der Schnee von Gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit, eine Abrechnung.

[10] Ebd.

[11] Dahn (2021)

[12] Thomas Knecht (2010): Carlebach 1. (YouTube Video ab Min. 6:46) 

[13] Esther Bejarano (2012): Offener Brief des Auschwitz Komitees an die Regierenden (Glocke vom Ettersberg Nr. 205)

[14] Stiftung Gedenkstätten (2021): Besucher*innen, die nicht willkommen sind. (Eine Auswahl neofaschistischer Angriffe und Provokationen). 

Ein Koalitionsvertrag für den Krieg

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Die zukünftige Regierung hat letzten Mittwoch mit dem neuen Koalitionsvertrag einen 146-seitigen Maßnahmenkatalog für die nächsten Jahre vorgelegt.1 Die politische Richtung ist klar: Aufrüstung nach innen, Kriegsvorbereitung nach außen. Wir haben die wichtigsten Vorhaben gesammelt und eingeordnet.

Geschenke fürs Kapital: „Deutschland ist zurück“2

Was ist geplant?

Die Koalition will Unternehmen subventionieren, deren Profite erhöhen und die Investitionsbedingungen im Sinne des Kapitals ausbauen. Dabei ist konkret die Einrichtung eines Deutschland-Fonds, der vom Bund mit zehn Milliarden, also aus Steuergeldern, bezuschusst wird, geplant. Außerdem werden ein Industriestrompreis sowie verschiedene Steuererleichterungen (Körperschafts- und Einkommenssteuer) für Unternehmen durchgesetzt.3 Diese erhalten außerdem durch die degressive Abschreibung von Investitionen große Steuergeschenke.4 Das Lieferkettengesetz, das Unternehmen formal zur arbeits- und menschenrechtlichen Nachverfolgung der beteiligten Lieferketten verpflichtete, wird abgeschafft.5 Das 500 Milliarden schwere Sondervermögen für eine kriegstüchtige Infrastruktur wurde noch durch den abgewählten Bundestag gepeitscht. Der Koalitionsvertrag sieht eine Reform der Schuldenbremse sowie eine Prüfung der Überführung von Sondervermögen in den regulären Haushalt vor.6

Was heißt das?

Im Vorfeld der Bundestagswahl waren alle der oben genannten Vorhaben von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden propagiert worden. Der deutsche Imperialismus steckt in der Krise und setzt neben der militärischen Aufrüstung verstärkt auf Klassenkampf von oben. Der Staat will die deutschen Unternehmen und Monopole subventionieren und so wettbewerbsfähig halten, um seine Stellung als drittgrößte Volkswirtschaft nicht zu verlieren. Regularien, Preise und Steuern werden durch staatliche Maßnahmen gesenkt, um die Bedingungen für das Kapital noch profitabler zu gestalten. Alle Maßnahmen bedeuten eine Umverteilung des Nationaleinkommens, also eine Verteilung von unten nach oben.

Klassenkampf von oben: „Sanktionen müssen schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden“7

Was ist geplant?

Die Umverteilung soll über verschiedene Angriffe auf die Arbeiterklasse durchgeführt werden: Die neue Regierung will das Bürgergeld abschaffen und durch eine neue Grundsicherung mit Arbeitszwang ersetzen.8 Im Unterschied zum Bürgergeld sollen alle, die keine Arbeit aufnehmen, mit bis zu 100% sanktioniert werden. Außerdem soll eine Kommission zur Sozialstaatsreform eingesetzt werden, um den weiteren Abbau des Sozialstaates zu planen.9 Die tägliche Höchstarbeitszeit soll abgeschafft und in eine wöchentliche Maximalarbeitszeit umgewandelt werden, konkret heißt das Arbeitszeitverlängerung.10 Unternehmen, die Mehrarbeit ausbauen, bekommen staatliche Prämien.

Was heißt das?

Der Umbau des Bürgergeldes bedeutet Arbeitszwang. Zukünftig können Arbeitslose – noch leichter als bisher sowieso schon – durch das Druckmittel Komplettsanktionierung zu jeglicher Arbeit gezwungen werden. Der Staat kann seine Reservearmee damit so einsetzen, wie er und die Unternehmen es brauchen. Das ist gerade in Zeiten der Kriegsvorbereitung wichtig. Die Arbeitszeitverlängerung ist ein Frontalangriff auf eine der wichtigsten Errungenschaft im Kampf der Arbeiterbewegung, den Acht-Stunden-Tag. Für das Kapital bedeutet dies eine maximale Profitsteigerung. Die im Koalitionsvertrag genannten „Anreize für Mehrarbeit“ werden dabei von der Arbeiterklasse selbst, nämlich in Form von Steuerabgaben, gezahlt: Die Arbeiter zahlen also dafür, zukünftig länger arbeiten zu müssen. Die Arbeitszeitverlängerung läuft unter dem Label Freiwilligkeit. Dabei ist klar, dass diejenigen, die mehr arbeiten werden, entweder aufgrund der sinkenden Löhne oder durch Vorgaben der Unternehmen zur Mehrarbeit gezwungen sind. Darüber hinaus ist natürlich auch der Schritt zum formalen Zwang nicht weit.

Migration, Justiz und Repression: „Zeitenwende der Inneren Sicherheit“11

Was ist geplant?

Kurz vor den Koalitionsverhandlungen forderte der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) das individuelle Recht auf Asyl im Grundgesetz zu streichen.12 Soweit geht der Koalitionsvertrag zwar noch nicht, dennoch steuern die geplanten Vorhaben darauf zu. Die neue Regierung will Menschen nach Syrien und Afghanistan abschieben, sowie generell die Liste der „sicheren“ Herkunftsländer erweitern.13 Die Aufnahmen von Menschen aus dem West-Balkan soll ebenfalls reduziert werden, außerdem soll der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt werden. Asylbewerber sollen zukünftig an den europäischen Grenzen noch gewaltsamer zurückgewiesen werden. Außerdem sollen die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten geprüft werden, was wichtige Forderung der CDU war. Bei Straftaten, insbesondere bei Volksverhetzung oder antisemitisch motivierten“ Taten, soll der Aufenthaltsstatus entzogen werden. Außerdem wird geprüft, ob dies auch bei Verstößen gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ umgesetzt werden kann. Bei Abschiebung wird der bisher verpflichtende Rechtsbeistand abgeschafft, den Betroffenen wird also das Recht auf ein juristisches Vorgehen entzogen.14 Von Abschiebung Bedrohte sollen von der Polizei in Haft genommen werden.

Nicht nur in der Migration ist die Rede vom starken Staat: Die neue Regierung wird das „Spannungsverhältnis zwischen Innerer Sicherheit und Datenschutz neu austarieren“, wie es im Koalitionsvertrag heißt.15 Dabei sollen eine Speicherpflicht für IP-Adressen eingeführt, die Zusammenarbeit von Behörden und Verfassungsschutz verbessert sowie ein „modernes Bundespolizeigesetz“ auf den Weg gebracht werden.16 Es werden „Experimentiergesetze“ geschaffen, die jedoch nicht weiter ausgeführt sind.17 Der Tatbestand Volksverhetzung wird verschärft und bei mehrfacher Verurteilung deswegen soll das passive Wahlrecht entzogen werden. Sogenannte „Desinformation“sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und wird dementsprechend juristisch verfolgt.18 Im Sinne der deutschen Staatsräson wird gegen „Israelfeindlichkeit“ an Schulen und Hochschulen verstärkt vorgegangen19.

Was heißt das?

Es ist klar: Betroffen von der Verschärfung der Repressionen sind all diejenigen, die sich gegen den Kriegs- und Aufrüstungskurs stellen. Demonstranten gegen den israelischen Völkermord in Gaza sind Antisemiten und werden als solche juristisch verfolgt. Gegner des NATO-Krieges gegen Russland sind Volksverhetzer oder Verbreiter von Desinformation und sollen daher auf juristischem Weg mundtot gemacht werden – wenn nötig auch durch den Angriff auf ihre Grundrechte. Migranten dienen dabei als Versuchskaninchen, schließlich kann hier das existenzielle Recht auf Aufenthalt, entzogen werden. Als Legitimation der Grundrechtseinschränkung ziehen Medien und Politik Gewalttaten heran. Dabei geht es jedoch nicht um die alltägliche Gewalt – jeden Tag gibt es einen Mordversuche an Frauen. Auch dass in Duisburg Schulen geschlossen werden müssen, da Rechte mit „Säuberungen“ drohen, spielt keine Rolle. Es geht um die von Migranten begangenen Gewalttaten, aus denen Politik und Medien in den letzten Monaten eine Bedrohung der nationalen Sicherheit konstruierten. Der Koalitionsvertrag weitet das konstruierte Bedrohungsszenario nun auf alle, die sich dem Kriegs- und Ausbeutungskurs der BRD entgegenstellen, aus: „Was die Feinde der Demokratie angeht, gilt der Grundsatz „Null Toleranz“. Es ist die gesamtstaatliche und gesellschaftliche Verantwortung, jedweder Destabilisierung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung entgegenzuwirken und dabei auch unsere Sicherheitsbehörden nicht allein zu lassen.“20 So macht man eine Gesellschaft kriegsfähig.

Aufrüstung und Kriegsvorbereitung: „Die größte und direkteste Bedrohung geht von Russland aus“21

Was ist geplant?

Die neue Koalition hat den Staffelstab der Kriegsvorbereitung gegen Russland übernommen – Zielmarke ist das Jahr 2030. Der Koalitionsvertrag umfasst viele konkrete Schritte, das Bekenntnis zur NATO, EU und Rolle als europäischer NATO-Pfeiler ist dabei allgemeiner Grundsatz. Priorität hat die Aufstellung der Brigade Litauen als „zentraler Beitrag an der NATO-Ostflanke“.22 Außerdem soll das Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD) überarbeitet werden, was Boris Pistorius mit Hinblick auf eine Stationierung an den NATO-Außengrenzen folgendermaßen begründete23: Es geht um erweiterte und neue Befugnisse auch in Regionen, in denen wir bislang nicht waren.“24

Die neue Regierung will die langjährige Forderung führender Militärs umsetzen: die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates, der die politische Macht zukünftig noch stärker beim Kanzler konzentrieren soll.25 Die Rechtslage im „zivilen Verteidigungsfall“ soll geändert werden, um die Befugnisse für die Bundeswehr auszubauen.26 Dabei soll auch der Operationsplan Deutschland weiter umgesetzt werden. Die Regierung will noch im nächsten halben Jahr ein Bundeswehrplanungsgesetz verabschieden, das eine schnellere und höhere Aufrüstung der Bundeswehr gesetzlich regelt.27 Munition und andere Aufrüstungsgüter soll zukünftig verpflichtend vorbehalten werden, um die militärische Versorgung zu sichern. Die Nutzung von stillgelegten Werken der Autoindustrie für die Rüstungsproduktion soll staatlich geprüft werden.28 Lieferketten, Rohstoffbeziehungen und kritische Infrastruktur sollen „resilienter“ gestaltet sein, d. h. der Kontrolle des deutschen Staates unterliegen und diese so für den Kriegsfall sichern zu können.29 Das Aussetzen der Schuldenbremse in militärischen Fragen wurde noch durch den alten Bundestag im Eilverfahren beschlossen. Die Steigerung des Wehretats soll kontinuierlich und über mehrere Jahre hinweg erfolgen – Zahlen werden nicht genannt. Konkret benannt wird jedoch der Ausbau der Raumfahrt und Satelliteninfrastruktur für militärische Zwecke.30 Die Zusammenarbeit zwischen Forschung, Unternehmen und Bundeswehr soll ausgebaut und die Zivilklausel abgeschafft werden. Insgesamt wird die Bundeswehr noch prominenter im öffentlichen Raum vertreten sein, gerade an Schulen ist eine gesteigerte Präsenz geplant. Junge Erwachsene können zukünftig auch einen Freiwilligendienst Bevölkerungsschutz machen.31 Der Wehrdienst bleibt „zunächst (!) freiwillig“ und noch in diesem Jahr soll mit der Wehrerfassung und -überwachung begonnen werden.32

Neben der Aufrüstung wird auch die deutsche Expansionspolitik genauer bestimmt: Die EU-Osterweiterung wird fortgesetzt. Die sechs West-Balkan-Staaten sowie Moldau und die Ukraine sollen aufgenommen werden. Im Fall Georgiens unterstütze man die pro-europäische Opposition und strebe mit dieser an der Macht einen EU-Beitritt an.33 Störenfriede in der EU will man zukünftig das Stimmrecht entziehen, nämlich dann, wenn diese gegen die „Grundwerte der EU“ verstoßen. Generell will die nächste Bundesregierung das bisherige EU-Konsensverfahren abschaffen und durch ein Mehrheitsverfahren ersetzen.34 Die militärische Unterstützung der Ukraine soll nicht nur abgesichert, sondern sogar „gestärkt“ werden. Der NATO-Beitritt der Ukraine ist weiterhin Ziel. Neben Russland soll auch der Angriff auf andere Länder intensiviert werden: Der Einfluss des Irans in der Region soll zurückgedrängt werden, u. a. durch eine Verstärkung der Sanktionen und auch im „Indo-Pazifik“ wolle man weiterhin Präsenz gegenüber China zeigen.35

Was heißt das?

Die Maßnahmen sprechen weitestgehend für sich. Die neue Regierung will die Aufrüstung und Kriegsvorbereitung in den nächsten Jahren noch steigern. Umstritten in den Sondierungsgesprächen war dabei u. a. die Einführung der Wehrpflicht. Die SPD wollte verhindern, diese schon im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Vermutlich hätte sie damit Probleme in der eigenen Partei und Wählerschaft bekommen; die Jusos sprachen sich beispielsweise vor Kurzem dagegen aus. Im Koalitionsvertrag hat man nun den leichteren Weg gewählt – nämlich eine schrittweise Einführung.

Die Aufrüstungs- und Expansionsmaßnahmen sprechen eine klare Sprache: Es geht darum, den direkten Krieg gegen Russland vorzubereiten. Dies zieht sich durch den gesamten Koalitionsvertrag und wird der rote Faden für die Politik der neuen Regierung sein. Umso wichtiger ist es, dass wir die geplanten Vorhaben kennen und dagegen mobilisieren.

1Der Koalitionsvertrag (KV) ist hier online abzurufen: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag_2025.pdf Im Text werden für alle geplanten Maßnahmen die jeweiligen Seitenzahlen im Text verlinkt, damit diese noch einmal ausführlich nachgelesen werden können.

2KV, S. 56

3KV, S. 4 u. 28

4KV, S. 45

5KV, S. 60

6KV, S. 50 u. 54

7KV, S. 17

8KV, S. 16

9KV, S. 15

10KV, S. 18

11 KV, S. 82

12https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/migration-union-und-spd-debattieren-muss-das-asylrecht-geaendert-werden/100118850.html

13KV, S. 93 u. 95

14KV, S. 94

15KV, S. 82

16KV, S. 83

17KV, S. 59

18KV, S. 123

19KV, S. 72

20KV, S. 84

21KV, S. 125

22 KV, S. 130

23 KV, S. 132

24 https://www.jungewelt.de/artikel/497967.neuer-wehrdienst-pistorius-prescht-vor.html

25KV, S. 126

26KV, S. 84

27KV, S. 130

28 KV S. 8

29KV, S. 131

30KV, S. 71

31KV, 104

32KV, S. 130

33KV, S. 140

34KV, S. 126 u. 135

35 KV, S. 128 f.

Podcast #51 – Sudan: Two Years of war, decades of struggle

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We were talking with Shadia Abdel Moneim, representative of the Sudanese Communist Party. We shed light on the revolutionary movement in Sudan, that has been struggling for a political change since decades, with the Sudanese Communist Party at the forefront.

We also covered the reasons for the war between the Rapid Support Forces (RSF) and the Sudanese Army (SAF), that has been devastating the country since 15th of April 2023. Why are they fighting and what is the role of the Sudanese people in this war? How is all the international meddling in Sudan connected to bigger geopolitical conflicts?

Autos zu Rüstung – Deutschlands Übergang zur Rüstungswirtschaft

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Aktuelle Entwicklungen, die Rolle der Gewerkschaften
und Widerstand


Beitrag von Franzi Stein

VW will in die Rüstungsproduktion einsteigen, in Görlitz wurde ein Waggonbau-Werk auf Panzerproduktion umgestellt, und die abgewählte Bundesregierung hat 500 Milliarden Euro für den Ausbau einer kriegstüchtigen Infrastruktur bereitgestellt. Die Rheinmetall-Aktie geht durch die Decke, die Lobby der Rüstungsindustrie propagiert die Parole „Autos zur Rüstung“1 und in der Öffentlichkeit wird mittlerweile offen von Rüstungs- oder Kriegswirtschaft gesprochen – um nur ein paar der jüngsten Entwicklungen zu nennen.

Doch was spricht eigentlich für den Übergang zur Rüstungswirtschaft in Deutschland? Welche Folgen hat dies für die Arbeiterklasse? Wie positionieren sich die Gewerkschaften zu dieser Entwicklung und welchen Protest gibt? Diesen Fragen geht der vorliegende Beitrag nach. Im Hintergrundteil am Ende wird außerdem auf den Begriff der Kriegswirtschaft eingegangen und ein Blick in die Geschichte geworfen, genauer gesagt auf den Aufbau der deutschen Kriegswirtschaft während des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Der Beitrag gibt keine abschließende Einschätzung über die auftretenden Probleme und Widersprüche, sondern möchte einen Einstieg ins Thema bieten. Für diese Fragen ist der Beitrag von Conny Renkl und Stephan Müller in der Wochenzeitung Unsere Zeit zu empfehlen, in dem viele interessante Punkte angesprochen werden.2

Hintergrund der oben genannten Entwicklung ist die Situation des Imperialismus im Allgemeinen und die des deutschen Imperialismus im Speziellen: Dem westlichen Block drohen Einfluss- und Hegemonieverlust, insbesondere aufgrund der Entwicklung Chinas und einer damit einhergehenden Neuorientierung von Staaten, die sich der neokolonialen Unterdrückung durch den Imperialismus entziehen wollen. Der Imperialismus versucht, seine Hegemonie auf verschiedene Weise zu sichern Krieg ist einer davon, wie die gesteigerte Aggression gegen Russland und China deutlich macht. Auch innerhalb des imperialistischen Lagers werden die Widersprüche auf ökonomischer Ebene verstärkt ausgetragen, wie die Sprengung der Nord Stream II-Pipeline, der Inflation Reduction Act und die aktuelle Zollpolitik unter Trump zeigen.

Der deutsche Imperialismus steht unter Druck und muss verschiedene Herausforderungen bewältigen, um seine Stellung in der Welt zu sichern: Erstens muss er seine Position als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt behaupten. Dafür ist es notwendig, in einem möglicherweise verstärkten Wirtschaftskrieg gegen die USA zu bestehen, dafür die Stabilität in der EU zu sichern und gleichzeitig die deutsche Industrie und Wirtschaft so umzubauen, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben. Zweitens muss er das gigantische Aufrüstungs- und Kriegsvorhaben stemmen und dafür enorme Finanzierungsleistungen erbringen. Drittens muss er die für dieses Programm erforderliche Stabilität in der Bevölkerung absichern. Hier lotet der deutsche Imperialismus aus, wie viel Angriff auf die Arbeiterklasse möglich ist und wie viel Zugeständnis notwendig ist.

Aktuelle Entwicklungen im Übergang zur Rüstungswirtschaft

In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Entwicklungen dargestellt, die für den Aufbau einer Rüstungswirtschaft in Deutschland sprechen: der Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes, die Kriegskredite, der Umbau der Wirtschaft, die Rohstoff- und Energiebeschaffung sowie Staatseinstiege in die Rüstungsbranche.

Ausbau des militärischen-industriellen Komplexes

Der Ausbau und die Förderung der Rüstungsindustrie haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Von Januar 2020 bis Juli 2024 wurden Aufträge im Gesamtwert von knapp 140 Milliarden Euro verzeichnet. Vor allem seit Ende 2023 ist ein massiver Anstieg der Aufträge für die Rüstungsindustrie zu beobachten, unter anderem aus Zahlungen aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen. Der Staat will die Abnahmegarantie von Rüstungsgütern sichern, um die Produktion zu steigern. Nur ein Viertel dieser Ausgaben ging an ausschließlich ausländische Hersteller, während die restlichen 75 % mindestens anteilig an deutsche Rüstungsunternehmen flossen.3

Neben der Produktion soll auch die Reparatur und Wartung hauptsächlich bei deutschen Unternehmen liegen, um die Unabhängigkeit zu erhöhen. Zudem soll der Technologieabfluss in Drittstaaten verhindert werden, was auch ein zentraler Punkt der im November 2024 veröffentlichten Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie (SVI)4ist. In der SVI wird der Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes (MIK) in Deutschland skizziert und der Fokus auf nationale Unabhängigkeit in Fragen der Schlüsseltechnologien, Beschaffung, Reparatur und Wartung gesetzt. Darüber hinaus wird festgehalten, dass Regularien im Sinne des MIK abgebaut, die Beschaffung auf europäischer Ebene vorangetrieben und Arbeitskräfte für die Rüstungsunternehmen gewonnen werden sollen. Die Aussagen verschiedener Vertreter des MIK auf einer Konferenz des Handelsblatts zu „Verteidigung und Sicherheit“ unterstreichen dies: „Wir produzieren schon jetzt mehr Munition als die Vereinigten Staaten“, sagt Rheinmetall-Chef Armin Papperger. „Wir sind bereit zu liefern, und wir sind in der Lage, die Bundeswehr bis 2029 kriegstüchtig zu machen“, sagt MBDA5-Deutschlandchef Thomas Gottschild. „Dafür brauchen wir eine substanzielle finanzielle Ausstattung, klare Abnahmemengen für mehr Planungssicherheit und verlässliche Exportbedingungen, fordert Gottschild. Nur dann könnten die Unternehmen investieren und Skaleneffekte erzielen.“6

Ein Beispiel für den Abbau von Regularien ist die angestrebte Abschaffung der Zivilklausel, um jegliche Forschung in den Dienst der Rüstungsindustrie stellen zu können.7 Vermutlich sollen in Zukunft auch die parlamentarische Aufsicht und Kontrollen weiter eingeschränkt werden. Dies liegt zumindest nahe, wenn man einen Blick in den Bericht des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW) zur Entwicklung der Aufrüstung wirft: „Zu den Problemen, die zu einer langsamen und teuren Beschaffung führen, gehören nach Ansicht des Gremiums eine übermäßige parlamentarische Aufsicht über einzelne Beschaffungen, die zu einer Kirchturm-Politik führen kann, administrative Hürden, die den Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) in den Vordergrund stellen, Vertragsgestaltungen, denen es an Anreizen für Rüstungsunternehmen mangelt, sowie eine unzureichende Innovation im Allgemeinen.“ Das IfW argumentiert für „anreizkompatible Verträge“, die „für den Erfolg des deutschen Rüstungswunders von zentraler Bedeutung waren, nachdem Albert Speer sie 1941 initiiert hatte“8und macht damit deutlich, in welche Richtung es gehen soll.

Infolge des massiven staatlichen Ausbaus des MIK haben sich die Aktienkurse der Rüstungskonzerne im Rekordtempo gesteigert. So verzeichnet beispielsweise die Rheinmetall-Aktie seit Jahresbeginn 2025 einen Anstieg von über 80 %, vorwiegend aufgrund der verabschiedeten Aufrüstungspakete.9 Im IfW-Bericht kann man dazu lesen: „Seit Beginn der Invasion sind die Aktienkurse von Rüstungsunternehmen jedoch erheblich gestiegen, was darauf hindeutet, dass zumindest die börsennotierten Unternehmen in Europa in der Lage sein sollten, sich eine Finanzierung zu sichern.“10

Die Aufrüstung im europäischen Rahmen ist Konsens in der herrschenden Klasse, um die eigene Schlagkraft zu erhöhen. Bei einem EU-Sondergipfel wurden Kriegskredite in Höhe von 800 Milliarden Euro verabschiedet, um die europäische Aufrüstung in großem Stil umzusetzen. Dieses Vorhaben steht bereits länger im Raum, über die konkrete Geldbeschaffung wird noch debattiert.11 Neben den staatlich gewährten Krediten sollen auch private Sparanlagen investiert werden. Inwiefern private Ersparnisse in Form von Kriegsanleihen – es steht eine Summe von zehn Billionen Euro im Raum – in Investitionen überführt werden können, lässt Ursula von der Leyen derzeit noch offen.

Das IfW stellt fest, dass die europäische Produktion in den letzten zwei Jahren zwar zugenommen habe, allerdings immer noch „unter dem Bedarf“ liege und folglich „multinationale Innovationen und europaweite Beschaffungen“ notwendig seien, um „dem russischen Militär mehr als gewachsen“ zu sein.12 Hier gilt es für den deutschen Staat, eine möglichst große Unabhängigkeit zu sichern und die eigene Rüstungsindustrie im Wettbewerb zu stärken. Auch die 2023 in Deutschland vorgestellte Nationale Sicherheitsstrategie formuliert dies als Ziel: „Eigenständige europäische Handlungsfähigkeit ist zunehmend Voraussetzung für die Sicherheit Deutschlands und Europas. Dazu gehören moderne, leistungsfähige Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten ebenso wie eine leistungs- und international wettbewerbsfähige europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, die Grundlagen der militärischen Fähigkeiten der Streitkräfte schafft. Gemeinsame Rüstungsprojekte und deren Exportfähigkeit gemäß den Maßstäben des zukünftigen Rüstungsexportkontrollgesetzes tragen dazu bei, europäische Handlungsfähigkeit voranzutreiben und stärken damit den europäischen Pfeiler in der NATO.“13

Als Probleme werden die Zersplitterung des Marktes, nationale Partikularinteressen und eine folglich zu langsame europäische Beschaffung angesehen. An der grundsätzlichen Konkurrenz der europäischen Staaten um Marktanteile wird sich sicherlich nichts ändern. Dennoch gibt es Versuche, die Produktion zu koordinieren und die Beschaffung zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang wurde beispielsweise die European Defence Industry Strategy entwickelt und eine neue Kommissionsstelle eingeführt, die seit letztem Jahr mit Andrius Kubilius besetzt ist. Conny Renkl und Stephan Müller führen in ihrer Analyse einige Beispiele an, wie das deutsch-französische Panzerprojekt MGCS oder das deutsch-französische Trinity House Agreement zur Rüstungszusammenarbeit.14

Kriegskredite und Finanzierung der Rüstungswirtschaft

Finanzielles Rückgrat der rüstungsindustriellen Offensive sind auf deutscher und europäischer Ebene staatliche Kriegskredite. Im Jahr 2022 hat die deutsche Regierung bereits Kriegskredite in Form von Sonderschulden außerhalb des regulären Haushalts in Höhe von 100 Milliarden Euro verabschiedet. Hinzu kommt nun ein weiteres Paket aus 500 Milliarden Euro für Infrastrukturmaßnahmen, von denen der Großteil militärisch geprägt ist. Diese Sonderschulden werden von führenden Militärs seit langem gefordert.

Zukünftig sollen außerdem die Zahlungen aus dem regulären Haushalt erhöht werden, da die Aufstockung auf das 2%-Ziel des BIP (entspricht knapp 20 % des Haushalts) derzeit über das Sondervermögen erfolgt. Diese Vorgehensweise wird von herrschenden Militär- und Wirtschaftskreisen kritisiert: „Die mittelfristige Haushaltsplanung sieht keine systematische Erhöhung des Einzelplans 14 über die nächsten Jahre vor, sondern eine plötzliche und politisch ungewisse Erhöhung im Jahr 2028. Die unklaren Aussagen zu den künftigen Ausgaben, sowohl im Jahr 2023 als auch in der aktuellen mittelfristigen Haushaltsplanung, schaffen Unsicherheit für die Rüstungsindustrie und behindern den Aufbau industrieller Kapazitäten für die militärische Produktion.“15 Um die generelle Aufstockung des Militärhaushalts zu gewährleisten, wurde im März mit einem Eilverfahren eine Reform der Schuldenbremse vom abgewählten Bundestag durchgepeitscht: Aufrüstungsausgaben fallen zukünftig nicht mehr unter die Schuldenbremse, wodurch der Kriegsvorbereitung keine finanziellen Grenzen mehr gesetzt sind. Das Handelsblatt geht in den nächsten zehn Jahren von Investitionssummen in vorläufiger (!) Höhe von zusätzlichen 1,7 Billionen Euro zu den ohnehin schon vorgesehenen Schulden aus.16

„Autos zu Rüstung“: Umbau der Wirtschaft

Zuletzt machte VW Schlagzeilen mit der Aussage, dass der Konzern „grundsätzlich offen“ für einen Einstieg in die Rüstungsproduktion sei. Es gibt bereits konkretisierte Überlegungen, die Werke in Dresden und Osnabrück in die Rüstungsproduktion zu überführen.17 Dieser Umbau wäre in der Geschichte des Konzerns keine Neuheit; VW stellte schon im Rüstungsmarsch für den Zweiten Weltkrieg auf militärische Produktion um.18

Hintergrund für die Umstellung auf Rüstungsproduktion sind sicherlich auch die sinkenden Absatzzahlen und Krisenerscheinungen, die die deutsche Autoindustrie zuletzt plagten. VW ist nicht der einzige Konzern, der seine Profite zukünftig verlagern will; auch die durch die Abnahmekrise der Autoindustrie betroffenen Zulieferbetriebe orientieren auf Rüstungsproduktion.19 In diesem Jahr hat außerdem der Panzerbauer KNDS ein Waggonbau-Werk des Unternehmens Alstom in Görlitz übernommen und nutzt die Produktionsstätte sowie einen Großteil der Arbeiter künftig für den Panzerbau. Auch das Laserunternehmen Trumpf erwägt eine Umstellung auf Drohnenproduktion. Darüber hinaus werden Unternehmen, die bereits militärische Komponenten produzieren, diesen Bereich zukünftig stärker fokussieren. Rheinmetall, dessen Umsätze in der Auto- und Rüstungssparte 2013 noch etwa gleich groß waren, hat 2024 mehr als 75% seines Umsatzes mit Rüstung gemacht, Tendenz natürlich steigend. In der Folge hat Rheinmetall zwei Werke zur Fahrzeugfertigung auf Munitionsproduktion umgestellt.

Dieser Umbau wird durch die kürzlich verabschiedeten Kriegskredite sicherlich noch verstärkt. Dies entspricht auch den Erwartungen der Rüstungsindustriellen, wie Hans Christoph Atzpodien, Chef des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kürzlich in der Wirtschaftswoche äußerte: „Das Motto muss lauten: Autos zu Rüstung! Anstatt einen volkswirtschaftlichen Schaden durch den Niedergang der Auto-Konjunktur zu beklagen, sollten wir versuchen, Produktionseinrichtungen und vor allem Fachkräfte aus dem Automobilsektor möglichst verträglich in den Defence-Bereich zu überführen“.20

Die Übernahme von Arbeitskräften in die Rüstungsindustrie ist nicht neu. Rheinmetall übernahm bereits im letzten Jahr entlassene Continental-Arbeiter, und Hensoldt plant dies ebenfalls mit Arbeitern von Continental und Bosch. Die IG Metall Südwest hat die Tarifverträge bereits entsprechend abgeschlossen, sodass dieser Beschäftigungswechsel jederzeit möglich ist.

Die aktuellen Stimmen des deutschen Kapitals gehen über die bloße Aussicht auf hohe Profit aus der Rüstungsproduktion hinaus. Sie wollen durch den Schwenk zur Rüstungswirtschaft die deutsche Wirtschaft insgesamt aufpolieren. In diesem Zusammenhang wurden zuletzt zwei Studien veröffentlicht: eine des Beratungsunternehmens Ey und der DekaBank und eine vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. In der Studie Wirtschaftliche Effekte europäischer Verteidigungsinvestitionen wird festgehalten, dass eine Steigerung der Aufrüstung auf 3% des BIP einen Anstieg der Arbeitsplätze und einen Boom in den beteiligten Branchen wie Logistik, Metall oder Forschung zur Folge hätte.21 Das IfW stellt in seiner Studie Waffen und Wachstum: Die wirtschaftlichen Folgen steigender Militärausgaben die These auf, dass das europäische BIP von 0,9 auf 1,5% wachsen könne, wenn die Ausgaben des Militärhaushalt nicht mehr 2%, sondern 3,5% des BIP betragen würden. Voraussetzung dafür wäre jedoch, eine Senkung der nicht-europäischen Waffenimporte und ein Fokus auf die Produktion europäischer Systeme.22

Die bürgerlichen Ökonomen sparen natürlich aus, dass Militarisierung zwar kurzweilig durch neue Investitionsmöglichkeiten die Wirtschaft stimulieren kann, langfristig jedoch Krisentendenzen eher noch verstärkt. Darüber hinaus bedeutet Aufrüstung eine Hemmung der Produktivkraftentwicklung für den gesellschaftlichen Fortschritt. Nicht zuletzt wird die Aufrüstung durch die verstärkte Ausbeutung der Arbeiterklasse und die Umverteilung des Nationaleinkommens finanziert. Wenn also von einem Gewinn für die deutsche Wirtschaft gesprochen wird, ist klar, wem dieser Gewinn zufließen wird und wem nicht.

Rohstoff- und Energiebeschaffung

Ein Bestandteil der Rüstungs- und Kriegswirtschaft ist auch die Umstellung der Rohstoff- und Energiebeschaffung. Ziel ist eine möglichst große Unabhängigkeit und Diversifizierung der Lieferanten. Als strategische Ausrichtung wurde in den letzten drei Jahren die Nationale Sicherheitsstrategie und eine überarbeitete Rohstoffstrategie formuliert. Der Fokus liegt auf dem Abbau von „einseitigen Abhängigkeiten“, die „zu sicherheitspolitischen Risiken“ führen können.23 Dabei werden auch die Unternehmen adressiert, die aus Profitinteressen einer Umgestaltung entgehenstehen könnten und auf das Gesamtinteresses der herrschenden Klasse orientiert: „In einer offenen Volkswirtschaft müssen staatliche und private Akteure sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen.“24

Was als Abbau der „einseitigen Abhängigkeit“ bezeichnet wird, ist das Vorhaben, weiterhin uneingeschränkten Zugriff auf die Energie und Rohstoffe anderer Länder zu erhalten – im Sinne des Kriegskurses. Dies impliziert konkret die Stärkung der heimischen Rohstoffgewinnung, das Rohstoff-Recycling, den Ausbau von Rohstoffpartnerschaften, wie z. B. mit Chile und Peru25, Ghana und Länder Westafrikas sowie eine `Ressourceneffizienzstrategie`. Konkrete Erfolge verzeichnete der deutsche Imperialismus beispielsweise beim Lithium-Deal mit Serbien, der zu großen Massenprotesten vor Ort führte.26 Zudem wurden nach 25 Jahren Verhandlung die letzten Schritte im Mercosur-Abkommen mit verschiedenen lateinamerikanischen Staaten unternommen, welches u. a. den günstigen Import von Rohstoffen garantiert.27

Durch die Sanktionen gegen Russland haben sich auch Verschiebungen in der Energiezufuhr ergeben. Die westlichen Sanktionen hatten das Ziel, die russische Wirtschaft zu „ruinieren“ (Baerbock) und dadurch den Druck auf Russland zu erhöhen. Bisher hat sich dieser Effekt noch nicht eingestellt, da viele Staaten weiterhin russische Energielieferungen beziehen. Der deutsche Imperialismus, dessen Wettbewerbsvorteil u. a. auf billigem russischem Gas und Öl beruhte, hat auf neue Lieferanten orientiert und über Umwege (z. B. über Indien) weiterhin russische Energie bezogen.28 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der Widerstand der deutschen Monopole im Gegensatz zu mittelständischen und kleinen (oft in Ostdeutschland ansässigen) Unternehmen eher gering war. Die Monopole schienen sich, weitgehend dem Gesamtinteresse der herrschenden Klasse zu fügen, trotz erschwerter individueller Profitmöglichkeiten.

Gleichzeitig verfolgt ein Teil der herrschenden Klasse, insbesondere durch die Grünen verkörpert, die Strategie, durch die Umstellung auf erneuerbare Energien die Autarkie zu erhöhen. Dies wird unter den Begriffen „energiepolitische Zeitenwende“29 oder „grüne Kriegswirtschaft“ zusammengefasst. Andere Teilen der herrschenden Klasse, u. a. die AfD, lehnen diese Strategie ab und streben eine Wiederaufnahme der direkten russischen Energielieferungen an. Der Schaden für die deutsche Wirtschaft wird derzeit als zu groß eingeschätzt und soll daher behoben werden. Bei dieser Auseinandersetzung handelt es sich nicht um entgegengesetzte Positionen zur Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, sondern um die konkrete Ausgestaltung dieser. Es ist gut möglich, dass in den nächsten Jahren wieder russische Energielieferungen aufgenommen werden, insbesondere im Sinne einer kostengünstigen und effektiven Aufrüstung. Dafür sprechen auch jüngsten Aussagen prominenter CDU-Politiker, die eine teilweise Rückkehr zu russischen Gaslieferungen forderten.30

Staatseinstiege

Der Staat beschafft nicht nur Kriegskredite und Arbeitskräfte für die Rüstungsproduktion, sondern beteiligt sich teilweise auch selbst an Rüstungsunternehmen, um die wirtschaftliche Tätigkeit unmittelbar kontrollieren zu können. Beteiligungen an Airbus, MBDA Deutschland und Jenoptik bestehen bereits seit längerem und seit 2020 hält der deutsche Staat auch 25,1% Unternehmensanteile am Rüstungsunternehmen Hensoldt. Aktuell wird ein Einstieg bei ThyssenKrupp Marine Systems geprüft. Zukünftig sollen weitere Staatseinstiege, inbesondere in Unternehmen mit relevanten Schlüsseltechnologien, realisiert werden, um die Kontrolle zu sichern und die Produktion lenken zu können.31 In der Wirtschaftswoche wird dazu festgehalten: „Es gibt auch in Deutschland im Bereich Militär und Dual Use Spitzentechnologien, die besser nicht in die Hände ausländischer Unternehmen geraten, vor allem wenn es sich dabei um Firmen in Ländern handelt, die direkt oder indirekt Zugriff auf solche Technologien nehmen können.“32

Auch der Einstieg von Land und Bund in die Meyer-Werft in Papenburg mit 80% ist als Absicherung der Rüstungsproduktion zu verstehen: Keine andere Werft bietet so gute Möglichkeiten zum militärischen Flottenbau, wie ein vom Handelsblatt veröffentlichtes Dokument zeigt.33 Neben Staatseinstiegen wird auch anderweitig in die Produktion eingegriffen: So hat Rheinmetall beispielsweise auf politischen Druck hin die Geschossproduktion aus der Schweiz in die Lüneburger Heide verlagert, da sich die Schweiz gegen Waffenlieferungen in die Ukraine versperrte.34

Folgen, Gewerkschaften und Widerstand

Aufrüstung wird grundsätzlich durch die verstärkte Ausbeutung und Umverteilung des Nationaleinkommens finanziert. Die genannten Entwicklungen betreffen die Arbeiterklasse in Deutschland bereits unmittelbar: In vielen Konzernen wurden Entlassungen in großer Dimension beschlossen, gerade in der Metall-, Auto- und Zulieferbranche. Die Reallöhne sind in den letzten Jahren stark gesunken, während die Verbraucherpreise erheblich gestiegen sind. Sozialkürzungen stehen auf der Tagesordnung und werden mit der neuen Regierung weiter verschärft: Grundsicherung mit Arbeitszwang, Ausweitung der Sanktionen, mögliche Rentenkürzungen oder die Streichung des Elterngeldes sind im Gespräch. Außerdem wird über eine sogenannte Arbeitszeitflexibilisierung, also Arbeitszeitverlängerung und Einsatz je nach Bedarf der Unternehmen, nachgedacht. Die Einschränkung des Streikrechts ist schon lange in der Debatte, zuletzt machte der Verband Gesamtmetall den Vorstoß, Warnstreiks in Tarifverhandlungen gesetzlich zu verbieten.35

Die angekündigten Entlassungen im letzten Herbst führten zu Streiks und Protesten. Insgesamt ist der Widerstand gegen den Frontalangriff auf die Arbeiterklasse jedoch noch nicht wirklich ausgeprägt. „Lieber Rüstungsproduktion als arbeitslos“, äußert ein Arbeiter des neuen Rüstungsbetriebs in Görlitz und steht damit sicher nicht alleine da.36 Neben der materiellen Absicherung ist sicher auch die Entfremdung von der Arbeit ein Grund: Ob Panzerteile oder Autoteile, macht für viele keinen greifbaren Unterschied. Zudem fehlt Internationalismus und es besteht zu wenig Bewusstsein darüber, dass die Aufrüstung den Krieg nach Deutschland bringen wird. Hinzu kommt, dass dies im herrschenden Diskurs rein moralisch verhandelt wird: So kann man in der taz lesen: „Das Dilemma zwischen subjektiven Interessen und ethischem Anspruch wiederholt sich“.37Dabei steht die Rüstungsproduktion natürlich im klaren Widerspruch zum subjektiven Interesse eines jeden Arbeiters, nämlich den Kriegskurs zu verhindern – sowohl international als auch im eigenen Land.

Gewerkschaftsführung und Rüstungswirtschaft

Die Kräfte, die diesen Zusammenhang aufzeigen, sind in den Betrieben und Gewerkschaften in der Minderheit bzw. nicht an den entscheidenden Stellen vertreten. Die Gewerkschaftsspitzen stützen hingegen den Kriegskurs und integrieren Protest und Widerstand. Ein guter Beleg dafür ist das im Jahr 2024 veröffentlichte Positionspapier von IG Metall, SPD-Wirtschaftsforum und dem Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. In diesem Papier wird Planungssicherheit für die Rüstungsunternehmen gefordert, um deren Leistungsfähigkeit zu erhöhen sowie Arbeitsplatzabbau und Rückgang in der Rüstungsproduktion zu verhindern. Man wolle verhindern, dass sich Unternehmen „endgültig vom `Kunden Bundeswehr`“ abwenden.38

Jürgen Kerner, zweiter Vorsitzender der IG Metall, schlägt ähnliche Töne an: „Zwar hebt die Politik ihre Bedeutung für die Sicherheit unseres Landes und Europas hervor. Aber anders als man denken könnte, führt das Sondervermögen Bundeswehr nicht automatisch zur Stärkung der heimischen Industrie. Sie droht vielmehr unter die Räder zu geraten, wenn mehr und mehr in Übersee gekauft wird und die Regierung keine Sorge trägt, dass Betriebe in Deutschland Wartung und Upgrades übernehmen. Wir brauchen endlich eine wehrtechnische Industriepolitik.“39 Auch in der IG BCE wird diese Entwicklung mitgetragen. In der Mitgliederzeitung `Profil` wird beispielsweise das Unternehmen Rheinmetall bejubelt, das „eine entscheidende Rolle bei der Modernisierung der deutschen Streitkräfte und als Lieferant für die Ukraine“ spiele, bei dem es sich lohne „anzuheuern“.40

Ganz in diesem Sinne äußerte sich die DGB-Führung auch wohlwollend zum kürzlich beschlossenen 500-Milliarden-Euro-Aufrüstungspaket: DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi nannte es einen „Befreiungsschlag zur Modernisierung unseres Landes“ und betonte: „Insbesondere vor dem Hintergrund globaler Unsicherheiten müssen wir Europas Verteidigungsfähigkeit stärken und dürfen dabei gleichzeitig sozialen Fortschritt nicht ausbremsen.”41Auch der Vorsitzende der IG BAU Robert Feiger bejubelte das neue Aufrüstungspaket und sieht den zukünftig unbegrenzten Wehretat als „notwendig in diesen weltpolitisch instabilen Zeiten“ an: „Natürlich ändert sich die Lage hier in Europa dramatisch, sollten sich die USA tatsächlich künftig von uns abwenden. Da müssen wir die Sicherheit Europas selbst in die Hand nehmen. (…) Bei allem Augenmerk auf die Infrastruktur dürfen wir das normale Leben der Menschen nicht vergessen, für viele ist das hart genug. Deshalb Hände weg von Kürzungen bei Sozialleistungen.“42

Die Haltung der Gewerkschaftsführung ist klar: Aufrüstung ja, Sozialabbau nein. Unabhängig davon, dass Aufrüstung und Kriegsvorbereitung auch ohne Sozialabbau nicht im Interesse der Arbeiterklasse liegen, werden hier natürlich Illusionen geschürt. Der Sozialabbau zum Aufbau der Rüstungswirtschaft findet längst statt und wird sich weiter intensivieren. Aktuell betrifft er noch vorrangig die prekären Teile der Arbeiterklasse: Migranten, Bürgergeld-Empfänger, Niedriglohn-Beschäftigte und Rentner.

Widerstand an der Basis

Innerhalb der Gewerkschaften gibt es jedoch Aktive und Organisationszusammenhänge, die die Haltung und Rolle der Gewerkschaftsführungen angreifen. Anlässlich des aktuellen Aktionstages der IG Metall in mehreren Städten hat die Vernetzung Kämpferische Gewerkschaften (VKG) einen alternativen 11-Punkte-Plan entwickelt. Darin fordern sie unter anderem die Demokratisierung der gewerkschaftlichen Prozesse, einen Anti-Kriegskurs der Gewerkschaften und eine Arbeitszeitverkürzung: „Die kommende Generation der Kolleg*innen wird auf den Wehrdienst vorbereitet, mit der Illusion, Aufrüstung und Kriege würden Kriege verhindern oder man könnte heute noch „siegreich“ sein. In Gaza und Libanon sterben unsere Klassenschwestern und brüder durch Waffen, die auch Deutschland an die israelische Armee geliefert hat. Die arbeitende Klasse braucht eine „Staatsräson“, sondern die internationale Solidarität gegen Krieg und Unterdrückung.“43 Es ist gut, dass die VKG auch den Zusammenhang zum Völkermord in Gaza herstellt, was jedoch nicht erwähnt wird, ist die konkrete Kriegsvorbereitung Deutschlands gegen Russland. Dabei ist dies der Hauptstoß der deutschen Kriegs- und Aufrüstungspolitik.

Neben der VKG gibt es weitere gewerkschaftliche Initiativen, die sich dem Kriegskurs in Deutschland und der Mitwirkung der Gewerkschaftsführung, entgegenstellen wollen. Gewerkschaften gegen Aufrüstung plädieren beispielsweise für die Einhaltung der gewerkschaftlichen Grundsätze zur Abrüstung und haben eine Petition gestartet.44 Außerdem fand 2024 ein Online-Austauschtreffen statt, bei dem verschiedene Aktive von ihren Erfahrungen berichteten. Diese Berichte zeigten deutlich, dass es an der Basis teilweise rumort, wenn es um die Fragen Krieg und Aufrüstung geht. Leider hat sich dieser Austauschrahmen bisher noch nicht verstetigt. Zudem bleibt offen, was aus dem Vorhaben geworden ist, die DGB-Führung mit den Ergebnissen der Petition zu konfrontieren und so unter Druck zu setzen.

Auch die antimilitaristische Gewerkschaftsinitiative SAGT NEIN! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden versucht, gegen den Aufrüstungskurs und die Rolle der Gewerkschaftsführung vorzugehen. Ein Hintergrund für die Organisation war der DGB-Bundeskongress 2022, bei dem entgegen den gewerkschaftlichen Grundsätzen eine Zustimmung zu Waffenlieferungen und zur Aufrüstung beschlossen wurde.45 SAGT NEIN! hat ebenfalls eine Petition gestartet und auch darüber hinaus umfassende Informationen zur Rolle der deutschen Gewerkschaften bei Aufrüstung und Krieg seit dem Ersten Weltkrieg erarbeitet.46

Diese Organisationsansätze sind wichtig und sollten von möglichst vielen Gewerkschaftsmitgliedern unterstützt werden. Neben der Arbeit in den gewerkschaftlichen Gremien ist es auch entscheidend, diese Themen in die Betriebe zu übertragen, inbesondere in den Bereichen, die im Sinne des Kriegskurses umgestaltet werden. Besonderer Fokus sollte auf die konkrete Ausrichtung der deutschen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, nämlich gegen Russland, gelegt werden. Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Aggressionen von Deutschland und der NATO ausgehen und nicht von Russland oder China. Diese Verständigung erfordert Zeit und Geduld, ist jedoch unerlässlich. Wenn das politische Ziel der deutschen Aufrüstung, nämlich die Kriegsvorbereitung gegen Russland, nicht benannt wird, hinterlässt man eine offene Flanke für Spaltung und Integration in den herrschenden Kriegskurs. Denn die Aufrüstung und Kriegsvorbereitung in Deutschland wird maßgeblich durch das propagandistisch geschaffene Bedrohungsszenario Russland durchgesetzt.

Was heißt Kriegswirtschaft eigentlich?

  • die Steigerung der nationalen Rüstungsindustrie und die Senkung ausländischer Rüstungsimporte
  • Ausbau von internationalen Rüstungskooperationen zum Ausbau der eigenen Einflusssphäre
  • der Ausbau der physischen und digitalen Infrastruktur im Sinne der Kriegsführung
  • die Diversifizierung von Energie- und Rohstoffimporten bis hin zu einer möglichst großen Autarkie
  • massive staatliche Finanzierungsmaßnahmen, durch Kredite, erhöhte Steuern und eine verstärkte Umverteilung
  • verstärkte staatliche Eingriffe, um die Entwicklung im gesamtstaatlichen Interesse abzusichern, z. B. durch Verstaatlichungen von Unternehmen
  • Mobilisierung von Arbeitskraft für die Rüstungsindustrie durch den Staat, z. B. durch Verlagerung von Arbeitskräften oder Zwangsarbeit
  • Verteilungsmechanismen von Rohstoffen oder anderen Gütern im Sinne der Rüstungsindustrie
  • Produktion nach Plan, d. h. Priorisierung von Rüstungsgütern vor Gebrauchsgütern

Kurzer Blick in die Geschichte

Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg

Hintergrund der deutschen Vorbereitung des Ersten Weltkrieges war die verspätete Entwicklung des deutschen Kapitalismus. Die Aufteilung der Welt unter den Großmächten war weitestgehend abgeschlossen, und der Widerspruch zwischen der schnellen kapitalistischen Entwicklung und der ökonomischen Macht des deutschen Imperialismus im Gegensatz zu seinem Einflussgebiet bedingte seine Expansionsbestrebungen. Um 1900 wurde daher die Rüstungsindustrie in einem groß angelegten Programm angekurbelt, so nahm beispielsweise die Flotten- und Heeresrüstung um 133 % zu.49 Der sogenannte militärisch-industrielle Komplex (MIK), also die enge Vernetzung von Monopolen, Staatsstrukturen und militärischen Führungskreisen bildete sich heraus. Mit Kriegsbeginn zeigten sich verschiedene ökonomische Probleme, wie der Mangel an kriegsnotwendigen Rohstoffen. Als Reaktion darauf wurde die Kriegsrohstoffabteilung gegründet, die die Aufgabe der Erfassung, Verteilung und Kontrolle der kriegswichtigen Rohstoffe erhielt. Außerdem wurde der Kriegsausschuss der deutschen Industrie mit Beteiligung der führenden deutschen Monopole gegründet. Die Verflechtung von Staat und Monopolen wurde enger, während die Insolvenzen kleinerer und mittlerer Betriebe zunahmen. Die Produktion wurde zunehmend auf Kriegsbedürfnisse ausgerichtet und das Staatseigentum an Produktionsmitteln wuchs. Der Staat organisierte den Einsatz von Zwangsarbeitern in Rüstungsbetrieben, schränkte die Arbeiterrechte massiv ein und unterdrückte die revolutionären Kräfte rigoros. Dagegen wurden jedoch mutige Kämpfe geführt, wie Streiks und Sabotageaktionen, Aktionen gegen den Hungerwinter und schließlich die Kämpfe der Novemberrevolution.

Kriegswirtschaft im Faschismus

Mit der Novemberrevolution wurde der Krieg beendet, der Kaiser verjagt und einige demokratische Grundrechte erkämpft. Die Herren Krupp und Stinnes richteten sich mit der SPD-Führung in der Tasche im neuen Staat ein. Dieser Staat konnte für sie nur eine Übergangslösung hin zum nächsten Krieg werden und so dauerte es nicht lange, bis der deutsche Imperialismus den revanchistischen Angriff plante. Entscheidend dafür war auch die Strategie der USA, Deutschland als Speerspitze gegen die Sowjetunion wieder aufzubauen. US-Kapital wurde für den Wiederaufbau genutzt, Reparationszahlungen durch die westlichen Staaten gesenkt, um Deutschland im Sinne eigener Pläne nicht zu stark zu schwächen. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 griff der deutsche Staat immer stärker in die Wirtschaft ein, um die Lasten der Krise von den Monopolen abzuwenden und auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Mithilfe großer Kredite wurde die Wirtschaft, insbesondere die Rüstungsbranche, gefördert. Der Faschismus entwickelte sich allmählich für das deutsche Kapital zur politisch effektivsten und zuverlässigsten Kraft, um einen neuen Eroberungskrieg vorzubereiten. Der Faschismus bekämpfte die immer stärker werdende Arbeiterbewegung sowie Kommunistische Partei, die bereits früh erkannt hatte, dass „Hitler Krieg bedeutet“, mit Terror und Unterdrückung.

Wie bereits zur Zeit des Ersten Weltkrieges wurde mit dem Generalrat der deutschen Wirtschaft eine Vereinigung aller wichtigen Monopole und des Staates geschlossen. Die Namen sind fast dieselben wie heute: Siemens, Bosch, Rheinmetall-Borsig und Thyssen. Die Monopolvertreter wurden 1937 zu Wehrwirtschaftsführern ernannt und hatten die Aufgabe, den Krieg ökonomisch vorzubereiten. Die Kriegswirtschaft wurde in unvorstellbarem Ausmaß und mit großer Geschwindigkeit realisiert: Aufrüstung, Konzentration von Produktion und Kapital durch Pflichtvereinigungen, Autarkiebestrebungen, Zwangsinvestitionen und der Aufbau staatlicher Rohstoffreserven. Besonders betont werden muss die enorme Mobilisierung von Zwangsarbeit als kostenlose Arbeitskraft in den Fabriken und Konzentrationslagern. 1939 hielt der Chef des Wehrwirtschaftsstabes, Thomas, fest: „Die Geschichte kennt wenige Fälle, in denen ein Land in Friedenszeiten all seine wirtschaftlichen Kräfte bewußt und systematisch auf die Kriegserfordernisse abgestellt hat, wie es Deutschland tat.“50

Wie bereits erwähnt, kennzeichnet der Widerspruch zwischen der ökonomischen Macht und dem vergleichsweise geringen Territorium den deutschen Imperialismus. Er ist aufgrund seines hohen Exportanteils auf außenwirtschaftliche Expansionsbestrebungen angewiesen und griff dabei stets auf eine starke staatliche Rolle zurück. Zudem war Deutschlands Rolle maßgeblich durch seine Funktion als Speerspitze gegen den Sozialismus in Form der Sowjetunion bestimmt. Hauptverbündeter dabei waren die USA, deren Bündnis die Möglichkeit der revanchistischen Politik erst ermöglichten. Auch wenn die Sowjetunion heute nicht mehr existiert, hat sich an der Funktion des deutschen Imperialismus als europäischer NATO-Pfeiler gegen Russland nicht viel verändert. Revanchismus und Anti-Kommunismus sind in Deutschland Staatsdoktrin, und die Träger dieser sind dieselben Klassenkräfte wie die Träger der zwei Weltkriege. Die politische Taktik zur Erreichung der Ziele war in der Geschichte durchaus umstritten und ist es bis heute. Sie reichte vom offenen Revanchismus mit Krieg bis hin zur Zersetzung durch ökonomische Einflussnahme („Wandel durch Annäherung“).

1 Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Hans Christoph Atzpodien hat in der Welt die Parole „Autos zu Rüstung“ geäußert: https://www.imi-online.de/2025/03/08/autos-zu-ruestung/

2 Conny Renkl und Stephan Müller, Übergang zur Kriegswirtschaft?: https://www.unsere-zeit.de/uebergang-zur-kriegswirtschaft-4800209/

3 Institut für Weltwirtschaft Kiel. Kriegstüchtig in Jahrzehnten: Europas und Deutschlands langsame Aufrüstung gegenüber Russland. 2024, S. 9. https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kriegstuechtig-in-jahrzehnten-europas-und-deutschlands-langsame-aufruestung-gegenueber-russland-33235/

4 https://www.bmvg.de/resource/blob/5865332/d4d0d9ab55edde72a11cee2a3ca59d3b/nationale-sicherheits-und-verteidigungsindustriestrategie-data.pdf

5 MBDA ist ein deutsches Rüstungsunternehmen mit Sitz in Schrobenhaus, das u. a. Luftwaffen-System entwickelt, produziert und wartet.

6 https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/rheinmetall-wir-produzieren-mehr-munition-als-die-amerikaner-04/100103934.html

7 https://www.bmvg.de/resource/blob/5865332/d4d0d9ab55edde72a11cee2a3ca59d3b/nationale-sicherheits-und-verteidigungsindustriestrategie-data.pdf

8 IfW-Bericht, S. 19.

9 https://www.wallstreet-online.de/nachricht/19103778-rheinmetall-aktie-analysten-optimistisch-rekordhoch-geschaeftszahlen

10 IfW-Bericht, S. 19.

11 https://www.dw.com/de/eu-krisengipfel-macht-weg-frei-f%C3%BCr-eine-wiederaufr%C3%BCstung/a-71854100

12 IfW-Bericht, S. 7 + 49.

13 Nationale Sicherheitsstrategie S. 31.

14 https://www.unsere-zeit.de/uebergang-zur-kriegswirtschaft-4800209/

15 IfW-Bericht, S. 10.

16 https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/finanzpaket-bis-zu-17-billionen-euro-schuldenspielraum-wird-noch-groesser/100114078.html

17 https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/unternehmen/volkswagen-vw-ruestung-blume-militaer-fabriken-100.html

18 https://kaz-online.de/artikel/kurzer-abriss-der-anfaenge-und-geschichte-von-volk

19 https://www.swr.de/swr1/kriselnde-automobilzulieferer-orientieren-sich-neu-richtung-ruestungs-und-luftfahrtindustrie-arbeitsplatz-2025-03-01-100.html

20 https://www.wiwo.de/politik/deutschland/schuldenplaene-ruestungsfirmen-scharf-auf-beschaeftigte-der-autoindustrie/30240510.html

21 https://www.ey.com/de_de/newsroom/2025/02/ey-studie-verteidigungsinvestitionen

22 https://www.ifw-kiel.de/fileadmin/Dateiverwaltung/IfW-Publications/fis-import/78d4d746-2284-4431-bd95-4c4ef055e042-Kiel_Report_Nr2_DE_FINAL-27-2.pdf

23 Nationale Sicherheitsstrategie S.13 https://www.nationalesicherheitsstrategie.de/Sicherheitsstrategie-DE.pdf

24 S. 53 (Nationale Sicherheitsstrategie)

25 https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9149

26 https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9643

27 https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9790

28 https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9345

29 https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/energiepolitik-zeitenwende-2020106

30 https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/aussenpolitik/id_100644878/gas-aus-russland-cdu-politiker-ziehen-lieferungen-wieder-in-erwaegung.html

31 https://www.sueddeutsche.de/politik/ruestung-industrie-waffenproduktion-staatseinstieg-lux.KkRaTcgQogbGo4j2sUPjqd

32 https://www.wiwo.de/politik/deutschland/verteidigung-in-der-ruestungsindustrie-versagt-die-ordnungspolitik/29939226.html

33 https://www.jungewelt.de/artikel/490560.meyer-werft-einstieg-mit-r%C3%BCstungsoption.html

34 https://www.imi-online.de/2024/03/13/weg-in-die-kriegswirtschaft/

35 https://www.deutschlandfunk.de/vorstoss-von-gesamtmetall-streiks-sollen-per-gesetz-verringert-werden-100.html

36 https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL21vcmdlbm1hZ2F6aW4vMzNmNmYwYTctZjIyOS00ZmVmLTg3M2EtOTAzZWVlYjg4ZDFh

37 https://taz.de/Gewerkschaften-und-Ruestungsindustrie/!6045570/

38 https://www.igmetall.de/download/20240130_Positionspapier_Sicherheits_und_Verteidigungsindustrie.pdf

39 https://www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/verteidigungsindustrie-zukunftsfaehig-machen

40 https://taz.de/Gewerkschaften-und-Ruestungsindustrie/!6045570/

41 https://www.dgb.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/dgb-chefin-fahimi-befreiungsschlag-fuer-wirtschaft-und-beschaeftigte/

42 https://igbau.de/IG-BAU-begrueszt-CDU-SPD-Sondervermoegen-fuer-Infrastruktur.html

43 https://vernetzung.org/wp-content/uploads/2025/03/VKG_Faltblatt_4-Seiten.pdf

44 https://gewerkschaften-gegen-aufruestung.de/

45 https://bundeskongress.dgb.de/antraege

46 https://storage.e.jimdo.com/file/b71a6c1b-0cab-4530-a8b7-e8e3794f30ad/Mappe-Ausstellung-Gesamt.pdf

47 W. I. Lenin, Den Sozialismus einführen oder aufdecken, wie die Staatskasse geplündert wird?, In: Werke, Bd. 25, S. 57 f.

48 Handbuch Wirtschaftsgeschichte, Hrsg. vom Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1981, Band 2.

49 Der Imperialismus der BRD, Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Dietz Verlag Berlin 1971, S. 17.

50 Imperialismus der BRD, 1971. S. 54.

Kufiya hat in Buchenwald Hausverbot!

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In diesem Jahr jährt sich zum 80. Mal die Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald. Bereits im August letzten Jahres wurde von der Gedenkstättenleitung versucht, das Tragen der Kufiya, dem Solidaritätssymbol des palästinensischen Befreiungskampfes zu verbieten. Das konnten wir damals noch verhindern.

Entsprechend sah sich die Gedenkstättenleitung in diesem Jahr gezwungen, sich besser vorzubereiten. Direkt nach unserer Ankunft wurden wir von zwei Mitarbeitern gebeten, auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers die Kufiyas abzunehmen. Als Begründung nannten sie einen Absatz in der neuen Hausordnung, laut derer „das Tragen von Kleidungsstücken und Symbolen, deren Herstellung oder Vertrieb im rechtsextremen Feld anzusiedeln sind, ebenso das Tragen von Kleidungsstücken oder Symbolen, die nach objektiver Betrachtung den Grundwerten und dem Zweck der Stiftung widersprechen“ nicht gestattet ist. Auf unsere Nachfrage, inwiefern dies explizit auf die Kufiya zutreffe, antworteten die Stiftungsmitarbeiter, dass die Kufyia ein „Symbol antizionistischer Militanz“ sei. Auf den Hinweis, dass dies so nicht explizit in der Hausordnung stehe, sondern offensichtlich seine persönliche politische Interpretation sei, antwortete er, dies sei „wissenschaftlich erwiesen“. Entsprechend treffe der Passus „objektive Betrachtung“ hier durchaus zu. Dieser Mitarbeiter trug später-entgegen der Hausordnung, die das Tragen von Fahnen verbietet- eine Israelfahne am Revers und präsentierte sie uns grinsend. Er drohte die Polizei einzuschalten, sollten wir das Gelände mit Kufiya betreten.

Was dann auch geschah. Kurz vorm Eingang des Lagergeländes wurden wir von Polizei und Mitarbeitern der Gedenkstätte abgepasst. Der Genossin, die die Kufiya aus Prinzip weitertrug, wurde von den Mitarbeitern ein Hausverbot ausgesprochen. Sie weigerten sich nach unserer Bitte um die schriftliche Ausstellung dieses Hausverbots rechtswidrig, ein solches zu verfassen. Wir haben jedoch darauf bestanden und letztlich war es die Polizei selbst, die eine Ausfertigung dieses Dokuments durch die Gedenkstättenleitung veranlasste.

Die schriftliche Begründung für das Hausverbot wurde uns ausgehändigt, nachdem wir etwa anderthalb Stunden unter polizeilicher Beobachtung darauf warten mussten. Während dieser Zeit wurden wir erneut polizeilich kontrolliert, die Beamten wurden laut eigener Ansage explizit angewiesen, Träger von Kufiyas rauszuziehen. In der Begründung heißt es, mit den Regelungen der Hausordnung gehe es darum, „die Widmung des Tages zu schützen“ und „zu verhindern, dass er für andere Zwecke instrumentalisiert wird“. Und: „Der heutige Jahrestag der Befreiung ist dem Gedenken an die Opfer des KZ Buchenwald gewidmet, nicht anderen gegenwärtigen Auseinandersetzungen“. Eine armselige Lüge angesichts dessen, dass in allen Reden des offiziellen Gedenkens durchaus die Relevanz in Zeiten „der neuen Bedrohung aus Russland“ und des „erstarkenden antiisraelischen Antisemitismus“ betont wurde. Es geht hier also um etwas völlig anderes: mit polizeilichen Maßnahmen sollen unliebsame politische Meinungsäußerungen vom Lagergelände verbannt werden. Und so kam es dann auch. Unsere Genossin verließ unter Polizeieskorte das Lagergelände – ihre Kufiya legte sie nicht ab.

Die Begründungen des Hausverbots sind, wenngleich leider nicht überraschend, doch absurd und gefährlich. Ein aufrichtiges Andenken der Opfer und mutigen Antifaschisten Buchenwalds verpflichtet uns gegen die Kriegspolitik und Völkermordunterstützung Deutschlands aufzubegehren. Wir haben heute viele weitere Menschen mit Kufiya gesehen, die sie nach den Drohungen der Gedenkstättenmitarbeiter abgenommen haben. Wir müssen aber verstehen: Jedes Wegducken ist nur der Anlass, im nächsten Jahr einen Schritt weiterzugehen! Möglicherweise werden sie im nächsten Jahr schon die Kufiya explizit verbieten. Entsprechend werden wir prüfen, gegen dieses Hausverbot nachträglich juristisch vorzugehen.

Der deutsche Staat instrumentalisiert seine faschistische Vergangenheit für die Unterstützung des israelischen Völkermords und seine erneute Kriegsplanung gegen Russland. Jeder, der sich gegen die Verdrehungen stellt, wird es in Zukunft mit der Repression dieses Staates zu tun bekommen. Demokratische Rechte werden jetzt schon abgebaut – der heutige Tag ist Teil dieses Prozesses. Lernen wir aus der Geschichte! Wehren wir uns dagegen!

Palästina-Solidarität ist kein Antisemitismus! Bericht zur Friedensdemonstration in Wiesbaden gegen die US-Raketen

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Am 29. März fand in Wiesbaden eine Friedensdemonstration gegen die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen statt. Mit ca. 4.000 Teilnehmern war dies erfreulicherweise die größte Demo für Frieden seit Jahren in der Stadt. Viele Teilnehmer kamen mit Kufiya und riefen palästinasolidarische, antifaschistische und antirassistische Parolen. Hauptorganisator war das Wiesbadener Bündnis gegen Raketenstationierung. Beteiligt an der Demonstration war unter anderem das Offene Antifaschistische Treffen (OAT) Wiesbaden. Das OAT trat mit dem Banner „Frieden ja, aber ohne Nationalismus!” auf und versuchte palästinasolidarische Parolen zu überstimmen. Das gelang ihnen jedoch nicht und sie verließen daraufhin die Demonstration.

Der Demozug war friedlich und zog lautstark durch die Innenstadt auf einer Route, die auch an der Wiesbadener Holocaustgedenkstätte vorbeiführte. Die Polizei stellte sich, als die Demo vorbeiging, vor die Gedenkstätte, als ob von ihr erwartet würde, sie zu schänden. Als ein Demoteilnehmer sich die Namen auf der Gedenkstätte durchlesen wollte, wurde er von der Polizei weggeschubst. Ihm wurde gesagt, er könne diese auch später besichtigen. Diese Kriminalisierung von Palästinasolidarität und in diesem Fall auch der Friedensbewegung ist eine von der Bundesregierung angewandte Taktik zur Niederhaltung des Widerstands gegen die Zeitenwende nach innen. Wer gegen den Genozid an den Palästinensern ist, ist automatisch Antisemit und möchte jüdisches Leben auslöschen und Gedenkstätten angreifen – das ist das Bild, das die deutsche Staatsräson schaffen soll, um wieder mehr Autorität nach innen durchzusetzen.

Die Jüdische Gemeinde Wiesbaden (JGW) verleumdete die Demonstration im Nachhinein in ihrem Statement[1] als „Affront gegen die jüdische Gemeinschaft“ und schrieb: „‘Free Palestine‘ bedeutet in der gängigen Verwendung nichts anderes als das Ende Israels – ein Gedanke, der sich nahtlos an die lange Geschichte des jüdischen Existenzkampfes einreiht“. Die Gleichsetzung des jüdischen Lebens mit Israel ist etwas, was man seit Ewigkeiten zu hören bekommt: Free Palestine = Israelhass = Judenhass also Antisemitismus. Aber es ist falsch und gefährlich, den genozidialen Staat Israel mit einer friedlichen Religion wie dem Judentum gleichzusetzen. Das wird auch von vielen jüdischen Organisationen wie z. B. der Jüdischen Stimme kritisiert. Des Weiteren schrieb die JGW, dass „die Friedensdemonstration bewusst durch die Gedenkstätte (…) geführt wurde”. Dies wurde vom Wiesbadener Bündnis gegen Raketenstationierung zurückgewiesen, das in einem Statement erklärte: „Nachdem die Fußgängerzone nicht genutzt werden durfte, ging es allein darum, im Zentrum der Stadt möglichst viele Menschen anzusprechen und zum Kranzplatz zu kommen, was nur über die Coulinstraße möglich war”[2]. Die Route hatte also keinerlei provozierende Intention, ganz unabhängig davon, dass Palästina-Fahnen und „Free Palestine“-Rufe grundsätzlich keine Provokation darstellen.

Diese Art Verleumdungen sind nichts Neues, dennoch müssen wir uns konsequent dagegen stellen und Aufklärung leisten. Die Friedensbewegung soll delegitimiert werden, da die Stationierung der Mittelstreckenraketen im Interesse der Herrschenden liegt und den offenen Krieg gegen Russland weiter vorbereiten soll. Dagegen hat sich Demonstration klar ausgesprochen und wurde deswegen Zielscheibe der reaktionären Hetze. Wir stehen solidarisch mit der Friedensbewegung.

Nein zur Stationierung der Mittelstreckenraketen in Wiesbaden!
Nein zur Aufrüstung!
Free Palestine!


[1] https://www.instagram.com/p/DH3pSCds-Z7/?img_index=1 

[2] https://wiesbadenaktuell.de/2025/04/02/debatte-ueber-wiesbadener-friedensdemo-eskaliert/

Wer Geschichtsrevisionismus betreibt, verharmlost den Faschismus

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Ein Kommentar der Kommunistischen Organisation zu 80ten Jahrestag der Selbstbefreiung von Buchenwald

Nach 80 Jahren Selbstbefreiung spuken die Geister der Vergangenheit über den Ettersberg

Seit 2022 werden Vertreter der Russischen Föderation nicht zu der Gedenkfeier eingeladen und ihre Kränze für die Opfer des Lagers entsorgt. Russland zahlte mit Millionen Toten einen großen Blutzoll für die Befreiung vom Faschismus, kaum eine Familie blieb verschont. Auch das Georgsband, ein Symbol des Kampfes gegen den Faschismus, ist auf dem Gelände verboten. Anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz beschuldigte die Gedenkstättenleitung Russland der Instrumentalisierung der faschistischen Vergangenheit, wenn seine Politiker von einer Entnazifizierung der Ukraine sprechen.[1] Kein Wort zu den faschistischen Mörderbanden im ukrainischen Militär und Geheimdienst oder zum Bandera-Kult und Russenhass, der die Gesellschaft durchsetzt. Passend zu dieser Linie wurde 2022 auf der offiziellen Gedenkfeier nicht die weißrussische Flagge angebracht, sondern die der Opposition.[2] Und das, obwohl die Flaggen für gewöhnlich die Nationalitäten der Häftlinge repräsentieren sollen. Die Fahne der weißrussischen Opposition war zur Zeit des Konzentrationslagers Buchenwald das Symbol der judenhassenden, weißrussischen Nazi-Kollaborateure.  

Auch die gescheiterten Versuche vom letzten Jahr, Antifaschisten mit Kufiyah den Eintritt in die Gedenkstätte zu verwehren, reihen sich in diese katastrophale Politik ein. Faschisten und palästinasolidarische Aktivisten werden ohnehin gerne mal in einen Topf geworfen: »Wenn junge Leute in Berlin „Free Palestine from German guilt“ skandieren, unterscheidet sich das kaum vom „Schuldkult“-Narrativ der extremen Rechten.«[3] so die Gedenkstättenleitung in einer Rede vom 27. Januar dieses Jahres. Während die einen darauf bestehen, die deutsche Schuld am Holocaust aufzuarbeiten, anstatt sie auf Araber und Palästinenser zu übertragen, leugnen die anderen die faschistischen Verbrechen Deutschlands. 

Diese Politik der Gedenkstätte hat ihre Wurzeln im stockreaktionären Geschichtsrevisionismus, auf den sich die Bundesrepublik stützt. Wir wollen im Folgenden Hintergründe liefern und die Geschichte der Gedenkstätte Buchenwald anlässlich 80 Jahren Selbstbefreiung aufarbeiten. Die Entlassungen und politischen Säuberungen seit 1990 bilden dabei nur die Spitze des Eisbergs. Kaum bekannt ist die Geschichte des Protestes und Widerstandes gegen diesen Geschichtsrevisionismus.

Der Kampf gegen Geschichtsrevisionismus gehört auf die Tagesordnung

Für die deutsche Kriegsmaschinerie, die aktuell mit 1,7 Billionen Euro geölt werden soll, ist der Geschichtsrevisionismus ein entscheidender Hebel. Mit Geschichtsrevisionismus werden Krieg und Aufrüstung legitimiert. Deutschland habe aus seiner Vergangenheit gelernt und dürfe genau deswegen Atombomben besitzen, Panzer in die Ukraine schicken oder Bomben nach Israel liefern. Mit diesem Geschichtsrevisionismus wird außerdem neofaschistischen Tendenzen Vorschub geleistet. Wir müssen also genau hinschauen, wenn heute von deutscher Verantwortung und Lehren aus der Geschichte gesprochen wird. Und umso besser müssen wir die Geschichte des Faschismus und des antifaschistischen Widerstandes studieren. Es ist unsere Geschichte und wir müssen sie kennen! Wer die Erfahrungen und Klassenkämpfe der Vergangenheit nur schablonenhaft und identitär behandelt, ist zum Scheitern verurteilt – das gilt auch für die Gefahr der Ritualisierung des Gedenkens durch uns Kommunisten.

Das Ziel liegt darin, die Reinwaschung und Verleumdung der faschistischen Verbrechen so weit zu betreiben, dass man imstande ist, im Namen dieser Verbrechen neue Verbrechen begehen zu können. Oder wie es die Bourgeoisie nennt: Verantwortung. Konkret drückt sich diese Politik in der Täter-Opfer-Umkehr im Zweiten Weltkrieg aus, die notwendig wird, um den Krieg gegen Russland vorzubereiten.  Das geschieht erstens durch das Ausblenden deutscher Verbrechen in Osteuropa und zweitens durch eine Dämonisierung der Sowjetunion, die man nicht mehr als Befreierin akzeptieren will. Drittens wird die Rolle deutscher Monopole unterschlagen, um davon ausgehend Kontinuitäten des Faschismus, die bis heute in der DNA der BRD stecken, zur Spinnerei zu erklären.

»Die Blutspur führt von Buchenwald nach Bonn.« 

So brachte es das Lagermuseum in Buchenwald bis 1990 auf den Punkt. Im selben Jahr wurden weite Teile der Ausstellung abgebaut. 1995 entledigte man sich der Ausstellung komplett.[4] In dieser Zeit betrieb die BRD eine regelrechte Inquisition: Überall in Ostdeutschland wurden Ausstellungen politisch gesäubert und kleinere KZ-Gedenkstätten sogar komplett plattgemacht.

Warum musste die Ausstellung Buchenwald weichen? Weil die neue Gedenkstättenleitung weder Kontinuitäten in der BRD noch die Rolle der Monopole und der Finanziers hinter Hitler sehen wollte. Auch die Selbstbefreiung des Lagers und sein internationaler Widerstand passten nicht ins Bild. Die neue Gedenkstättenleitung war voll auf Linie des BRD-Geschichtsrevisionismus. Der Staat, der selbst nie eine ordentliche Aufarbeitung des Faschismus betrieb, hatte für den Antifaschismus, der von der KZ-Gedenkstätte ausging, nichts übrig. Während in der BRD bis zu diesem Zeitpunkt keine Gedenkstättenarbeit und –forschung existierte, hatte sie nun die Vormundschaft über die breit gefüllten Archive und Forschungen der DDR-Geschichtswissenschaft. In der BRD mussten ehemalige Häftlinge jahrelang für die Errichtung und Erhaltung von Gedenkstätten kämpfen – oft erfolglos. Den Freiwilligen, die sich für die Erhaltung der Gedenkstätte Dachau einsetzten, wurde mehrmals mit Schließung gedroht.[5] Die Forschung zum Faschismus war in der BRD völlig unterfinanziert und hatte einen Außenseiterstatus. Die breite Aufarbeitung und Forschung der DDR beweist hingegen bis heute, dass es auch anders gehen kann. Der Großteil der Historiker wurde 1990 auf die Straße gesetzt und aus den Universitäten Ostdeutschlands verbannt. Ihr Protest und Einspruch gegen diese Maßnahmen gingen im nationalistischen Freudentaumel der DDR-Eingliederung unter. Ein neues Geschichtsbild wurde von oben aufgezwungen. Das Schicksal der Gedenkstätte Buchenwald ist seitdem ein Paradebeispiel des Geschichtsrevisionismus.

Die Abwicklung der Gedenkstätte Buchenwald

1990 wurde auch die Gedenkstättenleitung umgehend abgewickelt und eine westdeutsche Historikerkommission eingesetzt. Es folgten dutzende Entlassungen und Denunziationen des alten Personals. Der neue Gedenkstättenleiter hielt sich nur 5 Tage im Amt. Als die DKP-Vergangenheit des Historikers bekannt wurde, musste er sofort wieder weichen.[6] 

Die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald neben dem Lager, geplant und errichtet von ehemaligen Häftlingen, wird seitdem verunglimpft als Zeugnis der heuchlerischen und diktatorischen DDR-Staatspropaganda.[7] Das größte KZ-Mahnmal Europas wird seit 35 Jahren den Witterungsbedingungen des Ettersberges überlassen.

Stattdessen fokussierte man sich nun auf die Nutzung von Buchenwald als Internierungslager für Nazifunktionäre, SS-Angehörige und Wehrmachtssoldaten zwischen 1945 und 1950. Gefundenes Fressen für die Reaktion: den Mythos vom Sowjet-KZ Buchenwald verbreiteten bereits viele Altnazis in der jungen BRD. Fakt ist: Solche Internierungslager wurden in allen vier Besatzungszonen genutzt und basierten auf Listen des britisch-amerikanischen Oberkommandos. Der Beschluss dazu wurde 1943 auf der Alliierten Konferenz in Teheran getroffen.[8]

Die Häftlinge des Internierungslagers Buchenwald erhielten schon früh Entschädigungen als „stalinistisch Verfolgte“. Was schon in der BRD der 1950er auf antifaschistischen Widerstand stieß, wurde in den 1990ern mit einer Gedenkstätte, die Nazis als Opfer präsentiert, weiter auf die Spitze getrieben. Während ein Monat Haft in der DDR/SBZ 550 Mark Entschädigung bedeutete, wurden Insassen der Konzentrationslager mit 150 Mark abgespeist. Kommunisten gingen leer aus und sahen sich staatlichen Repressionen ausgesetzt.[9] Die 1990 errichtete Gedenkstätte für das Speziallager steht hinter der Effektenkammer und erstreckt sich über 250 Quadratmeter Wald. Sie ist seitdem eine Pilgerstätte für Rechte und Neofaschisten.[10]

Streit um das antifaschistische Erbe

Der erneute Protest von Antifaschisten und ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers gegen diese Geschichtsklitterung wurde von der Springerpresse als Umtriebe kommunistischer Ideologen verunglimpft und von der Gedenkstätte abgeschmettert. Nichts sollte dem neuen Geschichtsbild im Weg stehen.[11]  

Bis zuletzt protestierten die ehemaligen Häftlinge des Lagers gegen eine solche Umdeutung der Geschichte. Der Buchenwald-Häftling Emil Carlebach kritisiert, wie der Aufstand der jüdischen Häftlinge gegen die Todesmärsche und die Unterstützung durch den internationalen Widerstand im Lager behandelt werden:  »Ich selbst wurde acht Tage lang unter dem Fußboden einer Baracke versteckt – bis zur Befreiung. Ich sollte erhängt werden, weil man mich nicht ganz zu Unrecht verdächtigte, mitbeteiligt zu sein an der Verhinderung des Abtransportes der Juden zum Todesmarsch. Ich trug ja selber den Judenstern und wir haben über 900 Kinder hier gerettet, die nach SS-Begriffen und nach Begriffen der Herren Krupp und IG-Farben unnütze Esser waren und in Gaskammern kommen sollten. Heute wird das alles von Politikern und Historikern als kommunistischer Mythos denunziert. (…) Na gut, Lügen konnte nicht nur Göbbels, er hatte auch Nachfolger.«[12]    

Seit dem erinnerungspolitischen Kahlschlag der Neunziger ist die Marschrichtung klar: »Es geht auch in Buchenwald darum, wie man mit Geschichte öffentlich umgeht und wie man auch mit dem Antifaschismus-Mythos der DDR umgeht und solche Dinge. Und da brauchen sie einen mit Erfahrung im öffentlichen Umgang mit Geschichte, die nicht nur sozusagen wissenschaftliche Brillanz allein erfordert.« So der neue Gedenkstättenleiter Hofmann in der taz vom 15.6.1992. Für historische Fakten scheint kein Platz zu sein, wenn es um die Dämonisierung des Antifaschismus der DDR geht.   

Auch die nicht enden wollenden Versuche der DDR – und damit der politischen Linken – Antisemitismus zu unterstellen, gehen an Buchenwald nicht spurlos vorbei. Und das, obwohl der 1958 eingerichtete Gedenkort an der Stelle des jüdischen Sonderlagers sowie zahlreiche Reden und Artikel aus der Zeit das Gegenteil beweisen. Umso perfider ist es, dass der Aufruf der illegalen KPD »Gegen die Schmach der Judenpogrome« und die Verweise auf den gemeinsamen Widerstand von Juden und Kommunisten aus der Ausstellung gestrichen wurden. Selbst die Gedenkplakette für Jerzy Zweig, dem geretteten polnisch-jüdischen Kind aus Nackt unter Wölfen, wurde entfernt. Zweig selbst zog wegen der wiederholten Diffamierungen als „Tauschkind“ und „Legende“ gegen die Gedenkstättenleitung vor Gericht.  

2012 schaltete sich das Auschwitz-Komitee ein. In einem offenen Brief an die Regierenden forderte Esther Bejarano: »Schluss mit der Überwachung von Überlebenden des Holocaust und der Diskreditierung ihrer Zeitzeugenarbeit! « Sie kritisiert die Gesinnungsschnüffelei der Geheimdienste und den Generalverdacht gegenüber Überlebendenorganisationen und antifaschistischen Initiativen, während »die Regierenden eine Mitverantwortung an den deutschen Zuständen heute tragen: An der Ökonomisierung des Denkens, an der Entsolidarisierung der Gesellschaft, und, daraus folgend, an der sozialen Spaltung, die Ängste schürt. Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit haben heute wieder Konjunktur in Deutschland. «[13]

Muff von 1000 Jahren

Mit der BRD zog nicht nur ein neues Geschichtsbild ein, sondern auch hunderte Neonazis konnten sich nun wieder breitmachen. Sie greifen bis heute die Gedenkstätte und Besuchergruppen an: Hitlergrüße, Hakenkreuzschmierereien, Verhöhnung der Opfer, verbale Angriffe und Sabotageaktionen. Viel zu oft kommen die Neofaschisten mit viel zu geringen Strafen oder völlig ungestraft davon. Die neue Gedenkstätte für das sowjetische Internierungslager ist hingegen ein beliebter Pilgerort der Neofaschisten. 1996 besuchte eine Neonazigruppe, darunter das NSU-Trio, die Gedenkstätte in SA-ähnlichen Uniformen, um zu provozieren.[14] In der DDR hätte das ihre Verhaftung bedeutet und 10 Menschen das Leben gerettet. In der BRD konnte die geheimdienstfinanzierte Truppe weiter ihr Unwesen treiben.    

Mit der Zeit fand außerdem das Vorhaben, Opfer und Täter „differenzierter“ darzustellen, immer stärkere Unterstützung aus Wissenschaft und Politik. Die Darstellung der SS als diabolische Gewalttäter sei undifferenziert – die Teilschuld „roter Kapos“ müsse einbezogen werden. Auch die rein positive Darstellung des Lagerwiderstands sei problematisch und beweise die Einseitigkeit des DDR-Antifaschismus. Auch hier ging die Bild-Zeitung wieder als Vorreiterin in die Startlöcher: Mit der Artikelserie „Wie Kommunisten den Nazis beim Töten halfen“ hetzten sie in übelster Weise gegen Buchenwald-Häftlinge. 

 Im Schwur von Buchenwald heißt es: »Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!« In Westdeutschland bauten diese Schuldigen einen neuen Staat auf. Die Kriegstreiber und Revanchisten, die heute zum Krieg gegen Russland trommeln, treten ihr Erbe an. Drei Ziele zeugen bis heute davon, wessen Geistes Kind diese Bundesrepublik ist: Rache an der Sowjetunion, Unterwerfung Osteuropas und Abschüttelung der historischen Verbrechen.   


[1] Gedenkstätte Buchenwald (2025): Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. 

[2] Website der Gedenkstätte Buchenwald (2022): 77. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora.

[3] Ebd.

[4] Zorn, Monika (1993): Hitlers Zweimal getötete Opfer.

[5] Daniela Dahn (2021): Der Schnee von Gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit, eine Abrechnung. 

[6] Zorn, Monika (1993): Hitlers Zweimal getötete Opfer.

[7] Dutzende Artikel von BPB bis zur Website der Gedenkstätte zeugen davon.

[8] Dahn (2021), S.102.

[9] Daniela Dahn (2021): Der Schnee von Gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit, eine Abrechnung. 

[10] Ebd.

[11] Daniela (2021)

[12] Thomas Knecht (2010): Carlebach 1. (YouTube Video ab Min. 6:46) 

[13] Esther Bejarano (2012): Offener Brief des Auschwitz Komitees an die Regierenden (Glocke vom Ettersberg Nr. 205)

[14] Stiftung Gedenkstätten (2021): Besucher*innen, die nicht willkommen sind. (Eine Auswahl neofaschistischer Angriffe und Provokationen). 

Imperialismus: Ein Herrschaftsverhältnis!

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Textanalyse der Imperialismusschrift Lenins – Ein Zwischenstand

Vertiefungsgruppe 12 zum Thema Imperialismus

von Klara Bina

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text ist im Rahmen unserer Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine und der Imperialismusdiskussion entstanden. Wir haben 2022 beschlossen, uns kollektiv der Einschätzung des Charakter und der Vorgeschichte des Krieges zu widmen. Hierfür wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die sich u.a. mit den Interessen und der Politik des westlichen imperialistischen Block, mit Russlands Entwicklung sowie mit den Erkenntnissen der sozialistischen Arbeiterbewegung zum Imperialismus und der Bedeutung der Nationalen Frage beschäftigen. Veröffentlicht wurden in diesem Rahmen bereits Beiträge zur Kriegsvorbereitung der NATO, zur Unterwerfung der Ukraine, zu Deutschlands Rolle im Ukraine-Krieg, zur Entwicklung der Volksrepubliken, zur Entwicklung des russischen Kapitalismus und zum Verhältnis von Nationaler Selbstbestimmung und sozialistischer Revolution.

Abstract

Was ist eigentlich mit Imperialismus gemeint? Darüber scheiden sich innerhalb der linken und kommunistischen Bewegung, aber auch in der Akademie die Geister. Unübersehbar ist, dass die Imperialismusschrift von Lenin für alle einen Referenzpunkt darstellt und für viele die Grundlage ihrer Argumentation ist. Aus der Tatsache, dass sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen auf Grundlage dieser Schrift gezogen werden, widmet sich die vorliegende Textanalyse der Fragestellung, welche Bedeutung mit dem Begriff ‚Monopol‘ transportiert wird und wie er als ein Herrschaftsverhältnis verstanden werden kann. Das Ergebnis ist eindeutig: Lenin verwendet den Begriff des ‚Monopols‘ als eine konkrete Abstraktion, um die Epoche des Imperialismus als eine Epoche der Herrschaft weniger monopolistischer Entitäten über den Rest der Welt zu charakterisieren. Diese Epoche ist, so Lenin, durch die Tendenz zu monopolistischer Weltherrschaft gekennzeichnet. Andere Interpretationen, die entweder ein Ende der nationalen Unterdrückung oder eine mögliche Einebnung dieser Herrschaftsverhältnisse unterstellen, können sich nicht auf Lenin stützen.


Einleitung

Politische Einordnung

Die zeitgenössische Anti-Kriegs-Bewegung1 entfaltete sich als pazifistisch- teilweise proimperialistische2 Bewegung. Teils mit linksradikalen Charakteristika, zeitgleich mit der so genannten Zeitenwende, die vom bald Ex-Kriegskanzler Scholz mit der Ansage eingeläutet wurde, jetzt gelte es den Westen zu verteidigen gegen den „imperialistischen Angriffskrieg“ Russlands. Gemeint war die Militäroperation der Russischen Föderation im Osten der Ukraine. Von Seiten der herrschenden Kreise wurde beabsichtigt, dass dem deutschen Imperialismus, argumentative Schützenhilfe im kriselnden kommunistischen Lager geleistet wird. Dabei reichte es völlig aus, den Krieg der NATO gegen die Russische Föderation als einen beidseitig imperialistischen Krieg zu bezeichnen und mindestens zu verhindern, dass die NATO als der Aggressor entlarvt wird.

Es sollte verhindert werden, dass sich in der noch rest-antiimperialistischen Blase in der BRD etwas zusammenbrauen könnte, was den Kriegsplänen des deutschen Imperialismus im Wege stand. Nichts leichter als das: mit Referenz auf Lenins Imperialismusschrift (1916)3, der den Ersten Weltkrieg als einen zwischen-imperialistischen Krieg identifizierte, musste nicht viel Eigenleistung erbracht werden. Abschreiben war angesagt. Das Konstrukt – beidseitiger imperialistischer Krieg – basiert auf der Behauptung, dass im jetzigen Stadium des Imperialismus alle kapitalistischen Länder das monopolistische Stadium „mehr oder weniger“ erreicht hätten und sich deshalb als Konkurrenten gegenüberstehen würden – es könnte unter wesentlich Gleichen keine gerechten Kriege geben, so heißt es.

Es mag Nuancen in der Beschreibung der Unterschiede der Länder geben, aber nicht eine grundlegende Differenz in ihrer Charakterisierung4. Länder, die Monopole besitzen, seien „Teilnehmer im imperialistischen Weltsystem“ und damit selbst im imperialistischen Entwicklungsstadium. Diese Argumentation wird affirmativ mit Referenz auf Lenin begründet., konkret bezogen auf die Aussage, dass das „Monopol“ der ökonomische Kern des imperialistischen Stadiums ist. Dabei wird „Monopol“ als ein isoliertes Phänomen betrachtet, so meine die These. Seine Existenz wird in formaler Hinsicht als Marker für das Erreichen des imperialistischen Stadiums genommen. Im Großen und Ganzen sei „das Weltsystem ein System gegenseitiger Abhängigkeiten“- man gibt zuweilen zu, es seien „asymmetrische“ oder „ungleiche“ Beziehungen5.

Nach den erfolgreichen Befreiungskämpfen vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts sei die Kolonialzeit jedoch vorbei und damit die Phase im Imperialismus, die durch einseitige Abhängigkeitsverhältnisse geprägt war. Das durchaus auch in der sozialistischen Literatur intensiv beschriebene Phänomen des Neokolonialismus, das auf Lenins Beschreibung halbkolonialer Länder referiert6, findet in der oben beschriebenen Darstellung der heutigen Weltordnung keine Erwähnung.

Interessanterweise vereinigen sich hier – mit Sicherheit unfreiwillig und unbewusst – die verschiedenen Strömungen der kommunistischen Weltbewegung in ihren Imperialismusvorstellungen. Dazu sei beispielhaft aus Deutschland die MLPD7 und Marx218 genannt.

Die geistige Misere beschränkt sich aber keineswegs auf Deutschland. Sehr zu empfehlen ist hier auch der Überblick von John Bellamy Foster im Monthly Review9. Er liefert zwar keinen vollständigen Überblick, aber eine Erkenntnis ist treffend formuliert: „Hence, the gap between the views of imperialism held by the Western left and those of revolutionary movements in the Global South is wider than at any time in the last century.“10 Während viele Nationen der Welt im Kampf gegen ihre Erdrosselung bis hin zur Vernichtung durch das von den USA angeführte imperialistische Ungeheuer nach solchen Tiefenanalysen lechzen wie sie Lenin seinerzeit für den Imperialismus lieferte, wird in den Zentren des Imperialismus Lenin tunlichst entsorgt.

In diesem Beitrag soll gezeigt werden, dass verkehrte Vorstellungen, wie sie oben skizziert wurden, auf groben Fehlern in der Interpretation bzw. Anwendung der Leninschen Imperialismusschrift beruhen. Dabei ist die falsche und völlig unzureichende Kritik des Imperialismus, die diesen als Interventionismus, also auf seine politische Seite reduziert, weiterhin richtig. Diese falsche Imperialismus-Kritik wird von Lenin in seiner Schrift zu Genüge analysiert und vernichtend kritisiert.

Mir geht es in diesem Text vor allem um die neuen Imperialismusvorstellungen, die sich auf Lenin beziehen. Ich stelle die These auf, dass die „Theorie“ des Imperialismus als ein „Weltsystem gegenseitiger Abhängigkeiten“, so wie sie u.a. die Griechische Kommunistische Partei (KKE)11 vertritt, eine Neuinterpretation, aber vor allem eine Verfälschung der Leninschen Imperialismusanalyse darstellt. Solche Vorstellungen verfälschen und relativieren die wirklichen Machtverhältnisse und präsentieren eine Welt voller Monopole, die in einem Konkurrenzverhältnis zueinanderstehen sollen. Der Konkurrenzkapitalismus ist aber vorbei und wird auch nie wieder Wirklichkeit werden.

Ich denke, es wäre angebracht, dass Parteien und Einzelpersonen, die eine solche Neuinterpretation vorlegen, transparent und ehrlich ihre Positionen als eine von Lenin abgekoppelte und ihm widersprechende Sichtweise auf den Imperialismus präsentieren. Sie müssten sagen: Lenin hatte grobe Fehler in seiner Analyse. Eine Analyse, die nicht imstande war, die kommende Entwicklung zumindest in ihrer grundlegenden Tendenz darzulegen. Viele seiner Feststellungen sind heute obsolet geworden. Wir leben in einer anderen internationalen Wirklichkeit als die, die Lenin seinerzeit beschrieben hat.

Leider ist diese Art Ehrlichkeit in der politischen Auseinandersetzung nicht wahrnehmbar. Genauso wenig ist Transparenz bezüglich der theoretischen Quellen der Positionen gegeben, zumindest in den mir vor liegenden Texten. Die Textanalyse soll prüfen, ob solche Neuinterpretationen sich in irgendeiner Weise mit Lenin argumentieren lassen.


Monopol als Herrschaftsverhältnis – die Fragestellung

Der vorliegende Beitrag sollte zunächst einmal nur herausarbeiten, was Lenin tatsächlich unter weltbeherrschenden Monopolen versteht. Diese Frage war deshalb so wichtig, weil in der Debatte die These vertreten wurde, dass alle Länder der Welt – mit sehr wenigen Ausnahmen – die monopolistische Phase insofern erreicht hätten, dass sie Monopole aufzuweisen hätten. Mit ‚Monopol‘ wird dabei ein großer Konzern in einem Land gemeint. Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Sektor der Konzern ist oder welche (Aktien-) Beteiligungen es gibt.. Die Länder, die nachweislich Monopole vorzuweisen hätten, wären imperialistische Länder12, so z. B. Russland.

Diesen Vorstellungen wurde entgegnet, dass Monopole weder nur als große Konzerne vorgestellt noch isoliert betrachtet werden können, sondern immer nur im Verhältnis zur höchsten und entfaltetsten Form des Monopols in der imperialistischen Epoche, nämlich dem Finanzkapital, überhaupt erst einsortiert und als empirische und historisch spezifische Phänomene verstanden und im internationalen Machtgefüge eingeschätzt werden können. Vor diesem Hintergrund wurde zunächst die Frage nach der Bedeutung des Monopolbegriffs bei Lenin im Zusammenhang mit Weltbeherrschung aufgeworfen. Im Laufe der Arbeit wurde die Fragestellung jedoch allgemeiner gefasst und die Imperialismusschrift Lenins mit Blick auf die Konzepte ‚Monopol‘ und ‚Herrschaftsverhältnis‘ untersucht. Diese Verfeinerung erlaubte es, den Text etwas umfassender zu behandeln.

Warum ist eine Textanalyse nötig?

Der zentrale theoretische Bezugspunkt der heutigen Imperialismusdebatte steht zur Disposition. Natürlich ist mir bewusst, dass seit der Existenz des Kommunismus in dieser Frage alle theoretischen Aussagen von allen möglichen Akteuren beliebig interpretiert und angewendet wurden. Ein Teil des ideologischen Kampfes bestand und besteht bis heute darin, um die richtige Auslegung und Interpretation zu streiten. In diesem Sinne fühlen sich bitte alle eingeladen, ihre eigene/widersprüchliche Interpretation in den Ring zu werfen. Jedoch muss es auch hierfür Spielregeln geben. Diese sind primitiver Natur: Nachweise müssen erbracht werden, Textstellen dürfen nicht verzerrt oder verfälscht werden oder in einer Weise gekürzt werden, dass der Sinnzusammenhang verloren geht. Ich denke nicht, dass das zu viel verlangt ist.

Doch ist es überhaupt nötig, einen Text, der über 100 Jahre existiert und Gegenstand vieler Untersuchungen und Erörterungen gewesen ist, einer akribischen Untersuchung zu unterziehen? Womit ließe sich eine solche Mühe rechtfertigen? Die Antwort ist einfach. Wenn er bis heute noch unterschiedlich interpretiert wird, dann ja.

Offensichtlich wird dieser Text, um den es hier geht – die Imperialismus-Broschüre von Lenin, geschrieben 1916 –, von diametral entgegengesetzten Positionen zum Imperialismus als Beleg für die eigene Argumentation herangezogen.

Wie kann das sein? Ist der Text so ambigue und entsprechend für verschiedene Interpretationen offen? Die unterschiedlichen Lesarten reichen von der in der maoistischen Strömung besonders verbreiteten Vorstellung eines so genannten ‚Sozialimperialismus‘, der der Sowjetunion (SU) eine imperialistische Politik unterstellt, bis hin zu Positionen, die von einem ‚Weltsystem gegenseitiger Abhängigkeiten‘ sprechen und der Vorstellung, dass die Welt immer noch in ‚unterdrückende und unterdrückte Nationen‘ aufgeteilt werden kann. Ohne Zweifel würden die Protagonisten der verschiedenen Positionen für sich die richtige Auslegung in Anspruch nehmen. Alle Seiten würden es negieren müssen, dass der Text interpretationsoffen ist.

Dieses Festhalten an der Imperialismusschrift hat etwas mit dem welthistorischen Stellenwert dieses Textes zu tun. Immerhin ist er von Wladimir Iljitsch Lenin, dem großen Führer der bolschewistischen Partei in Russland und nicht zuletzt der siegreichen Oktoberrevolution unter dem Eindruck des ersten imperialistischen Weltkrieges geschrieben worden. Seine Wirkung und Ausstrahlung sind kaum zu überschätzen. Und da es hier um Positionen innerhalb der kommunistischen Bewegung geht, ist eine positive Bezugnahme auf Lenin und ganz besonders auf seine Imperialismusschrift zum regelrechten Glaubensbekenntnis geworden. Dort, wo Identität und Glauben herrschen, ist Objektivität nicht gerne gesehen, auch und gerade dann nicht, wenn die eigenen Grundlagen als Objekt der Untersuchung dienen,– entsprechend ist auch die Analyse eines solchen Textes schnell tabuisiert. Das ist verständlich. Denn erstens erfordert eine Analyse eine gewisse Distanz zum Objekt der Analyse und das fällt bei einer hohen Identifikation mit einem Text sehr schwer. Zweitens birgt Analyse die Gefahr der Entdeckung von Problemen, Leerstellen, offenen Fragen oder gar gegenteiligen Inhalten, als die, die man sich in der eigenen Position zurechtgelegt hat. Klärungsarbeit oder die Schaffung von Klarheit ist nicht nur mühsam, sondern auch riskant.

Die Notwendigkeit einer Textanalyse von Lenins Imperialismusschrift bleibt bestehen, solange erstens die Interpretationen derart auseinanderfallen und zweitens der Text der Hauptbezugspunkt für die Imperialismusanalyse innerhalb der kommunistischen Bewegung ist. Die langen Ausführungen zur Notwendigkeit einer solchen Textanalyse werden angeregt dadurch, dass es nachvollziehbare Zweifel und viele Fragen bezüglich der Notwendigkeit einer solchen Arbeit gegeben hat und sicherlich noch gibt.

Eine weitere Begründung für eine solche Arbeit ist auch, dass sich die Imperialismusschrift dem Leser nicht einfach erschließt. Sie erscheint auf den ersten Blick als eine Broschüre für den schnellen Gebrauch und wie der Autor verspricht, soll sie in allgemeinverständlicher Sprache auch den Massen zugänglich sein. Mehr als ein Jahrhundert nach dem Erscheinen der Imperialismusschrift ist eine Einigung auf den Inhalt der Aussagen nicht einfacher geworden. Nach etlichen Kontroversen, Spaltungen bis hin zu blutigen Kämpfen in der kommunistischen Bewegung und nicht zuletzt nach dem Sieg und der (zeitweiligen) Niederlage des Sozialismus, nach den Siegen und vielen Niederlagen der nationalen Befreiungskämpfe, leider auch nach dem massiven Vormarsch der imperialistischen Länder, aber auch der Infragestellung ihrer kriegerischen Politik, nach all diesen Erfahrungen scheinen sich die Strömungen und festgefahrenen Positionen in der kommunistischen Weltbewegung kaum bewegt zu haben.

Zugegeben, es wäre viel einfacher gewesen, eine Unmenge an Zitaten aus der Imperialismus-Broschüre herauszupicken und meine eigene Position damit zu begründen. Motiviert wird die Arbeit nicht durch die Absicht der Bestätigung der eigenen Position, sondern davon, nachvollziehen zu wollen, ob es der Text ist, der bestimmte Interpretationen ermöglicht oder ob es richtig ist, zu behaupten, er würde falsch ausgelegt, ja vielleicht sogar revidiert werden.

Es kann jetzt schon verraten werden, dass es ein paar solche Stellen in der Imperialismusschrift gibt, die so interpretiert werden könnten, dass nicht-imperialistische Länder, – Beraubte, nicht Räuber – zu imperialistischen Mächten aufsteigen können. Eine solche Interpretation ist aber nur möglich, wenn der Gesamttext ausgeblendet wird und ganz besonders die Stellen, die sich explizit auf diese ‚Möglichkeiten‘ beziehen, aus dem Kontext gerissen werden. Das nennt man selektives Lesen.

Es gibt eine weitere Schwierigkeit mit dem Text. Das sind die verschachtelten Abstraktionsebenen und der ständige Wechsel zwischen abstrakten Begriffen und empirischen Beschreibungen. Die Unterscheidung zwischen diesen verschiedenen Ebenen drängt sich dem Leser nicht unbedingt auf. Es ist möglich und wahrscheinlich sehr geläufig, dass der Text als ein historisches Zeugnis, als eine Beschreibung der Zeit, in der er geschrieben wurde, gelesen wird. Das heißt nicht, dass die Textstellen, in denen offenkundig von Gesetzmäßigkeiten oder von grundlegenden Merkmalen die Rede ist, nicht als solche erkannt und als allgemeingültige Aussagen verstanden werden. Was bei einer solchen Lesart passiert, ist, dass die Analyse des Imperialismus durch Lenin auf zwei Ebenen lediglich registriert, nicht begriffen wird. So stellen wir fest, dass am Anfang des Textes das Monopol in seiner historischen Genese beschrieben ist, und könnten diese Eröffnung als zufällig oder rein historisch verstehen. Dass aber hierbei eine begriffliche Abstraktion eingeführt wird, aus der sich die nächsten Bestimmungen ableiten lassen, das ist nicht unmittelbar begreiflich. Die Textanalyse konnte zumindest den Blick für solche Fragestellungen schärfen und hoffentlich für die weitere Arbeit damit produktiv sein.

Ein paar allgemeine Anmerkungen zur Textanalyse

Zunächst einmal sehr einfach formuliert: Texte sind in ihrer allgemeinsten Form13 – metaphorisch gesprochen – der Transmissionsriemen zwischen Praxis und Theorie, zwischen dem lebendigen Austauschprozess von Natur und Gesellschaft auf der einen Seite und dem Spiegeln dieses Austausch- und Produktionsprozesses im Bewusstsein der Menschen. Nun wissen wir aber, dass die Menschen gesellschaftliche Wesen sind und als solche treten sie sich in Klassengesellschaften als Klassen gegenüber. So sind Texte immer auch klassenparteiische14 Texte. Aber Achtung: sie sind nicht nur klassenmäßig geschriebene oder gesprochene Texte, sondern auch genauso klassenparteiisch gelesene Texte. der gleiche Text ganz gleich welches Klasseninteresse tatsächlich darin zum Ausdruck gebracht wird, wird auch in seiner Rezeption nicht klassenneutral gelesen. Für die vorliegende Arbeit ist das deswegen relevant, weil dieser Fakt den Anlass für die Analyse des Textes darstellt. Wir haben gegenwärtig in der kommunistischen Bewegung sehr unterschiedliche Lesarten dieses Textes. Gibt es eine andere Möglichkeit, als dass jede dieser Lesarten eine klassenmäßige Interpretation darstellt? Ich meine nicht. Es gilt herauszufinden, welche Lesart welches Klasseninteresse zum Ausdruck bringt.

Bezüglich der Textanalyse ist vorausgesetzt, dass wir wissen und anerkennen, dass sich rund um die Frage der Textanalyse eine ganze Wissenschaft entwickelt hat (etwa seit den 1950/60er Jahren), diesehr präzise Methoden der Textanalyse hervorgebracht hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir von diesen Wissenschaften profitieren können, wenn wir lernen, sie anzuwenden. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir das müssen, wenn wir bestimmte Fehler vermeiden wollen: Phraseologie, arbeiterfeindliche Interpretation unserer Geschichte und Theorie, Prahlerei und Profilneurose in der Bewegung und so weiter und so fort. Und: Kritik und Selbstkritik als eine Kunst der Kommunikation mit den entwickeltesten Methoden kommt meines Ermessens nicht ohne solche Methoden aus.

Einen Text zu analysieren, heißt grundsätzlich ihn zuerst zerlegen und wieder zusammensetzen (Analyse und Synthese)15. Dieser Prozess findet auf unterschiedlichste Weise und mit den unterschiedlichsten Methoden statt, wobei sich die Methoden überschneiden und ergänzen. Die hermeneutische Methode hilft uns dabei, den Text im Verhältnis zum Lesenden in sich wiederholenden so genannten hermeneutischen Spiralen (Zirkeln) in seiner Gesamtbedeutung und in seinem Zusammenhang (seinen Zusammenhängen) zu erschließen, aber auch gleichzeitig zu kontextualisieren und den Lesenden als Subjekt (mit einem bestehenden und sich wandelnden Vorwissen) transparent zu machen, jedoch mit dem Ziel eine so weit wie möglich objektive Darlegung der Textaussage(n) herauszufiltern.

Diese Methode hängt eng mit der Kohärenzanalyse (Linguistik) zusammen, aber auch mit einer Analyse des Textes nach seiner inneren Methodologie, z. B. im vorliegenden Text danach, ob die materialistisch-dialektische Methode darin erkennbar ist und wenn ja wie und woran genau. Des Weiteren können quantitative Methoden die Analyse ergänzen, z. B., indem man den Text danach scannt, wie viele Anteile Objektsprache oder Metasprache sind, wieviel Empirie/Theorie oder welche Wörter/Ausdrücke wie häufig wiederholt werden. Es gilt hier zu beachten, die Aussagekraft der Ergebnisse weder zu überbewerten noch isoliert von den anderen Methoden zu verwenden. Schließlich kann auch eine formal logische Analyse (fragt nach der inneren Schlüssigkeit und Korrektheit der Argumente, ohne etwas über ihre Wahrheit auszusagen) oder sprachanalytische Anwendung (z. B. etymologische oder Kohäsionsanalyse) sehr hilfreich sein, um Texte oder Textstellen oder sich wiederholende semantische Elemente zu analysieren. Schließlich ist die Analyse des Textes nach bestimmten Kategorien, Begriffen, Wörtern und zusammenhängenden Inhalten, die sich von der Fragestellung ableiten, notwendig. Ist diese Arbeit geleistet, gilt es den Text als Ganzes (Synthese) wieder greifbar zu machen. Jedoch findet die Betrachtung des Gesamtzusammenhangs in Arbeitsschleifen statt. Teilweise beinhalten Methoden schon die Herstellung des Zusammenhangs, wie z. B. die hermeneutische, die dialektische und etwas abgestufter die Kohärenzanalyse.

Um welchen Text geht es? Es geht um den deutschsprachigen Text „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus “, Lenin Werke, Band22. Achtung: es geht nicht um den Originaltext oder eine intertextliche Analyse nach Kohärenz / Übereinstimmung / Veränderung. Es geht also nicht um einen Vergleich des deutschen Textes mit dem russischen Original. Die Textanalyse beschäftigt sich mit dem oben genannten deutschen Text und bezweckt eine wissenschaftliche Begründung für eine – möglichst objektive16 – Lesart dieses Textes.

Wie steht die allgemeine Analyse des Textes mit der oben genannten konkreten Fragestellung im Zusammenhang? Die Textanalyse steckt einerseits den Rahmen für die Beantwortung der Fragestellung ab, andererseits dient sie teilweise als Instrument für die Beantwortung der Fragestellung. Es stellt sich hier vielleicht manchen Lesern die Frage, warum es nicht ausreicht, nur nach den Textstellen Ausschau zu halten, die unmittelbar mit der Fragestellung zusammenhängen. Diese Herangehensweise würde insofern nicht ausreichen oder sogar fehlerhaft sein und sicherlich auch zurecht kritisiert werden, weil sie die Aussagen, die in einem textlichen Zusammenhang stehen, aus genau diesem Zusammenhang herausreißen und sie isoliert behandeln würde. Hier gilt es einem Missverständnis vorzubeugen: natürlich ist es völlig legitim und auch notwendig, Zitate zu verwenden, wenn man einen bestimmten Inhalt behandelt und Verweise auf andere Literatur etc. verwendet. Jedoch nimmt eine allgemein thematische Behandlung einer Fragestellung nicht für sich in Anspruch, einen konkreten vorliegenden Text zu analysieren, sondern eben ein Thema zu behandeln. Hier aber beinhaltet die Fragestellung die Frage nach dem Sinn des Textes, also danach welcher Gedanke mit den artikulierten Sätzen/Begriffen verknüpft ist,ob diese stringent nachvollziehbar sind und ob dessen theoretischer Hintergrund als intentionaler Akt erkennbar ist. Aus diesem Grund kann diese Art der Fragestellung (nach dem Sinn eines Textes) nicht ohne eine Textanalyse auskommen.

Darstellung und Ergebnisse der Textanalyse

In diesem Abschnitt möchte ich dem Leser die Möglichkeit geben, sich ein Bild von der Vorgehensweise und Methodik zu machen und die inhaltlichen Fragen, die mich beschäftigt haben, nachvollziehen zu können. Vor der Lektüre und Arbeit mit dem Text in der ersten Runde wurde die Fragestellung und die damit zusammenhängenden inhaltlichen Standpunkte ins Bewusstsein gerufen. Dieses Herangehen hat die Funktion, noch einmal von einer Metaebene aus auf sich und die beteiligten Diskussionsteilnehmer mit ihren jeweiligen Sichtweisen zu blicken. Dafür wurden noch einmal Artikel aus der Debatte gelesen und ein paar Notizen gemacht. Da ich nicht unvoreingenommen an diesen Text und auch nicht an die Debatte herantrete, ist diese Methode der Vergewisserung und Überprüfung ein wichtiger erster Schritt, um nicht unbewusst Aspekte der Debatte, die vielleicht nicht zu meinen Vorstellungen passen, zu vernachlässigen.

Die Fragestellung wurde noch einmal durchdacht. Ist die Kernfrage tatsächlich die nach Weltbeherrschung? Ja, meiner Ansicht nach ist die Kernfrage in der Debatte, ob es sich im Imperialismus um die Herrschaft Weniger, sowohl weniger Hände, in denen Kapital konzentriert ist, als auch weniger Staaten – über die gesamte Welt handelt oder nicht. Dabei sind es die unterschiedlichen Formulierungen wie einseitige versus gegenseitige Abhängigkeit, Weltsystem versus unterdrückende und unterdrückte Länder etc., die teilweise kaschieren, dass es sich letztlich um die Frage dreht, ob der Imperialismus notwendig ein System ist, bei dem es sich um die Herrschaft weniger Staaten über die absolute Mehrheit handelt.

In einer ersten Runde wurde der Lenin-Text recht schnell gelesen. Hierbei wurden alle Wörter, die in einem Sinnzusammenhang mit „Herrschaft“, „Monopol“ und aber auch mit Begriffen aus der Debatte wie „Abhängigkeit“ oder das Wortpaar „ungleichmäßige Entwicklung“ stehen, markiert. In dieser ersten Runde sollte gerade durch das schnelle Lesen das Gesamtbild des Textes erfasst und festgehalten werden. In der Reflexionsphase über die erste Runde wurde außer der Konkretisierung der Schlüsselbegriffe auch die Gesamtstruktur des Textes reflektiert.

Hinweise durch die Gesamtstruktur des Textes

Folgende auf sehr unterschiedlichen Ebenen zu verortende Einsichten sind ein Ergebnis einer expliziten Anschauung der Gesamtstruktur des Textes: erstens ist die Gesamtaufteilung des Textes in vier verschiedene Teile, die nicht als solche gekennzeichnet sind, auffällig. In den ersten drei Kapiteln werden die drei Erscheinungsformen des monopolisierten Kapitals, das Industriekapital, das Bankkapital und das Finanzkapital vorgestellt. In den darauf folgenden drei Kapiteln wird ihre Wirkungsweise, das ist vornehmlich ihre Herrschaftsweise, dargestellt. Im siebten und achten Kapitel werden Blüte und Verfall, dann in den letzten beiden Kapiteln die Reflexion des Imperialismus als Stadium analysiert. Zweitens also sind die ersten acht Kapitel der Darstellung der objektiven Seite, die letzten zwei Kapitel der subjektiven Seite der Entwicklung des Imperialismus gewidmet. Drittens ist die organische Darstellungsweise der verschiedenen Seinsweisen der jeweiligen Erscheinungen festzustellen: die empirische, die historisch-genetische, die wesentliche Weise, wobei letztere sich wie ein roter Faden vom ersten Kapitel bis zum letzten durchzieht und am Begriff des Monopols festmachen lässt – anders gesagt an der zentralisierten Form des konzentrierten Kapitals, eigentlich müsste man korrekterweise den prozessierenden Charakter wie folgt ausdrücken: die sich notwendig und stets zentralisierende Form des unvermeidlich konzentrierenden Kapitals.

Diese ‚Hinweise‘ durch die Beachtung der Gesamtstruktur des Textes waren sehr hilfreich für die Analyse des Textes und sollen hier nicht als fertige Analyse oder feste Annahme postuliert werden, sondern lediglich als Auffälligkeiten festgehalten werden. Inwiefern diese Struktur wirklich Sinn ergibt oder tatsächlich in diesem Sinne bewusst von Lenin angelegt wurde, kann nicht nachgewiesen werden.

Jedenfalls lassen diese Hinweise nicht nur den Blick für die verschiedenen Ebenen des Textes, also seine Tiefenstruktur, schärfen, auch wird durch die Gesamtstruktur die Einordnung der einzelnen Teile in das Ganze zugänglicher. Wir werden weiter unten sehen, welche Bedeutung der Blick für die Gesamtstruktur des Textes für die Textanalyse hatte, sowohl was die Formanalyse des Monopols, die Frage nach dem Anfang der Analyse für Lenin (Monopol) und die Frage nach der dialektischen Logik der Imperialismusschrift angeht.

Analyse und Synthese: ‚Monopol‘ und ‚Herrschaftsverhältnis‘

Um zu verstehen, was Lenin mit dem Herrschaftsverhältnis als das Typische des Monopolkapitalismus (LW 22, S. 211) meint, wurde die Imperialismusschrift zunächst nach den Stichworten ‚Monopol‘ und ‚Herrschaftsverhältnis‘ durchsucht, die damit transportierten Sinnzusammenhänge untersucht und diese dann wieder im Zusammenhang betrachtet. Der Sinnzusammenhang Monopol und Herrschaftsverhältnis wurde nach den einzelnen Begriffen zergliedert, um ihre jeweiligen Erscheinungsformen und Bedeutungen genauer analysieren zu können.

Schon auf dieser Ebene der Untersuchung konnte die gegenseitige Durchdringung der beiden Begriffe festgestellt werden. So ist das Monopol in seinen verschiedensten Erscheinungsformen das Subjekt der Herrschaft, wobei die Objekte der Herrschaft des Monopols aus der Analyse des Begriffs ‚Herrschaftsverhältnis‘ herausgearbeitet werden konnten. Es wird ersichtlich, dass beide Wörter in ihren unterschiedlichen Verwendungen wesentlich das Gleiche beinhalten. Monopol ist nichts anderes als ein Herrschaftsverhältnis. Die weiteren Implikationen werden weiter unten dargestellt.

Die beiden Begriffe ‚Monopol‘ und ‚Herrschaftsverhältnis‘ wurden nach ihrer jeweiligen Kohärenz17 und nach ihrem Verhältnis untersucht. Es ist festzustellen, dass außer kleinen Unterschieden in den quantitativen Angaben in Bezug auf die Subjekte der Herrschaft (mal drei, mal fünf, mal sieben Länder) keine inhaltlichen Inkohärenzen und widersprüchliche Bedeutungszuschreibungen zu verzeichnen sind.

Jedoch gibt es – wohlwollend im Sinne einer Gegenprobe durch die Brille der oben dargestellten Position gelesen – durchaus sprachliche Ambiguitäten, die zu offenen Interpretationen verleiten könnten. Diese sind aber nur möglich, wenn die Textstellen aus dem Kontext gerissen werden und / oder der Gesamtzusammenhang des Textes und damit der Sinnzusammenhang der Begriffe nicht beachtet wird. Die Gegenproben werden weiter unten ausgeführt.

Die Zusammensetzung (Synthese) der analysierten Einzelteile (Begriffe und ihre Vorkommnisse) und ihre verschiedenen Aspekte ergibt ein eindeutiges Bild: das Monopol bedeutet nichts anderes als die Herrschaft von tendenziell Wenigen, letztlich von tendenziell immer weniger werdenden Finanzkapitalzentren, also Staaten, aufbauend auf der zentralisierten Macht des konzentrierten Kapitals, also über tendenziell mehr Nationen, Menschen, Kapital etc. Das Monopol ist insofern das Wesen des Imperialismus, dass es dieses prozessierende Herrschaftsverhältnis wie ein Nucleus in sich trägt.

Analyse „Monopol“

Die Untersuchung der mit Monopolen zusammenhängenden Textstellen, wurde entlang von sieben Weisen sortiert, in denen ‚Monopol‘ vorkommen kann18. Damit wurde jede Weise erfasst, in der das Wort ‚Monopol‘ tatsächlich im Text auftritt, aber auch welche empirischen Erscheinungen, Merkmale, Instrumente usw. dem Monopol zugeordnet werden.

Die Stichwortanalyse bezüglich des Begriffs „Monopol“ ergibt, dass die Verwendungsarten des Wortes ‚Monopol‘ variieren. Wir treffen im Text viele konkrete Formen des Monopols an: Syndikate, Konzerne, branchenspezifische Monopole usw. Jedoch ist der gesamte Text durchzogen von der Verwendung eines abstrakten Monopolbegriffs, der im Laufe des Textes in seine konkreten Erscheinungsformen und Charakteristika entfaltet wird. Diese Erscheinungsformen sind Industriemonopole, Bankmonopole und Finanzkapital, wobei Letzteres die entwickelteste Form des Monopols darstellt. Im Begriff des Finanzkapitals heben sich die vorher entfalteten Formen (Bank- und Industriekapital bzw. Bank- und Industriemonopole) auf, sie sind sozusagen im Begriff des Finanzkapitals enthalten.

Auch wenn die wichtigste Erkenntnis der Analyse auf dieser Ebene ist, dass die Verwendung des Wortes ‚Monopol‘ in seinen verschiedenen Weisen eine begriffliche Verwendung darstellt, soll hier hervorgehoben werden, dass der Text mit einem Reichtum an konkreten, empirischen Beispielen aufwartet und es deshalb vorstellbar ist, dass eine Lesart, die vor allem die Darstellung von vielen konkreten empirischen Monopolen wahrnimmt, möglich ist.

Unübersehbar ist jedoch, dass Lenin ‚Monopol‘ als allgemeines und wesentliches Merkmal der imperialistischen Epoche versteht. Zur Veranschaulichung hier einige Beispiele, die deutlich machen, dass das ‚Monopol‘ einen Wesenszug und nicht ein ausschließlich empirisches Phänomen darstellt19:

„Diese Verwandlung der Konkurrenz in das Monopol ist eine der wichtigsten Erscheinungen – wenn nicht die wichtigste – in der Ökonomik des modernen Kapitalismus.“ (LW 22, S. 201/202).

Und: „Das von uns hervorgehobene Wort deckt das Wesen der Sache auf, das von den bürgerlichen Ökonomen so ungern und selten zugegeben wird und um das die heutigen Verteidiger des Opportunismus mit K. Kautsky an der Spitze so eifrig herumzureden versuchen. Das Herrschaftsverhältnis und die damit verbundene Gewalt – das ist das Typische für die ‚jüngste Entwicklung des Kapitalismus, das ist es, was aus der Bildung allmächtiger wirtschaftlicher Monopole unvermeidlich hervorgehen mußte und hervorgegangen ist.“ (LW 22, S. 211)

Und: „Das Monopol ist der Übergang vom Kapitalismus zu einer höheren Ordnung. Würde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so müßte man sagen, daß der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist.“ (LW 22, S. 270)

Und: „Die tiefste ökonomische Grundlage des Imperialismus ist das Monopol. Dieses Monopol ist ein kapitalistisches, d.h. ein Monopol, das aus dem Kapitalismus erwachsen ist und im allgemeinen Milieu des Kapitalismus, der Warenproduktion, der Konkurrenz, in einem beständigen und unlösbaren Widerspruch zu diesem allgemeinen Milieu steht.“ (LW 22, S. 280/281)

Und: „Wir haben gesehen, daß der Imperialismus seinem ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus ist.“ (LW22, S. 304)

Bei genauerer Betrachtung der Verwendung des Wortes „das Monopol“ in diesen Zitaten:, kann man zweifellos von einer Verallgemeinerung sprechen, die dem ‚Monopol‘ eine Stellung zuweist, die als Charakterisierung bzw. als Attribut verwendet werden kann. Das ‚Monopol‘ in dieser Weise verstanden, ist eine Verallgemeinerung eines Prinzips. Was sind aber seine wesentlichen Merkmale und wie werden sie im Text herausgearbeitet?

Die Anordnung der empirischen Beispiele und Zitate, die den allgemeinen und konkreten Prozess und die Wirkungsweise der vor sich gehenden Monopolisierung darstellen, sind so zusammengestellt, dass sie systematisch folgende Grundzüge des Monopols veranschaulichen:

Zusammenziehen bzw. Kontraktion von Kapital (Konzentration und Zentralisation): Ein Wesenszug, der in der Wortzusammensetzung Mono-Pol20zum Ausdruck kommt. Das ist hier in dem Sinne gemeint, dass Viele sich tendenziell zu Einem zusammenziehen.

Ein weiterer Wesenszug ist die Dynamik in dem Sinne, dass es keinen Stillstand gibt, sondern das Monopol dauernde Monopolisierung beinhaltet. Anhand vieler Beispiele und Beschreibungen der Prozesse wird diese Dynamik, die im Begriff enthalten ist, regelrecht dramatisch dargestellt. Eine weitere Seite des ‚Monopols‘ ist der notwendige Formwandel bis zur flexibelsten und flüssigsten Form . dem Finanzkapital. Und schließlich die Seite des ‚Monopols‘, die darin besteht, dass es sich in seiner Bewegung im dauernden Widerspruch zum Kontext seiner Entstehung, seines Werdens und seines Vergehens befindet.

Diese Widersprüche sind: Widerspruch zum kapitalistischen Umfeld, aus dem das ‚Monopol‘ entsteht, also zum Konkurrenzkapitalismus; Widerspruch zu ‚sich selbst‘ als Erscheinung. Das bedeutet, dass Monopole im Plural ein Widerspruch in sich trägt und zur Aufhebung drängt, – anders gesagt: das Monopol tendiert zu einem Monopol; der Widerspruch zwischen dem Prozess der Monopolisierung auf internationaler Ebene und den nationalen Schranken; Widerspruch zwischen dem Prozess der Vergesellschaftung der Produktion und der privaten Aneignung, ein Widerspruch, der zwar schon im Allgemeinen in der kapitalistischen Produktionsweise existiert, aber durch den Prozess der Monopolisierung unvermeidlich zum Antagonismus werden muss, da die Konzentration und vor allem die Zentralisierung eine zentrale Planstelle einfordern, die aber u.a. durch die private Aneignung gehemmt werden.

Die Grundzüge des Wesens von ‚Monopol‘ sind durch die Textanalyse erfasst worden, in dem alle Vorkommnisse, die sich einer Metaebene oder einer Abstraktion zuordnen ließen, herausgefiltert wurden. Die Erscheinungsformen des ‚Monopols‘ wurden wie folgt ausgemacht: Industriemonopol, Bankmonopol, Finanzkapital. Hierzu ist erstens zu sagen, dass das keine Reihenfolge darstellt, auch nicht historisch gemeint ist, aber durchaus hierarchisiert auftritt. Das bedeutet, dass die Darstellungsweise chronologisch und eindeutig inhaltlich schließen lässt, dass das Finanzkapital die Form ist, die alle anderen Formen in sich aufhebt, aber auch die letzte Form ist. Es gibt keine weitere Erscheinungsform, die folgt. In Aussagen wie der folgenden ist diese Form als letzte Form dargelegt: „Der Kapitalismus, der seine Entwicklung als kleines Wucherkapital begann, beendet seine Entwicklung als riesiges Wucherkapital.“ (LW 22, S. 237)

Des Weiteren ist zu diesen Formen zu sagen, dass sie die Formen des Monopolkapitals auf einer abstrakten Ebene begrifflich zusammenfassen. Gerade im Begriff des Finanzkapitals ist es sehr klar, dass es sowohl industrielles Kapital, also das Kapital, das in der Industrie angelegt ist, als auch gleichzeitig Bankkapital ist, wobei letzteres die Kontrollfunktion hat, da hier – in der ‚Bank‘ – das Kapital nicht nur konzentriert, sondern auch zentralisiert ist.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Staatsmonopol als solches nicht als Erscheinungsform des ‚Monopols‘ aufgefasst wurde, weil diese bei Lenin fast ausschließlich eine Hilfsfunktion im Verhältnis zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Monopolkapitals einnimmt. Besonders klar wird das durch die Aussage, dass anschaulich gesehen werden kann, „wie sich in der Epoche des Finanzkapitals private und staatliche Monopole miteinander verflechten und die einen wie die anderen in Wirklichkeit bloß einzelne Glieder in der Kette des imperialistischen Kampfes zwischen den größten Monopolisten um die Teilung der Welt sind.“ (LW 22, S. 253)

Eine weitere Anmerkung ist nötig. Es geht um eine Textstelle, die auf den ersten Blick eine andere Zuordnung erfordert als die, die hier unter „Erscheinungsformen“ vorgenommen wurde. Gegen Ende des Textes (S. 304/305) spricht Lenin von „den vier verschiedenen Hauptarten der Monopole oder den Haupterscheinungsformen des Monopolkapitalismus“: den Monopolverbänden, den Rohstoffmonopolen, den Monopolisten des Finanzkapitals und schließlich dem Monopol über das Wirtschaftsgebiet überhaupt. Hier befindet sich der Text auf der konkretesten Ebene der Darstellung. Die Formen wurden in ihrer Abstraktheit Schritt für Schritt entfaltet und sind jetzt auf der Oberflächenebene angelangt.

In den ersten drei Kapiteln wurde das Kapital in seiner monopolisierten Form in seinen Grundzügen, seinem Wesen nach dargestellt. Die Darstellung erfolgte immer organisch mit empirischen und historischen Beispielen. Jedoch ist die Quintessenz dieser Darstellung, das ökonomische Wesen des Monopols aufzudecken und zu zeigen, dass es seine höchste Form im Finanzkapital findet, ohne die anderen Formen zu eliminieren.

Im letzten Kapitel, aus dem die „vier Hauptarten“ (siehe oben) zitiert wurden, wird die konkrete Erscheinungsform beschrieben. Im Folgenden betrachtet Lenin diese Hauptarten historisch und beschreibt ihre Genese, die letztlich „zum endgültigen Sieg des internationalen Finanzkapitals“ (LW 22, S. 305) geführt hat.

Für die Textanalyse ist es relevant, diese unterschiedlichen Ebenen zu registrieren und die einzelnen Ausführungen in diese Gesamtstruktur einzuordnen. Alle weiteren Weisen, in denen das ‚Wort‘ Monopol im Text verwendet wird, dienten in der Analyse lediglich als Kohärenznachweis, der hiermit bestätigt wird. Es wurden keine Inkohärenzen in den verschiedenen Verwendungsweisen vorgefunden.

Die begriffliche Entwicklung ist nicht oder nicht nur historisch, auch wenn die eine Form unvermeidlich aus der anderen erwächst. ‚Historisch‘ hieße, dass der Übergang der einen in die andere Form einen historischen Abschluss der vorhergehenden Form markiert. Auch wenn das tendenziell geschieht, bleiben alle Formen noch weiter bestehen, während sich die nächste Form entfaltet. So ist die Epoche der Monopole zwar durch das Finanzkapital erzeugt worden (LW 22, S. 248), jedoch kommt das Finanzkapital erst durch die Entfaltung des Monopolkapitalismus zu seiner alles durchdringenden Entwicklungsstufe und wird zur herrschenden Form des Monopols. So hebt das Bankmonopol zwar das Industriemonopol auf, aber vernichtet dieses nicht. Lenin nimmt das Monopol zu seinem Ausgangspunkt und setzt die Konzentration und Zentralisation des Kapitals als den Motor der Monopolisierung voraus. Diese Monopolisierungstendenz beschleunigt die Konzentration und Zentralisation und diese wiederum die Monopolisierungstendenz.

Die Untersuchung der gesamten Textstruktur stützt die Annahme, dass ‚Monopol‘ eine begriffliche Ebene darstellt, in der viele der weiteren Bestimmungen enthalten sind. Der Text beginnt mit der Darstellung des Monopols, wobei hier die Betonung darauf liegt, dass die Untersuchung mit dem Phänomen ‚Monopol‘ anfängt. Wenn auch die Darstellung am Anfang selbst historisch-konkret vorgenommen wird, ist der Ausgangspunkt der Untersuchung insofern gesetzt, als dass alle weiteren Erscheinungsformen sich wesentlich vom ‚Monopol‘ ableiten lassen bzw. ihm zugeordnet werden können. So werden in jedem weiteren Kapitel verschiedene Seiten des Monopols aufgeschlüsselt.

Fritz Kumpf, der 1968 eine Studie zur dialektischen Logik der Imperialismusschrift vorlegte, kommt zu folgendem Ergebnis: „Das Monopol ist im System des Imperialismus eine solche konkrete Abstraktion, die den Übergang zu anderen Bestimmungen und zu deren systematischer Entwicklung notwendig in sich einschließt. Die Notwendigkeit des Übergangs liegt vor allem darin, daß das Monopol das ökonomische Wesen des Imperialismus darstellt.“ (Kumpf 1968, S. 98)

Dabei markiert das ‚Monopol‘ deshalb den Beginn, weil alle weiteren Bestimmungen, die für das System ‚Imperialismus‘ bestimmend sind, diese zur Voraussetzung haben, aber nicht umgekehrt. „Wir können daher aus zwei Gründen von einer konkreten Abstraktion sprechen. Einmal deshalb, weil das Monopol die einfachste Kategorie im Hinblick auf ein konkretes System, auf den Imperialismus, nicht aber für den Kapitalismus oder die Gesellschaft schlechthin ist. Zweitens, weil diese abstrakte Bestimmung in Relation zum System des Imperialismus zugleich eine konkrete Bestimmung ist, da sie den Reichtum der Bestimmungen des vormonopolistischen Kapitalismus in sich enthält.“ (Kumpf 1968, S. 94)

Das Monopol wird im weiteren Verlauf des Textes von Lenin nach seinen Charaktermerkmalen und Dynamiken entfaltet. Das Hauptmerkmal, das Wesen des Monopols wird als „Herrschaftsverhältnis“ identifiziert. Darunter fallen Eliminierung anderer Unternehmen, auch von Monopolen, Steigerung der Macht, (Neu-)Aufteilung der Welt, Verschärfung der nationalen Unterdrückung. Des Weiteren werden Widersprüche verschärft: höhere Vergesellschaftung der Produktion bei gleichzeitig steigender Tendenz zur privaten Aneignung, Verschärfung der Krisenhaftigkeit und Chaos in der Produktion bei gleichzeitiger Erhöhung der Plan-Notwendigkeit, Tendenz zur Stagnation und Fäulnis und gleichzeitig Übergang zu einer höheren Gesellschaftsordnung, und Entstehung der Arbeiteraristokratie in den imperialistischen Ländern bei Verschärfung der Ausbeutung anderer Nationen, um hier nur einige Aspekte zu nennen, die im Text entfaltet werden.


Analyse ‚Herrschaftsverhältnis‘

Der Sinnzusammenhang „Herrschaftsverhältnis“ wurde in Mengen- und Ortsangaben, Subjekt und Objekt der Herrschaft und verschiedene Herrschaftsweisen und -instrumente aufgeteilt. Das Subjekt der Herrschaft sind ökonomische und politische Entitäten, Konzerne, Trusts, Banken, das Finanzkapital und Staaten. Objekt der Herrschaft sind andere Unternehmungen, darunter auch Konzerne, sogar Monopole, Kolonien, Halbkolonien, auch nicht-abhängige Länder und zuallerletzt Menschen.

Quantitative Angaben im Sinnzusammenhang „Herrschaftsverhältnis“ bleiben konsistent durch die gesamte Schrift: auf der Seite der Subjekte der Herrschaft werden durchgehend wenige Herrschende, Unterdrückende etc. angegeben, auf der Seite des beherrschten Objekts durchgehend eine große Menge mit Zahlenangaben oder mit quantitativen Zuschreibungen der Menge, „viele“, „meisten“ usw. Häufig findet sich im Text eine Tendenzaussage mit „immer weniger“ oder „immer mehr“. Ortsangaben bezüglich der Subjekte der Herrschaft sind entweder eindeutige Ländernamen oder kontinentale Attribute wie z. B. „das europäische Kapital“ oder bezüglich der Objekte Kontinente, häufig Afrika und Asien.

Des Weiteren wurden alle Textstellen, die in irgendeiner Weise ein Synonym für ‚Herrschaft‘ darstellen bzw. als Akt der Beherrschung interpretiert werden können, herausgefiltert. Diese Synonyme sind folgende: (u.a. koloniale) Unterdrückung, finanzielle Erdrosselung, weltbeherrschende Räuber, Ausplünderung, Bemächtigung, Gewalt, Kontrolle (u.a. Kapital über Kapital), Ausbeutung, Unterwerfung, ‚an sich reißen‘, Abhängigkeit, Aufteilung, Eroberung zwecks Sicherung der eigenen Hegemonie, Untergrabung der Konkurrenten, ‚schalten und walten, wie sie wollen‘, Annexion, Verletzung der nationalen Unabhängigkeit.

Synthese von ‚Monopol‘ und ‚Herrschaftsverhältnis‘

Bei der Synthese von ‚Monopol‘ und ‚Herrschaftsverhältnis‘ sind folgende Aspekte zu unterscheiden: Erstens Herrschaft als Wesen des Monopols oder Monopol als Herrschaftsverhältnis, zweitens die Herrschaftsweise, drittens die Herrschaftsinstrumente und viertens die Subjekte und Objekte der Herrschaft. Da in der Analyse des Monopolbegriffes klar wurde, dass im Begriff selbst die Bedeutung der Herrschaft über andere angelegt ist, wird auf diese Stellen oben verwiesen.

Die Herrschaftsweise des Monopols kulminiert in ökonomische Macht, jedoch ist sie nicht darauf beschränkt, vielmehr ist die Art und Weise der Herrschaft vor allem durch Gewaltherrschaft zu charakterisieren, wenn die dafür verwendeten Wörter zur Charakterisierung dieser Herrschaft betrachtet werden. Die Instrumente der Herrschaft sind vielseitig und durchdringen alle Ebenen der Gesellschaft. Für die heutige Debatte um die Frage der Identifizierung von imperialistischen Ländern oder um die Frage der ökonomischen Abhängigkeit, bzw. Eigenständigkeit (Souveränität) sind die Ausführungen zu den Instrumenten, die bei der Kontrolle von nationalen Monopolen durch internationales Finanzkapital zum Einsatz kommen, besonders interessant.21

Und schließlich fehlt es Lenins Ausführungen bei der Betrachtung der Herrschaftssubjekte und -objekte kaum an Eindeutigkeit. Lenin beschreibt sehr plastisch, wie nicht nur die eigene Arbeiterklasse oder überhaupt die Arbeiterklasse, sondern eben auch andere Monopole und Nationen, auch solche mit scheinbar eigenständiger Staatlichkeit, vom internationalen Finanzkapital unterworfen werden. Seine Zuspitzungen kulminieren in Aussagen, die die Unterdrückung der vielen / meisten Nationen, Ländern, Staaten der Welt durch eine kleine Gruppe von Staaten, die als Vertreter des zentralisierten Finanzkapitals auftreten, beschreiben.

Hierfür ein paar Zitate, die exemplarisch angeführt werden: „Das ist eine neue Stufe der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion, eine unvergleichlich höhere Stufe als die vorangegangenen. Wir wollen sehen, wie dieses Übermonopol heranwächst.“ (LW22, S. 250)

Und: „Der Imperialismus ist die Epoche des Finanzkapitals und der Monopole, die überallhinden Drang nach Herrschaft und nicht nach Freiheit tragen. Reaktion auf der ganzen Linie, gleichviel unter welchem politischen System, äußerste Zuspitzung der Gegensätze auch auf diesem Gebiet – das ist das Ergebnis dieser Tendenzen. Insbesondere verschärfen sich auch die nationale Unterdrückung und der Drang nach Annexionen, d.h. nach Verletzung der nationalen Unabhängigkeit (denn Annexion ist ja nichts anderes als Verletzung der Selbstbestimmung der Nationen).“ (LW 22, S. 302/303)

Und: „Monopole, Oligarchie, das Streben nach Herrschaft statt nach Freiheit, die Ausbeutung einer immer größeren Anzahl kleiner oder schwacher Nationen durch ganz wenige reiche oder mächtige Nationen – all das erzeugte jene Merkmale des Imperialismus, die uns veranlassen, ihn als parasitären oder in Fäulnis begriffenen Kapitalismus zu bezeichnen.“ (LW 22, S. 305)

Die Logik der Imperialismusschrift

Lenin hatte explizit gemacht, dass er mit der Imperialismusschrift eine allgemein verständliche Schrift vorlegen wollte, die als Lektüre für den politischen Kampf geeignet war. Diese Funktion erfüllte die Schrift ohne Zweifel, nicht zuletzt im Kampf gegen revisionistische, faktisch pro-imperialistische Positionen innerhalb der Arbeiterbewegung. Aber ist die Imperialismusschrift nun ein theoretisches Werk oder nicht?

Die meisten würden zustimmen, dass das so ist, weil Lenin explizit Definitionen liefert, Zusammenhänge aufdeckt und nicht nur rein empirische Beobachtungen beschreibt. In diesem Sinne wurde und wird die Imperialismusschrift auch tatsächlich in der Bewegung behandelt. Häufig werden die Definitionen, die darin enthalten sind, herausgeholt und die darin aufgeführten Begriffe wie „Monopol“, „Finanzkapital“ und „faulender Kapitalismus“ als Marker für die Charakterisierung des imperialistischen Entwicklungsstadiums des Kapitalismus – richtigerweise – benannt. Und wer kennt es nicht: die fünf Merkmale werden auswendig gelernt.

Jedoch ist das nicht alles und leider ist auf dem mehr als hundertjährigen, steinigen Weg bis hierher seit Entstehung des Textes, quasi im Eifer des Kampfes um Sozialismus und gegen Imperialismus, einiges an Erkenntnis wieder verloren gegangen und es gilt, diese Erkenntnisse und Anstrengungen, die vor allem in den 50er und 60er Jahren gleistet wurden, wieder zu sammeln und der Bewegung zur Verfügung zu stellen. Zur Frage der logischen Struktur der Imperialismusschrift gibt es, das sei an dieser Stelle vorgemerkt, noch einiges zu tun.

Kurzum: Dass Lenin sehr bewusst eine bestimmte Textstruktur angelegt hat und sich etwas dabei gedacht hat und dass diese Struktur eine logische innere Bedeutung der Begriffe spiegelt und ihre Anordnung konsequent einer Begriffsentwicklung folgt, kann und soll hier als These vertreten werden. Warum ist das von Bedeutung und welche Rolle spielt das in der heutigen Debatte? Es spielt deshalb eine wichtige Rolle, weil die Begriffe, die in der Debatte benutzt werden, sehr unterschiedlich verwendet werden, entweder als Katalogisierungsmarker, so wie es verschiedene Erscheinungsformen des Dogmatismus verwenden oder als Begriffe, die das Wesen einer Erscheinung zum Ausdruck bringen. Letzteres, so hier die These, ist das nachweisbar richtige Verständnis. Diese These wird unter anderem gestützt auf die Arbeit von Fritz Kumpf, der wiederum seine Auseinandersetzung mit der Logik der Imperialismusschrift vor allem auf sowjetische Forscher der Zeit aufbaute.

Der Imperialismus, so Lenin, sollte als monopolistischer Kapitalismus verstanden werden, als Monopolkapitalismus. Monopol ist nicht als ein rein empirisches Phänomen und auch nicht als ein Überbegriff für verschiedenartige monopolistische Unternehmen zu verstehen, sondern als ein Begriff, der das Wesensmerkmal22 des Imperialismus zum Ausdruck bringt: Herrschaft! In ihm ist die gesetzmäßige und unaufhörliche Bewegung des Kapitals, nämlich Konzentration und Zentralisation, aufgehoben. Aus ihm leiten sich notwendigerweise, also gesetzmäßig, alle weiteren Erscheinungsformen und Tendenzen im Imperialismus ab: Industriemonopole, Bankmonopole, das Finanzkapital, die nationale Unterdrückung, die Arbeiteraristokratie und der unauflöslich mit ihr verbundene Opportunismus und der Fäulnischarakter. Alle diese Erscheinungsformen sind wesentlich Ausdruck von Herrschaft tendenziell immer weniger und immer zentralisierterer Monopole und ihrer Staaten gegenüber tendenziell immer größer werdendenTeilen der Welt. Das ist die Quintessenz des Begriffs23 Monopol, wie Kumpf sagt, der konkreten Abstraktion.

Die logische Struktur des Textes spiegelt genau diesen Inhalt: Lenin setzt Monopol an den Anfang und leitet alle (Erscheinungs-)Formen des Monopols ab. Dabei ist unübersehbar, dass Lenin, ohne den theoretischen Hintergrund explizit zu machen, eine Form logisch von der anderen ableitet. Jedoch haben wir es hier nicht mit einer formal-logischen Schlussfolgerung, sondern mit der dialektischen Logik, also einer Widerspruchslogik zu tun. So wie der Begriff des Monopols schon in sich den Widerspruch zwischen Vergesellschaftung und privater Aneignung in zugespitzter Weise beinhaltet, so entwickeln sich alle weiteren Erscheinungen aus diesem Widerspruch.24

Die Spannung bzw. auch Schwierigkeit ist dabei – und das ist es immer – die Gleichzeitigkeit der historischen Entwicklungsschritte und die logischen Entfaltungen miteinander zu versöhnen. Die Zick-Zack-Bewegungen der Geschichte verstellen den Blick für die sich durchsetzende dialektisch-logische Gesetzmäßigkeit. Hier kommt es sehr stark auf die Lesart an: liest man empirisch-historisch oder erkennt die gesetzmäßige dialektische Entwicklung, die im Text dargelegt ist. Die erste Lesart kann viele, teilweise sehr unterschiedliche Ergebnisse zeigen. Das wiederum ist logisch, denn Empirie und Geschichte im Sinne einer Beschreibung der Oberflächenphänomene kann relativiert, ergänzt und erweitert werden.

Die Imperialismusschrift wird gerade von den Neuinterpretationen, die oben beschrieben wurden, so verwendet – nämlich als eine historische Arbeit über eine konkrete historische Zeit. Bei dieser Lesart wird unterstellt, dass z. B. eine der wesentlichsten Aussagen der Imperialismusschrift, nämlich die Zuspitzung der Widersprüche zwischen den Unterdrückernationen und den unterdrückten Nationen als eine notwendige Erscheinung des Imperialismus nach den (wohlgemerkt ersten und unvollendeten) antikolonialen Befreiungskämpfen beendet wurde. Würden sie verstehen, dass Lenin sehr deutlich macht, dass das unter monopolistischem Kapitalismus unmöglich sei, weil das Phänomen der nationalen Unterdrückung zum Wesen des Monopolkapitalismus gehört, dann könnten sie diesen Fehler vermeiden. Natürlich wäre das auch möglich gewesen, wenn sie nur die Augen aufgemacht hätten oder wenn man die bürgerliche Presse als Feindespresse liest,– aber ich hatte ja vor, mit so wenig Polemik wie möglich auszukommen.

Zwecks Transparenz möchte ich hier noch aufzeigen, wie im Rahmen der Textanalyse die logische Struktur des Textes ersichtlich wurde und noch einmal bewusst angesehen werden konnte: Die erste Runde ermöglichte es, durch die zeitlich sehr zügige Sichtung des Textes als Gesamttext, den Blick für die Gesamtstruktur des Textes zu schärfen. Dabei ergab sich eine Frage, die zur weiteren Beschäftigung drängte. Zunächst einmal war die Absicht, die Textgesamtstruktur auf einer rein inhaltlichen Ebene kenntlich zu machen bzw. zu berücksichtigen. Das sollte veranschaulichen, welche Themen der Text im Zusammenhang, oder besser gesagt in einem Zusammenhang, umfasst und dass man z. B. Aussagen über die „Beherrschung von Kolonien und Halbkolonien“ nicht trennen kann von der „Beherrschung der Welt durch das Finanzkapital“ und diese wiederum nicht von der „Monopolisierung als Wesen des Imperialismus“. Dieser Zusammenhang war als Ergebnis der ersten Runde durch die innere Verknüpfung der einzelnen Kapitel bzw. Aussagen des Textes erkennbar.

Während der Reflexion über diesen Struktur- und Inhaltszusammenhang, stellte sich die Frage, warum der Text mit der Betrachtung des Monopols beginnt. Offensichtlich beinhalteten die nächstfolgenden Kapitel eine Kontinuität in der Beschreibung des „Monopolcharakters“, nur bezogen auf je verschiedene Erscheinungsformen, z. B. Banken, Finanzkapital, imperialistische Staaten, aber auch schienen die zwei wesentlichen Widersprüche am ‘Monopol‘begriff festgemacht zu werden. Das Monopol gerät in einen Widerspruch zu dem Umfeld, aus dem es entstanden ist und beinhaltet und verschärft den Widerspruch zwischen Vergesellschaftung der Produktion auf der einen und privater Aneignung der Produktionsmittel und produzierten Güter auf der anderen Seite. (LW, S. 209 ff)

Die Frage danach, ob es eine tiefere Bedeutung bzw. eine Implikation hat, dass der Text mit dem „Monopol“ beginnt, wurde durch diese Beobachtungen eher verschärft, nicht beantwortet. Es schien zu vieles einer theoretischen Begründung zu widersprechen: das erste Kapitel „Konzentration der Produktion und Monopole“ ist auf den ersten Blick sehr empirisch und historisch. Außerdem gibt es Textstellen, die darauf hindeuten, dass die nächstbehandelten Phänomene wie ‚Banken‘ und ‚Finanzkapital‘ ‚das Monopol‘ hervorgebracht haben. Hier ist ein Hinweis auf die Gleichzeitigkeit der Darstellung historisch-konkreter Entwicklung einerseits und andererseits die logisch-dialektische Entwicklung zu erkennen. Einerseits also wie sich die Monopolisierung aufgrund der konkret vor sich gehenden Konzentration und Zentralisation des Kapitals in der vormonopolistischen Zeit entwickelte und dass für diese Entwicklung Banken und auch die Entstehung der Verschmelzung von Bank- und Industriekapital relevant waren. Erst aber nach einem bestimmten quantitativen Grad dieser Entwicklung, das ‚System‘ in eine andere Qualität umschlägt, nämlich den monopolistischen Kapitalismus. Dass Lenin das Monopol als Wesen des Imperialismus ausmacht, deutete darauf hin, dass die Auswahl des Anfangs der Darstellung – analog auch bei Marx mit der Ware – nicht zufällig und ebenso nicht einfach nur historisch-konkret gemeint sei.

Für die Beantwortung der Frage nach der begrifflichen Einordnung des Monopols wurde – entgegen dem ursprünglichen Plan – doch zur Sekundärliteratur gegriffen. Dankenswerterweise ging diese Lektüre auf einen Hinweis von Arnold Schölzel zurück, der bei einer Veranstaltung auf dieses Buch hinwies. Fritz Kumpf hatte eine Studie zur dialektischen Logik der Imperialismusschrift von Lenin vorgelegt, die seinerzeit mäßig in marxistischen Kreisen beachtet wurde.

Das Heranziehen von Kumpfs Arbeit stellte sich als sehr produktiv heraus, denn er beschäftigt sich genau mit dieser Fragestellung. Er fragt nach dem Ausgangspunkt der Untersuchung bei Lenin. „Das Monopol bedarf für sein Verständnis keiner weiteren Kategorie, die der Erfassung des Begriffes Imperialismus angehört. Das zeigt sich schon äußerlich in der Tatsache, daß Lenin bei der Analyse des Monopols an keiner Stelle genötigt war, auf Kategorien und Begriffe und damit auch auf die von ihnen erfaßten Sachverhalte zurückzugreifen, die erst später entwickelt werden.“ (Hervorhebung KB; Kumpf 1968, S. 93)

Alle weiteren „Momente“, die in der Imperialismusschrift behandelt werden, werden durch das Monopol bestimmt. Noch einmal zur Bedeutung der Tiefenstruktur der Imperialismusschrift für die Imperialismusdebatte. Es gibt in der Debatte zwei einander diametral gegenüber stehende Positionen: die Neuinterpretation behauptet, dass das imperialistische Stadium vor allem durch Monopolisierung im Sinne des Vorhandenseins von Monopolen, also empirisch existierenden großen Konzernen, alle Länder der Welt erfasst habe und somit die gesamte Welt, also alle Nationen der Erde ausnahmslos im imperialistischen Stadium angekommen seien, de facto also kein Land der Welt mehr eine unterdrückte Nationen sein kann oder, wie es gerne heißt, nicht einseitig abhängig, sondern die Nationen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Sie verstehen Monopolisierung oder Monopol als Wesen des Imperialismus in dem Sinne, dass das empirische Phänomen Monopol überall existiert bzw. in irgendeiner Weise auffindbar ist.

Es wird jedoch eingeräumt, dass es unterschiedliche Stärken gibt, also die einen Monopole zeitweise stärker als die anderen sind. Durch das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung komme es aber zu einer ständigen Veränderung in der Machtstellung. Das Bild, das wir hier vom imperialistischen Stadium des Kapitalismus erhalten ist mehr oder minder ein Bild der weltweiten Konkurrenz zwischen verschiedenen wesentlich gleichen Akteuren, nämlich Monopolkapitalisten.

Die andere Lesart der Imperialismusschrift versteht Monopol als Charakterisierung, als Wesenszug des Imperialismus in dem Sinne, dass der Kapitalismus mit seinem monopolistischen Stadium ein Stadium erreicht hat, in dem die Herrschaft mono-pol-isiert wird. Lenin wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass es einen Unterschied gibt zwischen den Oberflächenphänomenen und der sich durchsetzenden Wesenseigenschaft des Monopols. Es gibt weiterhin viele Kleinunternehmen, Großkonzerne, Monopole sogar in einer oder vielen Branchen, aber das ist nur die Oberfläche: in Wahrheit hat das konzentrierte und zentralisierte Finanzkapital durch ein Netz von Herrschaftsinstrumenten die Kontrolle über alle diese äußerlich völlig unabhängigen oder teil-abhängigen Akteure. Dieser Prozess ist nicht mehr umkehrbar, weil die Konzentration und Zentralisation des Kapitals auf immer höherer Stufenleiter vor sich geht und die Monopolisierung, also auch Vereinseitigung der Herrschaft, die Unterwerfung immer größerer Teile, inklusive anderer einzelner Monopole und Länder der Welt zur Folge hat.

Dabei ist für viele die Schwierigkeit hier erstens zu verstehen, was eine Begriffsbestimmung ist, aber auch was sie nicht ist. Was ist damit gemeint? Ich denke, dass die Herausforderung des Verständnisses von Begriff ist, dass es nie eins-zu-eins in der Realität auffindbar ist und eben deshalb eine Abstraktion darstellt, jedoch viel genauer und schärfer das Wesen der Sache beschreibt und entsprechend auch das Konkrete wesentlich richtiger erfasst als eine unendliche oberflächliche Beschreibung es je könnte. Zweitens ist es sehr schwierig nicht statisch zu denken. Die Vorstellung, dass ein Begriff eine Tendenz, eine Bewegung, einen Charakterzug darstellt und eben nicht wie ein Abbild, eine Fotografie eines Phänomens ist, fällt sehr schwer. Wenn der Begriff Monopol Einseitigkeit oder Alleinherrschaft bedeutet bzw. beinhaltet, dann ist in der Realität nie nur einer gemeint. Der Begriff drückt eine Richtung, eine Tendenz, ein Bewegungsgesetz aus – und ist kein statischer Ausdruck.

Gegenprobe I: „Unterdrückende und unterdrückte Länder“ oder „gegenseitige Abhängigkeit“?

Ein Argument, das der hier vertretenen Auffassung widerspricht, beinhaltet die These, dass mit dem Ende des Kolonialismus, die durch die nationalen Befreiungskämpfe erwirkt wurde25 nun das gesamte Weltsystem, alle Länder der Welt mit Ausnahme einiger weniger Kolonien wie Palästina und Westsahara, die Stufe des Monopolkapitalismus erreicht hätten und man deshalb nicht mehr von unterdrückenden und unterdrückten Ländern sprechen könne. Diese These steht in klarem Widerspruch zu Lenins Imperialismusschrift. Wenn man die Imperialismusschrift auf eine historische Beschreibung der Zeit, in der sie geschrieben wurde, reduziert, kann diese These als eine Ergänzung der Leninschen Imperialismusschrift verstanden werden. Ergänzung meint hier eine historische Ergänzung, also in dem Sinne, dass Lenin eine bestimmte historische Zeit beschreibt und dann für die Zeit, die Lenin nicht mehr erfassen konnte, etwas hinzugefügt wird. Das ist möglicherweise die Eigeninterpretation der Vertreter einer Sicht auf den Imperialismus als ein System gegenseitiger Abhängigkeiten. Eine solche Lesart unterstellt aber, dass die Aussagen über das Herrschaftsverhältnis keine grundsätzlichen und allgemeinen Aussagen zur Epoche des Imperialismus, des Monopolkapitalismus darstellen. Eine Reihe von Aussagen in der Imperialismusschrift weisen aber darauf hin, dass eine solche Lesart nicht dem Charakter der Imperialismustheorie gerecht wird.

Das ist deshalb so, weil Lenin sehr klare Aussagen über die unvermeidlichen Tendenzen in der imperialistischen Epoche zur Verstärkung der nationalen Frage macht. Das, was oben als das Wesen des Imperialismus, nämlich das Monopol als Herrschaftsverhältnis ausgeführt wurde, bestimmt die Tendenz zur weiteren Verschärfung der Unterwerfung großer Teile der Erde, das meint Nationen, Länder, aber auch die Bevölkerung, unter das Diktat des Finanzkapitals. Lenin weist in seiner Schrift mit Bezug auf Hilferding darauf hin, dass die Entwicklung dahin gehen muss, dass die unterdrückten Nationen gerade durch ihre kapitalistische Entwicklung den Unterdrückerländern den Garaus machen (LW 22, S. 303).

An dieser Stelle sei nur beispielhaft auf folgende Stelle im Text verwiesen: „Mit Recht hebt Hilferding den Zusammenhang des Imperialismus mit der Verschärfung der nationalen Unterdrückung hervor: ‚In den neu erschlossenen Ländern selbst aber‘, schreibt er, ‚steigert der importierte Kapitalismus die Gegensätze und erregt den immer wachsenden Widerstand der zu nationalem Bewußtsein erwachenden Völker gegen die Eindringlinge, der sich leicht zu gefährlichen Maßnahmen gegen das Fremdkapital steigern kann. Die alten sozialen Verhältnisse werden völlig revolutioniert, die agrarische, tausendjährige Gebundenheit der ‚geschichtslosen Nationen‘ gesprengt, diese selbst in den kapitalistischen Strudel hineingezogen. Der Kapitalismus selbst gibt den Unterworfenen allmählich die Mittel und Wege zu ihrer Befreiung. Das Ziel, das einst das höchste der europäischen Nationen war, die Herstellung des nationalen Einheitsstaates als Mittel der ökonomischen und kulturellen Freiheit, wird auch zu dem ihren. Diese Unabhängigkeitsbewegung bedroht das europäische Kapital gerade in seinen wertvollsten und aussichtsreichsten Ausbeutungsgebieten, und immer mehr kann es seine Herrschaft nur durch stete Vermehrung seiner Machtmittel erhalten.‘“ (LW 22, S. 302/303)

Das heißt nichts anderes, als dass die unterdrückten Nationen, unter anderem auch und gerade durch die kapitalistische Entwicklung, den Unterdrückernationen ihre Unterwerfung erschweren. Konkret bedeutet es z. B., dass sie den Anspruch erheben, selbst über ihre Ressourcen zu bestimmen, die Handelswege zu kontrollieren etc. Das wiederum lässt die Unterdrückerländer nicht gleichgültig, vielmehr werden sie ihre Machtmittel, vor allem Gewaltmittel, vermehren und die unterdrückten Nationen mit Krieg, Zerstörung und Besatzung dazu zwingen, ihre Bedingungen weiterhin zu befolgen. Wie blind muss man sein, um nicht zu sehen, dass sich genau das in den letzten Jahrzehnten in immer heftigeren Formen vor unseren Augen abspielt.26

Dieser Aspekt wurde hier herausgegriffen, um auf eine bestimmte Seite der Textanalyse hinzuweisen, die sich mit der Frage nach den im Text beschriebenen Tendenzen im Imperialismus beschäftigt. Die Untersuchungen zu weiteren Tendenzen finden sich weiter unten. Die Frage danach, ob Lenin unterstellt, dass es im Laufe der Entwicklung des Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche zu mehr oder weniger nationaler Unterdrückung kommen wird, kann eindeutig beantwortet werden: Lenin geht von einer Ausweitung und Verschärfung der nationalen Unterdrückung aus. Wer also heute behauptet, dass im heutigen Imperialismus nicht mehr von „unterdrückenden und unterdrückten Nationen“ gesprochen werden kann, muss offen aussprechen, dass es eine falsche Diagnose von Lenin war, dies zu behaupten und dann im nächsten Schritt die Leninschen Aussagen widerlegen. Hier sei nur angemerkt, dass die faktische Entwicklung der Welt aus meiner Sicht die Leninschen Aussagen mehr als bestätigt hat. Wer ernsthaft behauptet, dass nach den nationalen Befreiungskämpfen vor allem in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts die Unterdrückung der Nationen beendet wurde, der muss sich nicht wundern, wenn ihm angesichts der Hülle und Fülle historischer und gegenwärtiger Gegenbeweise vorgeworfen wird, ein Apologet des Imperialismus zu sein.

In der Argumentation wird häufig der Ausdruck der „gegenseitigen Abhängigkeit“ verwendet, um gegen die Vorstellung zu argumentieren, dass es einseitige Abhängigkeitsverhältnisse gibt. Um auch diesem Argument zu begegnen, wurde die Imperialismusschrift speziell danach untersucht27, ob es Hinweise auf ein solches Verständnis geben kann. Dabei wurde – entsprechend der Methode der Gegenprobe – darauf geachtet, wohlwollend diese Position wiederzufinden.

Unter den neunzehn expliziten Textstellen wurden zwei gefunden, die eine solche Lesart vorstellbar machen. An einer Stelle geht es um Portugal als einen politischen eigenständigen Akteur, der ja sogar noch Kolonien besaß. Hier geht es darum, dass England Portugal samt seines Kolonialbesitzes verteidigte und dafür als Gegenleistung Privilegien hinsichtlich der Handelswege etc. von Portugal bekam. Lenin fügt dieser Beschreibung folgendes hinzu: „Derartige Beziehungen zwischen einzelnen großen und kleinen Staaten hat es immer gegeben, aber in der Epoche des kapitalistischen Imperialismus werden sie zum allgemeinen System, bilden sie einen Teil der Gesamtheit der Beziehungen bei der ‚Aufteilung der Welt‘ und verwandeln sich in Kettenglieder der Operationen des Weltfinanzkapitals.“ (LW 22, S. 268)

Diese Textpassage kann dazu verleiten, daraus eine Aussage zu konstruieren, die im Kern besagt, dass in der imperialistischen Epoche „derartige Beziehungen“, im Sinne von Beziehungen gegenseitiger Abhängigkeit zum „allgemeinen System“ werden. Eine solche Lesart ist aber nur möglich, wenn der Kontext – und damit ist nicht der ganz große Kontext i. S. der gesamten Imperialismusschrift gemeint – unbeachtet bleibt. Dieser Punkt wird von Lenin eingeleitet, um verschiedene Formen der Abhängigkeit zu beschreiben. Er möchte Missverständnissen bezüglich seiner wiederholten Formulierung „Kolonialpolitik“ vorbeugen und klarmachen, dass es sich bei der Abhängigkeit und Unterwerfung, kurz Beherrschung, eben nicht nur um Kolonien handelt.

Er schreibt: „Spricht man von der Kolonialpolitik in der Epoche des kapitalistischen Imperialismus, dann muß bemerkt werden, daß das Finanzkapital und die ihm entsprechende internationale Politik, die auf einen Kampf der Großmächte um die ökonomische und politische Aufteilung der Welt hinausläuft, eine ganze Reihe von Übergangsformen der staatlichen Abhängigkeit schaffen. Typisch für diese Epoche sind nicht nur die beiden Hauptgruppen von Ländern – die Kolonien besitzenden und die Kolonien selber -, sondern auch die verschiedenartigen Formen der abhängigen Länder, die politisch, formal selbständig, in Wirklichkeit aber in ein Netz finanzieller und diplomatischer Abhängigkeit verstrickt sind.“ (LW 22, S. 267)

In Wirklichkeit sind also diese Länder, um die es hier geht, abhängig und zwar einseitig. Argentinien und Portugal werden jeweils als sehr unterschiedliche Beispiele angeführt. Lenin geht es also darum, die Bandbreite der Möglichkeiten hinsichtlich der unterschiedlichsten Formen der Abhängigkeit darzulegen, um genau dem falschen Verständnis vorzubeugen, dem die Apologeten bis heute erlegen sind.

Aber schon aus dem obigen Zitat solche Schlussfolgerungen zu ziehen28, zeugt von einem sehr begrenzten Lesevermögen. Denn schon dort werden diese Länder mit formaler Selbständigkeit als „Kettenglieder der Operationen des Weltfinanzkapitals“ bezeichnet. Sie sind nicht Kettenglieder des Weltfinanzkapitals, sondern Kettenglieder der Operationen, also Mittel zum Zweck der „Aufteilung der Welt“.

Zugegebenermaßen ist die zweite Textstelle29 wahrscheinlich keine Stütze für die ‚gegenseitige Abhängigkeit‘, aber da nach der hier angewandten Methode, diese potenziell infrage käme, wird sie kurz erwähnt. Dabei geht es um ein Zitat von Hobson, bei dem es eigentlich um die Abhängigkeit bestimmter Industriezweige von staatlichen Aufträgen geht. Aber auch darum, dass die „alten Imperien“ durch zwei Faktoren geschwächt werden: erstens durch ökonomischen Parasitismus und zweitens durch den Einsatz von Kolonialsoldaten. Der zweite Faktor könnte als ein Beispiel für gegenseitige Abhängigkeit genommen werden, aber nur dann, wenn man das Wort ‚abhängig‘ hier rein technisch verwendet. Ob das so ist oder nicht, überlasse ich dem Urteilsvermögen der Leser. Ganz so weit hergeholt scheint es mir jedoch nicht, zu unterstellen, dass eine solche Textstelle so gelesen werden könnte.

Denn heute wird argumentiert, dass der Imperialismus deshalb ein System gegenseitiger Abhängigkeit wäre, weil die einen von den Rohstoffen der anderen ‚abhängig‘ wären. Der Sinn des Wortes ‚Abhängigkeit‘ wird also genau so gelesen, wie ich es als ‚technisch‘ bezeichnet habe. Mit ‚technisch‘ meine ich, dass jede Art von vermeintlicher Wertung, die auf Herrschaft oder Unterdrückung hinweisen könnte, ausgeblendet wird. So wie z. B. eine Pflanze von Wasser abhängig ist. Man könnte auch sagen, dass der Sinn des Wortes ‚Abhängigkeit‘ ganz neutral gelesen wird, weil man ja nicht von „unterdrückenden und unterdrückten Nationen“ sprechen möchte. Dass aber neutrales Lesen in einer Klassengesellschaft kaum möglich ist, wurde oben schon ausgeführt. Im Sinne welcher Klasse Neutralität‘ letztlich umschlagen muss, bleibt dem Urteil des Lesers selbst überlassen.

Gegenprobe II: „Ungleichmäßige Entwicklung“

Einer der Bezugspunkte für die These der neu aufsteigenden imperialistischen Mächte wie Russland und China, ist das Gesetz der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung30. Bevor hier auf die Ergebnisse der Textanalyse eingegangen wird, ganz kurz ein paar Worte zu diesem Gesetz. Lenin formulierte diesen Gedanken, um der falschen Vorstellung, es könne zwecks Einigung und Frieden zwischen den europäischen Großmächten, die Vereinigten Staaten von Europa gefordert werden. Der Hauptgedanke dabei ist, dass die Krisenhaftigkeit einerseits und der technologische Fortschritt andererseits, aber auch andere besondere politische und sonstige Bedingungen dazu führen, dass sich kapitalistische Länder unterschiedlich schnell, ja sprunghaft entwickeln oder schwere Niederlagen erleiden. ‚Gestörte Gleichgewichte‘ wie z. B. zwischen stagnierenden alten und mächtigen Ökonomien und neuen aufstrebenden kapitalistischen Mächten, würden nur durch zwei verschiedene Faktoren wieder ausgeglichen werden, entweder durch Krisen oder durch Kriege.

So weit so gut, möchte man meinen. Eine Welt, in der es auch ohne Krisen und Kriege möglich ist, zum Imperialisten aufzusteigen und als Imperialist jederzeit abzusteigen, für den einen oder anderen ist es sogar möglich gleichzeitig oben und unten zu sein31. Polemik beiseite: dass das oben genannte Gesetz seine Gültigkeit besitzt, ist offensichtlich, wenn man sich die Geschichte der letzten 100 plus x Jahre anschaut. Das Verhältnis zwischen den imperialistischen Ländern ist durch ihre ungleichmäßige Entwicklung stark verändert. Auch hat der Kapitalismus in einigen der nicht-imperialistischen Länder Einzug erhalten und hat sich enorm entwickelt. Auch diese Länder entwickeln sich ungleichmäßig.

Wo also liegt der Dissens? Dieser liegt schlicht darin, ob Nationen und ihre Ökonomien, die unterdrückt werden und abhängig sind, rein durch ihre ökonomische Entwicklung den Sprung zum Imperialisten, oder sagen wir angemessenerweise Unterdrücker, schaffen können. Dies wird behauptet, und zwar nicht nur in Bezug auf einzelne große Länder wie China oder die Russische Föderation, sondern in Bezug auf alle Länder der Welt. Außerdem liegt der Dissens noch tiefer: es ist etwas anderes zu behaupten, dass Länder eine kapitalistische Entwicklung durchmachen und dabei sogar recht gut abschneiden und zu sagen, dass sie zu imperialistischen Ländern werden.

Überhaupt ist die Vorstellung, dass es in der Epoche des Imperialismus eine Entwicklung im gleichen Sinne – ohne Widerstand und nationale Befreiung oder ohne Kampf um nationale Souveränität – geben kann wie zu Zeiten des Konkurrenzkapitalismus, – eine Zeit in der z. B. Deutschland sich sprunghaft entwickelte. Denn wie wir oben gesehen haben, muss eine solche kapitalistische Entwicklung unter imperialistischen Bedingungen stattfinden. Anstatt sich aber diese imperialistischen Bedingungen genau anzuschauen, z. B. die Netze des „Weltfinanzkapitals“ und das Monopol auf Ebenen der Einflusssphären etc. pp., wird einfach die Tatsache, dass es in einem Land ‚große Banken‘ gibt, als Beleg für den imperialistischen Charakter genommen. Die Aufgabenstellung wäre, wenn man denn überhaupt die Leninsche Methode richtig findet, zu schauen, ob diese Bank von anderen Banken und vom internationalen Finanzkapital durchdrungen wird oder grundsätzlicher in welchem Verhältnis diese zueinander stehen.

Die Textanalyse wurde hier zum Zwecke der Gegenprobe durchgeführt, um herauszufinden, ob es Textstellen gibt, die eine Lesart in dem Sinne zulassen, dass es in der imperialistischen Epoche zu dauerhaften und / oder sprunghaften32 Entwicklungen von nicht-imperialistischen Ländern zu imperialistischen Ländern kommen kann. Zu diesem Zweck wurde der Text nicht nur anhand des Stichwortes „ungleichmäßig“ in Verbindung mit den Stichwörtern „Entwicklung“ und „Gesetz“ untersucht, sondern auch nach ähnlich gelagerten Bedeutungssphären, die beispielsweise Hinweise auf unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Entwicklung, oder auf Machtverschiebungen geben. Es wurden auch unterschiedliche Bezüge untersucht, um zu prüfen, ob sich die Entwicklung auf Industriezweige, Länder, oder anderes bezieht.

Außerdem wurde der Kontext der Aussagen untersucht. Erstens: um was geht es dem Autor in dem Textabschnitt, was möchte er erläutern, warum ist die Frage der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung in diesem Kontext wichtig. Zweitens: um welchen historischen Kontext handelt es sich, vor allem um welche Entwicklungsstufe des Kapitalismus.

Folgendes Ergebnis kann vorerst festgehalten werden: Hinweise auf Gesetzmäßigkeiten werden vor allem durch das Wort „unvermeidlich“ gegeben. In einer anderen Schrift33 ist die Rede davon, dass die „Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung (…) ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus“ ist. Die Ungleichmäßigkeit selbst wird vor allem auf zwei verschiedene Weisen benutzt. Auf der einen Seite in Bezug auf die ungleichmäßige Verteilung (insbesondere des Kolonialbesitzes) zwischen den imperialistischen Ländern, auf der anderen Seite in Bezug auf die ungleichmäßige Geschwindigkeit und Qualität der (Produktivkraft-)Entwicklung sowohl unter den kapitalistischen, aber auch unter den nicht nur kapitalistischen, sondern auch imperialistischen Staaten. Es geht also entweder um die Frage der Entwicklung imperialistischer Länder und die Machtverschiebungen zwischen ihnen, anders gesagt um zwischenimperialistische Widersprüche oder um die Frage danach, wann und wie es gelingt, sich durch ungleichmäßige Entwicklung der Produktivkräfte in den verschiedenen Ländern (auch in einem unterjochten Land) vom Imperialismus zu befreien, insbesondere durch sozialistische Revolutionen.

Darüber, dass es im Imperialismus notwendig zu imperialistischen Kriegen um die Neuverteilung kommen muss und als eine der Ursachen die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung angeführt wird, kann es keinen Dissens geben. Wenn es jedoch, um die Begründung von veränderten Machtkonstellationen (Auf- und Abstieg in der so genannten „Pyramide“ oder Entstehung neuer imperialistischer „Pole“) geht34, müsste zunächst nachgewiesen werden, wie sich Machtverschiebungen ergeben haben und wie diese heute aussehen. Das kann nicht durch Auflistung von BIP-Zahlen35 und isolierten Betrachtungsweisen, sondern durch die Untersuchung eines Verhältnisses nachgewiesen werden. Außerdem müsste gezeigt werden, wie diese neuen Machtkonstellationen entstanden sind, wenn nicht durch Krisen oder durch „Gewalt“, also z. B. Krieg.

Die Aufteilung der Welt, so beschreibt es Lenin, geschieht nach Kapital und Macht. (LW 22, S. 257) Diese Verteilung verändert sich und ob diese nun ökonomische Verschiebungen sind oder durch militärische Mittel gelöst werden müssen, ist eine konkrete Frage. An dieser konkreten Stelle beschäftigt sich Lenin mit den falschen Vorstellungen von Kautsky und anderen bürgerlichen Denkern, die davon ausgehen, dass die Monopolisierung zu mehr Frieden führen kann, weil dann alles schon in einer Hand ist. Lenin geht es an dieser Stelle darum, den weiterhin bestehenden Kampf zwischen den Monopolkapitalisten, um die Aufteilung der Welt zu erklären. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass sich die Macht verschieben kann. Der Punkt ist, dass diese Verschiebung sich anhand von Kapital und Macht konkret zeigen lassen muss.

Eine Entwicklung, die einen Machtwechsel und nicht nur eine Machtverschiebung sein soll, aber nicht gewaltsam vor sich geht, kann nicht auf Lenins Aussagen gestützt werden. Zur Veranschaulichung sei am Beispiel Chinas erklärt, dass es nicht ausreicht zu sagen, dass es das unbedingte Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung gäbe und deshalb auch China jetzt im Club der Räuber sei. Stattdessen müsste die konkrete Verflechtung der chinesischen Monopole mit dem internationalen Kapital nachgewiesen werden, um zu zeigen, dass es sich hier um weltbeherrschende Monopole handelt und nicht einfach um ein bestimmtes Marktsegment (Konsumindustrie, Landwirtschaft, Rohstoffe…) an der Spitze der Produzenten.

Dieser Teil der Textanalyse ist wenig ertragreich. Denn die Argumentation, auf die sich hier bezogen wird, nimmt zwar das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung als Stütze für die eigene Position, aber bezieht nur die Aspekte ein, die für ihre Argumentation nützlich sind, nämlich die Tatsache, dass es eine ungleichmäßige Entwicklung gibt und diese zur Veränderung von Machtkonstellationen führt. Wie aber diese Veränderungen von statten gehen, wie die Gegenkräfte sind und unter welchen Bedingungen solche Veränderungen denkbar sind und – nicht weniger wichtig – wie die Veränderungen im Verhältnis zum internationalen Machtgefüge zu bewerten sind, alle diese Fragen bleiben unbeachtet und unbeantwortet.

Gegenprobe III: Entwicklungstendenzen in der imperialistischen Epoche des Kapitalismus – und die Gegenkräfte

Aussagen, die in irgendeiner Weise Tendenzen beschreiben wurden in die Gegenprobe aufgenommen um feststellen zu können, ob Lenin Aussagen über die Entwicklungstendenzen des Imperialismus macht, die möglicherweise so verstanden werden können, wie die Neuinterpretationen nahelegen, also z. B. in die Richtung eher gegenseitiger statt einseitiger Abhängigkeit oder in Richtung weniger nationaler Unterdrückung. Tatsächlich muss festgestellt werden, dass Lenin Tendenzen eher zur Verschärfung dieser Verhältnisse beschreibt und nicht mögliche Einebnungen der Verhältnisse und auch keine gegenläufigen Tendenzen, außer wenn es um die Krisen und um den Kampf für Sozialismus geht.

Folgende explizite Aussagen, die etwas über Tendenzen im imperialistischen Stadium des Kapitalismus aussagen, konnten ausfindig gemacht werden. Hier mit einer Auswahl von Belegstellen:

  • Tendenz zur Verschärfung des Widerspruchs zwischen Vergesellschaftung der Produktion und Aneignung durch immer weniger private ‚Hände‘ (S. 209/210)
  • Verstärkung und Beschleunigung der Kapitalkonzentration durch Bankmonopole (S. 218) und Entstehung des Finanzkapitals
  • Tendenzielle Zuspitzung der innerimperialistischen Widersprüche: z. B. durch den (tendenziell) verschärften Kampf um Rohstoffe (z. B. S. 265) und tendenzielle Konzentration der Macht in immer weniger Hände (S. 276)
  • Tendenzielle Verschärfung der nationalen Unterdrückung (S. 302/303; S. 305)
  • Tendenz zur Fäulnis (S. 280/281; S. 305)

Die Auseinandersetzung mit der Frage der Tendenzen ist durchaus ergiebig, kann aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht ausgeweitet werden. Diese sollte als eigene Fragestellung aufgenommen und bearbeitet werden. Dabei sollte es um die Frage der Bewegungsgesetze des Imperialismus und um ihre unvermeidliche Richtung gehen, die eben nur durch den Krieg oder durch Sozialismus negiert werden kann.

Ausblick

Die erste Feststellung dieses bescheidenen Aufschlages ist, dass diese Arbeit nicht mehr als nur ein Aufschlag sein kann. Der Versuch mit dem Instrument der Textanalyse bestimmte Fragen an den Text schärfer zu beantworten, war insofern befriedigend, weil er erstens eine gewisse Bestätigung der eigenen Annahmen bezüglich Lenins Aussagen als Ergebnis hatte. Zweitens aber, und das ist viel wichtiger: diese Art Beschäftigung mit dem Text hat – zumindest meinen – Horizont für einige weitere Fragen eröffnet. Wie verhält es sich mit der dialektischen Logik in Lenins Imperialismusschrift? Warum findet sich zu dieser Frage nur sehr wenig auf deutscher Sprache? In der Sowjetunion gab es zwar eine ähnliche Arbeit zum ‚Kapital‘ von Karl Marx36, jedoch keine intensive Auseinandersetzung damit.

Überhaupt ist die Frage, ob eine solche Auseinandersetzung mit der Frage der Methode und dem tieferen Verständnis der Grundlagen für die Untersuchung der Wirklichkeit zu unterschätzen ist und inwiefern die Bewegung heute das entsprechende Werkzeug besitzt, um diese Arbeit fortzusetzen. Hier gibt es offensichtlich noch viel zu tun.

Fest steht jedenfalls, dass diese Analyse nur sehr begrenzt war und sein konnte. Jetzt nach der Ausformulierung des (Zwischen-)Standes, bleibt das Gefühl, dass die Arbeit noch nicht beendet ist, sondern erst begonnen hat.

Zum Beispiel wäre es sehr wichtig die Gesamtstruktur noch einmal genauer zu analysieren und dessen Implikationen besser zu verstehen. Die Entfaltung des Begriffs des Monopols als eine konkrete Abstraktion sollte auch genauer analysiert werden, und zwar mit Beachtung der Frage, welche Rolle die Darstellungsweise spielt. Um die Darstellung besser zu verstehen, wäre eine Veranschaulichung der verschiedenen Ebenen sehr hilfreich.

Außerdem wurde die Widerspruchslogik im Laufe der Arbeit immer deutlicher. Offensichtlich ist auch die in der politischen Praxis notwendige Auseinandersetzung gerade mit diesen Widersprüchen, wie z. B. mit den Widersprüchen nationale Befreiung und Imperialismus bzw. Arbeiterklasseund Imperialismus. Lenin selbst hatte sich hiermit schon auseinandersetzen müssen und wir haben heute die Aufgabe, uns diese Erfahrungen anzueignen, um die laufenden Kämpfe, unter wohlweislich anderen Bedingungen (Niederlage des Sozialismus, Veränderungen im imperialistischen Lager, aber auch vor sich gehende Befreiungsbewegungen…) erst zu verstehen, um uns dann involvieren zu können.

Dies sind nur Hinweise auf mögliche weitere Arbeiten. Was die politische Dimension der Arbeit angeht, ist folgendes zu sagen: eigentlich hätte es vielleicht für die Widerlegung der offensichtlich falschen Referenzen auf Lenin keine Textanalyse gebraucht. Jedoch ist es für die Diskussion erst einmal hilfreich, denn es kann jetzt zumindest mit Sicherheit gesagt werden, dass hier Scharlatanerie im Spiel ist, wenn sich heute Apologeten des Imperialismus zwecks Einebnung der Herrschaftsverhältnisse auf Lenin beziehen und im schlimmsten Falle dabei ihrem eigenen imperialistischen Land einen Dienst erweisen.

Kam inmitten des Ersten Weltkrieges den Kommunisten die Aufgabe zu nachzuweisen, dass es sich bei diesem Krieg um einen allseitig imperialistischen Krieg handelte, so kommt es heute darauf an, nachzuweisen, dass es heute um die Unterwerfung von Ländern und Regionen geht, die sich den Fesseln des Imperialismus zu entwinden versuchen. Hier ist der Widerspruch zwischen imperialistischer Erdrosselung und nationaler Befreiung auf der Tagesordnung und das haben Lenin und Hilferding richtig vorausgesehen37.

Völlig zu ignorieren, dass ein Land wie die Russische Föderation nach dem Kollaps und der Niederlage der Sowjetunion (SU), sofort zur vogelfreien Beute der imperialistischen Mächte wurde und werden musste – das ist die Voraussetzung dafür, dass man die weitere Entwicklung nicht auf Grundlage dieser Voraussetzung, dieser Bedingungen versteht, sondern weiterhin blind und borniert von den verbrecherischen Feldzügen der eigenen Imperialisten ablenkt. Ein Land wie Russland soll unter den Bedingungen der Unterwerfung nach 1991 und im Umfeld eines siegreichen Imperialismus (gegen die SU) innerhalb kürzester Zeit zu einem imperialistischen Land aufgestiegen sein. Dieser Gedanke selbst zeugt davon, wie wenig die Vertreter solcher Positionen den allgemeinverständlichen kurzen Abriss von Lenin verstanden haben. Schon die Existenz solcher Positionen innerhalb der Bewegung ist Rechtfertigung genug, sich eingehend mit der Imperialismusschrift zu befassen.

Zum Schluss: Geschichte wiederholt sich nicht. Damals war es der Vorwand der „Vaterlandsverteidigung“, heute ist es der Vorwand gegen die „Vaterlandsverteidigung“, – der Russischen Föderation wohlgemerkt –, um nicht dem eigenen Imperialismus in den Rücken zu fallen. Und der rote Faden der Geschichte bleibt dennoch: Damals wie heute geht es darum, den Betrug aufzudecken, egal unter welchem Deckmantel er erscheint und kompromisslos auf der Seite der Unterdrückten und Verdammten dieser Erde zu stehen. Wer das tut, setzt das Werk Lenins fort und an dieser Stelle lohnt es sich, mit einem längeren Zitat von Lenin zu enden:

„Der Imperialismus ist die fortschreitende Unterdrückung der Nationen der Welt durch eine Handvoll Großmächte. Er ist die Epoche der Kriege zwischen ihnen um die Erweiterung und Festigung der nationalen Unterdrückung. Er ist die Epoche des Betruges an den Volksmassen durch die heuchlerischen Sozialpatrioten, d. h. durch die Leute, die unter dem Vorwand der „Freiheit der Nationen“, „des Selbstbestimmungsrechts der Nationen“, der „Vaterlandsverteidigung“ die Unterdrückung der Mehrheit der Nationen der Welt durch die Großmächte rechtfertigen und verteidigen. Eben deshalb muß die Einteilung der Nationen in unterdrückende und unterdrückte den Zentralpunkt in den sozialdemokratischen Programmen bilden, da diese Einteilung das Wesen des Imperialismus ausmacht und von den Sozialpatrioten, Kautsky inbegriffen, verlogenerweise umgangen wird. Diese Einteilung ist nicht wesentlich vom Standpunkt des bürgerlichen Pazifismus oder der kleinbürgerlichen Utopie der friedlichen Konkurrenz der unabhängigen Nationen unter dem Kapitalismus, aber sie ist eben das Wesentlichste vom Standpunkt des revolutionären Kampfes gegen den Imperialismus.“ (LW 21, S. 416)38

Literatur

Kumpf, Fritz: Probleme der Dialektik in Lenins Imperialismus-Analyse, eine Studie zur dialektischen Logik, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1968

Lenin, Wladimir Iljitsch: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Gemeinverständlicher Abriss, In: Leninwerke, Band 22, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971. Im Text zitiert mit LW 22 + Seitenzahl.

Lenin, Wladimir Iljitsch: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, In: Leninwerke, Band 21, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971

Lenin, Wladimir Iljitsch, Das revolutionäre Proletariat und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, 1915, In: Leninwerke, Band 21, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971

Nkrumah, Kwame: Neo-Colonialism, The Last Stage of Imperialism, PANAF Books 1970.

Smith, John: Imperialism in the Twenty-First Century, Globalization, Super-Exploitation and Capitalism’s Final Crisis, Monthly Review Press, New York, 2016.

Vazjulin, Viktor A.: Die Logik des „Kapitals“ von Karl Marx, Aus dem Russischen von Gudrun Havemann, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2006.

1 Ob und in welchem Maße angesichts der Passivität, der schreienden Ruhe und Desorientiertheit hier von „Bewegung“ gesprochen werden kann, soll hier unbeachtet bleiben.

2 Pazifistisch in dem Sinne, dass man gegen den Krieg ist, aber pro-imperialistisch, weil man das gleiche Narrativ eines ‚imperialistischen Angriffskrieges‘ und damit die Propaganda der eigenen Imperialisten verbreitet.

3 Lenin, Wladimir Iljitsch: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Gemeinverständlicher Abriss, In: Leninwerke, Band 22, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971. Im Text zitiert mit LW 22 + Seitenzahl.

4 Siehe Vertreter der SKP 2022: https://kommunistische-organisation.de/podcast/podcast-22-podcast-mit-andreas-soerensen-von-der-skp/ Dieser steht nur beispielhaft, wenn auch besonders plastisch, für eine ganze Reihe kommunistischer Parteien und Organisationen, die sich einem vermeintlich revolutionären Pol zuordnen und den Imperialismus in seiner heutigen Brutalität relativieren.

5 Siehe Spanidis: Die Bourgeoisie im imperialistischen Weltsystem | Kommunistische Partei

6 Empfehlung: Nkrumah, Kwame: Neo-Colonialism, The Last Stage of Imperialism, PANAF Books 1970.

7 https://www.mlpd.de/broschueren/der-ukrainekrieg-und-die-offene-krise-des-imperialistischen-weltsystems/der-ukrainekrieg-und-die-offene-krise-des-imperialistischen-weltsystems

8 https://www.marx21.de/marx21-pocket-edition-der-krieg-um-die-ukraine-imperialismus-heute/

9 https://monthlyreview.org/2024/11/01/the-new-denial-of-imperialism-on-the-left/

10 Ebenda.

11 Eine Zusammenstellung der Positionen der KKE finden sich hier: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/imperialismus-krieg-und-die-kommunistische-bewegung/ und hier: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/dossier-die-kontroverse-zwischen-kke-kprf-und-rkap/

Mit jeweils entsprechenden Referenzen.

12 Die Debatte verlief nicht ohne komische Züge: die Protagonisten dieser Position ruderten insofern zurück, dass sie davon Abstand nahmen, dass es überhaupt Sinn mache, Imperialismus adjektivisch zu benutzen. Vielmehr seien alle Länder in einem imperialistischen Weltsystem eingebettet, was an sich niemand bestreiten würde. Eine Aussage, die so ziemlich nichts aussagt und diffuser nicht sein kann. Siehe dazu beispielhaft: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/russlands-imperialistischer-krieg/

13 Ob schriftlich oder mündlich spielt keine Rolle. Das Wichtigste ist jedoch, dass ein Text eine kommunikative Funktion hat. Etwas nur Gedachtes ist noch kein Text. Erst, wenn der Gedanke sich mitteilt, dann findet ein Formwandel statt und er wird zu einem Text.

14 Das heißt natürlich nicht, dass es nicht möglich ist, die Klassenschranken durch bewusste Reflexion und vor allem durch Handlungen zu durchbrechen.

15 Es hat sich eingebürgert von Text-Analyse zu sprechen, auch wenn diese Bezeichnung nur die eine Seite der Arbeit bezeichnet. Eigentlich wäre die Bezeichnung der ‚Exegese‘ richtiger. Jedoch wird durch die vor allem in der Theologie angewandte Bezeichnung die Vermittlung dieser eigentlichen richtigen Bezeichnung nicht einfacher. Der Einfachheit halber wird hier von Textanalyse gesprochen.

16 Dieser Anspruch, der Anspruch der Objektivität, kann nur als Anstrengung verstanden werden, ein Versuch, den Text so weit wie möglich objektiv zu verstehen.

17 D.h., dass untersucht wurde, inwiefern diese Begriffe in einer kohärenten Weise in Satz und Satzkontexte und Bedeutungssphären eingebaut sind, sodass sich ihre Bedeutung also nicht wandelt oder sogar widerspricht (Inkohärenz).

18 Mit „Weisen“ sind hier vor allem Ebenen der Abstraktion, Zuordnungen (wie z. B. Instrumente) oder grammatikalische Formen gemeint. Dabei sind „Weisen“ eher reduktionistisch als Form bzw. Vorkommnis zu verstehen und weniger als Sinnzusammenhänge oder Bedeutung. Es geht lediglich darum, die tatsächlichen Vorkommnisse im Text zunächst zu erfassen. Welche Bedeutung ihnen zukommt oder in welchem Sinnzusammenhang diese Formen eine bzw. eine weitere Bedeutung erhalten, ist erst nach der Untersuchung der Form feststellbar. Der Text gibt die erfassten Formen („Weisen“) selbst vor. In folgenden Weisen wurden die Vorkommnisse ‚Monopol‘ festgestellt: Metaebene und Abstraktion /Erscheinungsformen/Wortverknüpfungen/Konkreta/Instrumente/Als Adjektiv/ Mit Adjektiv. [ich kann hier keinen Kommentar setzen: Die Aussage, der Text gebe die Formen vor, stimmt ja nur bedingt. Er legt bestimmte, einzelne und konkrete, Vorkommnisse vor. Die Kategorisierung, die du vornimmst, passiert durch dich und sollte irgendwie begründet sein. Zumal einmal morphosyntaktische/formale Merkmale und ein andermal inhaltliche Kategorien gesetzt werden, die sich ja keineswegs im vornherein gegenseitig ausschließen bzw. formal-logisch voneinander abgrenzen lassen]

19 Es wird hoffentlich im Laufe der vorliegenden Arbeit klar, dass es erstens eine solche empirische Lesart gibt und zweitens, dass das eine falsche Lesart ist. Dabei ist nicht die Frage, ob diejenigen, die eine empirische Lesart haben, nicht auch grundsätzliche Aussagen aus der Imperialismusschrift herausfiltern, sondern inwiefern ihre Schlussfolgerungen darauf schließen lassen, dass sie letztlich die wesentlichen Aussagen gegenüber den empirischen Darlegungen depriorisieren. Besonders anschaulich ist eine solche Lesart, die die Kernbedeutung des Begriffs ‚Monopol‘ nämlich ‚Einseitigkeit‘ ablehnt und überall in den unterschiedlichen Nationen „Monopole“ im Sinne von „großen Konzernen“ sucht, um sie als Marker für die Teilnahme am imperialistischen System zu identifizieren.

20 Sowohl Griechisch als auch Latein: Allein-Verkauf oder Allein-Handel

21 Am deutlichsten wird das anhand des Beteiligungssystems erklärt.

22 S. 280 Monopol als „tiefste ökonomische Grundlage des Imperialismus“ / siehe auch LW 23, Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus, Oktober 1916, „Das Monopol ist der ökonomische Grundzug, das Wesen des Imperialismus“.

23 Wie Kumpf sagt, Begriff hier verstanden als konkrete Abstraktion.

24 Siehe dazu Kumpf 1968, S. 134 ff: Die Rolle des Widerspruchs im Prozeß des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten.

25 Es gibt hier keinen Platz, um auf diese absurde These in der Weise einzugehen, die angemessen wäre. Dass durch die nationalen Befreiungskämpfe die Phase des Neokolonialismus eingeleitet wurde und Lenins These, dass sich die nationale Unterdrückung noch massiv verschärft hat und keineswegs beendet wurde, scheint manchen völlig unbekannt zu sein. An anderer Stelle müsste eine intensive Auseinandersetzung auch mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Neokolonialismus (siehe z. B. Kwame Nkrumah) und dessen Rezeption in den sozialistischen Ländern stattfinden.

26 Welche Rolle in diesem Zusammenhang die Klassenwidersprüche in den unterdrückten Ländern spielen, darauf wird noch an anderer Stelle einzugehen sein. Das ist aber auch wirklich keine neue Frage, sondern beschäftigt seit Anbeginn die Köpfe des Antiimperialismus. Klar ist mittlerweile, dass die Unfähigkeit sich diesen Widersprüchen in all ihren konkreten und sehr komplexen Kampfbedingungen zu stellen, Parteien wie die KKE und anderen in die Falle der ideologischen Abweichung geführt hat. Man biegt sich lieber die Machtverhältnisse so zurecht und vereinfacht sie so: es gibt nur noch den Widerspruch zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie in den jeweiligen Nationen, alles andere ist zwischenimperialistischer Krieg, also muss jeder nur noch in seiner Nation schauen, dass er die Arbeiterklasse organisiert.

27 Wörter, die in verschiedenen Weisen das Wort „abhängig“ beinhalten, dienten zur Identifizierung aller möglichen Textstellen, die sich mit „Abhängigkeit“ im weitesten Sinne befassen. Es wurden aber auch andere Textstellen herangezogen und der Gesamtkontext entsprechend den Methoden der Textanalyse als Korrektur einbezogen.

28 Milo Barus hat sich schon mit dieser Fehlinterpretation an anderer Stelle befasst: https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/lenin-und-das-imperialistische-weltsystem/

29 LW 22, S.284, Zitat von Hobson

30 LW 21, S.342-346

31 siehe https://kommunistischepartei.de/diskussion-imperialismus/zur-verteidigung-der-programmatischen-thesen-der-ko/#Beherrscht

32 Eigentlich müsste man bei dem Aufholversuch von nicht-imperialistischen Ländern von sprunghaften Aufwärtsbewegungen der Ökonomie ausgehen, sonst bewegt man sich in äußerst unrealistischen Fantasievorstellungen.

33 Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, LW 21, S. 344–346

34 https://kommunistische-organisation.de/artikel/imperialismus-multipolare-weltordnung-und-nationale-befreiung/

35 BIP (Bruttoinlandsprodukt) siehe dazu Smith, John: Imperialism in the Twenty-First Century, Globalization, Super-Exploitation and Capitalism’s Final Crisis, Monthly Review Press, New York, 2016. Im Kapitel “The GDP-Illusion” erklärt John Smith ausführlich, warum es keinen Sinn macht, diese Kennzahl für die Identifizierung von Entwicklung und Macht zu verwenden.

36 Vazjulin, Viktor A.: Die Logik des „Kapitals“ von Karl Marx, Aus dem Russischen von Gudrun Havemann, Books on Demand GmbH, Norderstedt 2006.

37 LW 22, S. 302/303.

38 Lenin, Wladimir Iljitsch, Das revolutionäre Proletariat und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, 1915, In: Leninwerke, Band 21, Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Dietz Verlag Berlin 1971.

Deklaration des Interforum – Antifaschistisches Forum Donbass

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In diesem Monat fand in Lugansk das „Antifaschistische Forum Donbass“ statt. An diesem Treffen nahmen Antifaschisten aus ganz Europa teil. Das Forum stellte die Bedeutung faschistischer Kräfte für die Fortsetzung der imperialistischen Herrschaft in den Vordergrund. und benennt die Trump-Regierung und die europäische Rechte als wichtige Akteure der Kriegsvorbereitung gegen Russland, Fortsetzung des Genozids in Palästina und Ausplünderung der Welt. Wir spiegeln hier die Deklaration des Forums im Wortlaut.

Am 9. Mai jährt sich zum 80. Mal der große Sieg der Sowjetunion über Hitlerdeutschland. Fast ein ganzes Jahrhundert liegt zwischen uns und den Ereignissen dieser Zeit, und doch sehen wir erst jetzt, welche kolossalen Auswirkungen sie immer noch auf die ganze Welt haben.

Der Zweite Weltkrieg begann nicht „einfach so“. Er kam nicht aus heiterem Himmel. Er wurde durch ein Geflecht von Widersprüchen in der internationalen Politik ausgelöst, die man mit Hilfe eines Krieges zu lösen versuchte. Die Gründe, die vor mehr als 80 Jahren die Welt in Anhänger nationalsozialistischer und antifaschistischer Ideen spalteten, bestehen auch heute noch. Westliche Konzerne und das Finanzkapital, die jahrelang Hitler bewaffneten, schufen eine kampffähige Armee, um sie gegen denjenigen zu richten, von dem sie sich bedroht fühlten: die Sowjetunion.

Heute sehen wir eine Wiederholung der Welttragödie, die sich in den 1930er und 1940er Jahren abgespielt hat. Der westliche Imperialismus hat bereits mit seiner Aggression gegen diejenigen begonnen, die mit der US-amerikanisch geprägten Weltordnung nicht einverstanden sind. Er ist dabei, eine schlagkräftige Faust gegen jene Völker und Länder aufzubauen, die versuchen, eine unabhängige und souveräne Politik zu verfolgen. Gegen Russland, China, Nordkorea, Kuba, den Iran, Venezuela, Nicaragua und viele andere. Unter dieser Faust versammeln sich ukrainische Faschisten, israelische Zionisten, afrikanische und nahöstliche Dschihadisten sowie lateinamerikanische „Todesschwadronen“.

Diese vielschichtige „Internationale“ des neuen Faschismus, die ihren „Kreuzzug“ gegen die Völker dieses Planeten bereits begonnen hat, hat das transnationale Finanzkapital als Auftraggeber zum Sponsor. Heute ändert diese „schwarze Internationale“ ihre Führung – anstelle der gescheiterten Liberalen bekommt sie harte, zynische und aggressive Führer in Form der neuen rechten US-Regierung unter Donald Trump und dem Multimilliardär Elon Musk, der die Hand zum Nazigruß hebt.

Die neue Führung in Washington hat es bereits geschafft, Anspruch auf den Panamakanal zu erheben, den argentinischen neoliberalen Faschisten Javier Milei und die europäische extreme Rechte zu unterstützen, neue Sanktionen gegen Russland und einen Krieg gegen den Iran anzudrohen und den israelischen Völkermord in Gaza zu bekräftigen.

Die Aggression des Westens gegenüber den Völkern der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere gegen Russland, die 2014 durch das faschistische Regime in Kiew eingeleitet worden ist, war der Schlüsselpunkt für die Wende der Politik des westlichen Imperialismus in Richtung Militarisierung, Reaktion und Vorbereitung auf einen großen Krieg. Wir sind überzeugt, dass hier auch das Feuer des Widerstands gegen den Imperialismus und den neuen Faschismus entfacht werden muss.

Die ersten Funken dieses Widerstands sind der heldenhafte Kampf des Donbass gegen den ukrainischen Nazismus, der durch die Militärische Sonderoperation Russlands fortgesetzt wird. Wir betonen, dass dies keine isolierte oder regionale Situation ist – sie ist Teil des weltweiten Kampfes gegen die USA, die NATO, die Europäische Union und andere Kräfte und Organisationen der imperialistischen Hegemonie. Das Ziel unserer Feinde ist dasselbe wie vor über 80 Jahren – die Inbesitznahme und Unterwerfung der Märkte, der natürlichen und menschlichen Ressourcen des Planeten, die Zerstörung einer Alternative zur bestehenden Weltordnung, welche damals die UdSSR war und heute eine Reihe von Ländern, die sich der unipolaren, US-amerikanisch zentrierten Welt widersetzen.

Nur eine gemeinsame Front der internationalen antifaschistischen und antiimperialistischen Solidarität der Völker kann dem Rechtsruck der Reaktion und dem neuen Faschismus, der sich jetzt im Westen abspielt, widerstehen. Unser Forum ist dazu aufgerufen, einer der Kristallisationspunkte dieses Widerstands zu werden.

Wir rufen alle, die unsere Besorgnis über die Zunahme faschistischer Tendenzen in der Gesellschaft teilen, dazu auf, nicht zu schweigen, sondern offen und lautstark ihren Standpunkt zu vertreten!

Wir rufen dazu auf, am achtzigsten Jahrestag des Großen Sieges das Andenken an die antifaschistischen Helden in allen Ländern zu ehren, in denen die Menschen den Weg des Kampfes gegen die braune Pest gegangen sind: Die Helden der ELAS in Griechenland, die Antifaschisten der Volksbefreiungsarmee Jugoslawiens, die Teilnehmer am Aufstand im Warschauer Ghetto und die Partisanen der Armia Ludowa in Polen, die Garibaldi-Brigaden und die Matteotti-Brigaden in Italien, die Kameraden von Ernst Thälmann in Deutschland, die Tausenden von Widerstandskämpfern im Untergrund in Frankreich, Spanien, Österreich, Rumänien und anderen Ländern!

Wir rufen dazu auf, schon heute Kontakte zu Gleichgesinnten aufzubauen und zu stärken, denn morgen steht uns allen ein schwerer Kampf bevor, auf den wir uns jetzt vorbereiten müssen!

Für internationale Solidarität und gemeinsame Aktionen gegen Faschismus und Imperialismus!

Verbote und der Kampf um Grundrechte

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Seit November 2023 nehmen die Verbote von Vereinen und Vereinigungen zu, insbesondere in der Palästina-Solidaritäts-Bewegung. Gleichzeitig steigen die Verfahren wegen „Volksverhetzung“ oder „Billigung von Straftaten“ massiv an – meist im Kontext der Palästina-Solidarität, aber auch wenn andere Positionen zum Ukrainekrieg vertreten werden als die der Bundesregierung. Es ist klar: Mit der Kriegspolitik kommen die Verbote

Viele Organisationen, auch wir als KO, sind im Visier des Inlandsgeheimdienstes und des Innenministeriums. Wir werden insbesondere wegen unserer Arbeit in der Palästina-Soli-Bewegung erwähnt. Der „Verfassungsschutzbericht“  ist keine neutrale Berichterstattung, sondern eine Markierung der Positionen und Organisationen, die kriminalisiert werden sollen. Sie dienen damit auch immer der Spaltung. Die ins Visier Genommenen sollen isoliert und innerhalb der Bewegung und Gesellschaft ausgeschlossen werden. Dazu dienen bestimmte Unterstellungen und Narrative wie zum Beispiel, dass die Bewegung „unterwandert“ werden würde. Vor diesem Hintergrund wollen wir in der Artikelreihe verschiedene Fragen behandeln: Warum ist der Kampf um Grundrechte notwendig? Welche Schlussfolgerungen können wir aus den vergangenen Verbote ziehen? Und wie sollten wir mit potentiellen zukünftigen Verboten umgehen?  

Der erste Artikel von Klara Bina reflektiert die Bedeutung des Kampfes für Grundrechte vor dem Hintergrund romantischer Vorstellungen des Klassenkampfs und im Kontext der Widersprüche der bürgerlichen Herrschaft. Diese Widersprüche führen zu Problemen sowohl für die Arbeiterklasse und ihren Kampf, als auch für die bürgerliche Klasse und der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft. Der Text will eine Lanze für die „kleinen“ Kämpfe um Grundrechte brechen und benennt eine Lücke in der Diskussion der KO (und darüber hinaus): Es fehlt ein Verständnis für die Entstehung von Klassenbewusstsein im Kontext der historisch konkreten Klassenherrschaft. 

Verbote und der Kampf um Grundrechte – Teil 1

Ein Plädoyer dafür, den Kampf für Grundrechte im Kontext der Widersprüche der Klassenherrschaft zu verstehen 

von Klara Bina  

Internationale Umbrüche sorgen für gesellschaftliche Eruptionen, die der Klassenfeind ausnutzt. Dabei werden die Interessen der Arbeiterklasse tiefgreifend angegriffen. Die ökonomischen Existenzbedingungen werden z.B. mit Angriffen auf Bürgergeld und Arbeitsrechte in Deutschland infrage gestellt, es gibt Kürzungen öffentlicher Mittel für Bildung und Erziehung. Die Grundrechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden beschnitten. Daraus ergeben sich für die Arbeiter und kommunistische Bewegung überall – auch in Deutschland – Fragen nach Bedingungen und Methoden des Klassenkampfes.

Lanze brechen für die „kleinen“ Kämpfe

„Kämpfen“ – das geht einigen im innerkommunistischen und innerlinken Diskurs leicht über die Lippen. Im Idealfall ist es der Klassenkampf, der geführt, sogar angeführt werden soll. Vor lauter großnr Ideen revolutionär-kämpferischer Klassenkämpfe bleiben die wirklichen Kämpfe der Klasse häufig auf der Strecke – und damit auch die notwendigen Kämpfe, die geführt werden müssten zur Steigerung des Klassenbewusstseins und der Organisierung der Massen, die wiederum notwendige Bedingungen des Klassenkampfes sind. Für diese relevanten ‚kleinen‘ Kämpfe soll hier eine Lanze gebrochen werden. Dabei nehme ich hier zwar die allgemeine Frage des Klassenkampfes als Ausgangspunkt, möchte mich aber dann zügig auf die Frage des Kampfes um Grundrechte fokussieren, um ihre aktuelle Relevanz in der BRD zu demonstrieren.

Ökonomismus und Romantik

Im Rahmen der Diskussionen um den politischen Beschluss zur Massenarbeit führte die KO im Vorlauf ihrer zweiten Vollversammlung eine Diskussion über die Frage, was eigentlich Klassenkampf bedeutet und ob alle Kämpfe der Klasse schon Klassenkampf seien. Insbesondere war die Verengung auf eine ökonomistische Sichtweise Gegenstand der Diskussion (hier ein Beitrag von mir, unter dem Stichwort „Massenarbeit“ sind weitere Beiträge zu finden). Kämpfe um Grundrechte fanden damals weniger Beachtung. Bemerkenswert ist eine gegenläufige politische Bewertung, wenn es um „kleine“ ökonomische Kämpfe einerseits und gleichermaßen „kleine“ Grundrechtskämpfe andererseits geht. Bei ökonomischen Kämpfen neigt die Mehrheit in der Bewegung dazu, diese recht schnell zu überhöhen, bei Grundrechtskämpfen, die teilweise sogar größere gesellschaftliche Relevanz haben, diese herunterzuspielen und als illusionäre Kämpfe zu bezeichnen. Dahinter liegen unterschiedliche unzulängliche Betrachtungsweisen, romantische Vorstellungen vom Betriebskampf und auch ein Mangel an Kampferfahrungen, die kollektiv diskutiert und vermittelt sind und sich entsprechend kaum in lebendige Diskurse, inhaltliche Auseinandersetzungen und begründeten Überzeugungen übersetzen. Inwiefern aber diese Vorstellungen mangelhaft sind, soll hier kurz angedeutet werden, in der Hoffnung, dass sich eine lebendige Diskussion um diese Fragen entspinnen lässt.

Romantik, Ungeduld und Opportunismus

Die Überhöhung ökonomischer Kämpfe1, vor allem der Betriebskämpfe, resultiert aus unterschiedlichen Quellen. Die Rolle der Industriearbeiterklasse aufgrund ihrer ökonomischen Macht wird zwar richtig erkannt, aber schablonenhaft angewendet und die konkreten historischen, nationalen und politischen Zusammenhänge ignoriert. Hinzu kommt als zweite Quelle die Bequemlichkeit in der Anwendung, wie wir sie auch in der Imperialismusfrage sehen. Der Arbeiter im Betrieb als der Prototyp des Klassenkampfes, dessen starker Arm es anders wollen soll als die verweichlichte Mittelklasse es je könnte. Solche Bilder lassen die Herzen der Revolutionäre höherschlagen und schneller als sie denken, tappen sie in die Falle der Sozialdemokratie. Schließlich die dritte Quelle: Die romantische Verklärung des Arbeiters an der Maschine in einer hochindustriellen, vor Produktivität strotzenden imperialistischen Metropole. Wie schnell hier die revolutionäre Romantik in Ungeduld umschlagen kann, davon ist die Geschichte der Betriebskämpfe prall gefüllt. Nicht selten schlägt der Ökonomismus in der Analyse entweder in Rechtsopportunismus oder Linksradikalismus um. Dieser die objektiven Bedingungen ignorierend und auf radikalere Kämpfe orientierend, jener die objektiven Bedingungen verabsolutierend und die kämpfende Arbeiterschaft beschwichtigend.

Eine Lücke, die wir schließen müssen

Im Politischen Beschluss zur Massenarbeit spiegelt sich unsere Diskussion über den Begriff des Klassenkampfes und der Klasse wider. Ein wichtiger Aspekt, der aber meiner Ansicht nach zu kurz kommt und noch einiges an Arbeit von uns abverlangen wird, ist die Frage danach, unter welchen Bedingungen Klassenbewusstsein entsteht und sich entwickelt im Verhältnis zu den gesellschaftlich vermittelten Kampfbedingungen. Diese Schwachstelle des Beschlusses zur Massenarbeit ist eine Leerstelle, die uns auf die Füße fällt, wenn es darum geht, Klassenkämpfe in ihrem jeweils konkreten historisch-gesellschaftlichen Kontext zu begreifen. Was ist damit gemeint?

Die Klassen – tatsächlich beide, die Arbeiterklasse und die herrschende Kapitalistenklasse – sind in einen ökonomisch, politisch und kulturell spezifischen Kontext eingebettet, der ihr Bewusstsein auf mannigfaltige Weise beeinflusst. Dieser historisch entstandene und gesellschaftlich vermittelte Kontext drückt sich in unterschiedlichsten Weisen als Erklärungs- und Legitimationskitt für den Ausbeutungsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaft aus und hält diese an den jeweiligen Verhältnissen gefesselt. Diese (Erklärungs-)Muster können variieren vom Standortdenken bis zum Rassismus oder religiöse und kulturalistische Muster, um nur ein paar sehr offensichtliche zu nennen. Sie können aber auch Sicherheits- und Angstdiskurse beinhalten, die zum Beispiel den Kampf um höhere Löhne als in diesem Moment unwichtiger erscheinen lässt als einen Kampf um eine erhöhte „Sicherheitsinfrastruktur“ oder „Migrationsabwehr“. Zusammenfassend: ohne all die wichtigen Punkte bezüglich des Klassenkampfes im Beschluss zu relativieren, sei hiermit gesagt, dass wir diese Lücke schließen müssten, um genau nicht in die oben beschriebenen Fallen einer Überhöhung des betrieblichen, wie auch Unterschätzung oder Relativierung anderer Kämpfe zu tappen.

Beschränkung der Arbeiterklasse durch Integration

Ein weiterer Aspekt des Kampfes, dem hier besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, wird durch die Verfasstheit der gesellschaftlichen Herrschaft bedingt. Das Augenmerk liegt hier auf der Implikation eines bürgerlich-demokratisch verfassten Rechtsstaates einerseits für die Arbeiterklasse, der Rechte zukommen sollen und andererseits für die Kapitalistenklasse, deren Interessen realisiert werden sollen. Eine solche bürgerlich-demokratische Ordnung produziert auf beiden Seiten für beide Klassen multiple Widersprüche, die sie – die bürgerliche Ordnung bzw. der bürgerliche Staat – in irgendeiner Weise, meist in einer sehr spannungsreichen Weise, unter Kontrolle halten muss.

Für die Arbeiterklasse besteht der Widerspruch hauptsächlich darin, dass sie sich mit jedem weiteren zugestandenen Recht in ihrer eigenen Entwicklung, sowohl hinsichtlich ihres Klassenbewusstseins als auch hinsichtlich der Spielregeln des Kampfes in den unterschiedlichsten Arenen, beschränken muss. Ein hervorragendes Beispiel aus der BRD für diesen Widerspruch bietet das Betriebsverfassungsgesetz. Tatsächlich wirkt sich aber auch in besonderem Maße die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in dieser Weise aus. Ist es erst einmal erlaubt, alles zu sagen, wirkt sich die Normalisierung des radikalen Inhalts, z.B. von radikaler Kapitalismuskritik mehr als Integrationsinstrument auf das Bewusstsein der Massen aus, als dass es den gewünschten Effekt der Steigerung des Klassenbewusstseins hätte. Das ist eine Form, wie sich erkämpfte oder zugestandene Rechte beschränkend auf die Arbeiterklasse auswirken, notwendig auswirken können. Ein demokratisches Klima kann zur Vertiefung der Integration der Arbeiterklasse in die bürgerliche Ordnung führen. Diese Integration ist in hohem Maße im Interesse der bürgerlichen Herrschaft, denn sie dient dazu, Widersprüche zumindest zeitweilig einzuebnen. Das ist die andere Form, in der Rechte als Spielregeln die Denk- und Handlungsfähigkeit der Arbeiterklasse als Klasse beschränken können. Eine affirmative Haltung gegenüber dem Kompromiss, der sich als Ergebnis von Kämpfen z.B. um Versammlungsfreiheit ergibt, entwickelt sich schleichend – bis der Kompromisscharakter kaum noch erkennbar ist. Die im Grundgesetz festgeschriebene Versammlungsfreiheit hat schon einen Kompromisscharakter insofern, dass es dem Staat vorbehalten ist, diese durch Gesetze, z.B. durch Anmeldepflicht, einzuschränken.

Widersprüche als potenzielle Risse

Andererseits der Staat: je stärker er sich als demokratischer und freiheitlicher Staat geriert, umso mehr kristallisiert sich im Bewusstsein seiner Glieder und der unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft der wirkliche Glaube an den Inhalt der Demokratie und der Grundrechte. So gerät der bürgerliche Staat im Verlauf seiner Gesamtgeschichte ständig in Widerspruch zum eigenen Narrativ von Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit. Je länger die Phase einer relativ stabilen bürgerlichen Demokratie dauert, umso blumiger werden die Illusionen und umso fester der Glaube an diese Versprechen.

Das gilt jedoch nicht nur für die Seite der Arbeiterklasse, sondern in hohem Maße für die Seite der bürgerlichen Klasse samt ihrer stets dienlichen Schichten – die zu ihr hinaufschauenden Kleinbürger und die Arbeiteraristokratie. Diese sind die Operatoren der Herrschaftsabsicherung, wenn es um die Realisierung der Interessen der Kapitalistenklasse geht, ob sie nun Ämter bekleiden, wie Richter oder Funktionen ausführen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Institutionen, von Schulen und Universitäten bis zu Gewerkschaften. Auf Dauer geht es aber in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht ohne die Einschränkung eben dieser Grundrechte (dazu sehr empfehlenswert ist der Artikel von Arnold Schölzel in der jungen Welt vom 29.06.24 „Im ‚Kaltstart‘ zum Notstand“). Sogar die imperialistischen Staaten können trotz der Extraprofite, aus denen sie die eigene Arbeiterklasse bestechen, nicht nachhaltig auf Einebnung der Widersprüche orientieren. Die aus Sicht der herrschenden Klasse eigentlich bessere Herrschaftsform der bürgerlichen Demokratie, muss aufgrund externer und interner Widersprüche relativiert oder gar unterminiert werden.

Die Feststellung der Widersprüche, die sich mit einer demokratischen Ordnung für die Kapitalistenklasse ergeben, sollte aber nicht nur zur Skandalisierung und Entlarvung des eigentlich unterdrückerischen und repressiven Charakters der bürgerlichen Herrschaft beitragen. Diese Erkenntnis ist äußerst hilfreich für die verschiedenen Kämpfe der Arbeiterklasse. Sie befähigt uns dazu, die Widersprüche als potentielle Risse in den Reihen der Herrschenden und ihrer Funktionäre zu betrachten und im Sinne der Desintegration der Arbeiterklasse zu nutzen. Um das aber zu tun, müssen diese Widersprüche zur vollen Entfaltung kommen oder in den Kämpfen dazu gebracht werden.

Entlarvung durch gemeinsames Durchfechten

Wenn wir – in den unterschiedlichsten Bereichen – um unsere Grundrechte kämpfen, machen wir nichts anderes als die bürgerliche Klasse entlang ihrer eigenen Versprechen herauszufordern und nutzen dafür im besten Fall alle uns zur Verfügung stehenden Mittel, sowohl juristische als auch propagandistische. Die wirkliche Fratze des kapitalistischen Staates lässt sich nicht einfach durch Erläuterungen entlarven, sie muss on the ground mit den Betroffenen gemeinsam durchfochten herausgefordert und der daraus resultierende Kampf durchgefochten werden. Dabei ist jeder mögliche Ausgang kurz- oder mittelfristig im Sinne der Arbeiterklasse. Im Falle einer erfolgreichen juristischen Auseinandersetzung werden Grundrechte tatsächlich erkämpft, und zwar gegen den Staat bzw. gegen die Exekutive. Im Falle eines negativen Ausgangs wird der repressive Charakter durch Erfahrung bestätigt und kann somit als bewusste Grundlage für die weitere politische Arbeit dienen, sagen wir auf einer höheren Bewusstseinsstufe. Im ersten Fall müssen wir der potenziellen Verstärkung von Illusionen entgegenwirken, wenn z.B. höchstrichterliche Urteile in unserem Sinne gefällt werden sollten. Dann heißt es, nicht dort stehen zu bleiben und die nächsten Herausforderungen anzugehen. Im zweiten Fall sollten wir entsprechend der Möglichkeiten, die uns repressive Maßnahmen lassen, einen kreativen Umgang mit diesen suchen und das Bewusstsein über den Charakter des Staates entlang der gemeinsam gemachten Erfahrung steigern.

Legalismus und Linksradikalismus

Dieser spannungsreiche und widersprüchliche Prozess verlangt von beiden Klassen anstrengende Vermittlungsarbeit ab. Die herrschende Klasse nutzt alle ihr zur Verfügung stehenden ideologischen und sonstigen Mittel zur Beschwichtigung der Massen und vor allem ihrer eigenen Reihen zwecks Legitimierung von Demokratieabbau und Staatsumbau. Dazu müssen Diskussionen und Auseinandersetzungen bis zu einem gewissen Grad zugelassen und Positionen, Fragen und Zweifel austariert werden, bis sich die Meinung der Herrschenden als herrschende Meinung durchsetzen kann.

Auf der Seite der Arbeiterklasse aber sind es unzählige Fallen, in die hineingetappt werden kann, wenn es um die Frage der Verteidigung der Grundrechte geht. Entlang der üblichen Grundausrichtungen, die gewöhnlich als Schattierungen von Legalismus einerseits und Linksradikalismus andererseits auftreten, können der tiefe Glaube an die demokratischen Institutionen, wie die Rechtsprechung, sowie eine Totalablehnung des Kampfes um Grundrechte als illusionär beobachtet werden. Genauso wenig aber wie sich der Klassenfeind aufgrund der Schwierigkeiten der Vermittlungsarbeit davon abhalten lässt, in seinem Sinne und mit größten Anstrengungen diese Arbeit zu leisten, sollten wir das auch tun, in vollem Bewusstsein dessen, dass wir uns noch viel mehr anstrengen müssen.

Abhängen der Massen

Linksradikalismus kann auch verstärkt werden, indem die jeweilige Phase des Kampfes nicht richtig erkannt wird. Vor allem unter dem Eindruck konkreter Kämpfe, die zeitweise eine gewisse Dynamik in der Protestbewegung erzeugen und / oder unter dem Eindruck harter Repression kann eine revolutionäre Situation vermutet werden, obwohl die konkrete Auseinandersetzung noch lange keine gesamtgesellschaftliche Relevanz erlangt hat.

Aus solchen falschen Einschätzungen heraus wird häufig der Kampf um die Grundrechte relativiert und als illusionär und / oder nicht mehr nötig angesehen, da es jetzt nur noch auf die direkte Aktion der Massen ankäme. Solche Fehleinschätzungen können einen defätistischen Fatalismus erzeugen, weil sie letztlich den Kampf nicht in Bahnen lenken, die entsprechend der Bedingungen realistische Ziele anpeilt, sondern ins Leere laufen und meistens demobilisierend auf die Massen wirken, indem diese abgehängt werden.

Anstrengende Vermittlungsarbeit ist angesagt

Soweit sehr allgemein zu den Dynamiken, die die Widersprüche im bürgerlich-demokratisch verfassten kapitalistischen Rechtsstaat erzeugen, wenn die Versprechen der Grundrechte und Demokratie an ihre realen Grenzen kommen, so wie wir es seit der Militäroperation Russlands zuerst und in einem viel verstärkten Maße seit dem 7.Oktober 2023 gegenüber der Palästina-Solidaritätsbewegung beobachten können.

Eine kluge Ausnutzung der Widersprüche auf der Seite der herrschenden Klasse unter Berücksichtigung der Bewusstseinslage der Massen und der objektiven gesellschaftlichen Bedingungen des Kampfes, ist derzeit das meiner Ansicht nach richtige Herangehen im Kampf um unsere Grundrechte.

Wir müssen auch – in der gesamten Bewegung – realisieren, dass offene Diskussionen und gemeinsame und solidarische Anstrengungen im Kontext der Kämpfe gegen Repressionen, von uns als Akteure in der Bewegung organisiert werden müssen. Unter anderem ist genau das mit der anstrengenden Vermittlungsarbeit hinsichtlich der hier aufgeworfenen, bestimmt auch kontroversen, Thesen gemeint. Wir selbst müssen die Orte für die Reflexion dieser Kämpfe und die unterschiedlichen Taktiken und Herangehensweisen schaffen. Dabei spielt die Integration oder mindestens Nutzbarmachung von Akteuren außerhalb der Bewegung, wie z.B. Akademiker, praktizierende Juristen etc., eine wichtige Rolle.

Wir müssen noch etwas realisieren: der Stand des Bewusstseins in der Arbeiterklasse, aber auch in der Bewegung, hinsichtlich des Charakters des imperialistischen Staates und den Erfahrungen im Kampf gegen ihn, sind auf einem sehr niedrigen Niveau und die Auseinandersetzungen um diese Fragen zeichnen sich nicht gerade durch Lebendigkeit aus. Das muss sich ändern und die KO hat die Verantwortung, ihren Beitrag dazu zu leisten.

1 Siehe hierzu meinen Diskussionsbeitrag: https://kommunistische-organisation.de/artikel/den-klassenkampf-nicht-zerlegen-darum-geht-es/