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Unterstützt die Solidaritätskampagne für den Genossen Zaid Abdulnasser!

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Samidoun Deutschland-Koordinator Zaid Abdulnasser und Mitglied der alternativen revolutionären palästinensischen Pfadbewegung wird vom deutschen Staat bedroht, dass ihm als in Syrien geborenem palästinensischen Flüchtling aufgrund seines politischen Engagements bei Samidoun und Masar Badil die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wird.

Angesichts dieses Angriffs haben mehr als 130 internationale Organisationen, Gewerkschaften und politische Parteien ihre absolute Ablehnung der zunehmenden repressiven Maßnahmen Deutschlands gegen palästinensische Flüchtlinge und der Versuche ihres fundamentalen Rechts, für ihre Befreiung und Rückkehr zu kämpfen, zum Ausdruck gebracht.

Wir rufen alle Organisationen dazu auf, sich uns anzuschließen und die Erklärung unter dem folgenden Link zu unterzeichnen:

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSffcsikMQR1lwvPqukzYCQpCzSZwLy28RXY8tYdGNxzlgugOA/viewform

Um die juristische Verteidigung von Zaid und anderen Palästinensern in Deutschland, die für ihre Palästina-Arbeit unter den repressiven Maßnahmen des Staates leiden, finanziell zu unterstützen, können Sie eine Spende auf das folgende Konto einzahlen:

Name: Rote Hilfe e.V.
IBAN: DE55 4306 0967 4007 2383 17
BIC: GENODEM1GLS
Hinweis: Palaestina gegen Repression

Wir, im Samidoun Palestinian Prisoners Solidarity Network, erklären, dass alle Angriffe gegen uns durch die zionistische Besatzung, ihre Organisationen im Ausland und durch westliche Länder und Medien nichts an unserer absoluten Verpflichtung zur Verteidigung und Unterstützung der palästinensischen Gefangenenbewegung und zum Kampf für die Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer geändert haben und ändern können.

Es folgt die Erklärung, die von mehr als 130 Organisationen weltweit unterzeichnet wurde:

Internationale Kampagne gegen anti-palästinensische Repression in Deutschland

Wir, die unterzeichnenden Organisationen, erklären unsere Ablehnung und Empörung über die Repression des deutschen Staates gegen Palästinenser und palästinensische Organisierung in Deutschland, angefangen beim Verbot von Demonstrationen zum Nakba-Tag in den Jahren 2022 und 2023, dem Verbot von Demonstrationen zum Internationalen Tag der palästinensischen Gefangenen im Jahr 2023, der Verfolgung von Journalisten, Jugendlichen und Studenten wegen ihrer pro-palästinensischen Ansichten und ihres Aktivismus bis hin zum jüngsten Versuch, dem Koordinator von Samidoun Deutschland, Zaid Abdulnasser, einem in Syrien geborenen palästinensischen Flüchtling, die Aufenthaltsgenehmigung zu entziehen.

Diese Aggression zielt auf alle palästinensischen Flüchtlinge mit dem Versuch, sie ihres Rechts zu berauben, für ihre Befreiung zu kämpfen, indem man das Rechtssystem als Hebel gegen ihre prekäre Situation nutzt, um sie zum Schweigen zu bringen. Dies ist nicht nur ein Angriff auf die palästinensische und arabische Gemeinschaft und die Unterstützer Palästinas in Deutschland, sondern auch auf unser kollektives Recht auf politische Organisierung. Dies ist auch ein Angriff auf die palästinensischen Gefangenenbewegung, indem die internationale Solidarität mit den Gefangenen ins Visier genommen wird.

Durch die Förderung intensiver Verleumdungskampagnen gegen Palästinenser und pro-palästinensische Organisationen und die Nutzung dieser Verleumdungen zur Rechtfertigung der wiederholten Verbote von Veranstaltungen und zur Dämonisierung vonPalästinensern und Arabern in Deutschland im Allgemeinen und in Berlin im Besonderen – der Heimat der größten palästinensischen und arabischen Gemeinschaft in Europa – versucht der deutsche Staat verzweifelt, Palästinenser daran zu hindern, sich zu organisieren und für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.

Der Staat erklärte, dass Zaids Engagement in Samidoun Netzwerk für Solidarität mit palästinensischen Gefangenen und in der alternativen revolutionären palästinensischen Pfad-Bewegung ein Grund für den Entzug seiner Aufenthaltsgenehmigung zum “Schutz des öffentlichen Interesses” sei. Dies verdeutlicht die unverschämten Versuche Deutschlands, die wachsende Unterstützung für Palästina in Deutschland zu unterdrücken, wo sich immer mehr Menschen der Verbrechen der israelischen Besatzung bewusst werden und darüber entsetzt sind, wie wir bei den Massendemonstrationen im Mai 2021 gesehen haben, als hunderttausende Menschen in Deutschland auf die Straße gingen und ihre klare Unterstützung für Palästina zum Ausdruck brachten.

Wir betrachten dies in erster Linie als einen Angriff auf die palästinensische Gemeinschaft in Deutschland und als Ausdruck der staatlich geförderten antipalästinensischen Rhetorik und der vollen Identifizierung mit der israelischen Kolonisierung des besetzten Palästina. Dies ist besonders wichtig, da die überwiegende Mehrheit der palästinensischen Gemeinschaft in Berlin Flüchtlinge sind, denen das Recht auf Rückkehr in ihre Städte und Dörfer seit 1948 verweigert wird. Ihr Engagement für die Befreiung ihres Landes und die Rückkehr in ihre Häuser ist ihr natürliches Recht, und der Versuch des Staates, sie zu unterdrücken, wird scheitern, so wie er in den letzten 100 Jahren des unnachgiebigen palästinensischen Kampfes gescheitert ist.

Wir weisen diese Angriffe zurück und erklären, dass unsere Stimmen nicht zum Schweigen gebracht werden können. Wir stehen fest hinter den palästinensischen Flüchtlingen in Deutschland und ihrem Recht, sich zu organisieren und zu kämpfen, und erklären unsere Unterstützung für alle palästinensischen Gefangenen hinter israelischen Gittern und für die Befreiung Palästinas, vom Fluss bis zum Meer. Und wir erklären klar und deutlich, dass es dieser Form der staatlichen Repression nicht gelingen wird, unsere Unterstützung für das palästinensische Volk, seinen Widerstand und den Kampf der Gefangenenbewegung zur Beendigung des Kolonialismus zum Schweigen zu bringen.

Freiheit für alle palästinensischen Gefangenen!
Nieder mit der staatlichen Repression!
Hoch die internationale Solidarität!
Palästina wird frei sein, vom Fluss bis zum Meer!

Weder Verrat noch Utopismus, sondern nationale Befreiung! Zur Debatte um die Ein- und Zweistaatenlösung für Palästina

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Von Noel Bamen

Gliederung:

Teil 1 – Die Zweistaatendoktrin: ein Verrat an den Palästinensern

Fatah und PLO: Von der palästinensischen Revolution zum Verrat

Der negative Einfluss der Kommunisten

Die Zweistaatendoktrin ist tot

Teil 2 – Richtige und falsche Einstaatlösungen

Zionistische vs. antikoloniale Einstaatkonzepte

Die Angst vor einem islamischen Staat

Siedlerkolonialismus überwinden ohne Entkolonisierung und Entsiedlung?

Nationale Befreiung statt Utopismus!

Gemeinsam diskutieren und falsche Positionen überwinden!

Teil 1 – Die Zweistaatendoktrin: ein Verrat an den Palästinensern

Vor 30 Jahren, am 13. September 1993, wurde in Washington die sog. „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ zwischen der PLO und Israel unterzeichnet, besser bekannt als Oslo I-Abkommen. Dieses Abkommen war das Ergebnis von Geheimverhandlungen zwischen dem zionistischen Regime und der PLO unter Vermittlung der USA und leitete ein, was verklärend als „Osloer Friedensprozess“ bezeichnet wird. Das Abkommen sah den schrittweisen Rückzug der israelischen Okkupationstruppen (IOF) aus den 1967 besetzten Gebieten und die Einrichtung einer „Palästinensischen Autorität“ bzw. „Autonomiebehörde“ (PA) vor. Dabei wurden zentrale Fragen, wie die nach den zu dem Zeitpunkt mehr als 115.000 in der Westbank und dem Gazastreifen ansässigen zionistischen Siedlern genauso ausgeklammert wie die nach dem Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge. Ergänzt wurde das ganze 1995 durch das sog. Oslo II-Abkommen, das die 67er-Gebiete in drei Zonen aufteilte: In Zone A (18% des Westbank und 60% des Gazastreifens) erhielt die PA (offiziell) vollständige Kontrolle, in Zone B (22% der Westbank) erhielt sie die zivile Kontrolle, während die IOF weiterhin für die „Sicherheit“ zuständig sind, und in Zone C (62% der Westbank und 40% Gazas) behielt Israel allein das Sagen.

Das zionistische Regime erhielt mit Oslo die offizielle Anerkennung durch die palästinensische Befreiungsbewegung – ein politischer Durchbruch für Tel Aviv, der zugleich Tür und Tor für jegliche „Normalisierungen“ mit den anderen arabischen Ländern öffnete. Im Gegenzug bekamen die Palästinenser nichts, außer einer „Behörde“, die sich bald als lupenreines Marionettenregime entpuppte: Die PA ist politisch, wirtschaftlich und militärisch komplett von Israel und vom Westen abhängig; die Grenzen der 67er-Gebiete werden von Tel Aviv kontrolliert, die IOF haben faktisch in der gesamten Westbank das Sagen und die Sicherheitskräfte der PA sind von den USA ausgebildete Hilfstruppen der IOF; die Westbank ist ein monopolisierter Absatzmarkt für Waren aus Israel und liefert dorthin zugleich billige Arbeitskräfte und Produkte, während sie zudem am Tropf der UNO und westlicher NGOs hängt. Parallel zur Etablierung dieses Pseudostaats gingen der Siedlungsbau und der Landraub in der Westbank ungebremst weiter: Heute leben etwa 450.000 Zionisten im Westjordanland, ihre Zahl hat sich also seit 1993 vervierfacht; weitere 220.000 siedeln in Ostjerusalem. Lediglich der Gazastreifen wurde 2005 geräumt; er war von den Palästinensern zu dicht besiedelt, sodass man es in Tel Aviv vorzog, ihn nicht zu annektieren, sondern in ein Reservat für die Eingeborenen zu verwandeln. Damit war Oslo einerseits der praktische Beweis, dass eine sog. Zweistaatenlösung weder von Israel gewollt, noch praktisch umsetzbar ist. Zum anderen war Oslo die größte politische Niederlage der Palästinenser seit der Nakba 1948.

Fatah und PLO: Von der palästinensischen Revolution zum Verrat


Die Fatah kann mit Recht für sich in Anspruch nehmen, als erste einen eigenständigen Weg der palästinensischen Nationalbewegung beschritten zu haben: Alle palästinensischen Akteure zuvor steckten ihre Ziele entweder in lokalen oder aber in pan-islamischen bzw. pan-arabischen Rahmen ab; letztere banden sich bis 1967 in der Regel an Abdel Nasser in Ägypten oder an eine der Baath-Parteien. Die Fatah dagegen machte die Befreiung Palästinas nicht von den arabischen Ländern abhängig, sondern setzte auf die Kraft der Palästinenser selbst. Zugleich erhob sie 1964 als erste den Guerilla- und Volkskrieg nach algerischem, chinesischem, kubanischem und vietnamesischem Vorbild zum strategischen Primat. Mit der Übernahme der PLO-Führung 1968/69 durch die Fatah erreichte der palästinensische Befreiungskampf für das nächste Jahrzehnt seinen vorläufigen Höhepunkt. Dies drückte sich nicht zuletzt in der Palästinensischen Nationalcharta, dem politischen Grundsatzprogramm der PLO, von 1968 aus, die jegliche Anerkennung Israels ablehnt, die Befreiung ganz Palästinas zum Ziel erhebt und den bewaffneten Kampf als „einzigen Weg“ der palästinensischen „Volksrevolution“ benennt.i

Doch bereits Mitte der 1970er vollzog sich ein programmatischer Kurswechsel, dem zwei zentrale Ereignisse vorausgingen:

Zum einen waren die PLO-Guerillas in Jordanien im Zuge des sog. Schwarzen September 1970 von der dortigen Armee angegriffen und schließlich vertrieben worden; 20.000 Palästinenser wurden dabei vom Hussayn-Regime ermordet. Zugleich erhob Jordanien, das 1948 die Westbank annektiert hatte, nach wie vor Anspruch auf dieses 1967 von Israel eroberte Gebiet. 1972 legte König Hussayn dazu den sog. Hussayn-Plan vor, der die „Rückgabe“ der Westbank an Jordanien forderte – damit wäre der von der PLO angestrebte unabhängige und demokratische Staat Palästina zugunsten der zionistischen Siedlerkolonie einerseits und eines Großjordanischen Königreichs andererseits liquidiert und zugleich der Weg für eine „Normalisierung“ der Beziehungen der Araber zu Israel geebnet worden. Die PLO, die ihre Basis vor allem in den Flüchtlingslagern in Jordanien, Syrien und Libanon hatte, reagierte, indem sie sich der Bevölkerung in den 67er-Gebieten wieder mehr zuwandte. Das drückte sich u. a. in ihrem im Januar 1973 beschlossenen politischen Programm aus, in dem von einer „Koordination zwischen bewaffneten und Massen-Aktionen“ (letztere in den 67er-Gebieten) die Rede war.ii

Zum anderen hatte Ägypten im Oktober 1973 die von Tel Aviv besetzte Sinai-Halbinsel militärisch befreit. Es handelte sich nicht nur um die erste Befreiung von Israel besetzter Territorien allein durch reguläre arabische Armeen,iii sondern zugleich um den ersten wirklich großen militärischen Sieg gegen die Zionisten überhaupt. Trotzdem hatte Kairo es nicht geschafft (bzw. kein Interesse daran gehabt), Israel gänzlich zu besiegen und Palästina zu befreien. Daher wuchs in der PLO der Zweifel, ob es den palästinensischen Guerillas gelingen würde, alleine zu vollbringen, woran die arabischen Armeen bereits drei Mal (1948/49, 1956 und 1967) gescheitert waren.

Schon im PLO-Programm vom Februar 1971 (unmittelbar nach dem Schwarzen September) war der bewaffnete Kampf, anders als in der Nationalcharta von 1968, nicht mehr als strategisch „einzige“, sondern „nur“ noch als „Hauptform“ bezeichnet worden.iv 1973 waren, wie oben angeführt, die „Massen-Aktionen“ als zentrales Kampfmittel hinzugekommen. Das Ziel, die Befreiung ganz Palästinas, war jedoch unangetastet geblieben. Das änderte sich auch bis Oslo offiziell nicht. Jedoch wurde im Juni 1974 das sog. 10-Punkte- oder auch Etappen-Programm der PLO angenommen. Darin hieß es einleitend, dass es sowohl von der Nationalcharta von 1968 als auch dem Programm von 1973 ausgehe und man zudem auf das Recht auf Rückkehr und auf Selbstbestimmung im „gesamten nationalen Territorium“ bestehe. Auch wurde dem bewaffneten Kampf in Artikel zwei eine Vorrangstellung eingeräumt. Zugleich heißt es in demselben Artikel allerdings auch, man wolle „in allen Teilen des palästinensischen Territoriums, die befreit werden“, die „Errichtung einer autonomen kämpferischen nationalen Macht des Volkes“, mit anderen Worten: einen (Teil-)Staat errichten. Das Programm ist zugleich eine klare Kampfansage an König Hussayn: In Artikel 5 wird eine gemeinsame jordanisch-palästinensische Front zur „Errichtung einer nationaldemokratischen Macht in Jordanien“, sprich dem Sturz der Haschemiten-Dynastie, propagiert; in Artikel 6 ist von einer „Aktionseinheit“ zwischen Jordaniern und Palästinensern die Rede.v

Das Programm muss also in seinem historischen Kontext betrachtet werden: Es war zunächst vor allem eine strategische Orientierung zur Mobilisierung der Palästinenser in den 67er-Gebieten und eine Absage an die Territorialansprüche und den politischen Kurs des jordanischen Regimes.vi Doch es war eben auch der erste Schritt hin zu einem politischen Kurs, der die Errichtung eines palästinensischen Teil- bzw. Mini-Staates anstrebte. Das war den politischen Kräften damals bereits durchaus klar: Das Programm wurde von der Fatah-Führung mit Unterstützung von DFLP und Saiqa (dem syrischen Baath-Ableger) gegen Widerstände vor allem von der PFLP, aber auch aus den Reihen der Fatah selbst durchgesetzt und letztlich fast einstimmig (183 von 187 Stimmen) angenommen. Kurz darauf jedoch scherten PFLP, PFLP-GC, die Popular Struggle Front und die Arabische Befreiungsfront (der irakische Baath-Ableger) aus und bildeten die sog. Verweigerungs– oder Ablehnungsfront; die PFLP trat aus dem Exekutivkomitee der PLO aus und kehrte erst 1981 zurück.vii Die folgenden Jahre schienen dem Kurs der PLO allerdings recht zu geben: Einerseits errang sie auf internationaler Bühne diplomatische Erfolge (1974 wurde die PLO von den arabischen Ländern und von der UNO als einzige legitime Vertreterin der Palästinenser anerkannt, Arafat trat vor der UN-Vollversammlung auf und die PLO erhielt Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen; 1975 verurteilte die UNO den Zionismus als Form des Rassismus und setzte Israel in eine Reihe mit den Apartheidregimen im südlichen Afrika). Andererseits hielt die PLO am bewaffneten Kampf fest und führte ihn vom Libanon aus fort, wo man ein Bündnis mit linken und nationalistischen Kräften geschmiedet hatte.

Der durch Israel erzwungene Abzug der PLO aus dem Libanon 1982 leitete jedoch schließlich den politischen Niedergang der Fatah ein: Während PFLP, DFLP und die meisten anderen, kleineren PLO-Mitgliedsorganisationen nach Syrien umzogen, ging die Fatah ins Exil nach Tunesien. Von dort aus, weit weg vom Geschehen vor Ort, konnte sie den bewaffneten Widerstand nicht fortsetzen. Stattdessen setzte sie verstärkt auf Diplomatie und begann u. a., sich mit Jordanien und Ägypten gut zu stellen, den beiden größten Verrätern an der palästinensischen Sache, die es damals unter den arabischen Ländern gab.viii In den folgenden Jahren tat sich eine Kluft zwischen der Fatah einerseits und den meisten anderen PLO-Organisationen andererseits auf; die Fatah nutzte ihre Zweidrittelmehrheit innerhalb der PLO, um die in der Nationalcharta festgehaltenen Positionen durch verschiedene Resolutionen, Erklärungen und diplomatische Schritte aufzuweichen.

Mit dem Beginn der Ersten Intifada 1987 legte sich der Fokus der PLO endgültig auf die seit 1967 unter israelischer Besatzung lebende palästinensische Bevölkerung. Anders als die Flüchtlinge im Exil, die auf ihre Rückkehr in sämtlichen Teilen Palästinas drängten, waren diese Menschen primär an einem Ende der militärischen Besatzung interessiert. Sie versprachen sich von einer palästinensischen Selbstverwaltung auch dann konkrete Verbesserungen, wenn diese nicht ganz Palästina umfasste, sondern (zunächst) nur die 1967 besetzten Gebiete. Tatsächlich waren die ersten palästinensischen Vertreter einer Zweistaatenlösung konservative Intellektuelle aus der Westbank.ix Und so wurde die Intifada, die ein großartiger Widerstandsakt, ein regelrecht revolutionärer Volksaufstand war, zugleich zum Katalysator für die neue Linie innerhalb der PLO: Zum einen trat nun der nicht-militärische Massenaufstand an die Stelle des bewaffneten Kampfs. Zum anderen entsprachen die Forderungen der Intifada nach a) Rückzug der IOF aus den 67er-Gebieten und b) der Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates unter Führung der PLO in diesen Gebieten letztlich dem Zweistaatenkonzept, das nun offenbar eine lautstarke und massenhafte Unterstützung von der Basis erhielt. Darauf gestützt konnte die Fatah letztlich auch die Anerkennung Israels legitimieren. Zugleich spielte sie erstmals Feuerwehr für Tel Aviv: Die Unterzeichnung von Oslo I markierte nämlich auch das Ende der Ersten Intifada, deren Ziele ja nun vorgeblich erreicht wurden.x

Die PLO wandelte sich mit Oslo von einer „Terrororganisation“ zum Verhandlungspartner Israels. Dieser Schritt war insofern scheinbar notwendig, als sich die weltpolitische Lage Anfang der 1990er Jahre bekanntlich drastisch geändert hatte: Mit der Konterrevolution im und dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers ab Ende der 80er Jahre bis 1991 verloren nicht nur die kommunistischen und linken Kräfte weltweit an Bedeutung, das palästinensische Volk als Ganzes verlor auch seine wichtigste Schutzmacht. Die Hilfe der Sowjetunion, der DDR und der anderen sozialistischen Länder für den palästinensischen Befreiungskampf können kaum überschätzt werden: politische Rückendeckung, Gelder, Waffen, politische, technische, medizinische, berufliche und militärische Ausbildung – all das erhielten die PLO und ihre Mitgliedsorganisationen vom Ostblock. Ähnliches galt für jene Staaten, die auf die eine oder andere Art als Alliierte des palästinensischen Widerstands fungierten: Syrien, Irak sowie Libyen; und natürlich auch für die linken Kräfte in den arabischen Ländern, die, wie etwa im Libanon, wichtige Unterstützer der palästinensischen Sache waren. All das brach nun plötzlich weg. Daneben verlor auch die Bewegung der Blockfreien, die die palästinensische Sache ebenfalls unterstützt hatte, mit dem Untergang des Realsozialismus nicht nur an politischer Rückendeckung und Relevanz, sondern mit dem ab 1991 durch die NATO zunehmend zerstückelten Jugoslawien auch eine ihrer wichtigsten Führungskräfte. Hinzu kam, dass die USA gerade im Nahen Osten damit begannen, ihre unipolare Weltordnung mit aller Gewalt durchzusetzen: Ebenfalls 1991 griffen sie den Irak an, unterwarfen das Land einem mörderischen Embargo und errichteten de facto ein Protektorat im mehrheitlich kurdischen Norden. Arafat stellte sich damals praktisch als einziger hochrangiger arabischer Politiker auf die Seite Saddam Hussayns – ein Schritt, den er angesichts der neuen Weltordnung in Form internationaler Isolation büßen musste.xi

Der negative Einfluss der Kommunisten

Die Unterstützung des sozialistischen Lagers und der kommunistischen Weltbewegung für den palästinensischen Befreiungskampf war, wie bereits angeführt, immens, und ihr Verlust trug mit Sicherheit enorm dazu bei, dass der Verrat von Oslo zustande kommen konnte. Zugleich aber nahmen (und nehmen) die Kommunisten seit 1947 mehrheitlich widersprüchliche und in wichtigen Punkten sogar fatale Positionen in der Palästina-Frage ein, die entsprechend auch ihrer Einflussnahme einen höchst widersprüchlichen Charakter verleiht. Dieser Einfluss dürfte ebenfalls eine Rolle in der Vorgeschichte von Oslo gespielt haben.

Komintern, UdSSR und die KPen Palästinas

Zunächst wären da die Komintern und die Sowjetunion zu nennen: Die KI hielt die KP Palästinas zwar von Anfang an dazu an, sich klar antizionistisch zu positionieren und sich vor allem auf die arabischen Massen zu fokussieren. Allerdings betrachtete sie den Zionismus primär als ein Instrument des britischen Imperialismus und unterschätzte dabei die dem zionistischen Siedlerkolonialismus selbst innewohnende destruktive Kraft. Da die zionistische Bewegung ihre Macht tatsächlich weitgehend dem britischen und später dem US-amerikanischen Imperialismus verdankt, sie bis zum Zweiten Weltkrieg entsprechend kaum unabhängig von London agiert und weil der Zionismus vor dem Holocaust kaum Einfluss auf die absolute Mehrheit der europäischen und nordamerikanischen Juden nahm, ist dieser Mangel verständlich und verzeihlich. Doch wurde er weder im Zuge der Nakba, noch in den folgenden Jahrzehnten von Moskau und seinen Verbündeten berichtigt. Stattdessen trug er zu der fatalen Fehleinschätzung bei, den (hegemonialen „Links-“)Zionismus in eine antiimperialistische Richtung lenken zu können – wo der Kampf der Zionisten gegen die Briten in den Jahren zwischen 1945 und 1947 doch in Wahrheit nichts anderes war, als die pubertären Wutausbrüche einer Siedlerkolonie gegen die anhaltende Bevormundung durch ihren imperialistischen Ziehvater. Und so machte sich das sozialistische Lager der politischen und sogar militärischen Mitverantwortung an der Nakba schuldig.xii

Zu den zwischenzeitlich guten Beziehungen zwischen Zionisten und Kommunisten in den Jahren nach 1945 dürften zahlreiche, auch widersprüchliche Faktoren beigetragen haben: von echter Sympathie angesichts der (vermeintlich) gemeinsamen Erfahrungen mit Faschismus und Weltkrieg über Verirrungen und Verwirrungen bezüglich Ideologie, Strategie und Taktik bis hin zu Unterwanderung und Agententum; zugleich ist die tatsächliche Rolle der Sowjetunion und der Stalin’schen KPdSU-Führung, was die direkte Zusammenarbeit mit den Zionisten und der militärischen Unterstützung für die zionistischen Truppen während der Nakba angeht, noch immer umstritten.xiii Unbestreitbar ist dagegen die Tatsache, dass die Sowjetunion 1947 für den UN-Teilungsplan gestimmt hat. Richtig ist, dass sie damals einen gemeinsamen Staat in ganz Palästina für all seine Bewohner bevorzugte. Allerdings zeigen die Reden, die der sowjetische Vertreter Gromyko 1947 vor der UNO hielt, dass die sowjetische Spitze damals offenbar von grundfalschen Annahmen in der Palästina-Frage ausging: So sprach er etwa von einem „jüdischen Volk“, das nicht nur die Errichtung eines eigenen Staates anstrebe, sondern auch das „Recht“ auf einen solchen Staat habe.xiv Zum einen waren es nach wie vor in erster Linie die Zionisten, die einen solchen jüdischen Staat anstrebten – nun, da sie dank der Vertreibungspolitik der Faschisten und der Abschiebepolitik der Westmächte erstmals einige Zehntausend Juden als Verhandlungsmasse in Palästina hatten, mit Nachdruck und Gewalt –, und nicht „die Juden“. Zum anderen sprach Gromyko hier vom „jüdischen Volk“ nicht nur so allgemein, als meinte er damit die Juden weltweit, womit er eindeutig eines der zentralsten zionistischen Narrative nachplapperte, wonach die Anhänger des jüdischen Glaubens und die Menschen jüdischer Abstammung weltweit einem irgendwie gearteten gemeinsamen Volk angehörten.xv Er benutzt das Wort „Volk“ hier auch offenbar als Synonym für „Nation“, denn andernfalls hätte er ihnen gemäß marxistisch-leninistischer Grundsätze in Sachen nationale Frage nicht das Recht auf einen eigenen Staat zuerkennen können. Doch genau dieser von Stalin entworfenen und von Lenin gebilligten Theorie und Definition einer Nation entsprachen die jüdischen Massen, die damals in Palästina lebten, in keinster Weise. Bei Stalin heißt es: „Eine Nation ist eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen, entstanden auf der Grundlage der Gemeinschaft der Sprache, des Territoriums, des Wirtschaftslebens und der sich in der Gemeinschaft der Kultur offenbarenden psychischen Wesensart.“xvi Die aus ganz Europa nach Palästina geflüchteten bzw. deportierten Juden hatten weder eine gemeinsame Sprache, noch eine gemeinsame Kultur, noch eine gemeinsame Wirtschaftsweise, noch ein gemeinsames Territorium; sie waren eine bunt zusammengewürfelte „Schicksalsgemeinschaft“, die durch den Horror sechsjähriger rassistischer Verfolgung und Massenmords sicherlich in gewisser Weise miteinander verbunden war, aber keine „historisch entstandene stabile Gemeinschaft“. Der Zionismus freilich wollte all das ändern: Dafür schuf er das künstliche Hebräisch, erfand und klaute sich eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Kultur und vor allem natürlich raubte er sich das Territorium, auf dessen Grundlage auch erst eine gemeinsame Wirtschaftsweise möglich sein kann. Somit legitimierte und unterstützte Moskau 1947 entgegen den eigenen ideologischen Grundsätzen ein imperialistisches Kolonialprojekt, dessen Ziel die nur durch massenhafte Gewalt, Vertreibung und Enteignung zu realisierende Erschaffung einer künstlichen Nation war.

Auch dieser Kurs wurde leider nie grundsätzlich korrigiert. Zwar ging Moskau bereits während der Nakba wieder auf Distanz zu den Zionisten und ab 1956 schloss das sozialistische Lager eine strategische Allianz mit dem arabischen Nationalismus. Doch das „Existenzrecht“ Israels wurde stets verteidigt und die Existenz einer „jüdischen/israelischen Nation“ nie infrage gestellt. Die logische Folge war, dass die Sowjetunion, die anderen sozialistischen Länder und die kommunistische Bewegung stets für „Frieden“ und „Ausgleich“ zwischen Israel und den arabischen Ländern bzw. den Palästinensern eintraten, und dass sie stets mäßigend auf die fortschrittlichen Kräfte in der Region einwirkten, gerade was deren Konsequenz in Sachen Antizionismus anging. Das galt auch weitgehend für die Kommunisten in den arabischen Ländern und vor allem in Palästina selbst. Besonders die DFLP, aber auch die KPen Palästinas spielten hier eine sehr negative Rolle: Sowohl die KP Israels als auch die 1982 offiziell neugegründete Palästinensische Kommunistische Partei (PKP)xvii vertraten stets das Konzept einer Zweistaatenlösung, gemäß der UN-Resolution von 1947. Die palästinensische KP gewann entsprechend in der Westbank eine gewisse Popularität, während die KP Israels weitgehend die Rolle einer Bürgerrechtspartei für die sog. 48er, die Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit, einnahm und zugleich die einzige Partei in Israel war, die für eine Zweistaatenlösung eintrat; unter den Palästinensern im Exil spielten die Kommunisten dagegen nie eine Rolle. Die Erste Intifada war die Hochphase der PKP, die gemeinsam mit DFLP und PFLP zu den treibenden Kräften gehörte – doch wie bereits beschrieben, spielte dieser Volksaufstand zugleich eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung der Zweistaatendoktrin innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung. Die Geschichte und der zwischenzeitliche Erfolg der palästinensischen Kommunisten ist also eng mit diesem Prozess verbunden. Mehr noch: Im Zuge der Intifada einerseits und der Durchsetzung der Zweistaatendoktrin innerhalb der Fatah andererseits stieg die PKP innerhalb der PLO auf und spielte gar „eine Hauptrolle bei den anschließenden politischen Entwicklungen, die schließlich zu israelisch-palästinensischen Verhandlungen in Madridxviii und dem Abschluss eines Übergangsfriedensabkommens in Oslo im Jahr 1993 führte“; „trotz ihrer zahlreichen Vorbehalte in Bezug auf den Verhandlungsprozess und die Details des Abkommens“ war sie für die PLO-Spitze dennoch „ein Partner im Verhandlungsprozess“; denn die PKP zählte damals aufgrund ihrer Positionen zu Arafats „natürlichen Verbündeten in seinen Bemühungen, die pragmatischen Schritte durchzuführen, die es ihm ermöglichen würden, die amerikanische und später die israelische Anerkennung“ zu gewinnen.xix

Die DFLP

Dasselbe galt für die DFLP. Dass sie 1974 federführend an der Durchsetzung des sog. Etappen-Programms innerhalb der PLO beteiligt war, wurde oben bereits erwähnt. Tatsächlich aber war dieses Programm letztlich identisch mit den wichtigsten Punkten des Programms der DFLP zu der Zeit. Von 1971 an wurde eine solche Etappenstrategie in der Demokratischen Front diskutiert und 1973 schließlich beschlossen.xx Vermutlich nutzte Arafat das Vorpreschen der DFLP sogar, um die Akzeptanz für einen palästinensischen Staat in Westbank und Gaza unter den Palästinensern auszutesten.xxi Zweierlei sollte hier erwähnt werden, um die historische Genese und Durchsetzung dieser falschen Positionen der DFLP zu verstehen und daraus zu lernen:

1. Die DFLP verstand ihr Etappen-Programm damals als ein „Kampfprogramm gegen Israel, das die palästinensischen Massen mobilisieren sollte, und nicht als ein Verhandlungsprogramm oder ein Projekt für eine friedliche Beilegung des Konfliktes mit Israel.“xxii Die Idee, einen palästinensischen Teilstaat neben der zionistischen Entität zu errichten, war nicht als Zweistaatenlösung konzipiert, sondern eben als Übergangsetappe hin zu einem Staat in ganz Palästina für alle seine Bewohner – und so wurde das Konzept auch im Etappen-Programm von 1974 in die PLO eingeführt. Dies entsprach nicht der Vorstellung Moskaus. Trotzdem diente die DFLP durchaus „in bestimmten Fragen (Forderung nach einem israelischen Rückzug aus den 1967 besetzten Gebieten, Zustimmung zu UNO-Resolutionen und Flexibilität in Sachen (…) Anerkennung Israels) als Verfechter sowjetischer Positionen innerhalb der PLO“.xxiii Zudem kritisierte der DFLP-Generalsekretär Hawatmeh 1974, dass die damalige palästinensische Führung die „Chance“ vertan habe, einen Staat gemäß der UNO-Resolution von 1947 zu bilden.xxivIm September 1994, nahm die DFLP schließlich das Zweistaatenkonzept als finale Lösung des Palästina-„Konflikts“ an,xxv also mitten im sog. Oslo-Prozess und genau ein Jahr, nachdem sich die Fatah– bzw. PLO-Spitze endgültig zur Anerkennung Israels, zur Umsetzung der Zweistaatendoktrin in der Praxis und damit zur Unterwerfung unter Tel Aviv (und Washington) durchgerungen hatte.

2. Der Weg verlief nicht geradlinig vom Etappen-Programm der DFLP nach Oslo. So ging die Demokratische Front etwa im Laufe der 1970er Jahre zwischenzeitlich auf Distanz zur Fatah und näherte sich der Verweigerungsfront an.xxvi Auch die Fatah– und PLO-Spitzen visierten nicht bereits 1974 an, zu den Marionetten Israels zu werden, die sie heute sind. Und doch sind die historischen und logischen Stränge klar zurückzuverfolgen und die negative Rolle, die die DFLP dabei gespielt hat, ist zu benennen und zu kritisieren.

3. In diesem Zusammenhang ist auch klarzustellen, dass die DFLP-Führung sich immer gegen die konkrete Realisierung der von ihr mit vorangetriebenen Konzepte (Anerkennung Israels und Etablierung einer palästinensischen Autorität in Teilen Palästinas) stellte: Sie lehnte sowohl das Camp David-Abkommen (1979) als auch die Madrider Konferenz (1991) als auch die Oslo-Abkommen (1993 und 1995) entschieden ab. Die DFLP vertritt bis heute die Forderung nach einer „echten“, für die Palästinenser „gerechten“ Zweistaatenlösung und kritisiert Oslo mit einer entsprechenden Argumentation. In der Praxis lavierte die sie seither immer wieder zwischen Zusammenarbeit mit der Fatah– und der PLO-Spitze einerseits und Zusammengehen mit den anderen Teilen des Widerstands (PFLP, HamasJihad etc.) und vertritt meiner Meinung nach sehr widersprüchliche Positionen, was die Einschätzung und Anerkennung der zionistischen Entität angeht.xxvii Allerdings ist sie aufgrund ihrer Opposition zu Oslo und ihrem Bekenntnis zum und ihrer Beteiligung am Widerstand nach wie vor eindeutig als Teil der palästinensischen Befreiungsbewegung anzuerkennen, ganz anders als das von Fatah-Kreisen dominierte Kompradoren-Netzwerk um Mahmoud Abbas.

PFLP und Palästinensische Kommunistische Partei

Wie bereits angeführt, war und ist die PFLP dagegen bis heute eine entschiedene Gegnerin jeglicher Zweistaatenkonzepte.xxviii Während ihr aufgrund ihrer kompromisslosen Haltung gegenüber Israel lange Dogmatismus, rechter oder linker Radikalismus oder „naiv-revolutionäre Tendenzen“xxix vorgeworfen wurden, zeugen ihre Warnungen rückblickend von Scharfsichtigkeit: Sie „befürchtete schon damals“, also 1974, „daß das Stufenprogramm allmählich verabsolutiert werde: Seine Endstufe drohe vom Endziel zum Traum und schließlich zum einfachen Wunsch transformiert zu werden. Damit verlöre die PLO das ursprüngliche Ziel langsam aber sicher aus den Augen“.xxx

Auch die Palästinensische Kommunistische Partei ist mittlerweile zu der Einsicht gelangt, dass eine Zweistaatenlösung unmöglich ist und dass sie daher für die Befreiung ganz Palästinas kämpfen muss. Mehr noch: Sie leistete Selbstkritik und erklärte „gegenüber allen Kommunisten und Freunden auf der Welt“, dass sie die Unterstützung der Kommunisten für den UN-Teilungsplan,xxxi die UN-Resolution 242 von 1967xxxii und auch die eigene Rolle in Bezug auf Oslo gleichsam als historische Fehler betrachte, die zur Schwächung der eigenen Reihen im Kampf gegen Israel und den Imperialismus sowie zum Vertrauensverlust der palästinensischen Massen in die Kommunistische Partei geführt haben. Diese Selbstkritik kommt sehr spät, wie die Genossen selbst erklären.xxxiiiDoch sie kam, und das muss die kommunistische Bewegung international endlich zur Kenntnis und auch ernst nehmen.xxxiv

Die Zweistaatendoktrin ist tot

Dass die PKP recht hat, wenn sie schreibt, dass das Zweistaatenkonzept den Kampf der Palästinenser geschwächt hat, ist offensichtlich. Dasselbe gilt für ihre Einschätzung, die Kommunisten hätten sich mit ihrer Forderung nach einer Zweistaatenlösung von den palästinensischen Massen distanziert: Natürlich haben die Palästinenser weder eine einheitliche Meinung, noch sind sie absolut fest in ihren Ansichten. Die Zustimmung zum Zweistaatenkonzept hat genauso konjunkturelle Schwankungen durchlebt wie die zum bewaffneten Kampf. Daher sind entsprechende Umfragen immer nur bedingt aussagekräftig. Trotzdem sollte man sie beachten: Derzeit liegt die Zustimmung der Palästinenser in den 67er-Gebieten nur noch bei bei 33%.xxxv Bei Umfragen in der Westbank 2011 war das Ergebnis nahezu identisch; zudem sprachen sich bei einer Befragung 2007 70% der Palästinenser für eine Einstaatlösung mit gleichen Rechten für Juden, Christen und Muslime aus.xxxvi Dabei war gerade die Westbank stets das Gebiet, in dem die Zweistaatenlösung, wenn überhaupt, mehrheitsfähig war. Die Flüchtlinge in der Diaspora, die rund die Hälfte der Palästinenser ausmachen, aber auch in Gaza, wo sie drei Viertel der Bevölkerung stellen, waren von je her stärker an der Befreiung ganz Palästinas interessiert. Aber auch die Palästinenser in Israel (12% der Palästinenser), die dort Bürger dritter Klasse ohne Perspektive auf Besserung ihrer Lage sind, gelten als wichtige Anhängerschaft für die Einstaatlösung.xxxvii

Natürlich kann auch eine Idee zum materiellen Faktor werden, eben „wenn sie die Massen ergreift“.xxxviii Doch sind die Argumente gegen die Zweistaatendoktrin und für eine Einstaatlösung objektiver Natur und unabhängig von der aktuellen Meinungskonjunktur unter den Palästinensern:

1. Da ist zunächst die Tatsache, dass die zionistische Bewegung nie bereit war, auch nur auf ein Stück Palästinas dauerhaft zu verzichten: Im Gegenteil strebten und streben die Zionisten perspektivisch danach, über Palästina hinaus arabischen Boden in Besitz zu nehmen (was sie mit den 1967 besetzten und 1981 de jure annektierten syrischen Golanhöhen auch bereits getan haben). Die Zustimmung der Zionisten zu den verschiedenen Teilungsplänen in der Geschichte waren stets rein taktischer Natur. Tatsächlich kamen die ersten Teilungspläne von den Zionisten selbst, sie haben sich immer wieder für Teilungen ausgesprochen und sogar den UN-Teilungsplan von 1947 mit initiiert.xxxix Wie Ilan Pappé betont, sind Teilungen im kolonialen Kontext immer Mittel der Kolonialisten. „Demgegenüber gibt es keinerlei Grund, warum eine Ursprungsbevölkerung einer Siedlerbewegung freiwillig eine Teilung ihres Heimatlandes anbieten sollte.“xl Dass die zionistische Bewegung danach strebt, ganz Palästina zu erobern, ist zum einen ideologisch begründet, liegt aber zum anderen und vor allem auch in der Natur des siedlerkolonialistischen Charakters Israels selbst, und ist damit strukturell bedingt: Die Zionisten müssen, um ihr Nationalstaatsprojekt dauerhaft zu erhalten, einerseits die dafür benötigte Nation (immer noch) erst erschaffen, und zwar durch den Zuzug von immer neuen Juden (bevorzugt weißen, aus dem Westen), denen wiederum etwas geboten werden muss (Luxus, Sicherheiten, Freiheiten, ein religiöser oder nationale Auftrag etc.); andererseits müssen sie sich auch noch das Territorium, auf dem sie ihren Staat errichten und das sie ihrer Siedlerbevölkerung anbieten können, zusammenraffen und behaupten. Erschwerend kommt hinzu, dass Palästina kleiner als das Bundesland Brandenburg und rund die Hälfte der Fläche von Wüste bedeckt ist. Daher sind die fruchtbaren Böden, die Küstengebiete und der Jordangraben besonders wertvoll und wichtig. Dabei geraten die Zionisten zwangsläufig an allen Ecken und Enden in Konflikt mit der einheimischen Bevölkerung, die es zu verdrängen oder zu vernichten gilt, da sie zum einen ja auf dem begehrten Land sitzt, und zum anderen nicht in das Staatsvolk „integrierbar“ ist, weil sie die Mehrheit der Bevölkerung vor Ort ausmacht. Und so wurde (und wird jeden Tag aufs Neue) der Kampf um Boden zum „Kampf auf Leben und Tod“xli zwischen den Kolonialsiedlern und den Indigenen. Dieser Kampf kann nur beendet werden, indem die Siedler gewinnen und die Indigenen soweit dezimiert haben, dass sie ihre Überreste „integrieren“ können (wie in Nordamerika oder Australien) oder aber indem das siedlerkolonialistische Projekt gestoppt und zerschlagen wird (wie in Algerien, Angola, Kenia, Libyen, Mosambik und im südlichen Afrika). Hier kommt wieder der subjektive Faktor ins Spiel: die Palästinenser und ihr Widerstand. Solange sie nicht aufgeben und Israel sie nicht endgültig vernichten kann, bleibt der Kolonisierungsprozess in Palästina in jener Phase stecken, die man in der Forschung als „Frontier-Phase“ bezeichnet und die von extremer Gewalt und Instabilität geprägt ist.xlii

2. Hinzu kommt die Tatsache, dass eine Zweistaatenlösung heute noch unrealistischer ist als noch vor 30 oder 100 Jahren. Denn das zionistische Siedlerprojekt hat sich mittlerweile de facto über 90% Palästinas angeeignet. Die A- und B-Zonen, in denen die PA mehr oder weniger das Sagen hat, und der Gazastreifen, der seit 2007 dem Einfluss des Abbas-Regimes entzogen ist und unter Kontrolle des Widerstands steht, machen zusammen etwa 9% Palästinas aus. Gaza und Westjordanland sind ohnehin durch israelisches Staatsterritorium voneinander getrennt und die A- und B-Gebiete in der Westbank bestehen aus unzähligen voneinander isolierten Einheiten. Diese Landflecken wiederum sind nicht nur durch die IOF und die C-Zonen, sondern auch durch mittlerweile rund 250 Siedlungen, in denen etwa eine halbe Million Zionisten leben, umzingelt. Das wenige, was es an palästinensischer Wirtschaft gibt, ist größten Teils auf Israel ausgerichtet; die restlichen Gelder kommen vor allem als „Spenden“ aus dem Westen oder aus mit ihm verbündeten Ländern. Damit ist ein palästinensischer Staat weder politisch noch ökonomisch überlebensfähig. Eine „Entflechtung“, das heißt der Abzug der Siedler aus der Westbank, wird nur unter brutaler Gewalt ablaufen – selbst wenn sie, wie 2005 im Fall des Gazastreifens, von Tel Aviv befohlen würde, was absolut unrealistisch ist. Schon vor 20 Jahren, als „nur“ etwa 290.000 Siedler in der Westbank lebten, ging man in Israel davon aus, dass ein Abzug der Siedler zum Bürgerkrieg führen würde. Diese Gefahr ist seither noch gestiegen, wie die sich immer weiter zuspitzende Krise des zionistischen Regimes beweist; zudem haben jene Kräfte, die die Siedler bedingungslos unterstützen, mittlerweile eindeutig die Macht in Israel übernommen. Kurz gesagt: Palästina ist mittlerweile derart vom Kolonialismus durchdrungen, dass es kein Gebiet mehr gibt, das neben diesem Kolonialregime auch nur annähernd als Staat bestehen könnte. Zugleich ist der Kampf um die Befreiung der Westbank nur (noch) als Krieg gegen den zionistischen Siedlerkolonialismus und die zionistische Entität in Palästina an sich zu führen; die Kolonialherrschaft im Westjordanland ist in keiner Weise vom zionistisch besetzten Kernland (also von „Israel“) zu trennen. Strukturell bzw. der „Logik“ nach war das schon immer so; es ist aber eben auch längst ganz konkrete Realität geworden.

Im Übrigen würde selbst eine „endgültige“ Zweistaatenlösung eine Vertreibung der restlichen 48er-Palästinenser aus Westpalästina bedeuten. Denn aus israelischer Sicht macht eine Zweistaatenlösung nur Sinn, wenn der zionistische Staat danach „rein“ von den Palästinensern ist, die immerhin 20% der Bevölkerung ausmachen. Entsprechende Vertreibungsszenarien haben IOF und die israelische Polizei bereits in der Vergangenheit geprobt.xliii

Teil 2 – Richtige und falsche Einstaatlösungen

Wie im ersten Teil dargelegt, ist die Zweistaatendoktrin nichts anderes als eine durch und durch kolonialistische und/oder defätistische Position in der Palästina-Frage. Die richtige Antwort auf sie lautet also konsequente Dekolonialisierung ganz Palästinas bzw. eine Einstaatlösung.

Zionistische vs. antikoloniale Einstaatkonzepte

Doch nicht jede Einstaatlösung bedeutet automatisch Befreiung vom Kolonialismus: Es gab schon in den 1930er Jahren zionistische Einstaatkonzepte, die eine (Kon-)Föderation zwischen einem jüdischen und einem arabischen (Bundes-)Staat vorsahen. Diese Konzepte waren „Lightversionen“ des Zionismus, denn auch sie basierten zum einen auf der Annahme, dass es eine „jüdische Nation“ in Palästina gäbe, und zum anderen sollte auch hier schon Land „judaisiert“, also von den Indigenen geraubt werden.xliv Eine weitere, allerdings alles andere als „light-zionistische“ Version der Einstaatlösung ist die Annexion ganz Palästinas durch Israel; dabei stellt sich für die Zionisten allerdings stets die Frage, was man mit den auf dem Land lebenden Palästinensern machen soll. Wenn man seinen jüdisch-zionistischen Charakter nicht verlieren will, bleibt nichts anderes als Vertreibung, Verweigerung der Staatsbürgerschaft und/oder Massenmord. Weil alles drei nicht in großem Stil bzw. auf einen Schlag möglich ist, konnte sich in den 1990er Jahren zwischenzeitlich das Zweistaatenkonzept in der israelischen Politik durchsetzen, das in Form von Oslo einen genialen Schachzug darstellte, um den palästinensischen Widerstand eine Zeit lang weitgehend zu paralysieren und bis heute nachhaltig zu schwächen, während Landraub und Vertreibung ungebremst weiterliefen.

Fortschrittliche, d. h. antikoloniale Einstaatkonzepte dagegen kamen und kommen ausschließlich von der palästinensischen Befreiungsbewegung und von (jüdischen) Antizionisten: Bereits bei der frühen Nationalbewegung, die gegen die britische Kolonialherrschaft und den zionistischen Kolonialismus kämpfte, finden sich derartige Forderungen nach einem demokratischen Staat in ganz Palästina mit gleichen Rechten für all seine Bewohner, ungeachtet ihrer Religion.xlv Die Fatah formulierte daran anknüpfend Ende der 1960er Jahre öffentlich, wie ein künftiger Staat Palästina aussehen sollte: Sie trat für einen „demokratischen, progressiven, säkularen (…) Staat, in dem Juden, Christen und Muslime miteinander in Frieden und mit gleichen Rechten leben“, ein.xlvi Schon damals war dieses Konzept zugleich ein ausgestreckter Arm in Richtung der gesamten jüdischen Bevölkerung. Abu Iyaf, einer der Mitbegründer der Fatah und bis zu seiner Ermordung 1991 einer ihrer ranghöchsten Mitglieder, erklärte 1968: „In diesem Prozeß eröffnen sich vor den Juden Palästinas drastisch neue Alternativen: anstatt der Alternative „Festung Israel“ oder „ins Meer geworfen werden“ bietet die Revolution die Alternative „Unsicherheit in einem rassistisch-exklusiven Israel“ oder „ein offenes, sicheres und tolerantes Palästina für alle“.“xlvii Diese Bereitschaft zur Aussöhnung hielt die Fatah nie davon ab, radikal, konsequent und mit „extremen“ Mitteln gegen das zionistische Regime zu kämpfen und dabei auch die gesamte Siedlerbevölkerung zur Verantwortung zu ziehen, d. h. sie als legitime Ziele zu betrachten. Das gilt übrigens bis heute für alle Widerstandsorganisationen, einschließlich PFLP und, wie in Fußnote xxvii ausgeführt, auch DFLP.

Wie oben dargelegt nahmen Fatah, DFLP und mit ihnen auch die PLO bald schrittweise Abstand von diesem Konzept einer Einstaatlösung. Allein die PFLP hielt daran fest und heute erkennt auch die Palästinensische Kommunistische Partei die Notwendigkeit der Befreiung ganz Palästinas an. Unmittelbar nach Oslo entstanden zudem verschiedene Initiativen, die Konzepte für eine Einstaatlösung erarbeiteten bzw. propagierten; auch der prominente Intellektuelle Edward Said, der lange für eine Zweistaatenlösung eingetreten war, argumentierte ab 1999 für eine Einstaatlösung. Ab Mitte der 2000er Jahre begann man, die bis dahin verstreuten Initiativen und Debatten zusammenzuführen. Auf jüdischer Seite wird diese neue „Einstaatbewegung“, die einen demokratischen und säkularen Staat in ganz Palästina anstrebt, u. a. von Ilan Pappé und auf palästinensischer Seite etwa von der PFLP, aber auch von (z. T. hochrangigen) Fatah-Mitgliedern aktiv mitgetragen.xlviii

Sowohl Hamas als auch Jihad treten dagegen nicht für einen säkularen, sondern für einen islamischen Staat ein. Darüber, wie ein solcher Staat genau auszusehen hat und inwiefern er mit „demokratischen Prinzipien“ in Einklang zu bringen ist, zu denen sich beide ebenfalls schon lange bekennen, erfährt man allerdings wenig Konkretes bzw. viel Widersprüchliches. Das ist sehr typisch für islamische Kräfte vom Schlage der Hamas und des Jihad, die in sich ideologisch sehr heterogen, politisch häufig wandelbar und in der Praxis äußerst pragmatisch sind; ihr Ziel ist jedenfalls in aller erster Linie die Befreiung Palästinas.xlix In ähnlicher Weise war auch lange unklar, welche Position die Hamas gegenüber dem Verbleib der jüdischen Bevölkerung in Palästina vertritt. Zwar charakterisierte sie den Kampf um Palästina in ihrer berüchtigten (und von ihren Kritikern, Gegnern und Feinden in ihrer Bedeutung weit übertriebenen) Charta von 1988 als einen religiösen Konflikt zwischen Muslimen und (dem westlichen Kolonialismus zugerechneten) Juden. Doch vermutlich teilte sie von Beginn an den unter den Palästinensern weit verbreiteten Konsens, wonach palästinensische Juden in jedem Fall ein Recht hätten, in Palästina zu leben, während die eingewanderten Siedler in ihre Herkunftsländer zurückzukehren hätten.l Ende der 2000er Jahre übernahm die Hamas dann das Konzept einer Aussöhnung mit der gesamten jüdischen Bevölkerung, also inklusive der Siedler, im Rahmen einer Einstaatlösung.li In ihrem neuen Grundsatzpapier von 2017 unterschied sie denn auch konsequent zwischen Judentum und Zionismus und erklärte: „Es sind die Zionisten, die das Judentum und die Juden ständig mit ihrem eigenen kolonialen Projekt und ihrer illegalen Entität identifizieren.“lii Während es in dem Dokument zum Charakter des zu errichtenden palästinensischen Staates heißt, dieser solle „auf der Grundlage von Pluralismus, Demokratie, nationaler Partnerschaft, Akzeptanz des anderen und der Annahme des Dialogs“ basieren, wird zugleich der Schritt hin zur Etappen-Strategie vollzogen: Zwar lehne die Hamas weiterhin „jede Alternative zur vollständigen und umfassenden Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer ab.“ Doch wird die „Errichtung eines völlig souveränen und unabhängigen palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt in den Grenzen des 4. Juni 1967“ als dem damaligen „nationalen Konsens“ entsprechend anerkannt.liii

Für den Jihad gilt im Allgemeinen ähnliches: Anders als die Hamas betrachtete er den Kampf um Palästina von Anfang an als einen zwar religiös legitimierten antikolonialen Kampf gegen den westlichen Imperialismus, jedoch nicht als einen Konflikt zwischen Muslimen und Juden.liv Die Organisation ist ein Kind der iranischen Revolution und die „revolutionäre Shia“ war (und ist) bekanntlich stark von (gerade auch linken) antikolonialen und antiimperialistischen ideologischen Einschlägen geprägt. (Der Jihad geriet auch während der Ersten Intifada, anders als die Hamas, nicht mit PFLP, DFLP und PKP aneinander, sondern arbeitete im Gegenteil schon damals mit ihnen – und auch der Fatah – im Rahmen der Vereinigten Führung der Intifada zusammen.lv) Entsprechend hieß es vonseiten des Jihad schon vor Jahrzehnten, dass die Befreiung Palästinas (in einen islamischen Staat) die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander von Juden und Muslimen sei und dass erstere zudem, wie schon in der Zeit vor der zionistischen Kolonisierung, in einem solchen Staat sicherer seien als in Europa.lvi

Alle zentralen palästinensischen Parteien bekennen sich also nicht nur zum Bleiberecht der ursprünglichen palästinensischen Juden, sie sind mittlerweile auch (mehr oder weniger offen) bereit, die dauerhafte Anwesenheit der Siedlerbevölkerung in Palästina zu akzeptieren. Hier muss einmal betont werden, dass diese Position einer Einstaatlösung für alle seine Bewohner ein Kompromiss ist, ein ungeheuer großzügiges Angebot der Palästinenser (wie auch schon der Südafrikaner zuvor) an ihre Unterdrücker, an diejenigen, die in ihr Land kamen, es geraubt, ihre Eltern und Großeltern vertrieben, ihre Geschwister eingesperrt und ihre Kinder ermordet haben. Die einzige Bedingung ist, dass die Siedler ihre Privilegien aufgeben und dass die Palästinenser entschädigt werden. Dieser Kompromiss ist nicht selbstverständlich und die Siedler haben kein „Recht“ darauf. Er ist vor allem deshalb gut und zu unterstützen, weil die Palästinenser dadurch an ihr Recht kommen und zugleich die Gewalt und das Leid unmittelbar nach der Befreiung Palästinas beendet werden kann. Dass antizionistische jüdische Israelis und Juden weltweit für eine Dekolonialisierung und Dezionisierung als Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in Palästina eintreten, ist natürlich richtig und zu unterstützen, sogar unabhängig davon, ob sie es aus ideologischen bzw. moralischen Gründen tun oder aus purem Eigeninteresse, weil sie in Palästina bleiben wollen, aber einsehen, dass dies nur durch die Überwindung des Zionismus und eine Einstaatlösung zu machen ist. Trotzdem muss klar sein: Das revolutionäre Subjekt, die Kraft, die den Hauptwiderspruch in Palästina, den zwischen der dort lebenden Nation auf der einen und der Kolonialmacht und dem westlichen Imperialismus auf der anderen Seite, auflösen wird, ist die palästinensische Nation. Die Befreiung Palästinas bedeutet die Befreiung der Palästinenser, nicht der jüdischen Israelis. Schaffen letztere es selbst, den Zionismus zu überwinden, umso besser. Die Perspektive dafür ist aber äußerst düster. Die Palästinenser können darauf weder bauen noch warten, und so dürfen auch wir als Solidaritätsbewegung nicht darauf bestehen.

Die Angst vor einem islamischen Staat

Trotz der Tatsache also, dass alle großen palästinensischen Parteien für diesen eben beschriebenen großherzigen Kompromiss sind, wird von den Zionisten (natürlich) – wie schon in den 1960/70er Jahren mit Blick auf Fatah und PLO – die Angst geschürt, eine Befreiung Palästinas sei gleichbedeutend damit, dass „die Juden ins Meer getrieben“ würden. Das wäre völlig irrelevant, wenn diese Propaganda nicht auch bei Teilen der palästinasolidarischen Linken, und sogar solchen Teilen, die für eine Einstaatlösung sind, verfangen würde. Denn bezüglich Kräften wie Hamas und Jihad sind auch in diesen Kreisen weiterhin Vorurteile und Unwissenheit weit verbreitet,lvii ganz zu schweigen von einer gehörigen Portion chauvinistischer Islam- und Religionsfeindlichkeit. Dem wirkt natürlich am besten die konkrete Auseinandersetzung mit den entsprechenden Organisationen, ihren Positionen und auch ihrem Verhältnis zum restlichen Widerstand entgegen.lviii Eine derartige Aufklärung kann hier nicht geleistet werden, deshalb muss es an dieser Stelle bei einem Appell an die Leser bleiben, die sich angesprochen fühlen (sollten).

Wofür hier allerdings noch einmal klar argumentiert werden soll, ist ein marxistisches Verständnis von Fortschritt in Bezug auf nationale Befreiung. Ich habe bereits an anderer Stelle die Position vertreten, dass auch ein islamischer Staat in Palästina ein Schritt nach vorn ist.lix Einige Reaktionen darauf haben mich veranlasst, hier noch einmal Argument für Argument auf diesen Punkt einzugehen: Meine Position bedeutet selbstverständlich nicht, dass ich einen islamischen Staat an sich für erstrebenswert halte oder gar favorisiere. Wir müssen uns aber als Kommunisten die Frage stellen: Wieso sind wir eigentlich für nationale Befreiung? (Schließlich ist auch der Nationalismus als Ideologie etwas, das wir ablehnen, und Nationen sind etwas, das wir historisch überwinden wollen.) Das liegt daran, dass wir Nationen und Nationalstaaten für ein natürliches Element der modernen, das heißt kapitalistischen (und übrigens auch für eine längere Phase in der Zeit einer sozialistischen) Welt halten: Aus feudalen und vorfeudalen sozialen Zusammenhängen entstehen Nationen (ob nun sprachlich und kulturell relativ homogen oder aber aufgrund historischer Spezifika in Form von Vielvölkernationen), die sich Nationalstaaten schaffen, in deren Rahmen sie Wirtschaft treiben, die Produktionsverhältnisse entwicklen und natürlich als Klassen gegeneinander kämpfen. Völker, die es nicht zur Nation schaffen, werden in aller Regel entweder integriert, assimiliert oder aber ausgegrenzt oder sogar vernichtet. Ähnliches gilt für Nationen, die keinen eigenen Nationalstaat bilden; sie kämpfen aber in der Regel gegen ihre Vernichtung, ihre Ausgrenzung und auch gegen ihre Assimilierung an. Wir unterstützen die freie Entfaltung der Nationen, weil sie die (relativ) freie Entfaltung der Menschen, ihres kulturellen Schaffens und nicht zuletzt ihrer Produktivkräfte ermöglicht. Zusammenschlüsse von Nationen sind dann zu begrüßen, wenn sie auf freiwilliger Basis passieren und nicht eine imperialistische Unterordnung bedeuten. Wird eine Nation, wie im Falle Palästinas, unterdrückt, ist ihre Befreiung in einen eigenen, souveränen Nationalstaat notwendig und ein Fortschritt. Ein Fortschritt deshalb, weil erst dadurch eine eigenständige Ökonomie aufgebaut werden kann, die Klassen sich entfalten und formieren können und der Grundwiderspruch (zwischen Kapital und Arbeit) zum Hauptwiderspruch (den es als nächstes strategisch zu überwinden gilt) werden kann. 

Natürlich ist es auch möglich, dass eine nationale Befreiungsrevolution unter kommunistische Führung gelangt und dass sie innerhalb relativ kurzer Zeit in eine sozialistische Revolution hinüberwächst (wie etwa in China, Vietnam oder Kuba). Und natürlich ist dieses Szenario das weitaus beste. Dieser Fortschritt besteht aber eben auch dann, wenn in diesem erkämpften Staat zunächst die Bourgeoisie die Macht übernimmt, wenn reaktionäre oder autoritäre Kräfte das Ruder an sich reißen – und auch dann, wenn es islamische Kräfte tun, die keinen säkularen oder liberalen bürgerlichen Staat errichten, sondern einen theokratischen. Jeder Einzelfall muss konkret bewertet werden. Entscheidend ist dabei für Kommunisten zunächst die Frage, ob dieser Staat politisch und möglichst auch ökonomisch souverän ist, ob er die Produktivkräfte entfalten kann, die Arbeiterklasse anwachsen lässt, den Lebensstandard der Volksmassen, die unter der nationalen Unterdrückung in aller Regel extrem leiden, verbessert. Das sind die harten, materiellen Kriterien, anhand derer wir Fortschritt bemessen. „Weichere“ Kriterien, solche des Überbaus, wie Meinungsfreiheit oder etwa ein Recht, Alkohol zu trinken, anhand derer die westlichen Liberalen so gerne feststellen, ob ein Land „frei“ und „demokratisch“ oder aber eine „Diktatur“ ist, sind für Materialisten selbstverständlich zweitrangig. Wie absurd das ganze ist, soll hier einmal versinnbildlicht werden: In Palästina werden täglich Kinder ohne Anklage auf unbestimmte Zeit eingekerkert oder direkt erschossen. Das ist nur möglich, weil die Zionisten die Palästinenser als Nation kollektiv unterdrücken. In welchem Verhältnis steht dazu die Möglichkeit, dass eine Hamas-Regierung es verbietet, Shisha zu rauchen oder Frauen drängt, ein Stück Stoff auf dem Kopf zu tragen (was sie übrigens beides in Gaza kurz versucht und dann aufgegeben hat)? Man hat teilweise den Eindruck, wenn es um den Islam geht, werden knallharte Kommunisten, hartgesottene Geopolitiker und durch und durch rational denkende Materialisten zu hedonistischen Liberalos und Individualisten, denen Alkoholkonsum und Parties wichtiger sind als die Verteidigung gegen ausländische Besatzer oder die Überwindung totaler Armut und Verelendung der Massen.

Siedlerkolonialismus überwinden ohne Entkolonisierung und Entsiedlung?

Neben latenter Islamfeindlichkeit und weitreichender Ignoranz gegenüber den realen Positionen des islamischen Widerstands drückt sich in den oben dargelegten Ängsten vor einer drohenden „Vernichtung“ der Juden in oder ihrer „Vertreibung“ aus Palästina in palästina-solidarischen Kreisen meinem Eindruck nach noch etwas anderes aus: Und zwar eine diffuse Empathie für oder sogar Identifizierung mit den Siedlern. Ich will hier nicht herumpsychologisieren. Angesichts der Realität in Palästina, in der das Leben von Millionen von Palästinensern buchstäblich nichts wert ist, in der die Menschen dort tagtäglich massakriert werden – gerade die jungen Männer sterben wie Fliegen; nahezu jede der heldenhaften Widerstandsaktionen gegen den übermächtigen Feind gerät zur Märtyrermission –, muss man sich allerdings einmal ernsthaft fragen, was Linke in Deutschland dazu treibt, sich derartige Sorgen um die Zukunft der Unterdrücker zu machen!

Trotzdem versuche ich auch diesen Punkt einmal ernst zu nehmen und darauf einzugehen: Dass es einem nicht behagt, jemanden, der in einem Land geboren ist, wofür er natürlich nichts kann, eine feste Rolle zuzuschreiben, etwa die desjenigen, der sein Geburtsland eben verlassen muss, weil er ins „falsche Lager“ hineingeboren wurde, ist schließlich grundsätzlich nachvollziehbar. Nun ist es ja aber zunächst so, dass wir als Marxisten Menschen durchaus kategorisieren, und zwar nach objektiven Kriterien: Arbeiter sind nicht revolutionär, weil sie klüger, edler oder radikaler sind, und erst recht nicht jeder einzelne von ihnen, sondern sie sind es als Klasse in erster Linie aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess. Und Kapitalisten beurteilen wir auch nicht nach ihrem persönlichen Charakter. In sozialistischen Revolutionen wurden (und werden auch künftig) Kapitalisten (wie auch Großgrundbesitzer und Adelige) in „Sippenhaft“ genommen: Ihnen wurde nach Möglichkeit alles weggenommen, ihre Familien wurden in aller Regel ins Exil getrieben oder interniert, die, die vor Ort in Freiheit blieben, verloren generationenübergreifend ihr Wahlrecht und ihre Kinder wurden dem proletarischen Nachwuchs gegenüber, dessen Nachteile es auszugleichen und den es zum neuen Führungspersonal zu machen galt, benachteiligt. Auch all das war nicht schön. Es war aber notwendig und daher legitim (und wird es wohl auch künftig wieder sein).

Ein anderes, näher am Thema liegendes Beispiel: Auch die BDS-Bewegung handelt letztlich nach dem Prinzip der „Sippenhaft“ bzw. der kollektiven Inverantwortungnahme, denn schließlich ruft die Bewegung zu Sanktionen auf, etwas das wir in der Regel als gegen die Völker gerichtete Kriegspolitik ablehnen; werden diese Sanktionen aber von unten gegen den Willen der Herrschenden erzwungen, etwa gegen das Apartheidregime in Südafrika oder eben das in Palästina, ist der Charakter von Sanktionen ein völlig anderer. Zudem ruft die Bewegung zum kulturellen und akademischen Boykott auf. Dabei werden israelische Künstler und Akademiker mit zur Verantwortung gezogen. Anfang August etwa wurde ein israelisches Modell aus einem ägyptischen Hotel geschmissen. Natürlich war das eine „diskriminierende“ Maßnahme. Sie war aber genau richtig, denn die Siedlerbevölkerung ist eben unmittelbar mitverantwortlich – und angesichts der Tatsache, dass Ägypten zu den Vorreitern in Sachen „Normalisierung“ der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern ist, war dieser Rauswurf umso mehr zu begrüßen und kann als Akt der „Zivilcourage“ gelten. Zudem: Was ist schon das Unbehagen und eine schlaflose Nacht einer Person, die in „ihrem“ Land als „Herrenmensch“ lebt, gegen das Leid der Palästinenser? Trotzdem würde niemand außer knallharten Zionisten behaupten, BDS oder dieser Rausschmiss des israelischen Modells sei antisemitisch.

Was nun die Frage der „Vertreibung“ angeht (für alle, die nicht mehr ganz mitkommen: ja, wir reden hier über eine rein hypothetische, in der Zukunft liegende Vertreibung der Zionisten, nicht die reale und seit Jahrzehnten anhaltende Vertreibung der Palästinenser…): Es geht nicht darum, dass alle Siedler systematisch aus ganze Palästina vertrieben werden sollen oder dass dies auf jeden Fall passieren wird. Wie oben beschrieben, verfolgt keine der wichtigsten Widerstandskräfte ein solches Ziel. Wir müssen aber damit rechnen, dass es zu Fluchtbewegungen kommt, wenn Palästina endlich befreit wird. Zum einen wird es sich um Fluchtbewegungen und ja, auch um Vertreibungen aus der Westbank handeln – diese würde es im Übrigen auch im Zuge einer Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967 geben, wie sie von ihren linken Vertretern gefordert wird, während zugleich, wie oben dargelegt, das 1948 besetzte Palästina endgültig ethnisch gereinigt würde. Aber es wird im Zuge der vollständigen – also der meiner Meinung nach einzigen möglichen – Befreiung Palästinas auch dazu kommen, dass Siedler das Land vollständig verlassen. Dies wird vermutlich weniger mit Vertreibungen zusammenhängen, als viel mehr mit der tiefsitzenden Angst und dem enormen Hass, den jede Siedlerbevölkerung gegenüber den von ihr beraubten, vertriebenen und unterdrückten, als „rassisch“ und kulturell minderwertig angesehenen Indigenen verspürt. Sie fürchten nachvollziehbarer Weise, das ihnen ihre Verbrechen heimgezahlt werden; sie halten die Kolonisierten zudem für wilde Tiere. Und: Sie wollen sie nicht in ihrer Nachbarschaft, im Supermarkt, oder an ihrem Arbeitsplatz haben; sie wollen nicht mit ihnen rechtlich gleichgestellt sein, sie wollen ihnen gegenüber keine Minderheit sein und sie wollen keine von dieser Mehrheit gewählte Regierung über sich haben. Aus Algerien etwa flohen nach der Befreiung fast alle Siedler innerhalb kürzester Zeit, ohne dass es zu nennenswerten Racheakten gegen sie gekommen wäre. Schon jetzt verlassen mehr Israelis Palästina als zuziehen. Und die, die gehen, sind noch die vernünftigeren; die die zurückbleiben sind mittlerweile in der großen Mehrheit Faschisten und/oder religiöse Fundamentalisten. Wir müssen aber auch einsehen, dass Vertreibungen nicht nur menschlich nachvollziehbar, sondern vor allem auch legitim sind, wenn es nämlich um die Rückeroberung des geraubten Bodens geht. Wie sonst soll sich die rechtmäßige Bevölkerung Palästinas ihr Recht und ihr Heim zurückholen, wenn sie es nicht in Besitz nimmt? Die Enteignung der Enteignerlx ist schließlich ein Kernprinzip kommunistischer Politik: Wenn die Stunde des Siedlerkolonialismus schlägt, werden die Landräuber das Land verlieren. Klar ist: In der Realität werden viele Palästinenser ihr Recht auf Rückkehr nicht wahrnehmen, so dass den (vermutlich nicht allzu vielen) Siedlern, die bleiben wollen, genug Platz bleibt und sie vielleicht auch gar nicht enteignet werden, sondern lediglich eine Entschädigung fällig wird.

Nationale Befreiung statt Utopismus!

Das alles hängt selbstverständlich von den konkreten Bedingungen und den Kräfteverhältnissen ab, unter denen die Befreiung Palästinas sich vollziehen wird. Klar ist natürlich, dass diese Befreiung in der Realität auf sehr verschiedene Arten ablaufen kann: Es kann zu einer Befreiung ganz Palästinas in kürzester Zeit kommen oder aber über die Etappe eines Ministaates in den 67er-Gebieten; durch einen Volkskrieg, durch einen konventionellen Krieg, durch einen Bürgerkrieg unter den Siedlern, durch revolutionäre Umbrüche in der Region oder in anderen Teilen der Welt, die den westlichen Imperialismus im Nahen Osten implodieren lassen, oder durch internationalen Druck auf Israel; die Befreiung selbst kann extrem blutig ablaufen oder relativ friedlich und durch Verhandlungen; sie kann in einem Jahr erfolgen oder in 100 Jahren; sie kann direkt in den Bürgerkrieg, in verschiedene Formen bürgerlicher Staaten oder in den Sozialismus führen. Einerseits ist es müßig, eine Prognose zu wagen. Andererseits ist es mit Blick auf die Strategie vor Ort natürlich nicht unwichtig, entsprechende Diskussionen zu führen. Am sinnvollsten erscheint, dass sich die Palästinenser in erster Linie auf ihre eigene Kraft verlassen, denn schon früher wurden sie verraten oder enttäuscht, und das zu Zeiten, in denen es mächtige antikoloniale und sozialistische Bewegungen in der Region und weltweit gab; heute ist die Lage ungleich ungünstiger. Aus genau diesem Grund erscheinen mir Positionen, die davon ausgehen, Palästina könne realistisch erst im Zuge einer revolutionären Umwälzung in der gesamten Region befreit werden, wie es etwa von Marx21 vertreten wird,lxigefährlich, weil sie die Befreiung Palästinas auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben drohen.

Das gilt umso mehr für Positionen, die die nationale Befreiung Palästinas an eine sozialistische Revolution in Palästina (manchmal sogar in der gesamten arabischen Welt) knüpfen. Dabei wird meist argumentiert, dass ein gleichberechtigtes Zusammenleben zwischen Israelis/Juden und Palästinensern nur im Sozialismus möglich sei. So argumentieren u. a. die Bolshevik Tendency (BT),lxii Klasse gegen Klasse (KgK)lxiii oder der Kommunistische Aufbau (KA),lxiv aber auch die MLPD. Der Unterschied zwischen KgK und BT einerseits und MLPD andererseits besteht darin, dass letztere immerhin so realistisch ist, diese Perspektive in naher Zukunft für eher unwahrscheinlich zu halten; ihre Konsequenz ist aber letztlich der Verrat am palästinensischen Volk, indem sie die sog. Zweistaatenlösung als „realpolitische“ Alternative anpreist.lxv Der KA scheint sich in dieser Frage nicht festlegen zu wollen.lxvi Dass ein gleichberechtigtes Zusammenleben zwischen den Religions- und Volksgruppen nur im Sozialismus möglich sei, ist indes nichts anderes als eine unbelegte, dafür aber mit revolutionären Phrasen vernebelte Behauptung. Wie dargelegt, steht dem Zusammenleben in Palästina von indigener Seite nichts im Weg (genau wie früher in Südafrika, Algerien usw.) Es liegt am Ende an den Siedlern, ob sie dazu bereit sind. Das scheint bei den aller meisten nicht der Fall zu sein. Rücksicht muss man darauf nicht nehmen – außer natürlich man hängt einem unmarxistischen Moralismus oder aber dem Irrglauben an, es handle sich bei dieser Kolonialbesatzung um eine Nation.

An dieser falschen Annahme krankt übrigens auch die Forderung nach einem „binationalen“ Staat, dann jedenfalls wenn damit tatsächlich die Meinung verknüpft ist, es gäbe (mittlerweile) eine israelische oder hebräische Nation,lxviiwie etwa von BT behauptet.lxviii Die Siedler mögen heute (nach mehreren Generationen, die in Palästina geboren wurden, durch das viele zusammengeraubte Land und ein gewisses kulturelles Zusammenwachsen) der historischen Gesellschaftsstufe einer Nation näher sein als noch 1948. Trotzdem ist diese Entwicklung, wie oben dargelegt, nicht abgeschlossen und sie wird nicht abzuschließen sein, außer durch den vollendeten Genozid an den bzw. die endgültige Vertreibung der Palästinenser.

Gemeinsam diskutieren und falsche Positionen überwinden!

Ein Großteil der kommunistischen Bewegung, sowohl in Deutschland als auch international, steht noch vor dem notwendigen Schritt, endlich die falsche Doktrin von der „Zweistaatenlösung“ zu überwinden. Das heißt konkret, Israels „Existenzrecht“ endlich klar und deutlich zu verneinen, stattdessen die Befreiung ganz Palästinas zu fordern und sich so auf eine konsequent antikoloniale Position zu stellen. Dieser Schritt ist nach bald 150 Jahren zionistischer Kolonisierung, 75 Jahren anhaltender Nakba und 30 Jahren Betrug von Oslo überfällig! In Deutschland steht hier vor allem die DKP als größte und relevanteste Kraft der kommunistischen Bewegung in der Verantwortung. Aber auch MLPD, Gegen die Strömung und andere sich als kommunistisch verstehende Organisationen sollten ihre falschen Positionen endlich verwerfen. Dafür muss man sich aber überhaupt erst einmal konkret mit dem Thema beschäftigen. Meinem Eindruck nach gibt es eine solche Beschäftigung bei der DKP oder auch der KPD, die sich bislang kaum zum Thema geäußert hat, so gut wie gar nicht, zumindest gibt es kaum entsprechende Veröffentlichungen. Die Voraussetzung für die Einsicht in diese Notwendigkeit liegt natürlich überhaupt erst einmal in der Erkenntnis, dass das Thema Palästina eine hohe politische Relevanz hat, gerade hier in Deutschland.lxix KA oder auch Young Struggle äußern sich dagegen häufiger zu Palästina – aber sie beziehen meines Wissens keine klare Haltung bezüglich der Zweistaatendoktrin. Nicht zuletzt deshalb ist ihre nach außen präsentierte palästina-solidarische Haltung inhaltlich letztlich doch schwer greifbar.

Aber auch jene Genossen, die offen für eine Einstaatlösung eintreten, müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern ihre Vorstellung von diesem künftigen Staat den strategischen Notwendigkeiten einerseits und den politischen Möglichkeiten andererseits entspricht. Oftmals scheint es sich nämlich viel mehr um eine Projektion zu handeln, bei der etwa die nationale Befreiung an Träumereien vom Sozialismus gekettet und so ad absurdum geführt wird. Die Palästinenser in ihrer absoluten Mehrheit kämpfen nicht für eine Utopie, sondern weil sie müssen, weil es für sie ein Kampf auf Leben und Tod ist, der ihnen von den Zionisten und vom westlichen Imperialismus aufgezwungen wird. Wollen wir, dass die Utopie, die wir als Kommunisten miteinander teilen, Realität wird, müssen wir uns vom Utopismus verabschieden, stattdessen die objektiven Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten erkennen, und im Rahmen dieser den Interessen der Arbeiterklasse und der Völker dienen! Das heißt es, so meine ich, Kommunist zu sein und für den Sozialismus zu kämpfen.

i Die Palästinensische Nationalcharta vom 17. Juli 1968, https://www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/plo_charta.html.

ii Zitiert nach Azmy Bischara: Zur Entwicklung der politischen Doktrin der PLO, in: Neuhaus / Sterzing (Hrsg.): Die PLO und der Staat Palästina. Analysen und Dokumente zur Entwicklung der PLO, Frankfurt am Main: Haag + Herchen 1991, S. 28.

iii 1956 hatten sich Israel, Frankreich und Großbritannien vor allem aufgrund US-amerikanischen und sowjetischen Drucks aus Ägypten zurückziehen müssen, auch wenn sich das ägyptische Volk zugleich heldenhaft gegen die Dreieraggression zur Wehr setzte.

iv Ebenda S. 27. Hervorhebung N. B.

v 10-Punkte-Programm, 12. Sitzungsperiode des Palästinensischen Nationalrates (1.-8. Juni 1974), https://www.yumpu.com/de/document/read/25120021/10-punkte-programm-1974-vom-1.

vi Tatsächlich zwang die Erste Intifada, also die massenhafte politische Mobilisierung in der Westbank, 1988 Amman dazu, endlich von seinen Ansprüchen auf das Westjordanland abzulassen.

vii Helga Baumgarten: Palästina. Befreiung in den Staat. Die palästinensische Nationalbewegung seit 1948, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 246 f.

viii Ägypten hatte 1978/79 als erstes arabisches Land Frieden mit Israel geschlossen und das zionistische Regime damit offiziell anerkannt.

ix Gerrit Hoekmann: Zwischen Ölzweig und Kalaschnikow. Geschichte und Politik der palästinensischen Linken, Münster: Unrast 1999, S. 175.

x Ein weiterer Punkt ist der, dass die Intifada sich zwar stets zur PLO bekannte, sie als einzig legitime Vertretung der Palästinenser akzeptierte und politisch von den PLO-Mitgliedsorganisationen bzw. der PLO geführt wurde. Sie war aber zugleich auch ein Aufstand von unten, der spontan begann und in dem sich die Massen mit den Volkskomitees eigene (Macht-)Strukturen schufen, die sich zwar in erster Linie gegen die israelische Besatzung und ihre Kollaborateure richteten, aber eben auch das Potential hatten, die PLO-Elite in Bedrängnis zu bringen.

xi Die Golfstaaten reduzierten ihre finanzielle Hilfe für die PLO drastisch und wiesen zudem hunderttausende palästinensische Arbeitsmigranten aus, die zu den wichtigsten Verdienern der Palästinenser gehörten. 

Zusätzlich zur neuen unipolaren Weltordnung, in der die USA nun allein bestimmen konnten, wer gut und wer böse war, und in der ihre regionalen Alliierten an Macht gewannen, kam noch erschwerend hinzu, dass der Irak es sich auch mit den anderen anti-westlich ausgerichteten Regimen in der Region, nämlich Syrien und Iran, verscherzt hatte: 1980, unmittelbar nach der dortigen Revolution, hatte der Irak das Nachbarland Iran angegriffen und so einen achtjährigen, äußerst blutigen Krieg vom Zaun gebrochen. Die beiden im Irak und in Syrien herrschenden Baath-Parteien indes waren seit den 1960er Jahren verfeindet; Syrien unterstützte daher nicht nur den Iran ab 1980, sondern auch den Westen 1991 gegen den Irak.

xii Leon Wystrychowski: Zwischen Kolonialismus, nationaler Befreiung und Klassenkampf: Die palästinensische und israelische Linke. Ein historischer Überblick, Berlin: AphorismA 2023, S. 13.

xiii Eine Beurteilung ist auch deshalb so schwer, weil die bürgerliche Literatur Stalin bzw. der Sowjetunion sowohl Antisemitismus als auch Araber-Feindlichkeit anlastet und die gesamte sowjetische Außenpolitik aus geo- und machtpolitischen Interessen herleitet, während Stalin-Apologeten wiederum das Verhalten der UdSSR entweder einfach rechtfertigen (so etwa die MLPD und in absolut ekelhaftester Weise die Gruppe Gegen die Strömung) oder aber die Mitverantwortung der Sowjetunion für die Nakba herunterspielen; letzteres gilt auch für die DDR-Literatur. (Wystrychowski, S. 13.) Dass die Tschechoslowakei damals (gemeinsam mit Ungarn und Jugoslawien) Waffen an die Zionisten lieferte und sogar zionistische Kampfpiloten ausbildete, dürfte unumstritten sein. Die Vermutung, dass sie dafür grünes Licht aus Moskau bekamen, liegt zwar nahe, stützt sich meines Wissens aber lediglich auf Vermutungen, nicht auf Quellen. Eine umfassende, faktenbasierte und schonungslos selbstkritische Auseinandersetzung aus marxistisch-leninistischer Perspektive steht jedenfalls noch aus. Dafür bedürfte es allerdings nicht zuletzt der Forschung in sowjetischen Archiven.

xiv Rede des sowjetischen Delegierten der sozialistischen Sowjetunion vor der UNO, 14.5.1947 (77. Plenarsitzung), in: Der UN-Teilungsplan für Palästina und die Gründung des Staates Israel (1947/48), Offenbach: Olga Benario und Herbert Baum 2002, S. 111.

xv In derselben Rede behauptete Gromyko, sowohl die Araber als auch das „jüdische Volk“ hätten gleichsam „historische Wurzeln in Palästina“. (Ebenda, S. 112.) Im November desselben Jahres erklärte er erneut, „beide“ könnten „tiefverwurzelte historische Bindungen zu diesem Land aufweisen.“ (Der Repräsentant der Sowjetunion vor der UNO am 26. November 1947. Aus dem Sitzungsprotokoll der 125. Plenartagung der UNO, 26.11.1947, in: ebenda, S. 112.) Dies konnte in Wahrheit aber nur für die palästinensischen Juden gelten, nicht für die europäischen Siedler. Gromyko folgte damit einem weiteren zionistischen Mythos, nämlich dem, dass die Juden in Europa tatsächlich die in der „Diaspora“ lebenden Nachkommen der Hebräer waren, die im Zeitraum vor etwa 2000-2500 Jahren in Palästina lebten, und nicht mehrheitlich zum Judentum konvertierte Europäer. Davon abgesehen, dass ein Anspruch auf eine „Rückkehr“ nach 2000 Jahren absurd ist, könnten sämtliche Christen der Welt auf genau dieselben „historischen Wurzeln in Palästina“ verweisen, niemand würde daraus folgern, dass sie ein „Recht“ auf Palästina hätten.

xvi Josef Stalin: Marxismus und nationale Frage, https://www.marxists.org/deutsch/referenz/stalin/1913/natfrage/kap1.htm.

xvii Ebenfalls 1982 gründete sich eine Palästinensische Revolutionäre Kommunistische Partei in Ablehnung der Linie der PKP. Sie bestand allerdings nur aus wenigen Leuten und wurde nicht von Moskau anerkannt. Ihr Primat lag auf dem bewaffneten Kampf gegen Israel und sie gehörte zu den entschiedenen Gegnern von Oslo. 2015 starb ihr Vorsitzender Arabi Awwad.

xviii Diese Konferenz wurde 1991 von den USA und Israel vorangetrieben und sollte einen „Frieden“ zwischen Israel und den arabischen Ländern herstellen. Wie von Israel diktiert, war die PLO nicht zugelassen, nahm aber inoffiziell teil, was zu scharfer Kritik an der PLO-Führung von palästinensischer Seite führte. Die Gorbatschow’sche Sowjetunion spielte die zweite Geige, gehörte aber neben Spanien und den USA zu den offiziellen Initiatoren.

xix Musa Budeiri: Class and nation. Arab and Jewish communists in Palestine, in: Feliu / Izquierdo-Brichs (Hrsg.): Communist Parties in the Middle East. 100 Years of History, London/New. York: Routledge 2019, S. 144.

xx Der Hintergrund für die Überarbeitung des Programms war, dass PFLP und DFLP durch ihre Strategie, die den Sturz der jordanischen Monarchie auf die Tagesordnung setzte, den Schwarzen September im Herbst 1970 (zumindest mit) provoziert hatten. Unmittelbar danach begannen in der DFLP Diskussionen über die daraus zu ziehenden Konsequenzen. (Naser Khalil: Nayef Hawatmeh (DFLP). Wegbereiter und Kritiker einer friedlichen Beilegung des Palästinakonflikts, Magisterarbeit an der Uni Freiburg (WS 2009/2010), S. 65-70.) Wie oben erläutert, waren auch das Etappen-Programm und die im Zusammenhang damit eingeführten taktischen und schließlich strategischen Änderungen bei der PLO zunächst stark von der Notwendigkeit getrieben, den jordanischen Ansprüchen auf die Westbank zu begegnen.

xxi Vgl. Baumgarten S. 245.

xxii Khalil, S. 66 f.

xxiii John Bunzl: Die Sowjetunion und der Nahe Osten. Elemente einer Analyse, in: Bunzl / Flores / Rasoul: Falscher Alarm? Studien zur sowjetischen Nahostpolitik, Wien: Wilhelm Braumüller 1985, S. 74. Dabei ist zwar auffällig, dass die Durchsetzung der Etappen-Theorie innerhalb der DFLP zeitgleich mit der Annäherung an die Sowjetunion erfolgte, ein Zusammenhang, etwa dahingehend, dass die UdSSR auf das Programm der DFLP Einfluss nahm, wird meines Wissens nach aber weder in der Fachliteratur noch von Seiten der DFLP selbst aufgemacht.

xxiv Martin Robbe: Scheidewege in Nahost. Der Nahostkonflikt in der Vergangenheit und Gegenwart, Berlin: Militärverlag der DDR 1987, S. 315.

xxv Hoekmann, S. 119 f.

xxvi Khalil, S. 75 f.

xxvii So legitimiert sie etwa bis heute Angriffe auf die Siedlerbevölkerung auch in Israel. Derlei Gewalt gegen die „Zivilbevölkerung“ ist aber eigentlich nur zu rechtfertigen, wenn man die zionistische Entität eben nicht als Nationalstaat anerkennt, sondern als Besatzungsregime und deren nicht-palästinensische „Bürger“ als Teil dieser Besatzungsmacht versteht. Andernfalls würde es sich tatsächlich um Terrorismus bzw. um Kriegsverbrechen handeln, diese Menschen ins Visier zu nehmen. 

xxviii In den späten 80ern kämpfte sie innerhalb der PLO für einen „kämpferischen Etappismus“, trat dann aber erneut aus dem PLO-Exekutivkomitee aus, als klar wurde, dass die Fatah– und PLO-Führung mehrheitlich für eine Zweistaaten-Kapitulation eintraten. (Hoekmann, S. 201.) 

xxix Baumgarten, S. 246.

xxx Bischara, S. 30.

xxxi Hierzu heißt es sowohl auf dem Cover als auch der ersten Innenseite des Programms: „Die damalige Zustimmung unserer Partei zum Teilungsbeschluss von 1948 mag taktisch und vorübergehend richtig gewesen sein, aber die Fakten, die uns heute vorliegen, beweisen, dass sie strategisch und historisch falsch war.“ (The Political Program of the Palestinian Communist Party (3. Auflage vom September 2018).)

xxxii Die einstimmig, d. h. auch von der Sowjetunion, im UN-Sicherheitsrat angenommene Resolution forderte einerseits den Rückzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten und andererseits den Friedensschluss mit und die Anerkennung von Israel durch die arabischen Länder. (Resolution 242 (1967) vom 22. November 1967, https://www.un.org/depts/german/sr/sr_67/sr242-67.pdf.)

xxxiii Political Program, S. 4.

xxxiv Neben der PKP gibt es noch die Palestinian People’s Party (PPP). Sie entstand im Oktober 1991 aus einer Mehrheit in der KP, die sich vom Marxismus lossagte und zu einer sozialdemokratischen Partei umwandelte. Trotzdem ist auch die PPP bis heute eine Schwesterorganisation der DKP und Teil von Solidnet. Sie hält an der Zweistaatendoktrin fest.

xxxv Historic Drop in Support for Two-State Solution among Palestinians, Israelis, https://www.palestinechronicle.com/historic-drop-in-support-for-two-state-solution-among-palestinians-israelis/.

xxxvi Petra Wild: Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Zur Zukunft eines demokratischen Palästinas, Wien: Promedia 2015, S. 141.

xxxvii Ebd. S. 191.

xxxviii Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_378.htm.

xxxix Ilan Pappé: Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des Zionismus, Neu Isenburg³: Cosmics 2017, S. 57 f.

xl Ebd. S. 105.

xli Petra Wild: Siedlerkolonialismus und Apartheid in Palästina, http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24091.

xlii Ebd.

xliii Wild: Krise des Zionismus, S. 137.

xliv Ebd. S. 153 f.

xlv Ebd. S. 154.

xlvi Beschluss der 3. Fatah-Konferenz von 1971, zitiert nach Baumgarten, S. 239.

xlvii Zitiert nach ebd.

xlviii Wild: Krise des Zionismus, S. 131-35, 142 f.

xlix Die Kräfte in der Hamas, die die nationale Befreiung Palästinas und die dafür notwendigen guten Beziehungen zur Achse Teheran-Damaskus-Beirut auch über ihre traditionelle internationale Einbindung in das Netzwerk der Muslimbruderschaft, aus der die Hamas ja stammt, stellen, geben (erfreulicherweise) gerade in die letzten Jahren verstärkt den Ton an. (The Radle: ‚Regime change‘ in Hamas and a return to Syria, https://new.thecradle.co/articles/regime-change-in-hamas-and-a-return-to-syria.)

l Khaled Hroub: Hamas. Die islamische Bewegung in Palästina, Heidelberg: Palmyra 2010, S. 71.

li Wild: Krise des Zionismus, S. 154.

lii Hamas: A Document of General Principles and Policies (1. Mai 2017), https://hamas.ps/en/post/678/A-Document-of-General-Principles-and-Policies.

liii Ebd.

liv Erik Skare: A History of Palestinian Islamic Jihad. Faith, Awareness, and Revolution in the Middle East, Cambridge: Cambridge University Press 2021, S. 39 f. Die Hamas dagegen beschrieb den Konflikt zunächst sowohl als einen kolonialen als auch einen inter-religiösen.

lv Hoekmann, S. 45.

lvi Meir Hatina: Islam and salvation in Palestine. The Islamic Jihad Movement, Tel Aviv: Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African studies, S. 52.

lvii So hält sich etwa das Gerücht, die Hamas sei von Israel aufgebaut worden. Dafür gibt es aber keinerlei Belege. Wahr ist, dass die Zionisten möglicherweise die Muslimbruderschaft (MB), die in Palästina in den 1950-80er Jahren eine weitgehend quietistische, d. h. apolitische und passive Haltung einnahm, Geld zum Bau von Moscheen gab. Sie erhofften sich davon eine Schwächung der nationalen Befreiungsbewegung. Sowohl Helga Baumgarten als auch Jean-Pierre Filiu gegen nicht von einer direkten Unterstützung der MB durch Israel aus. (Helga Baumgarten: Kampf um Palästina. Was wollen Hamas und Fatah?, Freiburg im Breisgau: Herder 2013, S. 56-66, 202 Fußnote 59.) Für Gerüchte, wonach die Hamas die PFLP in den 2000er Jahren physisch angegriffen habe, habe ich bis heute keine Belege gesehen.

lviii Zu letzterem haben wir als KO in unseren letzten Stellungnahmen schon ein wenig geschrieben: KO: Intifada bis zum Sieg!, KO: 75 Jahre Nakba – 75 Jahre zionistische Kolonisation Palästinas. Außerdem bin ich in meinem letzten Diskussionsbeitrag ebenfalls ein wenig darauf eingegangen: Noel Bamen: Mit palästina-solidarischen Vorsätzen in die zionistische Hölle: Eine Kritik an den „Grundlinien“ der MLPD zum palästinensischen Befreiungskampf.

lix Bamen, MLPD. Und: Noel Bamen: Thesen zu Afghanistan.

lx Karl Marx: Das Kapital Band 1, http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_741.htm#Kap_24_7.

lxi Marx21: https://www.marx21.de/faq-wie-steht-marx21-zur-befreiung-palaestinas/; Ramsy Kilani: https://youtu.be/CSrpwYVTZjc?t=2851.

lxii BT: Permanente Revolution und Palästina. Vom nationalen Volkskrieg zum internationalen Klassenkampf, https://bolsheviktendency.org/2021/09/05/permanente-revolution-und-palastina/; BT: Israels Angriff auf Pazifisten, https://bolsheviktendency.org/2019/03/10/israels-angriff-auf-pazifisten/.

lxiii Im Absolutheitsgrad etwas unterschiedlich: Benny: Ist das Existenzrecht Israels unverhandelbar?,https://www.klassegegenklasse.org/ist-das-existenzrecht-israels-unverhandelbar/; Achmed Zmero: Nakba: 75 Jahre israelische Gewalt gegen Palästina, https://www.klassegegenklasse.org/nakba-75-jahre-israelische-gewalt-gegen-palaestina/; Nathaniel Flakin / Thaddeus Greene: Es gibt keine Demokratie in der Apartheid, https://www.klassegegenklasse.org/es-gibt-keine-demokratie-in-der-apartheid/.

lxiv KA: 75 Jahre Nakba: Internationale Solidarität für Freiheit und Frieden in Palästina!, https://komaufbau.org/75-jahre-nakba-internationale-solidaritaet-fuer-freiheit-und-frieden-in-palaestina/

lxv Auf die Positionen der MLPD bin ich bereits an anderer Stelle eingegangen. (Bamen, MLPD.) Im Nachhinein schien es nicht klug, die MLPD in der Überschrift und im Titelbild so hervorzuheben, da viele den Text nicht lesen wollten, weil sie die MLPD für „irrelevant“ halten. Zum einen ist es aber so, dass die MLPD nur stellvertretend kritisiert wird; ihre Positionen sind in der linken und kommunistischen Bewegung weit verbreitet. Zum anderen kann ich die allermeisten Kritiken an der MLPD zwar voll und ganz nachvollziehen. Allerdings tritt die MLPD mit ihrer Palästina-Solidarität für deutsche Verhältnisse relativ offensiv auf (anders als etwa die DKP), hat dafür in der Vergangenheit auch bereits Repression erfahren und ist daher für einige Palästinenser ein relevanter Akteur. Darüber einfach hinwegzugehen, halte ich für überheblich.

Im Übrigen hat die MLPD mittlerweile auf meine Kritik an ihren Palästina-Positionen mit einer Antwort reagiert. (Reinhard Funk: Die Sackgasse des kleinbürgerlichen Nationalismus eines Noel Bamen, https://kommunistische-organisation.de/artikel/reinhard-funk-mlpd-die-sackgasse-des-kleinbuergerlichen-nationalismus-eines-noel-bamen/.) Der vorliegende Text von mir war allerdings schon fertig, als diese Antwort bei uns eingereicht wurde und nimmt daher keinen direkten Bezug auf sie, auch wenn ich hier einige der dort angeführten Behauptungen meine, zu widerlegen.

lxvi So schon mein Eindruck im Frühjahr 2023. (Bamen, MLPD.)

lxvii Das Konzept einer solchen „hebräischen Nation“ entstand Ende der 1950er Jahre in „linkszionistischen“ und kommunistischen Kreisen in Israel; es war der Versuch, die jüdische Siedlergesellschaft vom Judentum zu lösen und nach säkularen kulturnationalistischen Kriterien umzudefinieren. Dieses Konzept wurde später auch von der trotzkistisch geprägten antizionistischen Matzpen übernommen. (Lutz Fiedler: Matzpen. Eine andere israelische Geschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017, S. 183-89.)

lxviii BT, Permanente Revolution und Palästina.

lxix Dazu wird hoffentlich bald ebenfalls ein Text bei uns erscheinen.

Podcast #39 – Wolfram Elsner: Die USA auf dem absteigenden Ast und die Rolle Chinas

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Im Juli hatten wir Wolfram Elsner zu Gast. Er spricht mit uns über die gegenwärtigen Veränderungen in der Welt. Stehen die USA noch an der Spitze der Weltordnung? Was ist die Bedeutung und Rolle der Volksrepublik China? In den Blick genommen werden dabei Veränderungen der letzten Jahre im Bereich der Wirtschaft, Politik, und auf technisch-wissenschaftlichem Gebiet. Zunehmend drängt sich die Frage eines nächsten großen Krieges auf.

Spaltung und Selbstzensur: Der Antikriegstag 2023

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Rund um den diesjährigen Antikriegstag waren wir in BerlinBremenChemnitzDresden, Duisburg, DüsseldorfErfurtEssenFrankfurt am MainLeipzigMannheim und Neuss auf der Straße. Wir traten mit kämpferischen Positionen gegen die NATO auf, warben für den anstehenden Kommunismus Kongress, verteilten unsere Kongress-Zeitung und unsere diesjährige Stellungnahme zum Weltfriedenstag, hielten Reden, trugen das Grußwort des ukrainischen Genossen Alexej Albu von Borotba vor und führten Diskussionen. Außerdem organisierten wir an diesem Wochenende mehrere Veranstaltungen zu den Themen Antiimperialismus und nationaler Befreiung in Bezug auf Westafrika, die Ukraine und das BRICS-Bündnis sowie zu unserem Vorhaben eines kommunistischen Klärungsprozesses.

Zwischen NATO-Sprech und Selbstzensur 

Wie schon im letzten Jahr und zuletzt bei vielen Ostermärschen war auch auf den allermeisten Kundgebungen zum diesjährigen Antikriegstag die Rede vom „russischen Angriffskrieg“. Zudem wurde häufig eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Ukrainekrieg eher vermieden, um stattdessen auf die sozialen Folgen der Aufrüstung und des Wirtschaftskriegs für Deutschland zu sprechen zu kommen. Interessanter- und umso bedauerlicherweise waren dafür nicht nur Kräfte verantwortlich, die selbst eine äquidistante Position vertreten, sondern auch solche, die eigentlich eine starke Anti-NATO-Haltung an den Tag legen. Derlei Selbstzensur wurde meist damit begründet, man „müsse die Leute da abholen, wo sie stehen“. Wir halten Selbstzensur und die Wiederholung von NATO-Floskeln allerdings nicht für die korrekte Anwendung dieser grundsätzlich richtigen Devise. In verschiedenen Städten hatten wir zudem den Eindruck, dass die Teilnehmer und das Publikum der Proteste durch diese Politik eher enttäuscht und gelangweilt wurden und mit der Zeit abgeschreckt werden.

Es gab jedoch auch Veranstaltungen, die explizit eine äquidistante Position vertraten und die somit in der Konsequenz den antirussischen Kurs der Bundesregierung von ‚links‘ aus mit vermeintlich friedenspolitischen Positionen legitimieren. So etwa in BerlinFrankfurt am Main und Leipzig. Das Hauptanliegen dieser Veranstaltungen bestand in der Gegnerschaft zum „russischen Angriffskrieg“. Die Forderung an die Bundesregierung zum Stopp der Waffenlieferung muss vor diesem Hintergrund notwendig widersprüchlich ausfallen, auf jeden Fall verhallt sie.

Linkspartei: vor der Spaltung oder der Zersplitterung?

Die Rolle und die bevorstehende Spaltung der Partei Die Linke (PdL) begegnete uns in mehreren Städten. In Berlin etwa nahmen führende Persönlichkeiten der PdL eine zentrale Rolle bei einer Demonstration ein, die sich dezidiert mit ihrer äquidistanten Positionierung als Alternative zur traditionellen Antikriegstags-Kundgebung inszenierte. In anderen Städten, wie etwa Bremen oder Neuss, traten mit Amira Mohamed Ali und Andrej Hunko dagegen PdL-Vertreter als zentrale Redner auf, die dem sog. Wagenknecht-Lager zugerechnet werden. Teile der Friedensbewegung scheinen auf die Kräfte dieses „Lagers“ zu hoffen. Doch wie wir bereits an anderer Stelle kritisierten, kommen auch von Wagenknecht und Co. vor allem pazifistische Phrasen, während man den Ukrainekrieg und seine politische Bedeutung selbst weitgehend ausklammert, um sich auf soziale Fragen zu fokussieren.

Angesichts der Gerüchte um die Auflösung von Marx21i scheint es mit Blick auf die PdL richtiger zu sein, von einer Zersplitterung denn von einer Spaltung zu sprechen, die sich aktuell anbahnt: Neben den beiden großen Lagern, auf die auch die bürgerlichen Medien schauen, gibt es in der Linkspartei zahlreiche kleinere, meist linksradikale und trotzkistische Zusammenhänge, die in der Auseinandersetzung zwischen dem sog. Wagenknecht- und den sog. linksliberalen Lager sozusagen zwischen den Stühlen stehen. Das Zerfallen der PdL wird wahrscheinlich einige Kräfte freisetzen, die bisher in dieser Partei gebunden waren. Dennoch zeigt die Tatsache, dass Teile von Marx21 offenbar mit Parolen über einen „nationalen Befreiungskampf“ der Ukraine gegen Russland kokettieren, dass es sich nicht zwangsläufig um die fortschrittlicheren oder linkeren Kräfte innerhalb der Partei handelt.

Berichte aus einzelnen Städten

In Berlin trat die Spaltung der Friedenskräfte in diesem Jahr ganz offensichtlich zu Tage. Neben der Kundgebung zum 1. September, die traditionell von der Friedenskoordination Berlin (FriKo) ausgerichtet wird, organisierten Kreise aus der Linkspartei (PdL), der Interventionistischen Linken (iL), der Antifa Nord-Ost (NEA) und weiterer Organisationenii eine Demonstration am 2. September, die sich explizit politisch von der Veranstaltung der FriKo abgrenzte. Neben Janine Wissler und Gesine Lötzsch trat u. a. auch Christine Buchholz (alle drei PdL) mit einer Rede vor Ort auf. Sie brachte den politisch diffusen und gefährlichen Kurs der Versammlung in einem Tweet auf den Punkt: „Weder Putin noch NATO. Solidarität mit dem Widerstand gegen den Krieg in Russland, der Ukraine und anderswo.iii Zuvor hatte sie auch in der jungen Welt erklärt, das Bündnis positioniere „sich unmissverständlich gegen den russischen Krieg in der Ukraine (…) und genauso unmissverständlich gegen die Eskalation seitens der NATO und der Bundesregierung“.iv Die Kundgebung zog im Unterschied zur Kundgebung der FriKo wahrnehmbar mehr junges Publikum an, vorrangig aus dem Umfeld linksradikaler Kräfte aus Berlin und „roter Gruppen“. Überschneidungen zur Kundgebung der FriKo tags zuvor bildeten lediglich Einzelpersonen. Zahlenmäßig waren beide Veranstaltungen mit etwa 700 Teilnehmern etwa gleich stark.

Als KO traten wir sichtbar mit Transparent und unserer KoKo-Zeitung auf der FriKo-Kundgebung auf. Von vielen Teilnehmern gab es Zuspruch zu unserer sehr klaren Losung „Stoppt den Krieg gegen Russland!“ und Interesse am Kommunismus Kongress. Auch hier wurde in den Reden deutlich, dass es zur Einschätzung des Krieges und der Rolle Russlands weiterhin große Unklarheiten und verschiedene Sichtweisen gibt. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, diesen Dissens anzupacken, um den Krieg, die damit zusammenhängenden weltweiten Entwicklungen und die Rolle Deutschlands darin besser zu verstehen. Das Hauptanliegen der FriKo-Kundgebung, gegen Aufrüstung in der BRD und Waffenlieferungen in die Ukraine mobil zu machen, wurde dennoch sehr deutlich und wurde übereinstimmend geteilt.

In Bremen nahmen wir mit etwa 300 weiteren Demonstranten an der Kundgebung des Friedensforums unter dem Titel „Alle Kriege beenden“ teil. Auf Schildern trugen wir die Forderungen „Stoppt den Krieg gegen Russland!“ und „NATO raus aus der Ukraine!“ auf die Straße.

Obwohl relevante Teile des Friedensforums eine klare Anti-NATO Position vertreten, wurde diese nicht klar nach außen vertreten. Teilnehmer, die sich eine konsequente Kritik an der NATO wünschten, versuchte man, mit Verweisen auf „die Vorgeschichte“ des Ukrainekriegs abzuspeisen. So war die Veranstaltung leider von linksradikaler Äquidistanz einerseits und hohlem Pazifismus andererseits geprägt. Durch beides war das gesamte Auftreten weitgehend entpolitisiert: Die Linksradikalen boten ihre revolutionär klingenden Phrasen feil, die Pazifisten warnten vor einer eher abstrakten Weltkriegsgefahr, hatten aber keine konkreteren Vorschläge als die Parole „Frieden jetzt!“ anzubieten.

In Chemnitz führten wir gemeinsam mit der Chemnitzer Friedensinitiative und der DKP eine Kundgebung in der Innenstadt durch. In den Reden wurde immer wieder auf die Kriegstreiberei der NATO-Staaten hingewiesen, wie auch auf die sozialen Verschlechterungen in Deutschland. Auch diesmal kamen unsere klaren Positionen gegen die NATO und den Kriegskurs der Bundesregierung bei der Mehrheit der Teilnehmer sehr gut an. 

In Dresden versammelten wir uns gemeinsam mit DKP, SDAJ und einer lokalen Friedensinitiative am 1. September vor der Frauenkirche, um unsere Positionen gegen die deutsche Kriegspolitik und die weltweite NATO-Aggression an die Bevölkerung heranzutragen. Während NATO-Apologeten unter den Passanten sich nur selten auf Gespräche einließen, konnten wir viele spannende Diskussionen rund um die Rolle des Westens in der Welt führen. Auch die Bedeutung rechter Kräfte für die sächsische Friedensbewegung wurde häufig zum Thema. Eine Diskussion um die Rolle Russlands in der Ukraine am Ende der Veranstaltung zeigte allerdings noch einmal deutlich die Notwendigkeit von vertiefter Klärung unter uns Kommunisten zugunsten einheitlicher und kämpferischer Positionen.

Anschließend haben wir an einer Versammlung der Linkspartei zum Weltfriedenstag teilgenommen. Nicht wenige Redner blieben sehr allgemein und wichen damit den kontroversen Themen aus – oder aber sie verschafften sich mit einer Verurteilung des „russischen Angriffskrieges“ eine Eintrittskarte in den herrschenden Pro-NATO-Diskurs. Da dies absehbar war, fokussierten wir uns in unserem Redebeitrag inhaltlich auf Niger und die Notwendigkeit internationaler Solidarität mit den Kämpfen der Völker gegen den Neokolonialismus und die westliche Vorherrschaft. Die Reaktionen auf die Rede waren sehr positiv und einige Teilnehmer kamen danach auf uns zu und drückten ihre Zustimmung zu unserem Beitrag und zu unseren klaren Anti-NATO-Positionen aus, die im Kontrast zur Mehrheit der teilnehmenden Organisationen standen.

Am 2. September stellten wir bei einer Veranstaltung zahlreichen Teilnehmern, die tags zuvor die Kundgebungen besucht hatten, sowie Genossen aus der kommunistischen- und Friedensbewegung unseren Klärungsprozess vor und diskutierten auf einem Podium die nationale und koloniale Frage vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs und der Ereignisse in Westafrika.

In Duisburg fand am 1. September eine Kundgebung des lokalen Bündnisses Heizung, Brot und Frieden statt, an der sich etwa 40 Leute beteiligten. Die Aktiven im Bündnis vertreten klare Anti-NATO-Positionen, auch im Ukrainekrieg. Allerdings lag der Fokus der Kundgebung eher allgemein auf der postulierten „Weltkriegsgefahr“, der Verantwortung Deutschlands und des Westens für Kriege in der ganzen Welt, auf dem Zusammenhang zwischen Krieg, Aufrüstung und Sozialabbau oder auch auf dem Befreiungskampf der Palästinenser. In den Redebeiträgen von Vertretern der Linkspartei, dem Friedensforum und von ATIF war die Rede vom „russischen Angriffskrieg“. Dagegen setzte das Grußwort von Alexej Albu, das einer unserer Genossen vortrug, andere Akzente: „Russland hat uns, die Menschen im Donbass, vor der ukrainischen Armee gerettet.“ Das Grußwort des Genossen zog die Teilnehmer sichtlich in Bann und erntete lauten Applaus. 

In Frankfurt beteiligten wir uns an der Kundgebung zum Antikriegstag, zu der der DGB, die Naturfreunde, die Friedens- und Zukunftswerkstatt sowie weiteren Organisationen aufgerufen hatten. Die Kundgebung mit etwa 200 Teilnehmern war geprägt von pazifistischen Redebeiträgen, die Krieg im Allgemeinen verurteilten und das Leid der betroffenen Menschen beklagten. Der Demo-Aufruf ist ein Ausdruck für den anhaltenden, wohl aber seit Februar 2022 beschleunigten Niedergang der deutschen Friedensbewegung. Er fordert als erstes Russland auf, alle Truppen zurückzuziehen, und bekräftigt das „Selbstverteidigungsrecht“ der Ukraine. Damit ist jede Frage nach der Rolle der NATO vom Tisch, keine Rede davon, welche Gründe es für den Krieg gibt und erst recht keine Verurteilung der NATO als Aggressor. Konsequenterweise werden Waffenlieferungen nicht abgelehnt. Es wurde zwar beklagt, dass in den Medien „wahllos nach immer mehr Waffen“ gerufen werde, aber zugleich gelte es auch, „alte Gewissheiten immer wieder zu überprüfen, um nicht in Dogmen zu verharren: wir müssen Fakten, Argumente und Überzeugungen abwägen, ausgewogen argumentieren und solidarisch diskutieren.“v Das ist in der Konsequenz nichts anderes als eine Rechtfertigung für Waffenlieferungen. „Solidarisch diskutieren“ heißt hier, in der Friedensbewegung Positionen durchzusetzen, die Waffen an die NATO-Marionetten befürworten!

Die Friedens- und Zukunftswerkstatt veröffentlichte einen eigenen Aufruf, in dem sie zumindest eindeutig die Ablehnung von Waffenlieferungen betonten.vi Es ist anzunehmen, dass sie sich mit dieser Forderung im gemeinsamen Aufruf mit dem DGB und anderen Organisationen nicht durchsetzen konnten, weshalb sie einen eigenen Aufruf formulierten.

Der Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD hatte ebenfalls einen Aufruf veröffentlicht und eine eigene Demo organisiert. Dieser Aufruf bringt es fertig, kein einziges Wort zum aktuellen Krieg in der Ukraine zu verlieren, und nur allgemeine Phrasen zu dreschen. Entsprechend fehlen hier auch Positionen gegen Waffenlieferungen oder gegen die NATO-Aggression gegen Russland.vii

Nach der zentralen Kundgebung gab es eine kleinere Demo der Föderation klassenkämpferischer Organisationen, einer Sammlung von Vorfeldstrukturen des Kommunistischen Aufbaus, an der sich u. a. auch Young Strugglebeteiligte. Der Aufruf stellt NATO und Russland bzw. China gleich. Er wendet sich zwar gegen Aufrüstung und die Etablierung einer Kriegswirtschaft und die NATO-Staaten Türkei, Deutschland und USA werden für „blutige Angriffskriege“ kritisiert. Zu einer eindeutigen Position gegen die NATO-Aggression gegen Russland und gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine kann er sich jedoch nicht durchringen.viii

Politisch war dieser 1. September in Frankfurt ein Ausdruck der Misere der Friedensbewegung, die nicht einmal in der Lage dazu ist, sich klar und eindeutig gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine zu stellen. Grund dafür ist, dass die herrschende Propaganda, die Ukraine und die NATO verteidigten sich, weitgehend übernommen wurde und kaum auf Widerspruch gestoßen ist. 

Dabei ergänzen sich einerseits pazifistische Positionen, die Kriege generell ablehnen und dabei nicht explizit die NATO als Aggressor benennen, sowie andererseits äquidistante bzw. linksradikale Parolen, die allgemein gegen Kriege aufrufen und betonen, die Arbeiterklasse sollte sich nicht instrumentalisieren lassen. Jedoch unterlassen sie es, die konkrete Aggression seitens des deutschen Imperialismus und der NATO klar anzusprechen.

Unsere Genossen vor Ort haben Flyer und KoKo-Zeitungen verteilt und viele Gespräche geführt. Dabei fiel auch hier auf, dass viele mit dem Zustand der Friedensbewegung unzufrieden sind und ebenso viele der Meinung sind, dass die NATO verantwortlich für den Ukrainekrieg ist. Wie wir erfahren haben, gibt es mittlerweile auch einige eher informelle Diskussionszirkel und Austauschrunden, in denen versucht wird, sich ein wirkliches Bild über die Lage zu machen. Ansätze für eine konsequente Anti-NATO-Bewegung gibt es also, wenn auch vermutlich noch eher sehr kleine.

In Leipzig organisiert seit mehr als 15 Jahren der Personenkreis rund um das Bündnis Leipzig gegen Krieg (LgK) die zentrale Kundgebung zum Weltfriedenstag. Auch wir nahmen an der diesjährigen Veranstaltung teil und gestalteten sie aktiv mit. In diesem Jahr meldeten jedoch Vertreter der PdL schon weit im Voraus eine eigene Veranstaltung an dem Ort an, der üblicherweise auch von LgK genutzt wird. Wohlwissend, dass Leipzig gegen Krieg bereits mit den Vorbereitungen begonnen hatte, hielten es die Vertreter der PdL nicht für nötig, ihre Veranstaltung gemeinsam mit dem Bündnis zu organisieren bzw. sich – wie auch in den Jahren zuvor – im Rahmen des Bündnisses in die gemeinsamen Vorbereitungen des Weltfriedenstages einzubringen. Stattdessen lud die PdL das Bündnis ein, sich an ihrer Veranstaltung zu beteiligen – vorausgesetzt natürlich, man stimme der Verurteilung Russlands als „Hauptkriegstreiber“ zu. Denn in ihrem Aufruf hatten die Initiatoren den wichtigsten Störfaktor für den Weltfrieden schnell ausgemacht, wo es einleitend heißt: „Der aktuelle 1. September wird überschattet vom Angriffskrieg Russlands in der Ukraine“.ix Unterstützung erhielt die PdL von ihrem Studierendenverband, dem SDS, aber auch vom Kommunistischen Aufbau und dessen Vorfeldorganisationen sowie von der ehemaligen Fraktion der KO (von uns als „KO-ML“ bezeichnet). 

Vor dem Hintergrund dieses unsolidarischen Verhaltens und der Gefahr, sich auf der Kundgebung der PdL in der Redefreiheit einschränken zu müssen, zog es das Bündnis vor, eine eigene Kundgebung anzumelden und ein klares Zeichen gegen die Aggression der NATO und des deutschen Imperialismus zu setzen. Mit dabei waren die DKP, die SDAJ, einige Vertreter der DFG-VK, AufstehenFriedenswende 2023 und der MLPD sowie zahlreiche Einzelpersonen, die im Bündnis aktiv sind. Trotz Regens kamen etwa 150 Leute zusammen. In unserer Rede betonten wir die Gefahren, die von der NATO und dem deutschen Imperialismus für die Völker der Welt ausgehen und stellten heraus, dass der Krieg nur eines der Mittel der westlichen Imperialisten ist, die Massen zu unterwerfen, während hunderttausende den Folgen von Sanktionen zum Opfer fallen. In anderen Redebeiträgen wurde der Kriegskurs der Bundesregierung kritisiert, die Einschnitte in die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und die Rolle der NATO als gefährliche Kriegstreiberin herausgestellt. Lediglich die MLPD warnte vor dem „imperialistischen Kriegskurs Russlands und Chinas“.

Am Rande der Demonstration, welche im Anschluss an die Kundgebung durch die Leipziger Innenstadt zog, kam es zu verbalen Auseinandersetzungen mit zum Teil organisierten Rechten. Vorfälle wie diese zeigen, dass die Auseinandersetzung mit rechten Kräften in der Friedensbewegung, die im Windschatten linker Forderungen Agitationsfläche suchen, sehr wichtig ist.

Unsere Kongress-Zeitung stieß auf großes Interesse und in Gesprächen wurden immer wieder interessierte Fragen zu unserem bevorstehenden Kommunismus-Kongress und unseren Positionen zum Ukraine-Krieg und den Kämpfen in Afrika gestellt. Einzelne Mitglieder der Linkspartei äußerten sich darüber hinaus verärgert über den Kurs ihrer Partei in der Kriegsfrage und deren unsolidarische Gegenveranstaltung.

Am 2. September veranstalteten wir eine Diskussion zum Thema BRICS. Bis in den späten Samstagabend wurde in einem gut gefüllten Saal über die Chancen, aber auch über die Grenzen des BRICS-Bündnisses im Kampf der internationalen Arbeiterklasse für Sozialismus und nationale Befreiung diskutiert. Insbesondere die BRICS-Bank als ein Gegenmodell zur Herrschaft des westlichen Finanzkapitals wurde immer wieder als Beispiel für den unterschiedlichen Charakter zwischen dem trikontinentalen Staatenbündnis und den G7 hervorgehoben. Trotzdem wurde in vielen Redebeiträgen deutlich, dass die von den BRICS erreichten Fortschritte nur ein kleiner, wenn auch wichtiger, Beitrag für den Kampf der Arbeiterklasse sein können, deren Befreiung selbstverständlich nur ihr eigenes Werk sein kann.

An der Kundgebung in Neuss beteiligten sich lediglich 18 Leute, was angesichts der Tatsache, dass das Friedensbündnis NRW, das die Veranstaltung beworben hatte, sonst regelmäßig deutlich mehr Leute nach Düsseldorf mobilisiert, verwundert. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass das Bündnis sonst Personen aus der Region anzieht, die am 1. September lokal eingebunden waren. Vor Ort traten die Linkspartei, DKP, DFG-VK und die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) erkennbar auf. 

Hauptredner war Andrej Hunko (Die Linke). Er kritisierte in erster Linie die Bundesregierung für die Waffenlieferungen an die Ukraine, den Wirtschaftskrieg gegen Russland und das Fehlen von Verhandlungsbereitschaft. Über die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs wurde so gut wie gar nicht gesprochen und auch die Kriegsziele der beiden Seiten wurden nicht thematisiert. Dies würde erfordern, die Frage nach der Schuld und der Verantwortung für den Krieg in Ukraine und nach dem wahren Aggressor zu beantworten, etwas, wovor die Friedensbewegung zurückschreckt und was bekanntlich in Deutschland mittlerweile schnell juristisch geahndet wird. 

i https://www.klassegegenklasse.org/marx21-vor-der-spaltung/

ii Unterzeichner des Aufrufs: „Rheinmetall Entwaffnen Berlin, DIE LINKE, AG Krieg und Frieden der IL Berlin, Naturfreunde Berlin, Internationale der Kriegsdienstgegner:innen, Internationalistische Jugendkommune Berlin, Revolutionäre Perspektive Berlin, North East Antifa [NEA], solid Berlin, Internationale Jugend Berlin, Internationalistischer Abend Berlin, Informationsstelle Militarisierung e.V., Solinetzwerk Berlin, Hände weg vom Wedding, SDS Berlin“.

iii https://twitter.com/ch_buchholz/status/1697999181216899481?s=20

iv https://www.jungewelt.de/artikel/458104.krieg-und-frieden-machtkampf-zwischen-nato-und-russland.html

v https://frankfurter-info.org/news/frankfurter-aufruf-zum-antikriegstag-2023

vi https://frankfurter-info.org/news/antikriegstag-es-darf-kein-vergessen-geben

vii https://frankfurter-info.org/news/krieg-dem-krieg

viii https://föderation-klassenkampf.org/antikriegstag-am-1-september-kein-frieden-mit-dem-kapitalismus/

ix https://www.die-linke-in-leipzig.de/home/home/aktuell/detail/fuer-frieden-und-solidaritaet-2/

Ende vom Ende der Geschichte

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Leitartikel der Zeitung zum Kommunismus Kongress 2023.

Angst vorm Dschungel 

Joe Biden, Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Richi Sunak, Ursula von der Leyen und die weiteren Vertreter der G7 sehen die „internationale regelbasierte Ordnung“ in Gefahr. „Autoritäre Staaten“, allen voran Russland und China, würden die Regeln und Werte dieser liberal-demokratischen Ordnung mit Gewalt angreifen. NATO und EU treten an sie zu verteidigen. So geht ihre Erzählung. Josep Borrell, hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, spitze dieses Bild im Oktober 2022 bereits in völlig absurder Weise metaphorisch zu: 

„Europa ist ein Garten […] alles funktioniert. Es ist die beste Kombination aus politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt, die die Menschheit je aufbauen konnte. […] Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel. Und der Dschungel könnte in den Garten einfallen. Und die Gärtner sollten sich darum kümmern.“ 

In der Tat, die NATO-Länder rüsten ihre militärischen Kapazitäten so massiv auf wie nie zuvor und breiten sich mit der Aufnahme von Finnland und Schweden weiter aus. In Europa stiegen die Ausgaben für Kriegsgerät 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent. Die USA haben – mit politischer Rückendeckung ihrer europäischen Partner – Streubomben in die Ukraine geschickt. Ein großer Krieg scheint gefährlich nah. Die „regelbasierte Ordnung“ von der die Vertreter der führenden imperialistischen Länder fabulieren, hat den Faschismus in der Ukraine massiv aufgebaut. Nach über 80 Jahren schießen deutsche Panzer wieder gegen Russland und versetzen damit über Jahre lauernde deutsche Großmachtstrategen, wie den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil, in Hochstimmung: 

„Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem. […] Als Führungsmacht muss Deutschland ein souveränes Europa massiv vorantreiben. Deutschland kann nur stark sein, wenn Europa stark ist.“ 

Anhaltender Kampf um Befreiung  

Ihre „regelbasierte Ordnung“ ist nichts anderes als die Herrschaft des amerikanischen und europäischen Finanzkapitals, die bereits blut- und schweißtriefend zur Welt kam: 

„Die unbeschreibliche Unterjochung, die unmenschliche Versklavung und Zwangsarbeit, die einfache Ausrottung ganzer Völker und Stämme, so, daß nicht einmal ihr Name übrigblieb, war notwendig, um das stolze Gebäude zunächst des europäischen und dann auch des europäisch-amerikanischen Kapitalismus und seiner ganzen so sehr von sich eingenommenen materiellen und geistigen Zivilisation zu erbauen.“ 

So geschrieben und verabschiedet im Manifest der Gründungskonferenz, der maßgeblich von der Komintern mitinitiierten Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit 1927 in Brüssel. Die Vereinnahmung und Kontrolle der geistig-materiellen Welt durch die imperialistischen Räuber konnte sich in den fast 100 Jahren seitdem und insbesondere mit der Niederlage des sozialistischen Lagers, steigern und perfektionieren.  

Schuldenabhängigkeit, Strukturanpassungsprogramme, subversive NGO-Tätigkeit, Farbrevolutionen, gekaufte Wahlen, Militärputsche, Kontrolle über Medien und Öffentlichkeit usw. – ein buntes Arsenal politischer, wirtschaftlicher, informationeller und militärischer Waffen. Das, was Marx und Engels im Kommunistischen Manifest über die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise sagen, beschreibt vergleichbar den grundsätzlichen Mechanismus zur Durchsetzung imperialistischer Dominanz: 

„Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“ 

Der Kampf um staatliche und wirtschaftliche Souveränität, gegen koloniale und neokoloniale Unterdrückung und Abhängigkeit musste in Widerspruch zur Herrschaft des westeuropäisch und amerikanischen Finanzkapitals geraten. Die objektive Ausgangslage der nationalen Befreiungsbewegung des 20. Jahrhunderts brachte sie in eine grundsätzliche Gegnerschaft zum Imperialismus. Herausragende Revolutionäre aus Asien, Afrika und Lateinamerika wie Walter Rodney oder Amílcar Cabral (die vielfach in unserer kommunistischen Debatte fehlen) erkannten und wiesen nach, dass die Entwicklung Europas und Nordamerikas untrennbar verbunden war mit der anhaltenden Unterentwicklung der „dritten Welt“. Eine eigene und unabhängige Entwicklung musste gegen ebendiese Kräfte erkämpft werden, die die Blutspur ihrer kolonialen Verbrechen als „zivilisatorische“ Mission verklärten.  

Über Jahrzehnte bildete das sozialistische Lager unter Führung der Sowjetunion den Kern des Widerstands gegen den Imperialismus und stellte eine konkrete Perspektive für seine historische Aufhebung dar. Ihre wirtschaftliche Potenz und politische Macht schuf Handlungsspielräume für antikoloniale Kämpfe und junge Nationalstaaten. Ihre ideologische Gegnerschaft zum Imperialismus schuf Raum für eine offene und scharfe Entlarvung (neo-) kolonialer Verbrechen und die Verbreitung revolutionärer Positionen. Die Kommunistische Internationale erkannte Anfang des 20. Jahrhunderts in den nationalen Befreiungsbewegungen ihre natürlichen Verbündeten, im Kampf gegen den Imperialismus, obgleich sie um den meist (klein-)bürgerlichen Klassenhintergrund ihrer Führer wusste und ihre Widersprüchlichkeit und relative Beschränktheit erkannte. Der Kampf um nationale Befreiung wurde als zentraler Teil des international geführten Klassenkampfes begriffen. 

Neue Spielräume – neue Perspektiven? 

Mit der Niederlage des sozialistischen Lagers gewann die Dominanz der führenden imperialistischen Staaten an Boden. Führende Strategen des US-Imperialismus sahen eine Zeit der USA zur alleinigen Supermacht gekommen. Es sollte sichergestellt werden, dass sich weder in Westeuropa oder Asien noch auf dem ehemaligen Gebiet der Sowjetunion ein Rivale herausbilden könne. 

Was bedeutet es also, wenn Emmanuel Macron auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz sagte, er sei „schockiert darüber, wie sehr wir im globalen Süden an Glaubwürdigkeit verlieren“; wenn nur rund 40 Länder weltweit die Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland unterstützen; wenn fast 20 Länder einen offiziellen Aufnahmeantrag für die BRICS stellen; oder wenn Saudi-Arabien das System des Petrodollars offen in Frage stellt? Der Krieg der NATO gegen Russland wirkt wie ein Brandbeschleuniger einer dynamischen Strukturveränderung der nach dem zweiten Weltkrieg etablierten US-geführten imperialistischen Ordnung. Protektionismus und Entkopplung statt internationalem Freihandel? Die internationale Arbeitsteilung, Handelsrouten und Produktionsketten werden umgebaut. 

Eine veränderte Stimmung und ein gewachsener Spielraum scheinen in den sogenannten Entwicklungsländern Einzug erhalten zu haben. Stärker werden eigene Interessen artikuliert und auf die blutige Geschichte kolonialer und neokolonialer Unterdrückung verwiesen. Die aufstrebende ökonomische Potenz Chinas ist ein wesentlicher Faktor, der den wirtschafts- und handelspolitischen Handlungsspielraum vieler Länder erweitert. Politiker der G7-Länder haben das erkannt und erhöhen ihre diplomatischen Bemühungen, um die Länder des „globalen Südens“ in ihrem Einflussbereich zu halten. Was hat das mit dem Sozialismus zu tun? 

Die Debatte und den Klassenkampf international führen 

Nun handelt es sich bei den Ländern, die sich mal mehr mal weniger offen in Gegnerschaft zur neokolonialen Politik des „Westens“ bringen, längst nicht um sozialistische Kräfte (die Debatte zur Einschätzung Chinas sei ausgeklammert). Im Gegenteil, vertreten Regierungen wie die unter dem indischen Modi oder dem südafrikanischen Ramaphosa eine teils reaktionäre, volksfeindliche Politik. Antikommunismus spielt keine geringe Rolle. Was kann also überhaupt die reale Wirkung einer solchen Entwicklung sein? Während ein Teil der Kommunisten vor Illusionen in eine friedlichere multipolare Welt warnen, heben andere hervor, dass im Zurückdrängen der vom Westen geführten imperialistischen Ordnung und  der NATO die Hauptaufgabe fortschrittlicher Kräfte liegt. Beides schließt sich nicht aus. Wie verlaufen Bündnislinien in einer sich anbahnenden Phase von imperialistischen Kriegen, revolutionären und konterrevolutionären Entwicklungen?  Welchen Platz nehmen Kämpfe gegen den Imperialismus im globalen Klassenkampf ein? Die internationale kommunistische Bewegung ist in diesen Fragen zerstritten, oftmals schwach und von der Arbeiterbewegung isoliert. Gewerkschaften und werktätige Schichten sind, insbesondere innerhalb der führenden imperialistischen Länder fest integriert in die globale Kriegs- und Raubpolitik der Monopolbourgeoisie.  

Die Situation verlangt mit Nachdruck die Internationalisierung unserer Debatte und Kämpfe. Wir wollen die Komplexitäten und Widersprüche unserer Zeit konfrontieren, scheuen keine schwierigen Fragen und scharfen Auseinandersetzungen und schließen uns dem historischen Optimismus des Manifests der Liga gegen Imperialismus (1927) an, in dem es heißt: 

„Nur Dummköpfe und jämmerliche Philister und Routiniers können glauben, daß die heutige Zivilisation und die ganze Zukunft der Welt auf Europa und auf die Vereinigten Staaten Amerikas beschränkt bleiben. Die nationale Freiheitsbewegung der asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Völker ist ihrem Umfange nach eine Welterscheinung. Und nur sie wird – organisch verbunden und verwachsen mit dem Freiheitskampf des Proletariats der alten kapitalistischen Gesellschaft – unseren Planeten in eine ganz zivilisierte Welt verwandeln, nur sie wird durch die Befreiung der Welt ein neues Kapitel der Weltgeschichte beginnen, die zum ersten Mal wirklich Weltgeschichte, die Geschichte der Menschheit der ganzen Welt sein wird.“ 

Reinhard Funk (MLPD): Die Sackgasse des kleinbürgerlichen Nationalismus eines Noel Bamen

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Redaktionelle Einleitung:  Im März diesen Jahres hat der Genosse Noel Bamen eine Kritik an den „Grundlinien der Positionierung zum palästinensischen Befreiungskampf“ der MLPD formuliert. Dabei ging es ihm nicht allein um die MLPD, sondern um falsche Positionen, die in der deutschen Linken und der kommunistischen Bewegung weit verbreitet sind. Nun hat Reinhard Funk von der MLPD eine Antwort verfasst.

Zunächst einmal folgt Funk in seinem Text den Positionen der MLPD konsequent und legt so offen, wohin sie letztlich führen: der Großteil des palästinensischen Widerstands wird genau wie der Iran als „faschistisch“ diffamiert; wer in diesen Kräften auch nur ansatzweise etwas Positives oder Progressives erkennt,  propagiert Funk zufolge eine „reaktionäre arabische Querfront-Politik“. Diese letzte Wortschöpfung kannten wir bislang vor allem von den sog. „Antideutschen“, genauso wie den ebenfalls von Funk erhobenen Vorwurf, der Genosse Noel würde den Holocaust „ignorieren“. Davon abgesehen vertritt die MLPD allerdings viele falsche Positionen, die in der kommunistischen und linken Palästina-Solidaritätsbewegung weit verbreitet sind. Sie liefert damit unfreiwillig ein praktisches Beispiel, wie diese nur allzu schnell dazu führen, die Palästinasolidarität ad absurdum zu führen – und sie bestätigt damit letztlich die von Noel in seinem Debattenbeitrag ausgesprochene Warnung.

Bedauerlicher Weise ist Funk offenbar nicht Willens, auf viele wichtige Punkte von Noel einzugehen. Es geht nicht darum, dass er die Positionen seiner Partei nicht auch argumentativ verteidigen kann. Allerdings pickt er sich lediglich einzelne Argumente von Noel heraus, um diese dann wortstark zu attackieren. Zudem verkürzt er dabei auch einige Aussagen. So wird etwa angedeutet, Noel leugne, dass es in Israel verschiedene Klassen gäbe, und es wird darüber hinweggegangen, dass er auf die systemischen Besonderheiten von Siedlerkolonien gegenüber (anderen) imperialistischen Zentren eingeht. Derlei Pappkameraden behindern die Debatte, statt sie voranzubringen. Wir können daher nur allen Lesern nahelegen, sich den Diskussionsbeitrag des Genossen Noel selbst durchzulesen und sich diesbezüglich nicht auf die Aussagen von Reinhard Funk und die von ihm angeführten Zitate zu verlassen.

Einen sehr zentralen Punkt, den Funk komplett umschifft, ist die Frage nach den linken Kräften in der palästinensischen Befreiungsbewegung: Noel fragt in seinem Text, wie die MLPD die bewaffneten Widerstandsformen der Palästinenser und vor allem von Kräften wie der Hamas und dem Islamischen Jihad als „faschistisch“ und „antisemitisch“ einstufen kann, wenn doch die linken Organisationen PFLP und DFLP auf dieselbe Art Widerstand leisten und zudem mit dem islamischen Widerstand zusammenarbeiten. Dass Funk die Antwort auf diese Frage schuldig bleibt, ist sehr bedauerlich, aber wohl kein Zufall.

Zuletzt: Es mag einige Leser verwundern, dass wir einen Text veröffentlichen, der derart voll von Beschimpfungen gegen den Genossen Noel und implizit auch gegen die KO ist. Wir kennen diese Ausfälle von der MLPD zur Genüge und halten sie für destruktiv.

Wir hoffen, dass die Antwort von Funk und der MLPD auch andere Akteure in der Bewegung animiert, sich einzubringen und die Debatte um die richtigen Positionen zur Palästinafrage aktiv, konstruktiv und solidarisch, aber auch scharf und zielorientiert voranzubringen.

Redaktion der Kommunistischen Organisation 

Diskussionsbeitrag von Reinhard Funk

Die MLPD veröffentlichte im November 2022 ihre „Grundlinien der Positionierung zum palästinensischen Befreiungskampf“.[i] Das Online-Magazin der neorevisionistischen Kommunistischen Organisation[ii] veröffentlichte dazu einen Beitrag von Noel Bamen unter der Überschrift: „Mit palästina-solidarischen Vorsätzen in die zionistische Hölle: Eine Kritik an den „Grundlinien“ der MLPD zum palästinensischen Befreiungskampf“. Dieser bezieht durchgängig konträre Position zu den Grundlinien des proletarischen Internationalismus, wie sie von Marx und Lenin entwickelt wurden und von der MLPD in ihrer Positionierung angewendet werden, attackiert diese und endet damit, sich mit faschistischen und faschistoiden Kräfte auszusöhnen und sich in die Hölle einer gefährlichen reaktionären arabischen Querfront-Politik zu begeben.

Ignoranz der konkreten geschichtlichen Entwicklung

Für Noel Bamen schließt sich die Anerkennung des Existenzrechts Israels und die Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf aus. In einer völligen Ignoranz der Geschichte im Verlauf des 20. Jahrhunderts versteigt er sich, die Haltung der MLPD zum Existenzrecht Israels demagogisch mit der Propaganda des Zionismus gleichzusetzen: „Wer vom ‚Existenzrecht‘ Israels spricht, hat sich die Hälfte der zionistischen Agenda bereits zu eigen gemacht.“[iii] Das ist – natürlich ohne jeden Nachweis – an den Haaren herbeigezogen. Jeder, der die MLPD auch nur einigermaßen kennt, weiß, dass sie den Zionismus mit seiner rassistischen Theorie von den Juden als auserwähltes Volk wie jeden anderen Rassismus auf der Welt seit jeher und grundsätzlich bekämpft.

Noel Bamen zieht dazu eine unhistorische, gerade Linie von den zionistischen Bemühungen zur Eroberung und Besetzung Palästinas in den 1920er/1930er Jahren auf Grundlage der Balfour-Deklaration zu heute. Er bringt es fertig, die Tatsache des Völkermords an den Juden durch den Hitlerfaschismus weitgehend zu ignorieren – und welche Folgen das hatte. So behauptet er auch: „Das Judentum ist keine Nation; diese Behauptung ist nur ein völkischer Mythos der Antisemiten und der Zionisten“. Es grenzt schon an Geschichtsklitterung, wenn Noel Bamen in dem ganzen Kontext zur Gründung des Staates Israel den Zusammenhang zum Hitlerfaschismus mit seinem Massenmord an Juden, dem Terror in den Konzentrationslagern und Pogromen und die massenhaften Vertreibungen nicht einmal erwähnt, geschweige denn berücksichtigt. Und dass dies auch auf das ‚Schicksal‘ und Nationalbewusstsein der Juden stark einwirkte.

Dazu wird im Buch „Die UdSSR und der Nahe Osten“ aus einer anderen Quelle Molotow folgendermaßen zitiert: „Außer uns waren alle dagegen (gemeint sind die übrigen Staaten in der Palästina-Frage, Verf.). Außer Stalin und mir. Es haben mich einige gefragt: Warum habt ihr das unterstützt? Wir sind Advokaten internationaler Freiheit. … In unserer Zeit, das ist richtig, waren und blieben die Bolschewiki gegen den Zionismus eingestellt. … Aber eine Sache ist es, gegen den Zionismus zu sein, (…) eine andere, gegen das jüdische Volk zu sein.“ (S. 114)[iv]

Mit der durchgängigen Bezeichnung von Israel als Siedlerkolonie und des Großteils der Israelis als Siedler und Zionisten werden von Noel Bamen die unterschiedlichen Klassen und Kräfte in Israel über einen Kamm geschoren, über die einschneidende Rolle des Holocaust hinweg gegangen und dazu der heutige Charakter Israels als imperialistischer Staat verkannt.

Die Juden waren noch nie und sind auch heute in Israel keine homogene Klasse, es gab in den verschiedenen Ländern immer Juden in der herrschenden Klasse ebenso wie Juden in der Arbeiterklasse. Nach dem Holocaust kamen Juden aus den unterschiedlichen Ländern und aus unterschiedlichen Klassen nach Israel, mit unterschiedlichen Weltanschauungen und Sprachen. Ein nicht geringer Teil waren Arbeiter, darunter auch Kommunisten. Die Zionisten waren eine Minderheit, Millionen Juden antizionistisch eingestellt. Dass die Zionisten, unterstützt von den USA, die Staatsführung in die Hand bekamen, ändert nichts daran, dass sich nach dem 2. Weltkrieg „insbesondere in Palästina ein jüdisches Volk herangebildet hatte, dessen Rechte nach dem Völkermord der Hitlerfaschisten entsprechend geschützt werden mussten. Insbesondere waren die dort lebenden Juden nicht mehr voneinander getrennt, nicht wirtschaftlich isoliert, standen in kulturellem Austausch untereinander, während sich eine gemeinsame Sprache erst herausbildete.

Diese zutreffenden Ansichten haben doch nichts mit einem „völkischen Mythos“ zu tun, wie Noel behauptet. Es gehört schon ein starker Dogmatismus, eine Abgebrühtheit gegenüber dem faschistischen Terror an Millionen Juden und eine große Abgehobenheit dazu, dies nicht wahrhaben zu wollen. 1947 in der UNO ging es nicht um abstrakte Auseinandersetzungen über den allgemeinen Charakter der jüdischen Nation und des jüdischen Volkes. Es ging um die Lösung eines konkreten äußerst komplizierten Problems in einem konkreten historischen Zusammenhang. Das wurde damals ausgehend von der damals noch sozialistischen Sowjetunion hervorragend gemacht.

Das Existenzrecht Israels anzuerkennen, bedeutet keinesfalls, die faschistoide Politik des imperialistischen israelischen Staates oder gar die israelische Besatzung anzuerkennen. Es bedeutet auch nicht den konkreten Status Israels mit den besetzten Gebieten und die in den Osloer Verträgen von der PLO-Führung unterzeichneten Abkommen anzuerkennen, weil dies die Anerkennung der völkerrechtswidrig geschaffenen Fakten und die israelische Besatzung anerkennt. Wir sind entschiedene Gegner der menschenverachtenden Politik des zionistischen, imperialistischen Staates Israel, die Millionen Palästinenser aus ihrem Land vertrieb und völkerrechtswidrig das Westjordanland einschließlich Ostjerusalem und dem Gazastreifen (sowie die Golanhöhen) besetzt hält. Die die palästinensische Bevölkerung brutal aus ihrem Land vertreibt, die Natur zerstört, den Menschen die Lebens- und Arbeitsgrundlagen entzieht, führende Repräsentanten des berechtigten Widerstands ermordet, ungeachtet zahlreicher ziviler Opfer und den berechtigten Kampf des palästinensischen Volkes staatsterroristisch mit brutaler Gewalt niederschlägt. Wir sind mit dem Kampf des palästinensischen Volkes um nationale und soziale Befreiung uneingeschränkt solidarisch. Aber man kann an die Frage des Existenzrechts Israels auch nicht so eklektizistisch herangehen und sie ignorant aus ihrem historischen Zusammenhang reißen.

Die Mär von der Kollektivschuld

Noel Bamen lässt sich pauschal über die israelischen Massen aus: „Diese Massen … sind, seit sie in Palästina sind, an der Besetzung, der Unterdrückung, der Ausbeutung und der Vertreibung der Palästinenser beteiligt. Ohne Ausnahme. Jeder Israeli lebt auf geraubten Land. Jeder Israeli muss Militärdienst leisten; … Bestenfalls schauen die „israelischen Massen“ dem Abschlachten der Palästinenser seit bald 100 Jahren gemütlich zu und profitieren davon;“ Das gipfelt in seiner Losung „Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf – nicht mit der ‚israelischen Arbeiterklasse‘ “.

Das macht deutlich, wie Noel vollständig den proletarischen Klassenstandpunkt verlässt, der aber auch ein grundlegender Ausgangspunkt in der Beurteilung der nationalen Frage sein muss. Selbstverständlich gibt es eine starke nationale Unterdrückung der Palästinenser und eine besondere Ausbeutung und Unterdrückung der palästinensischen Arbeiter; werden zehntausende Arbeiter aus den palästinensischen Gebieten gezwungen, zu miserablen Bedingungen in Israel zu arbeiten.

Nur: Man muss schon große Scheuklappen haben, um die Klassenunterschiede auch in Israel und seinen imperialistischen Charakter zu übersehen. Die Armut wächst stark bei den arabischen Massen und der großen Anzahl von Migranten aus anderen Ländern, die in Israel leben und arbeiten, aber umfasst auch wachsende Teile der jüdischen Bevölkerung. Nach einer Studie (der Organisation Latet)[v] leiden über ein Viertel der Bevölkerung, 2,6 Millionen Israelis, unter Ernährungsunsicherheit und leben in ärmlichen Verhältnissen. 75,6 % der Senioren leben demnach de facto in Armut, während Forbes allein 2020 schon 17 Milliardäre zählte und allein das Vermögen der 10 reichsten Israelis 2023 auf 47,6 Milliarden anstieg.

Noels Betrachtung nimmt die herrschende Schicht in Israel aus der Schusslinie und dass die Macht in Israel beim allein herrschenden internationalen Finanzkapital liegt. So ist es doch ein schlechter Scherz, jeden zwangsrekrutierten Soldaten mit den imperialistischen zionistischen Drahtziehern der palästinensischen Unterdrückung in einen Topf zu werfen. Es ist auch nur schwer zu übersehen, dass es auch in Israel immer Menschen gab und gibt, die sich engagieren, kämpfen und selbst von Unterdrückung betroffen sind.

Mit der selben Logik könnte jeder Einwohner der USA als Profiteur der imperialistischen Politik der herrschenden Kreise der USA bezeichnet werden, der von der neokolonialen Ausbeutung anderer Ländern profitiert. Egal, ob er z.B. als Arbeiter ein Vielfaches an Werten schafft, als er als Lohn bekommt, also selbst ausgebeutet wird. Statt an dem Zusammenschluss der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern mit dem Kampf der unterdrückten Massen in den neokolonialen Ländern zu arbeiten, werden so die Ausgebeuteten und Unterdrückten der Welt gegeneinander aufgebracht. Lenin schrieb dazu treffend: „Die Interessen der Arbeiterklasse erfordern die Verschmelzung der Arbeiter sämtlicher Nationalitäten eines Staates in einheitlichen proletarischen – politischen, gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen, kulturellen usw. Organisationen. Nur eine solche Verschmelzung der Arbeiter der verschiedenen Nationalitäten in einheitlichen Organisationen gibt dem Proletariat die Möglichkeit, einen siegreichen Kampf zu führen gegen das internationale Kapital und gegen die Reaktion und ebenso auch gegen die Agitation und die Bestrebungen der Gutsbesitzer, Pfaffen und bürgerlichen Nationalisten aller Nationen, die ihre antiproletarischen Bestrebungen gewöhnlich unter der Flagge der „nationalen Kultur“ durchsetzen.“[vi]

Die kleinbürgerlich-nationalistische Sichtweise verkennt vor allem völlig, was das eigentlich zu lösende Problem unter den Massen auch in Israel ist. So hat die jahrzehntelange zionistische systematische Beeinflussung und Hetze sicherlich tiefe Spuren in der israelischen Arbeiterschaft und den Massen hinterlassen. Diese hat eine materielle Seite in der bewusst betriebenen Spaltung durch die herrschende zionistische Kreise mit der besseren Bezahlung und Bevorzugung von jüdischen gegenüber den arabischen Menschen und Migranten. Vor allem aber gibt es ein umfassendes ausgeklügeltes System der bürgerlichen Meinungsmanipulation.

Für den klassenbewussten Arbeiter und erst recht für jeden, der sich Kommunist nennen will, ist dies kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen und und davor zu kapitulieren, sondern alles daran zu setzen, dass die Massen damit fertig werden, die Kräfteverhältnisse zu verändern und für die internationale Arbeitereinheit einzutreten. Aktuell sind Hunderttausende bei den größten Massenproteste gegen die weitere Rechtsentwicklung in Israel auf den Straßen. Das hat eine gesamtgesellschaftliche Krise und einen regelrechter Machtkampf hervorgebracht. Noel Bamen bringt es fertig, kein Wort zu diesen Massenprotesten zu verlieren, obwohl diese seit Anfang des Jahres 2023 anhalten. Ist es nicht überheblich, ihren Kampf gegen den Faschismus so abzutun? Natürlich sind unter diesen Protestierenden auch bürgerliche und reaktionäre Kräfte der bürgerlichen Opposition, die einen Teil der Monopole in Israel vertreten, die wir nicht unterstützen.

Aber vom subjektiven Standpunkt eines wesentlichen Teils der Massen hat diese Bewegung fortschrittlichen Charakter. Auch wenn bisher nur ein kleinerer Teil in den Protesten sich offen gegen die ankündigte bzw. eingesetzte neue Stufe der gewaltsamen Vorgehens gegen die Palästinenser richtet (Palästinian lives Matter), sollte es für jeden fortschrittlichen Menschen selbstverständlich sein, den demokratisch-antifaschistischen Kampf der Massen in Israel zu unterstützen und dabei dafür einzutreten, dass sich dieser zum Kampf gegen die Unterdrückung des palästinensischen Volkes erweitert und dass die perspektivische Lösung der Probleme im Kampf für den Sozialismus liegt.

Auch in Deutschland kennen wir die Losung von der „Kollektivschuld“, um von den wahren Verursachern abzulenken. Die MLPD schrieb dazu in dem Buch „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“: „Unter der heuchlerischen Flagge der ›Wiedergutmachung‹ der Verbrechen, die deutsche Faschisten am jüdischen Volk verübt haben, missbrauchen die Herrschenden heute die berechtigte Ablehnung des Antisemitismus, um die imperialistische Politik des Staates Israel zu rechtfertigen. Zynisch soll so der Völkermord an den Juden die brutale Unterdrückung des palästinensischen Volks rechtfertigen … Auch wenn die Kommunisten durch ihre Mitverantwortung für das Scheitern der antifaschistischen Einheitsfront gegen den Hitler-Faschismus nicht von Schuld freizusprechen sind, ist die bürgerliche Theorie der »Kollektivschuld« entschieden abzulehnen. Diese setzt Täter und Opfer gleich, nimmt das Finanzkapital als Drahtzieher des Hitler-Faschismus aus dem Schussfeld und verleugnet und diffamiert den mutigen und opferreichen Widerstand zahlloser Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen“. (S. 249)

Fortschritt an der Seite des Irans? Ist der Kampf gegen Faschismus eine Spaltung des Widerstands?

Unter der Losung „Gegen die Spaltung und Diffamierung des palästinensischen Widerstands“ greift Noel Bamen die antifaschistische Haltung der MLPD und der Mehrheit der Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Befreiungskampf an. Er warnt: „Wenn sich in Deutschland große Teile, wenn nicht gar die Mehrheit der Solidaritätsbewegung von Hamas und Jihad distanzieren, betreiben sie letztlich nichts anders als eine Spaltungspolitik. Damit spielen sie Israel und und dem deutschen Imperialismus … in die Hände. Man reibt sich die Augen: seit wann geht es faschistischen Kräften wie dem Jihad, die eng mit dem Iran verbunden ist, um die Befreiung des Volkes und gar gesellschaftlichen Fortschritt? In seiner Verblendung, Hauptsache gegen Israel – egal mit wem – geht Noel Bamen sogar so weit, einen „islamischen Staat“ ausdrücklich als Fortschritt zu bezeichnen. Dabei kann man im Iran sehen, wozu solche faschistischen Kräfte fähig sind und welche Folgen solch eine Fehleinschätzung haben kann.

Als der Schah und seine Getreuen 1979 angesichts der akut revolutionären Situation aus dem Land flüchteten, wurde Khomeini unterstützt von der französischen Regierung eingeflogen. Er täuschte die Massen mit religiösen Phrasen, griff soziale Forderungen zum Schein auf, sprach von Revolution und der „islamischen Republik der Armen“. Besonders wetterte er gegen den verhassten US-Imperialismus und verwirrte dadurch auch Revolutionäre und Linke, die ihn für einen Antiimperialisten hielten. Die revisionistische Tudeh-Partei rief sogar zur einer Volksabstimmung am 30. März 1979, zum „Ja zu einer islamischen Republik“ auf. Verschiedene marxistisch-leninistische Organisationen waren von der, von den neuen Machthabern in China nach dem Tod Mao Zedongs verkündeten, konterrevolutionären Strategie der „3 Welten-Theorie“[vii] beeinflusst und unterstützten Khomeini. Machten diese zu Beginn noch Zugeständnisse, um Zeit zu gewinnen, ihre Macht zu konsolidieren und ein faschistisches Regime zu errichten, so schlugen sie dann mit brutaler Gewalt zu. Genossen der marxistisch-leninistischen Organisation Ranjbaran berichten: „Die Übernahme der 3-Welten-Theorie hatte verheerende Folgen: Nach zwei Jahren war fast die gesamte Organisation, der größte Teil aller Genossen liquidiert. Insgesamt kamen 40.000 Menschen unter der blutigen Diktatur Khomeinis, oft grausamst unter Folter um, ein großer Teil davon Revolutionäre und Marxisten-Leninisten.“

Soweit zum fortschrittlichen Charakter einer faschistischen „islamischen Republik“. Inzwischen hat sich der Iran zu einem neuimperialistischen Land entwickelt, das aggressiv in Konkurrenz zum imperialistischen Israel und anderen neuimperialistischen Länder wie Saudi-Arbeiten oder die Türkei um eine Vormachtstellung in der Region kämpft, Kriege in anderen Länder führt, Aufstände und Arbeiterkämpfe im eigenen Land und alle oppositionellen Kräfte brutal unterdrückt.

Ungeachtet davon bezeichnet Noel Bamen „Teheran und seine Alliierten in der Region“ als „wichtigsten Verbündeten der Palästinenser“. “Ohne die Waffen und das Geld von dort wäre der militärische Widerstand, vor allem in Gaza, längst am Ende. Natürlich muss die Rolle der … Abhängigkeiten des palästinensischen Widerstands von ihm kritisch gesehen werden. Trotzdem nimmt der Iran derzeit die – unterm Strich positive – Rolle eines unverzichtbaren Verbündeten des palästinensischen Widerstands ein. Darüber hinaus ist es nicht der Ort, um auf die plumpe Charakterisierung der islamischen Republik als „faschistisch“ einzugehen“.[viii]

Es ist also nicht angebracht, auf den Charakter und die Beweggründe des Regimes im Iran einzugehen, Hauptsache es fließt Geld und Waffen? Glaubt Noel Bamen ernsthaft, das Regime im Iran mache dies aus reiner Humanität, für den menschlichen Fortschritt? Soll die Arbeiter-, die revolutionäre- und Befreiungsbewegung erneut ihre Erfahrungen mit der Errichtung einer „islamischen Republik“ machen, den zehntausende Revolutionäre und Demokraten mit Folter und ihrem Tod bezahlen, ungeachtet aller historischen Erfahrungen? Und was die besten oder anscheinend ansonsten fehlenden Verbündeten betrifft, wie wäre es mit dem genauen Gegenteil? So gibt es im Iran seit Monaten einen Aufschwung und anhaltende Arbeiter-, Frauen- und Volksproteste gegen das Regime. Auch in anderen Ländern der Region gibt es aufflammende Volks- und Arbeiterkämpfe. Wie wäre es mit dem Schulterschluss über Ländergrenzen hinweg? Ein erfolgreicher Kampf und Sturz des faschistischen Regimes im Iran wäre wiederum ein wichtiger Erfolg und Ermutigung und Bestärkung des Kampfs für die Befreiung aller anderen Völker und der Arbeiterklasse in der Region.

Was von Noel Bamen unter der Losung „Hauptsache gegen Israel“ dagegen propagiert wird, ist eine Abwandlung der faschistischen Querfrontpolitik, die faschistische Kräfte gefährlich verharmlost, sie sogar als fortschrittlich bezeichnet und ihnen den Boden bereitet, statt sie entschieden als Todfeind jedes Kampfs um nationale wie soziale Befreiung entschieden zu bekämpfen und auf den Schulterschluss der Arbeiter und Volkskämpfe über Ländergrenzen hinweg zu setzen.

Gegen sozialchauvinistische Spaltung – Vorwärts zum Kampf für die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt

Für Noel Bamen gibt es keine positive Perspektive einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung, in der es auch keine Menschen erster, zweiter oder dritter Klasse mehr gibt. Für ihn besteht die Lösung in einer „Entkolonialisierung“ Palästinas, indem die jüdische Bevölkerung in ihre ehemaligen Länder, aus denen sie gekommen sind, zurückgeschickt werden. Er meint, das Rad der Geschichte einfach zurückdrehen zu können.

Der von Noel Bamen vertretene revisionistische Standpunkt ist kleinbürgerlich-nationalistisch und verstellt den Blick, wie der Kampf um Befreiung heute erfolgreich geführt werden kann:

  • der Kampf um nationale und soziale Befreiung des palästinensischen Volkes gestützt auf die Solidarität der Arbeiterklasse und der breiten Massen weltweit. Aufbau einer starken antiimperialistischen und antifaschistischen Einheitsfront
  • geduldig den Kampf um die Arbeitereinheit zwischen jüdischen und arabischen Arbeitern und den Volksmassen führen. Dabei in einer Überzeugungs- und Bündnisarbeit die Leitlinie der Arbeiterbewegung seit Marx und Engels verankern: „Ein Volk, das andere unterdrückt, kann selbst nicht frei sein
  • die faschistische Gefahr erkennen und ernst nehmen, auch wenn sie im neuen Gewand auftritt, um nicht vom Regen der faschistischen Unterdrückung der palästinensischen Massen durch die zionistische Regierung Israels in die Traufe einer anderen islamistisch begründete Art der faschistischen Unterdrückung zu geraten
  • starke marxistisch-leninistische Parteien in Israel und Palästina aufbauen, die die Veränderungen in der Entwicklung des Imperialismus analysieren und Schlussfolgerungen daraus und aus dem Verrat des Sozialismus in den ehemals sozialistischen Ländern 1956 für den revolutionären Klassenkampf des Proletariats und seiner Verbündeten ziehen
  • „Antiamerikanismus“ bzw. „Antiisraelismus“ ist keine fortschrittliche, antiimperialistische Politik; auch wenn taktisch Widersprüche ausgenutzt werden können. Der antiimperialistische Kampf muss sich gegen jeden Imperialismus richten und darf sich nicht für den Kampf an der Seite eines imperialistischen Räubers vereinnahmen lassen. Den Kampf um soziale wie nationale Befreiung darauf ausrichten, das imperialistische System zu überwinden und die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt zu erkämpfen
  • dazu muss heute international koordiniert zusammengearbeitet und eine internationale sozialistische Revolution vorbereitet werden.

Noel Bamen erweist mit seiner vehementen Kritik an Positionen der MLPD der Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf einen Bärendienst. Ist die MLPD doch die Hauptkraft in Deutschland, die seit ihrer Gründung uneingeschränkt in Wort und Tat solidarisch mit dem palästinensischen Volk im Kampf um seine soziale und nationale Befreiung ist – im Kampf gegen eine üble Verunglimpfung als „Antisemiten“ oder offene Angriffe des deutschen Staates bis hin zu zionistisch beeinflussten Gruppen wie den „Antideutschen“. Und die als einzige eine klare sozialistische Perspektive aufzeigt. Dabei legt Noel Bamen in dankenswerter Offenheit dar, dass sich die KO „bis heute nicht systematisch mit dem Thema befasst“ hat. Da hätte man dann durchaus etwas Bescheidenheit erwarten können und dass sich eine Organisation, die sich kommunistisch nennt, sich erst mal mit den Grundlagen des Marxismus-Leninismus zu dieser Frage befasst und diese in ihrer Beurteilung zu Grunde legt. Das würde sicherlich helfen, nicht in der gefährlichen kleinbürgerlich-nationalistischen Sackgasse des Noel Bamen zu landen, die bis zur Verniedlichung und der Förderung der Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften geht. Aber da sich die KO ja erst noch mit dem Thema systematisch befasst, hoffen wir, dass sie dessen Irrweg erkennt und zum Weg des proletarischen Internationalismus findet.


[i] https://www.mlpd.de/2022/11/grundlinien-der-positionierung-zum-palaestinensischen-befreiungskampf

[ii] Abspaltung 2018 aus der revisionistischen DKP bzw. SDAJ, ein Teil davon spaltete sich 2022 erneut ab

[iii] https://kommunistische-organisation.de/artikel/mit-palaestina-solidarischen-vorsaetzen-in-die-zionistische-hoelle-eine-kritik-an-den-grundlinien-der-mlpd-zum-palaestinensischen-befreiungskampf/

[iv] https://www.mlpd.de/theoretisches-organ-revolutionaerer-weg/briefwechsel-und-dokumente/briefwechsel-und-dokumente/briefwechsel-und-dokumente-von-stefan-engel-zum-system-revolutionaerer-weg#collapse120 Wer sich intensiver mit den Positionen der sozialistischen Sowjetunion unter Lenin und Stalin zur nationalen Frage und dem Judentum und den Positionen der MLPD dazu auseinandersetzen will, dem sei Artikel „Die MLPD steht in der Tradition der sozialistischen Länder“ empfohlen: https://www.mlpd.de/2014/kw32/palaestina-konflikt-die-mlpd-steht-in-der-tradition-der-sozialistischen-laender.

[v] https://www.fokus-jerusalem.tv/2022/12/13/jeder-vierte-israeli-unter-der-armutsgrenze/

[vi] https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/lenin/1913/wladimir-i-lenin-resolution-ueber-die-nationale-frage

[vii] Deng Xiaoping strickte aus Maos taktischem Vorschlag eine »Drei-Welten-Theorie« als strategische Konzeption. Er behauptete, die unterdrückten Völker der »Dritten Welt« »seien die revolutionäre Triebkraft, die das Rad der Weltgeschichte vorwärts dreht, ohne zwischen reaktionären und fortschrittlichen Regierungen, zwischen Ausbeuterklassen und den breiten Massen zu unterscheiden und ohne das revolutionäre Proletariat und seinen Klassenkampf zu berücksichtigen. Sie bedeutete in ihrem Kern Klassenversöhnung und Verrat an der internationalen proletarischen Revolution.

[viii] Fußnote xxi am Artikel

Podcast #38 – Ingo Höhmann zur Frage des russischen Militärs und dem Krieg in der Ukraine

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In diesem Podcast werfen wir einen Blick auf die Entwicklung des russischen Militärapparats und dem Krieg in der Ost- und Südostukraine seit 2014. Ingo Höhmann, ehemaliger Offizier der NVA, wird uns hier einige Erfahrungen und Einschätzung präsentieren. Das gegenwärtige Vorgehen der NATO und die Reaktion des russischen Militärs an aktuellen und vergangenen Frontabschnitten sind in diesem Podcast ebenfalls Thema. Im Zuge unserer Klärungsarbeit zum Krieg und Imperialismus hat sich eine Vertiefungsgruppe mit der russischen Kriegsführung in der Ukraine beschäftigt. Unser Genosse präsentiert hier eine formulierte Fragestellung bezogen auf eine Einteilung der militärischen Spezialoperation in drei bis vier wesentliche Phasen.

Grußwort von Alexej Albu (Borotba) zum Antikriegstag – Greeting by Alexey Albu (Borotba) for the International Day of Peace

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English version below

An die Genossen und die Friedensbewegung in Deutschland:

Die Neonazi-Bewegung in der Ukraine ist seit dem ersten Maidan im Jahre 2004 (der so genannten „Orangenen Revolution“) gewachsen, als Wiktor Juschtschenko, der Ehemann einer US-Staatsbürgerin mit engen Verbindungen zur CIA, Präsident der Ukraine wurde. Seine Politik stützte sich auf Rückhalt rechtsextremer Gruppen, die für ihre Aktivitäten finanzielle Mittel und Zugang zu den zentralen Medien erhalten. Ihre Anführer wurden Chefs der regionalen staatlichen Behörden und erhielten im Gegenzug Einblick in die Verwaltungsarbeit. 

In dieser Zeit wuchsen die Widersprüche zwischen dem westlichen und dem südöstlichen Teil der ukrainischen Gesellschaft sehr stark. Die Bürger der Westukraine wurden zu einer sozialen Basis für die rechtsextremen Organisationen und Gruppen, die dort bereits die Regionalräte kontrollierten.

Diese Umstände führten 2014 zum Staatsstreich (dem so genannten „Euromaidan“), bei dem der gewählte Präsident Wiktor Janukowitsch gestürzt wurde. Natürlich wollten die Menschen im Südosten dieses neue Regime nicht akzeptieren, dessen erstes Gesetz den Gebrauch ihrer russischen Muttersprache einschränkte. Aber wir dachten, dass wir unser Ziel der Föderalisierung auf friedliche Weise erreichen könnten.

Leider wurden unsere friedlichen Proteste in Blut ertränkt und im Feuer des Gewerkschaftshauses in Odessa verbrannt. Ich war Zeuge dieses Massakers. In diesem Moment wurde mir klar, dass der Faschismus in Europa wiederbelebt worden war. Jetzt lebe ich im Donbass, und ich sehe, dass meine Schlussfolgerung über den ukrainischen Faschismus leider richtig war.

In all diesen acht Jahren, von 2014 bis 2022, hat sich der Nazi-Staat Kiew auf einen großen Krieg vorbereitet. Sie glaubten, wenn sie den Donbass angreifen, würde die russische Führung zu viel Angst haben, um in diesen Konflikt verwickelt zu werden. Aber sie haben sich geirrt. Russland hat uns, die Menschen im Donbass, vor der ukrainischen Armee gerettet. 

Die derzeitige Situation ist schlecht, denn die ukrainische Führung will Rache nehmen. 

Wir haben unsere eigenen Ziele, zum Beispiel die Befreiung meiner Heimatstadt Odessa von der ukrainischen Besatzung. Das ukrainische Regime hat seine eigenen Ziele – den Donbass und die Krim zu besetzen. Aber wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir uns gegenseitig Zugeständnisse machen. 

Wir wären bereit, diesen Krieg zu beenden, wenn die ukrainischen Streitkräfte dies auch sind. Aber sollte dies ein Trick sein, um Zeit zu gewinnen und die ukrainische Armee weiter aufzurüsten, würde das bedeuten, dass der Krieg später fortgesetzt würde, nur hätten sie dann eine deutlich bessere Ausgangsposition. Die einzige Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden, besteht also darin, die Militärlieferungen an die ukrainische Armee einzustellen.

Wenn die europäische Friedensbewegung dazu beitragen will, diesen Krieg zu beenden, muss sie Massenproteste gegen die Lieferung von Militärgerät an die ukrainische Armee organisieren. Es gibt keinen anderen Ausweg. 

Solange Europa und die USA die Ukraine unterstützen, wird auf beiden Seiten Blut vergossen werden. 

Liebe Genossen der Kommunistischen Organisation: Ich danke Euch und allen Genossen, die Eure Meinung teilen, für Eure Haltung zu diesem Krieg! 

Jeder Krieg hat ein Ende. Und es ist sehr wichtig, starke Bindungen aufzubauen, die auf Freundschaft, Respekt und Gleichheit beruhen.

Sie werden nicht siegen! ¡No pasarán!

To the Comrades and the Peace Movement in Germany:

The neo-Nazi movement in Ukraine has grown since the first Maidan in 2004 (the so called “Orange Revolution”), when Viktor Yushchenko, his wife a US citizen with close ties to the CIA, became president of Ukraine. His politics were built on support of the far-right groups that receive finances for their activities and access to the central media. Their leaders became chiefs of the regional state departments in exchange for getting knowledge of administrative work. 

In this period, contradictions that existed between the Western and Southeastern parts of Ukrainian society became really strong. Citizens of Western Ukraine became a social base for the far-right organizations and groups that already controlled regional councils there.

These circumstances lead to the coup d’état in 2014 (the so called “Euromaidan”), in which the elected president Viktor Yanukovych was overthrown. Of course, the people of the Southeast did not want to accept this new regime, the first law of which restricted the use of their native Russian language. But we thought that we could reach our goals of federalization in a peaceful way.

Unfortunately, our peaceful protests were drowned in blood and burned in the fire of the Trade Union House in Odessa. I was a witness of this massacre. In that moment, I realized that fascism in Europe had been revived. Now I’m living in Donbass, and I see that my conclusion about Ukrainian fascism was sadly correct.

All those eight years, from 2014 to 2022, the Nazi state of Kiev had been preparing for a big war. They believed that if they attacked Donbass, the Russian leadership would be too afraid to be involved in this conflict. But they were incorrect. Russia saved us, the people of the Donbass, from the Ukrainian army. 

The current situation is bad, because the Ukrainian leadership wants to take revenge. 

We have our own aims, for example the liberation of my native city Odessa from Ukrainian occupation. The Ukrainian regime has its own aims – to occupy Donbass and Crimea. But if we want to stop the war, we must make concessions to each other. 

We would agree to stop this war, if Ukrainian forces stopped. But if this would be a trick to buy time to make their army stronger, it would mean the war would be continued later, only they would be much better prepared. So the only way to end this war is to stop military supplies to the Ukrainian army. 

If the Peace Movement of Europe wants to help end this war, they need to organize mass protests against sending military supplies to the Ukrainian army. There is no other way out. 

As long as Europe and the USA support Ukraine, blood will be shed on both sides. 

Dear comrades of the Communist Organization: Thank you and all comrades who share your opinion, for your position concerning this war! 

Every war has an end. And it is very important to form strong bonds based on friendship, respect and equality.

They won’t win! ¡No pasarán!

Kampf für Frieden heißt: Für die Niederlage der NATO und des deutschen Imperialismus – weltweit!

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Stellungnahme der Kommunistischen Organisation zum Weltfriedenstag am 1. September 2023

In den Alldeutschen Blättern, Sprachrohr der industriellen Elite des Deutschen Reichs, war im Januar 1884 zu lesen: „Der alte Drang nach Osten soll wieder lebendig werden. Nach Osten und Südosten hin müssen wir Ellbogenraum gewinnen, um der germanischen Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entfaltung ihrer Kräfte bedarf, selbst wenn darüber solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slowenen und Slowaken, die das Nationalitätsprinzip anrufen, ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten.“1Rainer Hering: Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939. Hamburg 2003, S. 121 Für den Alldeutschen Verband und die deutsche Monopolbourgeoisie war klar: „Der Kompaß der Germanen zeigt nach Osten.“2Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich: Sprache, Rasse, Religion; Uwe Puschner 2001, S. 153 Mit dem ersten und zweiten Weltkrieg unternahm der deutsche Imperialismus zwei Anläufe diese Ziele zu verwirklichen – mit katastrophalen Folgen für die Völker der Welt.

Nach dem Sieg über das faschistische Deutschland wurde der 1. September in der DDR als Antikriegstag begangen, um für den Weltfrieden einzutreten und an die Verbrechen der Faschisten im zweiten Weltkrieg zu erinnern. Am 1. September 1939 begann der zweite Weltkrieg mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen. Dieser Krieg begann mit einer Lüge und kostete in seiner Folge Millionen von Menschen das Leben. Knapp zwei Jahre später folgte der Angriff auf die Sowjetunion – das eigentliche Expansionsziel des faschistischen Deutschlands.

Heute, ein Dreivierteljahrhundert später, stehen in der Ukraine erneut deutsche Panzer gegen Russland. Im Rahmen des von der NATO geführten Krieges gegen Russland unternimmt der deutsche Imperialismus einen weiteren Versuch, seine Ziele im Osten zu verwirklichen und sich militärisch in Stellung zu bringen. Das Streben des deutschen Imperialismus seinen Einfluss „von Bordeaux bis Odessa“3Carl Duisberg, Rede vom 24. März 1931. Carl Duisberg war Direktor von Bayer, Gründungsmitglied IG Farben und Geheimer Regierungsrat. (Carl Duisberg 1931), oder sogar von „Lissabon bis Wladiwostok“ (Angela Merkel 2015)4https://www.fr.de/politik/merkel-lockt-russland-11161152.html auszuweiten, besteht bis heute. Auch heute wird die Bevölkerung durch Lügen manipuliert, um Waffenlieferungen, Kriegseinsätze oder Wirtschaftskriege zu rechtfertigen, die dazu dienen, Macht- und Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Wer es dennoch wagt, den Kriegskurs der Bundesregierung anzugreifen und die Verschlechterungen der Lebensbedingungen zu kritisieren, riskiert mit Repressionen belegt zu werden – die Heimatfront muss stehen. Die aktuelle Kampagne und Verfassungsbeschwerde der DKP gegen den Paragraphen 130 ist dabei eine wichtige Initiative zum Kampf gegen die Kriegspolitik.5https://www.unsere-zeit.de/bangemachen-gilt-nicht-4783063/

Aber nicht nur in der Ukraine werden imperialistische Interessen mit militärischen Mitteln durchgesetzt. In vielen Teilen der Welt werden Kriege geführt, in denen NATO-Länder eine entscheidende Rolle spielen. Überall auf der Welt sind die Militärbasen der NATO-Staaten, insbesondere der USA verteilt. In Syrien und Jemen führt der Westen weiterhin Krieg und in Afghanistan wurden erst kürzlich – nach über 20 Jahren Krieg und Besatzung – die letzten NATO-Truppen abgezogen. Das Land wird seitdem durch Sanktionen und das Einfrieren von Geldern erdrosselt; große Teile der Bevölkerung leiden Hunger. Seit 1945 sind allein durch die Kriege der USA mehr als 20 Millionen Menschen in 37 Ländern getötet worden.6https://www.globalresearch.ca/us-has-killed-more-than-20-million-people-in-37-victim-nations-since-world-war-ii/5492051 Auch in Europa wurden nach Ende des zweiten Weltkriegs Ländergrenzen mit militärischer Gewalt verschoben – in einem blutigen Krieg der NATO gegen Jugoslawien, bei dem Deutschland eine führende Rolle einnahm. Doch die westlichen Großmächte setzen ihre Interessen nicht nur mit kriegerischen Mitteln durch, sondern greifen auf verschiedene Instrumente zurück, mit denen sie andere Länder erpressen und gefügig machen. Der finanziellen Erpressung, den Embargos und Sanktionen des Westens fallen tausende Menschen zum Opfer, ohne dass eine einzige Patrone verschossen werden muss.

Der Trikont wehrt sich – und wir stehen hinter ihm

Auf dem Afrikanischen Kontinent sieht man zurzeit eindrücklich, wie die alten Kolonialmächte und die USA um ihre ökonomische Vormachtstellung ringen. Nach Burkina Faso und Mali beginnt nun auch Niger sich gegen die neokoloniale Besatzung zu wehren. Das ist ein klarer Fortschritt für die Bevölkerung dieser Länder, der eine wichtige Grundlage für weitere Kämpfe der Arbeiterklasse darstellt. Auch wenn Frankreich bei der Niederhaltung dieser Bewegungen eine führende Rolle einnimmt und mit der Kolonialwährung CFA über weitreichende Druckmittel verfügt, profitiert die BRD maßgeblich von der westlichen Herrschaft über den Sahel und ist bestrebt, ihren Einfluss weiter auszubauen. So hat Deutschland mehrere Initiativen vorangetrieben, die das wirtschaftliche Engagement deutscher Unternehmen in afrikanischen Staaten voranbringen sollen, wie z.B. die G20-Initiative „Compact with Africa“ (CwA). Dabei wird heuchlerisch von „Partnerschaften auf Augenhöhe“ gesprochen. Aber diese Partnerschaften verfolgen das Ziel, deutsche Interessen in Afrika durchzusetzen. Dabei geht es um den raubhaften Abbau von Ressourcen, die für die Warenproduktion in den imperialistischen Staaten benötigt werden. Außerdem ist die Öffnung der afrikanischen Märkte für deutsche Investitionen ein wichtiger Faktor in der Strategie des deutschen Imperialismus. Dafür bedient man sich auch militärischer Mittel: In den UN-Missionen in der Sahelzone MINUSMA (Mali) und EUPM (Niger) geht es angeblich um Terrorbekämpfung, aber in ihren Leitlinien zur Afrikapolitik formuliert die Bundesregierung ganz unverblümt, dass Handelswege offengehalten werden sollen, während man gleichzeitig Migration begrenzen möchte. Ein wichtiger Erfolg des antiimperialistischen Kampfs war, dass die Regierung in Mali die Truppen Frankreichs und Deutschlands rausgeworfen hat!

In Niger, wo die neue Regierung mit breiter Unterstützung der Bevölkerung und mit Hilfe Russlands die westliche Einmischung zurückdrängt, wächst derzeit die Gefahr einer militärischen Intervention. Eine breite antikoloniale Vereinigung afrikanischer Staaten, wie sie zuletzt von der afrikanischen Union unter Führung Libyens forciert wurde, soll mit allen Mitteln verhindert werden. 2011 folgte auf den Versuch, einer solchen Einigung näherzukommen die brutale Zerschlagung Libyens durch den Westen und die Ermordung Muammar al-Gaddafis. Doch auch wenn es nicht zu einem direkten Militäreinsatz kommt, steht Niger vor großen Problemen. Abgeschnitten von finanziellen Mitteln und Elektrizität, drohen die westlichen Sanktionen zur Katastrophe für die Bevölkerung zu werden. Es befinden sich noch hunderte US-Soldaten im Land und die EU plant bereits den nächsten Einsatz in Ghana, Togo, Benin und der Elfenbeinküste.

Der grausame Kolonialismus, der in neuer Gestalt bis heute fortbesteht, die Unterstützung und der Aufbau faschistischer Diktaturen, Regime-Wechsel, wie diejenigen, die bis heute von den USA in Südamerika organisiert werden, militärische Interventionen, die unliebsame Regierungen beseitigen und ganze Länder ins Chaos stürzen, oder grausame Sanktionen, denen tausende Frauen und Kinder zum Opfer fallen – das sind die Stützpfeiler einer Weltordnung, die die Vorherrschaft der westlichen Großmächte absichert.

Gegen den normalen Kriegszustand

In der Nationalen Verteidigungsstrategie der USA aus dem Jahr 2018 stellt das Pentagon fest, dass diese Weltordnung „derzeit von Russland und China untergraben wird, die die Grundsätze und Regeln der internationalen Beziehungen verletzen“. Tatsächlich unterstützen Russland und China Bewegungen und Regierungen in Süd- und Mittelamerika, in Afrika, aber auch im nahen und mittleren Osten, die sich der westlichen Herrschaft nicht länger beugen wollen. Dabei werden nicht nur fortschrittliche oder sozialistische Kräfte unterstützt und selbstverständlich hört der Kampf der unterdrückten Klassen mit der Schwächung des westlichen Einflusses nicht auf. Doch bei allen Widersprüchen, die in diesen neuen Allianzen zum Ausdruck kommen, eröffnet die von Russland und China geleistete Unterstützung mitunter neue Spielräume in den Kämpfen für nationale Befreiung, Demokratisierung und Sozialismus. Doch diese Kämpfe gefährden die von den USA angeführte Weltordnung der imperialistischen Großmächte – darin liegt ein wichtiger Grund für den NATO–Krieg gegen Russland und die Kriegsvorbereitungen gegen China.

Aber nicht nur Joe Biden, sondern auch Annalena Baerbock und die gesamte Bundesregierung treten offen als Kriegstreiber auf und rüsten die BRD auf Kosten der Arbeiterklasse zur globalen Militärmacht auf. Denn um den Hunger der deutschen Monopolbourgeoisie auf Rohstoffe, Böden, Arbeitskräfte und Absatzmärkte zu stillen soll Russland ruiniert und gefügig gemacht werden.7https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-baerbock-ueber-sanktionen-das-wird-russland-ruinieren-RZDYS2DEPRK5OST7ZGGRZ6UN4I.html Das für die Aufrüstung nötige Sondervermögen und die entsprechende Kriegserklärung ließen nicht lange auf sich warten.8https://www.sueddeutsche.de/politik/baerbock-shitstorm-russland-statements-krieg-1.5740445 Doch wenn diese Kriegstreiber Frieden fordern und zurück zum Normalzustand einer „friedlichen Weltordnung” wollen, dann meinen sie einen Normalzustand, in dem viele Völker der Welt dem aggressiven Kriegskurs der NATO schutzlos ausgesetzt sind und der für Millionen Menschen Krieg, Vertreibung, Hunger und Elend bedeutet. Sie meinen einen Frieden, der die Aufrechterhaltung der grausamen westlichen Weltordnung absichert und es den deutschen Imperialisten ermöglicht, jenen Weg weiterzugehen, den der „germanischen Kompaß“ ihnen anzeigt. Das ist der Frieden, den sich die Herrschenden in Deutschland, Frankreich oder den USA wünschen.

Der Kampf gegen diese Weltordnung ist ein gemeinsamer Kampf der unterdrückten Klassen der Welt. In Deutschland müssen wir uns dafür gegen unseren Hauptfeind stellen, den deutschen Imperialismus sowie die NATO – das aggressivste Militärbündnis der Welt. Doch dieser Konsens wird heute nicht nur von sozialdemokratischen Kräften, sondern auch von Teilen der Friedensbewegung infrage gestellt. Wir dürfen uns nicht von den Lügen der Herrschenden blenden lassen und müssen die Relativierung ihrer Verbrechen klar zurückweisen. Deshalb fordern wir:

Den deutschen Imperialismus entwaffnen: Rheinmetall und Co. enteignen!

Nieder mit der NATO – Deutschland raus aus der NATO, NATO raus aus Deutschland!

Solidarität mit den Bewegungen in Südamerika, Asien und Afrika, die sich der westlichen Herrschaft entgegenstellen.

Referenzen

Faschisten bekämpfen – auch „anti-autoritäre“: Solidarität mit Susann Witt-Stahl und der jungen Welt!

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Am 17. August versammelten sich eine Handvoll, sich selbst „anti-autoritär“ nennender Faschisten-Kollaborateure vor den Redaktionsräumen der jungen Welt (jW), sie protestierten gegen die linke Tageszeitung und im Besonderen gegen deren Autorin Susann Witt-Stahl[i]. Zuvor hatten sie bereits in sozialen Medien Susann Witt-Stahl und die jW massiv angegriffen und dazu aufgerufen, auch Verteiler der jungen Welt auf Demos anzugreifen.

Die beteiligten Gruppen wurden von Susann Witt-Stahl, die auch Referentin beim Kommunismus-Kongress Anfang Oktober sein wird, der Kollaboration mit Faschisten überführt: Sie führen mit diversen Nazis gemeinsam einen hasserfüllten Kampf gegen Russland[ii]. Ihre Behauptungen, sie seien Antifaschisten, sind reiner Hohn. Sie sind Teil der NATO-Banderisten-Front.

Ihre Rolle ist hierbei, Aggression und Druck auf Antifaschisten in Deutschland auszuüben, den Antifaschismus in den Dreck zu ziehen und widerwärtige Positionen in der politischen Linken hierzulande salonfähig zu machen. Sie wollen die Akzeptanz von offensichtlichen Faschisten durchsetzen und alle, die sich ihnen in den Weg stellen, einschüchtern.

Sie sind Ausdruck einer Entwicklung in der Linken, die sehr gefährlich ist. Dazu gehören innerhalb der Linkspartei vor allem offene Unterstützer von Waffenlieferungen an das Selenskij-Regime und Kräfte, die unverhohlen mit Asow-Faschisten kollaborieren, wie wir es mit Blick auf Leipzig bereits thematisiert haben.[iii] Die „demokratischen“ Parteien skandieren den Faschisten-Gruß „Slawa Ukrainji“, die AfD fordert mehr deutsche Rüstung und Kriegsfähigkeit und die Neonazis vom III. Weg kämpfen ebenso wie die „anti-autoritären“ Faschisten-Freunde auf Seiten der Ukraine und der Nato-Kamarilla. Sie alle eint der Kampf gegen Russland.

In der linksradikalen, „undogmatischen“ Szene kommt es seit Beginn der Militäroperation Russlands zu massiven reaktionären Entwicklungen: Unter der Parole „Decolonize Russia!“ wird ganz im Sinne der Aufteilungspläne des NATO-Imperialismus die Zerstückelung Russlands im angeblichen Interesse der „Selbstbestimmung“ der dort lebenden Völker gefordert. Netzwerke mit entsprechender Agenda werden seit Jahrzehnten in Europa und Russland aufgebaut, unterstützt und gelenkt.[iv]

Die Gefahr, die von dieser Entwicklung ausgeht, darf nicht unterschätzt werden. Die Regierungslosung, es gehe in der Ukraine um „Verteidigung“, findet eine gewisse Akzeptanz auch in der linken Bewegung, die dann auch Nazis einschließen kann, da diese eben „nur verteidigen“ würden. Diese Billigung von Faschisten drückt sich oft eher in stillschweigender Hinnahme oder Ignoranz denn in offenen Bekenntnissen und Solidarisierungen aus. Die Aggression der Faschisten-Kollaborateure wie der Gruppen Radical Aid Force oder Popular Front sowie der mit ihnen verbundenen Organisationen dürfen wir nicht weiter ignorieren. Wir sollen eingeschüchtert werden. Diese Kräfte wollen verhindern, dass wir klare und starke Positionen gegen die NATO und den deutschen Imperialismus beziehen.

Die Aushöhlung und Zersetzung antifaschistischer Bewegungen findet seit langem statt. Die sog. „Antideutsche“ und „Antinationalen“, die beide als pro-imperialistisch und in diesem Sinne als pro-deutsch zu bezeichnen sind, spielten dabei in den vergangenen Jahrzehnten eine zentrale Rolle. Diese Funktion wird nun von den Kräften übernommen, die jegliche Position angreifen, die sich konsequent gegen die NATO stellt. Es handelt sich somit nicht um ein neues Phänomen, sondern um die Fortsetzung einer schon langen anhaltenden, gefährlichen Entwicklung.

Die Durchsetzung der NATO-Ukraine-Front in Deutschland bedeutet das Zurückdrängen letzter antifaschistischer und antiimperialistischer Positionen in der politischen Linken. Jeder Angriff, jede Verleumdung und jede Einschüchterung müssen entschlossen zurückgewiesen werden!

Die junge Welt ist ein wichtiges Organ im Kampf gegen die NATO und deshalb ein Dorn im Auge aller pro-imperialistischen Kräfte. Die Recherchen von Susann Witt-Stahl sind ein wichtiger und wertvoller Beitrag im Kampf gegen den Faschismus. Sie müssten viel mehr verbreitet und in der Bewegung genutzt werden. Es müssten zudem viel mehr Auseinandersetzungen darum stattfinden, wie diese Rehabilitierung des Faschismus bekämpft werden kann!


[i] https://twitter.com/RadicalAidForce/status/1692282008712380800

[ii] https://www.jungewelt.de/artikel/456161.ukraine-krieg-wir-kämpfen-gegen-denselben-feind.html

[iii] https://kommunistische-organisation.de/bericht/kuscheln-mit-asow-in-leipzig/

[iv] https://www.akweb.de/gesellschaft/russland-dekolonisierung-ausstellung-berlin-bethanien/

Hände weg von Niger: Protestaktionen in Frankfurt und Düsseldorf

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In den letzten beiden Wochen haben unsere Genossen in Frankfurt am Main und Düsseldorf Protestaktionen gegen die drohende Militärinvasion in Niger organisiert. Die Aktionen fanden vor dem Hintergrund statt, dass nach Burkina Faso und Mali nun auch in Niger die pro-westliche Regierung durch das dortige Militär gestürzt wurden. Da dieser Umsturz nicht nur die westliche Militärpräsenz in der Sahel-Region, sondern die gesamte Vorherrschaft speziell Frankreichs in Westafrika zu beenden droht, reagierten vor allem Paris, aber auch Washington höchst aggressiv. Zuletzt drängten sie vor allem die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), einen Stellvertreterkrieg in Niger zu führen und die Putschregierung zu stürzen. Nachdem zunächst der nigerianische Senat und zuletzt auch die Afrikanische Union (AU) einer solchen Invasion eine Absage erteilt haben, scheint diese Gefahr nun — zumindest vorerst — abgewendet. Ein politischer Sieg und ein weiteres Zeichen dafür, dass die westliche Hegemonie in Afrika geschwächt ist.

Sowohl in Düsseldorf als auch in Frankfurt zogen wir gemeinsam mit anderen Einzelpersonen aus der kommunistischen, der Friedensbewegung sowie afrikanischen Communities vor die jeweiligen französischen Konsulate. In Redebeiträgen, Parolen und auf Schildern in Deutsch, Englisch und Französisch wurden u. a. das Ende des Neokolonialismus und der westlichen Vorherrschaft in Afrika, der Abzug des französischen, US-amerikanischen und deutschen Militärs aus den Sahel-Ländern und der Stopp der Drohungen gegen Niger gefordert. In Düsseldorf zeigte einer unserer Genossen den Zusammenhang zwischen der Flüchtlingsfrage und der westlichen Afrika-Politik auf: Zum einen lösen die neokoloniale Ausbeutung und Kriege Fluchtbewegungen (auch, aber nicht nur nach Europa) aus, zum anderen werden afrikanische Länder, darunter auch Niger, von Brüssel, Berlin und Paris zum verlängerten Grenzregime der EU gegen Geflüchtete ausgebaut. Andrej Hunko von der Linkspartei ging auf die Rolle Deutschlands in Mali und Niger ein und einem Genossen von Samidoun betonte den gemeinsamen Kampf gegen Kolonialismus, und Imperialismus, den das palästinensische Volk und die Völkern Afrikas eint. In Frankfurt betonten Genossen aus Burkina Faso, Mali und Namibia in ihren Redebeiträgen u. a. die Notwendigkeit panafrikanischer Einheit im Kampf gegen den Neokolonialismus.

Düsseldorf

Obwohl für beide Kundgebungen erst sehr kurzfristig mobilisiert wurde — im Fall Düsseldorfs nur vier Stunden vor Beginn der Veranstaltung — konnten wir mehrere Leute aus verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen und verschiedensten Städten erreichen. Trotzdem hat die gesamte Entwicklung rund um Niger deutlich Schwächen von uns wie auch von der gesamten kommunistischen und der Friedensbewegung aufgezeigt: Das offensichtlichste Manko ist die Tatsache, dass wir uns sehr schlecht in Afrika auskennen und den Kontinent lange kaum auf dem Schirm hatten — und das, obwohl seit dem Abzug der NATO aus Afghanistan in Mali der größte Auslandseinsatz der Bundeswehr stattfand bzw. noch immer stattfindet.

Frankfurt

Mit der Konterrevolution und spätestens seit dem Ende der Apartheid in Südafrika lösten sich die Verbindungen kommunistischer und internationalistischer Kräfte in Deutschland zu den Kämpfen in Afrika weitgehend auf. Jetzt drängt die Region wieder mit aller Wucht in unseren Fokus. Wir müssen begreifen, dass die Kämpfe der afrikanischen Völker und die Verschiebung der Kräfteverhältnisse, die wir aktuell im Sahel beobachten können, untrennbar mit den sich derzeit verändernden globalen Machtverhältnissen zusammenhängen. Der Sahel ist damit zu einem Hoffnungsträger und einem möglichen Vorkämpfer gegen die westliche Welthegemonie geworden! Zugleich droht er zum Brandherd zu werden, weil die Imperialisten ihre Macht natürlich nicht kampflos aufgeben wollen. Angesichts dessen dürfen die kommunistische und die Friedensbewegung sich nicht nur auf den einen Schauplatz konzentrieren, nur weil er direkt vor unserer Haustür liegt. 

Um diese Entwicklungen, die Potentiale und Gefahren, einschätzen zu können, müssen wir uns wieder aktiver und intensiver mit Afrika beschäftigen. Dazu gehören einerseits Fragen nach der Strategie des Imperialismus gegenüber den afrikanischen Ländern, der Konkurrenz etwa zwischen Frankreich/Françafrique und USA/AFRICOM und natürlich der Rolle Deutschlands auf dem Kontinent. Andererseits aber auch nach Strategien der Befreiung in Vergangenheit und Gegenwart: Welche Wege wurden im Kampf gegen Kolonialismus und Neokolonialismus im letzten Jahrhundert eingeschlagen? Welche Rolle spielten etwa panafrikanische Konzepte und wie sind sie aus marxistischer Sicht zu betrachten? Was hat sich seit der Konterrevolution verändert? Wie ist die kommunistische Bewegung in den verschiedenen Ländern heute aufgestellt, welche Vernetzungen gibt es dort, welche Debatten, welche Strategien? Wie drückt sich die Krise der internationalen kommunistischen Bewegung bei den dortigen Genossen aus? Und natürlich: Welche Rolle nehmen Russland und China im Ringen der afrikanischen Ländern im Kampf gegen die westliche Vorherrschaft ein?

Spendenaufruf zum Kommunismus Kongress 2023

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For English see below

Im Oktober richten wir den diesjährigen Kommunismus Kongress in Berlin aus. Wir haben dazu verschiedene Experten, Aktivisten und Autoren aus aller Welt eingeladen, um einen spannenden und umfangreichen Kongress zu veranstalten und so die Diskussionen, um den Imperialismus, Dynamiken und Veränderungen in der Weltordnung und antiimperialistische Gegenbewegungen gegen Unterdrückung und Krieg in der kommunistischen Bewegung  zu bereichern. Wir haben Redner aus verschiedenen Ländern eingeladen und werden zudem zweisprachige Podien veranstalten, wie ihr dem Programm entnehmen könnt. 

Um euch zu zeigen, was die Durchführung eines Kongresses in dieser Form kostet, d. h. wofür Ticketeinnahmen und Spenden eingesetzt werden, haben wir hier eine kleine Aufstellung der Ausgaben für den Kongress für euch: 

Miete der Veranstaltungsräume: 6210 € 
Übersetzung vor Ort und Technik dafür: 2650 € 
Unterbringung und Reisekosten Referenten: 3361 € 
Druck der Zeitung zum Kommunismus-Kongress: 957 € 
Weitere Flyer und Werbung: ca. 2500 € 
Sonstige Kosten (Material vor Ort, Technik,…): 600 € 

Der Kongress kostet also ca. 16.278 €. Auf der Einnahmen-Seite stehen vor allem die Ticketeinnahmen – und eure Spenden!  

Wir wollen einen bezahlbaren Kongress bieten. Deswegen sind wir auf eure Unterstützung angewiesen. Dies gilt umso mehr, nachdem uns im Zuge einer Fraktionierung und Abspaltung Ende letzten Jahres beinahe komplett unsere finanziellen Mittel gestohlen wurden. 

Wir bitten um Geldspenden auf folgendes Konto, um die Durchführung des Kongresses zu ermöglichen. Jeder Euro zählt!

Kontoinhaber: Verein für internationale Bildung und Solidarität
IBAN: DE88 8605 5592 1090 3249 91
BIC: WELADE8LXXX
Verwendungszweck: Spende Kongress

Oder via Paypal an kongress2023@gmx.de


Call for donations to the Communism Congress 2023

In October we are hosting this year’s Communism Congress in Berlin. We have invited various experts, activists and authors from all over the world to organize an exciting and comprehensive congress to enrich the discussions around imperialism, dynamics and shifts in the world order and anti-imperialist counter-movements against oppression and war in the communist movement. We have invited speakers from different countries and will also organize bilingual panels, as you can see from the program. 

Inevitably, we are facing high costs: the live translation that we have organized costs almost 3000€, moreover, costs for the space are much higher than last year with more than 6000€. Costs for advertising and material, as well as travel expenses and accommodation for the speakers are to be added. We want to offer an affordable congress. Therefore we are dependent on your support. This is even more true after our financial means were almost completely stolen in the course of a factioning and splitting off at the end of last year. 

We ask for donations to the following account to make the congress possible. Every Euro counts!

Account holder: Verein für internationale Bildung und Solidarität
 IBAN: DE88 8605 5592 1090 3249 91
 BIC: WELADE8LXXX
 reason for payment: donation congress

Or via Paypal to kongress2023@gmx.de

Aktionsbericht: Zusammen gegen die Ermordung der Brüder-Kononovich!

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Unsere Genossen in Berlin, Chemnitz, Frankfurt a.M. und Leipzig haben sich in den letzten Tagen und Wochen solidarisch mit den Brüdern Kononovich gezeigt und gemeinsam mit anderen Kräften der kommunistischen Bewegung einige Aktionen und Kundgebungen organisiert, angesichts ihrer drohenden Ermordung in Kiew.

Auf die akute Morddrohung gegen die Brüder und Antifaschisten Kononovich machte die Berliner Ortsgruppe zusammen mit Genossen der DKP und SDAJ lautstark aufmerksam. Trotz der kurzfristigen Mobilisierung waren knapp 50 Teilnehmer dem Aufruf »Freiheit für die Kononovich-Brüder! Stoppt ihre Ermordung« gefolgt und setzten mit einer Kundgebung am Rosa-Luxemburg-Platz ein deutliches Zeichen gegen den Schauprozess und gegen die Misshandlung der führenden Mitglieder der kommunistischen Jugend der Ukraine – und prangerten die Untätigkeit von Bundesregierung und europäischer Behörden für den Schutz der Geschwister an. Redebeiträge betonten den hierzulande in der Öffentlichkeit so gut wie vollständig verschwiegenen Fakt der systematischen politischen Verfolgung von Linken und Antifaschisten, Gewerkschaftern, Kommunisten und Russen in der Ukraine, die Tausende betrifft. Die Redner stellten heraus, dass dieses harte Vorgehen Teil der Kriegspolitik gegen Russland ist, die von der NATO und auch von der Bundesregierung vorangetrieben wird. Mit den Sprechchören »Nein zum Krieg heißt Nein zur NATO« und »Free free Kononovich« endete die Aktion in Berlin-Mitte, die bei Passanten spürbar Interesse weckte.

Am Freitag, dem 14.07.2023 kam die deutsche Außenministerin nach Chemnitz, begleitet
wurde sie dabei vom Bruder des Kiewer Bürgermeister Wladimir Klitschko. Zusammen machten wir mit den FreiDenkern und der DKP auf den deutschen Imperialismus und seinen Krieg gegen Russland aufmerksam und bezogen klare Position gegen die NATO. Man verwies in verschiedenen Redebeiträgen auf die drohende Ermordung der Brüder Kononovich und das Handeln der ukrainischen Regierung. Die Unterstützung Kiews vom deutschen Imperialismus und der Antikommunismus der Bundesregierung wurde hervorgehoben und in Gesprächen mit Passanten diskutiert.

Am 10.07. wurde eine Kundgebung vor dem ukrainischen Generalkonsulat in Frankfurt a.M. abgehalten. Es wurde gegen die drohende Ermordung der Brüder Kononovich protestiert und ihre sofortige Freilassung gefordert. Es wurde die bisherige Geschichte von Gefängnis, Folter und Hausarrest vorgetragen sowie der alarmierende Aufruf der beiden Antifaschisten. Es wurde außerdem auf die Rolle Deutschlands bei der faschistischen Entwicklung der Ukraine sowie die Verfolgung von Antifaschisten und Minderheiten wie der Sinti und Roma verwiesen. Das Ordnungsamt wollte die Veranstaltung zunächst auf einen abgelegenen Platz verlegen, was aber verhindert werden konnten. Es war soweit bekannt ist, die erste Kundgebung gegen die Verhältnisse in der Ukraine seit langer Zeit, vermutlich seit 2014.

In Leipzig wurde sich mit der DKP an zwei Aktionen gegen die Ermordung der Kononovich-Brüder beteiligt. Dabei verteilte man Flyer, die auf eine Petition zur Freilassung der Brüder hinweisen und ist mit Passanten und Besuchern des am 10.07. stattgefundenen Friedensgebets ins Gespräch gekommen. Bei der zweiten Aktion vor dem Leipziger Stadtbüro, einem Ort an dem die Bürger der Stadt ihre Anliegen vorbringen sollen, wurde ein offener Brief übergeben, adressiert an den Leipziger Bürgermeister, mit der Forderung sich gegen die Ermordung der beiden einzusetzen. Auch hat man in Gesprächen auf die besondere Verantwortung hingewiesen, die Leipzig als Partnerstadt von Kiew spielt, wo die beiden derzeit in Hausarrest verbleiben müssen.

Stoppt die Ermordung der Brüder Kononovich!
Kampf dem deutschen Imperialismus!
Hoch die internationale Solidarität!

40 Jahre Volksrevolution in Burkina Faso: Aus den Kämpfen der Völker lernen!

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Am 4. August 1983 brach sich in der ehemals französischen Kolonie Obervolta unter der Führung von Hauptmann Thomas Sankara eine Entwicklung Bahn, die in der Region, aber auch darüber hinaus, bis heute großen Eindruck auf all jene ausübt, die gegen Imperialismus und Neokolonialismus und für Unabhängigkeit, Entwicklung und sozialen Fortschritt kämpfen. Die damals innerhalb kürzester Zeit errungenen Fortschritte waren der Disziplin, Klarheit und Kompromisslosigkeit der noch jungen Revolutionäre zu verdanken, die die große Unterstützung der Volksmassen genossen.

In nur vier Jahren wurde u. a. erreicht, dass …

… Burkina Faso durch die Einrichtung einer gesamtwirtschaftlichen Planung bereits 1986 eine vollständige Lebensmittelautarkie herstellen konnte. Das konnte u. a. auch mithilfe zahlreicher Straßenbauprojekte erreicht werden, welche die auf imperialistischer Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ausgerichtete Infrastruktur gesamtwirtschaftlich nutzbar machte. Durch die Schaffung von Komitees zur Verteidigung der Revolution (Comités de Défense de la Révolution) gelang es Sankara und der revolutionären Regierung in beispielloser Weise, das Bewusstsein der Volksmassen für die wesentlichen volkswirtschaftlichen Aufgaben zu wecken. Das Volk mobilisierte sich zum kollektiven Straßenbau.

… der Kampf für die Befreiung der Frau zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe wurde. Gewalt gegen Frauen, Frauenbeschneidung, Polygamie und Prostitution wurden verboten und unter Strafe, Frauen den Männern gleichgestellt. Ca. 40% der Regierungsmitglieder waren Frauen.

… das burkinische Volk in selbstorganisierter Weise Millionen von Bäumen pflanzte, um die Wüstenausbreitung zu stoppen.

… ein landesweites Impfprogramm binnen weniger Wochen ca. 3 Millionen Kinder vor schweren und oft tödlich verlaufenden Krankheiten wie Polio oder Masern schützte.

… großangelegte Alphabetisierungskampagnen dafür sorgten, dass die Alphabetisierungsrate innerhalb von nur vier Jahren von 13% (1983) auf 73% (1987) anstieg.

Doch das waren bei weitem nicht alle Verbesserungen für das Volk. Der junge Präsident Sankara forderte von den imperialistischen Eliten den vollständigen Verzicht auf die Rückzahlung der Schulden, die die wirtschaftliche, technische und soziale Entwicklung der afrikanischen Staaten regelmäßig verhinderte. Drei Monate später war der revolutionäre Führer Thomas Sankara tot. Nicht nur, dass er es gewagt hatte, seinem Volk, das sich 1984 selbst den stolzen Namen, „die aufrechten Menschen“ gegeben hatte; er vermittelte seinem Volk ein revolutionäres Selbstbewusstsein und forderte den Kampf für ein menschenwürdiges Leben. Thomas Sankara „maßte“ sich an, die über Jahrhunderte global festgefügten Ausbeutungsverhältnisse aufzuheben. Diesen Angriff auf ihre Interessen konnten die Imperialisten nicht zulassen. Sie fanden ihre Helfer, wie so oft, im Land selbst, unter den korrumpierten und um ihre Privilegien bangenden Eliten.

Vermeintliche oder tatsächliche Übertreibungen des revolutionären Kurses dienten schon bald Vorwände für Machtkämpfe innerhalb der Volksmacht. 1987 bereitete eine Gruppe von Konterrevolutionären, die innerhalb der revolutionären Führung konspirierten, den großartigen Fortschritten ein abruptes Ende, indem sie Sankara kaltblütig ermordeten. Unter ihnen war mit Blaise Compaoré ein enger Vertrauter Sankaras und Mitbegründer des Nationalrats der Revolution (Conseil National de la Révolution, CSP). Das verräterische Regime gab zunächst vor, den revolutionären Kurs fortführen zu wollen. Tatsächlich jedoch handelten die Verschwörer als Handlanger des Imperialismus: ieferten sie ihr Land erneut und für viele Jahrzehnte der neokolonialen Unterdrückung und Ausbeutung aus.

Der Kampf gegen Imperialismus und Neokolonialismus geht weiter

Sankaras Sturz hinterließ tiefe und bis heute nachwirkende Wunden: Nach der brutalen Machtübernahme, bei der nicht nur Sankara selbst und mehrere seiner politischen Gefährten und Mitarbeiter ermordet wurden, sondern auch hunderte seiner Anhänger aus dem Volk, gerieten die Burkiner in den nachfolgenden Jahrzehnten – unter Compaorés Regime – unter das Diktat von Weltbank, WHO und IWF. Doch Sankaras Geist von Selbstbestimmung, Würde und Gerechtigkeit ist in vielen Köpfen und Herzen des Landes lebendig geblieben. Eine neue Generation junger Burkiner zeigt sich standhaft und entschlossen im Kampf gegen Einmischung und Zerstörung ihres Landes. Am 30. September 2022 gelang die Militäradministration um Ibrahim Traoré an die Macht. Die neue Regierung verwies die französische Truppen, deren Medien, Botschafter und hochrangige Diplomaten des Landes. Gemeinsam mit Mali und Guinea wird derzeit über den Aufbau einer gemeinsamen Föderation und die die Stabilisierung der nationalen Sicherheit im Kampf gegen terroristische Gruppen beraten. Premierminister Kyélem de Tambela reduzierte drastisch die Gehälter hochrangiger Beamter, eine erste, wirksame Maßnahme gegen Korruption und Opportunismus innerhalb der staatlichen Eliten. Bei seiner Rede auf dem Russland-Afrika-Gipfel vom 27.-28. Juli formulierte Traoré, auch in Bezug auf den Staatsstreich in Niger, klar und unmißverständlich: 

Unsere Vorgänger haben uns eines gelehrt: Ein Sklave, der nicht in der Lage ist, seine eigene Revolte zu führen, verdient es nicht, bemitleidet zu werden. Wir bemitleiden uns nicht selbst, wir bitten niemanden, uns zu bemitleiden. (…) Das Problem sind die afrikanischen Staatsoberhäupter, die nichts zu den Kämpfen der Menschen beitragen, aber das gleiche Lied wie die Imperialisten singen, uns als Milizen bezeichnen und uns als Menschen bezeichnen, die die Menschenrechte nicht achten. Von welchen Menschenrechten ist die Rede? Wir sind beleidigt, es ist beschämend. Wir afrikanischen Staatschefs müssen aufhören, uns wie Marionetten zu verhalten, die jedes Mal tanzen, wenn die Imperialisten an den Fäden ziehen.“i

Die Worte des burkinischen Staatsoberhauptes spiegeln den allgemein zunehmenden Widerstand in der westafrikanischen Bevölkerung wider. Dieser weitere, allem Anschein nach antiwestliche Putsch auf dem Gebiet eines bisher strategisch wichtigen Bündnispartners bzw. Uranlieferant und Stützpunkt für westliches Militär, scheint das (afrikanische) Fass – aus Sicht der imperialistischen Machtzentren – zum Überlaufen zu bringen. Der Druck auf die ECOWAS und insbesondere Nigeria – vor allem seitens Frankreichs und der USA – wächst dieser Tage mit Ziel auf eine militärische Intervention in Niger. 

Aus den Kampferfahrungen der Völker lernen

Grund genug, um heute einen Blick auf das theoretische Fundament der burkinischen Revolution zu werfen. Darum veröffentlichen wir, anlässlich des heutigen Jahrestags, die Rede zum politischen Kurs („Discours d’Orientation politique“). Die Ansprache an das Volk wurde im September 1983 verfasst und von Sankara am 2. Oktober 1983 im Radio verlesen. Er verfasste sie gemeinsam mit allen im CSP vertretenen Fraktionen – Panafrikanisten, Studierenden und Militärs, allesamt mit kommunistischem Selbstverständnis, wie er selbst. Eingangs werden die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Ausgangslage des Klassenkampfes in Burkina Faso unter den Bedingungen des Neokolonialismus beschrieben. Auf der Grundlage einer kompakten Klassenanalyse begründet die Ansprache den Charakter der Augustrevolution als eine „demokratische Volksrevolution“, die notwendigerweise eine souveräne Machtausübung durch das Volk benötige. Das Herzstück dafür bilden (nach dem Vorbild Kubas und Ghanas) die Komitees für die Verteidigung der Revolution.ii Darauf aufbauend werden die Kernziele für die Revolutionierung der gesellschaftlichen Verhältnisse und eine knappe Formulierung von Aufgaben auf internationaler Ebene benannt.

Lernen wir aus der Geschichte! Machen wir die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage der vor uns liegenden Kämpfe!

Redaktion der KO

i Auszüge der Rede als Video hier mit englischen Untertiteln: https://www.youtube.com/watch?v=O8J5mK7JKMY

ii Auf Stadtteil- oder Wohnblockebene organisierte Rätestrukturen.


Thomas Sankara: Rede zum politischen Kurs (2. Oktober 1983)

„Volk von Obervolta, Kameradinnen und Kameraden, Aktivistinnen und Aktivisten der Revolution. 

Unser Land hat im Laufe dieses Jahres 1983 Augenblicke von besonderer Intensität erlebt, die im Gedächtnis zahlreicher Bürger unauslöschliche Spuren hinterlassen haben. Der Kampf des obervoltaischen Volkes durchlebte in dieser Zeit zahlreiche Höhen und Tiefen.

Unser Volk wurde in heroischen Kämpfen auf die Probe gestellt. In der historischen Nacht des 4. August 1983 hat es schließlich den Sieg errungen. Seit bald zwei Monaten ist die Revolution in unserem Land unumkehrbar im Gang. Seit zwei Monaten steht das kämpfende Volk Obervoltas wie ein Mann hinter dem Nationalrat der Revolution (Conseil National de la Révolution, CNR), setzt sich aktiv für den Aufbau einer neuen, freien, unabhängigen, blühenden Gesellschaft in Obervolta ein, die frei ist von sozialer Ungerechtigkeit und der jahrhundertealten Herrschaft und Ausbeutung durch den internationalen Imperialismus.

Am Ende dieses kurzen Weges lade ich Euch ein, gemeinsam einen Blick zurück zu werfen, um die nötigen Lehren zu ziehen und die revolutionären Aufgaben, wie sie sich heute und in naher Zukunft stellen, angemessen zu bestimmen. Eine klare Wahrnehmung des Verlaufs der Ereignisse wird uns in unserem Kampf gegen den Imperialismus und die reaktionären Kräfte der Gesellschaft zusätzlich stärken.

Anders ausgedrückt: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Dies sind die Fragen der Stunde, Fragen, die unsererseits eine klare, entschlossene. eindeutige Antwort verlangen, wenn wir kühn zu größeren, durchschlagenderen Erfolgen schreiten wollen.

Die Augustrevolution als Erfolg des obervoltaischen Volkskampfs

Der Triumph der Augustrevolution ist nicht bloß das Ergebnis der revolutionären Attacke auf die sakrosankte reaktionäre Allianz vom 17. Mai 1983. Er bildet den siegreichen Abschluss des obervoltaischen Volkskampfs gegen unsere alten Feinde. Er ist ein Sieg gegen den internationalen Imperialismus und dessen Verbündete im Inneren. Ein Sieg gegen die rückwärtsgewandten, aufklärungsfeindlichen Kräfte der Finsternis. Ein Sieg gegen alle Feinde des Volkes, die hinter dessen Rücken Komplotte und Intrigen schmiedeten.

Die Augustrevolution ist definitiv das Ende des Volksaufstands, der im Anschluss an das imperialistische Komplott vom 17. Mai 1983 losgebrochen war, welches darauf abzielte, die anschwellende Flut der demokratisch- revolutionären Kräfte des Landes zu stoppen.

Dieser Aufstand fand seinen Ausdruck nicht nur in der mutigen, heroischen Haltung der Kommandos in der Stadt Po, die gegen die proimperialistische, volksfeindliche Macht des Mediziners und Majors Jean-Baptiste Ouedraogo und des Oberst Somé Yorjan erbitterte Gegenwehr leisteten, sondern gleichermaßen in der Tapferkeit der demokratischen, revolutionären Kräfte des Volkes, die im Bündnis mit den patriotischen Soldaten und Offizieren beispielhaft Widerstand geleistet haben. 

Der Aufstand vom 4. August 1983, der Sieg der Revolution und die Gründung des Nationalrat der Revolution bilden daher unbestreitbar die Krönung, den erfolgreichen Abschluss der Kämpfe, die das Volk Obervoltas gegen neokoloniale Herrschaft und Ausbeutung, gegen die Unterjochung unseres Landes, für Unabhängigkeit, Freiheit, Würde und Fortschritt unseres Volkes geführt hat. Grobschlächtige, oberflächliche Analysen, die lediglich herkömmliche Schemata reproduzieren, können an diesen Gegebenheiten nichts ändern. 

Die Augustrevolution triumphierte, weil sie sich als Erbe des Volksaufstandes vom 3. Januar 1966 erwiesen und diesen vertieft hat. Sie bestand in der Fortführung und qualitativen Weiterentwicklung aller großen Kämpfe dieses Volkes, die in den letzten Jahren immer mehr zugenommen haben und die entschiedene Weigerung des obervoltaischen Volkes, insbesondere der Arbeiterklasse, zum Ausdruck brachten, sich regieren zu lassen wie zuvor. Meilensteine dieser großen Kämpfe des Volkes waren der Dezember 1975, der Mai 1979, der Oktober und der November 1980, der April 1982 und der Mai 1983.

Die große Widerstandsbewegung des Volkes, die unmittelbar auf die reaktionäre, proimperialistische Provokation vom 17. Mai 1983 gefolgt war, hat erwiesenermaßen günstige Bedingungen für den 4. August 1983 geschaffen. So beschleunigte das imperialistische Komplott vom 17. Mai ganz erheblich die Reorganisation der demokratisch-revolutionären Kräfte, welche in dieser Zeit auf den Plan traten, Initiativen entwickelten und neuartige, kühne Aktionen starteten. Damals erwies sich die sakrosankte Allianz der reaktionären Kräfte hinter dem absterbenden Regime als unfähig, den Durchbruch der revolutionären Kräfte zu unterdrücken, zumal diese die volksfeindliche, antidemokratische Ordnung immer offener attackierten.

Die Volksdemonstrationen vom 20., 21. und 22. Mai fanden im ganzen Land ein großes Echo. Dies ist im Wesentlichen auf ihre große politische Bedeutung zurückzuführen, denn sie lieferten den Beweis dafür, dass das gesamte Volk, insbesondere die Jugend, die revolutionären Ideale jener Menschen teilte, die von den reaktionären Kräften auf heimtückische Weise gemeuchelt wurden. Diese Demonstrationen hatten in der Praxis erhebliche Folgewirkungen, denn sie brachten die Entschlossenheit des gesamten Volkes- und der gesamten Jugend – zum Ausdruck, die sich erhoben hatten, um den imperialistischen Kräften der Herrschaft und Ausbeutung unmittelbar die Stirn zu bieten. Damit trat offen zutage, dass der Imperialismus und seine Verbündeten vor dem Volk erzittern, wenn es aufsteht.

Geschichte und politische Bewusstwerdung der Volksmassen folgen einer dialektischen Bewegung, die sich der reaktionären Logik entzieht. Daher haben die Ereignisse im Mai 1983 den politischen Klärungsprozess in unserem Land erheblich beschleunigt, sodass dieser einen Punkt erreicht hat, an dem die gesamten Volksmassen im Verständnis der Lage einen qualitativen Sprung gemacht haben.

Die Ereignisse des 17. Mai haben in hohem Maße dazu beigetragen, die des Volkes zu öffnen. Der Imperialismus als ein Unterdrückungs- und Augen Ausbeutungssystem zeigte sich dem Volk in einem brutalen, grausamen Licht. 

Manche Tage bringen Lehren mit sich, die in ihrem Wert denen eines ganzen Jahrzehnts in nichts nachstehen. An diesen Tagen lernt das Volk mit nie gekannter Schnelligkeit und einer Gedankentiefe, gegen die tausend Studienjahre völlig verblassen. Nach den Ereignissen vom Mai 1983 kennt das obervoltaische Volk seine Feinde nun besser. Von nun an weiß in Obervolta jeder, wer wer ist! Wer es mit wem hält, und wer gegen wen steht! Wer was macht und warum. 

Eine solche Situation markiert den Auftakt für große Umwälzungen. Sie trug dazu bei, die zugespitzten Klassengegensätze in Obervolta zu entlarven. Die Augustrevolution führt demzufolge zur Lösung der gesellschaftlichen Widersprüche, die nicht mehr durch Kompromisslösungen erstickt werden konnten.

In der Begeisterung der breiten Volksmassen für die Augustrevolution schlägt sich die immense Hoffnung nieder, die das obervoltaische Volk mit der Gründung des Nationalrates verbindet, damit sein tiefes Bestreben nach Demokratie, Freiheit und Unabhängigkeit, nach echtem Fortschritt, Wiedererlangung von Würde und Größe des Vaterlands endlich verwirklicht wird. Werte, die das neokoloniale Regime 23 Jahre lang vehement mit Füßen trat.

Das Erbe von 23 Jahren Neokolonialisierung

Die Gründung des Nationalrates der Revolution am 4. August 1983 mit der anschließenden Errichtung einer revolutionären Ordnung in Obervolta ist eine ruhmreiche Seite in den Annalen unseres Volkes und unseres Landes. Aber wir tragen schwer am Erbe, das uns 23 Jahre imperialistische Ausbeutung und Herrschaft hinterlassen haben. Wir stehen vor der harten, mühe-vollen Aufgabe, eine neue Gesellschaft zu schaffen, eine Gesellschaft, die frei ist von all jenen Übeln, welche unser Land in wirtschaftlicher und kultureller Rückständigkeit halten.

Als der französische Kolonialismus 1960 von allen Seiten attackiert wurde, als er in Dien-Bien-Phu (Vietnam) geschlagen wurde und in Algerien vor gewaltigen Schwierigkeiten stand, sahen sich seine Protagonisten gezwungen, Lehren aus ihren Niederlagen zu ziehen. Aus diesem Grund gewährten sie unserem Land nationale Souveränität und territoriale Integrität. Das Volk begrüßte diese Maßnahmen. Dabei hatte es sich nicht etwa gleichgültig verhalten, sondern geeignete Formen des Widerstands entwickelt. Dass der imperialistische Kolonialismus Frankreichs die Flucht nach vorn antrat, bedeutete für das Volk einen Sieg über die ausländischen Kräfte der Unterdrückung und Ausbeutung. Aus der Perspektive der Volksmassen war es eine demokratische Reform, aus der des Imperialismus jedoch bloß eine Neujustierung der Herrschaft über das Volk und dessen Ausbeutung.

Diese Neujustierung führte allerdings zu einem Wandel der gesellschaftlichen Klassen und Schichten und zur Herausbildung neuer Klassen. Im Bündnis mit den rückwärtsgewandten Kräften der traditionellen Gesellschaft und in völliger Missachtung der Massen, die es als Instrument zur Machteroberung gebrauchte, ging das gebildete Kleinbürgertum daran, die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen der neuen imperialistischen Herrschafts- und Ausbeutungsformen zu schaffen. Die Furcht, der Kampf der Volksmassen könnte sich radikalisieren und auf eine wahrhaft revolutionäre Lösung hinauslaufen, erklärt, warum der Imperialismus an der Kontrolle unseres Landes festhielt und die Ausbeutung des Volkes mittels einheimischer Komplizen fortsetzte. Obervoltaerinnen und Obervoltaer selbst sollten das fremde Herrschafts- und Ausbeutungssystem fortführen. Die Organisation der neokolonialen Gesellschaft wurde nur pro forma gerändert.

Ihrem Wesen nach unterscheiden sich die koloniale und die neokoloniale Gesellschaft nicht im Geringsten. So wurde die koloniale Verwaltung durch eine neokoloniale ersetzt, die mit jener in jeder Hinsicht identisch ist. Die koloniale Armee wurde durch eine neokoloniale Armee ersetzt, die de gleichen Merkmale und Funktionen aufweist, die gleiche Rolle als Hüterin der Interessen des Imperialismus und seiner internen Verbündeten einnimmt. Die koloniale Schule wurde durch eine neokoloniale Schule ersetzt, die die Entfremdung unserer Kinder fortschrieb und darüber hinaus eine Gesellschaft im Dienste der Interessen des Imperialismus und in zweiter Linie seiner Lakaien beziehungsweise lokalen Verbündeten reproduzierte.

Obervoltaer waren es, die mit Unterstützung und Segen des Imperiaismus die systematische Ausplünderung unseres Landes betrieben. Da dabei auch einige Brocken für sie abfielen, wurden sie nach und nach zu einer regelrecht parasitären Bourgeoisie, die sich gieriger und gieriger zeigte. Einzig von egoistischen Interessen motiviert, schrecken sie nicht mehr vor dem Gebrauch betrügerischster Mittel zurück und fördern in großem Stil Korruption, Zweckentfremdung öffentlicher Gelder und des Gemeinwesens, Vorteilsannahme, Immobilienspekulation und Vetternwirtschaft.

Daher die vielen materiellen Reichtümer, die sie auf Kosten des arbeitenden Volkes anhäuften. Dabei geben sie sich nicht damit zufrieden, von den astronomischen Einkünften zu leben, die sie auf dubiose Weise erzielen, sondern trachten außerdem danach, Posten in Beschlag zu nehmen, um zum Zweck von Ausbeutung und Misswirtschaft über den Staatsapparat zu verfügen

Kein Jahr vergeht, ohne dass diese Helfershelfer des Imperialismus sich Luxusurlaube im Ausland gönnen. Sie nehmen ihre Kinder aus unseren Schulen und schicken sie an prestigeträchtige Einrichtungen in anderen Ländern. Sobald ihr Nachwuchs auch nur ansatzweise kränkelt, werden alle staatlichen Hebel in Bewegung gesetzt, um ihm eine kostspielige Behandlung in ausländischen Luxuskrankenhäusern angedeihen zu lassen.

All dies spielt sich unter den Augen des schwer arbeitenden, tapferen, ehrlichen Volkes von Obervolta ab, das sein Dasein in bitterstem Elend fristet. Für die Minderheit der Reichen ist unser Land ein Paradies, für die Mehrheit des Volkes eine beinahe unerträgliche Hölle.

Als Teil dieser großen Mehrheit sind die Lohnarbeitenden, obwohl sie über ein regelmäßiges Einkommen verfügen, den Zwängen und Fallstricken der kapitalistischen Konsumgesellschaft ausgesetzt. Ehe sie sich versehen, ist ihr gesamtes Gehalt aufgebraucht. Und der Teufelskreis geht, unaufhörlich weiter, ohne dass ein Bruch in Sicht wäre.

In den Gewerkschaften organisieren die Lohnarbeitenden Kämpfe für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Das Ausmaß dieser Kämpfe nötigt die neokolonialen Behörden hin und wieder zu Zugeständnissen. Doch was sie mit der einen Hand geben, streichen sie mit der anderen sofort wieder ein. Da wird mit großem Tamtam eine 10prozentige Lohnerhöhung verkündet, um unmittelbar danach steuerpolitische Maßnahmen zu beschließen, die deren Wirkung gleich wieder aufheben. Nach fünf, sechs oder sieben Monaten merken die Arbeitenden jedes Mal, dass sie getäuscht wurden, um sich anschließend für weitere Kämpfe zu mobilisieren. Sieben Monate sind für die reaktionären Machthaber allerdings mehr als genug Zeit, um zu verschnaufen und neue Listen auszuhecken. Aus diesem Kampf ohne Ende geht der Arbeitende stets als Verlierer hervor.

Teil dieser großen Mehrheit sind auch jene „Verdammten dieser Erde“, jene Bauern, die enteignet, beraubt, misshandelt, eingekerkert, mit Füßen getreten und Tag für Tag beleidigt werden, jene Bauern, deren Arbeit Reichtum schafft. Mit ihrer Produktion halten sie die zerbrechliche Wirtschaft des Landes in Gang. Dank ihrer Arbeit sahnen all jene Landsleute kräftig ab, für die Obervolta ein Eldorado ist. Dabei fehlt es vor allem den Bauern an Strukturen, an Verkehrs- und Gesundheitsinfrastruktur und an medizinischer Betreuung. Dabei leiden diese Bauern, die den Wohlstand des Landes erwirtschaften, am meisten unter dem Mangel an Schulen und Lernmitteln für ihre Kinder. Diese gehen nach kürzester Zeit von der Schule ab, die obendrein mit den Realitäten des Landes nicht viel zu tun hat, um sich anschließend zum Heer der Arbeitslosen zu gesellen, das damit noch weiter anschwillt. Unter ihnen ist die Analphabetenrate mit 98% am höchsten. Diejenigen, die Wissen am nötigsten brauchen, um mit ihrer Arbeit mehr Ertrag zu erzielen, profitieren am wenigsten von Investitionen in Gesundheit, Bildung und Technologie.

Die Bauernjugend, welche die gleiche Grundeinstellung hat wie die Jugend im Allgemeinen – also sensibler für soziale Ungerechtigkeit und progressiver eingestellt ist – verlässt im Gefühl des Aufbegehrens nach und nach die ländlichen Gebiete und bringt diese damit um ihre aktivsten Kräfte. Einem spontanen Impuls folgend begibt sich diese Bauernjugend in die städtischen Zentren Ouagadougou und Bobo-Dioulasso. Dort hofft sie, einträglichere Arbeit zu finden und an den Früchten des Fortschritts teilzuhaben. Weil es indes an Arbeit fehlt, neigt die Bauernjugend zum Nichtstun und den damit verbundenen Untugenden. Um nicht im Gefängnis zu enden, sucht sie schließlich ihr Heil im Ausland, wo sie schamloseste Erniedrigung und Ausbeutung erfährt. Doch lässt ihnen die Gesellschaft Obervoltas überhaupt eine andere Wahl? 

Nach 23 Jahren Neokolonialisierung sieht die Lage unseres Landes ganz knapp gesagt folgendermaßen aus: Paradies für die einen, Hölle für die anderen.

Nach 23 Jahren imperialistischer Herrschaft und Ausbeutung ist unser Land noch immer ein rückständiges Agrarland, in dem der landwirtschaftliche Sektor, der mehr als 90% der Erwerbsbevölkerung beschäftigt, lediglich 45% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet und 95% der Gesamtexporte produziert. Einfacher gesagt: Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass in anderen Ländern die Bauern weniger als 5% der Bevölkerung ausmachen, nicht nur ihre eigene Ernährung, sondern die Versorgung des ganzen Landes sicherstellen und noch dazu riesige Mengen an landwirtschaftlichen Produkten exportieren. Bei uns hingegen leiden mehr als 90% der Bevölkerung trotz großer Anstrengungen unter Hunger und Nahrungsmittelknappheit und sind wie der Rest der Bevölkerung auf den Import von Agrarprodukten oder gar auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das damit geschaffene Ungleichgewicht zwischen Importen und Exporten trägt mit dazu bei, die Abhängigkeit unseres Landes vom Ausland zu vergrößern. Das entsprechende Handelsbilanzdefizit nimmt von Jahr zu Jahr spürbar zu. Der Deckungsgrad der Importe durch die Exporte beträgt ca. 25%. Um es deutlicher zu machen: Wir kaufen mehr im Ausland, als wir ins Ausland verkaufen; eine Wirtschaft, die so funktioniert, ruiniert sich allmählich selbst, sie steuert auf eine Katastrophe zu. 

Die ausländischen Privatinvestitionen sind nicht nur unzureichend, sie erzeugen einen enormen Druck auf unsere Wirtschaft und stärken daher keineswegs ihre Produktions- und Akkumulationsfähigkeit. Ein Großteil des Reichtums, der mithilfe ausländischer Investitionen geschaffen wurde, wird ins Ausland abgeführt, anstatt reinvestiert zu werden und die Produktionskapazitäten unseres eigenen Landes zu steigern. Für die Zeit von 1973 bis 1979 wird die Devisenausfuhr in Form von Erträgen aus ausländischen Direktinvestitionen auf 1,7 Milliarden Francs CFA pro Jahr geschätzt, während die Neuinvestitionen nur durchschnittlich 1,3 Milliarden Francs CFA pro Jahr betragen.

Angesichts unzureichender Produktivinvestitionen tendiert der obervoltaische Staat dazu, großen Einfluss auf die Wirtschaft des Landes zu nehmen, indem versucht wird, die schwachen Privatinvestitionen auszugleichen. Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn der Staat bezieht seine Einnahmen bekanntlich im Wesentlichen aus fiskalischen Mitteln, die 85% der Gesamteinnahmen ausmachen und sich größtenteils auf Importzölle und Steuern beschränken. Mit den Staatseinnahmen werden außer den Investitionen die Ausgaben des Staates finanziert, von denen 70% in die Gehälter der Beamten oder in die Behörden fließen. Was kann da noch für soziale und kulturelle Belange bleiben? 

Im Bildungsbereich gehört unser Land mit einer Einschulungsrate von 16,4% und einer Analphabetenrate von durchschnittlich 92% zu den rückständigsten Ländern überhaupt. Von 100 Bürgern können in Obervolta offensichtlich kaum 8 lesen und schreiben, in welcher Sprache auch immer.

Was den Gesundheitsbereich angeht, sind die Morbiditäts- und die Sterberate in unserer Subregion wegen der starken Verbreitung übertragbarer Krankheiten und der Mangelernährung mit am höchsten. Wie könnte die Lage auch weniger katastrophal sein, da bei uns bekanntlich auf 1.200 Einwohner ein Krankenhausbett und auf 48.000 Einwohner ein Arzt kommt?

Mehr als diese wenigen Fakten braucht es nicht, um das Erbe zu veranschaulichen, das uns 23 Jahre Neokolonialisierung, 23 Jahre einer Politik des totalen Versagens, hinterlassen hat. Die Lage könnte trister kaum sein; sie kann keinen Bürger Obervoltas, der sein Land liebt und ehrt, gleichgültig lassen.

Dabei hat unser tapferes, fleißiges Volk diese Verhältnisse nie hingenommen. Weil es verstand, dass es sich dabei nicht etwa um Schicksal, sondern um die Folgen einer ungerechten Gesellschaftsordnung handelte, die nur einer Minderheit zugutekam, trug es vielfältige Kämpfe aus, suchte Mittel und Wege, um diesen überkommenen Verhältnissen ein Ende zu setzen. Daher begrüßte unser Volk enthusiastisch die Gründung des Nationalrates der Revolution und die Augustrevolution als Lohn für die Anstrengungen und Opfer, die es gebracht hat, um die alte Ordnung zu stürzen und eine neue zu schaffen. Eine Ordnung, die geeignet ist, die Obervoltaer zu rehabilitieren und unserem Land einen festen Platz im Konzert der freien, prosperierenden, geachteten Nationen zu geben.

Die parasitären Klassen, die aus dem kolonialen wie aus dem neokolonialen Obervolta stets Profit schlugen, stehen heute und in Zukunft den Umwälzungen feindselig gegenüber, die im Rahmen des revolutionären Prozesses seit dem 4. August 1983 in Angriff genommen wurden. Der Grund dafür ist, dass sie am Tropf des internationalen Imperialismus hängen und weiterhin hängen werden. Sie sind und bleiben glühende Verfechter ihrer eigenen Privilegien, die sie ihrer Ergebenheit gegenüber dem Imperialismus verdanken.

Egal, was man auch tut oder sagt, diese Klassen bleiben sich treu, schmieden weiter Komplotte und Intrigen, um ihr „verlorenes Reich“ zurückzuerobern. Von diesen Nostalgikern darf man keine Mentalitäts- oder Einstellungsänderung erwarten. Sie verstehen einzig die Sprache des Kampfes, des Kampfes der revolutionären Klassen gegen die Ausbeuter und Unterdrücker des Volkes. Für sie wird unsere Revolution das Autoritärste sein, was es gibt; sie wird ein Akt sein, durch den das Volk ihnen mit allen Mitteln über die es verfügt – wenn nötig mit Waffengewalt – seinen Willen aufzwingt.

Wer sind diese Feinde des Volkes? Angesichts der Gehässigkeit, die sie während der Ereignisse des 17. Mai den Kräften der Revolution gegenüber an den Tag legten, haben sie sich selbst entlarvt. Im Feuer des revolutionären Kampfes hat sie das Volk eindeutig identifiziert. Die Feinde des Volkes sind: 

1. Die obervoltaische Bourgeoisie. Diese unterteilt sich entsprechend der jeweiligen Funktion in Staatsbourgeoisie, Kompradoren-Bourgeoisie und mittlere Bourgeoisie.

Die Staatsbourgeoisie: Diese Fraktion wird auch als politbürokratische Bourgeoisie bezeichnet. Sie hat sich mittels ihres Politikmonopols auf unlautere, schändliche Weise bereichert. Sie hat den Staatsapparat gebraucht, wie der Kapitalist seine Produktionsmittel zur Aneignung von Mehrwert aus menschlicher Arbeitskraft. Diese Fraktion der Bourgeoise wird niemals freiwillig auf ihre Pfründe verzichten und sich den revolutionären Veränderungen gegenüber passiv verhalten.

Die Handelsbourgeoisie: Diese Fraktion der Bourgeoisie ist durch ihre Aktivitäten mit dem Imperialismus auf vielfältige Weise verbunden. Die Abschaffung der imperialistischen Herrschaft ist für sie gleichbedeutend mit dem Tod ihrer „Henne mit den goldenen Eiern“. Daher wird sich diese Klasse mit aller Kraft der Revolution entgegenstellen. Zur Handelsbourgeoisie gehören zum Beispiel jene unredlichen Händler, die die Bevölkerung aushungern, indem sie zum Zweck der Spekulation und Wirtschaftssabotage der Warenzirkulation Lebensmittel entziehen.

Die mittlere Bourgeoise: Diese Fraktion der obervoltaischen Bourgeoisie ist mit dem Imperialismus verbunden, konkurriert aber mit ihm um die Kontrolle des Marktes. Da sie ökonomisch schwächer ist, wird sie vom Imperialismus verdrängt. Insofern hat sie diesem gegenüber Grund zur Klage. Gleichzeitig fürchtet sie sich vor dem Volk. So kommt es vor, dass sie mit dem Imperialismus gemeinsame Sache macht. Weil diese Klasse allerdings durch die imperialistische Herrschaft über unser Land daran gehindert ist, ihre eigentliche Rolle als wahrhaft nationale Bourgeoisie zu spielen, könnten sich manche ihrer Mitglieder gewissermaßen für die Revolution erwärmen, sich damit objektiv auf die Seite des Volkes stellen. Aber es braucht gegenüber den Mitgliedern der Bourgeoisie, die sich der Revolution und dem Volke annähern, ein revolutionäres Misstrauen. Denn unter dem Deckmantel der Solidarität biedern sich Opportunisten aller Couleur der Revolution an.

2. Die Macht der rückwärtsgewandten Kräfte beruht auf den traditionellen, feudalen Strukturen der Gesellschaft. Diese Kräfte haben gegen den französischen Kolonialismus mehrheitlich entschlossen Widerstand geleistet. Doch seitdem unser Land die nationale Souveränität erlangt hat, unterdrücken sie im Bündnis mit dem Imperialismus das obervoltaische Volk. Diese Kräfte hielten sich die bäuerlichen Massen als Stimmvieh, um sie bei Bedarf mit wahltaktischen Manövern zu ködern. Zur Wahrung ihrer volksfeindlichen Interessen, die sie mit dem Imperialismus teilen, bedienen diese reaktionären Kräfte zumeist die im ländlichen Milieu noch lebendigen, dekadenten Werte unserer traditionellen Kultur. Diese reaktionären Kräfte wenden sich dagegen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Land durch die Revolution demokratisiert werden, dass das Verantwortungsbewusstsein der Bauern geweckt und ihnen zugunsten ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Emanzipation der Zugang zu Bildung ermöglicht wird.

Dies sind die Feinde des Volkes in der gegenwärtigen Revolution. Feinde, die das Volk selbst während der Geschehnisse im Mai als solche identifizieren konnte. Abgeschirmt von einem Militärkordon bildeten unsere Feinde das Gros einer Truppe von Einzelgängern, unterstützten als Klasse ein bereits absterbendes Regime, das aus einem reaktionären, proimperialistischen Staatsstreich hervorgegangen war.

Abgesehen von diesen eben angeführten reaktionären, konterrevolutionären Klassen konstituiert der Rest der Bevölkerung das obervoltaische Volk. Dieses Volk ist angewidert von der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung, und es hat seinen Widerwillen im konkreten, alltäglichen Kampf gegen die verschiedenen neokolonialen Regime stets deutlich zum Ausdruck gebracht. Das obervoltaische Volk setzt sich im Kontext der gegenwärtigen Revolution folgendermaßen zusammen:

1. Die junge, nicht sehr zahlreiche obervoltaische Arbeiterklasse. Diese hat in andauernden Kämpfen gegen die Arbeitgeberschaft bewiesen, dass sie eine wahrhaft revolutionäre Klasse ist. In der gegenwärtigen Revolution hat diese Klasse nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Sie hat keine Produktionsmittel zu verlieren. Sie hat im Rahmen der überkommenen neokolonialen Gesellschaft keine Parzelle Eigentum zu verteidigen. Sie ist im Gegenteil davon überzeugt, dass die Revolution ihre Sache ist, weil sie gewachsen und gestärkt aus ihr hervorgehen wird.

2. Das Kleinbürgertum. Diese ist eine umfangreiche. äußerst instabile gesellschaftliche Klasse, die sehr oft zwischen der Sache der Volksmassen und der des Imperialismus schwankt. Die große Mehrheit dieser Klasse stellt sich letztlich stets auf die Seite der Volksmassen. Sie umfasst viele unter- schiedliche Schichten, unter anderem Kleinhändler, kleinbürgerliche Intellektuelle (Beamte, Studenten, Schüler, Angestellte im privaten Sektor und so weiter) und Handwerker.

3. Der obervoltaische Bauernstand besteht in seiner großen Mehrheit aus Kleinbauern, die seit der Einführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in unserem Land wegen der fortschreitenden Auflösung des Kollektiveigentums auf Parzelleneigentum angewiesen ist. Warenförmige Beziehungen zersetzen immer mehr gemeinschaftliche Bindungen. An deren Stelle tritt das Privateigentum an Produktionsmitteln. In diesen neuen Verhältnissen, die durch das Vordringen des Kapitalismus in die ländlichen Gegenden entstanden sind, verkörpert der an die Kleinproduktion gebundene obervoltaische Bauer die bürgerlichen Produktionsverhältnisse. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass der obervoltaische Bauernstand integraler Bestandteil des Kleinbürgertums ist. In Anbetracht seiner vergangenen und gegenwärtigen Lage hat er als gesellschaftliche Schicht der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung den höchsten Preis bezahlt. Wegen der wirtschaftlichen und kulturellen Rückständigkeit der ländlichen Regionen Obervoltas blieb der Bauernstand als unfreiwilliges Reservoir der reaktionären politischen Parteien lange von Fortschritt und Modernisierung ausgeschlossen. Allerdings hat der Bauernstand ein Interesse an der Revolution, und er ist zahlenmäßig deren stärkste Kraft.

4. Das Lumpenproletariat. Zu dieser Kategorie zählen all jene Deklassierten, die mangels Arbeit nahezu darauf angewiesen sind, sich bei den Kräften der Konterrevolution und der Reaktion zu verdingen und deren schmutziges Werk auszuführen. Sollte es der Revolution gelingen, die Angehörigen des Lumpenproletariats zu gewinnen, indem sie ihnen eine nützliche Arbeit verschafft, können diese zu ihren glühendsten Verfechtern werden.

Charakter und Tragweite der Augustrevolution

Revolutionen, die irgendwo auf der Welt ausbrechen, gleichen einander kaum, Jede Revolution hat ihren eigenen Charakter, der sie von den anderen unterscheidet. Unsere Revolution, die Augustrevolution, bildet dahingehend keine Ausnahme. Sie entspricht den Besonderheiten unseres Landes, dem Grad seiner Entwicklung und seiner Unterwerfung unter das kapitalistisch-imperialistische Weitsystem. Unsere Revolution vollzieht sich in einem rückständigen Agrarland, wo der Druck von Tradition und Ideologie – ausgehend von einer feudalen Gesellschaftsordnung – schwer auf den Volksmassen lastet. Unsere Revolution vollzieht sich in einem Land, das aufgrund der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung des Volkes von einer Kolonie zu einer Neokolonie geworden ist.

Unsere Revolution spielt sich in einem Land ab, das noch keine Arbeiterklasse kennt, die sich ihrer historischen Mission bewusst und entsprechend organisiert wäre. Es verfügt daher über keine Tradition des revolutionären Kampfes. Unsere Revolution vollzieht sich in einem kleinen Binnenland, zu einem Zeitpunkt, da die revolutionäre Bewegung auf internationaler Ebene von Tag zu Tag schwächer wird, ohne sichtbare Hoffnung auf ein neues homogenes Ganzes, das den aufkeimenden revolutionären Bewegungen Impulse und praktische Unterstützung geben könnte. Diese historischen, geografischen und soziologischen Bedingungen wirken sich in besonderer Weise auf unsere Revolution aus.

Die Augustrevolution weist einen Doppelcharakter auf. Sie ist zum einen eine demokratische Revolution und zum anderen eine Revolution des Volkes. Vordringliche Aufgaben dieser Revolution sind die Liquidierung der imperialistischen Herrschaft und Ausbeutung, die Befreiung der ländlichen Regionen von allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Fesseln, die sie in Rückständigkeit halten. Darin liegt ihr demokratischer Charakter.

Ihr Charakter als Volksrevolution ergibt sich daraus, dass die Volksmassen in Obervolta integraler Bestandteil der Revolution sind und demnach zu demokratischen, revolutionären Grundprinzipien aktiv werden, die ihre Interessen, die mit denen der reaktionären, proimperialistischen Klassen unvereinbar sind, unmittelbar zum Ausdruck bringen. Der Charakter der Augustrevolution als Volksrevolution ist auch darauf zurückzuführen, dass anstelle der alten Staatsmaschinerie ein neues System errichtet wurde, das eine demokratische Machtausübung durch das Volk und für das Volk gewährleistet.

Unsere solchermaßen charakterisierte Revolution ist antiimperialistisch. Vollzieht sich aber noch in den Grenzen des bürgerlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Bei der Analyse der gesellschaftlichen Klassen der obervoltaischen Gesellschaft vertraten wir die Ansicht, dass die Bourgeoisie in Obervolta durchaus keinen reaktionären, antirevolutionären, homogenen Block bildet. Tatsächlich ist die Bourgeoisie der unterentwickelten Länder im kapitalistischen System vor allem durch die ihr eigentümliche Unfähigkeit charakterisiert, die Gesellschaft so umzuwälzen, wie es die Bourgeoisie der europäischen Länder in den 1780er Jahren getan hat, also zu jener Zeit, da diese noch im Aufstieg begriffen war.

Dies also sind die Merkmale und Grenzen der Revolution, die am 4. August 1983 in Obervolta ausgebrochen ist. Mit einer klaren Vorstellung und einer präzisen Definition dieses Prozesses wappnen wir uns gegen Gefahren wie Irrungen und Exzesse, die den siegreichen Gang der Revolution behindern könnten.

Mögen all diejenigen, die für die Augustrevolution Partei ergreifen, ihre Rolle als bewusste Revolutionäre ausfüllen, indem sie das skizzierte Leitbild verinnerlichen und es als wahrhaftige, unerschrockene, unermüdliche Propagandisten unter den Massen verbreiten.

Es genügt nicht mehr, sich als revolutionär zu bezeichnen. Es kommt darauf an, die tiefere Bedeutung der Revolution zu verinnerlichen, deren glühender Verfechter man ist. So schützt man sie am besten gegen die Attacken und Entstellungsversuche, die die Konterrevolutionäre gewiss starten werden. Die Fähigkeit, revolutionäre Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, ist das entscheidende Kriterium für die Unterscheidung konsequenter Revolutionäre von all jenen, deren Motivation, sich der Revolution in die Arme zu werfen, mit der Sache der Revolution an sich nichts zu tun hat.

Über die Volkssouveränität bei der Ausübung der revolutionären Macht

Eines der Wesensmerkmale der Augustrevolution als einer Revolution des Volkes liegt wie gesagt in ihrem Charakter als eine Bewegung der überwiegenden Mehrheit zugunsten der überwiegenden Mehrheit. Diese Revo lution wird von den obervoltaischen Volksmassen selbst mit ihren eigenen – Bestrebungen und Grundsätzen – vollzogen. Das Ziel dieser Revolution besteht darin, dem Volk die Macht zu übertragen. Daher bestand der erste Akt der Revolution nach der Erklärung vom 4. August darin, einen Appell zur Gründung von Komitees zur Verteidigung der Revolution (Comités de Défense de la Révolution, CDR) an die Bevölkerung zu richten. Der Nationalrat der Revolution ist davon überzeugt, dass durch diese Revolution – damit sie wirklich die Sache des Volkes ist – die neokoloniale Staatsmaschinerie zerschlagen und ein neues System organisiert werden muss, welches die Volkssouveränität gewährleisten kann. Die Frage, auf welche Weise die Macht des Volkes ausgeübt und organisiert wird, ist für die Zukunft der Revolution von grundlegender Bedeutung. 

Die Geschichte unseres Landes wurde bis heute im Wesentlichen von den konservativen ausbeutenden Klassen bestimmt, deren Diktat auf der Kontrolle von Politik, Wirtschaft, Ideologie, Kultur, Verwaltung und Justiz beruhte.

Das oberste Ziel der Revolution besteht darin, die Macht aus den Händen der proimperialistischen Bourgeoisie Obervoltas in die der vereinigten Volksklassen zu legen. Das bedeutet, dass das nun ermächtigte Volk der von der reaktionären Allianz der proimperialistischen Klassen getragenen diktatorischen, volksfeindlichen Ordnung nunmehr seine demokratische Macht entgegensetzen muss.

Diese demokratische Volksmacht wird eine solide Basis für die revolutionäre Ordnung in Obervolta bilden. Die vordringliche Aufgabe dieser Volksmacht wird darin bestehen, die Staatsmaschine mit ihren Gesetzen, ihrer Verwaltung, ihren Gerichten, ihrer Polizei und Armee, die allesamt geschaffen wurden, um den egoistischen Interessen der reaktionären Klassen und Schichten zu dienen, vollkommen umzugestalten. Aufgabe der Volksmacht wird es sein, den Kampf gegen konterrevolutionäre Machenschaften zu organisieren, die auf die Rückeroberung des „verlorenen Paradieses“ ausgerichtet sind, und den Widerstand der Reaktionäre endgültig zu zerschlagen. Daher die Notwendigkeit und die Rolle der Komitees zur Verteidigung der Revolution als Instrument der Volksmassen zum Sturm auf die reaktionären Zitadellen der Konterrevolution.

Für ein exaktes Verständnis von Wesen, Rolle und Funktionsweise der Komitees zur Verteidigung der Revolution

Der Aufbau des demokratischen Volksstaates als Endzweck der Augustrevolution wird sich nicht über Nacht realisieren lassen. Vielmehr haben wir es mit einer mühseligen Aufgabe zu tun, die uns gewaltige Opfer abverlangen wird. Der demokratische Charakter dieser Revolution verpflichtet uns zur Dezentralisierung und Entflechtung des Verwaltungsapparats, denn es gilt, die Distanz zwischen Verwaltung und Bevölkerung zu verringern und das Gemeinwesen zu einem Anliegen zu machen, das alle angeht. Im Rahmen dieses gewaltigen Werkes, das einen langen Atem braucht, haben wir begonnen, zur Steigerung der Effizienz die Verwaltungskarte des Landes zu verändern. 

Wir haben außerdem begonnen, die Leitung der Verwaltungsbehörden verstärkt in unserem revolutionären Sinn zu besetzen. Gleichzeitig haben wir Beamte und Militärs „freigestellt“, die dem Rhythmus der Revolution aus unterschiedlichen Gründen nicht folgen konnten. Es bleibt viel zu tun, und wir sind uns dessen bewusst.

Der Nationalrat der Revolution – dasjenige Staatsorgan, das im Rahmen des am 4. August begonnenen revolutionären Prozesses das gesellschaftliche Leben auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene plant, leitet und kontrolliert – ist in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft auf lokale Instanzen angewiesen. Darin liegt die tiefere Bedeutung der Komitees zur Verteidigung der Revolution als Vertretungen der revolutionären Ordnung in Dörfern, Stadtvierteln und an den Arbeitsorten.

Die Komitees sind authentische Organisationen des Volkes zur Ausübung der revolutionären Macht. Sie sind Instrumente, die das Volk geschmiedet hat, um sein Schicksal tatsächlich selbst in die Hand zu nehmen und dergestalt seinen Einfluss auf alle Bereiche der Gesellschaft auszuweiten. Über die Waffen des Volkes, die Macht des Volkes, die Reichtümer des Volkes wird das Volk selbst verfügen. Dafür gibt es die Komitees.

Die Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, sind immens und vielfältig. Die oberste Mission der Komitees besteht in der Organisierung des gesamten Volkes Obervoltas für den revolutionären Kampf. Die in den Komitees organisierte Bevölkerung hat nicht nur ein Mitspracherecht in Bezug auf die Probleme, die ihre Zukunft betreffen, sondern beteiligt sich auch an der Entscheidungsfindung und Gestaltung ihrer eigenen Zukunft. Die Revolution als angemessene Theorie zur Vernichtung der alten Ordnung und deren Ersetzung durch eine Gesellschaft neuen Typs kann nur von denjenigen vollzogen werden, die an ihr ein Interesse haben.

Die Komitees agieren also als Sturmtrupps, die sämtliche Widerstandsnester angreifen werden. Sie sind die Erbauer des revolutionären Obervoltas und werden den Funken der Revolution in alle Provinzen, alle Dörfer, alle öffentlichen, privaten Dienste, alle Haushalte und alle Milieus tragen. Um dies zu schaffen, kommt es darauf an, dass die revolutionären Aktivisten in den Komitees sich folgenden wichtigen Aufgaben mit besonderem Elan widmen:

1. Der Umgang mit den Mitgliedern der Komitees: Den revolutionären Aktivisten kommt die politische Bildung ihrer Kameraden zu. Sie müssen Schulen für politische Bildung sein. Die Komitees sind ein geeigneter Rahmen für Diskussionen der Aktivisten über Entscheidungen der obersten Instanzen der Revolution, des Nationalrates und der Regierung.

2. Im Umgang mit den Volksmassen sollen diese durch stetige, kühne Propaganda und Agitation dazu bewegt werden, den Zielen der Komitees massiv zuzustimmen. An die Stelle der lügenhaften Propaganda und der Verleumdungen der reaktionären Kräfte müssen die sie eine angemessene Propaganda der revolutionären Erklärung setzen, die dem Prinzip folgt, wonach einzig die Wahrheit revolutionär ist.

Die Komitees müssen den Massen zuhören, ihren Befindlichkeiten und Bedürfnissen Rechnung tragen, rechtzeitig dem Nationalrat darüber berichten und konkrete Vorschläge unterbreiten. Sie sind gehalten, sich mit den Fragen zu befassen, die die Interessen der Volksmassen betreffen, sowie deren Initiativen zu unterstützen.

Der direkte Kontakt mit den Volksmassen durch des Öfteren abgehaltene offene Versammlungen, in denen Fragen diskutiert werden, die die Bevölkerung betreffen, ist für die Komitees zur angemessenen Umsetzung der Nationalrats-Weisungen zwingend notwendig. Die Propaganda dient also dazu, den Massen die Entscheidungen des Nationalrates zu erklären. Erklärt werden außerdem alle Maßnahmen, die dazu bestimmt sind, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern. Die Komitees müssen gemeinsam mit den Volksmassen in den Städten und auf dem Land gegen ihre Feinde kämpfen, den Widrigkeiten der Natur begegnen und sich für die Veränderung ihres materiellen und geistigen Daseins einsetzen.

3. Die Komitees müssen rational vorgehen und damit einem Wesensmerkmal unserer Revolution Ausdruck verleihen: Stringenz. Sie müssen ebenso kohärente wie ehrgeizige Aktionspläne erstellen, die für alle ihre Mitglieder gleichermaßen bindend sind.

Seit dem 4. August – für unser Volk nunmehr ein historisches Datum – sind die Obervoltaer dem Aufruf des Nationalrates gefolgt und haben Initiativen ergriffen, die die Gründung von Komitees zur Verteidigung der Revolution zum Ziel hatten. Tatsächlich wurden in Dörfern und Städten, wenig später auch in Betrieben, Behörden, Fabriken und in der Armee Komitees ins Leben gerufen. All dies ist das Ergebnis des spontanen Handelns der Massen. Jetzt gilt es, auf einer klaren Grundlage die interne Struktur der Komitees und deren Organisation auf nationaler Ebene weiterzuentwickeln. Dieser Aufgabe widmet sich gegenwärtig das Generalsekretariat des Nationalrates. Um den Ergebnissen der Überlegungen, die zurzeit anhand vergangener Erfahrungen angestellt werden, nicht vorzugreifen, begnügen wir uns hier damit, Grundstruktur und allgemeine Leitprinzipien der Komitees zu skizzieren.

Die zentrale Idee, die mit der Gründung der Komitees verbunden ist, liegt in der Demokratisierung der Macht. Durch sie übt das Volk auf lokaler Ebene die Macht aus, wobei diese aus der Zentralmacht hervorgeht, die dem Nationalrat obliegt.

Der Nationalrat ist abgesehen von den Tagungen des Nationalkongresses die oberste Gewalt. Er ist das Leitorgan der gesamten Struktur, deren Leitprinzip im demokratischen Zentralismus besteht. 

Der demokratische Zentralismus beruht einerseits auf einer von unten nach oben gestuften Rangordnung von Organen, an deren Spitze der Nationalrat steht. Diesem unterstehen alle anderen Organe. Andererseits bleibt dieser Zentralismus demokratisch, denn auf allen Ebenen gilt unbedingt das Prinzip der Wählbarkeit. Hinzu kommt, dass die Autonomie der lokalen Organe in allen Fragen garantiert wird, für die sie zuständig sind – in den Grenzen sowie unter Beachtung der allgemeinen Richtlinien, die von der jeweils oberen Instanz festgelegt werden.

Zur revolutionären Moral der Komitees zur Verteidigung der Revolution

Die Revolution zielt auf eine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Transformation der Gesellschaft ab. Sie zielt darauf ab, einen neuen Obervoltaer zu erschaffen, der sich durch vorbildliche Moral und Sozialverhalten auszeichnet und diesbezüglich bei den Massen Vertrauen und Bewunderung hervorruft. Die neokoloniale Herrschaft hat unsere Gesellschaft in einen derart verfallenen Zustand geführt, dass wir Jahre brauchen werden, um sie zu bereinigen.

Inzwischen müssen die Komitee-Aktivisten ein neues Bewusstsein, neue Verhaltensweisen entwickeln und dadurch den Volksmassen ein gutes Beispiel geben. Als Akteure der Revolution kommt es darauf an, dass wir uns selbst qualitativ verändern. Ohne qualitative Veränderung derer, die die Urheber der Revolution sein sollen, ist es praktisch unmöglich, eine neue Gesellschaft zu schaffen, die frei ist von Korruption, Diebstahl, Lüge sowie vom Individualismus schlechthin.

Wir müssen uns bemühen, Taten und Worte in Übereinstimmung zu bringen und auf unser Sozialverhalten zu achten. Denn es gilt, den Attacken der Konterrevolutionäre, die auf der Lauer liegen, keine Angriffsflächen zu bieten. Wenn wir uns stets bewusst sind, dass das Interesse der revolutionären Massen Vorrang hat gegenüber dem Eigeninteresse, sind wir vor allen Irrungen gefeit. Manche Aktivisten legen einen Aktionismus an den Tag. Der sich aus dem konterrevolutionären Traum speist, mithilfe der Komitees Güter anzuhäufen und Profite einzustreichen. Dieser Aktionismus muss angeprangert und bekämpft werden. Eitelkeiten müssen ein Ende haben. Je rascher diese Unzulänglichkeiten bekämpft werden, desto besser für die Revolution.

Revolutionär ist unserer Ansicht nach derjenige, der es versteht, bescheiden zu sein und gleichzeitig voller Entschlossenheit die ihm anvertrauten Aufgaben erfüllt. Er erfüllt sie, ohne zu prahlen, und erwartet keine Belohnung.

In letzter Zeit stellten wir fest, dass Personen, die sich an der Revolution aktiv beteiligt haben und sich davon bevorzugte Behandlung, Ehren und hohe Posten versprachen, nun, da sie sich damit nicht durchsetzen konnten, versuchen, die Revolution zu untergraben. Darin zeigt sich, dass sie sich an ihr beteiligten, ohne ihre wirklichen Ziele zu begreifen. Man macht keine Revolution, um bloß die alten Machthaber abzulösen. Man beteiligt sich nicht aus Rachsucht an einer Revolution, um sich selbst in eine vorteilhafte Position zu bringen, nach dem Motto: „Mach Platz, jetzt bin ich an der Reihe.“ Diese Art Motivation hat mit dem Ideal der August-Revolution nichts zu tun. Diejenigen, denen diese Motivation eigen ist, offenbaren kleinbürgerliche Makel, wenn nicht gar den Opportunismus gefährlicher Konterrevolutionäre.

Das Bild des Revolutionärs, welches der Nationalrat im Bewusstsein aller verankern möchte, ist das eines Aktivisten, der mit den Massen eng verbunden ist, an sie glaubt und sie achtet. Der Revolutionär zeigt ihnen gegenüber keinerlei Geringschätzung. Er sieht sich keineswegs als Lehrer, dem die Massen Gehorsam und Fügsamkeit schulden. Im Gegenteil: Er lernt von ihnen, hört ihnen aufmerksam zu und achtet auf ihre Ansichten. Er vermeidet die autoritären Methoden reaktionärer Bürokraten.

Die Revolution hat nichts mit zerstörerischer Anarchie zu tun. Sie erfordert vorbildliche Disziplin und konsequentes Vorgehen. Akte des Vandalismus oder des Abenteurertums jeglicher Art schwächen die Revolution, statt sie zu stärken, und schrecken die Massen ab, statt sie zu überzeugen und zu begeistern. Daher müssen die Mitglieder der Komitees der Bevölkerung gegenüber noch mehr Verantwortungssinn zeigen und damit Respekt und Bewunderung hervorrufen.

Die besagten Unzulänglichkeiten resultieren zumeist aus Unwissen in Bezug auf Charakter und Ziele der Revolution. Um ihnen vorzubeugen, müssen wir uns ins Studium der revolutionären Theorie vertiefen. Das Theoriestudium ermöglicht uns ein besseres Verständnis der Dinge, klärt uns über unser Handeln auf und bewahrt uns vor allerhand Fehleinschätzungen. Wir müssen diesem Aspekt von nun an besondere Aufmerksamkeit widmen und uns bemühen, gute Vorbilder zu sein, so dass die anderen uns folgen.

Für eine Umwälzung aller Bereiche der obervoltaischen Gesellschaft

Alle bisherigen Regime waren lediglich darauf aus, durch eine Reihe von Maßnahmen die neokoloniale Gesellschaft effizienter zu verwalten. Die unter diesen Regimen vorgenommenen Änderungen beschränkten sich auf einen Personalwechsel innerhalb der neokolonialen Ordnung. Keines dieser Regime wollte oder konnte die sozioökonomische Basis der obervoltaischen Gesellschaft infrage stellen. Aus diesem Grund sind sie allesamt gescheitert.

Die Augustrevolution ist nicht darauf ausgerichtet, ein weiteres Regime in Obervolta zu errichten. Sie bricht mit allen bisherigen Regimen. Ihr Endziel besteht in der Errichtung einer neuen Gesellschaft, in der jeder Bürger Obervoltas aufgrund seines revolutionären Bewusstseins zum Schöpfer seines eigenen Glücks wird, eines Glücks, das den Anstrengungen entsprechen sollte, die er aufgebracht hat. Ob es den konservativen und rückwärtsgewandten Kräften gefällt oder nicht, als totale, tiefgreifende Umwälzung wird die Revolution keinen Bereich, keinen Sektor des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens aussparen. Die Umwälzung aller Bereiche, aller Tätigkeitsfelder ist die Losung, die den gegebenen Herausforderungen entspricht. Mit der beschriebenen Strategie im Rücken, muss es sich jeder Bürger, auf welcher Ebene auch immer, zur Aufgabe machen, den eigenen Tätigkeitsbereich im revolutionären Sinne zu verändern.

In folgenden Bereichen wird die Philosophie der revolutionären Umwälzungen unverzüglich angewandt: 1. Der Armee, 2. Der Frauenpolitik, 3. dem wirtschaftlichen Aufbau.

1. Die nationale Armee

Ihre Stellung in der demokratischen Volksrevolution. Der Verteidigungsdoktrin des revolutionären Obervoltas zufolge kann ein bewusstes Volk die Verteidigung des Vaterlandes nicht einfach einer bestimmten Gruppe von Personen überantworten, ganz egal, wie kompetent diese auch sein mögen. Ein bewusstes Volk nimmt die Verteidigung des Vaterlands selbst in die Hand Daher bilden unsere Streitkräfte lediglich ein Kontingent, das in Sachen innere und äußere Sicherheit über eine größere Spezialisierung verfügt als der Rest des Volkes. Desgleichen wird es weiterhin spezialisiertes medizinisches Personal geben, das dem öffentlichen Gesundheitswesen mehr Zeit widmet, auch wenn die Gesundheit der Obervoltaer gleichzeitig Sache des Volkes und jedes einzelnen Obervoltaers selbst ist.

Die Revolution trägt den nationalen Streitkräften drei Missionen auf: 

1. In der Lage sein, jeden inneren und äußeren Feind zu bekämpfen und sich an der militärischen Schulung des Volkes zu beteiligen. Dies setzt eine höhere Einsatzfähigkeit voraus, so dass im Unterschied zur früheren Armee – einem bloßen Heer von Berufssoldaten – jeder einzelne Soldat zu einem leistungsfähigen Kämpfer wird.

2. Sich am nationalen Wirtschaftsleben beteiligen. Der neue Soldat soll zusammen mit dem Volk, dem er angehört, leben und leiden. Die Zeiten, da die Armee einen Großteil der öffentlichen Gelder verschlang, sind vorbei. Von nun an werden Soldaten nicht mehr bloß mit Waffen hantieren, sondern sich auf die Felder begeben, Rinder, Schafe und Geflügel züchten. Soldaten werden Schulen und Krankenstationen bauen und für deren Funktionsfähigkeit Sorge tragen; sie werden Straßen instand halten und auf dem Luftweg kranke Menschen, die Post und landwirtschaftliche Produkte transportieren.

3. Jeden Soldaten zu einem revolutionären Aktivisten ausbilden. Vorbei sind die Zeiten einer angeblich neutralen, apolitischen Rolle der Armee, die sie aber gleichzeitig zum Schutzwall der Reaktionäre, zur Garantin der imperialistischen Interessen machte!

Vorbei auch die Zeiten, da sich unsere Armee wie ein Heer von Söldnern in erobertem Land benahm! Ja, diese Zeiten sind endgültig vorbei. Unsere Soldaten, Offiziere und Unteroffiziere, die sich am revolutionären Prozess beteiligen, sind politisch und ideologisch gebildet. Sie sind daher keine potenziellen Verbrecher mehr, sondern im Begriff, bewusste Revolutionäre zu werden, die sich im Volk wie ein Fisch im Wasser bewegen.

Da sie im Dienste der Revolution steht, wird unsere Volksarmee keinen Soldaten mehr dulden, der das Volk verachtet, verhöhnt oder gar misshandelt. Anstelle der neokolonialen Armee als ein Unterdrückungs- und Repressionsinstrument in den Händen der reaktionären Bourgeoisie, die es gegen das Volk einsetzt, werden wir eine Armee des Volkes im Dienste des Volkes schaffen. Eine solche Armee wird sich in ihrer internen Struktur und ihren Funktionsprinzipien grundsätzlich von der alten Armee unterscheiden. Anstatt blinden Gehorsams der Soldaten gegenüber ihren Vorgesetzten, der Subalternen gegenüber ihren Chefs wird eine gesunde Disziplin entwickelt, die zwar streng ist, aber auf der bewussten Zustimmung der Menschen und Truppen basiert.

Im Gegensatz zu dem, was die reaktionären Offiziere meinen, die dem kolonialen Geist verhaftet sind, bedeuten Politisierung und revolutionäre Umgestaltung der Armee keineswegs Abschaffung der Disziplin. In unserer politisierten Armee wird die Disziplin einen neuen Gehalt erhalten. Es geht um eine revolutionäre Disziplin. Um eine Disziplin, die ihre Wirksamkeit aus der Tatsache bezieht, dass Offizier und einfacher Soldat, untere und obere Dienstgrade in Bezug auf die Menschenwürde gleich sind, dass sie sich einzig in der konkreten Aufgabe und den jeweiligen Verantwortlichkeiten unterscheiden. Auf Basis einer solchen Einsicht in die Beziehungen zwischen Menschen müssen die militärischen Führungskräfte ihre Untergebenen achten, mögen und gerecht behandeln.

Auch hier spielen die Komitees zur Verteidigung der Revolution eine herausragende Rolle. Die Komitee-Aktivisten in der Armee müssen unermüdliche Pioniere bei der Bildung einer demokratischen Volksarmee in einem demokratischen Volksstaat sein. Ihre wesentlichen Aufgaben sind die folgenden:

1. Im Bereich der inneren Sicherheit: Die Verteidigung der Rechte und Interessen des Volkes, die Aufrechterhaltung der revolutionären Ordnung und der Schutz der demokratischen Volksmacht.

2. Im Bereich der äußeren Sicherheit: Die Verteidigung der territorialen Integrität.

2. Die Frau in Obervolta

Ihre Rolle in der demokratischen Volksrevolution. Die Last jahrhundertealter Traditionen unserer Gesellschaft reduziert Frauen auf die Rolle bloßer Arbeitstiere. Alle Übel der neokolonialen Gesellschaft bekommt die Frau doppelt zu spüren: Zum einen macht sie das gleiche durch wie der Mann, zum anderen fügt ihr dieser zusätzlich Leid zu.

Die Revolution geht alle Unterdrückten, alle Ausgebeuteten an. Daher geht sie auch die Frau an, denn ihre Beherrschung durch den Mann basiert auf dem politischen und ökonomischen Gesellschaftssystem. Indem die Revolution die bestehende Gesellschaftsordnung, die für die Unterdrückung der Frau verantwortlich ist, grundsätzlich umgestaltet, werden die Bedingungen für ihre wirkliche Emanzipation geschaffen.

Männer wie Frauen sind in unserer Gesellschaft Opfer imperialistischer Unterdrückung und Herrschaft. Darum führen sie den gleichen Kampf. Die Revolution ist untrennbar mit der Befreiung der Frau verbunden. Dabei ist es kein Akt der Barmherzigkeit oder des Humanismus, die Emanzipation der Frauen zum Thema zu machen. Vielmehr ist diese für den Triumph der Revolution im Ganzen eine absolute Notwendigkeit. Die Frauen tragen die andere Hälfte des Himmels. Eine der entscheidenden Aufgaben der Revolution besteht darin, eine neue Mentalität zu schaffen, die es der Frau ermöglicht, sich an der Seite des Mannes dem Schicksal des Landes zu stellen. Nicht weniger Bedeutung kommt der Veränderung jener Verhaltensweisen zu, die der Mann gegenüber der Frau an den Tag legt.

Bis heute wurde die Frau von den Entscheidungssphären ferngehalten. Indem sie die Verantwortung der Frau stärkt, werden durch die Revolution die nötigen Bedingungen geschaffen, um den Kampfgeist der Frauen zu entfalten. Die revolutionäre Politik des Nationalrates ist darauf ausgerichtet, alle tragenden Kräfte der Gesellschaft zu mobilisieren, zu organisieren und zu einen, und die Frauen werden hier keinesfalls außen vor bleiben. Die Frau wird an allen Kämpfen beteiligt, die wir werden führen müssen, um uns der diversen Fesseln der neokolonialen Gesellschaft zu entledigen und eine neue Gesellschaft zu schaffen. Die Frau wird auf allen Planungs-, Entscheidungs- und Ausführungsebenen an der Organisation des gesamten gesellschaftlichen Lebens beteiligt sein. Das Endziel dieses großartigen Unterfangens besteht darin, eine freie und prosperierende Gesellschaft zu schaffen, in der die Frau dem Mann in allen Bereichen gleichgestellt ist.

Allerdings braucht es ein angemessenes Verständnis dessen, was Emanzipation der Frau bedeutet. Es geht dabei nicht um eine mechanische Gleichheit Frau – Mann. Die Frau emanzipiert sich nicht, indem sie anfängt, wie der Mann zu trinken, zu rauchen und Hosen zu tragen. Auch der Erwerb von Bildungsabschlüssen wird nicht zur Gleichheit von Mann und Frau beziehungsweise zu deren Emanzipation führen.

Ein Abschluss ist kein Passierschein hin zur Emanzipation. Wirkliche Emanzipation stärkt die Verantwortung der Frauen, ihre Beteiligung an den Produktionsaktivitäten und Kämpfen des Volkes.

Wirkliche Emanzipation der Frau nötigt dem Mann Respekt und Achtung ab Ebenso wie die Freiheit kann auch die Emanzipation unmöglich gewährt. Sondern nur erkämpft werden. Es ist an den Frauen selbst, ihre Forderungen vorzutragen und sich für deren Erfüllung einzusetzen. 

Hierfür wird die demokratische Volksrevolution die notwendigen Bedingungen schaffen, um es der obervoltaischen Frau zu ermöglichen, sich voll und ganz zu verwirklichen. Denn wie könnte das System der Ausbeutung abgeschafft werden, wenn die Frauen, die mehr als die Hälfte der Gesellschaft ausmachen, weiter ausgebeutet werden?

3. Eine unabhängige, autarke, geplante Volkswirtschaft im Dienste einer demokratischen Gesellschaft

Mit dem revolutionären Transformationsprozess, der am 4. August begann, stehen große demokratische Reformen auf der Tagesordnung. Der Nationalrat der Revolution ist sich insofern der Tatsache bewusst, dass der Aufbau einer unabhängigen, autarken, geplanten Volkswirtschaft eine radikale Umgestaltung der bestehenden Gesellschaft verlangt, die wiederum folgende bedeutende Reformen erfordert: eine Agrarreform, eine Verwaltungsreform, eine Schulreform, eine Reform der Produktions- und Verteilungsstrukturen im modernen Sektor.

Die Ziele der Agrarreform lauten folgendermaßen: Steigerung der Arbeitsproduktivität durch bessere Organisierung der Bauern und Einführung moderner landwirtschaftlicher Methoden, Diversifizierung der Landwirtschaft bei gleichzeitiger regionaler Spezialisierung, Beseitigung aller Hemmnisse, die von den traditionellen sozioökonomischen Strukturen herrühren und die Bauern unterdrücken, Ausbau der Landwirtschaft zu einer Säule der industriellen Entwicklung.

Dies ist zu schaffen, wenn die inzwischen etwas verblasste, weil ohne Überzeugung gebrauchte Losung „Ernährungssouveränität“ mit ihrer wahren Bedeutung versehen wird.

Das bedeutet zunächst einen harten Kampf gegen die Natur, die ja bei uns nicht undankbarer ist als in anderen Ländern, wo das Volk sie im Bereich der Landwirtschaft ausgezeichnet bezwungen hat. Der Nationalrat der Revolution wird sich keinen Illusionen über gigantische komplexe Projekte hingeben. Im Gegenteil: Dank einer Vielzahl kleinerer landwirtschaftlicher Leistungen wird unser Land zu einem einzigen großen Feld, einer endlosen Aneinanderreihung von Farmen. 

Außerdem bedeutet es den Kampf gegen diejenigen, die das Volk aushungern, gegen Spekulanten und Landwirtschaftskapitalisten aller Art.

Das bedeutet schließlich den Schutz unseres Agrarwesens vor dem Einfluss der imperialistischen Herrschaft. Dabei geht es um die Ausrichtung der Landwirtschaft, die Plünderung unserer Ressourcen und den unlauteren Wettbewerb durch Importwaren, deren Qualität allein in ihrer Verpackung für Wichtigtuer liegt. Einträgliche Preise und neue Strukturen der Lebensmittelindustrie werden unseren Bauern zu jeder Jahreszeit Zugang zu Märkten ermöglichen.

Die Verwaltungsreform zielt darauf ab, die von der Kolonisation ererbte Verwaltung funktionsfähig zu machen. Dafür muss sie von allen ihren Missständen befreit werden, das heißt von einer schwerfälligen, schikanösen Bürokratie mit den entsprechenden negativen Folgeerscheinungen. Es braucht zudem eine umfassende Überprüfung der Statuten des Öffentlichen Dienstes. Die Verwaltungsreform muss zu einer kostenarmen, wirkungsvolleren und flexibleren Verwaltung führen.

Die Schulreform zielt auf eine Neuausrichtung von Bildung und Kultur ab. Durch diese Reform muss die Schule letztlich in ein Instrument der Revolution verwandelt werden. Die diplomierten Absolventen sollen nicht zuallererst ihren Eigeninteressen dienen (oder denen der ausbeutenden Klassen), sondern den Interessen der Volksmassen. Die revolutionäre Schulbildung muss jedem eine Weltanschauung vermitteln und ihn zu einer obervoltaischen Persönlichkeit reifen lassen, so dass der Nachahmungsdrang des Einzelnen ein Ende hat. Bestimmung der Schule in einer demokratischen Gesellschaft wird es unter anderem sein, den Schülern die Mittel in die Hand zu geben, sich sowohl kritisch als auch positiv Ideen und Erfahrungen anderer Völker anzueignen. 

Damit dem Analphabetismus und der Aufklärungsfeindlichkeit ein Ende gesetzt werden können, muss das Augenmerk konsequent darauf gelegt werden, müssen alle Energien darauf verwandt werden, die Massen zu organisieren, zu sensibilisieren und ihren Wissensdurst anzuregen, indem Ihnen die Nachteile der Unwissenheit vor Augen geführt werden. Dabei ist jede Bekämpfung des Analphabetismus ohne Beteiligung der Betroffenen zum Scheitern verurteilt.

Die Kultur der neuen demokratischen Gesellschaft muss sich durch drei Wesensmerkmale auszeichnen: Sie muss national, revolutionär und volksnah sein. Alles, was antinational, antirevolutionär und gegen das Volk gerichtet ist, muss geächtet werden. Unsere Kultur hingegen, die Würde, Tapferkeit, Nationalismus und die hohen Tugenden der Menschheit preist, wird gewürdigt werden.

Die demokratische Volksrevolution wird ein Klima schaffen, das das Aufblühen einer neuen Kultur begünstigt. Künstler werden die Freiheit haben, kühn voranzuschreiten. Es ist an den Künstlern, die Gelegenheit zu ergreifen, unsere Kulturproduktion auf Weltniveau zu bringen. Mögen die Schriftsteller ihre Feder in den Dienst der Revolution stellen. Mögen die Musiker nicht nur die glorreiche Vergangenheit unseres Volkes besingen, sondern auch dessen strahlende, verheißungsvolle Zukunft.

Der Beitrag der Künstler zur Revolution sollte darin bestehen, dass sie die Wirklichkeit beschreiben, lebendige Bilder von ihr schaffen, dieser in melodiösen Tönen Ausdruck verleihen und dem Volk den rechten Weg in eine bessere Zukunft weisen. Den Künstlern obliegt es, ihren Schöpfergeist in den Dienst einer obervoltaischen, nationalen, revolutionären und volksnahen Kultur zu stellen.

Es gilt, das Gute aus der Vergangenheit zu schöpfen, aus unseren Traditionen sowie das Positive anderer Kulturen, um unserer eigenen Kultur eine neue Dimension zu verleihen.

Die unerschöpfliche Inspirationsquelle befindet sich in den Volksmassen selbst. Mit den Massen leben, sich in der Volksbewegung engagieren, Freud und Leid des Volkes teilen, gemeinsam arbeiten und kämpfen; dies sollten die wichtigsten Anliegen der Künstler sein. 

Vor Beginn des Schaffens stellt sich die Frage, wem wir unser Schaffen widmen. Wenn wir davon überzeugt sind, für das Volk tätig zu sein müssen wir wissen, was das Volk ist, wie es sich zusammensetzt und was dessen wichtigste Anliegen sind.

Die Verbesserung der ökonomischen Produktions- und Verteilungsstrukturen: Die Veränderungen in diesem Bereich sollen der obervoltaischen Bevölkerung schrittweise eine effektive Kontrolle von Produktion und Verteilung ermöglichen. Denn ohne echte Kontrolle der Wirtschaftskreisläufe ist es praktisch unmöglich, eine unabhängige Wirtschaft im Dienste des Volkes aufzubauen.

Volk von Obervolta, Kameradinnen und Kameraden, Aktivistinnen und Aktivisten der Revolution, die Bedürfnisse unseres Volkes sind enorm. Die Befriedigung dieser Bedürfnisse verlangt revolutionäre Umgestaltungsprozesse in allen Bereichen. 

Daher sind in den Bereichen Gesundheitswesen und Fürsorge zugunsten der Volksmassen folgende Ziele zu erreichen: Gesundheit für alle, Einrichtung eines Betreuungsdienstes zum Schutz von Müttern und Kindern, eine Politik der Immunisierung gegen übertragbare Krankheiten durch verstärkte und häufigere Impfkampagnen, eine Sensibilisierung der Massen in Hygiene- fragen. Keines dieser Ziele kann ohne das bewusste Engagement der kämpfenden Volksmassen und deren revolutionäre Orientierung durch die Gesundheitsdienste erreicht werden.

Im überaus wichtigen Bereich des Wohnungswesens müssen wir eine konsequente Politik betreiben, um der Immobilienspekulation und der Verarmung der Arbeiter durch überzogene Mieten ein Ende zu setzen. Umfangreiche Maßnahmen müssen in diesem Bereich ergriffen werden um vernünftige Mietpreise festzulegen, rasch die Parzellierung in den Wohnvierteln vorzunehmen, in großem Umfang und ausreichender Zahl moderne Wohnhäuser zu bauen, die den Arbeitern zur Verfügung gestellt werden.

Eines der wesentlichen Anliegen des Nationalrates der Revolution besteht in der Einheit der unterschiedlichen Nationen Obervoltas im gemeinsamen Kampf gegen die Feinde der Revolution. Tatsächlich gibt es in unserem Land eine Vielzahl von Volksgruppen, die sich in Sprachen und Bräuchen voneinander unterscheiden. Die obervoltaische Nation setzt sich aus all diesen Nationen und Volksgruppen zusammen. Der Imperialismus, mit seiner Politik des „teile und herrsche“ zielte darauf ab, die Widersprüche zwischen den Volksgruppen zu verschärfen und diese gegeneinander aufzuhetzen.

Die Politik des Nationalrates hingegen strebt die Einheit unserer Nationen an, damit sie in Gleichheit leben können und über gleiche Erfolgschancen verfügen. Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, dass die wirtschaftliche Entwicklung der verschiedenen Regionen in Angriff genommen wird, der wirtschaftliche Austausch zwischen den Regionen gefördert wird, Vorurteile zwischen den Volksgruppen bekämpft werden und Streit in einem Geist der Einheit beigelegt wird und dass Spalter bestraft werden. 

Angesichts der vielen Probleme, mit denen sich unser Land konfrontiert sieht, erscheint die Revolution als eine Herausforderung, der wir mit Siegeswillen sowie der aktiven Beteiligung der in den Komitees organisierten Volksmassen begegnen müssen. 

In naher Zukunft wird das gesamte Staatsgebiet Obervoltas dank der Sektorenprogramme zu einer riesigen Baustelle werden, wo es auf die Mitarbeit aller arbeitsfähigen Obervoltaer ankommt. Wir werden einen unerbittlichen Kampf führen, um unser Land in ein prosperierendes und strahlendes Land zu verwandeln, in ein Land, in dem das Volk selbst über die Materiellen und immateriellen Reichtümer der Nation verfügt. 

Schließlich gilt es, die obervoltaische Revolution im Kontext des weltweiten revolutionären Prozesses zu verorten. Unsere Revolution ist ein integraler Bestandteil der globalen Bewegung für Frieden und Demokratie, gegen Imperialismus und jede Form von Hegemoniestreben.

Daher sind wir darum bemüht, unabhängig ihres jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Systems mit anderen Staaten diplomatische Beziehungen aufzunehmen, und zwar auf Grundlage folgender Prinzipien: gegenseitiger Respekt der Unabhängigkeit, der territorialen Integrität und der nationalen Souveränität, gegenseitiger Nichtangriff, Nichteinmischung in Innere Angelegenheiten, Handel mit allen Ländern auf Augenhöhe und zum gegenseitigen Vorteil.

Unsere Solidarität und aktivistische Unterstützung gelten den nationalen Befreiungsbewegungen, die für die Unabhängigkeit ihrer Länder und die Befreiung ihrer Völker kämpfen. Unsere Unterstützung gilt insbesondere dem Volk Namibias unter Führung der SWAPO, dem Volk der Sahraoui im Kampf für die Wiedererlangung seines Staatsgebiets, dem palästinensischen Volk für die Erlangung seiner nationalen Rechte.

In unserem Kampf sind die antiimperialistischen afrikanischen Länder unsere natürlichen Verbündeten. Die Verständigung mit diesen Ländern ist wegen der neokolonialen Bündnisse auf unserem Kontinent unbedingt erforderlich. 

Es lebe die demokratische Volksrevolution!

Es lebe der Nationalrat der Revolution! 

Vaterland oder Tod, wir werden siegen!“

Die deutsche Übersetzung stammt aus Eric Van Grasdorff, Thea Kulla, Nicolai Röschert (Hrsg.): Thomas Sankara: Die Ideen sterben nicht! Reden eines aufrechten und visionären Staatsmannes, Berlin: AfricAvenir International e.V., 2016, S. 41-67.

Hände weg von Niger! Westen raus aus dem Sahel! Hands off Niger! West get out of the Sahel!

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English version below

Am 26. Juli 2023 putschte ein Teil des nigrischen Militärs gegen den dortigen Präsidenten. Damit reiht sich Niger ein in die Reihe von Ländern, die den westlichen Mächten ihre Präsenz in Westafrika immer unbequemer machen. Nachdem sich die neuen Regierungen in Mali und Burkina Faso immer klarer gegen die neokoloniale Besatzung, vor allem Frankreichs, wendeten, galt Niger zuletzt als Rückzugsort für das französische, deutsche und amerikanische Militär im Sahel. In Niger befindet sich seit 2016 nicht nur eine wichtige Drohnenbasis der USA, das Land ist auch der mit Abstand größte Uran-Lieferant für Frankreich, das derzeit fast drei Viertel seiner Energie aus Kernkraft gewinnt. Kein Wunder also, dass Frankreich nun offenbar einen Angriff auf Niger erwägt, um die Militärregierung zu entmachten und seinen Vertreter wieder ins Amt zu setzen. Einige afrikanische prowestliche Regierungen, v. a. im Rahmen des ECOWAS, drohen Niger ebenfalls mit Gewalt. Frankreich und der Westen wollen ihre neokolonialen Interessen durchsetzen und die ganze Region unter ihrer Kontrolle halten. Eine Vertreibung ihrer Militärs, wie in Mali, wo zuletzt sogar Französisch als Amtssprache abgeschafft wurde, um es durch indigene Sprachen zu ersetzen, kann sich der Westen im Niger wohl nicht leisten. 

Die Völker der Region widersetzen sich zunehmend der neokolonialen Unterdrückung. Die Regierungen Malis, Burkina Fasos, Guineas und Algeriens haben bereits ihre Unterstützung für Niger im Fall einer ausländischen Militärintervention ausgesprochen. Eine derartige panafrikanische Solidarität ist zu begrüßen, denn ein Angriff Frankreichs auf Niger würde das Land in Chaos und Elend stürzen und womöglich ein zweites Libyen bedeuten. Zusammenhalt und Abschreckung sind die wichtigsten Waffen, die den Völkern des Südens gegen ein derartiges Szenario zur Verfügung stehen. 

Die weitere Entwicklung in Niger ist noch nicht abzusehen. Auch können wir den Charakter und die politische Stoßrichtung der Kräfte, die dort den Umsturz organisiert haben, noch nicht im Detail einschätzen. Wir sind jedoch bedingungslos solidarisch mit dem antikolonialen Kampf der Völker Westafrikas und wissen, dass jeder ernsthafte Schlag gegen die westliche Vorherrschaft in der Region ein Fortschritt ist. Wir fordern den sofortigen Abzug der Bundeswehr und aller westlichen Truppen aus der Region!

Zerschlagt Françafrique – nieder mit dem westlichen Neokolonialismus! 

Kein Platz an der Sonne – Bundeswehr raus auf Afrika! 

Es lebe der antiimperialistische Kampf der Völker – hoch die internationale Solidarität!

On July 27, 2023, a part of the Nigerien military staged a coup against the country’s president. Niger thus joins the ranks of countries that are making Western powers increasingly uncomfortable with their presence in West Africa. As the new governments in Mali and Burkina Faso have become increasingly opposed to neocolonial occupation, especially to the French, Niger has recently been seen as a fallback position for the French, German, and American militaries in the Sahel. Not only has Niger been home to a key U.S. drone base since 2016, but the country is also by far the largest supplier of uranium to France, which currently derives nearly three-quarters of its energy from nuclear power. It is no wonder that France is now apparently considering an attack on Niger to oust the military government and restore its representative to office. Some African pro-Western governments, especially those within ECOWAS, are also threatening Niger with force. France and the West want to impose their neocolonial interests and keep the entire region under their control. The West probably cannot afford to withdraw its military, as in Mali, where even French was recently abolished as an official language to replace it with indigenous languages, as it happened in Niger.

The peoples of the region are increasingly resisting neocolonial oppression. The governments of Mali, Burkina Faso, Guinea, and Algeria have already expressed their support for Niger in the event of foreign military intervention. Such pan-African solidarity is to be welcomed, for an attack by France on Niger would plunge the country into chaos and misery and possibly mean a second Libya. Cohesion and deterrence are the main weapons available to the peoples of the South against such a scenario.

Further developments in Niger cannot yet be foreseen. Nor can we yet assess in detail the character and political thrust of the forces that have organized the overthrow there. However, we stand in unconditional solidarity with the anti-colonial struggle of the peoples of West Africa and know that any serious blow to Western domination in the region is a step forward. We demand the immediate withdrawal of the Bundeswehr and all Western troops from the region!

Smash Françafrique – down with Western neo-colonialism!

No “place in the sun“ – German army get out of Africa!

Long live the people’s anti-imperialist struggle long live international solidarity!

Podcast #37 – New Communist Party of Yugoslavia on NATO’s Role in the Balkans

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The new episode of our podcast takes us to the balkans. Our guest Aleksandar Djenic from the „New Communist Party of Yugoslavia“ describes the NATO presence as the major obstacle in the struggle for social progress in the former republics of Yugoslavia. Also he explains the historical development of the current states in the 1990s through the use of „divide & conquer“ tactics by the Western imperialist states. Furthermore our guest speaks about the necessity for progressive forces globally to support Russia in its war against NATO in Ukraine.

http://nkpj.org.rs/stari/international-la/aboutus.php

Podcast #36 – The Socialist Movement of Ghana

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In our new episode we are very pleased to be joined by Kyeretwie Opoku, the convener of the Socialist Movement of Ghana. We learn from him about the current political situation in Ghana and West Africa and how it was shaped from the continuity of (neo)colonialism. Related to this he describes the evolution of US-Imperialism as a dominant power in Ghana and elaborates on how in general „imperialism is considering and exploring the potential of resumption of colonial direct political governance“ in form of military, economic and political control – and how this differs to the impact of the Peoples Republic of China on the african continent. He then concludes how a continuesly evolving strategy and tactics is built on the connection of pan-africanism, anti-imperialism and socialism to advance the daily class struggle in Ghana. 

To learn more about and support the Socialist Movement of Ghana check out these links:

1. Website: http://smghana.org

2. YouTube: https://www.youtube.com/@socialistmovementofghana432

3. Facebook: https://www.facebook.com/SocialistMovementOfGhana

4. Twitter: https://twitter.com/SocialistGhana

5. Instagram: https://www.instagram.com/socialistmovementofghana/

Positionen der internationalen Kommunistischen Bewegung zum Ukraine-Krieg

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Dossier zum 22. Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien

Wir haben Texte vom 22. Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien zusammengestellt. Zwei der verabschiedeten Resolutionen kommentieren wir. Danach folgen Auszüge von vorgetragenen Positionen verschiedener Parteien.

Hier als PDF

1.     Gemeinsame Resolutionen

2.     Zwei gegensätzliche Resolutionen zum Ukraine-Krieg

Resolution zum Sturz der kriegsführenden Regierungen

Spanische Übersetzung für Verhandlungen statt für Sturz der Kriegsregierungen

Unterzeichnet von MLPD

Resolution zum Kampf gegen den Imperialismus der USA und der NATO

3.     Reden der vertretenen Parteien

Zwischenimperialistischer Krieg in der Ukraine?

KP Griechenland (KKE)

PdA Österreich

KP Belgien (PCB-CPB)

Algerische Partei für Demokratie und Sozialismus

Sozialistische Bewegung Kasachstan

Kommunistische Partei Pakistan

Neue Kommunistische Partei der Niederlande (NCPN)

KP Mexiko

Gegenteilige Redebeiträge

Sozialistische Volkspartei Mexiko

Deutsche Kommunistische Partei

Kommunistische Partei der Völker Spaniens (PCPE)

Russische Kommunistische Arbeiterpartei (RKAP)

Arbeiterpartei Irland

Kommunistische Partei der Ukraine (KPU)

Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF)

Union der Kommunistischen Parteien – Kommunistische Partei der Sowjetunion (UCP-CPSU)

4.     Berichte und Sonstiges

Die einen finden es „beschämend und kriminell, wenn Kommunisten in der ganzen Welt hinter den Regierungen der bürgerlichen Länder herlaufen“ und fordern, „die Waffen gegen die Kriegsregierungen [zu] richten, um den imperialistischen Krieg zwischen den Völkern in einen Bürgerkrieg zwischen den Klassen zu verwandeln“, die anderen sehen den „Kampf gegen den Imperialismus der USA und der NATO, die die Weltherrschaft anstreben, als Hauptaufgabe der fortschrittlichen Kräfte“ und wollen verhindern, dass „Russland das Schicksal Jugoslawiens, des Irak oder Libyens wiederholt“.

Gegensätzlicher könnten die Positionen nicht sein. Sie sind artikuliert in Resolutionen, die beim 22. Internationalen Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien (IMCWP) im Oktober letzten Jahres verabschiedet wurden. Im Vorfeld des Kommunismus-Kongresses wollen wir die verschiedenen Analysen und Ansichten Kommunistischer Parteien darlegen und zur Diskussion stellen. Obwohl das Treffen nun einige Monate zurückliegt, wollen wir die Inhalte dieser wichtigen Zusammenkunft spiegeln. Wir stellen die beiden Resolutionen dar und die Positionen ausgewählter Parteien aus beiden sich widerstreitenden Richtungen.

Wir denken, dass die Befassung mit den politischen Positionen und Einschätzungen dieses internationalen kommunistischen Zusammenschlusses sehr wichtig ist. Es gibt weitere Zusammenschlüsse, mit denen wir uns stärker befassen wollen: Die International People’s Assembly (IPA) und die World Antiimperialist Plattform (WPA). Vertreter aller Zusammenschlüsse haben wir zum Kommunismus-Kongress eingeladen.

Soweit wir dieses und die bisherigen Treffen einschätzen können, sind sie immer noch stark von den einzelnen Statements der Parteien und direkten Gesprächen der Vertreter geprägt, was beides natürlich wichtig ist. Unseres Erachtens ist dies jedoch nicht ausreichend. Es müsste mehr konkrete inhaltliche Zusammenarbeit und organisierte Diskussion der kontroversen Punkte geben, um einen Weg zu finden, die notwendige Strategie der kommunistischen Weltbewegung gegen den Imperialismus herauszuarbeiten. Diese wird sich mit Sicherheit in den einzelnen Ländern unterscheiden, aber sie wird auch ein gemeinsames Band, eine gemeinsame Stoßrichtung haben müssen. Mehr Austausch und Diskussion ist aus unserer Sicht deshalb wichtig, weshalb wir die IMCWP einerseits begrüßen, andererseits aber auch noch viel Potential zur Weiterentwicklung des SolidNet-Zusammenschlusses allgemein sehen. Das nächste, 23. Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien wird in diesem Jahr in der Türkei stattfinden. Wir werden die Entwicklungen auch bei dieser Zusammenkunft gespannt verfolgen.

Was ist das Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien?
 
Das Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien (IMCWP) ist eine seit 1998 jährlich stattfindende Konferenz kommunistischer Parteien und Organisationen verschiedener Länder, um Erfahrungen und Standpunkte zu diskutieren und gemeinsame Erklärungen zu verabschieden. Derzeit listet die dazugehörige Website SolidNet mehr als 120 Parteien und Organisationen aus weit über 80 Ländern als Mitglieder des Zusammenschlusses auf, darunter Regierungsparteien wie die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) und die Kommunistische Partei Vietnams (KPV) ebenso wie weitere einflussreiche Parteien, etwa die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF). 

Die Konferenzen fanden von 1998 bis 2005 in Athen bei der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) statt, die das IMCWP als Rahmen initiierte, und wechseln seit 2006 jährlich das Land, in dem die Ausrichtung stattfindet. Nachdem das Treffen aufgrund der Corona-Pandemie 2020 ausgefallen war und 2021 nur per Telefonkonferenz stattfinden konnte, kam der SolidNet-Zusammenschluss 2022 also zum ersten Mal seit drei Jahren wieder zusammen, diesmal auf Kuba unter der Schirmherrschaft der Kommunistischen Partei Kubas (PCC). 

Die internationale Zusammenkunft, an der laut Abschlusserklärung 145 Vertreter von 78 Parteien aus 60 Ländern teilnahmen, stand 2022 unter dem Motto: "Solidarität mit Kuba und allen kämpfenden Völkern. Gemeinsam sind wir stärker im antiimperialistischen Kampf, zusammen mit den sozialen und Volksbewegungen, gegen den Kapitalismus und seine Politik, gegen die Bedrohung durch Faschismus und Krieg; zur Verteidigung des Friedens, der Umwelt, der Arbeiterrechte, der Solidarität und des Sozialismus". 

1.   Gemeinsame Resolutionen

Gegen die US-Blockade, für die kubanische Revolution

Einig war man sich auf dem Treffen im Herbst letzten Jahres darin, die völkerrechtswidrige, mörderische US-Blockade gegen Kuba zu verurteilen, die seit über 62 Jahren besteht und dem Land sehr großen wirtschaftlichen Schaden zufügt. In fast allen Reden der verschiedenen Parteien und Organisationen wurde zudem der fortschrittliche Charakter der kubanischen Revolution hervorgehoben, die seit knapp sieben Jahrzehnten dem US-Imperialismus die Stirn bietet, trotz aller Aggressionen, Medienhetze, Sabotage, Putsch- und Ermordungs-Versuche, der illegalen US-Okkupation in Guantanamo Bay und dem Embargo.

Verschärfung der Blockade während der Pandemie

Die umfassende Solidarität mit Kuba und der Kommunistischen Partei Kubas wurde in einer eigenen Resolution[i] festgehalten, in der außerdem unterstrichen wird, dass die Aufnahme Kubas in die vom US-Außenministerium erstellte Liste der angeblichen „Staatlichen Förderer des Terrorismus“ eine absurde Farce ist, es im Gegenteil aber die USA waren, die die barbarischen Restriktionen während der Corona-Pandemie sogar verschärften und so ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit am kubanischen Volk begingen – Kuba hingegen mit der Entsendung tausender Ärzte und Krankenschwestern in alle Welt zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ein leuchtendes Vorbild der Solidarität war.

Solidarität mit der PCV

Viel Zuspruch fand zudem eine Erklärung[ii], die Solidarität mit der venezolanischen Arbeiterbewegung, dem venezolanischen Volk und der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) bekundet. Einerseits wird auch hier die Aufhebung der illegalen US- und EU-Sanktionen gefordert, die die wirtschaftliche und soziale Situation im Land äußerst negativ beeinflussen und eine Herausgabe der gestohlenen venezolanischen Gold-Reserven gefordert, andererseits betont, die Kämpfe der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung im Land zu unterstützen. Zudem werden die derzeitigen Angriffe auf die PCV in der Resolution thematisiert und sich klar gegen diese ausgesprochen.

Resolution zu Zypern

Eine Resolution[iii]der Fortschrittlichen Partei des arbeitenden Volkes (AKEL) aus Zypern zur Situation auf der Insel konnte ebenfalls zahlreiche Signaturen auf sich vereinigen. Bemerkenswert ist hierbei, dass sowohl die Vertretung Griechenlands als auch der Türkei, also die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) als auch die Kommunistische Partei der Türkei (TKP) diese Vorstellung zur Lösung der Situation auf Zypern nicht unterzeichneten. Dies hängt vermutlich mit der darin geäußerten Vorstellung einer zweizonigen, bi-kommunalen Föderation Zypern zusammen.[iv]

2.   Zwei gegensätzliche Resolutionen zum Ukraine-Krieg

Wir empfehlen, die beiden Erklärungen in Gänze zu lesen und die Liste der Unterzeichner zur Kenntnis zu nehmen, da es sich hierbei um die derzeit akuteste Auseinandersetzung im SolidNet-Zusammenschluss handelt. Wir nehmen hier eine politische Einordnung vor.

Resolution zum Sturz der kriegsführenden Regierungen

Die Resolution „zum imperialistischen Krieg auf dem Territorium der Ukraine[i] wurde von der „Union der Kommunisten der Ukraine“ initiiert, wobei es sich dabei scheinbar um einen Teil dieser Organisation handelt, der nicht mehr in der Ukraine ist und andere Positionen vertritt als der in der Ukraine verbliebene Teil.[ii]

Die zentrale Aussage der Resolution ist, dass die Waffen gegen die Kriegsregierungen zu richten seien: “Es ist notwendig, die Waffen auf die Kriegsregierungen zu richten, um den imperialistischen Krieg zwischen den Völkern in einen Bürgerkrieg zwischen den Klassen zu verwandeln.“ Damit stellen diese Parteien das Selensky-Regime, das zu 100% abhängig von der NATO und dessen Stellvertreter ist, mit der russischen Regierung gleich. Sie fordern nicht die Niederlage der NATO, sondern formulieren ein Ziel, das zumindest zum Teil mit dem der NATO – Sturz der russischen Regierung – übereinstimmt. In dieser Situation der Arbeiterklasse diese Orientierung zu geben ist fatal, aber die konsequente Fortführung der äquidistanten Positionierung dieser Parteien.

Die Gleichstellung der USA und ihrer Verbündeten (die NATO wird nicht benannt) mit Russland findet direkt im ersten Abschnitt statt: „Wir verurteilen alle kriminellen Handlungen der Vertreter des Weltkapitals: der USA, der imperialistischen Bündnisse und Blöcke, der Russischen Föderation und der herrschenden Kreise der Ukraine selbst, die das letzte Mittel zur Lösung ihrer Widersprüche im Zeitalter des Imperialismus – den Krieg – auf dem Territorium der Ukraine eingesetzt haben.” Sowohl die Russische Föderation als auch die herrschenden Kreise der Ukraine seien „Akteure und Repräsentanten des Weltkapitals“, ebenso wie die USA. Das ukrainische Regime ist ein völlig von den USA abhängiges Gebilde ist und auch Russlands Stellung wird damit nicht korrekt eingeordnet. Die Politik und Aggression der NATO, der USA und des Kiewer Regimes der letzten 20 Jahre werden einfach mit der Politik Russlands gleichgestellt.

Im weiteren Text heißt es:

„Nicht nur die Logik der marxistischen Analyse, sondern auch der acht Monate andauernde Krieg zeigen die Falschheit der von der russischen Regierung erklärten Ziele, da ihre Umsetzung offensichtlich zu direkt gegenteiligen Ergebnissen führt: humanitäre Katastrophe, Tausende von zivilen Toten, Militarisierung der Ukraine mit der Zerstörung ihrer Industrie und Städte, Zunahme der antirussischen Stimmung und der Zahl faschistischer Kämpfer. Wie schon früher in der Geschichte manipulieren die herrschenden Eliten beider Länder die Slogans des ‚gerechten Krieges‘ für ihre politischen Ziele, ihren wirtschaftlichen Gewinn und die Mobilisierung der getäuschten Völker, um ihnen fremde Ziele zu erreichen.“

Damit werden Ursache und Wirkung verdreht. Der Faschismus in der Ukraine wurde und wird vom Westen gezielt aufgebaut und gestützt. Die reale ständige Bedrohung, die vom Faschismus für das ukrainische Volk und Russland ausgeht wird verschwiegen. Das gleiche gilt für tote Zivilisten, zerstörter Infrastruktur, etc. In einem Krieg wird jede Kriegspartei, unabhängig davon, ob ihre Ziele gerecht sind, diese Folgen bis zu einem gewissen Grad in Kauf nehmen müssen. Sonst wäre die Aussage: Es kann keinen gerechten Krieg geben, denn im Krieg gibt es Tote. Hier wird außerdem wieder eine einfache und pauschale Gleichsetzung der ukrainischen und russischen Propaganda vorgenommen und nicht dargelegt, wie man diese geprüft hat.

In der Einleitung bezieht sich die Resolution auf den antifaschistischen Kampf des Donbass, ohne zu berücksichtigen, dass die Kommunisten und Antifaschisten dort nicht nur den Anschluss an Russland, sondern auch die Militäroperation befürwortet haben und schon viel länger ein Eingreifen Russlands gefordert haben. Im weiteren Text wird die Ermordung von Kämpfern der Volkrepubliken einfach der Russischen Föderation in die Schuhe geschoben, obwohl das nie belegt wurde und viele Indizien dafür sprechen, dass der ukrainische Geheimdienst für die Attentate verantwortlich war.

Die Resolution benutzt weder den Begriff Faschismus, noch ruft sie zum Kampf gegen den Faschismus auf, obwohl dies unbestreitbar und offensichtlich ein wesentliches Element des Kiewer Regimes ist. Parteien mit einer anderen Position wird unterstellt, sie würden hinter ihren Regierungen hinterherlaufen, ohne dies zu belegen oder zu erklären: „Es ist beschämend und kriminell, wenn Kommunisten in der ganzen Welt hinter den Regierungen der bürgerlichen Länder herlaufen und für die Interessen ihrer nationalen Bourgeoisie arbeiten, den einen oder anderen Block der bürgerlichen Länder unterstützen.“

Spanische Übersetzung für Verhandlungen statt für Sturz der Kriegsregierungen

Zwischen den unterzeichnenden Parteien muss es zu einer Fehlkommunikation gekommen sein oder es gibt andere Gründe dafür, dass die spanische Version des Resolutionstextes in wesentlichen Punkten stark von der englischen und russischen Version abweicht. Unter Punkt 5 wird hier nicht der Sturz der Kriegsregierungen gefordert, sondern „unverzügliche Friedensverhandlungen; die Einstellung aller Feindseligkeiten; die Einstellung von Militärlieferungen und Finanzspritzen in Höhe von Milliarden von Dollar durch die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und andere ‚Verbündete‘ der Ukraine, die einen Stellvertreterkrieg auf ihrem Territorium führen; die Untersuchung von Kriegsverbrechen durch alle Konfliktbeteiligten; die Abhaltung von Referenden über die Selbstbestimmung auf Wunsch der in diesen Gebieten lebenden Menschen (…).“[iii] Es ist nicht davon auszugehen, dass diese an zentraler Stelle erhobenen Forderungen der Linie der unterzeichnenden Parteien entsprechen. Falls doch, wäre es natürlich interessant, wie es zu dieser Änderung der Position gekommen ist.

Unterzeichnet von MLPD 

Die Resolution wurde auch von der MLPD unterzeichnet, was soweit wir wissen, ein Novum für solidnet ist und ein Ausdruck für die politische Stoßrichtung der Resolution. Auch das ist eine Vertiefung der Spaltung der Parteien auf solidnet, denn die MLPD bezeichnet die dort versammelten Parteien als revisionistisch und stellt sich ihnen und vor allem der DKP feindlich gegenüber. Eine falsche und sehr problematische Entwicklung des Zusammenschlusses von solidnet, die MLPD als Unterzeichner zuzulassen!

Resolution zum Kampf gegen den Imperialismus der USA und der NATO

Die zweite Resolution[vi] wurde von der RKAP und der KPRF initiiert und ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil beide Parteien früher kein enges oder gutes Verhältnis hatten. Es ist zudem ein wichtiges Zeichen, dass mit beiden Parteien aus Russland und der KP der Ukraine, die die Resolution unterzeichnet hat, die Kräfte von vor Ort in dieser Position sich einig sind. Die Resolution nimmt richtigerweise NATO und USA in den Fokus und benennt diese und den damit zusammenhängenden Faschismus völlig zurecht als akut Gefahr. An der Einigkeit und dem gemeinsamen Verständnis des Krieges, seiner Hintergründe und Auswirkungen auf die internationale Lage der Arbeiterklasse muss über eine Resolution hinaus gearbeitet werden. Umso mehr scheint aus unserer Sicht geboten, die gemeinsame Arbeit an diesen brennenden Fragen zu organisieren.

Die Resolution macht eindeutig die NATO, insbesondere die USA für den Krieg verantwortlich. Das Ziel der Kriegsführung ist, „die Errichtung der Weltherrschaft der USA im 21. Jahrhundert mit aktivem und offenem Einsatz des Faschismus.“ Sie verkündet direkt in der Überschrift: „Der Kampf gegen den Imperialismus der USA und der NATO, die die Weltherrschaft anstreben, ist die Hauptaufgabe der fortschrittlichen Kräfte.“[iv] Zwischen dem Kampf im Donbass, dem Faschismus in der Ukraine und der NATO-Aggression stellt die Resolution einen Zusammenhang her: „Die Kommunistischen Parteien und die Arbeiterparteien unterstützen den gerechten antifaschistischen Kampf der arbeitenden Bevölkerung des Donbass, der von den russischen Streitkräften unterstützt wird. Wir wenden uns gegen den US-Imperialismus, der in seiner Außenpolitik faschistische Methoden anwendet und unter direkter Beteiligung der NATO in Wirklichkeit einen Krieg führt, der darauf abzielt, Russland mit den Händen der Marionette des bürgerlich-nationalistischen ukrainischen Regimes zu besiegen.“

Die Resolution kommt zu dem Schluss: „Wir erklären, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um zu verhindern, dass Russland das Schicksal Jugoslawiens, des Irak oder Libyens wiederholt, das in krassem Widerspruch zu den Interessen der internationalen Arbeiterbewegung steht. Die Reaktion strebt danach, ihre neue Ordnung fest und dauerhaft zu etablieren. Russland kann es sich nicht leisten, den Krieg gegen den Nazismus zu verlieren.“

3.   Reden der vertretenen Parteien

Wir haben hier kurze Zusammenfassungen der Redebeiträge ausgewählter Parteien erstellt, die uns wichtig erschienen. Wir denken, dass alle lesenswert sind, wollen aber vielleicht auf den Beitrag der Union der Kommunistischen Parteien – Kommunistische Partei der Sowjetunion (UCP-CPSU) verweisen, weil er eine direkte Kritik an der KKE und anderen Parteien übt und quasi eine direkte Diskussion darstellt.

Die Reden der anwesenden Parteien nehmen einen großen Teil der Treffen in Anspruch. Das ist auch verständlich, allerdings wäre eine direktere – natürlich sachlich und konstruktive – Diskussion aus unserer Sicht wünschenswert. Die RKAP hatte bereits früher häufiger eine zielgerichtetere Debatte und Arbeit eingefordert. Die Schwerpunkte der Reden waren sehr unterschiedlich: Die Mehrheit der Vertreter berichteten von der Situation in ihrem Land und den Aufgaben, vor denen sie stehen, während andere Parteien sich fast ausschließlich auf internationale und Streitfragen fokussierten.

Viele Vertreter äußerten sich entweder gar nicht explizit zum Krieg in der Ukraine und den offensichtlich unterschiedlichen Haltungen im Raum oder machten nur Andeutungen dazu. Es gab jedoch auch einige Parteien, die sich in ihrem Redebeitrag relativ klar zu diesen Fragen äußerten. Wir wollen im Folgenden eine kurze Übersicht bieten, bei der wir vor allem die Aspekte hervorheben, die bemerkenswert sind oder zu denen es keine Einigkeit im SolidNet-Rahmen gibt und empfehlen zusätzlich die Lektüre der Reden, die wir in deutscher Übersetzung angehängt haben. Alle Beiträge sind hier zu finden.

Zwischenimperialistischer Krieg in der Ukraine?

Auf der einen Seite der Debatte waren die Vertreter der Parteien und Organisationen, die den Krieg als zwischenimperialistischen Konflikt charakterisieren und die russische Militärintervention ablehnen.

KP Griechenland (KKE)

Eine idealtypische Argumentation dafür, die den Lesern unserer Website bereits in Grundzügen bekannt sein dürfte, lieferte die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) in ihrer Rede. Bemerkenswert ist dabei die Ausführung, dass laut ihr alle kapitalistischen Staaten Teil des imperialistischen Systems seien und eine imperialistische Politik verfolgten, da die Merkmale des Imperialismus nicht nur die stärksten, sondern alle Staaten beträfen. Zudem seien keine Zwischenetappen oder Übergangsphasen zwischen Kapitalismus und Sozialismus existent. Auch Positionen, die Bündnisse mit Teilen der Bourgeoisie zur Erhaltung der „nationalen Unabhängigkeit“ im Namen der Konfrontation mit dem US-Imperialismus förderten, bewertet die KKE als falsch.

PdA Österreich

Die Partei der Arbeit Österreichs (PdA) versuchte exemplarisch mit einer kurzen Betrachtung der politischen, ökonomischen und militärischen Stärken Österreichs zu zeigen, dass der Imperialismus heute „ein komplexes Weltsystem aus Abhängigkeit und Dominanz“ sei, und nicht mehr von der bei Lenin beschriebenen Handvoll Räubern charakterisiert werde. Dabei führte die PdA den Einfluss des Landes in Zentral-, Ost- und Südosteuropa an und schlussfolgerte, auch Österreich sei imperialistisch, obwohl es in einer weltweiten Betrachtung keine Rolle spiele. Sie hob zudem den eigenständigen Kampf der Arbeiterklasse und des Volkes unter Führung der Kommunistischen Partei hervor.

KP Belgien (PCB-CPB)

Die Kommunistische Partei Belgiens (PCB-CPB) betonte, dass Klarheit bezüglich der Frage des Krieges geschaffen werden müsse, um revolutionäre Einheit zu erreichen. Laut ihr sei nichts im Kampf um eine „multipolare“ Welt zu gewinnen, die genau wie der hegemoniale Imperialismus Ausdruck kapitalistischer Barbarei sei. Der Kampf gegen Faschismus sei nur durch den Kampf gegen den Kapitalismus möglich, weshalb die PCB-CPB die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie gegen den Faschismus als nicht notwendig erachtet. Trotz der Widersprüche innerhalb des transatlantischen Blocks lehnt die PCB-CPB die These ab, dass sich einige Länder der Dominanz der USA unterworfen hätten, sondern geht im Gegenteil von der Freiwilligkeit der Blockbildung in der NATO aus; auch Belgien sei imperialistisch und verwirkliche so seine Interessen.

Algerische Partei für Demokratie und Sozialismus

Die Algerische Partei für Demokratie und Sozialismus (PADS) sprach sich in ihrem Redebeitrag deutlich gegen Zusammenarbeit mit bürgerlichen Regierungen oder Teilen der Bourgeoisie in wirtschaftlich beherrschten und von imperialistischer Intervention bedrohten Ländern aus. Eine „multipolare“ Welt hält sie für eine „tödliche Illusion“, da diese unweigerlich erneut zur Auflösung der Widersprüche dränge. Im Gegenteil müsse die Aufgabe der sozialistischen Revolution heute auf der Tagesordnung stehen, die Verhältnisse seien dafür in den meisten Ländern so günstig wie nie.

Sozialistische Bewegung Kasachstan

Die Sozialistische Bewegung Kasachstans argumentierte, dass alle heutigen Kriege auf die Natur des kapitalistischen Systems zurückzuführen seien und daher nicht als gerecht bezeichnet werden könnten. Es verbiete sich folglich, auf einer Seite Partei zu ergreifen, da man damit folglich einen Imperialisten unterstütze. Sie rekurrierte in ihrer Rede auch auf die Proteste Anfang 2022 in Kasachstan, die sie als Rebellion des Volkes gegen das kapitalistische System bezeichnete. Einige kommunistische Parteien seien hier fälschlicherweise von einer Farbrevolution ausgegangen, tatsächlich seien sich die EU, die russische, chinesische, türkische und US-Regierung aber für eine Aufrechterhaltung des Status quo einig gewesen.

Kommunistische Partei Pakistan

Die Kommunistische Partei Pakistans (CPP) identifizierte Pakistan als Satellitenstaat, der dschihadistische Stellvertreter für Kriege ausbilde. Die Wirtschaft Pakistans sei an den imperialistischen IWF verkauft worden, Entscheidungen über Pakistan würden in Washington gefällt. In der Ukraine sei ein Krieg um den „Superimperialismus“ zwischen dem imperialistischen Block USA, EU und NATO auf der einen und dem aufsteigenden imperialistischen Zentrum um Russland und China auf der anderen Seite im Gange. In Pakistan manifestiere sich die Auseinandersetzung internationaler Mächte zwischen der vorigen Regierung um Imran Khan, die sich mit den Anhängern eines „doppelten Spiels“ (vermutlich ist hiermit eine Schaukelpolitik zwischen China und den USA gemeint) im mächtigen Militärapparat verbündet habe und der heutigen Regierung, deren Partner im Militär klar auf Seite der USA stünden. Die CPP lehnt beide ab.

Neue Kommunistische Partei der Niederlande (NCPN)

Die Neue Kommunistische Partei der Niederlande (NCPN) hob hervor, dass die internationale kommunistische Bewegung in Fragen von Imperialismus, Krieg und Sozialismus Klarheit brauche und es nicht ausreiche, sich damit abzufinden, anderer Meinung zu sein. Beide Seiten verträten im Krieg in der Ukraine die Interessen ihrer Monopole. Die fehlende starke Antwort auf die Verwerfungen, die sich im Zuge des Krieges ergeben hätten, sei Ausdruck der Krise der kommunistischen Bewegung seit der Konterrevolution, die sich auch ideologisch niederschlage. Es gelte, eine heute noch gültige, Leninsche Definition des Imperialismus zu verwenden. Bürgerliche Regierungen würden nicht antiimperialistisch, wenn sie den Plänen der euroatlantischen Bourgeoisie im Weg stünden, da der Imperialismus nicht nur „der Westen“ oder „die USA“ sei.

KP Mexiko

Die Kommunistische Partei Mexikos (PCM) akzentuierte die Krise der kommunistischen Bewegung, die sich in unterschiedlichen Einschätzungen zu den Ursachen der Konterrevolution, des sozialistischen Aufbaus, des Imperialismus und der revolutionären Strategie für die Arbeiterklasse manifestiere. In ihrer Rede erteilte sie dem „Marktsozialismus“ eine klare Absage und verdeutlichte am Beispiel der gegenwärtigen Regierung Mexikos, warum sie auch der Welle des „Progressivismus“ in Lateinamerika negativ gegenübersteht. Es könne keine Zwischenetappen zwischen Kapitalismus und Sozialismus geben, die Kräfte seien für revolutionäre Prozesse zu bündeln.

Gegenteilige Redebeiträge

Dem zuwiderlaufende Ausführungen wurden in verschiedenen Schattierungen abgegeben. Während einige Redner die russische Militärintervention eindeutig befürworteten, verblieben andere ohne klare Aussage oder sprachen sich sogar für ein Ende der Kampfhandlungen aus. Gemein war ihnen jedoch, die jeweils unterschiedlichen Rollen von USA/NATO und Russland im gegenwärtigen Konflikt zu betonen und den US-Imperialismus in den Fokus der Verantwortlichkeit zu stellen.

Sozialistische Volkspartei Mexiko

Laut den Ausführungen der Sozialistischen Volkspartei Mexikos (PPSM) sei der US-Imperialismus mit seinen NATO-Verbündeten heute der grundlegende Feind der Völker, denn er greife das sozialistische Kuba und die Völker Lateinamerikas an, die versuchten, die eigenständige Entwicklung ihrer nationalen Produktivkräfte voranzutreiben. Man müsse ihn vom konkreten Charakter anderer kapitalistischer Ökonomien unterscheiden, die trotz des Erreichens des imperialistischen Stadiums noch nicht von gewaltsamer Aggression gekennzeichnet seien. Im Gegensatz zur PCM unterstützt die PPSM die gegenwärtige Regierung Mexikos, da diese nicht „neoliberal“ sei, mit Kuba und anderen, sich dem Imperialismus widersetzenden Völkern solidarisch sei und wieder den Weg der nationalen Souveränität beschreite.

Deutsche Kommunistische Partei

Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) stellte heraus, dass die zunehmende Verarmung und der Abbau demokratischer und sozialer Rechte mit der imperialistischen Kriegspolitik der BRD zusammenhingen und dass daher auch der Kampf gegen sie verbunden werden müsse. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine wurde klar gesagt, dass es sich nach Meinung der DKP nicht um einen zwischenimperialistischen Konflikt handele, Russland im Gegenteil vom Imperialismus bedroht sei, eine Gleichsetzung folglich unzulässig wäre. Dabei wurde betont, dass der gegenwärtige Konflikt ein NATO-Krieg gegen Russland sei. Die Anerkennung und Unterstützung der Volksrepubliken im Donbass durch die Russische Föderation sei legitim, uneinig sei man sich in der DKP jedoch darüber, ob auch das darüber hinausgehende militärische Eingreifen dem Völkerrecht entspreche.

Kommunistische Partei der Völker Spaniens (PCPE)

Die Kommunistische Partei der Völker Spaniens (PCPE) betonte, dass trotz der imperialistischen Produktions- und Handelsbeziehungen, die weltweit hegemonial seien, nicht automatisch jeder Konflikt ein zwischenimperialistischer sei. Dabei bezog sie auch klar Stellung für die Möglichkeit taktischer und zeitlich begrenzter Bündnisse im bolschewistischen Kampf gegen den Hauptfeind und für den Sozialismus, solange die strategischen Grundlagen und Ziele gewahrt blieben. Daher sei es wichtig, im gegenwärtigen, konkreten Moment des Klassenkampfes die IKB mit einer breiten „antiimperialistischen Weltfront“ zu verbinden, sich gegen den imperialistischen Block unter Führung der USA und EU zu stellen.

Russische Kommunistische Arbeiterpartei (RKAP)

Die Russische Kommunistische Arbeiterpartei (RKAP) bekräftigte erneut ihre These des Faschismus in der Außenpolitik[vii]der USA und ihrer NATO-Verbündeten. Durch das sowjetische Militärerbe sei Russland das einzige Land, das der räuberischen Meute der Imperialisten unter Führung der USA Widerstand leisten könne – zur Unterdrückung des Faschismus sei die Militärintervention defensiv und gerecht, wenngleich die Motive der Regierung andere seien und ihre Inkonsequenz in der Umsetzung ihr verrottetes Wesen offenbare. Die Forderung, den Krieg zu beenden sei gleichbedeutend mit der Forderung, den Faschismus nicht mehr zu bekämpfen. Illusionen in Russland und China als fortschrittliche oder sozialistische Staaten seien dennoch unangebracht. Die RKAP werde nach der Befreiung weiterer Gebiete dafür kämpfen, den Krieg in einen Krieg für den Sozialismus umzuwandeln, da sich eine revolutionäre Situation anbahne.

Arbeiterpartei Irland

Die Arbeiterpartei Irlands verwies auf Lenin und betonte, sich der konkreten Realität der Kräfteverhältnisse heute stellen zu müssen, nicht nur abstrakt auf den Kapitalismus als System zu verweisen. Diese Realität sei, dass es nicht Russland oder China, sondern die USA seien, die die Völker unterdrückten, sanktionierten, bedrohten. Russlands Eingreifen in der Ukraine sei der Versuch, sich als souveränen Staat zu erhalten, diese Unabhängigkeit von den USA gäbe Russland auch Potenzen bezüglich der Erkämpfung sozialistischer Veränderung. Der Stand der Produktivkräfte sei zudem heute günstig für den Aufbau des Sozialismus. Der Krieg in der Ukraine verhandele die Frage, ob souveräne Staaten in der US-dominierten Weltordnung toleriert würden und sei geopolitisch wichtig; eine US-Niederlage würde eine neue Ära für Klassenkämpfe eröffnen.

Kommunistische Partei der Ukraine (KPU)

Die Kommunistische Partei der Ukraine (KPU) beschrieb die Lage im Land, das mit Reformen unter die totale Kontrolle transnationaler Konzerne gelangt sei. Dabei ging es auch um Verbot und Verfolgung der KPU durch das „neonazistisch-oligarchische“, faschistische Regime. In der Ukraine sei die Kompradorenbourgeoisie an die Macht gebracht worden, die mit Neofaschisten und dem organisierten Verbrechen kooperiere. Der Widerstand im Donbass sei als nationaler Befreiungskampf zu werten. Der Krieg in der Ukraine sei außerdem von russischer Seite kein imperialistischer im eigentlichen Sinne. Den damals bevorstehenden Angriff der ukrainischen Armee hätte der Widerstand im Donbass nicht abwehren können, folglich sei Russland um diese zu schützen und die nationalen Sicherheit zu gewährleisten keine andere Wahl geblieben.

Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF)

Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) fasste sich kurz, um dem Repräsentant der UCP-CPSU mehr Zeit einzuräumen, über die Ereignisse in der Ukraine zu sprechen. Der Vertreter führte aber aus, warum die KPRF die Militäroperation unterstützt und die Anschuldigungen zurückweist, regierungsfreundliche, d.h. pro-imperialistische Positionen zu vertreten. Historische Zwänge hätten Russland dazu gebracht, die Vorschläge, die die KPRF seit Jahren einbringt, umzusetzen. Es sei die Hauptaufgabe, die spezifischen Merkmale dieses Krieges herauszuarbeiten.

Union der Kommunistischen Parteien – Kommunistische Partei der Sowjetunion (UCP-CPSU)

Für Aufregung sorgte den Berichten nach zu urteilen die Rede der Union der Kommunistischen Parteien – Kommunistische Partei der Sowjetunion (UCP-CPSU), des Zusammenschlusses kommunistischer Parteien auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, dem auch die KPRF und KPU angehören. Sie enthielt neben vielen Dingen, die bereits in den Reden von KPU und KPRF genannt wurden, einige direkte Worte an die KKE und mit ihr in der Bewertung des Krieges übereinstimmende Parteien. Der Redner äußerte Unverständnis für die Haltung der Unterzeichner des „Joint Statements“[viii], führte die Umstände der Situation vor dem 24. Februar aus und beschwerte sich neben dem beleidigenden Tonfall und den Etikettierungen auch darüber, dass die darin zum Ausdruck kommende Position für die Kommunisten vor Ort keine realistische Handlungsmöglichkeit biete und diese auch nicht konsultiert wurden. Er respektiere die Besorgnis über vermeintlichen Opportunismus, der Einfluss des Trotzkismus sei jedoch nicht weniger gefährlich. Der Vertreter der UCP-CPSU rief die Unterzeichner des „Joint Statements“ dazu auf, ihre Anstrengungen im Kampf gegen Imperialismus, Kapitalismus und dessen faschistische Lakaien zu unterstützen. Im Namen der UCP-CPSU unterbreitete er zudem Vorschläge für die Veränderung der Arbeitsgruppe von SolidNet, die die IMCWP vorbereiten. Darunter fanden sich die Anregungen, regierende kommunistische Parteien zu ständigen Mitgliedern der Arbeitsgruppe zu ernennen und die Praxis abzuschaffen, darin „vom Kaiser gesandte“ Mitglieder aufzunehmen und umso mehr die Aufnahme von Vertretern von „Phantomparteien“ zu vermeiden.

4.   Berichte und Sonstiges

Die Abschlusserklärung[ix]ist wie üblich vage gehalten, da das Meinungsspektrum unter den teilnehmenden Parteien und Organisationen groß ist und man sich so auf allgemeine Aussagen zu den meisten Themen einigen musste.

Eine Übersicht aller veröffentlichten Redebeiträge (mit Ausnahme der Rede der PCV[x], deren Verlinkung wohl vergessen wurde), Resolutionen, der Abschlusserklärung und des Aktionsplans findet sich auf der SolidNet-Website.[xi]Leider wurden bisher nicht alle gehaltenen Reden veröffentlicht; wir hoffen, dass dies noch passieren wird, um die Debatte vollumfänglich nachvollziehen zu können. Zudem wollen wir hier auch exemplarisch zwei Berichte des Treffens der Partei der Arbeit (PdA) aus Österreich[xii]und ein Resümee der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei (RKAP)[xiii]verlinken. In ihnen wird die Kontroverse ebenfalls aus der jeweils eigenen Sicht nachgezeichnet und mit Informationen angereichert, deren Richtigkeit von uns nicht überprüft werden können. Möge sich jeder sein eigenes Bild davon machen.

Die Abschlussworte des RKAP-Resümees fassen die Situation um die Kontroverse auf dem 22. IMCWP und in der internationalen kommunistischen Bewegung insgesamt zusammen: „Die Positionen sind etwas klarer geworden, aber die Situation der Verwirrung und Unentschlossenheit in der internationalen kommunistischen Bewegung bleibt bestehen. Die Ereignisse in der Ukraine führen die Welt in einen Umbruch. Ob das Proletariat in der Lage sein wird, seine historische Mission zu erfüllen, hängt von uns allen ab.“

[i]    http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-Resolution-to-Condemn-the-Blockade-and-to-Stand-in-Solidarity-with-Cuba/

[ii]    http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-Solidarity-with-the-workers-movement-people-of-Venezuela-and-the-PCV/

[iii]    http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-Solidarity-Statement-with-the-people-of-Cyprus-The-peaceful-reunification-of-Cyprus-a-step-to-curb-militarisation-and-imperialist-aggressions/

[iv] Die KKE hat ihre Haltung dazu 2016 (auch in einem Briefwechsel mit der AKEL) klargestellt. Sie lässt sich hier nachlesen: https://inter.kke.gr/en/articles/Decision-of-the-CC-of-the-KKE-on-the-developments-around-the-Cyprus-Issue-and-the-position-of-the-KKE/ Der Grund der Ablehnung könnte auch für die TKP mit dieser Frage zusammenhängen. TKP und KKE hatten 2018 eine gemeinsame Ankündigung veröffentlicht, bei der sie unter Punkt 8 eine gemeinsame Haltung zu Zypern formulieren (die jedoch zu diesem Spezifikum keine Aussage trifft): https://www.tkp.org.tr/en/agenda/statements/joint-announcement-communist-party-turkey-and-communist-party-greece/

[v]    http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-RESOLUTION-on-the-imperialist-war-on-the-territory-of-Ukraine/

[vi]    http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-The-Struggle-Against-USA-and-NATO-Imperialism-which-Seek-World-Hegemony-is-the-Key-Task-of-the-Progressive-Forces/

[vii]    https://kommunistische-organisation.de/allgemein/exportierter-faschismus/

[viii]    http://www.solidnet.org/article/Urgent-Joint-Statement-of-Communist-and-Workers-Parties-No-to-the-imperialist-war-in-Ukraine/

[ix]    http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-Final-Declaration-of-the-22nd-International-Meeting-of-Communist-and-Workers-Parties/

[x]    http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-Contribution-by-the-CP-of-Venezuela/

[xi]    http://www.solidnet.org/meetings-and-statements/imcwp/22nd-International-Meeting-of-Communist-Workers-Parties/

[xii] https://zeitungderarbeit.at/international/debatte-und-austausch-in-havanna/ und https://zeitungderarbeit.at/international/abschluss-des-internationalen-treffens-kommunistischer-und-arbeiterparteien/

[xiii]

https://ркрп.рус/2022/11/01/%D0%BE-xxii-%D0%BC%D0%B5%D0%B6%D0%B4%D1%83%D0%BD%D0%B0%D1%80%D0%BE%D0%B4%D0%BD%D0%BE%D0%B9-%D0%B2%D1%81%D1%82%D1%80%D0%B5%D1%87%D0%B5-%D0%BA%D0%BE%D0%BC%D0%BC%D1%83%D0%BD%D0%B8%D1%81%D1%82%D0%B8%D1%87/

Alternativer Link, da bei manchen Browsern die Umwandlung der obigen Zeichen in kyrillische Buchstaben nicht funktioniert: https://archive.ph/926ei

Eine (wohl inoffizielle) englische Übersetzung findet sich hier: https://actofdefiance.wordpress.com/2022/11/11/on-the-xxii-international-meeting-of-communist-and-workers-parties-russian-communist-workers-party/


[i] http://www.solidnet.org/article/22nd-IMCWP-RESOLUTION-on-the-imperialist-war-on-the-territory-of-Ukraine/

[ii] https://kommunistische-organisation.de/diskussion-imperialismus/klarheit-in-der-position-der-ukrainischen-kommunisten/

[iii] https://archive.ph/3arWT

[iv] https://archive.ph/hR06y

Justice for Nahel: The intifada of the popular neighborhoods in France

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We document here the joint statement of the comrades of Collectif Palestine Vaincra, Samidoun Paris Banlieue and Masar Badil on the current protests in France. The colonial continuity of racist violence mentioned in this text cannot be emphasised enough: France in particular was long one of the world’s largest colonial powers, it waged several of the cruellest wars to suppress the national liberation movements of the 20th century and still today, especially in Africa, pursues a policy of neo-colonialism that is without equal. At present, the latter seems to be finally being shaken off by the peoples of West Africa. What remains is the colonial arrogance and deep-rooted racism against Africans, Arabs and Muslims that not only shape official French policy but also divide French society along ethnic and religious lines.

Justice for Nahel: The intifada of the popular neighborhoods in France

1 July 2023

“Qui sème la Hagra récolte l’Intifada !” (Those who sow injustice reap the uprising!)

On Tuesday, 27 June in Nanterre, France, a police officer murdered a 17-year-old teenager with a shot to the chest, encouraged by his colleague, who was shouting “Shoot him!” This scene, captured on video by witnesses, has aroused a surge of anger and solidarity following the latest racist crime committed by French police. Nahel, the victim’s first name, has become a new symbol of France’s structural inequalities and state violence.

In an attempt to contain the surging wave of legitimate indignation, the political and media machine was set in motion to smear the memory of the young man by reversing the obvious responsibility for the crime: he was portrayed as having a “criminal record,” while the police officer was said to practice “self-defense.” This lie has been widely disproven; however, even this smear campaign does nothing to justify the state murder of a teenager.

For several days, uprisings and revolts have taken place in multiple cities across France, affirming the rejection of police crimes and racism, and echoing the slogan, “No justice, no peace.” The sole response from the government has been repression: the mobilization of  tens of thousands of police officers, nearly 1,000 arrests, curfews and restrictions on freedom of movement in various neighborhoods.

This latest racist police crime is far from an isolated case. Since 1977, nearly 900 people have died as a result of the action of the police, the overwhelming majority of whom are Black and Arab men from working-class and immigrant neighborhoods. This state violence is particularly rooted in  the history of French colonialism. The tactics developed in the French counter-insurgency against the war of liberation in Algeria and the colonial repression of May 1967 in Gwadloup were also used and reinvested in France, in particular in the neocolonial control of the Arab and black populations in the popular immigrant neighborhoods immigration segregated from the large cities.

The Collectif Palestine VaincraSamidoun Paris Banlieue and Masar Badil, the Palestinian Alternative Revolutionary Path Movement, send their condolences to Nahel’s mother, Mounia M., to her friends and to the inhabitants of her neighborhood. As Palestinian movements and anti-colonialist and anti-racist organizations committed to supporting the Palestinian resistance, we know that state racism and police repression are the arm of French imperialism, which is a strategic ally of the Zionist regime oppressing the Palestinian people. More than ever, the mobilizations, from France to Palestine, represent our united struggle for justice, liberation and dignity!

Gerechtigkeit für Nahel: Die Intifada der Volksviertel in Frankreich

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Wir dokumentieren an dieser Stelle die gemeinsame Stellungnahme der Genossen von Collectif Palestine Vaincra, Samidoun Paris Banlieue und Masar Badil zu den aktuellen Protesten in Frankreich. Die in diesem Text benannte koloniale Kontinuität rassistischer Gewalt kann nicht genug betont werden: Gerade Frankreich zählte lange zu den größten Kolonialmächten der Welt, es führte mehrere der grausamsten Kriege zur Unterdrückung der nationalen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts und betreibt noch heute vor allem in Afrika eine Politik des Neokolonialismus, die ohne Gleichen ist. Letztere scheint derzeit von den Völkern Westafrikas endlich abgeschüttelt zu werden. Was bleibt, sind die koloniale Arroganz und der tief verankerte Rassismus gegen Afrikaner, Araber und Muslime, die nicht nur die offizielle französische Politik prägen, sondern auch die französische Gesellschaft entlang ethnischer und religiöser Linien spalten.

Gerechtigkeit für Nahel: Die Intifada der Volksviertel in Frankreich

1 Juli 2023

“Qui sème la Hagra récolte l’Intifada !” (Wer Ungerechtigkeit sät, wird den Aufstand ernten!)

Am Dienstag, den 27. Juni, tötete ein Polizist in Nanterre, Frankreich, einen 17-jährigen Jugendlichen mit einem Schuss in die Brust, ermutigt von seinem Kollegen, der rief: “Erschieß ihn!”. Diese Szene, die von Zeugen auf Video aufgenommen wurde, hat eine Welle der Wut und Solidarität infolge des jüngsten rassistischen Verbrechens der französischen Polizei ausgelöst. Nahel, so der Vorname des Opfers, ist zu einem neuen Symbol für die strukturellen Ungerechtigkeiten und die staatliche Gewalt in Frankreich geworden.

In einem Versuch, die Welle der berechtigten Empörung einzudämmen, wurde die politische und mediale Maschinerie in Bewegung gesetzt, um das Andenken des jungen Mannes zu verleumden, indem die offensichtliche Verantwortung für das Verbrechen umgedreht wurde: Er wurde als ” kriminell vorbestraft ” dargestellt, während der Polizeibeamte angeblich “Selbstverteidigung” praktizierte. Diese Lüge wurde zwar weitgehend widerlegt, doch selbst diese Verleumdungskampagne rechtfertigt nicht den staatlichen Mord an einem Teenager.

Seit mehreren Tagen finden in mehreren Städten Frankreichs Aufstände und Revolten statt, die die Ablehnung von Polizeiverbrechen und Rassismus bekräftigen und den Slogan “Keine Gerechtigkeit, kein Frieden” wiederholen. Die einzige Antwort der Regierung war Repression: die Mobilisierung von Zehntausenden von Polizisten, fast 1.000 Verhaftungen, Ausgangssperren und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in verschiedenen Stadtvierteln.

Dieses jüngste rassistische Polizeiverbrechen ist bei weitem kein Einzelfall. Seit 1977 sind fast 900 Menschen durch Polizeieinsätze ermordet worden, die überwiegende Mehrheit von ihnen Schwarze und arabische Männer aus Arbeiter- und Migrantenvierteln. Diese staatliche Gewalt ist insbesondere in der Geschichte des französischen Kolonialismus verwurzelt. Die Taktiken, die bei der Aufstandsbekämpfung gegen den Befreiungskrieg in Algerien und die koloniale Repression vom Mai 1967 in Gwadloup entwickelt wurden, wurden auch in Frankreich angewandt und wieder eingesetzt, insbesondere bei der neokolonialen Kontrolle der arabischen und schwarzen Bevölkerung in den von den Großstädten getrennten Migrantenvierteln.

Collectif Palestine Vaincra, Samidoun Paris Banlieue und Masar Badil, die alternative palästinensische Pfad-Bewegung, sprechen Nahels Mutter, Mounia M., ihren Freunden und den Bewohnern ihres Viertels ihr Beileid aus. Als palästinensische Bewegungen und antikoloniale und antirassistische Organisationen, die zur Unterstützung des palästinensischen Widerstands verpflichtet sind, wissen wir, dass staatlicher Rassismus und polizeiliche Repression der Arm des französischen Imperialismus sind, der ein strategischer Verbündeter des zionistischen Regimes ist, das das palästinensische Volk unterdrückt. Die Mobilisierungen, von Frankreich bis Palästina, stehen mehr denn je für unseren gemeinsamen Kampf für Gerechtigkeit, Befreiung und Würde!

Justice pour Nahel : Qui sème la Haggra récolte l’Intifada !

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Nous publions ici la déclaration commune des camarades du Collectif Palestine Vaincra, Samidoun Paris Banlieue et Masar Badil sur les manifestations actuelles en France. On ne soulignera jamais assez la continuité coloniale de la violence raciste évoquée dans ce texte : la France a longtemps été l’une des plus grandes puissances coloniales du monde, elle a mené plusieurs des guerres les plus cruelles pour réprimer les mouvements de libération nationale du XXe siècle et mène encore aujourd’hui, notamment en Afrique, une politique néocolonialiste sans pareille. Cette dernière semble enfin être rejetée par les peuples d’Afrique de l’Ouest. Il reste cependant l’arrogance coloniale et le racisme profondément ancré à l’égard des Africains, des Arabes et des musulmans, qui non seulement caractérisent la politique officielle française, mais divisent également la société française selon des critères ethniques et religieux.

Afin de tenter de contenir la vague d’indignations légitime, la machine politico-médiatique s’est mise en branle pour salir la mémoire du jeune homme en inversant les responsabilités évidentes : il aurait un casier judiciaire et le policier aurait été en état de légitime défense. C’est un mensonge qui a été largement démontré. Pour autant, rien ne saurait justifier le meurtre par balle d’un adolescent.

Depuis plusieurs jours, de nombreuses villes sont le théâtre d’émeutes et révoltes affirmant leur rejet des crimes policiers et faisant résonner le slogan « Pas de justice, pas de paix ». La seule réponse du gouvernement a été la mobilisation de dizaines de milliers de policiers, près de 1000 arrestations, des couvre-feux et entraves à la liberté de circulation dans différents quartiers.

Ce nouveau crime raciste policier n’est pas un cas isolé. Depuis 1977, près de 900 personnes sont mortes suite à l’action des forces de l’ordre dont l’écrasante majorité sont des hommes noirs et arabes issus des quartiers populaires et de l’immigration. Ces violences d’État trouvent notamment racines dans l’histoire du colonialisme français. Le savoir-faire issu de la contre-insurrection durant la guerre de libération en Algérie et de la répression coloniale de mai 1967 en Gwadloup a été utilisé et réinvesti en France, en particulier dans le contrôle néocolonial des populations arabes et noires ségrégées dans les quartiers de l’immigration des grandes métropoles.

Le Collectif Palestine VaincraSamidoun Paris Banlieue et Masar Badil adressent leurs condoléances à la mère de Nahel, Mounia M., à ses amis et aux habitants de son quartier. En tant que mouvement palestinien et organisations anticolonialistes et antiracistes engagés dans le soutien à la résistance palestinienne, nous savons que le racisme d’État et la répression policière sont le bras de l’impérialisme français qui est un allié stratégique de l’État sioniste qui opprime le peuple palestinien. Plus que jamais, les mobilisations ici comme là-bas sont un seul et même combat pour la justice, l’égalité et la dignité !